BIORAMA Wien–Berlin 4

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SPEZIALAUSGABE: WIEN – BERLIN

SO KÖNNTE ES GEHEN

Stellen wir uns vor, was man auf dem Platz zwischen den Häusern alles machen kann.

JedeR für sich: Einfach zu Fuß gehen hilft in jedem Alter körperlich und psychisch gesund zu bleiben. — 12

Eine für alle: Flächengerechtigkeit bringt Lebensqualität und ermöglicht die Mobilitätswende. — 16

Alle für eines: Stadttempo 30 könnte die Antwort auf unterschiedlichste Probleme lauten.

— 33 .04
AUSGABE WIEN–BERLIN SOMMER 2024. WWW.BIORAMA.EU — WIENAUSGABE P.B.B. — 11Z038861 M — 1060 WIEN KOSTENLOS — ABER ABONNIERBAR
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WOHIN GEHEN WIR?

Bis zum Jahr 2040 werden in Berlin (mit einer heutigen Bevölkerung von 3,9 Millionen auf 892 Quadratkilometer) etwa fünf Prozent mehr, in Wien (mit einer Bevölkerung von 2 Millionen auf 415 Quadratkilometer) zehn Prozent mehr Menschen leben als derzeit. Und auch die Ballungsräume rundherum werden wachsen. Ein Vorteil davon: Das Leben in verdichtetem Gebiet ist einfacher nachhaltig zu gestalten als das ländliche. In den Städten gibt es bei der Nachverdichtung noch Luft nach oben. Am Boden wird es indes ein wenig enger: auf den Straßen, in den Parks, den Spielplätzen, am Wasser – überall, wo attraktiver öffentlicher Raum zur (Fort-)bewegung oder mit Aufenthaltsqualität zu finden ist.

Die BewohnerInnen der Städte folgen den Aufrufen und Anreizen, mehr aktive Mobilitätsformen zu nutzen – und lassen das Auto stehen oder schaffen sich erst gar keines an. Je mehr das tun, umso absurder wird es, dass sich Radkuriere, FußgängerInnen, Familien mit Kinderwagen, Kinder auf Rollern oder Menschen auf dem Weg zur nächsten U-Bahn-Station auf 30 % der Straße (in Wien) und rund 40 % (in Berlin) tümmeln, oft damit Autos in zwei Fahrtrichtungen aneinander vorbeifahren können. Wenn wir dem Auto weniger Platz geben und den Platz zwischen den Häusern so gestalten, dass sich möglichst viele dort sicher aufhalten und fortbewegen können, wird auch Platz für Grünraum in der Stadt, für Begegnung zwischen NachbarInnen und Fremden, zum Spielen oder für ein Gespräch auf einer Bank ohne Konsumzwang frei.

Viele BürgerInnen haben begonnen, einzufordern, die Stadt nicht mehr verlassen zu müssen, um sich an die frische Luft bewegen zu können. Gemma, vorwärts, auf geht’s!

Wir wünschen gute Lektüre!

Irina Zelewitz, Chefredakteurin zelewitz@biorama.eu

Thomas Weber, Herausgeber weber@biorama.eu @th_weber

IMPRESSUM

HERAUSGEBER Thomas Weber CHEFREDAKTEURIN Irina Zelewitz AUTORiNNEN Martin Mühl, Beate Kroissenbrunner, Ursel Nendzig, Steve Przybilla, Hanna Stummer, Thomas Weber GESTALTUNG Ulrike Dorner, Stefan Staller LEKTORAT Barbara Ottawa ANZEIGENVERKAUF Herwig Bauer, Thomas Weber DRUCK Walstead NP Druck GmbH, Gutenbergstraße 12, 3100 St. Pölten PRODUKTION & MEDIENINHABERIN Biorama GmbH, Windmühlgasse 9 / 14, 1060 Wien GESCHÄFTSFÜHRUNG Martin Mühl KONTAKT Biorama GmbH, Windmühlgasse 9/14, 1060 Wien; www.biorama.eu, redaktion@biorama.eu BANKVERBINDUNG Biorama GmbH, Bank Austria, IBAN AT44 12000 10005177968, BIC BKAUATWW ABONNEMENT biorama.eu/abo ERSCHEINUNGSWEISE BIORAMA 6 Ausgaben pro Jahr ERSCHEINUNGSORT Wien.

BLATTLINIE BIORAMA ist ein unabhängiges, kritisches Magazin, das sich einem nachhaltigen Lebensstil verschreibt. Die Reportagen, Interviews, Essays und Kolumnen sind in Deutschland, Österreich und der ganzen Welt angesiedelt. Sie zeigen Möglichkeiten für ein Leben mit Qualität für den Menschen und den Planeten Erde. Ohne dabei den Zeigefinger zu erheben. BIORAMA erscheint sechs Mal im Jahr. Zusätzlich erscheinen wechselnde BIORAMA-Line-Extentions.

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Dieses Produkt stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern und kontrollierten Quellen www.pefc.at

PEFC/06-39-08

EU Ecolabel : AT/053/005

Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling.

BILD BIORAMA/COVER BIORAMA, ISTOCK.COM / VUKLOZO, ALTMODERN, FABER14, GUZALIIA FILIMONOVA, ILYA_STARIKOV, LIGHTSTAR59, FOTOCELIA, WARUT PINAMKA
3 BIORAMA WIEN-BERLIN EDITORIAL, IMPRESSUM

INHALT

16 GEHT BESSER

Dass die meisten Menschen zu Fuß gehen, sollte Grund genug sein, die Wege so attraktiv wie möglich zu gestalten.

03 Editorial

07 Street Talk Berlin

10 Street Talk Wien

12 In die Gänge kommen Sportmedizinerin Johanna Porst gibt Empfehlungen zum Gehen.

14 Wienbild der Ausgabe

16 Geht besser Wieso nicht das Alltägliche angenehm gestalten?

24 Das Ende der Wende? Der Status der Berliner Verkehrswende-Wende.

27 Luft nach oben Wer arbeitet an der Verbesserung der Stadtluft.

33 Tempo 30 rettet Menschenleben Martin Schlegel, Verkehrsreferent des Bund-Landesverbands im Interview.

34 Berlinbild der Ausgabe

36 Leinenlos durch die Stadt Die Städte versuchen, das Miteinander von Stadthund und -mensch zu regeln.

48 Neue GenossInnenschaften Vier Beispiele für nachhaltige Zusammenarbeit.

54 Biogastronomie Auswärtsessen in Wien.

58 Meine Stadt Berlin

62 Rezensionen

KOLUMNEN

64 Aus dem Verlag

66 Elternalltag

BILD GEHT DOCH WIEN, STEVE PRZYBILLA, ISTOCK.COM / SIMONKR, ISTOCK.COM / IGPHOTOGRAPHY, ISTOCK.COM / SHIH-WEI, ANDREA ZOLTANETZKY BIORAMA WIEN–BERLIN AUFTAKT

IN DIE GÄNGE KOMMEN

Gehen ist für manche Training, für andere aktive Pause. Für das Gesundbleiben kann es entscheidend sein.

GROSSSTADTREVIER

Sowohl Wien als auch Berlin gelten als hundefreundlich. Wie viele Hunde verträgt die Großstadt?

KEIN ENDE DER WENDE

(Wo) steht die Verkehrswende in Berlin ein Jahr nach dem Regierungswechsel?

GEMEINSAM STARK

In Berlin und Wien erfährt das Genossenschaftsmodell eine Renaissance.

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Daniel Sax
©
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»WIE WEIT GEHST DU IM ALLTAG ZU FUSS?«

DEAN

35, Fahrradkurier

Ich ziehe das Radfahren dem Gehen vor und kenne als Fahrradkurier wirklich jede Straße Berlins. Bei Wind und Wetter lege ich so 20 bis 120 Kilometer pro Tag zurück. Ich bin gebürtiger Ire, Regen und Sturm stören mich nicht, ganz ich Gegenteil: Da bin ich am liebsten unterwegs. INTERVIEW UND

JAVI

37, DJ

Ich liebe es, spazieren zu gehen. Täglich lege ich auf diese Art mindestens drei bis vier Kilometer zurück. Auf meinen Runden durch den Kiez tu ich so nicht nur etwas für meine Gesundheit, sondern ich sammle ebenso neue Inspiration. Ich hab stets meine Kopfhörer dabei und lausche neuen Klängen.

RENATE UND BRITTA

79 und 65, Rentnerinnen

Ich komme jeden Tag auf meine 10.000 Schritte. Mein eigener Garten bringt viel Bewegung in mein Leben und ich gebe außerdem Stadt- und Museumsführungen. (Britta) Ich bin vor allem mit dem Fahrrad unterwegs und das eine Stunde am Tag um meinen Mann im Pflegeheim zu besuchen. (Renate)

GEORG ANDER 7 STREET TALK BERLIN WIR FRAGEN, 9 LEICHTFÜSSIGE ANTWORTEN.
BILD
BIORAMA WIEN-BERLIN STREET TALK BERLIN

LIEN

33, derzeit »Full-time-mother«, davor Sales-Mitarbeiterin in einem Tech-Unternehmen

Ich gehe täglich zwischen fünf und sieben Kilometer zu Fuß. Vor allem durch die Runden mit meiner Hündin bin ich sehr viel im Freien unterwegs. Zurzeit genieße ich als »frischgebackene« Mama besonders die langen Spaziergänge an der frischen Luft mit dem neuen Familienzuwachs.

ADRIAN

15, Schüler

Ich gehe im Alltag zu Fuß. In Verbindung mit den öffentlichen Verkehrsmitteln komme ich so rasch und unkompliziert zur Schule, zum Fußballtraining oder zum Supermarkt von zu Hause aus.

FRED

34, Journalist

Ich bin durchschnittlich drei bis vier Kilometer zu Fuß pro Tag unterwegs. Am liebsten steige ich aber auf mein Fahrrad. Dann werden es auch schnell mal fünf bis zehn Kilometer, um »auf die Arbeit zu kommen«, sich mit Freunden zu treffen oder am Abend von einer Bar zur nächsten zu hüpfen.

PAUL UND RICARDO

6, Schüler und 47, Angestellter Wir sind heute schon seit dem Morgen auf den Beinen. Wir waren beim Arzt, von dort sind wir zu Fuß zum Spielplatz, haben kurz beim Bäcker gehalten, dann weiter zu einer großen Baustelle spaziert. Wir sind so immer bestens informiert darüber, was im Kiez vor sich geht. Heute wir schon vier Kilometer gelaufen und im Sommer ist die ganze Familie meist den gesamten Tag draußen.

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BIORAMA WIEN–BERLIN STREET TALK BERLIN

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»WIE WEIT GEHST DU IM ALLTAG

SIMON

36, Lektor

Schwer zu sagen, aber viel: zwei bis drei Kilometer am Tag, das sind die Wege vom Kindergarten nach Hause und zu den Seminarräumen an der Universität.

NATIA

50, Künstlerin

Sehr viel, etwa fünf Kilometer täglich. Das ist aber auch der einzige Sport, den ich betreibe, also gehe ich einfach alles zu Fuß.

KONSTANTIN

39, Angestellter

Ich gehe laut meinen Handyaufzeichnungen durchschnittlich neun Kilometer am Tag. Ich denke, das ist etwas verfälscht, weil ich auch oft laufen gehe. Auf jeden Fall zu Fuß gehe ich von einem Arbeitstermin in der Stadt zum nächsten.

MARKUS

46, Angestellter

Durchschnittlich zwischen 7000 und 8000 Schritte. Ich gehe zur Arbeit, in der Arbeit, zum Kindergarten und mit den Kindern auch gerne spazieren.

MARIANNE

78, Pensionistin

Im Durchschnitt würde ich sagen jeden Tag eine halbe Stunde, meistens zum Einkaufen. Früher habe ich das mit dem Auto gemacht, jetzt habe ich keines mehr und mache es zu Fuß.

STREET TALK WIEN WIR FRAGEN, 10 LEICHTFÜSSIGE ANTWORTEN.
ZU FUSS?«
INTERVIEW UND BILD HANNA STUMMER
10 BIORAMA WIEN–BERLIN STREET TALK WIEN

LINUS

22, Kaufmann

Ich gehe fast die ganze Zeit, etwa zur Arbeit. Dieses Ziel von 10.000 Schritten, die man angeblich gehen sollte, schaffe ich nicht immer, manchmal ist es ein bisschen weniger, manchmal etwas mehr.

THOMAS

53, Architekt

Ich gehe ziemlich viel. Am Tag sind das etwa drei bis vier Kilometer. Einen Großteil der Distanz gehe ich während der Arbeit, von Termin zu Termin in Wien.

ANNA

24, Bankangestellte

Das kommt darauf an, ob ich im Homeoffice bin oder ins Büro gehe. An Bürotagen würde ich schätzen, dass ich etwa 8000 bis 9000 Schritte gehe.

PETRA

51, Vertragsbedienstete

Ich würde schätzen etwa fünf Kilometer. Oft gehe ich in die Arbeit zu Fuß und zwei Mal die Woche gehe ich Walken.

TERESA

43, Kostümbildnerin

Richtig viel. Pro Tag sind das fast immer 15.000 Schritte. Ich versuche, so gut wie ich kann, alles zu Fuß zu gehen, sowohl im Beruf als auch in der Freizeit.

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IN DIE GÄNGE KOMMEN

Körperliche Aktivität hat viele positive Effekte auf Körper, kognitive Fähigkeiten und Wohlbefinden. Gehen ist die niederschwelligste

Form der Bewegung, kann Training sein oder aktive Pause.

INTERVIEW

Johanna Porst ist Sportwissenschafterin an der Berliner Charité und der Humboldt-Universität zu Berlin.

BIORAMA: Seit einigen Jahren gibt es Empfehlungen – nicht nur von der WHO – zum Zufußgehen. Entsprechen diese dem Stand der Forschung?

JOHANNA PORST: Die WHO-Leitlinien zu körperlicher Aktivität und sitzendem Verhalten empfehlen erwachsenen Menschen mindestens 150–300 Minuten moderate oder 75–150 Minuten intensive körperliche Aktivität in Kombination mit mindestens zwei Mal Krafttraining pro Woche, um die positiven Gesundheitseffekte von körperlicher Aktivität voll ausschöpfen zu können. Ziel sollte es sein, gesundes Altern zu ermöglichen und damit eine hohe Lebensqualität zu erhalten. Diese Empfehlungen basieren auf Ergebnissen umfangreicher Studien mit sehr großen Stichproben und sind demnach Durchschnittswerte. Mit Einhaltung dieser Empfehlungen ist die Chance sehr hoch, vielseitige positive Effekte zu erzielen. Vorausgesetzt natürlich, Vorerkrankungen, Verletzungen und persönliche Vorkenntnisse werden berücksichtigt, um kein unnötiges Risiko einzugehen.

Zu Fuß gehen ist insofern empfehlenswert, da es eine kostengünstige und unkomplizierte Aktivität ist, die uns in der Regel vor wenig technische und infrastrukturelle Anforderungen stellt. Wissenschaftlich ist die positive Wirkung des Gehens belegt. Grundsätzlich

gilt allerdings, »jede Bewegung ist besser, als gar keine« – schließlich muss man irgendwo anfangen. Zunächst ist es relativ unerheblich, ob Bewegung zu Fuß, auf dem Rad, im Wasser oder sonstwo stattfindet. Wichtiger ist, dass der Trainingsreiz adäquat gesetzt wird und es idealerweise sogar Spaß bereitet.

Die sportwissenschaftliche Herangehensweise ist natürlich deutlich detaillierter und ermöglicht durch entsprechende Diagnostik, gezielte und individuelle Trainingsempfehlungen.

Also spielt das Gehen tatsächlich eine Rolle, um sich gesund zu halten?

Es kann eine sehr große Rolle spielen. Ob nun für das Herz-Kreislauf-System, die Knochengesundheit, die Skelettmuskulatur, den Energiestoffwechsel, die Krankheitsprävention, allgemeine und spezifische motorische Fähigkeiten, die Sturzprophylaxe, das Immunsystem oder natürlich auch die mentale Gesundheit. Die Liste ist sehr lang und vielfältig. Die Häufigkeit, die Intensität, die Dauer und die Art der Geheinheiten bestimmen den Effekt. Mit zunehmendem Alter nimmt Krafttraining jedoch eine wichtigere Rolle ein: Es gilt, dem natürlichen Verlust der Muskelmasse (Sarkopenie) entgegenzuwirken – dazu reicht regelmäßiges Spazierengehen leider nicht aus. Außerdem spielen beim Altern weitere Fakto -

BILD KOMP, ISTOCK.COM / LEOPATRIZI
BIORAMA WIEN–BERLIN WOZU GEHEN?
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ren, wie gesunde Ernährung, Konsumverhalten und auch die Genetik, eine entscheidende Rolle.

Was alles kann durch regelmäßiges Gehen verbessert werden?

So pauschal kann man das leider nicht beantworten. Es hängt einerseits vom individuellen Leistungsniveau und der Intensität bezogen auf Geschwindigkeit und/oder Steigungsprofil ab, andererseits aber auch von der Dauer und Häufigkeit der Einheiten. Für einen völlig untrainierten Menschen ohne Vorerfahrung kann selbst ein zehnminütiger, etwas zügigerer Spaziergang als adäquater Trainingsreiz dienen. Für einen sehr gut trainierten Menschen wiederum stellt dies allenfalls eine regenerative Einheit oder eine sogenannte aktive Pause dar. Man muss sportliches Training immer möglichst an die individuelle Fähigkeit anpassen und mit zunehmender Leistungsfähigkeit den Trainingsreiz sinnvoll steigern.

Ist Gehen »nur« für jene, die nicht laufen oder andere intensive Sportarten ausüben oder ist Gehen an sich sinnvoll?

Das hängt eben vom Leistungsniveau und der Dosis ab. Auch das »Gehen« kann als Leistungssport ausgeübt werden. Abgesehen vom Leistungssport aber bringt das Gehen, gegenüber anderer Sportarten, gewisse Vorteile mit sich. Sich unter normalen Schwerkraftbedingungen zu bewegen, schult zugleich den Gleichgewichtssinn und die Motorik. Der Druck und Zug auf Knochen und Gelenke unter dem Einfluss der Schwerkraft bewirken eine Stärkung dieser Strukturen. Gegenüber anderen Sportarten ist Gehen zudem durch die geringeren Aufprallkräfte gelenkschonender und die Verletzungsgefahr durch Stürze erheblich geringer.

Warum überschätzt man immer wieder, wie viel man geht?

Mein Eindruck ist, dass die meisten überrascht sind, wie lange es dauert, eine gewisse Schrittzahl zu erreichen. Schrittzähler sind hilfreich, um einmal zu erfassen, wie viele bzw. wenige Schritte man im Alltag wirklich macht.

Es gibt diese Marke der 10.000 Schritte, die auch immer wieder infrage gestellt wird. Wo steht die Forschung hier heute?

Die Zahl 10.000 kam ursprünglich als Marketingstrategie auf den Markt und hatte überhaupt keinen wissenschaftlichen Hintergrund. Ich würde empfehlen, exemplarisch eine Woche zu beobachten, wie viel Schritte man durchschnittlich pro Tag macht. Zu dieser persönlichen, durchschnittlichen Schrittzahl würde ich ca. 2000 Schritte addieren und als individuelles Ziel festlegen. Wird gleich der Marathon angestrebt, erscheint das Ziel vermutlich zu weit weg und die Motivation schwindet, bevor es richtig losgeht.

Dem Zufußgehen wird auch eine psychische Wirkung, Entspannung oder Denkförderung zugeschrieben.

Hier würde ich zunächst zwischen kognitiven Fähigkeiten und mentaler Gesundheit unterscheiden, obwohl sich die beiden Aspekte gegenseitig bedingen. Es ist bekannt, dass körperliche Aktivität eine erhöhte Durchblutung im Gehirn bewirkt. Der erhöhte Stoffwechsel fördert zudem den Abbau von Stresshormonen und es werden vermehrt Wachstumsfaktoren ausgeschüttet, die etwa das Volumen des für die Gedächtnisleistung verantwortlichen Hippocampus vergrößern. Das Gehirn kann also funktionell und strukturell durch körperliche Bewegung verändert werden. Diese Veränderungen haben einen protektiven Effekt bezogen auf neurogenerative Erkrankungen wie beispielsweise Alzheimer, außerdem verbessern sie die Vernetzung und Stabilisierung von Nervenzellen, was die kognitive Funktion fördert.

Und im Bezug auf mentale Gesundheit?

Körperliche Aktivität kann die Symptome psychischer Erkrankungen wie Depression oder Angststörungen lindern – laut Studien mindestens so wirkungsvoll wie pharmakologische Therapien. Zudem werden durch die körperliche Bewegung verschiedene Transmitter ausgeschüttet, die Glücksgefühle freisetzen, die Leistungsbereitschaft erhöhen und eine Art Belohnungseffekt vermitteln. Ein weiterer vielfach bestätigter Effekt auf die mentale Gesundheit ist die Steigerung der Selbstwirksamkeit, die Erfolgserlebnisse steigern Selbstvertrauen und –bewusstsein. Wichtig hierbei ist es, darauf zu achten, Überforderung, Schmerzen und negative Erlebnisse unbedingt zu vermeiden.

Leistungssport

Gehen ist auch olympischer Leistungssport, bei dem teilweise über 14 km/h erreicht werden.

Älterwerden

Ab dem 30. Lebensjahr beginnt der altersbedingte Abbau von Muskelmasse mit bis zu einem Prozent Muskelmasse jährlich. Im Alter von 80 Jahren kann man so bis zu 50 Prozent der Muskelmasse verloren haben.

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OVERSTRETCH

BILD: BUERONARDIN

Übertreibungen helfen hier keinem. In Wirklichkeit sind nur 56 Prozent der Straßenfläche Wiens für den fließenden Autoverkehr oder zum Abstellen von Autos eingerichtet. Und ein Wiener Privatauto steht nur 95 Prozent der Zeit auf dem Parkplatz. Wer will, kann versuchen, sich andere Varianten der Aufteilung, Gestaltung und Nutzung öffentlichen Raumes vorzustellen. Anlass und Unterstützung bietet jeden Herbst die Vienna Design Week, aus deren aktueller Kampagne unser Wienbild der Ausgabe stammt. »Die Kampagne erzählt von Mobilität, Freiraum, Architektur, Standort und Versorgung, von künstlicher Intelligenz und der echten Welt.

BILD BUERONARDIN/ VIENNA DESIGN WEEK 14 BIORAMA WIEN-BERLIN WIENBILD DER AUSGABE

Design als Kit, Schema und Muster. A City ziemlich Full of Design«, sagt Designer Christof Nardin. »Genauso wie die Kampagne der Vienna Design Week will auch ihr Programm die Perspektive auf Wien ein Stück verschieben. Wer gestaltet die Stadt? Wessen Interessen dienen diese Gestaltungsentscheidungen?«, fragt Festivaldirektor Gabriel Roland. Mehr solcher Fragen gibt’s im September bei freiem Eintritt zu hören und sehen, wenn die wandernde Vienna Design Week im 3. Bezirk aufschlägt. IRINA ZELEWITZ

viennadesignweek.at

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GEHT BESSER

Wieso nicht das Alltägliche angenehm gestalten?

16 BIORAMA WIEN-BERLIN ZU FUSS GEHEN

Die üblichste Art des Menschen zur Fortbewegung ist, zu Fuß zu gehen – als Mobilitätsform erfährt das Zufußgehen trotzdem und vielleicht auch gerade deswegen weniger Aufmerksamkeit als andere. Die WHO hat ihre Empfehlungen für die tägliche Schrittmenge erst in diesem Jahrtausend abgegeben. Die Stadtplanung stellte sich lange FußgängerInnen vor allem als jene vor, die Kürzestdistanzen zwischen anderen Mobilitätsformen überwinden – oder als Spazierende.

Von einzelnen kaum beachteten Ausnahmen abgesehen sind zivilgesellschaftliche Organisationen, die Verbesserungen für den Fußverkehr erreichen wollen, erst in den vergangenen fünf bis zehn Jahren sichtbar auf den Plan getreten.

Selbst im Modalsplit, mit dem auch Städte erforschen, wie sich ihre BewohnerInnen fortbewegen, wird diese Art der Fortbewegung nur unzureichend erfasst. Der Modalsplit, der zeigen soll, wie Wege zurückgelegt werden, misst nur das hauptsächlich für einen Weg benützte Mittel – und zwar Öffentlichen Verkehr, Rad, motorisierten Individualverkehr und eben das zu Fuß gehen. Dabei geht auch wer ein öffentliches Verkehrsmittel nutzt, zur nächsten oder einer anderen Haltestelle zu Fuß. Genauso wie Autofahrer den Weg zum Parkplatz. Und befragt werden nur die BewohnerInnen einer Stadt und keine PendlerInnen. »Millionen Jahre war der Mensch nur zu Fuß unterwegs und 1900 Jahre fast nur zu Fuß« fasst es Sozialpädagoge und Sachbuchautor Johann-Günter König für sein Buch »Zu Fuß. Eine Geschichte des Gehens« (Reclam, 2013) zusammen.

VORTEILHAFT FÜR ALLE

Dabei haben wir als Gesellschaft und Individuen durchaus Interesse daran, dass zu Fuß gegangen wird. Der motorisierte Verkehr ist einer der massivsten Verursacher von Treibhausgasemissionen und damit des Klimawandels. Das Zufußgehen hat aber auch einen positiven Einfluss auf die Gesundheit der Einzelnen: Es stärkt die Muskelkraft, den Blutkreislauf, die Beweglichkeit, hilft über das Balancegefühl Stürzen vorzubeugen, Steifheit zu verhindern und wirkt sich positiv auf Stimmung und Schlaf aus. Und nicht zuletzt sinkt die Belastung des Gesundheits- und Sozialsystems durch einen schlechten Gesundheitszustand

der Bevölkerung.

Eine Gesellschaft hat Interesse an öffentlichem Raum – und daran, dass dessen Nutzung sozial gerecht zugänglich bleibt. Derzeit sind rund 2/3 der Flächenverteilung einer Stadt dem Autoverkehr gewidmet und nur 1/3 dem Rest. Organisiert wird ein Großteil des Lebens im öffentlichen Raum über die am Auto ausgerichtete Straßenverkehrsordnung (StVo). Es ist nicht wünschenswert, dass ältere Menschen ohne Auto ausschließlich mit Unterstützung am sozialen Leben einer Stadt teilnehmen können, nur weil die Städte auf sie keine Rücksicht nehmen. Es ist eine Fehlplanung, dass wer nicht mit dem Auto fährt, im öffentlichen Raum und auf den Straßen an den Rand gedrängt wird und diesen das Verweilen unangenehm gestaltet wird. Dass der öffentliche Raum für Kinder und alle, die nicht in einem Auto sitzen, schlicht gefährlicher ist, ist zwar so eingelernt, aber kein Naturgesetz. Auch wenn die Lösungen erst verhandelt werden müssen: Besser als bisher – und zwar für Umwelt, Klima und Menschen – geht es aber auf alle Fälle.

ALTERNATIVLOS

Wer die Ursache der mangelnden Aufmerksamkeit für das Zufußgehen nun in der Dominanz des Automobils sucht, wird enttäuscht – begonnen hat das Desinteresse am allzu Selbstverständlichen lange vorher. Zuerst, genauer gesagt über die meiste Zeit der Menschheitsgeschichte, war Gehen für die absolute Mehrheit die einzige Möglichkeit der Fortbewegung – und dabei wurden durchaus Meter gemacht: »10.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung haben Menschen die komplette Erde zu Fuß erobert. Lange vor Kolumbus ist der Homo Sapiens von Europa über Sibirien bis nach Alaska und Amerika gegangen«, erinnert Johann-Günther König. Nicht zu Fuß gehen zu müssen, sondern sich tragen oder ziehen zu lassen, war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts einer sehr kleinen Oberschicht vorbehalten. Auch wenn es in der Antike durchaus als – männliches – Ideal galt, seinen Körper einzusetzen und sich keiner Hilfsmittel zu bedienen, ist es eher die Alternativlosigkeit, die das Zufußgehen auszeichnet. Der Aufklärer Jean-Jacques Rousseau hat dann im 18. Jahrhundert das Zufußgehen explizit gelobt. Als Fortbewegungsart, bei der die

Verkehr als Klimawandeltreiber

Im Vergleich zum Jahr 1990 ist der Verkehr der einzige Sektor, der heute mehr CO2 ausstößt als damals. In Österreich war der Verkehr 2022 für rund 28 % Treibhausgas-Emissionen verantwortlich, in Deutschland 2023 mit für 22 %

BILD PETER PROVAZNIK
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Engagement

Wer selbst aktiv werden will, hat nicht nur in Städten einige Vereine als Anlaufstelle. In Wien widmen sich dem Fußverkehr etwa die NGO »Geht Doch Wien« und Walk Space, in Berlin unter anderem Changing Cities und Fuss e.V.

Bewegung der Muskeln auch Schwung ins Gehirn bringt und das Denken ermöglicht. »Die Französische Revolution war auch eine Revolution des Zufußgehens«, weiß König: »Das Trottoir, der Gehsteig, war noch nicht entwickelt und eine der Forderungen war, auf den Straßen Raum für jene zu erkämpfen, die nicht zur obersten Elite gehören.« Thomas Kirstein, Historiker unter anderem an der TU Berlin, betont, dass andere Mobilität als zu Fuß zu gehen lange Zeit im Vergleich noch viel teurer war, als das Auto oder die Bahn es heute sind. Pferde oder Kutschen blieben einem sehr kleinen Teil der Bevölkerung vorbehalten. Erst rund um 1880, sorgen mehrere Entwicklungen dafür, dass sich daran etwas geändert hat. Und damit haben sich auch die Städte verändert.

GEHEN IM WANDEL DER STÄDTE

Bis zu dieser Zeit waren typischen Städte vergleichsweise klein und dicht besiedelt. Die Fabriken befanden sich in den Zentren und da es keine breitenverfügbaren Verkehrsmittel gab, mussten die ArbeiterInnen in fußläufiger Distanz zur Fabrik wohnen. Bei 12-Stunden-Arbeitstagen war die Möglichkeit zur Teilhabe an Freizeitaktivitäten außerdem beschränkt, auch die Sechs-Tage-Woche wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt. Erst Autos und Autobusse, das Fahrrad, die

Straßenbahn oder elektrifizierte Stadtbahnen haben die Städte, auch die Hauptstädte, verändert. ArbeiterInnen konnten weiter weg von ihrer, damals oft als Wohngegend durch Lärm und Abgase geprägten Arbeitsstätte wohnen; die Wohnsituationen haben sich verbessert und die Städte sind gewachsen. Thomas Kirstein fasst zusammen: »Für die Bürger (Anm.: Der Gesprächspartner besteht auf das generische Maskulin) entstanden zunehmend Parks und Flaniermeilen, die das zu Fuß gehen als Freizeitaktivität attraktiver machten. Mit der Industrialisierung, dem damit steigenden Wohlstand und dem Massenkonsum entwickelten sich elegante Innenstädte, in denen Bürger und Besucher gern flanierten, um Kauf- und Kaffeehäuser, Restaurants, Theater oder Museen zu besuchen. Zudem wurden die Städte sauberer und damit einladender, dank Kanalisation und intensiverer Stadtreinigung. Armen- und Elendsviertel wanderten an den Stadtrand.« Wer aber nicht zu seinem Vergnügen flanierte, nutzte ab nun schnellere Möglichkeiten der Fortbewegung, und das möglichst im Sitzen, egal ob Fahrrad, Auto oder Bahn.

WAS DER MODALSPLIT NICHT AUSSAGT

Heute wird gerade in Städten und Orten mit dichter Bebauung viel zu Fuß gegangen. Zumindest auch. In Berlin wird der Modalsplit

von einem SUV getötet wurden.
Changing Cities organisiert in Berlin immer wieder Mahnwachen. Hier an einer Straße auf der vier FußgängerInnen
18 BIORAMA WIEN-BERLIN ZU FUSS GEHEN

nur alle paar Jahre erhoben. Die letzten Zahlen stammen aus dem Jahr 2018 (2023 ist zu Redaktionsschluss noch nicht ausgewertet) und hier wurden 30 % der Wege zu Fuß zurückgelegt, 18 % mit dem Fahrrad, 29 % mit öffentlichen Verkehrsmitteln und 26 % mit dem motorisierten Individualverkehr. Ganze 74 % lassen sich also dem sogenannten Umweltverbund zurechnen. Für Wien gibt es jährliche Zahlen, die auch zeigen, wie sich die Intensivphase der Corona-Pandemie ausgewirkt hat. Der Anteil der zu Fuß zurückgelegten Wege ist von 2022 auf 2023 von 35 % auf 32 % gesunken, Öffis sind wieder von 30 auf 32 % gestiegen, der Radverkehr von 9 auf 10 %. Der motorisierte Individualverkehr liegt unverändert bei 26 %. Corona hatte in Wien dafür gesorgt, dass der Fußverkehr von rund 26 % auf ein zwischenzeitliches Hoch von 37 % angestiegen war. Der eigentliche Anteil des Fußverkehrs ist aber, wie eingangs beschrieben, noch viel höher: »Rechnet man den Modalsplit nicht nur mit dem Hauptverkehrsmittel eines Weges, sondern in einzelnen Etappen, verdoppelt sich der Fußverkehr auf rund 55 % aller Wegeinheiten«, erklärt Ulrich Leth vom Institut für Verkehrswissenschaften an der Technischen Universität Wien. In diesem Sinn kommen Verbesserungen für den Fußverkehr nicht nur jenen zugute, die ihre Wege vollständig zu Fuß gehen. Es gibt aber eine Wechselwirkung mit dem Öffentlichem Verkehr. Wo dieser besser ausgebaut ist, wird auch mehr zu Fuß gegangen. Die Statistik gibt noch weitere relevante Einblicke: Die Studie »Aktive Mobilität in Wien«, die zuletzt für den Zeitraum 2015–2019 erhoben wurde, zeigt, dass Hitze uns mehr vom Gehen abhält als Kälte: In den Monaten Jänner und Februar wird deutlich mehr zu Fuß gegangen, als in allen anderen Monaten. Ein Grund mehr für Entsiegelung und andere Maßnahmen gegen die Auswirkungen des Klimawandels, der gerade in Städten für große Hitze sorgt.

ZIELFÜHRENDE MASSNAHMEN

Leth bemerkt, dass es »beim Zufußgehen wenig Zusammenhang mit der Qualität der Infrastruktur gibt – ganz im Gegenteil zum Radfahren oder auch dem Öffentlichen Verkehr«. Es scheint: Wir gehen sowieso zu Fuß, mitunter weil wir müssen. Messbare Qualitätsunter-

»Mit

der Industrialisierung kamen Wohlstand und Massenkonsum. Es entwickelten sich elegante Innenstädte, in denen man flanierte. Die Städte wurden sauberer. Elendsviertel wanderten an den Stadtrand.«

—Thomas Kirstein, Historiker Berlin

schiede gibt es aber natürlich, teilweise auch als offene Daten abrufbar: Daten zur Gehsteigbreite oder auch Unfallstatistiken gelten als Indikatoren zur Bewertung von FußgängerInnenfreundlichkeit, wie auch subjektives Sicherheitsempfinden, das freilich auch von objektiver Gefahrenlage mitbestimmt wird. Wie wohl wir uns auf einem Gehweg fühlen, hat zudem auch nachweislich großen Einfluss auf das Zeitempfinden: also darauf, ob uns ein Weg lange oder kurz vorkommt: »Naheliegend werden in attraktiver Umgebung deutlich weitere Wege auch zu Fuß gewählt«, gibt Leth Einblick. Er hat erforscht, welche Maßnamen die Qualität des Zufußgehens verbessern: Dazu gehört die großflächig Einführung von Tempo-30-Zonen, die Unfallwahrscheinlichkeit und Unfallschwere reduziert. »Das wäre innerstädtisch flächendeckend wünschenswert, weil die Unfallstatistik zeigt, dass vor allem auf den Hauptstraßen und Straßen mit Tempo 50 Unfälle passieren«, erklärt Leth. Ampelschaltungen, die an der Geschwindigkeit des Autoverkehrs ausgerichtet sind, erhöhen das Unsicherheitsgefühl. Diese Unsicherheit wird durch breite Straßen mit vielen zu querenden Spuren noch weiter verstärkt. Vermeintlich sichere Möglichkeiten zur Querung wie Zebrastreifen erfüllen ihren Zweck nicht: »Rund 30 % der FußgängerInnenunfälle passieren auf Zebrastreifen. Auch hier ist die Geschwindigkeit das Problem, denn mit steigender Fahrgeschwindigkeit sinkt die Anhaltebereitschaft. Mögliche Maßnahme sind Schwellen, um den Kfz-Verkehr zu bremsen« konkretisiert Leth. Für Ebenso wichtig hält er Gehsteigbreiten: die Richtlinien sehen

BILD CHANGING CITIES/NORBERT MICHALKE 19

Entwicklung

MODAL SPLIT:

Anteil der mit dem jeweiligen Verkehrsmittel zurückgelegten Wege

- 2013 - - 2018Berlin Wien

Entwicklung der Verkehrsmittelwahl in Berlin in den Jahren 2013 bis 2018

Angabe in Prozent, Werte gerundet. Werte über 100 rundungsbedingt.

Der letzte verfügbare Modalsplit aus Berlin stammt aus der Zeit vor Corona. In beiden Städten kommt der sogenannte Umweltverbund auf 74 Prozent. Quelle: Wiener

eine Mindestgehsteigbreite von 1,5 Metern vor, noch besser von 2 Metern. Die wird in der Praxis oft unterschritten. Leth weiter: »Auch die jüngste StVO-Novelle hat hier nur bedingt geholfen. Autos dürfen noch immer in den Gehsteig ›hineinstehen‹, wenn 1,5 Metern Gehsteigbreite frei bleiben. Dann ist aber ein Begegnen z. B. mit einem Rollstuhlfahrer oder einem Kinderwagen an dieser Stelle nicht mehr möglich«. Die gerade in Kraft getretene StVO-Novelle soll eine einfachere Verordnung von Tempo 30 vor Schulen, SeniorInneneinrichtungen und in anderen »Bereichen mit besonderem Schutzbedürfnis« ermöglichen. Kinder und SeniorInnen sind aber nicht nur dort unterwegs. Das Thema

»Rund 30 % der Fußgängerunfälle passieren auf Zebrastreifen. Auch hier ist die Geschwindigkeit das Problem.«
—Ulrich Leth, Institut für Verkehrswissenschaften an der TU Wien

Sicherheit gilt nicht nur für die besonders Verwundbaren in der Gesellschaft und das Schlagwort dazu heißt auch bei der Mobiltät »Vision Zero«: »Jeder Unfall ist zu vermeiden. Im schlimmsten Fall haben diese Schwerverletzte und Tote zur Folge«, setzt Dan Orbeck vom Berliner Gremium Fußverkehr die Priorität.

GEHEN, WO ANDEREN GEHEN

Auch Petra Jens, Beauftrage für Fußverkehr bei der Mobilitätsagentur Wien, weiß aus ihrem Alltag um die nötigen Hebel: Städtebaulich geht es um dicht bebaute Umgebungen, in denen Arbeit, Freizeit oder auch Geschäfte für den täglichen Bedarf auf kurzen Wegen erreichbar sind. Mehr zu Fuß gegangen wird aber auch dort, wo mehr Platz ist, wo man sich gerne aufhält und wo man sich sicher fühlt. »Die meisten Menschen halten sich gerne auf, wo es grün ist, wo Gewässer sind und andere Menschen, Boulevards und Schanigärten«, spricht Petra Jens den sozialen Faktor an. Neben der Infrastruktur betont sie, die Frage er Kultur. Noch gibt es viele Teile der Gesellschaft nicht nur in Wien und Berlin, für die zu Fuß gehen nicht Teil ihres Selbstverständnisses und ihrer Kultur ist. Das subjektive Sicherheitsgefühl wird weniger von der Unfallstatistik eines Ortes als von anderen Faktoren determiniert, darunter einerseits etwa die Beleuchtung, andererseits individuel-

Linien. Modal Split 2023 - 2019
202326% 32% 5% 10%
- -
der Verkehrsmittelwahl in Wien in den Jahren 2019 bis 2023 ÖFFIS FAHRRAD ZU-FUß-GEHEN PKW 32% 25% 30% 7% 38%
ÖFFIS FAHRRAD ZU-FUß-GEHEN PKW 31% 27% 13% 30% 30% 27% 26% 18%
BILD ULRICH LETH, REGINA HÜGLI, ISTOCK.COM/BOOBLGUM, ISTOCK.COM/GREENS87 20 BIORAMA WIEN-BERLIN ZU FUSS GEHEN
»Die hohe Kunst ist, zu zeigen, wie man sich Erholungswe-

ge in den Alltag holen kann. Dass es angenehm

ist, auf dem Arbeitsweg später in den Bus oder die U-Bahn zu steigen.«

—Petra Jens, Beauftragte für Fußverkehr, Mobilitätsagentur Wien

le Eigenschaften und Umstände: Erwachsene, die körperlich fitter, höher gebildet und sozial besser gestellt sind, fühlen sich sicherer – auch im öffentlichen Raum. Hinzukommt, dass etwa ein Sturz oder ein Zusammenprall für sie oft tatsächlich glimpflicher verläuft.

Das Unfallrisiko hängt maßgeblich von der Gestaltung von Kreuzungen und Sichtbeziehungen ab. Die in Wien so genannten »Ohrwascheln«, Ausbuchtungen von Gehsteigen, sorgen für besseres Einsehen der Straßen, so wie auch nahe Kreuzungen aufgestellte Fahrradbügel nicht nur Absperrmöglichkeiten für Fahrräder bieten, sondern Kreuzungen besser einsehbar machen.

Eine gleichzeitige Unterstützung von Radverkehr und Fußverkehr gelingt noch selten. Auch der Radverkehr wurde lange vernachlässigt, hat nun aber schon einige Jahrzehnte eine deutlich stärkere Lobby als der Fußverkehr. Dabei war laut Leth zu beobachten, dass lange versucht wurde, den Radverkehr zu fördern, ohne dem Autoverkehr dabei weh zu tun: »Das Ergebnis war oft, dass sich mehr RadfahrerInnen und FußgängerInnen den ohnehin schon kleinen verbleibenden Platz teilen mussten und man so für zusätzliche Konflikte zwischen den beiden nachhaltigen Fortbewegungsarten gesorgt hat.«

ANGESIEDELT AUF BEZIRKSEBENE

Dass dem Fußverkehr so wenig Aufmerksamkeit zuteilwurde, zeigt sich auch in der Verwaltungsstruktur der Städte. Mit dem Fußverkehr und dessen gestaltbaren Rahmenbedingungen hat man sich in Wien und Berlin lange ausschließlich auf Bezirksebene befasst. Das hat den Gestaltungsspielraum nicht zuletzt durch überschaubaren Zugang zu Finanzierungsmitteln begrenzt. »Das war beim Radfahren ganz ähnlich«, erzählt Petra Jens. »Das zivilgesellschaftliche Interesse an einer Verbesserung der Situation für RadfahrerInnen hat vor 20 oder 30 Jahren zugenommen und seit rund

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GEHT DOCH WIEN

Die Initiative fürs Zufußgehen und den Öffentlichen Raum setzt auf intensiven Austausch mit den BezirksvertreterInnen und BürgerInnenbeteiligung. Aktionen im öffentlichen Raum – wie aktuell immer wieder und das nächste Mal von 12.–14. Juni 2024 im Rahmen eines Grätzelfestes am Mozartplatz in Wien Wieden – machen erlebbar, was sich ändert und wie es sich anfühlt, wenn die Straße nicht in erster Linie den Autos gehört. Das Projekt #Wohnstraßenleben – das mit spaceandplace und dem Kollektiv raumstation entwickelt wurde – zeigt, wie viel möglich ist, wenn Wohnstraßen tatsächlich so genutzt werden, wie es gesetzlich vorgesehen ist. Informationen und Termine unter geht-doch.wien

15 Jahren werden diese Bemühungen von der Stadt unterstützt. Beim Fußverkehr sehen wir nun Ähnliches.« Dass der Radverkehr den Bezirken überlassen wurde und übergeordnete Planung fehlte, hatte dazu geführt, dass die einzelnen Bezirke »ihre« Radwege geplant haben – und diese mitunter an den Bezirksgrenzen abrupt endeten. Die Wege, die dem Radverkehr möglichst Durchgängigkeit, Sicherheitsmaßnahmen und Vorrang einräumten, waren (und sind teilweise) im nächsten Bezirk schlicht an anderer Stelle, in anderen Straßen vorgesehen.

MASTERPLAN ALS BEDINGUNG

Mittlerweile gibt es von den beiden Hauptstädten, aber auch auf den Bundesebenen mehr Interesse und Förderungen für aktive Mobilität, die gezielt auch das Zufußgehen miteinschließen. Geld, das daran gebunden ist, dass die Bezirke Konzepte ausarbeiten und Auflagen beachten. In Österreich fördert Klimaaktiv Mobil, eine Initiative des Klimaschutzministe-

rium (BMK) Fußverkehrsprojekte der Bezirke mit bis zu 50 %, sofern ein Fußverkehrsmasterplan vorhanden ist. In Wien haben 20 von 23 Bezirken solche Konzepte entwickelt. Übergeordnete Pläne und Zielsetzungen, die auch verhindern sollen, dass sich Ziele gegenseitig in die Quere kommen, sind in Wien etwa Teil der »Smart City Wien Rahmenstrategie« oder des Stadtentwicklungsplans »Step 2025«. In Berlin hat man erstmals einen übergeordneten Fußverkehrsplan in Auftrag gegeben, der 2024 präsentiert werden soll. In beiden Städten gibt es nicht nur zivilgesellschaftliche Forderungen, sondern auch eine städtische Organisation als Vermittlerin. Die Stadt Wien hat die Mobilitätsagentur gegründet, die mehr Bewusstsein für Rad- und Fußverkehr schaffen und auch die Wünsche der WienerInnen an die Stadt tragen soll. In Berlin gibt es das Gremium Fußverkehr, in dem neben der Stadt viele Stakeholder und Organisationen sitzen, um »die zuständige Senatsverwaltung bei der Planung und Umsetzung von Maßnahmen zur Förderung des Zufußgehens zu unterstützen«. Wie die Bewusstseinsbildung in Wien, setzt auch Berlin auf Kommunikation. Leitsysteme und Hinweisschilder sollen TouristInnen und StadtbewohnerInnen nahelegen, öfter zu Fuß zu gehen.

ES LIEGT NOCH ZU OFT AN EINZELNEN

Große Veränderungen gibt es bisher in erster Linie, wo einzelne Personen viel Engagement, Gestaltungswillen und Durchsetzungsvermögen zeigen. So wie Almut Neumann, die Anfang 2024 zurückgetretene Bezirksrätin für Ordnung, Umwelt, Natur, Straßen und Grünflächen, die in ihrem Bezirk Berlin Mitte viel verändert hat. In ihrer zweieinhalbjährigen Amtszeit hat sie sich für die Verkehrswende im Bezirk starkgemacht. Es sind 100 »sichere Kreuzungen« für FußgängerInnen entstanden, für die das Straßen- und Grünflächenamt Mitte im Jahr 2023 mit dem Deutschen Fahrradpreis ausgezeichnet wurde. Mehr als zehn Kilometer sichere Fahrradwege und sogenannte Kiezblocks wurden geschaffen, das sind Wohngebiete ohne Kfz-Durchzugsverkehr. Öffentliche Toiletten sind in Mitte wieder kostenlos, Straßen wurden entsiegelt und es gibt autofreie Schulstraßen und Räume, die dazu einladen, sich hier aufzuhalten. Ragnhild Sørensen von der Berliner NGO Changing Cities kennt viele solcher Beispiele, zeigt sich aber durchaus auch frustriert

BILD GEHT DOCH WIEN, NORBERT MICHALKE
22 BIORAMA WIEN-BERLIN ZU FUSS GEHEN

und vorwurfsvoll. Vieles was im Mobilitätsgesetz der Stadt Berlin 2018 festgelegt wurde, das besagt, dass Verkehrsentscheidungen und Maßnahmen künftig den öffentlichen Verkehr, FußgängerInnen und RadfahrerInnen gegenüber dem Autoverkehr zu bevorzugen haben, wurde schlicht nicht umgesetzt. Verantwortlich dafür und für eine Politik, die Autos wieder den Vorzug gibt, ist die seit 2023 im Amt befindliche Stadtregierung. In dieser stellt die CDU nach längerer Zeit wieder den Bürgermeister. Baulich gibt es Schlagwörter wie die genannten Superblocks – in Berlin Kiezblocks und in Wien Supergrätzl, die »Stadt der kurze Wege« oder nach Pariser Vorbild, die »15-Minuten-Stadt«. Wien und Berlin haben dafür aus verschiedenen Gründen gute Grundlagen. Wien ist dicht bebaut und Berlin ist eine historisch polyzentrische Stadt, deren viele Ortszentren kurze Wege vereinfachen. Beide Städte haben darüberhinaus viele Grünflächen in direkter Umgebung der Wohngegenden. Als eines der Paradebeispiele für eine Umgestaltung in Wien gilt die 2016 wieder eröffnete Mariahilferstraße. Eine Begegnungszone in der Autos nur mehr queren und zufahren, aber nicht durchfahren dürfen und in der sich FußgängerInnen und RadfahrerInnen den Platz teilen. Der Hoffnung, dass derlei Begegnungszonen die Bedürfnisse aller erfüllen, erteilt Petra Jens eine klare Absage: »Begegnungszonen sind nicht mit einem Hochbordradweg, also einem Verkehrsweg auf dem RadfahrerInnen mit möglichst wenig Unterbrechungen flott vorankommen, vereinbar. Begegnungszonen sind auch ein Aufenthaltsbereich, sind möglichst barrierefrei und begrünt – für schnellere VerkehrsteilnehmerInnen als FußgängerInnen aber nicht im gleichen Ausmaß geeignet.« Deswegen stimmt es auch nicht immer, wenn behauptet wird, dass öffentliche Räume, auf denen sich Kinder und ältere Menschen wohlfühlen, Vorteile für alle hätten. Die Mariahilfer Straße aber ist ein Beispiel, dem viele weitere folgten und folgen. Auch wenn es nicht überall Begegnungszonen werden, sondern Autos nur Parkplätze und einzelne Fahrspuren verlieren. Darunter in Wien die Franklinstraße in Floridsdorf, die Reinprechtsdorferstraße oder bald auch die Äußere Mariahilfer Straße.

BERLIN HAT PLATZ

Mögliche Konflikte zwischen Rad- und Fuß-

»In den Niederlanden gibt es viele Mischwege. Da aber das Radnetz gut ausgebaut ist, fühlen

sich die RadfahrerInnen weniger unter Druck und fahren im Schnitt langsamer

und entspannter.«
—Ragnhild Sørensen, Changing

Cities, Berlin

verkehr kennt auch Ragnhild Sørensen von Changing Cities: »Wir haben versucht diese Konflikte mit dem Mobilitätsgesetz von 2018 zu umgehen, in dem hier Rad- und Fußverkehr Vorrang vor dem Autoverkehr haben. Der Plan war es hochwertige Radwege dem Fußverkehr zu übergeben und für das Fahrrad Platz vom Kfz zu übernehmen. Derzeit suchen wir nach Lösungen, wobei Berlin den Vorteil hat, dass die Stadt Platz hat. Die Straßen und die Gehwege sind breit und deswegen gibt es vergleichsweise selten Probleme.« Noch gibt es in Berlin aber zu wenig Radwege und sie ist überzeugt, dass es hier zu einem psychologischen Effekt kommt: »In den Niederlanden sieht man, dass es viele Mischwege gibt und der Fußverkehr schlecht ausgebaut ist. Da aber das Radnetz so gut ausgebaut ist, fühlen sich die RadfahrerInnen weniger unter Druck und fahren im Schnitt langsamer und entspannter.«

ALLTAG STATT FREIZEIT

Apropos weniger Druck und Eile: Die Studie »Aktive Mobilität in Wien« hat gezeigt, dass vor allem in der Freizeit zu Fuß gegangen wird und dass für Arbeitswege und Besorgungen oft andere Verkehrsmittel bevorzugt werden. Gegangen wird, wenn keine Eile besteht oder der Weg selbst im Sinne des Flanierens zum angenehmen Inhalt wird. Petra Jens fasst deswegen zusammen: »Die hohe Kunst ist Menschen zu zeigen, wie man sich Erholungswege in den Alltag holen kann. Dass es Vorteile hat und angenehm ist, auf dem Arbeitsweg erst später in den Bus oder die U-Bahn zu steigen.«

23

DAS ENDE DER WENDE?

Der Kampf ums Berliner Abgeordnetenhaus war auch einer um die Mobilitätswende. Freie Fahrt fürs Auto? Ein Jahr nach der Wahl zeigt sich: So eindeutig ist die Sache nicht.

TEXT

Steve Przybilla

Verkehrswende (Politik) grundlegende [ökologische] Umstellung des öffentlichen Verkehrs. (Quelle: Duden)

Als eine ihrer ersten Amtshandlungen stoppte die neue CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner den Bau von Radwegen. Nach einem öffentlichen Aufschrei ruderte sie wieder zurück. Jetzt werden 16 der betroffenen 19 Projekte doch umgesetzt. Schreiner selbst trat wegen einer Plagiatsaffäre im April zurück. Wie es unter ihrer Nachfolgerin Ute Bonde weitergeht, ist noch offen. Bonde leitete zuletzt den Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB), hat also Erfahrung im öffentlichen Personennahverkehr. Befindet sich die Berliner Koalition also tatsächlich auf einem »Auto-Kreuzzug«, wie es der Umweltverband Bund auf seiner Website formuliert? Oder geht die Verkehrswende vielleicht doch weiter, nur eben langsamer?

Besonders kritisch sieht der Radverband ADFC die derzeitige Verkehrspolitik. »Auch bei den Grünen ging es langsam voran«, sagt die Berliner ADFC-Vorsitzende Hannelore Lingen.

»Aber da war wenigstens der Wille da.« Um Verkehrstote zu vermeiden, bräuchte es viel mehr sichere, abgetrennte Radwege. »Gerade für Schulkinder wäre das wichtig«, sagt Lingen, »aber da passiert kaum etwas.« Die festen Ausbauziele, die das Mobilitätsgesetz der Vorgängerregierung Berlins festschreibt, sieht sie in Gefahr. »Wir sind nicht damit einverstanden, dass Radwege nur saniert statt neu gebaut werden«, betont Lingen. Fällt ihr auch etwas Positives zur aktuellen Regierung ein? »Nö.«

BESSERER AUSBAU VON TRAMS UND U-BAHNEN?

Nicht ganz so hart urteilt der Verkehrsclub Deutschland (VCD). »Rückgängig gemacht wird die Verkehrswende nicht», sagt der Regionalvorsitzende Heiner von Marschall. »Aber es kommen eben auch keine neuen Planungen hinzu.« Man müsse der Regierung zugestehen, dass sie alte Projekte überprüft. «Unter Rot-

BILD ISTOCK.COM / ANDY NOWACK, STEVE PRZYBILLA 24 BIORAMA WIEN-BERLIN STATUS BERLIN

Rot-Grün herrschte oft das Gefühl, dass vor allem für den Radverkehr etwas getan wird«, sagt von Marschall. Seine Hoffnung: Da die neue Verkehrssenatorin aus dem Öffi-Bereich kommt, könnte sich beim Ausbau von U-Bahnen und Trams etwas tun.

Eine ähnliche Sicht vertritt Roland Stimpel vom FußgängerInnenverein Fuss e. V.: »Die Grünen wollten ein Sechstel aller VerkehrsteilnehmerInnen verwöhnen, die CDU versucht es bei einem Drittel.« Gemeint sind RadfahrerInnen und AutofahrerInnen – reine Klientelpolitik, findet der FußgängerInnenaktivist. An diejenigen, die zu Fuß gehen oder den Bus nehmen, denke niemand. Vor allem die geplante Rücknahme von Tempo-30-Abschnitten stört Stimpel. Im Februar hatte die damalige Verkehrssenatorin angekündigt, an rund 30 Hauptstraßen könne künftig wieder Tempo 50 gelten, da die Luftgrenzwerte eingehalten würden. Stimpel hat dafür kein Verständnis: »Es ist doch paradox. Die Luft wird besser, die Unfallzahlen gehen zurück, und jetzt ist schnelles Durchfahren plötzlich wichtiger als ein gutes Leben.« Noch ist aber nichts entschieden. Laut Auskunft der Senatsverwaltung befindet sich die Rückumwandlung derzeit in Prüfung (Stand: Mai 2024). Sollten Schulen, Kitas oder Pflegeheime an die Straße grenzen, könnte dort Tempo 30 bleiben.

KEIN GELD FÜR NEUE RADWEGE

Der Autoclub ADAC hat diesbezüglich – wenig überraschend – eine andere Sicht. »Wir begrüßen die Rückkehr zu einer sachbezogenen Politik«, sagt Pressesprecherin Claudia Löffler. »Man sollte erst einmal Alternativen schaffen, bevor man versucht, Autos aus der Stadt zu drängen.« Vor allem das Umland sei schlecht an die Metropole angebunden. Zu Tempo 30 sagt sie: »Es ist gut, dass die Luftqualität überprüft worden ist. Wenn Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind, müssen Einschränkungen zurückgenommen werden.« Also alles bestens? Nicht ganz. »Was absolut fehlt, ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Senat und den Bezirken«, sagt Löffler. Bei Baustellen gebe es oft nur eine mangelnde oder gar keine Absprache. Der Bezirksstadtrat für Berlin-Mitte, Christopher Schriner, spürt die schwarz-rote Verkehrspolitik vor Ort. »Für bestimmte Projekte bekommen wir kein Geld mehr vom Land«, klagt der Grünenpolitiker. Beispiel Südliche Charlottenstraße: »Die Planung für eine Fahr-

radstraße ist fertig, aber die Mittel werden uns nicht zugewiesen. Dabei geht es hier nicht um abstrakte Ideologie, sondern um saubere Luft, Klimaschutz und Verkehrssicherheit.« Ein bereits geplanter Radweg in der Beusselstraße in Moabit werde nach dem vorübergehenden Planungsstopp nun aber doch gebaut, räumt Schriner ein.

»Die Grünen wollten ein Sechstel aller VerkehrsteilnehmerInnen verwöhnen, die CDU versucht es bei einem Drittel.«
– Roland Stimpel, Fußgängerverein Fuss e. V.

PARKPLÄTZE

Im Wahlkampf hatten die Berliner Grünen angekündigt, die Zahl der Parkplätze in den nächsten zehn Jahren halbieren zu wollen. Auch Parkgebühren, u. a. für SUV, sollten kräftig steigen. Aus derartigen Plänen dürfte nun nichts werden.

Sichere Radwege, Vorfahrt fürs Auto oder doch mehr ÖPNV? Nach einem Jahr CDU-SPD-Regierung in Berlin scheint noch immer unklar, wie und ob es mit der Mobilitätswende weitergeht. Auf Nachfrage antwortet die Berliner Senatsverwaltung mit einer diplomatischen Phrase. Man mache »eine Verkehrspolitik für alle Berlinerinnen und Berliner«, sagt die Pressesprecherin.

Radwege-Ausbau

Auch die rot-rot-grüne Vorgängerregierung hat ihre selbstgesteckten Mobilitätsziele verfehlt. Beispiel Radwege: 2022 sollten 40 Kilometer neu gebaut oder verbessert werden. Tatsächlich waren es nur 26,5 Kilometer, wie aus dem »Fortschrittsbericht zum Radwegeausbau« hervorgeht.

Mehr dazu auf der Website des BUND bund-berlin.de und dessen Blog umweltzoneberlin.de

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Roland Stimpel kämpft für die Rechte von Fußgängerinnen und Fußgängern.

WEIHNACHTEN

kommt immer früher als du denkst.

24 Honige – so einzigartig wie jeder Bezirk der Stadt

Lernt mit uns Wien kennen und genießen! Hinter jedem Türchen verbirgt sich ein Stück der Stadt: mit 24 Honigen aus 23 Bezirken.

Psssssst! Für alle, die nicht bis Weihnachten warten können, gibt es unsere Degustationsbox.

Schau vorbei auf unserer Website!

WIEN!
SO SCHMECKT

LUFT NACH OBEN

Die Luft in unseren Städten war wohl nie besser. Wie Stadtpolitik, Europäische Union und Start-ups sie supersauber machen wollen.

WWas wir übers Jahr immer wieder vergessen und verdrängen: Nach Silvester ist die Luft besonders schlecht, gerade in der Großstadt. Das belegen auch die Zahlen, beispielsweise für 2023: »Das Jahr begann mit richtig schlechter Luft«, heißt es auf der Website der Stadt Wien, »am ersten Tag des neuen Jahres wurden gleich an neun von 13 Mess-Stationen Tagesmittelwerte des Luftschadstoffs Feinstaub PM10 über 50 µg/ m³ (Mikrogramm pro Kubikmeter) gemessen.

Dabei wurde auch der höchste Tagesmittelwert des Jahres registriert, nämlich 81 µg/m³. Die Ursache: Durch die Wetterlage mit wenig Wind und markanter Inversion erzeugten die Feuerwerke eine regelrechte ›Feinstaub-Suppe‹.«

Damit ist gleich auch klar: Der überwiegende Teil des Feinstaubs wird vom Menschen verursacht (Ausnahmen wären etwa Vulkanasche oder der sogenannte »Saharastaub«.).

Feinstaub ist saisonal schwankend und seine Konzentration hängt auch von der Wetterlage

TEXT

Thomas Weber

»Saharastaub«

Winzig kleine Wüstensandpartikel (5-10 Mikrometer), die als Aerosole mehrere Kilometer aufsteigen, mitunter mehrere Monate schweben und sich als Saharastaub in alle Welt vertragen und als Feinstaub niederschlagen.

BILD ISTOCK.COM/NARVIKK BIORAMA WIEN-BERLIN FEINSTAUB 27
»An vielen Orten sind Hauskamine die schlimmsten Quellen für Feinstaubbelastung.«
Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe

Berliner Luftreinhalteplan

Wird vorerst vom Senat fortgeschrieben, steht aktuell aber zur Debatte (weil die CDU auf frequentierten Straßen von Tempo 30 auf Tempo 50 erhöhen möchte). berlin.de/luftreinhalteplan

und vom Windaufkommen ab. Die Abkürzung PM steht für particulate matter und bezeichnet kleinste Teile unterschiedlicher Partikelgröße. Sie sind unsichtbar, geruchsfrei, mitunter aber tödlich. Über die Lunge verursachen sie nicht nur Entzündungen, sondern wirken auf den ganzen Körper. Sie gelangen in die Blutbahn, können Krebs verursachen, das Herz schädigen, fördern Diabetes, Demenz und verzögern bei Kindern die Entwicklung. Die EU rechnet, dass 2020 in ihren Mitgliedsländern insgesamt 238.000 Menschen vorzeitig an den Folgen von Feinstaubbelastung starben. In Deutschland ist

Feinstaub laut Umweltbundesamt jedes Jahr für 27.000 Tote verantwortlich.

STAUB AUS DEM AUSGETROCKNETEN SEE

Was den Wind angeht, ist die österreichische Bundeshauptstadt geografisch jedenfalls bevorzugt und profitiert von Windschneisen. Denn nicht nur der Songwriter Ernst Molden weiß: »Der Wind ist ein Wiener«. Der Wind kann allerdings auch sogenannte »Ferneinträge« bringen. Das war beispielsweise 2020 während des ersten Corona-Lockdowns der Fall, als einer der Hauptverursacher von Feinstaub, der Automobilverkehr, zwar drastisch abgenommen hatte, eine Staubwolke aus der Region des weitgehend ausgetrockneten Aralsees aber Wien erreichte. Meistens mindert der Wind die Belastung jedoch, auch in Berlin.»Bei viel frischem Wind werden die Schadstoffe schön aus der Stadt herausgetragen«, freute sich etwa Frederik Raff vom ARD-Wetterkompetenzzentrum zuletzt auf RBB24.

Moos filtert Feinstaub: Die Moosmodule von Green City Solutions aus Brandenburg reduzieren den CO2-Gehalt, verbessern die Luftqualität und filtern bis zu 82% des Feinstaubs. Bislang kommen sie erst punktuell zum Einsatz. greencitysolutions.de
28 BIORAMA WIEN-BERLIN FEINSTAUB

DIESELTEILCHEN UND REIFENABRIEB

Auch wenn Silvester statistisch ausschlägt, aufs Jahr umgelegt kommt der Feinstaub nicht von Raketen, sondern von anderen Brandquellen. Die großen Feinstaubverursacher sind vor allem der Straßenverkehr mit seinen Abgasen, besonders die Dieselteilchen fallen ins Gewicht, aber auch mit dem Abrieb von Reifen und Bremsbelägen (auch von Elektroautos); und nicht zuletzt die Schornsteine der Häuser. »An vielen Orten sind Hauskamine die schlimmsten Quellen für Feinstaubbelastung«, sagt Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe.

Insgesamt gab es bei der Feinstaubbelastung in den vergangenen Jahren allerdings deutliche Verbesserungen; EU-weit. Die Europäische Kommission verweist darauf, dass die Zahl der vorzeitigen Todesfälle durch Feinstaubbelastung in den Ländern der Union zwischen 2005

»Die Wiener Luft, die unsere Kinder heute atmen, ist deutlich besser, als jene in unserer eigenen Kindheit.«

Jürgen Czernohorszky, Klima-Stadtrat

und 2020 um 45 Prozent zurückgegangen ist. In Wien zeigen die Daten ein eindeutiges Bild. Einige der 17 im Stadtgebiet verteilten Messstellen (13 messen Feinstaub, 16 das Stickstoffdioxid NO2) ermöglichen von ihrem Standort bereits einen Vergleich seit den 1970er-Jahren. »Die Wiener Luft, die unsere Kinder heute atmen, ist deutlich besser, als jene in unserer eigenen Kindheit«, sagt Jürgen Czernohorszky, der als Klima-Stadtrat die Umweltagenden verantwortet. In ihrer Gesamtheit zeigen Maßnahmen wie der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, vergünstigte Jahreskarten (»365-Euro-Ticket«), Parkraumbewirtschaftung, die Förderung des Zufußgehens sowie der Elektromobilität, thermische Wohnhaussanierung, der Ausbau der Fernwärme, aber auch die Reduktion des im Winter eingesetzten Streusplitts Wirkung. Auch die sukzessive Umstellung der kommunalen Fahrzeugflotten auf Elektro- und Wasser-

WHO-EMPFEHLUNGEN

2021 senkte die Weltgesundheitsorganisation die empfohlenen Grenzwerte für Stickstoffdioxid (auf zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft statt davor vierzig). Beim Feinstaub sollte die Langzeitbelastung mit kleinen Partikeln (PM2,5) bei höchstens fünf statt bisher zehn Mikrogramm pro Kubikmeter liegen. Bei den größeren PM10-Partikeln bei 15 statt davor 20 Mikrogramm.

LUFTQUALITÄT SELBER MESSEN

Der Verein zur partizipativen Erhebung und wissenschaftlichen Auswertung von Umweltdaten, angesiedelt in Wien-Neubau, motiviert zum Selbermessen der Luftgüte und zeigt, wie leicht das geht. Bietet laufend Platz, um ein Freiwilliges Umweltjahr zu absolvieren.

luftdaten.at

Biologie und IT: Hinter den Pflanzenfiltermatten des City Trees steckt High-Tech, die permanent die Luftgüte überwacht und die Wasserversorgung des Mooses sicherstellt. So kann das Moos Feinstaub verstoffwechseln.

BILD GREEN CITY SOLUTIONS
29

Moosfarm: Bevor sie in Einkaufszentren oder Messehallen zum Einsatz kommen, werden die Pflanzen auf einer Moosfarm in Bestensee vor Berlin gezüchtet – im Bild von Gründer Peter Sänger.

FAHRWEISE UND AUTOGEWICHT

BEEINFLUSSEN FEINSTAUBAUFKOMMEN

120 Gramm pro tausend gefahrene Kilometer. Der durchschnittliche Reifenabrieb pro Auto macht in der EU in Summe jährlich 500.000 Tonnen aus. Um tief in den Atemtrakt einzudringen seien die synthetischen Kautschukpartikel laut ADAC zwar überwiegend zu grob, »Gewässer und Böden werden aber zweifellos belastet«.

2022 zeigten ausführliche Tests keine generellen Unterschiede bei Sommer-, Winter oder Ganzjahresreifen. »Sportliche« Reifen schnitten schlecht ab. Auffällig: Auf Beton ist der Abrieb stärker als auf Asphalt, ebenso bei nasser Fahrbahn und bei höherem Fahrzeuggewicht. Als Tipps gegen übermäßigen Abrieb empfiehlt der ADAC den Reifendruck regelmäßig zu kontrollieren, eine gleichmäßige vorausschauende Fahrweise – und Reifen von Michelin und Goodyear. adac.de

European City Air Quality Viewer

Die von der European Environment Agency (EEA) gesammelt aufbereiteten

Daten ermöglichen einen Vergleich der Luftqualität in europäischen Städten. eea.europa.eu

stoffantrieb führt in diese Richtung. »E-Busse sind energieeffizient, leiser als herkömmliche Fahrzeuge und verbessern zudem die Luftqualität in der Stadt«, begründet etwa Gudrun Senk, Geschäftsführerin Wiener Linien, die schrittweise Abkehr von klassischen Verbrennermotoren. Logistikunternehmen wie die Gebrüder Weiss kommunizieren mittlerweile stolz, dass sie ihren »gesamten Lkw-Eigenfuhrpark am Wiener Standort seit Anfang 2024 mit HVO-Hydrogenated Vegetable Oil betanken.« Der synthetische, aus Pflanzenresten und altem

Speiseöl hergestellte Kraftstoff ersetzt Dieseltreibstoff. Das ermöglicht laut Unternehmenssprecher Merlin Herrmann CO2-Einsparungen von 80 Prozent – bei einem Jahresvolumen von 1 Million Liter HV-Öl.

UMWELTZONE MIT LENKUNGSEFFEKT

Auch die Berliner Luft wird immer besser. Das erkennt auch Martin Schlegel an, der Verkehrssprecher des Berliner Landesverbands BUND. Eine der wirksamsten Maßnahmen war 2008 die Errichtung der Umweltzone Berlin innerhalb des inneren S-Bahnringes (»Großer Hundekopf«). Um die Luftbelastung durch Dieselruß und Stickoxide zu reduzieren, gilt ein Fahrverbot für Fahrzeuge mit hohem Schadstoffausstoß. Nur schadstoffarme Verbrenner und Elektroautos bekomme die grüne Plakette, die eine Einfahrt in die innerstädtische Umweltzone erlaubt. Etwa 60.000 Dieselfahrzeuge wurden mittlerweile mit Partikelfiltern nachgerüstet. Das brachte einen Lenkungseffekt weit über die Umweltzone hinaus und führte nicht nur zur Modernisierung vieler Berliner Fahrzeugflotten. Auch viele andere Städte richteten bald Umweltzonen ein, weshalb die meisten Autos mittlerweile die strengeren Abgasanforderungen erfüllen – und Städte wie Hannover, Heilbronn, Karlsruhe oder Erfurt in den

BILD GREEN CITY SOLUTIONS
30 BIORAMA WIEN-BERLIN FEINSTAUB

DAS BIO, AN DEM SO VIEL MEHR DRANHÄNGT

MIT DEN BIO-PRODUKTEN VON JA! NATÜRLICH BEGINNT DER KLIMASCHUTZ BEREITS AM TELLER!

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Nachhaltiger verpackte Bio-Produkte sparen nicht-erneuerbare Rohstoffe und Ressourcen.

Über 80 % der Ja! Natürlich Produkte kommen aus Österreich, dadurch halten wir Transportwege kurz und reduzieren CO 2 -Emissionen.

Gibt ,s nur bei:

*gemäß EU-Bio-Verordnung.

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AUS DER ATEMLUFT

Das Prinzip ist einfach: Verschmutzte Stadtluft wird durch Moos bewachsene IT-Module geleitet, dabei gereinigt, gekühlt und frisch wieder abgegeben. Dabei wird der CO2-Gehalt ebenso reduziert (Photosynthese) wie Rußpartikel gebunden werden. Das Brandenburger Unternehmen Green City Solutions sieht seinen »CityTree« (bestehend aus acht Moosmodulen) oder seine kleinere Anzeigentafel »CityBreeze« Seite an Seite zu Stadtbäumen und klassischer Begrünung – aber auch im Innenbereich. Messungen des Leibniz-Institut für Troposphärenforschung und des Instituts für Luft- und Kältetechnik in Dresden ergaben, dass sie bis zu 82 Prozent des Feinstaubs reduzieren, die Umgebungsluft befeuchten und um bis zu 4 Grad Celsius kühlen und dass eine elektrische Leistung von 50 Watt bis zu 6500 Watt Kühlleistung bringt.

greencitysolutions.de

Der City Tree von Green City Solutions ist drinnen und draußen verwendbar. Pro Stunde wälzt er 5000 Kubikmeter Luft um – genau die Menge, die in derselben Zeit 10.000 Menschen atmen. Ein potenzieller Einsatzbereich sind U-Bahn-Stationen.

vergangenen Monaten ihre Umweltzonen wieder aufhoben. Auch Ulm und Mannheim bereiten das gerade vor.

Die Umweltzone Berlin steht zwar nicht zur Debatte. Doch die neue Stadtregierung prüft gerade Lockerungen im Luftreinhalteplan. Konkret geprüft wird, ob – wie von der CDU-Fraktion gefordert – auf stark frequentierten Verkehrsrouten statt bisher Tempo 30 wieder Tempo 50 eingeführt werden soll. BUND-Verkehrssprecher Martin Schlegel hat dazu beim Senat gerade eine Stellungnahme eingebracht. Denn: »Der Senat übersieht, dass die Grenzwerte für Luftschadstoffe von der EU nach Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO weiter gesenkt werden müssen.« Gerade erst im April 2024 verabschiedete das EU Parlament neue Vorschriften zur Verbesserung der Luftqualität in der EU. Alle EU-Mitgliedsstaaten haben dazu Fahrpläne für die Verbesserung der Luftqualität zu erstellen, in denen kurz- und langfristige Maßnahmen zur Einhaltung der neuen Grenzwerte für Schadstoffe festgelegt sind. Außerdem ist sicherzustellen, dass BürgerInnen eine Entschädigung verlangen können, wenn ihre Gesundheit aufgrund von Verstößen gegen das EU-Recht beeinträchtigt wird. Das soll sicherstellen, dass bis 2050 gemeinsam die »Zero Air Pollution Vision« erreicht wird. 2020 waren in den Städten der EU immerhin noch 96% der Menschen einer Feinstaubkonzentration ausgesetzt, die über der WHO-Richtlinie lag. Auch in Wien und Berlin.

BILD GREEN CITY SOLUTIONS 32 BIORAMA WIEN-BERLIN FEINSTAUB

BIORAMA: Teile der Berliner Stadtpolitik möchten von Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen abrücken und den Individualverkehr wieder mit Tempo 50 ermöglichen. Was spricht dagegen?

MARTIN SCHLEGEL: Tempo 30 dient vor allem zur Verkehrssicherheit – es rettet Menschenleben. Dazu vermindert es nachweislich Lärm und Abgase.

Die Argumentation des Senats lautet, dass die Grenzwerte für Luftschadstoffe ohnehin erreicht werden. Gleichzeitig empfiehlt die WHO niedrigere Grenzwerte als die derzeit EU-weit vorgegebenen. Müsste man Tempo 30 aus gesundheitlichen Gründen ausbauen?

Ab 2030 müssen ohnehin verschärfte Grenzwerte eingehalten werden. Es ist eigentlich ein Fall für den Rechnungshof, wenn Schilder zunächst abmontiert und dann – wenige Jahre später – wieder aufgestellt werden müssen.

Berlin war 2008 Pionier mit seiner innerstädtischen Umweltzone, in die nur abgasarme Kraftfahrzeuge fahren dürfen. Viele deutsche Städte zogen nach, mittlerweile haben Hannover, Heilbronn oder Erfurt die Umweltzonen wieder aufgelassen, weil ein Großteil der Fahrzeuge ohnehin inzwischen bessere Abgaswerte aufweist. Wie schätzen Sie die Situation in Berlin ein?

»TEMPO RETTET MENSCHENLEBEN«

Die Umweltschutzorganisation BUND kämpft gegen die geplante Lockerung des Berliner Luftreinhalteplans an. Martin Schlegel, Verkehrsreferent des Landesverbands, über Tempo 30 und die Verkehrsberuhigung durchs Homeoffice.

Es gab wohl nur eine Corona-bedingte Atempause. Die neuen EU-Grenzwerte werden wieder an vielen Hauptverkehrsstraßen überschritten werden.

Welche Maßnahmen wären kurzfristig wirksam, um die Luftqualität in Berlin zu verbessern?

Die wirksame Berliner Umweltzone wurde bisher beibehalten und kann aber auch noch »verschärft« werden. Sinnvoll wäre es, Tempo 30 auch wirksam zu kontrollieren und das Homeoffice weiter zu stärken. Die Menschen, die zu Hause arbeiten können, machen auch Platz in Bus und Bahn frei für die, die dies nicht können.

Was braucht es, um im Berliner Stadtgebiet den Null-Schadstoff-Aktionsplan der EU umzusetzen?

Die Weiterentwicklung der bereits genannten Umweltzone zu einer »Zero-Emission-Zone«, in die nur noch CO 2-freie Fahrzeuge einfahren dürfen sowie die beschleunigte Umstellung von Diesel-Bus auf Straßenbahn.

Weil wir es das Jahr über immer vergessen: Zu Silvester ist die Luft in den Städten immer besonders schlecht. Braucht Berlin ein Böller- und Feuerwerksverbot?

Ja und zwar stadtweit – auch damit Wildund Haustiere nicht verängstigt werden.

INTERVIEW

Thomas Weber

Martin Schlegel

Ist Verkehrsreferent des Landesverbands Berlin-Brandenburg der Nichtregierungsorganisation Bund – kurz für »Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland – Friends of the Earth Germany«.

BILD ISTOCK.COM/LOLON, BUND LV BERLIN
BIORAMA WIEN-BERLIN GESUNDES TEMPO
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VOM HUND ABGEKOMMEN

Berlin, Alexanderplatz, 1903: Wer etwas zu transportieren, aber sonst nicht allzu viel hatte, spannte seinen Hund vor den Karren. Im Erhalt wesentlich günstiger und unkompliziertes als Pferde oder Esel und auch als Wachtier einsetzbar, hatte der Hund als Zugtier seinen fixen Platz im Berlin des 19. Jahrhunderts und dessen Umgebung, wie der Blog der Technikgeschichte der TU Berlin weiß.

Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war diskutiert worden, ob der Einsatz von »Ziehhunden« tierschutzgerecht oder die Hunde durch Ochsen oder Esel zu ersetzen wären. Wer sich das nicht leisten konnte, der war »auf den Hund gekommen«. Doch letztlich waren Hundefuhrwerke, wenn auch nur mehr vereinzelt, in Berlin bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts im Einsatz.

Auf dem Blog TGTU des Fachbereichs Technikgeschichte der TU Berlin werden Beiträge von Studierenden, Lehrenden und Gästen veröffentlicht: tgtub.hyotheses.org

IRINA ZELEWITZ BILD GEMEINFREI / PUBLIC DOMAIN 34 BIORAMA WIEN-BERLIN BERLINBILD DER AUSGABE
BILD BUERONARDIN/ VIENNA DESIGN WEEK 35

LEINENLOS DURCH DIE STADT

Sowohl Wien, als auch Berlin gelten als hundefreundlich. Was beide Städte unternommen haben, um das Miteinander von Mensch und Hund zu fördern.

Zum Test eines GPS-Trackers für Hunde geht’s hier

BIORAMA.EU/ gps-hundetracker

WDas Plastikmüllaufkommen allein durch Hundekotbeutel ist erheblich – muss es ein Plastiksackerl fürs Gackerl sein? Mehr dazu

BIORAMA.EU/ plastik-sackerlfuers-gackerl

elche Erfahrungen sind für ein reibungsloses Zusammenleben in menschlicher Gesellschaft für einen Welpen wichtig? Auf diese Frage gibt es zwei richtige Antworten und eine falsche. Es handelt sich um eine von insgesamt 123 Fragen aus dem Katalog der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, mit denen sich HundehalterInnen auf die theoretische Sachkundeprüfung vorbereiten können. Die Prüfung ist nur für die Haltung von »potenziell risikobehafteten Hunderassen« wie Pittbull-Terrier oder Amstaff-Terrier verpflichtend. Doch wer sie freiwillig absolviert und besteht und – gemeinsam mit seinem Vierbeiner – auch eine zweistündige Praxisprüfung besteht, darf sein Tier in der Stadt stellenweise ohne Leine führen. Generell besteht in Berlin für Hunde nämlich Leinenpflicht sobald die Wohnung oder das Grundstück des Halters / der Halterin verlassen wird. Als gefährlich eingestufte Hun-

de müssen außerdem außer Haus ausnahmslos Maulkorb tragen.

Völlig verkehrt wäre es jedenfalls – und in diese Richtung führt die falsche Antwort –, einen Hundewelpen möglichst viel zu Hause zu behalten, um ihn vor Reizüberflutung und der Überforderung durch die vielen Eindrücken einer Großstadt zu schützen. Richtig ist deshalb: »Er sollte in positiven Begegnungen viele verschiedene Menschen (von Babies bis zu alten Menschen) kennenlernen.« Und: »Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Teilnahme am turbulenten Straßenverkehr.« Damit muss jeder Großstadthund umgehen lernen. Und deshalb ist die Praxisprüfung auch mit jedem Hund aufs Neue zu absolvieren.

BERLINER SCHNAUZE MIT BISS

Auch wenn Initiativen wie »Berliner Schnauze« (seit 1998 aktiv) sich immer wieder lautstark gegen als solche empfundenen Ein -

BILD ISTOCK.COM/STEFAN ROTTER
36 BIORAMA WIEN-BERLIN STADTHUNDE

schränkungen zur Wehr setzen: Berlin gilt mit seinen 131.440 steuerlich gemeldeten Hunden als ausgesprochen hundefreundliche Stadt. Wien mit 55.099 Hunden ebenso. Wer das anders einschätzt, übersieht, dass beispielsweise in vielen skandinavischen Ländern die Mitnahme von Hunden in öffentlichen Verkehrsmitteln verboten ist. Bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) ist sie grundsätzlich erlaubt. Die Wiener Linien heißen sie sogar »herzlich Willkommen«. Maulkorb tragen und angeleint sein müssen sie da wie dort.

HUNDEZONEN UND AUSLAUFPLÄTZE

In Wien ist der »Hunde-Kunde« genannte Sachkundenachweis seit 2019 sogar verpflichtend – zumindest für alle, die sich seit damals einen neuen Hund zugelegt haben oder davor zwei Jahre keinen gehalten haben. An öffentlichen Stellen – also auf Straßen, Plätzen, Feldern, Wiesen und Wäldern –gilt entweder Maulkorb- oder Leinenpflicht. Sogenannte »Listenhunde« (umgangssprachlich oft als »Kampfhunde« bezeichnet) müssen beides tragen.

Staatsoberhaupt und »First Dog«: Am Wiener Heldenplatz ist Bundespräsident Alexander Van der Bellen öfters mit seinem Hund Juli zu sehen; auch wie er dessen Hinterlassenschaft aufklaubt.

Wobei das Handbuch der »Hunde-Kunde«, erstellt von der Tierschutzombudsstelle der Stadt Wien, besonderes Augenmerk auf das Wohlergeben der Vierbeiner legt. Explizit

»Andere Erholungssuchende dürfen nicht belästigt oder gefährdet werden, denn die Erholung von Menschen hat auch im Hundeauslaufgebiet Vorrang.«
— Berliner Landesforstamt

wird etwa darauf hingewiesen, dass der Maulkorb »der Größe und Kopfform des Hundes angepasst sein muss und dem Hund Hecheln und Wasseraufnahme ermöglicht«. Bekanntermaßen bissige Hunde müssen selbst in den mehr als 200 öffentlichen Hundezonen und Hundeauslaufplätzen der Stadt Maulkorb tragen. Gemeinsam machen diese Einrichtungen in Wien mehr als ein Quadratkilometer aus –von der innerstädtischen Hundezone am Heldenplatz (mit ihren 904 Quadratmetern) bis zum 15.064 Quadratmeter umfassenden Auslauf im Liesinger Draschepark. In Berlin gibt es 35 kleine und teilweise sehr weitläufige Auslaufflächen etwa das Freilaufgebiet Lichtenberg (auf einem ehemaligen Sportgelände der Reichsbahn) oder die Hundewiese Forsthausallee, wo sich die Hunde auch am und im Britzer Verbindungskanal austoben können.

KUNSTSTOFFTÜTEN UND »SACKERL FÜRS GACKERL«

Dass das Miteinander von Hunden, HundehalterInnen und der nicht hundehaltenden Mehrheit so gut funktioniert, liegt nicht nur an mehr und mehr Sachkundigen bzw. Geschulten an beiden Enden der Leine. Es liegt auch daran, dass die Stadtverwaltungen in Berlin und Wien das Problem Hundekot einigermaßen gut in den Griff bekommen haben. Das gelang vor allem durch die soziale Ächtung derer, die Hundekot achtlos liegen ließen. In Wien gibt es mittlerweile knapp 4.000 Ständer mit kostenlosem »Sackerl fürs Gackerl«, das heißt: Kunststofftüten, in denen die Hinterlassenschaft entsorgt werden kann.

Passiert das nicht, sprechen sogenannte »Waste Watcher« mitunter empfindliche Stra-

Hauptstadthunde

Gemessen an der Zahl der EinwohnerInnen leben in Berlin mehr Hunde. Berlin zählte mit Stand 31. Dezember 2023 3.878.100 EinwohnerInnen (Wien 2.006.000 EinwohnerInnen am 1. 1. 2024). Bei 131.440 steuerlich gemeldeten Hunden kommt in Berlin auf jeden 30. Menschen ein Hund. In Wien mit seinen 55.099 Hunden auf jeden 36.

Beliebte

Hunderassen

Am beliebtesten in Wien wie in Berlin: der Mischling. In Berlin folgen Labrador Retriever, Chihuahua und Dachshund (Dackel). Beliebtester Rassehund in Wien: der Chihuahua.

BILD HBF SCHRAEGSTRICH PETER LECHNER
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#PLASTICISFANTASTIC Ich
warum! @philipp_lehner Folge mir auf
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fen aus. Auch in Berlin erheben KontrolleurInnen Bußgelder, bleibt der Dreck liegen. Theoretisch könnten sogar HundehalterInnen belangt werden, die keine Kotbeutel mitführen. »Klare Regeln schaffen Freude für Menschen und Hunde« heißt es auf der Website des Landesforstamts Berlin, dessen weitläufigen, stadtnahen Wälder ein wichtiger Naherholungsraum nicht nur für Hunde und ihre HalterInnen sind.

Im Wald sind die Hunde ausnahmslos angeleint zu führen. Ausnahme sind die ausgewiesenen Hundeauslaufgebiete mit einer gemeinsamen Fläche von 12,2 Quadratmetern (»In keiner deutschen oder europäischen Stadt existiert ein vergleichbares Angebot.«) Doch selbst in den ausgewiesenen Auslauf-

zonen des Landesforstamts bleiben Hunde in der Rangordnung klar untergeordnet: »Andere Erholungssuchende dürfen nicht belästigt oder gefährdet werden, denn die Erholung von Menschen hat auch im Hundeauslaufgebiet Vorrang.« »Unbedingt zu vermeiden« ist auch das Hetzen von Wildtieren wie Rehen oder Wildschweinen.

Wer sich besonders für das reibungslose Zusammenleben in der Multi-Spezies-Gesellschaft engagieren möchte, der oder dem stehen in beiden Städten zahlreiche Hundeschulen zur Verfügung. Und in Wien gibt es –hervorgegangen aus dem ehemaligen Freiwilligen Hundeführerschein – mittlerweile auch das weiterentwickelte Angebot die Ausbildung zum »geprüften Stadthund« zu machen.

Sachkundeprüfung

Die Tierschutzombudsstelle der Stadt Wien verbreitet die »Hunde-Kunde« und motiviert engagierte HundehalterInnen ihren Vierbeiner zum »geprüften Stadthund« zu machen. hunde-kunde.at

In Berlin bieten zahlreiche Hundeschulen den Hundeführerschein als Sachkundenachweis an. Wer ihn in Theorie und Praxis absolviert hat, ist mancherorts von der Leinenpflicht befreit. langeleine-hundetraining.de

In Berlin geregelt: »Dogwalker« haben vom Ordnungsamt eine Genehmigung zum gewerbsmäßigen Gassigehen und dürfen sogar mehr als vier Hunde gleichzeitig ausführen.

BVG unterwegs in
BILD MIYAKO ISHIDATE MIMI
Hundesitterin Miyako Ishidate (Instagram: @happy_paws_berlin) ist mit ihren Schützlingen auch mit der
die Natur.
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KLEIN, ABER WAUWAU

Thomas Weber Bellt wenig, braucht nicht viel Platz und lässt sich wunderbar »teilen«: Über den idealen Stadthund.

TEXT

Dass Hunde nicht in die Stadt gehören, hält

Kurt Kotrschal für Blödsinn. »Hunde sind soziale Schmiermittel, die auch die Kommunikation zwischen Menschen verbessern«, sagt der pensionierte Verhaltensforscher und Chronist des bereits seit Jahrtausenden bestehenden Verhältnis Mensch-Hund. Aktuell schreibt er an seinem für Herbst angekündigten neuen Buch. »Warum Hunde uns zu besseren Menschen machen« wird es heißen. Und davon ist er überzeugt. Kotrschal geht sogar

soweit, von einem »Menschenrecht auf Leben mit Tieren« zu sprechen. »Tiere gehören einfach zu unserem Wesen«, sagt er. Ob da eine Wohnungskatze in der Stadt nicht vielleicht trotzdem geeigneter wäre? Die Frage überhört der Forscher bewusst. Er ist eben ein Hundemensch. Und auch Katzenmenschen wissen, dass sich Hund und Katze nicht wirklich vergleichen lassen. Die Größe der Wohnung sei für einen Hund jedenfalls nicht entscheidend. Eher, ob das Wesen des Tiers zum Le -

BILD ISTOCK.COM/CAPTURELIGHT
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Nicht zu groß soll er sein, der Stadthund, empfiehlt

Kurt Kotrschall, und daher zum Beispiel einen Skye-Terrier.

bensstil und der jeweiligen Lebensphase passe. »Mit einem Hund gehe ich für zehn bis 15 Jahre eine soziale Verpflichtung ein. Und ein Hund braucht Beschäftigung und zwei Mal am Tag Bewegung«, sagt Kotrschal, »HundehalterInnen sind deshalb weltweit gesünder als sozioökonomisch vergleichbare Menschen ohne Hund«.

DOG SHARING ALS OPTION

Dass viele Menschen zwischen 30 und 60 Jahren – wenn Beruf und Familie so richtig fordern – keinen Hund haben, ist deshalb konsequent. »Speziell ab 65 empfehle ich einen Hund«, sagt Kotrschal. »Im Ruhestand hat man viel Zeit und ein Hund bekämpft bereits das erste Aufkommen von Altersdepression.« Im Alter sieht er kein Hindernis. Ein Hund zwinge einen zu Aktivität und Ausflügen. Mit regelmäßigen Besuchen in der Hundezone sei es ja nicht getan. (»Das ist eher ein Kaffeehaus im Freien und er-

»Auch als Fußgänger muss ich Basics über den Straßenverkehr wissen. Und auch eingefleischte NichtHundehalterInnen brauchen für ein gedeihliches Miteinander eine basale Ahnung von Hundeverhalten.«

spart keinesfalls Unternehmungen.«) Und ein »Back-up« – also FreundInnen, Familie oder jemand aus der Nachbarschaft, der das Tier nimmt, wenn man selbst krank oder auf Reisen ist – brauche man in jedem Alter. Jüngeren HundefreundInnen empfiehlt er, gezielt nach Leuten zu suchen, um mit ihnen einen Hund zu »sharen«. »Offiziell braucht ein Hund natürlich immer eine/n BesitzerIn, aber es spricht nichts dagegen ein Tier auch zu zweit oder zu mehrt und an wechselnden Orten zu halten.« Für das Wichtigste hält Kotrschal »ordentliche Umgangsformen für Mensch und Hund.« Denn für das Verhalten eines Hundes sei nicht allein seine Rasse bzw. die genetische Veranlagung verantwortlich: »Hunde spiegeln sehr stark das Wesen ihrer HalterInnen«, sagt er.

UMGANGSFORMEN FÜR ALLE

Was zeichnet ihn also aus, den idealen Stadthund? Nicht zu groß soll er sein. Vielleicht also keine Dogge in der Stadt, »keine speziellen Arbeitshunde«, sagt Kotrschal, »und in der Innenstadt vielleicht keinen besonders aktiven, arbeitsbedürftigen Border Collie«. Auf besonders geeignete Rassen legt sich der Verhaltensforscher dann doch noch fest: kleine Skye-Terrier (»Die passen sogar in eine größere Handtasche.«), Golden Retriever, Labrador Retriever – »und der Eurasier mit seinem distanziert freundlichen Wesen«. Am Umgang miteinander haben auch diejenigen, die keinen Hund führen, wesentlichen Anteil; selbst wenn sie sich dessen oft nicht bewusst sind. »Auch als Fußgänger, der nie in ein Auto steigt, muss ich die Basics über den Straßenverkehr wissen«, sagt Kotrschal. »Und auch eingefleischte Nicht-HundehalterInnen brauchen für ein gedeihliches Miteinander eine basale Ahnung von Hundeverhalten.«

Kurt Kotrschal

Der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal war Mitbegründer des Wolf Science Center Ernstbrunn (Niederösterreich) und widmet sich auch im Ruhestand der Mensch-TierBeziehung, vor allem der Mensch-HundBeziehung.

Buchtipp

»Hund & Mensch. Das Geheimnis unserer Seelenverwandtschaft« von Kurt Kotrschal, Brandstätter, 2016.

BILD BRANDSTAETTER VERLAG
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»Sorry, not sorry«: Großbaustelle Zukunft

Modernisierungsoffensive: Wie die Wiener Linien die Weichen für eine weiterhin lebenswerte und bald auch klimaneutrale Weltstadt stellen.

»Sorry, not sorry.« steht selbstbewusst auf dem Transparent, »Ohne Fleiß kein Gleis« auf einem anderen. Mit solchen Aufschriften auf dem Baustellenzaun in der Wiedner Hauptstraße stellen die Wiener Linien klar, dass uns Baustellen zwar kurzfristig mühsam erscheinen mögen, dass diese aber notwendig und im Grunde höchst begrüßenswert sind, denn sie sorgen für ein verlässliches Öffi-Netz. Deshalb eben: Sorry, aber tut uns nicht leid. Denn Wien wächst weiter. Und es

ist schließlich keine Selbstverständlichkeit, dass bei mittlerweile mehr als zwei Millionen WienerInnen auch die weltweit gepriesene Lebensqualität der Stadt erhalten bleibt. Mehr als 120 GleisbauexpertInnen sind täglich im Einsatz, um Wiens Öffi-Infrastruktur zu prüfen, instand zu halten und ihren Ausbau zu überwachen. Ihr Aufgabengebiet ist groß. Eine Gesamtgleislänge von 672 Kilometern entspricht in etwa der Luftlinie vom Wiener Stadtrand über Berlin hinauf bis kurz vor die

BILD WIENER LINIEN
»Gemeinsam

mit den Dienststellen der Stadt Wien machen wir unsere Hausaufgaben

für eine klimafitte

Zukunft. Wir alle bauen gemeinsam, damit unser Wien noch besser wird.«

Ostsee nach Rostock. Bei der Lebensdauer einer Schiene von – je nach Belastung – 10 bis 45 Jahren beziehungsweise 15 Jahren bei Weichen, bedeutet das einen entsprechenden Wartungs- und Sanierungsaufwand.

MODERNISIERUNG EINER METROPOLE

Ab 2024 steigern die Wiener Linien ihre Bau-und Sanierungstätigkeiten und investieren allein im laufenden Jahr 223 Millionen Euro in die Modernisierung des Öffi-Netzes. Und dafür gilt, was auf einem weiteren der in Wieden angebrachten Transparente steht: »Schienen streicheln reicht leider nicht.« Das Modernisierungsprogramm »Netz erst recht!« umfasst sowohl die Erneuerung von Gleisen, Tunneln, Brücken und Stellwerken als auch von Stationen, Aufzügen und Rolltreppen.

Wenn die Wiener Linien ihre Gleise tauschen müssen, bietet das auch Chancen ganze Straßenabschnitte umzugestalten und in klimafitte Grätzl zu verwandeln. Etwa wie in der Universitätsstraße oder eben – aktuell eines der größten Projekte in der Stadt – in der Wiedner Hauptstraße. Damit die dortigen Umbauarbeiten so reibungslos wie möglich erledigt werden können, wird bereits seit Jahren geplant, getüftelt und koordiniert. Wichtig ist dabei die enge Abstimmung und Kooperation mit den anderen Dienststellen der Stadt: »Gemeinsam mit den Dienststellen der Stadt Wien machen wir unsere Hausaufgaben für eine klimafitte Zukunft. Wir alle bauen gemeinsam, damit unser Wien noch besser wird«, erklärt Alexandra Reinagl, Vorsitzende der Geschäftsführung der Wiener Linien. So werden im Zuge der Gleisbauarbeiten gleich auch die Kanalsanierung und Fernwärmeanschlüsse mitgenommen. Das spart Kosten und sorgt nicht zuletzt auch dafür, dass mit einer Baustelle gleich eine Vielzahl nötiger Arbeiten erledigt werden. Auf der Wiedner Hauptstraße bleibt so über eine Strecke von über einem Kilometer kein Stein auf dem anderen. Am Ende werden nicht nur ausrangierte Gleise im Recyclingkreislauf gelandet sein. Neue, barrierefreie Haltestellen verbessern das Öffiangebot – begrünte Wartehäuschen und ein Grüngleis tragen dazu bei, dass das Grätzl insgesamt klimafit wird. Immerhin soll die Stadt bis 2040 insgesamt klimaneutral sein.

»Durch unsere Investitionen schaffen wir nicht nur eine moderne Infrastruktur, sondern fördern auch Arbeitsplätze und Wachstum in der Region«, sagt Gudrun Senk, die in der Geschäftsführung der Wiener Linien den technischen Bereich verantwortet.

LINIE UM LINIE: UMSTIEG AUF SAUBERE BUSSE

Auch die Dekarbonisierung der Busflotte geht zügig voran. Ein Gutteil des Angebots der Wiener Linien ist ohnehin bereits emissionslos. Wer mit U-Bahn, Bim/Straßenbahn, mit einem über die WienMobil-App gebuchten Fahr- oder Lastenrad, einem Elektroauto oder E-Transporter unterwegs ist, stößt dabei kein CO2 aus. Auch die Kleinbusse in der Innenstadt sind bereits seit über zehn Jahren batteriebetrieben. Bei den Bussen sind aber nach wie vor Dieselfahrzeuge im Einsatz. Diese werden nun Linie um Linie ausgetauscht. Schon Ende 2025 sollen 60 große E-Busse sowie 10 Wasserstoffbusse durch die Stadt kurven. Geladen, gewartet und repariert werden die batteriebetriebenen Gefährte im neuen Kompetenzzentrum für E-Mobilität der Wiener Linien in Siebenhirten. »Im Gegensatz zu vielen anderen E-Bussen kommen unsere Batteriebusse ohne sogenannte Dieselzusatzheizer aus«, erklärt Gudrun Senk. Um die Energie bestmöglich zu nutzen, sind die Klimaanlagen der Busse außerdem mit einer Wärmepumpenfunktion ausgerüstet. Der grüne Wasserstoff für die zehn H2-Busse wiederum stammt aus der neuen Elektrolyseanlage von Wien Energie und Wiener Netzen. Dort werden mit einer Leistung von drei Megawatt aus Ökostrom täglich bis zu 1.300 Kilogramm Wasserstoff erzeugt. Ein Angebot, das auch privaten Unternehmen zur Verfügung steht und auf großes Interesse stößt. Am flächendeckenden Umbau der Stadt sind schließlich alle beteiligt.

BILD WIENER LINIEN / ALEXANDRA GRITSEVSKAJA
Wiens E-Bus-Flotte wächst. Aktuell sind bereits auf den Linien 71A, 71B, 61A, 61B, 64A und 64B E-Busse im Einsatz, ab Herbst 2024 auch auf den Linien 17A und 70A.
ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG DER WIENER LINIEN

Richtung Zukunft, heiß und kalt

Bei der Wien Energie laufen nicht nur die Glasfasern zusammen, wenn es um die Zukunft der Stadt geht.
Auch Fernkälte und grüner Wasserstoff führen dorthin.

Superschnelles, stabiles Breitbandinternet und flächendeckende WLAN-Versorgung – damit sind 350 städtische Kindergärten und 150 Wiener Schulen nun bestens ausgerüstet, um auf interaktive Lernprogramme, wissenschaftliche Datenbanken und E-Books zugreifen zu können; drahtlos mittels Handys, Tablets oder Laptops. Abgeschlossen wurde der Anschluss im Auftrag der MA01, der Magistratsabteilung Wien Digital. Dabei im Einsatz waren sowohl die Wien Energie als auch die Wiener Netze. Der Fokus lag dabei klar auf Berufs-, Fach-, Mittel- und

Sonderschulen, in denen mittels Glasfaseranbindung auch die Chancengleichheit durch allgemeinen Wissenszugang gefördert werden soll. »Es ist wichtig für unsere junge Generation einen modernen Wissenszugang zu schaffen, um sie auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten«, sagt Michael Strebl, Vorsitzender der Wien Energie-Geschäftsführung. »Für diesen Glasfaserausbau und das Aufrüsten auf flächendeckendes WLAN sind insgesamt über 35 Millionen Euro in die Hand genommen worden. In nur vier Jahren konnten wir dadurch bei mehr

BILD WIEN ENERGIE

als Dreiviertel der städtischen Schulen und Kindergärten Highspeed-Internet für die jungen WienerInnen verfügbar machen«, ergänzt Strebl. Binnen der nächsten drei Jahre werden weitere 140 Volksschulen flächendeckend mit WLAN versorgt. Wiens Amtshäuser und Spitäler wurden von Wien Energie und Wiener Netzen bereits 2012 mit moderner Glasfaserinfrastruktur ausgestattet, um schnelle Kommunikation und Datenübertragung in Verwaltung und medizinischer Versorgung zu gewährleisten.

HOTEL SACHER AM FERNKÄLTERING

Eine Anbindung an die Zukunft gelang auch mit einem symbolträchtigen Traditionshaus, dem Hotel Sacher, gleich hinter der Wiener Staatsoper. Es wurde im April an die größte Fernkältezentrale der Stadt, die Zentrale am nahen Stubenring angeschlossen. Durch die Versorgung mit 1,4 Megawatt Kälteleistung können rund 400 herkömmliche Klimageräte und damit jährlich 70 Tonnen CO2 eingespart werden. Im Vergleich zu klassischen Klimageräten ist Fernkälte besonders effizient. »Gerade in einer Großstadt wie Wien erweist sich Fernkälte als ein alternatives, effizientes Kühlungssystem«, sagt Michael Strebl und fügt hinzu: »Um klimafreundlich für Abkühlung zu sorgen bauen wir unser Fernkältesystem kontinuierlich aus.« Mit der Realisierung des Fernkälte-Rings um die Wiener Innenstadt im Sommer 2024 erreicht die Wien Energie einen großen Meilenstein, der die Versorgung der gesamten Innenstadt mit klimafreundlicher Fernkälte ermöglicht. Bis 2027 werden rund 90 Millionen Euro in diese Technologie investiert.

Beim Hotel Sacher fügt sich die Nutzung von Fernkälte ins Programm »Sacher mit Verantwortung«, welches das Ziel verfolgt, Nachhaltigkeit und Komfort zusammenzubringen. »Die Anbindung an das Wiener Fernkältenetz er-

SONNENSTUNDENZÄHLEN LEICHT GEMACHT

Klimaschutz zum Mitmachen: Wie Wiens BürgerInnen bereits 30 Solarkraftwerke (und vier Windräder) errichten halfen.

Eine Erfolgsgeschichte geht in die nächste Runde. Nachdem auf dem Zentralfriedhof bereits seit 2022 Sonnenstrom auf den davor freien Flächen der Friedhofsgärtnerei produziert wird, startete im Frühjahr die Verkaufsphase für das nächste und damit bereits 30. BürgerInnen-Solarkraftwerk der Stadt seit Projektstart 2012. Errichtet wurde es im Bestand, auf der Busgarage der Wiener Linien in Leopoldau. Im ersten Schritt hatten deshalb StammkundInnen der Wiener Linien das exklusive Vorrecht, sich maximal fünf Anteilspakete zu sichern (zum Einzelpreis von 250 Euro). Danach hatten auch allen anderen WienerInnen die Möglichkeit. Der Vorteil: KäuferInnen beteiligen sich aktiv an der Energiewende und erhalten ihre ursprüngliche Investitionssumme in Form eines Gutscheins zurück. Dieser kann sowohl bei den Stromrechnungen der Wien Energie, also auch bei WienMobil Rad (dem Bikesharing-Angebot der Wiener Linien) eingelöst werden. Zusätzlich kommt – abhängig von der Anzahl der Sonnenstunden – eine variable Mehrvergütung dazu, die für angenommene 300 kWh mindestens 52,80 Euro pro Paket und Jahr beträgt. »Das ist Klimaschutz zum Mitmachen«, sagt Karl Gruber, Geschäftsführer der Wien Energie. »Alle bisherigen Beteiligungen waren innerhalb kürzester Zeit ausverkauft, was zeigt, dass das Modell bei den WienerInnen sehr hohen Anklang findet.«

BILD WIEN ENERGIE ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG VON WIEN ENERGIE

möglicht es uns, unseren Gästen selbst an den heißesten Tagen eine angenehme Kühlung zu bieten – und das mit einem klaren Bekenntnis zum Umweltschutz«, sagt Matthias Winkler, Geschäftsführer des Hotel Sacher. Derzeit werden mit 30 Kilometern Fernkälteleitungen von der Wien Energie bereits 200 Gebäude gekühlt. Dazu zählen neben der Universität Wien, der Nationalbank, dem Allgemeinen Krankenhaus und dem Parlament auch das Rathaus, das Museum für Angewandte Kunst (MAK) oder die Wiener Staatsoper. Bis 2030 soll sich die Kapazität der Fernkälte von derzeit 200 Megawatt Kühlleistung auf 370 Megawatt fast verdoppeln.

WASSERSTOFF, EIN TREIBSTOFF DER ZUKUNFT

Im Frühjahr 2024 wurde in Wien-Simmering Energiegeschichte geschrieben. Dort haben Wien Energie und Wiener Netze die erste Wiener Erzeugungsanlage für grünen Wasserstoff in Betrieb genommen. Mittels Elektrolyseverfahren (siehe Grafik unten) werden aus Ökostrom täglich 1.300 Kilogramm grüner Wasserstoff erzeugt. Investition von rund 10 Millionen Euro ermöglichten es, dass damit heute umgerechnet bis zu 60 Wasserstoffbusse oder -Lkws betankt werden können. Auch IKEA oder der ÖAMTC nutzen dieses Angebot, um ihre modernen Wasserstofffahrzeuge hier aufzutanken. »Als Wiener Stadtwerke-Gruppe sind wir Vorreiter und bilden die gesamte Wasserstoff-Wertschöpfungskette ab«, sagt Peter Weinelt, Generaldirektor der Wiener Stadtwerke. »Mit unseren Tochterunternehmen Wien Energie, den Wiener Netzen und den Wiener Linien produzieren, vertreiben, speichern und verwenden wir den Wasserstoff. Und das alles komplett regional und klimaneutral.«

Alles zum Thema Nachhaltigkeit in einer Hand: Der »Klima-Guide Wien« ist die erste Sonderausgabe des Wiener Stadtwerke-Magazins »Besser STADTleben«. Mehr als 100 Tipps rund ums Klima-Thema, acht inspirierende Portraits von WienerInnen, die jetzt schon mit einem starken Nachhaltigkeits-Fokus leben und wirtschaften sowie viele Routenvorschläge zum Nachspazieren, beinhaltet dieser kleine Reiseführer. Mehr Infos unter besser-stadtleben.at

BILD WIEN ENERGIE

»Investieren massiv in die Zukunft der Stadt«

Peter Weinelt, Generaldirektor der Wiener Stadtwerke, über Investitionen in die Öffi-Infrastruktur, die

Herausforderung

und

Wärmewende

als

den »Heißwasserschatz«, den es

zu heben gilt, um diese zu bewältigen.

Wien möchte bis 2040 eine klimaneutrale Stadt sein. Welche sind denn die größten Brocken, die die Stadt bzw. die Stadtwerke-Gruppe dafür noch aus dem Weg räumen muss?

Peter Weinelt: Wir haben die klare Vorgabe der Stadt erhalten, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um die Klimawende bis 2040 wahr werden zu lassen. Die größte Herausforderung begegnet uns dabei im Bereich der Wärme. Mehr als eine halbe Million Gasthermen in den Wiener Haushalten der Stadt warten darauf, ersetzt zu werden. Deshalb investieren wir massiv in Tiefengeothermie. 3.000 Meter unterhalb der Stadt schlummert ein »Heißwasserschatz«, den wir heben wollen, um 2030 bereits 125.000 Haushalte mit umweltfreundlicher Wärme aus der Erde versorgen zu können.

Infrastrukturprojekte sind teuer, aber wirksam. In welchen Bereichen investieren die Wiener Stadtwerke und was bedeutet das für den Standort Wien?

Wir als Wiener Stadtwerke-Gruppe investieren bis 2028 rund neun Milliarden Euro in die klimaneutrale Zukunft. Von dem Ausbau der Öffis über Großwärmepumpen, Windund Solarenergie bis hin zu den smarten Netzen der Zukunft. Wir sind maßgeblich verantwortlich dafür, die Klimaneutralität Wiens herzustellen und nehmen den Auftrag sehr ernst. Im Bereich der Mobilität setzen wir das Jahrhundertprojekt U2/ U5 um. Damit schaffen wir Platz für 300 Mio. weitere Öffi-Fahrten pro Jahr, 30.000 Arbeitsplät-

ze werden so geschaffen und gesichert. Gleichzeitig haben wir die tausendste öffentliche Elektroladestelle eröffnet, um auch der Elektromobilität den Weg zu ebnen. Mit unseren Investitionen tragen wir zu einem attraktiven Standort bei – für die Wirtschaft, aber vor allem für die WienerInnen.

Was kann sich Wien von anderen Weltstädten in Sachen Infrastruktur abschauen und was können andere Metropolen von Wien lernen?

In aller Bescheidenheit muss ich hier anmerken: Wien hat die höchste Lebensqualität der Welt und das kommt nicht von ungefähr. Wenn es um preiswertes Wohnen oder um leistbare Top-Öffis geht, wird Wien international oft hervorgehoben. Trotzdem gibt es viele positive Beispiele, die wir uns von anderen Metropolregionen abschauen können, vor allem, was wie Nutzung des öffentlichen Raums angeht.

»Wir werden bis 2033 insgesamt 25.000 neue MitarbeiterInnen brauchen. Wir sorgen entsprechend vor und investieren in unsere Lehrlingsausbildung«, sagt Peter Weinelt.

Die Wiener Stadtwerke werben aktiv am Arbeitsmarkt und suchen nach Arbeitskräften? Welchen Bedarf gibt es in den nächsten Jahren?

Wir brauchen die entsprechenden Fachkräfte, die mit uns die Stadt umgestalten. In Zahlen ausgedrückt heißt das: Wir werden bis 2033 insgesamt 25.000 neue MitarbeiterInnen brauchen, das ist gewaltig. Wir sorgen entsprechend vor und investieren in unsere Lehrlingsausbildung, mittlerweile haben wir knapp 600 Lehrlinge bei uns in Ausbildung und liegen in den handwerklichen und technischen Lehrberufen bei einem Frauenanteil von 35 Prozent.

BILD WIENER STADTWERKE_RIGAUD
ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG DER WIENER STADTWERKE

DIE GENOSSiNNENSCHAFT

IST ZURÜCK

LEBENSMITTELHANDEL FÜR EINE

BESSERE LANDWIRTSCHAFT

Morgenrot will ProduzentInnen bessere Preise zahlen und so einen Umstieg auf regenerative Landwirtschaft ermöglichen.

Eine GenossInnenschaft für Lebensmittelhandel, die sowohl ProduzentInnen als auch KundInnen gehört und eine Alternative zu herkömmlichen Supermärkten bietet, lautet das Konzept von Morgenrot. Die für den Morgenrot-Laden produzierenden Bäuerinnen und Bauern sollen für ihre regionalen Biolebensmittel höhere Preise als üblich bekommen – statt den konventionellen 20 % vom EndkundInnenpreis, bekommen die ProduzentInnen bei Morgenrot 40–50 %. Die höheren Einkünfte können es den LandwirtInnen ermöglichen, auf eine regenerative Biolandwirtschaft umzusteigen. »Es braucht ganzheitliche Strukturen, um eine regenerative Landwirtschaft zu etablieren – von den KundInnen bis zu den ProduzentInnen«, erklärt Maria Kaufmann, eine der GründerInnen von Morgenrot den Zugang. Für die EndkundInnen sind die Produkte nicht teurer als vergleichbare Pro -

dukte im konventionellen Supermarkt. Ermöglicht wird das durch den Wegfall der Zwischenhändler und eine klarere Struktur bei den Aufschlägen.

»Wir, das GründerInnenteam von Morgenrot, Maria Kaufmann, Harald Kaiser und Martin Gerstl, wollen nachfolgenden Generationen einen lebenswerten Planeten hinterlassen und einen Beitrag zu nachhaltigeren Lebensmittelsystemen leisten. Wir brauchen eine andere, regenerative Landwirtschaft, die aktiv gegen die Klima- und Biodiversitätskrise wirkt«, zeigt sich Maria Kaufmann motiviert. Als Vorlage für Morgenrot dient das südkoreanische Hansalim-Modell, zu dem über 800.000 Haushalte und 250 Lebensmittelläden gehören. Ein Teil der erwirtschafteten Gewinne von Morgenrot wird genutzt, um regenerativen Landwirtschaft in Österreich bekannter zu machen. Der Aufbau des ersten Morgenrot-Ladens wird unter anderem im Rahmen der »aws Sustainable Food Systems – explore«-Schiene gefördert und aktuell läuft eine Crowdfundingkampagne auf einer Plattform für Gemeinwohlprojekte. Noch vor dem Sommer wird in Wien Hernals der erste Pop-up-Shop eröffnet. MARTIN MUEHL

morgenrot.wien

BILD MORGENROT EG
MORGENROT
48 BIORAMA WIEN-BERLIN GENOSS i NNENSCHAFTEN

Martin Freimüller (der Stadtgärtner).

EINER FÜR ALLE, ALLE FÜR EINEN

Die Smart EG übernimmt, was viele Solo-Selbständige am meisten nervt: die Auftragsabwicklung, Verrechnung, Reisekostenabrechnung und Mahnwesen – und zahlt ein monatliches Gehalt.

Die Bandbreite der Gehälter, die von der Genossenschaft Smart monatlich ausbezahlt werden, ist groß. Sie reicht von brutto 70 bis zu 10.000 Euro. »An einem Ende stehen Menschen am Beginn ihres Berufslebens mit Minijobs und ersten Aufträgen«, sagt Magdalena Ziomek, »am anderen Ende gibt es hochqualifizierte Leute mit sehr gut bezahlten Aufträgen aus der IT-Branche. Sie alle haben bei uns ein Zuhause.« Insgesamt hat die Genossenschaft deutschlandweit derzeit 1000 Mitglieder, mehrheitlich (60 Prozent) mit wohn- und Lebensmittelpunkt Berlin. Die Idee, die 2023 mit dem New Work

Award (in der Kategorie »New Society / New Vision«) ausgezeichnet wurde, hatte Ziomek vor bald zehn Jahren gemeinsam mit ihrer Kogründerin Alicja Möltner. Beide kommen aus dem Kulturbereich, in dem den von Feuer und Leidenschaft getriebenen Solo-Beschäftigten oft die soziale Absicherung fehlt. »Wie so viele Kreativschaffende plagten uns Fragen wie: Wie komme ich über die Runden? Wie organisiere ich meine Arbeit, sodass ich sozial abgesichert bin?« Und so gründeten die beiden die Smart EG, eine Genossenschaft für Selbständige, die – auf Wunsch – ihre Mitglieder auch anstellt, sozialversichert und saisonale Schwankungen dessen, was verrechnet wird, im monatlichen Mittel als Gehalt ausbezahlt. Vertragspartnerin der AuftraggeberInnen wird dafür nicht die Einzelperson, sondern die Genossenschaft, die auch Verrechnung, Reisekostenabrechnung und nötigenfalls auch das Mahnwesen übernimmt. Eingebettet ist die Smart eG mittlerweile auch in ein europaweites Netzwerk von gleichartigen Genossenschaften in Ländern wie Frankreich, Spanien, Italien, den Niederlanden, Schweden – und Österreich. Das Pendant in Wien ist die als Verein bereits 2011 von Angela Vadori gegründete und 2015 in eine Genossenschaft umgewandelte Smart Coop Austria. Sie versteht sich als »Cooperative für Freelancer*innen«, zählt derzeit 350 Mitglieder und organisiert neben Beratungsgesprächen auch Events, beispielsweise »Tax Together«, zum gemeinsamen Vorbereiten der Steuererklärung. »Das ist ein großer Renner jedes Jahr«, sagt Angela Vadori, »weil man sich da gegenseitig motiviert«. THOMAS WEBER

smart-eg.de und smartat.coop

SMART EG
BILD F PUNKT
Das Morgenrot-Kernteam: Martin Gerstl, Harald Kaiser, Maria Kaufmann, Mona Naderer (nicht am Bild), Brombeeren-Produzent
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KRAFTBÜNDEL

Auf dem Marktplatz von Ourpower wird regionaler Strom aus erneuerbaren Energien gehandelt.

Gemeinschaftlich Ökostrom erzeugen und verkaufen – mit dieser Grundidee wurde im Oktober 2018 Ourpower als Marktplatz für regionalen Strom aus erneuerbarer Energie gegründet. Man will die Möglichkeiten der digitalen Vernetzung nutzen, um VerbraucherInnen stärkeram Energiemarkt zu beteiligen. StromverkäuferInnen und -käuferInnen, InvestorInnen und AnlagenbauerInnen sollen gemeinsam Verantwortung für die Neugestaltung des Strommarkts übernehmen – gewählt wurde dafür die Form der Europäischen Genossenschaft. Das bedeutet, dass die Genossenschaft Mitglieder in zumindest zwei EU-Mitgliedsstaaten hat. Ourpower wurde von BürgerInnen und Unternehmen aus Österreich und Deutschland gegründet. Es war die erste Genossenschaft dieser Art mit Sitz in Österreich.

Zum Ziel gesetzt hat man sich 1000 Mitglieder, über 10.000 MarktplatznutzerInnen und eine Investitionssumme von 900.000 Euro in drei Phasen. Geschafft hat man mit Stand Mai 2024 860 Mitglieder, die mehr als 840.000 Euro Genossenschaftskapital aufgebracht haben. Die Mitglieder der Genossenschaft bestimmen demokratisch nach dem Grundsatz »eine Person, eine Stimme« den Kurs des Unternehmens. Dabei sollen ökologische und soziale Ziele den gleichen Status haben wie finanzieller Erfolg.

Im Zentrum von Ourpower steht der Online-Marktplatz. Hier verkaufen ErzeugerInnen (derzeit über 300) den selbst produzierten Strom und die StromkundInnen (aktuell 1072) wählen in wenigen Klicks die ErzeugerInnen aus und bestimmen so, an wen das Stromgeld fließt. Der angebotene Strom ist zu 100 % Ökostrom, mit der Entscheidung für einen Anbieter entscheidet man oft auch die Art der Erzeugung: Sonne, Wind, Kleinwasserkraft oder Biomasse. Damit Versorgungssicherheit garantiert werden kann, muss ein Strommix aus zumindest zwei verschiedenen Erzeugungsarten gewählt werden. Die Zusammensetzung des Strompreises ist sowohl für KäuferInnen als auch VerkäuferInnen transparent. Auch Energiegemeinsschaften und Selbstversorger können die Infrastruktur von Ourpower nützen, um den von ihnen erzeugten Strom an die verbrauchenden Stellen zu liefern und sich schon beim errichten der Gemeinschaft beraten zu lassen. HANNA

OURPOWER
STUMMER ourpower.coop BILD DODOPHOTO/DOMINIK KOVACS, ANDREA ZOLTANETZKY 50 BIORAMA WIEN-BERLIN GENOSS i NNENSCHAFTEN

SCHICHT IN DER SUPERCOOP

Die Supercoop im Wedding bietet eine breite Produktpalette frisch, bio, regional zu erschwinglichen Preisen an.

Die pure Kraft der Natur erleben.

Auszeit in Bayerns Bergen.100% Bio.

Den Sommer im BIO HOTEL genießen und frische Energie in den Bergen tanken. Das können Naturliebhaber an einem besonderen Ort im Herzen der Ammergauer Alpen. Im familiengeführten moor&mehr Bio-Kurhotel wartet hier neben einer grandiosen Landschaft ein einzigartiges Highlight – Bergkiefern-Hochmoor – eines der hochwertigsten Naturheilmittel überhaupt.

10.000 Jahre alte Naturkraft erleben.

Spüren Sie die pure Kraft des Moores. Mit all seinen erstaunlichen Effekten. Die Heilwirkungen des Bergkiefern-Hochmoors aus Bad Kohlgrub sind durch Studien belegt. Im moor&mehr wird es bereits seit über 60 Jahren genutzt und anschließend wieder renaturiert. Im Einklang mit der Natur.

Naturoase vor der Türe. Für ein perfektes Rahmenprogramm sorgt die herrliche Umgebung im Naturpark Ammergauer Alpen. Auf 866m Seehöhe nden Gäste alle Möglichkeiten direkt vor der Türe. 500 Kilometer ausgewiesene Wanderwege, 26 verschiedene Bergtouren, unzählige Fahrradrouten für jedes Niveau, Kulturhighlights und einige der schönsten Badeseen in ganz Bayern warten.

100% Bio zerti ziert. Mit eigenem Biohof.

Im moor&mehr können Besucher auf langjährige Leidenschaft für Bio und zerti zierte Qualität vertrauen. Der klimapositive Betrieb ist bereits seit 1928 in Familienhand. Seit 2008 of zielles Mitglied der BIO HOTELS. Passend dazu ist auch der hauseigene Bio-Hof von Naturland ausgezeichnet.

THOMAS WEBER

Nicht immer muss die Welt neu erfunden werden. Dass das Geschäftsmodell der Supercoop funktioniert, war bereits mehrfach bewiesen. In New York City zählt die Park Slope Food Coop 17.000 Mitglieder, La Louve in Paris 7000 und die Bees Coop in Brüssel 2000. Bei der Berliner SuperCoop sind es dreieinhalb Jahre nach Gründung der Genossenschaft und zweieinhalb Jahre nach Eröffnung des Supermarkts 1500 Mitglieder. Die Idee: GenossenschafterInnen zahlen einmalig 100 Euro ein, werden dadurch zu MiteigentümerInnen, profitieren als KundInnen von den günstigeren Preisen für die 4000 verfügbaren Produkte, die dadurch möglich sind, weil nicht nur die Preisgestaltung transparent ist (mit einer fixen Marge von 23 Prozent), sondern sich auch jedes Mitglied drei Stunden im Monat als MitarbeiterIn engagiert. Dadurch reichen viereinhalb Vollzeitstellen, um den Laden mit seinen 700 Quadratmetern Verkaufsfläche am Laufen zu halten. Und die Ware ist im Schnitt 15 bis 30 Prozent günstiger als im Biomarkt. Das Sortiment besteht zum überwiegenden Teil aus Bioware. »Konventionelle Alternativen werden nur angeboten, wenn die Preisdifferenz zu biologischen Produkten zu hoch ist«, erklärt man auf der Website. Auch in die Entwicklung des Produktsortiments sind alle GenossenschafterInnen eingebunden. »Wir haben bislang in etwa 400.000 Euro investiert«, schätzt Johanna Kühner, Vorstandsmitglied, Gründerin und Teilzeitbeschäftigte der Supercoop. Den Start finanzierten die GLS Bank und die Regionalwert AG Berlin-Brandenburg. Um die Kredite zu bekommen, müssen sich alle GenossenschafterInnen verpflichten, zumindest drei Jahre dabei zu bleiben. Wer wegzieht oder aus anderen Gründen aussteigen möchte, kann seinen Anteil allerdings an ein anderes oder neues Mitglied übertragen. Um langfristig abgesichert agieren zu können, sucht man laufend zusätzliche MitstreiterInnen. Anfang des Sommers soll eine Startnext-Crowdfunding-Kampagne helfen, 350 neue Supercoop-GenossenschafterInnen zu gewinnen.

www.bio-kurhotel.de moor_und_mehr
SUPERCOOP
supercoop.de

Coole Gegenden: Friedhöfe in Wien

Auf Wiens Friedhöfen fühlen sich nicht nur Wildtiere wohl. Ihre Ruhe und Kühle wirken auch weit über die Friedhofsmauern hinaus – und verbessern das Klima in der Stadt.

Der Kreislauf des Lebens, kaum wo wird er uns derart bewusst wie auf Friedhöfen. Mittlerweile haben Friedhöfe aber nicht nur als Orte der Erinnerung Bedeutung. Welchen Einfluss sie gerade in Großstädten auf die Lebensqualität haben und wie wichtig sie für die Artenvielfalt sind, wird nun teilweise erforscht. Etwa vom Austrian Institute of Technology (AIT) im Auftrag der Friedhöfe Wien GmbH, die 46 städtische Friedhöfe und

Marianne Bügelmayer-Blaschek erforscht den Einfluss von Friedhöfen auf die Lebensqualität einer Stadt.

damit 1,2 Prozent der Gesamtfläche Wiens verwaltet. In einer Studie errechnete Marianne Bügelmayer-Blaschek, Senior Scientist am Center of Energy des AIT, unter Anwendung eines 3D-Modells und auf Basis von Daten der Universität für Bodenkultur (BOKU), wie Friedhöfe auf das Klima der Stadt wirken. Die Erkenntnisse: Ihr Einfluss ist enorm. Wenn es um die Anpassung an den Klimawandel geht, sind Friedhöfe als Grünräume

BILD MARTINA KONECNY, AIT_KRISCHANZ
»In unserem maximalen Szenario erreichen wir am Friedhof Meidling, bei dem ein Waldfriedhof möglich wäre, eine lokale Reduktion

der Lufttemperatur von bis zu 3 Grad Celsius zu Mittag.«

besonders relevant. Durch die Gestaltung eines Friedhofs lässt sich steuern, wie dieser auf seine Umgebung abstrahlt. Exemplarisch sah sich Bügelmayer-Blaschek zwei Wiener Friedhöfe an; den Friedhof Meidling und den Friedhof Sievering. Letzterer weist, nicht zuletzt aufgrund der vielen Gräber mit Deckplatten, eine große versiegelte Fläche auf. »Aufgrund der Wärmeeigenschaften des Betons und Steins erwärmt sich die darüber fließende Luft. Die erwärmte Luft wird mit dem Wind auf die Umgebung ausgebreitet«, sagt die Forscherin. Das heißt: An Hitzetagen trägt der Friedhof Sievering derzeit dazu bei, seine Umgebung zu wärmen. Das soll sich bald ändern, beispielsweise durch die Entsiegelung von Nebenwegen (Sand-Schotter-Gemisch statt Beton und Asphalt), Baumpflanzungen und durch Naturgräber. Die Friedhöfe Wien GmbH setzt bereits seit Jahren wertvolle Maßnahmen auf den von ihnen verwalteten Friedhöfen. Zudem sollten aber auch jene Menschen, die über eine Grabstelle verfügen, durch die Entfernung von Deckplatten auf Gräbern selbst zur Verbesserung beitragen. Alle, die sich für ein Grab auf einem städtischen Friedhof entscheiden, leisten grundsätzlich einen Beitrag zum Stadtklima. Welches Potenzial gegeben ist, ist bereits heute am Friedhof Meidling spür- und messbar. An heißen Sommertagen kühlt er seine Umgebung. »In den Simulationen haben wir gesehen, dass sich der Effekt in Windrichtung bis zu 100 Meter in die Umgebung ausbreitet«, sagt Bügelmayer-Blaschek. »Das hängt jedoch von der Bebauungsstruktur der Umgebung ab. Ist diese unbebaut, so kann sich die kühlere Luft ungehindert ausbreiten, sind jedoch große Gebäude vorhanden, breitet sich die Luft nur bis zu den Gebäuden aus.« Je mehr kühlende Maßnahmen auf einem Friedhof gesetzt werden, desto größer seine Wirkung. Wirksam ist z. B. die Errichtung von Waldfriedhöfen auf bestehenden Friedhofsflächen (wie am Friedhof Hernals, am Friedhof Neustift oder am Zentralfriedhof). Jeder Baum mehr spielt eine Rolle. »In unserem maximalen Szenario erreichen wir am Friedhof Meidling eine lokale Reduktion der Lufttemperatur von bis zu 3 Grad Celsius zu Mittag«, berichtet Bügelmayer-Blaschek. »Am Friedhof Sievering, der andere Bedingungen aufweist, kann die Mittagshitze lokal um bis zu 1,5 Grad Celsius reduziert werden.«

Wer sich auf Wiens Friedhöfen sichtbar wohlfühlt, sind

Wildtiere. Bedingt durch Ruhe, Dunkelheit und fehlende Hunde sind Rehe, Füchse, aber auch Feldhasen, Hamster, Waldohreulen, Spechte und viele andere Vögel auf Friedhöfen zuhause. Für viele, auch seltene Arten sind Friedhöfe mittlerweile ein wichtiger Lebensraum. Die Friedhofslandschaft ist strukturreich und naturnah. In der Bestattungsanlagenordnung der Friedhöfe Wien GmbH ist auch verfügt, dass keine synthetischen Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Gerade das Unsichtbare, Unterirdische hat hier enorme Bedeutung, wie Thomas Filek, Biologe der Universität Wien und Projektleiter von »BaF – Biodiversität am Friedhof« erklärt: »Friedhöfe unterscheiden sich von anderen Grünflächen dar Stadt durch die Beschaffenheit des Bodens. Das steckt schon im Namen: Beerdigung ist die Beisetzung in die Erde und diese ist wichtig für Flora und Fauna. Parklandschaften oder begrünte Innenhöfe liegen meist auf Betonuntergrund und der ist wiederum schlechter für die Umwelt. Achtet man auf Bodenlebewesen, so ist der Unterschied für Würmer, Insekten, Spinnentiere, aber auch Säugetiere wie Maulwurf, Feldhamster Mäuse und jegliche Tiere, die unterirdische Bauten benötigen, von Relevanz.«

Nachhaltigkeit bis zum Schluss mit der Freie-GrabstellenSuche: friedhoefewien.at/freie-grabstellensuche

Ein Star am Wiener Zentralfriedhof.
BILD FLORIAN IVANIC ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG DER FRIEDHÖFE WIEN

GRILL DICH GLÜCK LICH

OBEN:

AUF DEM GIPFEL DES GÜRTELS

Verlege im Sommer die Küche ins Freie und hol dir alles, was dein Bio-Herz begehrt, im ADAMAH BioKistl nach Hause. 100 % Bio, kompromisslos. An die Griller fertig los!! www.adamah.at/grillerei

Die große Zeit der Brunchbuffets scheint in Wien vorbei, im Oben gibt es ihn aber: den Sonntagsbrunch in zwei Timeslots, mit ziemlich großer Auswahl kleiner Gerichte. Von Vitello Tonato bis Köfte, rohem wie gegrilltem Gemüse über Salate, Aufstriche bis hin zum Kuchentisch: Da bemüht sich jemand. Sogar eine Pancake-Station wartet auf alle, die selber herumpatzen möchten. Für konstruktive Ideen wie die »Erbsenguacamole« gibt’s einen Nachhaltigkeitsbonus, ein transparenteres Ausweisen der Biogerichte am Buffet wäre trotzdem wünschenswert. Vielleicht akzeptieren die Gäste es sogar, wenn manche Speisen wie der lange Zeit obligatorische und in Bioqualität teure Räucherlachs aus dem Brunchangebot verschwindet. Der Ausblick von vielen Tischen ist bei Schönwetter (und Windstille) draußen, bei Schlechtwetter drinnen hinter den Glasfronten grandios. Durch den insgesamt begrenzten Platz gibt’s auch gar keine Möglichkeit, dass sich das Lokal zur Massenabfertigungsstation entwickelt. Ein vergleichbares Angebot sucht man zu dem Preis vergeblich. Das freundliche Team wirkt noch nicht ganz eingespielt, das Geschirr könnte noch etwas sauberer sein, alles in allem überwiegt die Freude, dass der Standort auf der Stadtbücherei nun endlich über ein würdiges Gastroangebot verfügt. Montag bis Samstag durchgehend warme Küche, wochentags gibt’s zusätzlich Mittagsmenüs. PS: Jeden Sommer gastiert auf der Terrasse auch das Kino am Dach – eine Empfehlung für alle, die wetterbedingte kurzfristige Ausfälle aushalten und dann auf einen Drink ins Oben ausweichen können.

oben.at

BILD BIORAMA
IRINA ZELEWITZ
Im »Oben – Küche und Bar« wird Bio mit Weitblick serviert.

SPECHT:

ANDERS ALT

Zwischen traditioneller Küche und neutralem Ambiente behauptet das Specht seinen Platz in der Wiener Innenstadt.

Seit dem elften Jahrhundert stehen die Gemäuer der ehemaligen Stadtmauer in der Wiener Bäckerstraße und mindestens mehrere Jahrhunderte beherbergt sie auch Gastronomie. Seit einer Weile zum Beispiel das Specht, das den Gästen Versatzstücke seiner Betriebsgeschichte auf der Website und Speisekarte erzählt. 2020 schließlich wurde das Lokal nicht nur unter der Leitung der Bauträger des Hauses saniert, sondern auch neu eröffnet und inzwischen auch biozertifiziert (In der Kategorie mindestens 30 Prozent).

Das Interieur, die Speisen, der Service: Hier geht’s klassisch zu, aber langweilen möchte man damit trotzdem nicht – und dieser Spagat gelingt souverän. Aus der traditionellen Wiener Küche kriegt man Kalbsschnitzel, Rindsbackerl oder Wildschweingulasch, Frittatensuppe und freilich Kaiserschmarren feilgeboten. Fast übertrieben hauchdünn geklopft ist das in Butterschmalz gebackene Schnitzerl – aber es hängt noch an einem großen Knochen und wird auf dem Holzbrett serviert. Gewöhnungsbedürftige Optik, überzeugend aber in der Handhabung. Apropos Schnitzel: Fleischfrei zu essen ist hier möglich, anderswo aber einfacher. Die saisonalen Menüs – auf Wunsch mit Weinbegleitung – sind verspielter als die vermutlich mit Blick auf Besuche-

rInnen der Stadt verfasste Karte voller Klassiker. Die Spargelcremesuppe erlaubt sich eine überdurchschnittliche Säure, das Goldrübencarapaccio vereint neben den Rüben die saisonal hier beliebten Spargelfäden, Pinienkerne, Wildkräuter und fruchtige Himbeeren, und das das Filet vom Stör wird durch um Spargel, Buttermilch oder auch Fenchel erweitert. Der Biomilchkalbsrücken auf cremig-intensivem Jus wird von nicht minder deftigem Bärlaucherdäpfelpürree und Karfiol begleitet. Der Kaiserschmarren (mit Apfelmus statt Zwetschgenröster) überzeugt in jeder Hinsicht, das Handwerk hat man hier insgesamt im Griff. Die reduzierte Weinkarte mit Fokus auf Wien und Niederösterreich könnte wirklich leicht noch mehr Bioweine enthalten, ansonsten ist sie klassisch, mit etwas Persönlichkeit, aber niemand könnte besondere Experimentierfreude unterstellen.

Die Portionen sind dem Lokaltyp angepasst eher klein, die Preise gehoben. Die Balance zwischen den Erwartungen an ein touristisch orientiertes Lokal in der Innenstadt und Eigenständigkeit gelingt.

MARTIN MÜHL specht-lokal.at

BILD BIORAMA
55 BIORAMA WIEN-BERLIN AUSWÄRTS ESSEN

WO FAMILIEN UND FIRMEN FEIERN

Wo der Wurstelprater langsam in den Grünen Prater übergeht, strahlt Kolariks Luftburg als ein Leuchtturm der Biobewegung weit über Wien hinaus.

Irgendwer feiert immer. Zumindest wer wochentags in Kolariks Luftburg essen geht, wird in irgendeinem Winkel oder Separee des weitläufigen Lokals fast immer auch eine Gruppe von beruflich verbundenen Menschen antreffen, die hier gemeinsam essen, trinken, feierlich den Abend ausklingen lassen. Dementsprechend bierselig geht es mitunter zu. Aber für ein romantisches Date verirrt man sich wohl ohnehin nur mit besonderen Vorlieben in den Prater. Bei 1200 Sitzplätzen (teilweise indoor, teilweise im Biergarten) schluckt der Lärmpegel einiges. Bei meinem bislang letzten Besuch an einem Samstagabend im April war es eine Hundertschaft internationaler ÄrztInnen, die sich nach einem Kongresstag Stelzen (Haxe/ Eisbein, Anm.), Schnitzel und das eine oder andere Bier servieren ließ. Ich selbst, Stammgast, hatte spontan einen – wie man früher sagte –Geschäftsfreund hergelotst: Manuel Pick, der von Sachsen aus die deutsche Bio branche berät und privat in der Stadt war. Spätestens seit

das Lokal 2023 von der EU mit dem »Organic Award« als »bestes Biorestaurant« ausgezeichnet wurde, muss man hier als Wien-BesucherIn einfach gewesen sein; zumindest wenn man sich für traditionelle Wiener Küche interessiert und auf hochwertige Biolebensmittel Wert legt. Für einen Bioberater ist es also ein Muss, hier gegessen zu haben. Reservierung hatten wir keine (wäre aber empfohlen), ein Platz im Wintergarten fand sich trotzdem.

IN NEUN BIEREN DURCH ÖSTERREICH

Kaum beginnt man die Karte zu studieren, wird bereits das Bier serviert (Manuel Pick: »Man merkt gleich, die haben den Laden im Griff!«). Es ist die erste Saison, in der hier u. a. Biostoff, das neue Biobier von Gösser (Heineken-Konzern) ausgeschenkt wird, ein süffiges Lagerbier. Unser zweites Bier wird trotzdem ein Ottakringer Bio-Zwickl (Kellerbier). Man könnte sich hier durchs ganze Land kosten, denn auf der Karte werden Biobiere aus allen neun Bun-

BILD PHILIPP LIPIARSKI
KOLARIKS LUFTBURG
BIORAMA WIEN–BERLIN AUSWÄRTS ESSEN

desländern ausgelobt. Nach dem Ausflug ins steirische Göss bleiben wir aber in Wien-Ottakring. Ich kenne einen beträchtlichen Teil der Karte – vom Schnitzel über den Altwiener Backhendlsalat bis zum Tofu auf Ofengemüse, habe hier auch schon Cevapcici vom Nachbarteller gekostet und von Kindertellern stibitzt: vom »Knödelfuchs« (Geröstete Knödel mit Ei; veggie) oder »Drachenfleckerln« (Farfalle mit karamellisiertem Weißkraut; vegan). Und ich habe in der Luftburg noch nichts serviert bekommen, das ich nicht wiederbestellen würde. Klar ist auch: Die Luftburg ist nichts für alle Tage: Die Kategorie »leichte Küche« ist eher schwach vertreten. Allzu viele Experimente lässt der Massengeschmack, an dem sich die Betreiberfamilie Kolarik hier offensichtlich orientiert, nicht zu. Auch wenn die Portionen wohltuend bewältigbar sind: Für überzeugte FlexitarierInnen ist das Angebot immer noch unverschämt fleischlastig. Die Karte bietet zwar auch ganz anderes, doch wer auf die Tische rundum blickt, wird mit den harten Fakten konfrontiert: In Kolariks Luftburg kommt man mehrheitlich, um Fleisch zu essen – und das gilt auch für mich (weil ich es hier guten Gewissens tun kann).

Vieles ist gebacken und paniert. Auch die »Ikapiri Stelze«, die man zu mehrt isst, hat mich bereits überzeugt: eine knusprig gegrillte Surstelze mit asiatischer Ikapiri-Sauce glasiert, Gurkensalat Tsukemono, Teriyaki Sauce und milden, eingelegten roten Zwiebeln. Heute Abend aber bleiben wir klassisch.

BIO IN EINER NEUEN DIMENSION

Zwei Portionen Stelze mit Dukatenerdäpfeln und der Flammkuchen mit Feta, Walnüssen und Vogerlsalat werden rasch gebracht. Die Stelze ist gewohnt knusprig, schmeckt intensiv (aber nicht schweinelnd) nach Fleisch. Das Fleisch ist dunkelrot, zart, wunderbar. Auch die Gäste aus Deutschland sind angetan: »Bio in dieser Güte und auch mal in der Dimension zu erleben macht Spaß, weil es zeigt, dass eine leistungsfähige Versorgung mit hochwertigen Bioprodukten möglich und Bio eben kein Rand-Phänomen ist«, schreibt mir Manuel Pick ein paar Tage nach seinem Wienbesuch. Dass hinter dem Lokal die alteingesessene Prater-Familie Kolarik steckt, die das Vergnügungsviertel bereits seit mehr als 100 Jahren

prägt und deren Mitglieder neben dem Restaurant »Luftburg« auch noch einen Luftburgenverleih beziehungsweise ein anderer Zweig der Familie auch das nahegelegene, nicht biozertifizierte, »Schweizerhaus« betreiben, habe ich ihm noch mit vollem Mund erzählt. Auch, dass es mit ein Verdienst eines Förderprogrammes der Stadt Wien für ein nachhaltiges Speiseund Getränkeangebot ist, dass die Luftburg seit 2021 100 Prozent biozertifiziert ist. Manuel hat sich weiter schlau gemacht, nachgedacht und schreibt: »Es braucht den Mut und Willen einer ambitionierten und professionellen GastgeberInnen-Familie und die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen, um zukunftsfähigere Versorgungskonzepte aus der Randständigkeit zu holen und vorwärts zu bringen. Soll heißen: neben den wunderbaren kleineren GastronomInnen, die – vor allem in Österreich – schon den Schritt zur Umstellung oder Teil-Umstellung gegangen sind, zeigt die Familie Kolarik, dass auch größere Versorgungsstrukturen umstellen können, ohne die Kernqualitäten und Werte von Bio zu korrumpieren.« Oder, wie Betreiber Paul Kolarik in der Zeitschrift »Landwirt« meinte: »Bio ist für mich das größte Versprechen, das derzeit zertifiziert werden kann, der Goldstandard der Lebensmittelerzeugung.«

Mit 1200 Sitzplätzen das weltgrößte zu 100% biozertifizierte Restaurant: Kolariks Luftburg im Wiener Prater. Oben im Bild und begeistert: Testesser Manuel Pick, Bioberater, mit Stelze.

BILD BIORAMA / THOMAS WEBER, DERENKO
THOMAS WEBER
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MEINE STADT: BERLIN

LIEBLINGSPLÄTZE UND ECO-HOTSPOTS

TEXT

Beate Kroissenbrunner

Beate Kroissenbrunner

Die Exilsteirerin lebt seit über 20 Jahren in Berlin/Prenzlauer Berg. Die freiberufliche Marketing- und Kommunikationsfachfrau schätzt die Vorzüge der Großstadt, ihre große Liebe zur Natur treibt sie jedoch regelmäßig ins Grüne – an Orte, die mit den Öffis und zu Fuß gut erreichbar, aber nicht zu überlaufen sind.

Ihr Herz schlägt für gesellschaftspolitische Themen, Gemeinwohlökonomie und Veganismus. Themen, für die sie auch gerne jederzeit auf die Straße geht.

1. TIERGARTEN

Mit meinem Hund Karl bin ich immer wieder auf der Suche nach Freilaufplätzen und Orten jenseits des Trubels. Einer meiner absoluten Lieblingsorte in Berlin ist der Tiergarten. Der weitläufige Park ist aus verschiedenen Ecken der Stadt easy zu erreichen und auch eine ideale Joggingstrecke. Mein Tipp: am Hauptbahnhof den Ausgang Kanzleramt nehmen, über die Brücke Richtung HKW und von dort direkt in den Park.

2. VINTAGE SOUND

Allen Jazz-LiebhaberInnen kann ich wärmstens die wunderbare Bar Rhinoçéros in der Rhinowerstrasse am Prenzlauer Berg empfehlen, wo regelmäßig kleine (Live-)Musikevents und Listening Sessions veranstaltet werden, oder man auch einfach nur ein schönes Glas Demeter-Wein trinken kann. Auch wenn die Bar als solche keinen Bioschwerpunkt und keine Zertifizierung hat – in der Getränkekarte finden sich immerhin einige Bio- und Demeter-Weine.

58 BIORAMA WIEN-BERLIN MEINE STADT

3. ÖKOMARKT AM KOLLWITZPLATZ

Jeden Donnerstag findet von 12–19 Uhr am Kollwitzplatz (Wörther Straße 35) der Ökomarkt statt. Auf dem gemütlichen und übersichtliche Markt findet man frische Bioprodukte von regionalen Bäuerinnen und Bauern und Verarbeitungsbetrieben. Ich mag den unaufgeregten Vibe vor Ort –einen kleine Oase inmitten der Großstadthektik.

4. FLOHMARKT ARKONAPLATZ

Den Flohmarkt am Arkonaplatz kenne ich seit über 20 Jahren und er ist immer noch einer meiner Lieblingsflohmärkte der Stadt. Gut sortiert und weniger stark frequentiert als Mauerpark & Co. findet man hier alles, was das Herz begehrt. Wer selbst verkaufen möchte, muss lang im Voraus planen oder Glück haben – die Stände sind heiß begehrt.

5. FREILUFTKINO HASENHEIDE

Eines der schönsten Freiluftkinos in Berlin findet man im Volkspark Hasenheide in Neukölln. Das Kino liegt idyllisch mitten im Park und zeichnet sich neben der Filmauswahl (Das Freiluftkino gehört zum Hackesche-Höfe-Kino) durch eine umweltschonende Bauweise aus.

BILD OLLIE G. TOMLINSON / RHINOCEROS, CARSTEN KOFALK, BEATE KROISSENBRUNNER, OEKOMARKT_GRUENELIGA, ISTOCK / HANOHIKI 59

NEU ODER NOCH GUT

Empfehlungen, Warnungen, warnende Empfehlungen. Von Neuentdeckungen und alten Perlen. Auf dass uns weghören und -sehen vergeht.

KATJA DIEHL / »RAUS AUS DER AUTOKRATIE« / S. Fischer, 2024.

Vorgelesen für alle, die mehr über Katja Diehls Sicht auf die Mobilitätswende wissen möchten.

Katja Diehl ist Expertin für Verkehr und eine der lautesten und wohl auch versiertesten Stimmen für die Mobilitätswende. Sie hält Vorträge, ist online aktiv, macht einen Podcast (»She drives mobility«). Mit »Raus aus der Autokratie« erscheint nun ihr zweites Buch. Sie spricht darin viele wichtige und richtige Punkte an: dass die Dominanz des Autos auch ohne Klimawandel ein großes Problem wäre, dass diese letztlich undemokatrisch ist, (soziales) Ungleichgewicht verstärkt und dass die unverständlicherweise immer noch oft zitierte individuelle Freiheit durch das Automobil für all zu viele das Gegenteil von Freiheit bedeutet. Thematisiert werden auch die Nähe vor allem der deutschen Autoindustrie zur Politik und die negativen Auswirkungen davon auf mindestens Europa. Wie auch die aus den USA importierte autozentrierte Vision einer besser Zukunft aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, die sich klar als Irrtum und Fehleinschätzung erwiesen hat. Wiederkehrende Grundbotschaften, denen man kaum widersprechen kann.

Dafür muss man einiges an Einleitung zum Warum dieses Buches und zur Beschäftigung der Autorin mit dem Thema Mobilität im Allgemeinen überwinden. Dann beschreibt Katja Diehl thematisch sortiert, woran es ihrer Meinung nach liegt, dass so wenig passiert und ist bemüht, strukturelle Zusammenhänge zu beschreiben. Am schlechtesten strukturiert ist leider gerade das letzte Kapitel über Beispiele, in denen »Gestalter:innen« konkret versuchen, es anders zu

machen. Studien und wissenschaftliche Forschung bekommen überraschend wenig Raum und so manch Aussage der Autorin bleibt so Annahme oder Glaubenssatz. In »Raus aus der Autokratie – Rein in die Mobilität von morgen« vermischen sich Argumente, Hintergründe und persönliche Betroffenheit, die konkreten Punkte wechseln in den Kapiteln eher wild. Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass AktivistInnen wie Katja Diehl persönlich angegriffen und bedroht werden – welchen Raum ihr Umgang damit in einem Buch bekommen kann, ohne dass ein Sachbuch zur Erzählung wird, ist schwer zu beantworten. Als Buch ist »Raus aus der Autokratie« nur bedingt empfehlenswert. MARTIN MÜHL

REINHARD SEISS / »DER AUTOMOBILE MENSCH« /Urban+, 2024.

DER

AUTOMOBILE

MENSCH

Angesehen für Fans der Mobilitätswende ohne Scheu vor unzulässigen Verkürzungen.

Reinhard Seiß wollte in seinem neuen Film Fachbegriffe vermeiden und in leicht verständlicher Sprache einen Blick auf die mit nicht genug Nachdruck verfolgte Verkehrswende werfen. Das ist ihm gelungen. Leider ist ihm der Film sonst eher entglitten. Verantwortlich dafür sind nicht nur die fast sechs Stunden, die der Film auf DVD an Laufzeit aufweist und die für Aufführungen zu unterschiedlichen kürzeren Fassungen zusammengeschnitten werden, indem Teile der 52 Kapitel ausgewählt werden. Dabei ist die thematische Aufbereitung so eintönig wie die Bebilderung. Die

BILD S. FISCHER, URBAN PLUS, BLINKLICHT MEDIA LAB
Irrwege einer Gesellschaft und mögliche Auswege Ein Film von Reinhard Seiß DREHBUCH UND REGIE: REINHARD SEISS KAMERA UND SCHNITT: DAVID MAN SPRECHER: CHRISTIAN SPRINGER MUSIK: VERONIKA SEISS, MARCO ANNAU PRODUKTION: WWW.URBANPLUS.AT
62 BIORAMA WIEN-BERLIN REZENSION

Bemühen um Zugänglichkeit führen zu übermäßiger Verkürzung bis zur Fehlinformation und der Suggestion falscher Zusammenhänge. Seiß hat den bayrischen Kabarettisten Christian Springer engagiert, der in saloppem Ton die Schweiz und ihre Bahn, Bremen oder auch die autofreie ostfriesische Insel Langeoog lobt und den meisten anderen Beispielen anekdotisch schlechte Noten ausstellt. ExpertInnen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland kommen kurz zu Wort, dabei fehlen allerdings erzählerischer Bogen oder eine Einordnung der Wortmeldungen. Der verdiente Stadtplaner, Lehrende, Publizist und Filmemacher Seiß hat schon manch interessanten Beitrag zu Verkehr, Stadtplanung oder auch Bauwesen veröffentlicht, »Der automobile Mensch – Irrwege einer Gesellschaft und mögliche Auswege« gehört nicht dazu..

ERNST SCHMIEDERER (HG.) / »ETWAS TUN FÜRS KLIMA« /BLINKLICHT MEDIA LAB, 2024.

Vorgelesen für jene, die Einblicke in die Bandbreite der VerbessererInnen schätzen.

Wenn einen das Gefühl beschleicht, letztlich sind sich die Klimaschutzbewegten doch alle zu ähnlich – und die eher gleichgültig bis abwartend Gegenüberstehenden auch, die Fronten sind verhärtet, da ist kaum Bewegung in der Sache, dann hilft dieses Buch. Die zu »Etwas tun fürs Klima. Die vielen Stimmen einer Stadt.« zusammengefassten Essays und Zitate erinnern daran, dass es doch recht unterschiedliche Sichtweisen auf den Klimawandel gibt, die sich aber nicht nur im Ziel Nachhaltigkeitswende, sondern auch im Weg dorthin ähneln. Die biographischen Skizzen der Fraktion, die bei den ersten war und an die Kinder denkt, sind recht stark vertreten – großartig unterbrochen zum Beispiel durch angenehm wenig redigierte Gedanken von SchülerInnen oder auch Beiträge voller klimaschutzrelevanter Fakten. IRINA

BBNO$

Beth McCarthy

Bombay Bicycle Club

Calexico

Cari Cari

Dragonforce

Fink

Gayle

Kaffkiez

Klangkarussell

Mine

Molden&Seiler feat. das Frauenorchester

Sampagne

Steel Pulse

Testament

Tones And I

Tony Ann

Waxahatchee

Anda Morts

Anna St. Louis

Baiba

Betterov

Bipolar Feminin

Brant Bjork

Cousines Like Shit

DJ Krush

DŸSE

Earth Tongue

Fjørt

Havok

Heckspoiler Ja, Panik

Tagebuchslam Telquist

Warning Timber Timbre Uche Yara Wiegedood + Viele mehr!

Public Viewing: EURO 2024

Special: Skate Jam Fußballturnier Street Food Markt

Jede Woche: DJ

Open Air Kino

Poolquiz

Timetable:

Tschüss

Resi Reiner

Say Yes Dog

Sirens of Lesbos

Sound@V Stefanie Sargnagel Sylosis

ZELEWITZ
>> 04.07. - 11.08.2024 >> Feldkirch, Vorarlberg >> poolbar.at >>
Altes Hallenbad & Reichenfeld
(Poolbar Generator), AKM, SKE, FAMA
Gefördert von Stadt Feldkirch, Land Vorarlberg und BMKOES.Kunst&Kultur. Stadt Hohenems
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Fiio
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Milliarden Nand - - - - - - - - - -Nekrogoblikon Nnella
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Ok.Danke.
Orbit - - - - - - - - - - -
Jeanny Julia Alexa
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UND SONST SO, IM BIORAMAUNIVERSUM

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IMMER AKTUELL

Das Vorbilderbuch über Ruth Klüger.

Das Leben der 1931 in Wien geborenen, von den Nazis ins KZ verschleppten und 2020 in den USA verstorbenen Literaturwissenschafterin und Dichterin Ruth Klüger soll in Erinnerung bleiben. Die Edition BIORAMA erzählt in einem Kinderbuch vom Leben einer beeindruckenden Frau. »Die Geschichte von Ruth Klüger – Wie ein kleines Mädchen mit Glück und Gedichten am Leben blieb« bildet den Auftakt zur Beschäftigung mit vorbildhaften Menschen und Geschichten in Buchform.

edition.biorama.eu

3 AUSGABEN

BIORAMA IM KURZ-ABO

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biorama.eu/abo

Podcast-Reihe Stadtlandwirtschaft in Wien

In fünf neuen, abermals von Biorama gestalteten Folgen widmet sich der Podcast der Stadt Wien den landwirtschaftlichen Erzeugnissen der Stadt und der Frage, was den »Wiener Gusto« ausmacht. Bevor die Gespräche mit ProduzentInnen, ErnährungsexpertInnen und urbanen VordenkerInnen im Sommer online gehen, laden die insgesamt zehn Folgen von Staffel 1 und Staffel 2 zum Nachhören ein. Zu finden überall, wo es Podcasts gibt, und unter buzzsprout.com/1162916

BILD CHRISTOPH ADAMEK
10,–
ENTGELTLICHE KOOPERATION MIT DER STADT WIEN EDITION BIORAMA AUDIO
ABO 64 BIORAMA WIEN-BERLIN AUS DEM VERLAG

TEXT Ursel Nendzig

DIE GEHFOLTERTEN

Fernsehverbot als strengste Maßnahme im Katalog? Wir gehen einen, nein, viele Schritte weiter.

Bestrafungen sind der verzwickteste Teil am Elternalltag. Ich selber habe den Dreh dabei nie rausbekommen, finde Bestrafungen nicht nur sinnlos, sondern auch uneffektiv. Fernsehverbot beispielsweise: sehr beliebt, bestraft aber nur die Eltern. Sie sind es schließlich, die dann ein alternatives Programm aus dem Ärmel ziehen müssen, Mensch-ärgere-dich-nicht etwa, bei dem sie dann aber auf keinen Fall gewinnen dürfen, denn man möchte ja, dass die Kinder an Gesellschaftsspielen Freude haben. Man bestraft sie also mit etwas, woran sie Freude haben sollen? Wie gesagt, ich habe den Dreh nicht raus. Schon allein deshalb, weil ich es würdelos finde, bei einem Spiel, das zu zwei Dritteln durch reines Glück entschieden wird, absichtlich zu verlieren. »Ach, Mist, jetzt habe ich ganz übersehen, dass ich dich hätte rauswerfen können.«

euphorisch die gute Luftqualität, die Schönheit der Blümchen am Wegesrand oder kommentiere neue bauliche Maßnahmen in der Nachbarschaft. Zweitens: Der Spaziergang muss ziellos bleiben. Ein Fußweg mit Ziel kann niemals eine Gehfolter sein. Kinder und Jugendliche erkennen sofort, wenn Zufußgehen sinnvoll ist. Destinationen wie Spielplätze, Gewässer jeder Art oder gar Eisgeschäfte sind unbedingt zu vermeiden.

Drittens: Sorge dafür, von anderen gesehen zu werden. Kinder werden sich zurückfallen lassen, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen, als Faustegel gilt: pro Lebensjahr zehn

»Auch ohne Bestrafung gibt es Möglichkeiten, Kindern so richtig auf den Sack zu gehen.«

Autorin Ursel Nendzig, Mutter zweier Söhne, berichtet live aus der Achterbahn.

Auch ohne Bestrafung gibt es Möglichkeiten, Kindern so richtig auf den Sack zu gehen. Wer das möchte, der spricht kein Fernsehverbot aus, der zwingt sie zu einem Spaziergang. Die sogenannte Gehfolter. Gehen ist für Kinder reines Kryptonit, in all den Jahren, in denen ich Zeuge es Schauspiels von Familien auf Spaziergängen werden durfte, wurde ich immer wieder darin bestätigt: Es zermürbt sie. Vor allem, wenn ein paar grundlegende Regeln des Gehfolterns beachtet werden. Erstens: Halte die elterliche gute Laune durch. Dies ist von äußerster Wichtigkeit. Ja, zielloses Spazierengehen ist auch für Erwachsene langweilig. Betone dennoch

Meter. Das gilt es gekonnt zu ignorieren. Die Route sollte so gelegt werden, dass die Wahrscheinlichkeit, Bekannte zu treffen, möglichst hoch ist. Sie können sich sicher sein, dass vor allem ältere Menschen den Abstand zwischen Eltern und Kindern lautstark kommentieren werden. Es erhöht die Effizienz der Gehfolter stark.

Viertens: Beende den Spaziergang, bevor die Kinder Spaß am Gehfoltertwerden finden. Das ist ein wichtiger Punkt. Egal, wie stark ihr innerer Protest ist, an einem gewissen Punkt wird das Gehen seine wohltuende Wirkung entfalten und ihnen gefallen. Das ist unbedingt zu vermeiden, sonst ist die Gehfolter als erzieherische Maßnahme für immer verloren und Kinder befinden sich auf dem unumkehrbaren Weg von den Gehfolterten zu den Gehliebenden.

ILLUSTRATION NANA MANDL
66 BIORAMA WIEN-BERLIN ELTERNALLTAG

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Wir feiern den Plan bi für unseren Planeten.

Die Natur hat so viel Gutes für unsere Pflege. Pflegen wir doch auch einen guten Umgang mit ihr. Denn es gibt keinen Planeten B, aber einen Plan bi: Zertifiziert zu halten, was die Natur verspricht. Das tun wir seit 10 Jahren.

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