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Schutzwesten für Einsatzkräfte: Gerüstet gegen Messer und Projektile

Gerüstet gegen Messer und Projektile

Seit der Respekt für Blaulichtkräfte schwindet, steigt die Zahl der «dynamischen Risiko-Einsätze» bei denen Einsatzkräfte unvorhergesehen in bedrohliche Lagen geraten. Schutzwesten sind dann mehr als nützlich. Zahlreiche BORS-Institutionen vertrauen dabei auf Produkte des belgischen Herstellers Seyntex N.V.

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Wäre der Anlass nicht derart negativ behaftet, Armin Landolt, Gründer und Inhaber der ActionSport Landolt AG mit Sitz in Matten bei Interlaken, könnte frohlocken. Er importiert seit 2017 speziell für ihn im Auftrag von Schweizer Blaulichtinstitutionen konzipierte Unterziehschutzwesten des belgischen Herstellers Seyntex N.V. – und das Geschäft brummt, wie Landolt sagt: «Natürlich finde ich es persönlich unerfreulich, ja geradezu unerhört, dass immer mehr Behörden und Organisationen für Rettung, Schutz und Sicherheit (BORS) Schutzwesten anschaffen müssen, um ihre Einsatzkräfte zu schützen. Andererseits ist es aber natürlich erfreulich für uns, dass zahlreiche Schweizer BORSInstitutionen auf die von uns importierten Produkte von Seyntex vertrauen.» Laut Christoph Gilgen, Verkaufsleiter der ActionSport Landolt AG, stehen SeyntexWesten bereits bei den Kantonspolizeien von Bern, Zürich, Freiburg und Schaffhausen, bei den Stadtpolizeien von Winterthur, Baden und Dübendorf, bei der Polizei Region Pfäffikon (ehemals Gemeindepolizeiverbund FehraltorfRussikonPfäffikon), dem Ortspolizeidienst der Stadt Biel, dem Polizeiinspektorat von Bern, dem Rettungsdienst von Schutz und Rettung Zürich sowie bei diversen privaten Sicherheitsunternehmen im Einsatz.

Individuell komponierter Schutz

Angeboten werden die SeyntexSchutzwesten aktuell in drei Versionen: erstens als Kombiweste mit Stichschutz der Schutzklasse K1 sowie mit Ballistikschutz der Klasse «VPAM 3». Zweitens als trennbare Ausführung mit denselben beiden Schutzklassen. Drittens als Kombiversion, die zusätzlich auch gegen Angriffe mit dornartigen Waffen nach Klasse «D1» schützt (mehr zu den Klassierungen in der Infobox). Hergestellt und entwickelt werden die Westen von der in Aalter, Belgien, ansässigen Firma Seyntex. Diese wurde 1908 gegründet, beschäftigt weltweit rund 1.200 Mitarbeitende und produziert seit mehr als 100 Jahren Textilprodukte für Anwender aus den Bereichen Militär, Polizei, Schutz und Rettung sowie Feuerwehr – vom Militärsocken über Warnkleidung und Rucksäcke bis zu Zelten, Tarnnetzen, ABCSchutzanzügen und eben auch Schutzwesten. Für diese vertraut der Hersteller, der im Bereich Weichballistik auf mehr als 50 Jahre Erfahrung zurückblickt, auf bewährte Spezialgewebe renommierter Hersteller wie DuPont (Kevlar, Nomex) sowie auf moderne Kunststoffe. «Die langjährige Erfahrung und eigene Ballistik sowie Forschungslabors verhelfen Seyntex zu entscheidenden Vorsprüngen», erklärt Gilgen. «Beispielsweise wiegen die von uns importierten Schutzwesten, die eine entscheidend verbesserte Weiterentwicklung des „Columbus”Systems von Seyntex darstellen, in Grösse L nur knapp drei Kilogramm, sind also sehr leicht. Zudem sind sie dünn, äusserst flexibel und daher besonders angenehm zu tragen – und vergleichsweise dezent. Überdies können wir sie als UnisexModell anbieten, welches dank 27 lieferbaren Grössenvarianten Frauen wie Männern gleichermassen gut passt und die Institutionen bei der Logistik nachhaltig entlastet. Nichtsdestotrotz bieten die Westen – das haben die von der Prüfstelle von armasuisse nach den aktuellen VPAMNormen durchgeführten Tests belegt – eine überragende Schutzwirkung. Die ermittelten TraumaWerte lagen samt und sonders markant unterhalb der zulässigen Grenzwerte.»

Ein weiterer Vorteil, erläutert Gilgen, sei die hohe Fertigungstiefe von Hersteller Seyntex. Die Belgier betreiben eigene Anlagen zum Weben, Stricken, Färben, Ausrüsten, Beschichten, Bedrucken und Endfertigen der Schutzwesten. So können diese nicht nur hinsichtlich Schutzwirkung und Schutzklassen korpsspezifisch geordert werden, sondern auch mit perfekt passenden Aussentragehüllen (bei 40 Grad maschinenwaschbar und schnell trocknend) im individuellen Corporate Design des jeweiligen Korps. Bei der Berner Polizei beispielsweise ist die Überziehhülle Bestandteil der eigentlichen Uniform. Laut Christoph Gilgen erhalten die Anwender also «eine innen wie aussen auf ihre spezifischen Wünsche massgeschneiderte Lösung – aus einer Hand».

Mehr Informationen gibt s bei der Action Sport Landolt AG, 3800 Matten b. Interlaken, Tel. 033 821 10 01 behoerden@aslag.com www.aslag.com

» Die Kantonspolizei Zürich rüstet ihre Mitarbeitenden mit diesen optisch dezenten Schutzwesten aus. Diese werden über der Basisuniform getragen und können entsprechend schnell an- und abgelegt werden.

Info

Aufbau und Schutzklassen moderner Schutzwesten

Moderne Schutzwesten werden modular konzipiert und sind als stichhemmende, stichsichere und schusssichere (Ballistikschutz) Varianten erhältlich, wahlweise als Überzieh- oder Unterziehversionen und teils mit unterschiedlichen Schnitten für Männer und Frauen oder als Unisex-Modelle. Anders als früher sind die Westen dünn und leicht – und sehen vergleichsweise dezent aus.

Stichschutzwesten

Stichsichere Westen werden in drei normierten Schutzklassen angeboten: Westen der Schutzklasse «K» schützen gegen Schnitt- und Stichattacken mit Klingen, etwa Küchen-, Taschen- oder Kampfmessern. Die maximale Stichenergie, welche die Weste dabei abzuhalten vermag, wird mit Zahlen (1 bis 4) angegeben (K1 = bis 25 Joule; K2 = bis 40 Joule; K3 = bis 65 Joule; K4 = mindestens 65 Joule). Westen der Schutzklasse «I» bieten Schutz gegen gefährliche Gegenstände mit scharfer Spitze wie Spritzen, Nägel oder Nadeln. Westen der Schutzklasse «D» schützen gegen dornartige Gegenstände mit sehr dünnen Spitzen, etwa angespitzte Schraubendreher, angeschliffene Velospeichen, Eispickel oder Stichahlen.

Ballistik-Westen

Sogenannte schusssichere Westen bieten Schutz gegen Projektile aus Feuerwaffen, wobei Anwender ausserhalb des militärischen oder SondereinsatzkommandoBereichs in aller Regel auf die Schutzklasse «VPAM 3» («B2» nach der europäischen Norm EN 1522 / EN 1063) vertrauen. Westen dieser Norm halten aus (Maschinen-) Pistolen abgefeuerte Projektile des Kalibers 9 x 19 mm (9 mm Parabellum, 9 mm Luger) ab. In der Schweiz wird häufig der Zusatz «PP41» angegeben, um zu verdeutlichen, dass die entsprechend zertifizierte Weste bei entsprechenden Tests von armasuisse auch einem Beschuss mit der stark geladenen Standardpatrone der Schweizer Armee «Pistolen Patrone 41» (PistPat41, PP41) standhält –sogar bei aufgesetzten Schüssen.

KOMMENTAR

Es ist inakzeptabel, wenn Retter angegriffen werden

Schutz & Rettung Zürich rüstete seine rund 370 Mitarbeitenden bereits 2019 mit Schutzwesten aus. Dies, weil die Einsatzstatistik 2018 offenbarte, dass es bei rund 300 der im Jahresverlauf geleisteten gut 38.000 Einsätze zu brenzligen Situationen gekommen war. Zwar blieb es bei den meisten der 300 Fälle bei vorwiegend verbaler Gewalt, doch bei etlichen Einsätzen wurden die Rettungskräfte auch effektiv körperlich bedroht und angegriffen.

Generell zeigt sich, dass Einsatzkräfte insbesondere dann mit Drohungen, Übergriffen oder Gewalt konfrontiert sind, wenn Alkohol und Drogen im Spiel sind oder gruppendynamische Prozesse zur Eskalation einer Situation beitragen. Die Aggressionen haben dabei mehrere Wurzeln. Einerseits gehen sie von Aussenstehenden aus, andererseits aber auch von den in Not befindlichen Menschen (Patienten), denen die Retter eigentlich zu helfen versuchen.

Mangelnder Respekt gegenüber Einsatzkräften ist dabei kein lokales Problem von Zürich, sondern ein landesweites Phänomen, das auch in Bern, Basel, Luzern, Lugano, Schaffhausen oder im Bündner Land auftritt – in zunehmender Häufigkeit und Intensität. Dennoch verzichten bis dato noch immer viele Rettungsdienste, insbesondere jene in eher ländlichen Regionen, darauf, ihre Mitarbeitenden mit Schutzwesten auszurüsten. Sie empfehlen stattdessen, die Einsatzkräfte sollten sich «bei drohender Eskalation einer Einsatzlage zurückziehen» – und verweisen meist darauf, bei Übergriffen handle es sich «in der Regel um Einzelfälle».

Dazu sei gesagt: Es nützt einer Person nichts, zu wissen, dass sie ein «bedauerliches Einzelschicksal» erlitten hat, wenn sie im Einsatz Opfer von Gewalt geworden ist – mit unter Umständen lebenslangen Folgen, so sie die Attacke überhaupt überlebt hat. Auch ist es schlicht nicht hinnehmbar, dass Einsatzkräfte nicht helfen können, weil sie aus Gründen des Eigenschutzes zum Rückzug blasen müssen. Vielmehr müssen BORSInstitutionen sich ihrer Fürsorgepflicht bewusst werden, zu der sie als Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet sind. Mitarbeitende sind bei Ausübung ihrer Tätigkeit jederzeit bestmöglich zu schützen – egal, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein potenziell möglicher Schadenfall auch tatsächlich eintritt. Die Anschaffung von Schutzwesten dient diesem Zweck –und sollte entsprechend getätigt werden. Ergänzende Massnahmen, wie die Schulung der Einsatzkräfte hinsichtlich wirkungsvoller Deeskalationsmassnahmen, das Entsenden eines flankierenden Begleitschutzes bei Hochrisikoszenarien sowie ein wirkungsvolles Einwirken der BORSKräfte und der sie repräsentierenden Verbände auf die Politik, der stetig steigenden Zahl von Übergriffen endlich effektiv und effizient entgegenzuwirken, sind natürlich ebenfalls wichtig. Doch die oberste Priorität gebührt dem unmittelbaren Schutz der an vorderster Front agierenden Kräfte. Die Kosten dürfen dabei keine Rolle spielen.

» Die Einsatzkräfte von Schutz & Rettung Zürich tragen seit 2019 solche perfekt auf ihre Uniform abgestimmten Schutzwesten

Info

Die Action-Sport Landolt AG

Die 1992 von Armin Landolt gegründete Action-Sport Landolt AG liefert im Behördenbereich neben den Schutzwesten von Seyntex auch Nachtsicht- und Wärmebildtechnik von L3 Technology (USA), Behördenbekleidung von Taiga (Schweden), Spezialschuhe von Lowa (Deutschland) sowie Schutzbrillen für taktische Anwender von Gloryfy (Österreich). Zudem importiert sie Waffen, Waffenzubehör, Munition und produziert selbst entwickelte Faustfeuerwaffen der Marke Phoenix für Sportschützen und behördliche Anwender (www.phx.swiss).

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