SPREEWALD ANTHOLOGIE I

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SPREEWALD ANTHOLOGIE I

Spreewald-Literatur-Stipendium 2008 - 2009


SPREEWALD ANTHOLOGIE I

Spreewald-Literatur-Stipendium 2008 - 2009 Esther Bernstorff Sobo Swobodnik Stefan Weidner John von Düffel Wolfgang Schlüter

S P R E E W Ä L D E R KULT URSTIFTUNG auf Schloss Müschen


INHALT

BERNHARD SCHLINK, Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 04 FRANZISKA STÜNKEL, Wie es begann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 06 ESTHER BERNSTORFF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Geborgen, einsam und oftmals nackt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Geborgenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Einsamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Nacktheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Licht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Zum Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 SOBO SWOBODNIK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Makarov in Aspik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 STEFAN WEIDNER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Vom Spreewald in den Orient – eine Gedankenreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60


JOHN VON DÜFFEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Zur Bleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Fließe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Türen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Verwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Zauberberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Zur Ruhe kommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Früh-Stück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Kahnfahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Spree/Wald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Agenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Gästebuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 WOLFGANG SCHLÜTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Flachbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 DIE JURY . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98


VORWORT

Zwischen Herbst 2008 und Sommer 2009 haben eine Stipendiatin und vier Stipendiaten das Spreewald-Literatur-Stipendium eröffnet. Sie waren Gäste des Hotels Zur Bleiche und konnten einen Monat lang schreiben, Projekte beginnen, vorantreiben oder abschließen, frei von den Verpflichtungen, Gewohnheiten und Geräuschen des Alltags. Das Stipendium kommt mit der Einladung, auch einen Text über den Aufenthalt und das Erlebnis des Orts und der Landschaft zu schreiben. Die Stipendiatin und die Stipendiaten haben die Einladung angenommen; ihre Texte bilden die Anthologie. Was ist sie? Ein Bild der Bleiche und des Spreewalds, von mehreren Malern gemeinsam gemalt? Ein Kunterbunt von Verschiedenem? Die Stipendiatin und die Stipendiaten bringen sich selbst in den Spreewald mit. Sie sind dort nicht anders, als sie sonst sind, und schreiben nicht anders, als sie sonst schreiben. Esther Bernstorff beobachtet präzise und sensibel, Sobo Swobodnik fabuliert finten- und voltenreich, Stefan Weidner nimmt uns auf Gedanken-, Erinnerungs- und Entdeckungsreisen mit, John von Düffel zaubert aus Atmosphären Gedichte, und Wolfgang Schlüter spielt Gegensätze gegeneinander aus und fügt sie zueinander. Die Stipendiatin und die Stipendiaten sind verschieden und schreiben verschieden über Verschiedenes. Zugleich schreiben sie über ein und dasselbe. Darüber, wie sie dem Spreewald begegnet sind und wie er ihnen, wie sie die Einsamkeit des Stipendiums erlebt haben, wie sie sich von Wasser und Wärme haben einladen und verführen lassen, wie ihnen die Welt des Alltags entrückt ist. John von Düffel fühlte sich an den Zauberberg erinnert, und wie die Patientinnen und Patienten auf dem Zauberberg sich zugleich unterscheiden und gleichen, unterscheiden und gleichen sich auch die Stipendiatin und Stipendiaten.

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Das macht den Reiz der Anthologie aus. Die Beiträge sind ganz verschieden und kreisen doch um einen Ort, eine Landschaft, eine Erfahrung. Bei der Lektüre begegnen wir im Verschiedenen immer wieder dem Gleichen und dem Gleichen immer wieder anders. Überdies begegnen wir bei der Lektüre den vier Jahreszeiten, dem Herbst in Esther Bernstorff Wärmesehnsucht, dem Winter in dem Schnee, durch den Sobo Swobodniks Privatdetektiv stapft, dem Frühling in Stefan Weidners Aufbruchserinnerungen und -phantasien und dem Sommer in John von Düffels sonnenwarmen Gedichten. Wolfgang Schlüters Text verweigert sich einer Jahreszeit – es ist der Text des jahreszeitlosen Sonderstipendiaten. Dass die Texte sich treffen und ergänzen, verdanken sie dem Geist des Orts und der Landschaft. Wer sich auf den Geist einlässt, den ergreift er, lässt er ruhig werden, sich besinnen, sich konzentrieren – auf die Luft und die Sonne und das Wasser, auf das Wichtige und auf das Schreiben. Der Geist des Orts und der Landschaft hat den Zauber und die Kraft, noch viele Stipendiatinnen und Stipendiaten zu inspirieren. Aus dem Spreewald-Literatur-Stipendium ist in wenigen Jahren eine Institution geworden, auf die erste Anthologie werden weitere folgen. Das Schreiben hat im Spreewald eine Heimat gefunden.

Bernhard Schlink

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WIE ES BEGANN

Das erste Mal kam ich vor acht Jahren als Gast in die Bleiche. Eine Freundin zeigte mir diesen Ort. Sie erzählte von dem Wasser in all seinen Facetten, den leisen Spreefließen mit ihren blauen Libellen und dem Moment des kraftgebenden Eintauchens in den schwarzen Pool unter den sich friedlich verflüchtigenden Wolken. Als ich in der Bleiche angekommen war, staunte ich als Mensch, der stets von urbanen Räumen umgeben ist, über die Unmittelbarkeit der Natur. Ich bewunderte den Nebel am Morgen. Ich suchte die Grillen im Haus und ich fand sie. Ich wollte meine Gedanken in der Wärme der Steine ruhen lassen. Das taten sie für ein paar Stunden, doch dann erwachten sie wieder, umspielten die Möbel ringsum, die gelebten Materialien, die rauen, rissigen Oberflächen. Ich berührte das alte Holz der Bilderrahmen. Die Dinge trugen ihre Geschichten und erzählten davon. So hatte die Bleiche bei jedem Besuch stets eine starke inspirierende Wirkung auf mich und ich schrieb in Gedanken weiter an meinen Drehbüchern, die Einfälle kamen und verankerten sich auf vielen kleinen Notizzetteln in den Taschen meines Bademantels. Meine Besuche in der Bleiche häuften sich und das Gefühl wuchs, dass dieser Platz nicht nur ein wirkungsvoller Ort für meine Arbeit, sondern grundsätzlich ein guter Ort für Schriftsteller sein könnte. Eine Heimat für Schreibende, ein Rückzugsort für Denkende. Als Drehbuchautorin kenne ich das Bedürfnis in manchen Zeiten des Schreibens, allein an einem Ort sein zu wollen; ein Ort, der mich von mir entrückt, um mich in die Fiktion hineinzubegeben, um in der Geschichte mit wachem Blick spazieren zu können, die Möglichkeiten betrachtend, in die dramaturgischen Winkel hineinschauend. Ich dachte: Hätte man nur an einem Ort wie der Bleiche einmal genug Zeit, ein paar Wochen lang, hier könnte man sich ganz in die Geschichte versenken, um sich schließlich mit den Figuren an einen der Tische im grünen Gewölbe zu setzen und dem lange herbeigesehnten lustvollen fließenden Schreiben zu verfallen. Das wäre eine Freude! Und so kam mir der Gedanke eines Residenzstipendiums für Schriftsteller, die hier verweilen und sich in diesen Ort eingebettet konzentriert dem Schreiben hingeben könnten. Der Gedanke verließ mich nicht. Irgendwann war er so groß, dass ich ihm nicht mehr ausweichen wollte. Die Inhaber des Hotels waren mir zu dem damaligen Zeitpunkt nicht persönlich bekannt.

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Ich trug die Hoffnung in mir, dass sie die durchdachte Sorgfalt der Einrichtung, die zahleichen darin enthaltenen Verweise auf Kunst und Kultur eigenhändig in den Räumen zur Wirkung gebracht hatten. Und ich wurde nicht enttäuscht. Im Sommer 2007 nahm ich Kontakt auf. Ich schilderte Christine und Michael Clausing in einem Brief meine Gedanken, ob ein Residenzstipendium für Schriftsteller nicht mit diesem Ort einen fruchtbaren Dialog eingehen würde. Die Idee war noch zart und roh; ich wollte sie so, wie sie war, an die Inhaber des Hotels verschenken, ihnen die Idee zu ihrer freien Verfügung überlassen. Ich rechnete mit einem kurzen routinierten Antwortschreiben, doch es folgte eine äußerst freundliche Einladung zum Essen. Ich begegnete Christine und Michael Clausing bei traditionellen Kartoffeln mit Leinöl. Schon nach wenigen Sätzen fühlte ich, dass die Idee in genau die richtigen Hände gefallen war. Welch kraftvolles Gespräch. Sofort wuchsen Einfälle und der Gedanke stand klar im Raum: Ein Residenzstipendium für Schriftsteller war in der Bleiche willkommen. Wie solle das Stipendium beschaffen sein? Wir diskutierten und debattierten. Vorfreude. Und dann die Frage, wer das Stipendium konzipieren solle, ob ich mir dies vorstellen könne. Als schon in mehreren Vergabegremien tätig gewesene Filmemacherin schien mir der Gedanke möglich. Eigentlich schrieb ich gerade an einem Drehbuch, war ganz darauf konzentriert und suchte nach keiner weiteren Aufgabe. Doch die Begeisterung für die Idee, dass es für zeitgenössische Literatur im Spreewald in Zukunft diesen kleinen außergewöhnlichen Ort geben könnte, hatte mich in ihren Bann gezogen und ich sagte spontan zu, das Stipendium zu konzipieren und Kuratorin zu werden. In der Konzeptionsphase des Stipendiums fanden sich inspirierende Stimmen an meinem Weg. Kathrin Georgiew, Moritz Rinke, Christine und Michael Clausing tauchten mit ein in mein Gedankenspiel. Die Spreewälder Kulturstiftung gesellte sich als Partner hinzu. Ich suchte nach einer Form des Stipendiums, die diesem besonderen Ort gerecht werden würde. Die Idee der vier Jahreszeiten wurde geboren. Jede Jahreszeit sollte für vier Wochen einen Schriftsteller beheimaten. Die Jahreszeiten, die sich in der Stadt so gut versteckten, waren für mich stets so deutlich spürbar in der Bleiche. Hier fühlte ich sie an den vereisten Dezemberufern der Fließe, an den Winter-

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abenden mit durchblätterten Büchern, in den sich zum Frühjahr hin erwärmenden ‚Acht Weisen’, dem üppigen satten lila Lau des Sommerhimmels und schließlich dem Geruch des Feuers über dem Pool, während draußen der kühle Oktoberregen fiel. Jede Jahreszeit hatte ihre charakterliche Schönheit. Und so sollten diese vier Jahreszeiten der zeitliche Rhythmusgeber für das Stipendium sein und zukünftig jeweils einen Stipendiaten für die Dauer von vier Wochen beheimaten. Vier Wochen schien mir ein dankbares Zeitfenster für einen Schriftsteller, um einmal Abstand zu nehmen und sich ganz dem Schreiben zu widmen. Kulinarisch umsorgt, fern der alltäglichen Verpflichtungen, herausgenommen und hineingesetzt in die vitalisierende Ruhe dieses Ortes. Es sollten sich Schriftsteller unterschiedlicher Gattungen bewerben können: Prosa, Lyrik, Drehbuch und Theater waren willkommen. Und auch das Vergabegremium sollte diese Vielfalt widerspiegeln. Mit Christine Clausing stand ich im Dialog über die Zusammensetzung des Gremiums. Wir entschieden uns für Persönlichkeiten aus den verschiedenen Bereichen literarischen Schaffens, darunter den Theaterintendanten Friedrich Schirmer, den Schriftsteller und Juraprofessor Bernhard Schlink, die Filmproduzentin und Drehbuchautorin Nina Bohlmann, den Musiker und Autoren Heinz Rudolf Kunze sowie den Schriftsteller und Literaturprofessor Hanns-Josef Ortheil. Ich schrieb Briefe und erzählte von unserem Vorhaben. Und während das Stipendium langsam zum Leben erwachte, wurde es ein Glückskind, denn auf jeden dieser Briefe erhielten wir eine Zusage. Das Stipendium nahm immer konkretere Formen an – und an einem kühlen Wintertag trat es vor die Tür. Pressemitteilungen wurden an Fachzeitungen verschickt, ich nahm Kontakt mit Buchverlagen auf und berichtete von der Existenz des Spreewälder Literaturstipendiums. Wir informierten Verbände und Agenturen. Ich erzählte Kollegen davon. Der Einreichtermin wurde kommuniziert, der Ausschreibungstext stand für die Bewerber zum Download bereit. Wir hofften, dass das Spreewälder Literaturstipendium sich unter den Schriftstellern verbreiten und sich so mit tatsächlichem Leben füllen würde. Nun warteten wir mit Spannung. An der Rezeption des Hotels trafen kurze Zeit nach der Veröffentlichung die ersten Bewerbungen ein und wurden mit Begeisterung empfangen. Es schien Neugier und Bedarf unter den Schriftstellern zu geben. Nach all unseren Vorüberlegungen machte es glücklich, nun die eintreffenden Päckchen zu sehen. Die Körbe füllten sich über die Wochen. Am letzten Tag der Bewerbungsfrist

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erreichte uns der größte Stapel. 204 Bewerbungen waren es und damit deutlich mehr, als wir im Vorfeld vermutet hatten. Wir freuten uns sehr über die Resonanz, doch stand nun gleichwohl eine Herausforderung im Raum. Und so verbrachte ich eine Woche in Klausur mit der Aufarbeitung der Bewerbungen, um dem Vergabegremium erste Empfehlungen an die Hand zu geben und in der Flut der 204 Einreichungen eine Struktur zu schaffen. Die Mitglieder des Vergabegremiums reisten an einem heißen Julitag im Jahr 2008 aus allen Himmelsrichtungen an. Die Sitzung fand in der Bleiche statt. Es war ein Sommer, der seinem Namen die berühmte Ehre machte. Draußen lungerte die Sonne über dem Spreewald, während wir zwischen Bücherstapeln und Bewerbungsschreiben an einem großen Tisch saßen und uns den Diskussionen zu den einzelnen Bewerbungen hingaben. Es stand dabei nicht nur der Blick auf das bisherige Werk im Fokus, sondern auch die zukünftige Arbeit, der sich der Schriftsteller während seiner Residenzzeit in der Bleiche widmen wollte. Wir betrachteten, kommentierten, reflektierten und resümierten. In fünf Bewerbungen sahen wir am Ende aller Gespräche die Stipendiaten des Spreewald Literatur Stipendiums. Doch was tun? Es galt vier Stipendiaten zu finden, jeweils für das Frühjahr, den Sommer, den Herbst und den Winter. Doch im Spreewald gibt es Wunder: Es existiert eine fünfte Jahreszeit. Von wem sie hier erfunden wurde? Von Christine Clausing, spontan, am Ende der ersten Vergabesitzung, um fortan auch einen fünften herausragenden Schriftsteller mit einem Stipendium auszeichnen zu können. Und so waren es fünf Schriftsteller, die im ersten Jahr mit dem Wechsel der Jahreszeiten in die Bleiche einziehen sollten: Esther Bernstorff, Sobo Swobodnik, Stefan Weidner, Johann von Düffel und Wolfgang Schlüter. Es war ein Herbsttag im Jahr 2008, als Esther Bernstorff die Bleiche betrat, um hier ihren Gedanken und Geschichten nachzugehen, als erste Stipendiatin. Mitten im Spreewald. Da, wo auch die fünfte Jahreszeit wohnt.

Franziska Stünkel

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HERBST 2008


ESTHER BERNSTORFF Esther Bernstorff studierte von 1997 bis 2000 Film und Kommunikation (BA) an der Guildhall University in London und besuchte von 2002 bis 2004 die Drehbuchakademie der Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). Dort schrieb sie mit der Regisseurin Emily Atef den Spielfilm „Molly’s Way“, für den sie 2005 den ‚Förderpreis Deutscher Film’ erhielten. Mit Atefs Abschlussfilm „Das Fremde in mir“, der 2008 in der ‚Semaine de la Critique’ in Cannes seine Weltpremiere feierte, setzten die beiden ihre Zusammenarbeit fort. Ihr dritter gemeinsamer Spielfilm, „Töte mich“hatte im Herbst 2011 Premiere in Hof. Für die Regisseurin Hanna Doose schrieb Esther Bernstorff zwei Kurzfilme, die im Rahmen des Studiums an der dffb entstanden: „Häschen in der Grube“, 2004 mit dem Murnau Kurzfilmpreis ausgezeichnet, und „Gut möglich, dass ich fliegen kann“, 2006 für den Deutschen Kurzfilmpreis nominiert. Inzwischen hat sie sich mit drei Folgen für die ZDF – Serie „Der Kriminalist“ auch im Fernsehen einen Namen gemacht. Das Drehbuch „Schwestern“, das Esther Bernstorff 2008 im Hotel zur Bleiche entwickelt hat, wurde im Oktober 2011 von Lars Kraume verfilmt.

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GEBORGEN, EINSAM UND OFTMALS NACKT Vom Leben im Hotel Zur Bleiche

Die Clausings wünschen sich, dass wir Stipendiaten über den Spreewald schreiben. Sie wollen keine Lobhudelei über das Hotel Zur Bleiche hören, so sind sie nicht und das interessiert sie nicht. Sie wollen wissen, wie diese unvergleichliche Natur sich auf uns ausgewirkt hat, auf unsere Schreibe, unser Gemüt, unsere Geschichten. Diese mystische Natur, in die sie sich verliebt haben, mit der im Einklang sie ihr Hotel gebaut und ausgeschmückt haben und der zuliebe sie dieses großzügige Stipendium ins Leben gerufen haben. Ich kann das leider nicht. Ich kann nicht über Natur schreiben und konnte es noch nie. Ich liebe sie, ich brauche sie sehr, ich habe viel Zeit auf dem Land verbracht – und trotzdem fällt mir nichts dazu ein. Ich kann die Gerüche nicht in Worte fassen, die Farben nicht wiedergeben, die Geräusche nicht übersetzen in etwas, das dem Leser greifbar wird. Meine Drehbücher leben niemals von der sinnlichen Beschreibung dessen, was die Protagonisten umgibt, sondern (wenn sie denn im besten Falle lebendig werden) von der Beobachtung menschlicher Interaktion. Deswegen werde ich stattdessen eben doch ein paar Worte über meine Zeit im Hotel Zur Bleiche schreiben, in dem ich einen Monat lang leben und arbeiten durfte. Die Clausings mögen mir das nachsehen.

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GEBORGENHEIT

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mir in diesem ganzen eigentümlichen und wunderbaren Monat auch nur ein einziges Mal kalt gewesen wäre. Grund dafür war nicht nur der sonnige Herbst, sondern die sich in jedem Detail widerspiegelnde Wärme dieses Ortes. Manchmal, wenn ich mich innerlich unruhig fühle, wenn ich friere, oder der Alltag an den Kräften zehrt, stelle ich mir vor, wieder dort zu sein. Ich sehe mich am Morgen dem warmen Bett entsteigen und, noch ein wenig verschlafen und in einen schützenden Bademantel gehüllt, durch die vertrauten Gänge schlappen. Von den Mitarbeitern des Hotels mit einem erwärmenden Lächeln begrüßt werden und in das warme Schwimmbad steigen, das auf einen Kamin zugeht, in dem immer ein Feuer brennt. Es ist zu gemütlich in diesem Schwimmbad, um wirklich zu schwimmen. Man lässt sich eher gleiten, legt die Wange auf das Wasser, schließt die Augen und kann sich nicht vorstellen, jemals wieder etwas anderes zu tun. Unendliches Wohlbehagen. Selbst die kalte Dusche danach lässt einen nicht frieren, weil der Körper von innen glüht. Ich sehne mich dann auch nach meinem Tisch, an dem ich jeden Abend saß. Und nach dem Kellner, der sich alles merkte und sich ein wenig amüsierte, wenn ich zum vierten Mal in Folge Fisch statt Fleisch aß, oder einmal Bier statt Wein trank. Der mir am ersten Tag über meine Verlegenheit hinweghalf, in dem er so tat, als würde er sie nicht bemerken. Als ich vor kurzem, fast ein Jahr nach meinem Aufenthalt dort, mit den anderen Stipendiaten ins Hotel Zur Bleiche zurückkehrte, klopfte mir das Herz beim Anblick des vertrauten Hauses. Die Mitarbeiter begrüßten uns so, als seien wir nur ein paar Tage fort gewesen. Und ich glaube, wir alle hatten das Gefühl, nach Hause zu kommen.

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EINSAMKEIT

Ich erinnere mich an eine leichte Enge in der Kehle, als ich am ersten Morgen in meiner Suite aufwachte, einem Raum, der die Größe meiner damaligen Wohnung in Kreuzberg bei weitem übertraf. Würde ich es aushalten, einen Monat allein zu sein? Würde der Tag jemals vorbei gehen? Wo sollte ich in dieser Idylle die Widerstände hernehmen, gegen die ich meinte, anschreiben zu müssen? Das Abendessen stellte ich mir plötzlich als kaum zu bewältigende Herausforderung vor. Allein am Tisch sitzen. Ich fühlte schon die mitleidsvollen Blicke der Anderen, die stets zu zweit oder mit Familie angereist waren, auf mich gerichtet. „Es ist nicht so, wie es aussieht“, rief ich ihnen in Gedanken zu, „dass es niemanden gibt, der mit mir verreisen möchte. Ich bin ein Mensch wie Sie, mit Freunden und Familie. Ich habe ein Stipendium bekommen, verstehen Sie, deshalb bin ich alleine hier.“

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Und dann war es nur der allererste Abend, an dem ich mich von einer Beklemmung nicht frei machen konnte. An dem ich in meinem Buch blätterte, vorgab zu lesen und nichts festhielt. An dem ich so sehr darauf konzentriert war, souverän zu wirken, dass ich nicht schmeckte, ob ich Fisch oder Fleisch aß. Schon am zweiten Abend breitete sich eine wunderbare Ruhe in mir aus. Plötzlich erschienen mir all die vor mir liegenden, schweigsamen Abendessen wie ein unvergleichlicher Luxus. Mal las ich, jetzt konzentriert und zufrieden, mal saß ich einfach da und schaute mich um. Das Alleinsein fühlte sich nicht mehr einsam an und ich meinte, Einsamkeit vielmehr an manchen jener Tische zu beobachten, an denen zwei Menschen saßen. Paare, die sich ein harmonisches und außergewöhnliches Wochenende vorgenommen hatten und denen in der Stille und Schönheit dieses Ortes vielleicht besonders deutlich wurde, wie weit sie sich voneinander entfernt hatten. Ihr Schweigen tönte lautstark zu mir herüber. Den kerzengeraden Rücken und angespannten Gesichtern der Frauen entnahm ich, dass sie unter der Wortlosigkeit litten und sie durchbrechen wollten und dass ihnen die Anspannung den Kopf leer machte. Die Männer wirkten resigniert auf mich, sie sahen aus, als würden sie die Traurigkeit darüber verdrängen und nichts mehr außer Langeweile spüren. Bei anderen Paaren, egal welchen Alters, schien das Hotel geradezu euphorisierend zu wirken. Die Köpfe verschwörerisch und verliebt zusammengesteckt und die Haut noch gerötet von der abendlichen Sauna, genossen sie das gute Essen, den Wein, die liebevolle Bewirtung und fühlten sich unendlich beschenkt. Großes Glück oder schmerzliche Einsamkeit. Dazwischen schien es wenig zu geben. Sicherlich habe ich viel hineinprojiziert in das, was ich dort beobachtete. Aber die Atmosphäre der Abendessen im Hotel Zur Bleiche – Schweigen, Entfremdung und überbordende Fröhlichkeit in einem Raum – haben einen starken Eindruck hinterlassen.

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NACKTHEIT

Ich bin im meinem Leben noch nie soviel nackt gewesen wie in diesen vier Wochen. Sauna am Morgen vor dem Schreiben, Sauna am Nachmittag zur Ablenkung vom Schreiben und am Abend zur Erholung. Ich bin wahrscheinlich jedem Gast des Hotels zumindest einmal nackt begegnet. Es ist schon etwas Merkwürdiges mit dieser Sauna – Nacktheit. Würde man nur ein paar Meter weiter das Restaurant nackt betreten, wäre das ein Skandal. Ja, schon im Schwimmbad nebenan schlingt man umständlich das Handtuch um den Körper, bevor man sich den nassen Badeanzug auszieht. In der Sauna dagegen gelten andere Regeln. Eine kleine Ausnahmezone von ein paar Räumen, in denen eine von Erotik völlig befreite Nacktheit praktiziert wird. Eine verordnete, ein wenig dogmatische Nacktheit sogar - das Tragen einer Bikinihose wird hier kritisch beäugt. Für mich hatte das zunächst etwas Einschüchterndes und auch irgendwie Distanzloses. Ich starrte vor mich hin und hoffte, dass sich das nette Paar, das am Abend zuvor bei meinem Filmabend gewesen war und mit dem ich angeregt diskutiert hatte, in der Sauna nicht neben mich setzen würde. Wie sollte ich dann mit ihnen reden? Einfach so tun, als ob nichts wäre und an das Gespräch von gestern anknüpfen - nur eben nackt? Irgendwann gab ich meine übermäßige Zurückhaltung auf und erlaubte mir, ein bisschen hinzusehen. Und lernte dabei nicht nur einiges über Trends in der Gestaltung der Bikinizone, sondern vor allem über die Unverwechselbarkeit, Würde und manchmal anrührende Verletzlichkeit des nackten Körpers. Und darüber, dass der nackte Mensch mit dem angezogenen manchmal weniger gemein hat, als man annimmt. Da strahlte der schmale und große Mann, der beim Abendessen so selbstbewusst und eloquent gewirkt hatte, nackt plötzlich eine überraschende Vorsicht und Zerbrechlichkeit aus. Und der Körper eines molligen Mädchens, das beim Frühstück in etwas engen Klamotten unbeholfen auf mich gewirkt hatte, leuchtete in seiner Nacktheit selbstbewusst, beneidenswert ungehemmt und schön. Ich musste feststellen, dass mir erstaunlich viele Menschen (nicht alle) nackt sympathischer waren als angezogen.

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LICHT

Sehen Sie, das ist es genau. Ăœber so etwas kann ich nicht schreiben. Ich habe schon wahrgenommen, dass das Licht dort anders ist. Nur beschreiben kann ich es eben nicht.

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ZUM SCHLUSS

Findet sich nun das dort Erlebte in meiner Arbeit wieder? Das Drehbuch, das ich in der Bleiche geschrieben habe, erzählt einige Tage im Leben von drei Schwestern. Die Mittlere, Linda, ist seit ihrer Geburt schwer herzkrank und regelmäßig schweren Operationen ausgesetzt, deren Ausgang jedes Mal unsicher ist. Die Handlung beginnt zu einem Zeitpunkt, als wieder eine dieser Operationen bevorsteht. Aus irgendeinem Grund hat sie das Gefühl, dass sie diese Operation vielleicht nicht überleben wird und so sucht sie ihre beiden Schwestern auf. Die Frauen, die sich nah stehen und sich doch zunehmend aus den Augen verloren haben, verbringen zum ersten Mal seit langer Zeit wieder ein paar Tage zu dritt. Sie erleben Momente von großer Nähe und von tiefer Entfremdung. Sie fallen in alte Rollen zurück, die sie schon lange abgelegt zu haben glaubten und schaffen es in manchen Momenten dann doch, sich daraus zu befreien. Die Geschichte hat auf den ersten Blick wenig zu tun mit dem, was ich täglich im Hotel Zur Bleiche erlebt habe. Und doch bin ich überzeugt davon, dass die Zeit dort Spuren in ihr hinterlassen hat. Zum einen ermöglichte mir die Ruhe, mich in nicht gekannter Weise auf die Geschichte einzulassen. Ich musste weder kochen, noch aufräumen, noch Freunde treffen und konnte so die Zeit ungestört mit meinen drei Protagonistinnen verbringen. Sie begleiteten mich den ganzen Tag. Oft stellte ich mir vor, die Schwestern säßen in meiner Nähe an einem der Tische, und ich überlegte mir, worüber sie wohl sprechen würden. Ich träumte von ihnen, ging mit ihnen spazieren. Der Mangel an Ablenkung verhinderte, dass sich andere Eindrücke und der Alltag dazwischen schoben. Ein Geschenk. Zum anderen findet sich auch manches im Hotel Beobachtete und Gefühlte - wenn auch verändert - in der Handlung wieder: Geborgenheit, die die Schwestern in manchen Momenten beieinander finden. Einsamkeit und Sprachlosigkeit, die auf der anderen Seite entsteht, wenn ihnen klar wird, wie unterschiedlich sie sind und wie wenig sie doch voneinander wissen, obwohl (oder gerade weil) sie Familie sind. 22


Auch Nacktheit hat sich in die Geschichte eingeschlichen. Es gibt eine Szene, in der die betrunkene und entfesselte Linda halbnackt durch Paris läuft. Der weiche und frauliche Oberkörper ist übersät von Narben, die ihn verletzlich und versehrt erscheinen lassen. Wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, wurde diese Szene im Hotel Zur Bleiche in der Sauna ausgebrütet. Ich habe sogar versucht, mich von dem wunderschönen Licht im Spreewald inspirieren zu lassen, um die Abendsonne über dem herbstlichen Paris ein bisschen fühlbar zu machen. Ob mir das gelungen ist? Ich weiß es nicht.

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WINTER 2008/2009


SOBO SWOBODNIK 1966 geboren, arbeitete Sobo Swoodnik nach einem Schauspielstudium als Rundfunkredakteur bei verschiedenen Hörfunkanstalten und als Theaterregisseur. Er ist Autor zahlreicher Kinder- und Jugendromane, unter anderem schrieb er einen Roman über den Widerstandskämpfer Johann Georg Elser und die inzwischen auf 6 Bände angewachsenen Paul-Plotek-Romane. Der erste Band „Altötting“ wurde mit dem Pfefferbeißer-Literaturpreis des Theaters im Schlachthof, München, ausgezeichnet und für den Friedrich-Glauser-Preis für das beste Krimidebüt nominiert. Weitere Preise und Auszeichnungen waren u.a. das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste Berlin, das Stipendium des Schriftstellerhauses Stuttgart, das Literaturstipendium des Landes Baden-Württemberg, sowie der Leonhard-Frank-Preis. Seit einigen Jahren ist er auch als Filmemacher tätig.

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MAKAROV IN ASPIK Ich hätte von Anfang an ablehnen sollen. Als Privatermittler hat man dazu ein Recht. Als selbstständiger Privatermittler ist man niemandem Rechenschaft schuldig. Ich hätte sagen sollen, suchen Sie sich einen anderen. Die Gelben Seiten sind voll davon. Elf Seiten, zum Teil mit vier Spalten. Dazwischen ganz- und halbseitige Anzeigen. Privatermittler, Detekteien, Security Service, Auskunftei, Observations- und Ermittlungsdienst im In- und Ausland. Die Branche ist groß. Ich hätte ablehnen sollen. Ich hätte mich auf mein Gespür verlassen sollen. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass der Auftrag nichts für mich ist. Ich hätte sagen sollen, tut mir leid, ich habe keine Termine mehr frei. Mein Terminkalender war leer. Das Geschäft lief schlecht. Die alten Klienten zahlten nicht, neue kamen selten hinzu. Ich saß seit Wochen nur noch im Büro, dessen Miete ich seit Monaten schon nicht mehr bezahlen konnte und spielte am Computer Kill it!. Jeden Tag mehrere Stunden. Ich rauchte, trank starken Kaffee, hin und wieder einen Cognac und hoffte auf Anrufe. Das Telefon klingelte. Das Klingeln raubte mir die Konzentration. Ein Hauch von Unachtsamkeit ließ mich direkt in den Bombenhagel der angreifenden Zombies laufen. Game over. Ich hob den Hörer ab. Eine weiche Männerstimme fragte, ohne den Namen zu nennen, ob ich Erfahrung in Personen-Observation hätte. Es ginge um eine Langzeitbeschattung, sagte er. Wie lange, fragte ich. Er sagte, das wäre nicht klar. Dann erzählte er mir, dass er seine Frau verdächtige. Nach einer kurzen Pause, in der nur sein Atem zu hören war, der ungewöhnlich hell klang und überhaupt nicht zur Stimme passen wollte, fragte ich, inwiefern, woraufhin er, das wisse er nicht, antwortete. Es gäbe eigentlich keine Anzeichen für einen Liebhaber oder Untreue. Dennoch habe er das Gefühl, dass ihm seine Frau etwas verschweige. Deshalb wolle er sie beobachten lassen. Wieder entstand eine Pause. Wieder dieses leise, helle Atmen. Er sagte, nächste Woche beabsichtige sie wegzufahren. Wohin wäre noch nicht klar. Wie lange auch nicht. Sie habe nur angekündigt, ihn eine Zeitlang verlassen zu wollen. Nach einer erneuten Pause fragte mich der Mann, ob ich seiner Frau folgen und sie in der Zeit ihrer Abwesenheit beschatten könne. Ich sagte ihm, dass das nicht billig wäre - rund um die Uhr, Spesen, Nachtzulage, erschwerte Bedingungen und so weiter. Geld spiele keine Rolle, sagte er. Er würde mir einen Vorschuss über 3.000 Euro schicken und dazu alle anderen Angaben, die ich unbedingt wissen müsse. Ich willigte ein, sagte, na, dann machen Sie mal

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und dachte, wieder einer dieser Heilsbringer, die den ‘ultimativen Auftrag’ versprechen und sich anschließend nie mehr melden. Ich legte auf und begann ein neues Spiel. Zwei Tage später lag ein dickes Kuvert im Briefkasten. Neben einem Packen gebündelter, druckfrischer 200 Euro Scheine befand sich ein kleiner Zettel und ein Farbfoto im Brief. Das Foto war irgendwo in den Bergen aufgenommen. Vor einer groben Bretterholzwand, vermutlich einer Berghütte, saß im Freien an einem Holztisch eine ungefähr 40 jährige Frau. Sie hatte schulterlange, blonde Haare und die Augen geschlossen. Eine erschöpfte Wanderin während der Rast in Tirol, dachte ich, im ersten Moment. Nach erneuter Überlegung wusste ich, die Frau war weder erschöpft, noch dämmerte sie vor sich hin. Sie war einfach nur unglücklich. Da ist der Liebhaber nicht weit, der Seitensprung vorprogrammiert. Leichtes Spiel und gut verdientes Geld, dachte ich lächelnd. Auf dem Zettel stand die Adresse eines Fünf-Sterne-Hotels in der Innenstadt und darunter in krakeliger Handschrift, Ab Montagmorgen bitte observieren. Und Ich melde mich wieder. Sonst nichts. Weder der Name und die Adresse des Auftraggebers, noch der Name der zu observierenden Person waren vermerkt. Observiertes Objekt (OO) verlässt um 10 Uhr 38 das Hotel. Alleine. Koffer, Kostüm, hochgesteckte Haare. Elegant. Macht einen selbstsicheren Eindruck. Steigt in ein Taxi, sitzt auf der Rückbank, fährt Richtung Innenstadt. Folge ihr, Sichtkontakt. Es schneit. Taxi hält am Hauptbahnhof. OO wartet an Gleis neun auf den Zug nach Berlin.

Als der Zug losfuhr, sah ich, versteckt an der Tür stehend, sie das erste Mal aus der Nähe. Sie war es. Sie war das zu observierende Objekt auf dem Foto. Sie war schön. Sie sah attraktiv aus. Älter, 10 Jahre vielleicht, oder auch mehr. Die Falten zwischen Mund und Nase waren noch deutlicher, die Haare blonder, vermutlich gefärbt. Ich sah das erste Mal ihre Augen. Sie waren dunkelbraun, fast schwarz und passten irgendwie nicht in dieses Gesicht. Das Gesicht wurde jetzt ganz konkret, greifbar, die Person hatte Gestalt angenommen. Jetzt fehlte nur noch ein Name. Ich entschloss mich, sie ab jetzt Helene zu nennen, nach dem ICE 1611 Helene Weigel nach Berlin, mit dem wir fuhren. Observiertes Objekt (OO) sitzt um 11 Uhr 22 im Zug nach Berlin. Sie macht einen entspannten Eindruck, nimmt zwei Bücher aus dem Koffer, die Süddeutsche Zeitung, den Spiegel. Sie blättert

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gelangweilt im Magazin. In Nürnberg setzt sich ihr ein Mann gegenüber. Er ist jünger, gepflegte Erscheinung, schwarzer Anzug, blaues Hemd. Gegelte Haare. Macht einen unsympathischen Eindruck. Sie liest, er schaut aus dem Fenster. Sie blickt ebenfalls aus dem Fenster, sie reden. Sie scheint ihn nicht zu kennen. Höre Wortfetzen, kann nichts Genaues verstehen. Vermutlich über das Wetter. Sie amüsiert sich, lacht hin und wieder. Er lacht auch. Sie gehen beide ins Bordrestaurant. Sie bestellt einen Rotwein, er trinkt Wasser. Beide essen Mittag-Menüs. Paniertes Schnitzel mit Kartoffelsalat. Sie unterhalten sich. Er redet von sich, sie hört zu. Verstehe einiges. Schauspieler, ein wenig Film, viel Theater, in Berlin. Kann nicht fliegen, Flugangst, verheiratet. Seine Frau ist auch Schauspielerin, kein Theater, viel Film, ständig unterwegs. Nach dem Essen geht OO auf die Toilette. Der Mann bleibt im Bordrestaurant sitzen, bohrt in der Nase. In einem Tunnel betrachtet er sich lange in der spiegelnden Scheibe, eitel. Sehr eitel. Sie kommt zurück, trägt die Haare jetzt offen, es riecht nach Parfum. Er bezahlt, für beide. Sie bedankt sich, sagt, das wäre nicht nötig gewesen. Er sagt, ich bitte Sie. Sie gehen zurück ins Abteil. Der Mann steigt in Leipzig aus. OO fährt weiter bis Berlin Hauptbahnhof. Dann mit Taxi ins Hotel. OO kommt um 18 Uhr 15 am Park Inn Hotel Berlin an. Sie hat ein Einzelzimmer mit Badewanne für eine Nacht gebucht. OO speist um 20 Uhr 15 im Restaurant. Um 21 Uhr 42 zurück auf dem Zimmer. Verlässt bis zum nächsten Mittag um 12 Uhr 51 nicht mehr das Hotel. Dann zu Fuß zum Bahnhof Berlin Alexanderplatz. Gleis 1. Abfahrt 13 Uhr 10, Regional Express von Berlin nach Cottbus.

Wir fuhren durch Brandenburg, meine alte Heimat. Ich sah aus dem Fenster und erkannte einen kleinen, pausbäckigen, etwas zu dicken Jungen im Großen Würnsdorfer See untertauchen. Wie lange war das her? 40 Jahre? Damals bestand die Welt noch aus links und rechts, gut und böse. Ich lag auf dem Rücken und schaute himmelwärts. Ich schloss die Augen und träumte vom Reisen und dem Studium der Astronomie. Die Sterne hatten mich damals interessiert, der Himmel und das Universum. Die Welt und das All. Die hochfliegenden Träume stürzten überm Großen Würnsdorfer See ab in den Alltag, in die Normalität und landeten bei der NVA in Neustrelitz. Dann Grenzsicherung in Herrenberg. Heimat ade. Wir fuhren durch die Lausitz. Königswusterhausen, Brand, Lübben, Lübbenau, während ich noch immer in Gedanken der Vergangenheit verträumt nachhing.

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OO wird um 14 Uhr 35 am Bahnhof Vetschau von einem hoteleigenen Oldtimerbus abgeholt. Nach ungefähr 15 minütiger Fahrt kommt sie im Hotel Zur Bleiche in Burg an. Sie hat reserviert, wird freundlich begrüßt, als wäre sie hier schon öfters abgestiegen. Sie bezieht das Zimmer im ersten Stock im Logierhaus. Um 0 Uhr 12 geht das Licht in ihrem Zimmer aus.

Am nächsten Morgen heftete ich mich, so unauffällig wie möglich, an Helenes Fersen. Die Ortschaft war um diese Jahreszeit beinahe touristenfrei. Alles war weiß. Meine Erinnerung an den Spreewald, damals noch zu DDR-Zeiten, von jahrelang zurückliegenden Fernsehaufnahmen geprägt, war grün und blau. Grün von den Kieferwäldern und den Gurken, blau von den 1000 Wasserarmen der Spree. Jetzt war alles von Schnee bedeckt. Glitzernder Raureif, wohin das Auge blickte. Es war ein lichtdurchfluteter Morgen, der blendete. Helene blieb abrupt stehen und drehte sich im Kreis, als wollte sie alles um sich herum in sich aufnehmen. OO verlässt um 9 Uhr 48 das Hotel. Geht zur Kahnanlegestelle hinter dem Hotel. Sie verhält sich unauffällig. Betritt den zugefrorenen Fluss. Geht auf dem Eis den Fließverlauf entlang bis zum Dorf. Besichtigung der Heimatstube von 10 Uhr 53 bis 11 Uhr 15. Anschließend in den Supermarkt, Nahkauf, kauft einen Lippenstift, einen Badezusatz und einen Reisewecker. Speist im Hotel von 13 Uhr 02 bis 14 Uhr 23. Gebeiztes Lachsfilet mit Räucherfischmousse und Kaviar, gebratenes Bachsaiblingsfilet mit Orangenhollandaise, Rahmnudeln mit Wurzelgemüse, Glühweinschaum mit Himbeeren und Kokoseis. OO begibt sich auf ihr Zimmer und verlässt es bis zum nächsten Tag nicht mehr.

Am nächsten Tag verließ Helene das Hotelzimmer bis zum Nachmittag nicht mehr. Der Zimmerservice, ein junges Mädchen mit blauer Spreewaldschürze und Bluse und dem bezaubernsten Lächeln des ganzen Spreewalds, das jede Sterne-Kategorie zur bloßen Formalie degradiert, ging einmal gegen 10 Uhr und einmal um 12 Uhr 50 in ihr Zimmer. Ich öffnete die Tür einen Spaltbreit und roch im Flur ätherische Düfte; Zitrone, Melisse, Rosenblüten, Mandelöl. Ich machte mir zuerst Gedanken, dann Sorgen. Vielleicht war Helene krank. In halbstündigem Abstand legte ich mein Ohr an die kalten Badfliesen und lauschte. Es war nichts zu hören. Auch ich blieb den ganzen Tag über im Zimmer, ließ mir vom Zimmerservice aber nichts kommen, sondern hungerte und aß die

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Rauchmandeln und die Cashewkerne der Minibar leer, bis mir schlecht war. Ein kleiner Himbeergeist sollte den Kloß in meinem Bauch auflösen, verschlimmerte den Zustand aber nur noch mehr. Ich lag im Bett, starrte zur Schilfmattendecke hoch und wartete. Im CD-Player spielte ganz leise Pablo Casals auf seinem Violoncello, ohne den ich nie mehr verreise. Stark, ätherisch und schwer fassbar schmuggelten sich Casals Töne in meine Aufmerksamkeit, während meine Gedanken noch immer bei Helene weilten. Es gibt so viel zu bewundern und zu lieben... Was für eine fantastische, wundervolle Schöpfung ist diese Welt, sagte Casals einmal. Niemals kann man dasselbe Werk zweimal genauso spielen, mit jeder Note wird es zu einer anderen Welt. Ich nickte in das immer dunkler werdende Zimmer hinein. Johann Sebastian Bach Suite Nr.1 G-Dur. Und Suite Nr. 4 Es-Dur. Als Casals zum wiederholten Male die Suite Nr.5 C-Moll anstimmte und damit immer wieder von neuem frevlerisch genial den Schöpfer nachahmte und gleichzeitig herausforderte, nahezu selbst zum Schöpfer wurde, vernahm ich plötzlich Schritte in Helenes Zimmer, dann das Öffnen der Zimmertür. Sie verließ das Hotel. Ich folgte ihr. Es schneite wieder und ein kalter Wind blies über die schneebedeckte, betörende Spreewaldlandschaft. Helene ging auf den zugefrorenen Spreearmen ins Dorf. Ich ihr hinterher. Meine Füße schmerzten nach wenigen Kilometern. Ich hatte einfach die falschen Schuhe an. Als ich am Bismarckturm ankam, war es fast dunkel. Es schneite jetzt noch stärker. Ich war mittlerweile durchnässt und meine Füße waren zu gefühllosen Eisklumpen gefroren. Helene war nicht mehr zu sehen. Fußspuren im Schnee führten die Treppe hoch zum Turmeingang. Ich stand an der verschlossenen gusseisernen Gittertür. Ich wartete. Der Turm, eine Attraktion im Spreewald, ist im Winter geschlossen. Das hatte ich in einem Prospekt gelesen. Der 27 Meter hohe Turm thront auf dem sagenumwobenen Schlossberg, einer ur- und frühgeschichtlichen Wallanlage, in dem auch der Wendenkönig der Sage nach heute noch sein Unwesen treiben und irgendwo hier im Ort heimlich bei einer wendischen Familie leben soll. Oder aber unterirdisch versteckt bei den Lutken, der sorbischen Variante der Wichtelmänner.

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Ich wartete noch immer. Nichts passierte. Weder der skandalumwobene Wendenkönig tauchte auf, noch die Lutken und schon gar nicht Helene. Wäre sie jetzt erschienen, hätte ich mir eine Geschichte einfallen lassen müssen, ähnlich der des Wendenkönigs. Ich hätte auf eine, für solche Fälle zu Recht gelegte Legende zurückgreifen müssen. Sie tauchte nicht auf. Ich zog am Gitter, in der Annahme es wäre verschlossen. Das gusseiserne Tor öffnete sich quietschend. Komisch, dachte ich, schob das Gitter ganz auf und trat in den Eingangsbereich des Turms. Es war ganz ruhig. Die Tür zum Kassenhäuschen war ebenfalls offen. Ich tastete mich im schummrigen Treppenaufgang die Stufen hoch, nach oben. Auf der Plattform angekommen, trat ich in die Kälte hinaus und ließ meinen Blick durch den Abend schweifen. Kaum hatte ich mich diesem eindrucksvollen visuellen Reiz hingegeben, knallte es plötzlich. Der Knall kam von unten, vom Eingangsbereich des Turms und hörte sich so an, als wäre ein Gitter zugefallen. Ich rannte nach unten, stolperte mehrmals auf der Treppe, fiel, schlug mir den Kopf am Mauerwerk an und musste unten angekommen feststellen, dass sich meine Befürchtungen bewahrheitet hatten. Das Gitter war tatsächlich zugefallen und eingerastet. Es ließ sich auch nicht mehr öffnen. Ich ärgerte mich und fluchte über meine Unbedachtheit, meine Fahrlässigkeit, meine Dummheit. Zuletzt dachte ich an Helene. War sie es, die mir die Türe vor der Nase zugesperrt hatte? Vielleicht war es aber auch nur der Wind? Oder irgendjemand anderes, in der Annahme niemand wäre im Turm. Ich war eingeschlossen. Ich fror. Ich hätte per Mobiltelefon Hilfe holen können. Natürlich hätte sich das wie ein Lauffeuer am nächsten Tag in der Ortschaft herumgesprochen. Meine Anonymität wäre nicht mehr aufrecht zu erhalten gewesen. Ich rief im Hotel in Helenes Zimmer an. Es klingelte drei Mal, dann sagte jemand, ja? Ich legte wieder auf. OO verlässt gegen 15 Uhr 43 das Hotel. Alleine, sie ist Richtung Burg-Dorf unterwegs. Besichtigt den Bismarckturm. Kehrt zum Hotel zurück. Ist um 20 Uhr 12 wieder in ihrem Zimmer.

Das Kassenhäuschen des Turms, indem auch die Sicherungskästen hingen, war nur spärlich eingerichtet. Ein Stuhl, ein Tisch, ein Schränkchen. An der Wand eine Landkarte. Zuerst beachtete ich die vergilbte Karte gar nicht. Erst als ich die rote, dicke Linie bemerkte, wurde ich auf die Karte aufmerksam. Es war eine Karte der Deutschen Demokratischen Republik, die an der Wand hing.

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Auffällig war der mit rotem Filzstift dick eingezeichnete Grenzverlauf zur BRD. An der Grenze entlang waren mit einem schwarzen Stift unendlich viele Kreuze eingetragen. An der Grenze zwischen Dassow auf der DDR-Seite und Travemüde auf der BRD-Seite stand ein mindestens drei Zentimeter großes Kreuz. Daneben stand Hagen. Ich saß auf dem klapprigen Stuhl, rauchte meine Zigarettenschachtel leer und hörte meinen Magen wie einen tollwütigen Hund knurren. Auf dem kleinen Tisch stand ein alter Kassettenrekorder. Ich drücke auf den Start-Knopf. Zuerst kam nur Rauschen; ein an - und abschwellendes Rauschen. Es klang wie Wind, Nacht und Meer. Dann war eine Stimme zu hören, ganz leise. Es war eine Kinderstimme. Ich hörte sie mir mehrmals an, konnte sie aber nicht verstehen. Bis schließlich ganz viele Kinder im Chor sangen: Jugend, erwach, erhebe dich jetzt, die grausam Nacht hat ein End / Und die Sonne schickt wieder die Strahlen hernieder vom blauen Himmelszelt... Dann wieder Rauschen, ein spitzer Schrei und ein Schuss. Es sollte unheimlich, vielleicht auch mystisch klingen, dachte ich. Mir kam das alles aber vielmehr ziemlich lächerlich vor. Nach einer Stunde überlegte ich, wie ich mich aus dieser unfreiwilligen und unvorteilhaften Situation befreien konnte. Ich entschloss mich für die rustikale Methode. Ich nahm meine Röhn 9 mm, zielte auf das Schloss des Gitters und drückte mehrmals ab. Schüsse peitschten durch die Nacht. Das Gitter war auf und ich kehrte gegen 22 Uhr 30 ins Hotel zurück. Im Zimmer von OO brennt bis 0 Uhr 45 Licht. Schritte, Husten. Telefongeklingel.

Normalerweise steige ich in Hotels ab, an deren Decke die Fernsehapparate festgekettet sind und nachts auf den Fluren die Gäste ihre Meinungsverschiedenheiten lautstark austragen. Oder ihre partnerschaftlichen Konflikte, für jedermanns Ohren bestimmt, diskutieren. Für einen Detektiv ideal. Wer einen starken Hang zur Offenbarung pflegt, erleichtert die Arbeit, egal bei welcher Tagesoder Nachtzeit. Hier in diesem Luxus-Hotel wurde nur geflüstert, dass es selbst für mich kaum etwas zu verstehen gab. Luxus schüchtert ein, dachte ich und lauschte. Das hier war offenbar ein Rückzugsgebiet vom Alltag, Beruf, Familie, der Vergangenheit. Hier konnte man aufatmen, um gewappnet zu sein für den anschließenden Alltag, Beruf, Familie, Zukunft. Menschen wie ich, die sich mit der Gegenwart, der meist bitteren Gegenwart auseinandersetzen müssen, sich mit der Gegenwart auch mal, im wahrsten Sinne des Wortes, herumschlagen,

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fangen an, sich hier fremd zu fühlen. Helene offenbar nicht. Für sie war es scheinbar ein Zwischenreich, eine Lücke, in die sie hinein schlüpfen konnte, um zu verschwinden. Für ein paar Tage. Warum, fragte ich mich, warum gerade hier. Warum gerade jetzt. Ich würde es herausfinden. Ich würde es herausfinden müssen. Vielleicht ist es das, was sie beabsichtigte. Oder mein Auftraggeber. Ganz in Gedanken verstrickt, hörte ich Helene nebenan auf - und abgehen. Dann hörte ich, wie sich ihre Zimmertür öffnete. Anschließend Schritte auf dem Flur. Ich öffnete meine Tür ebenfalls einen winzigen Spaltbreit und schaute auf den Gang hinaus. Ich sah Helene in einem weißen Hotelbademantel den Flur entlanggehen. Sie will schwimmen, dachte ich, jetzt mitten in der Nacht. Und dann, nichts wie hinterher. Ich schlüpfte ebenfalls in meinen Bademantel und folgte ihr, in sicherem Abstand durchs ganze, jetzt mitten in der Nacht gänzlich zur Ruhe gekommene Hotel, bis zur Landtherme, die tatsächlich auch in der Nacht geöffnet hatte. Niemand war zu sehen. Kaum etwas zu hören. Außer leises, beruhigendes Vogelgezwitscher. Auch Helene war jetzt nicht mehr zu sehen. In der Landtherme war es warm; die ausgeschalteten Saunen glühten offenbar noch lange nach. Ich schlich mich an der Finnischen Sauna vorbei. Dann an der Salzburg. Nichts. Ich durchquerte das türkische Hamam und die russische Banja. Auch nichts. Ich ließ die Gymnastikräume mit den stählernen Fitnessgeräten, die wie dunkle Tiere unbeweglich wachten, links liegen. Nichts. Helene war verschwunden. Auch in den Ruheräumen und im Kaminzimmer war keine Spur von ihr. Ich wollte schon wieder den Rückzug antreten, als ich am japanischen Luftsprudelbecken angekommen, das sich jetzt so ruhig verhielt, als hielte es die Luft an, plötzlich einen Sprung ins Wasser hörte. Sie ist im Schwimmbad! Ich schlich mich in den ersten Stock auf die Galerie hoch und konnte sie nun von oben tatsächlich im blau schimmernden Wasser erkennen. Sie schwamm. Sie schwamm mit gleichmäßigen Brustzügen im Schwimmbad mit dem großen Kamin, in dem die Holzscheite leise vor sich hin knackten, als wollten sie etwas erzählen. Helene war nackt. Sie hatte kleine Brüste und einen Bauch wie einen umgestülpten Teller. Das Faszinierendste waren aber ihre Schulterblätter, die ein wenig abstanden und wie kleine verkümmerte Flügel aussahen. Zwischen den Schulterblättern konnte ich eine Tätowierung erkennen, faustgroß. Ein Gesicht. Wie paralysiert stand ich verborgen hinter dem Kamin auf der Galerie und schaute auf das Becken hinunter, in dem Helene entlang glitt. Es sah anmutig aus, wie ihr weißer Körper durch das Wasser schnitt, als hätte er sowohl etwas Trennendes und zugleich Vereinendes. Als wäre er ein Fremdkörper und dann wieder ein

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Teil von ihm. Die blonden Haare sahen jetzt viel dunkler aus. Ob sie wusste, dass ich sie beobachtete? Vermutlich. Als ich schon nicht mehr damit gerechnet hatte, stieg sie aus dem Wasser, schlüpfte nass in den Bademantel und verschwand. Ich blieb noch eine Weile auf der Galerie stehen, unfähig mich zu bewegen. Dann ging ich zum Schwimmbad hinunter und tauchte ins Wasser ein. Ich legte mich auf den Rücken und schaute zur Decke. Es war eine Dachstuhlkonstruktion aus Holz, die mich an meine Kindheit erinnerte. An Scheune, Häcksler, Stroh. Hinter den Strohballen, das Mädchen und ich auf einer kratzigen Wolldecke. Liebst du mich?, fragte sie. Ja, sagte ich, woraufhin wir beide lachten. Dann schloss ich die Augen und ließ mich im Wasser treiben. In ihrem Wasser. Ich fühlte mich ganz nahe bei ihr. OO verlässt gegen 1 Uhr 10 das Hotelzimmer. Im Schwimmbad der Landtherme schwimmt sie zirka 20 Minuten. Anschließend geht OO in ihr Zimmer zurück.

Am nächsten Tag blieb Helene wieder bis zum Abend in ihrem Zimmer. Erst nach dem Abendessen um 19 Uhr 30 verließ sie das Hotel und ging querfeldein, zuerst wieder an den zugefrorenen Wasserarmen der Spree entlang, dann auf den verschneiten Feldwegen. Ich folgte ihr, bis ich sie plötzlich aus den Augen verlor und nur noch ihre Fußabdrücke im Schnee verfolgen konnte. Diese führten zu einem unüberschaubaren Gelände und dem Eingang eines Irrgartens, der von mindestens zwei Meter hohen Hecken eingesäumt war. Ich hatte im Prospekt über den Spreewald davon gelesen. Ich war unentschlossen, ob ich Helenes Abdrücken folgen und den Irrgarten betreten sollte oder nicht. Ihre Abdrücke verschwanden auf jeden Fall hinter dem Tor. Was soll schon passieren, dachte ich, lächelte, öffnete das Holztor und verschwand im Labyrinth. Die Hecken waren schneebedeckt. Auch die Wege. Ich folgte den Fußspuren. Ich kam mir vor wie in einem Stanley Kubrick Film. Shining. Ich, als kleiner Junge, der auf der Flucht vor seinem wahnsinnigen Vater durch die verschneiten Gänge irrte. Ich, als Jack Nicholson, der als wahnsinniger Jack Torrance mit einem Hackebeil in der Hand, auf der Suche nach seinem Sohn Danny durch das Labyrinth des Todes stolperte.

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Ich ging immer weiter. Es schneite. Meine Beine wurden schwer. Ich fror. Was für ein Fehler, dachte ich, der Spur zu folgen. Ich ärgerte mich über mich selbst. Ich folgte den Abdrücken, bis sie schließlich verschwanden. Das gibt es doch nicht, dachte ich. An einer der Hecken endeten die Abdrücke. An einer der Hecken gingen die Abdrücke nicht mehr weiter, so als ob sie sich in Luft aufgelöst hätten. Und mit ihr Helene. Der Wendenkönig schlug seinem Pferd das Hufeisen verkehrt auf, um seine Verfolger zu täuschen, dachte ich und lachte bitter. Ich weiß nicht, wie lange ich ging, eine Stunde, zwei, es kam immer wieder eine Ecke, eine Abbiegung, immer noch ein weiterer Labyrinthgang. Der Ausgang war nicht zu sehen. Bis plötzlich aus heiterem Himmel Treppenstufen auftauchten, daran anschließend eine Plattform, eine Art Hochstand. Ich betrat die verschneiten Stufen, ging langsam nach ob und erschrak. Da saß jemand. Auf der Bank, erhöht auf der Plattform. Hallo? Die Person reagierte nicht. Ich stieg die Treppe nach oben. Es war ein Mann. Als ich fast oben war, fiel plötzlich ein Schuss. Ich schrie. Der Mann war getroffen und sank zu Boden. Ich stürzte nach oben, um dem Mann zu helfen, griff nach seiner Hand und verharrte. Sie war aus Stoff. Es war eine Puppe. Ich kniete vor der Stoffpuppe und erkannte erst jetzt auf der anderen Seite des Hochstandes eine Waffe. Es war eine Makarov, eine ehemalige NVA-Pistole, die am Geländer befestigt war. Niemand, der sie ausgelöst haben konnte, war zu sehen. Dann erst bemerkte ich einen Draht, der vom Abzug auf den Boden zur Treppe führte und da die Stufen überquerte. Schlagartig wurde mir klar, dass ich den Schuss ausgelöst haben musste, ich, indem ich mit meinem Fuß, als wäre es ein Finger, über den Draht an der vorletzten Stufe den Abzug bewegte. Raffiniert! Was hatte das alles zu bedeuten?, fragte ich mich. Ein schlechter Scherz? Hätte die Waffe nicht genauso gut auch auf mich gerichtet sein können?, dachte ich und schaute mich auf der Plattform um. Nichts Auffälliges war zu sehen. Nur Sterne am Himmel, der große Wagen, der kleine und ein Mond, der bleich und schadenfroh, wie mir schien, auf mich herabsah, als wollte er mich verhöhnen. Wer steckt hinter alledem?, dachte ich. Helene? Ich war vollkommen verwirrt. Die Puppe hatte einen Oberlippenbart und schulterlange, blonde Haare mit einem altmodischen Schnitt, trug eine Jeanshose und eine Jeansjacke einer Marke, die mir unbekannt war. Ein kariertes Hemd. In der Hose, am Gürtel steckte ein linierter Zettel, darauf stand:

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All work and no play makes Jack a dull boy. Wie im Kubrick Film, dachte ich, in dem der immer wahnsinniger werdende Jack Torrance zigtausend Male diesen Satz auf seiner Reiseschreibmaschine niederschrieb. Was hatte das alles zu bedeuten? Wer war das, da auf der Plattform? Nur eine einfache Puppe oder das Abbild eines Menschen? Jetzt bekam ich es ein wenig mit der Angst zu tun. Obgleich Angst generell keine Hauptrolle in meinem detektivischen Repertoire spielte. Angst macht Fehler. Angst schaltet das Gehirn aus. Ich versuchte mich zu beruhigen, konzentrierte mich auf meinen Atem und ging die Stufen der Plattform hinunter zum Ausgang. Das Tor war auf. Es waren keine Fußabdrücke im Schnee zu sehen. Hier kam niemand heraus. Daneben, am Eingangstor, waren dagegen eine Menge Abdrücke zu erkennen. Auch meine eigenen. Ich ließ den Irrgarten hinter mir und ging zurück zum Hotel. Völlig durchnässt und frierend kam ich in meinem Zimmer an. Bei Helene brannte noch Licht. Ich setzte mich auf die Couch und schaute zur Decke. Die geflochtenen Schilfmatten an der Decke schimmerten wie die bleiche Haut eines rothaarigen Mädchens. Ich zählte die Halme und dachte an Beine, Arme, Finger und den Ring an ihrer Hand. Willst du?, fragte sie. Ich nickte. Wenig später hörte ich in der Ferne ein Klavier. Moll. Der Spreewald lebt, dachte ich und schmunzelte im Traum. Das Schmunzeln verging, der Traum blieb. Und ich. In einer Uniform der Nationalen Volksarmee. Ich gehe an einem Grenzzaun entlang. Es ist Nacht. Grillen zirpen. Der Mond am Nachthimmel sieht gespenstisch aus. Ich höre ein Knacken. Und noch eins. Ich sehe am Zaun, nicht weit von mir entfernt, ein verdächtiges Funkeln. Ist da jemand?! Hallo! Jemand erschrickt. Jemand rennt davon. Stehen bleiben! Ich renne hinterher. Halt! Ich ziehe meine Pistole aus dem Gurt. Halt! Stehen bleiben! Ich schieße. Der Schuss peitscht durch die Nacht. Die Grillen verstummen. Der Mond ist verschwunden. Eine Schultüte liegt auf dem Boden. In der Schultüte sind Gurken, ein Hamam, eine Gletschertonmaske, Birkenzweige, die kräftigen Oberarme des Masseurs, ein Rohseidenhandschuh, viel

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Schaum, der nach Efeu, Honig-Molkebad und nach einem Müritzer Wiesenlamm riecht. Dazwischen das Toupet von Opa Kunze, das aussieht wie eine zusammengerollte Katze auf einer Herdplatte, ein mit Honig beschmiertes Rasiermesser. Ein Stück Himmel, blau, und Wolken, schwarz mit Regentropfen wie Tränen. Und Wind, kalter Wind, der alles durcheinander wirbelt. Ein Augapfel in weißes Pergamentpapier eingewickelt, der mich anschaut. Grün und weiß, mit feinen, roten Äderchen durchzogen. Ich fühle mich beobachtet, schwitze, bin nervös, trete von einem Bein auf das andere. Meine Blase drückt, ich muss aufs Klo. Ich kann nicht aufs Klo, ich darf nicht aufs Klo. Jetzt nicht. Ich halte die Schultüte liebevoll im Arm wie ein Kind, bin selber noch eins. Mit kurzer Hose, Hosenträgern, einem Pullunder mit Fischgrätenmuster, Kniebundstrümpfen an den Beinen und mit Sandalen. Ein Kind im Brandenburgischen. In Michelfeld, wo die Sonne auf das Dach scheint, dass die Ziegel schmelzen, an der Dachrinne heruntertropfen und im Rinnstein als rote Soße wie Blindschleichen entlang schlängeln, um im Gully zu verschwinden. Die Blase platzt, mein Urin läuft an der Innenseite wie Marienkäfer an den Schenkeln entlang und sammelt sich als kleine Pfütze unter mir. Darin spiegelnd die Gesichter von Mama, Papa, Opa Kunze, verzerrt mit Mündern die lautlose Worte formen: Bettnässer! Memme! Es klingelt, es klingelt so laut, dass ich erschrecke. Die Schulglocke! Es ist die Schulglocke! Es geht los. Ich muss in den Unterricht, mit nassem Höschen zu Frau Liebermann, in die Michelfelder Schule, zu Frau Liebermann, die mich an die Tafel zitiert und mit Ich bin ein Bettnässer! voll schreiben lässt. Alle lachen, die Kreide kratzt, der Fischgrätenpullunder juckt, ich schäme mich. Die Glocke klingelt noch immer. So laut, dass ich mir die Ohren zuhalte. Das ist doch die Schulglocke? Oder? Ich wachte auf. Das Telefon neben dem Bett surrte. Hallo? Ich hörte Atmen, dann ein Lachen, leise. Es war das schüchterne Lachen einer Frau. Hallo? Kann ich Ihnen helfen? Sie legte auf. Ich schaute zum Radiowecker auf dem Stuhl neben dem Bett. Die grün leuchtenden Zahlen zeigten 03:12 an. Es war still, nur die Heizung summte leise vor sich hin. Es war die Melodie des Sommers. Draußen in der Ferne bellte ein Hund. Ich stand auf, öffnete das Fenster und zündete mir eine Zigarette an. Es schneite. An der Hotelzufahrt entlang leuchteten Weihnachtsbäume. Ich versuchte

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sie zu zählen, bei zehn, elf oder zwölf geriet ich jedes Mal durcheinander und fing immer wieder von vorne an. Bis ein humpelnder Hund unter der Veranda stehen blieb. Er schaute zu mir hoch, als käme er im Auftrag. Von wem, dachte ich und schaute weg. Er guckte mich an, als würde er mich kennen. Als Kind hatte ich auch einen Hund. Er hieß Erich, nach dem Staatsratsvorsitzenden, und wurde überfahren. Ich warf einen Reisigzweig über die Straße, der Hund rannte hinterher, direkt unter einen Schulbus. Seither konnte ich Hunden nicht mehr in die Augen sehen. Wieder klingelte das Telefon. Ich schnipste die Zigarette auf die Steinplatten hinunter. Der Hund rauchte sie zu Ende. Ja? Es tut mir leid, sagte eine Frau und legte auf. Ich löschte das Licht. Die geflochtenen Schilfmatten an der Decke schimmerten wie die bleiche Haut eines rothaarigen Mädchens. Ich zählte die Halme und dachte an Beine, Arme, Finger und den Ring an ihrer Hand. Willst du?, fragte sie. Ich nickte. Wenig später hörte ich in der Ferne ein Klavier. Dur. Der Spreewald lebt, dachte ich und schmunzelte im Traum. Observiertes Objekt (OO) ist nach einem Abendspaziergang gegen 23 Uhr wieder im Hotel. Nicht viel später wird das Licht gelöscht. Um 9 Uhr 15 nimmt OO das Frühstück ein. Nach dem Frühstück begibt sich OO in den Wellness-Bereich des Hotels.

Eigentlich kann ich Saunen nicht ausstehen. Hitze behagt mir überhaupt nicht. Die Hitze in einer Sauna zermürbt mich kontinuierlich. Ich bin kein Saunist, war noch nie einer und werde auch nie einer werden. Sauna bedeutet, dass man stark schwitzenden, ebenso unbekannten wie unbekleideten Menschen mit in der Regel nicht gerade vorteilhaften Körperformen in einem zu engen, ziemlich überhitzten Raum antrifft. Wer macht das schon gerne freiwillig? – ich nicht. Nun musste ich, da Helene sich am Nachmittag mit Bademantel und in Badelatschen zum Wellness-Bereich des Hotels begab. Ich folgte ihr.

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Der Wellness-Bereich war überfüllt, überall weiße Frotteebademäntel auf nackten Beinen, als wäre Tag der offenen Tür oder der Gesellschaftskörper dermaßen ruiniert, dass nur noch kollektives Saunieren helfen wollte. Helene entschied sich zuerst für die Finnische Sauna bei 93 Grad. Ich schloss mich an und setzte mich nach ganz unten auf die Holzbank. Helene ging nach oben. In der Sauna saßen vor allem Sauna-Pärchen. Sauna-Pärchen sind Menschen, die sich nicht mehr viel zu sagen haben, die aber trotzdem die Zeit miteinander verbringen müssen. Dafür ist die Sauna dann ideal. Saunisten sind, ähnlich wie Angler und Pfahlhocker, schweigsame Menschen. Das war mir wiederum gar nicht so recht. Ein Detektiv lebt von der Information, auch der gesprochenen. Selbst in der Sauna. In dieser Sauna schwiegen alle Nackten und sahen dabei ziemlich gut aus. Macht Reichtum schön? Vermögen ansehnlich? Luxus sexy? Offenbar. Das waren meine Gedanken. Gedanken eines armen Hässlichen, während mir der Schweiß in Strömen den Körper entlang lief. Ich hielt es nur fünf Minuten in dieser gotterbärmlichen Hitze aus, dann schien ich den Kampf mit meinem rapide abfallenden Kreislauf endgültig verloren zu haben. Helene blieb dreimal so lange in der Finnischen Sauna. Anschließend zog sie sich in die Banja-Sauna zurück, während ich wie ein verstoßener Liebhaber um das russische Ritual strich, als wäre das wiederum selbst ein Ritual, um mich dann schließlich in einen der Ruheräume zurückzuziehen, bei dem ich den Banja-Ausgang im Blick behalten konnte. Nach 85 Minuten verließ Helene die Banja, kam in den Ruheraum und legte sich auf die Liege direkt neben mich. Ich stellte mich schlafend. Auch sie schien die Augen zu schließen und sagte ganz unerwartet, und dabei klang sie wie nicht von dieser Welt: Wenn die getrockneten Birkenzweige auf den Rücken klatschen, spürt man sich plötzlich selbst. Ganz und gar. Das Blut zirkuliert und man fängt an, alles um sich herum zu vergessen. Ich werde verwandelt, ich wandle mich selbst. Mutabor, eine Zauberformel für Metamorphosen. Kann ich nur empfehlen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, überlegte, schwitzte und wünschte mich ganz weit weg. Ich glaube, das wäre auch was für Sie, sagte Helene und drehte ihren Kopf zu mir. Ich hielt noch immer die Augen geschlossen und stellte mich tot. Sie lächelte. Ich räusperte mich und sagte: Ich weiß nicht, aber... Sie lächelte ein weiteres Mal, drehte den Kopf zurück und schloss wieder die Augen. Mutabor, flüsterte sie, während ich jetzt aufstand und den Ruheraum verließ. Ich hatte das Gefühl, sie sah mir hinterher. 44


Um 15 Uhr 46 Observation aus Sicherheitsgründen ausgesetzt. (Enttarnung drohte!) Ab 19 Uhr Wiederaufnahme. Um 19 Uhr 15 nimmt OO das Abendessen ein. Als Vorspeise: Glasierte Rinderfiletstreifen mit gebratenen Pilzen, Kräuterbandnudeln. Als Hauptgang: Warm geräuchertes Makrelenfilet mit Riesengarnele, Rahmsauce mit Pinienkernen und Parmaschinken, Risotto mit Ruccola und Tomate. Als Dessert: Waffeln mit Quitten und Schokoladeneis. Sie trinkt dazu eine Flasche Merdinger Bühl, Grauer Burgunder, Kabinett trocken. Zieht sich ab 21 Uhr 12 in ihr Zimmer zurück.

Ich stand im Bad und hörte Helene, wie sie nebenan auf und ab ging und kräftig mit den Füßen gegen den Boden trat. Ich hörte, wie sie redete. Zuerst dachte ich an Selbstgespräche; nach einer Flasche Burgunder nichts Ungewöhnliches. Ich dachte, sie redet mit sich selbst, so wie man mit sich selbst redet, wenn man niemanden hat, der einem zuhört. Dann stellte ich aber fest, dass da doch jemand sein musste, an den ihre Worte gerichtet waren. Ich presste mein Ohr an die kalte Wand, konzentrierte mich ganz auf ihre ärgerliche Stimme nebenan und konnte dennoch nichts verstehen. Sie telefonierte, vielleicht mit ihrem Mann, meinem Auftraggeber. Blödsinn!, hörte ich Helene jetzt schreien, dann legte sie auf. Lange hörte ich nichts mehr, dann Wasserrauschen. Sie ließ Badewasser in die Wanne. Ich saß auf dem zugeklappten Klodeckel, schloss die Augen und stellte mir Helene im gegenüberliegenden Bad vor. Imagination, Einfühlungsvermögen und anschauliches Denken sind Grundpfeiler meines Berufes. Ich musste sie nicht sehen, konnte mir dennoch jede ihrer Bewegungen vorstellen. Als ob ich nicht auf dem Klodeckel meines, sondern ihres Bades gesessen hätte. Sie träufelte einige Tropfen des nach Meeresalgen duftenden Badezusatzes in das Wasser. Es schäumte. Weiße Schaumhaufen erhoben sich, als wären die Alpen zu Besuch in der Bleiche. Sie schlüpfte aus ihrer cremefarbenen Unterhose, zog ihr ebenfalls cremefarbenes Trägertop aus Seide über den Kopf und warf beides achtlos neben das Waschbecken. Sie öffnete ihren Büstenhalter und warf ihn ebenso achtlos dazu. Dann stieg sie in die fast volle Wanne und tauchte in den Schaumhaufen unter. Unterirdische Exkursion im warmen Gebirge. Ich schwitzte, noch immer auf dem Klodeckel sitzend, mit dem Ohr an der Wand, während sie jetzt im Wasser planschte, als wäre sie wieder ein Kind, zurück in der Vergangenheit. Irgendwo auf dem Land, im Zuber in der Küche, während die Mutter warmes Wasser nachfüllte und der Vater am Tisch saß und rauchte. Sie pfiff. Sie pfiff ein Lied, das mir vertraut war - die Melodie, auch der Text.

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Die Lerche singt frohe Lieder ins Tal, das Bächlein ermuntert uns all / Und der Bauer bestellt wieder Acker und Feld, bald blüht es überall... Dann hörte ich, wie sie aufstand und sich einseifte, die Arme, die Beine, den Oberkörper, sich anschließend wieder hinsetzte, die Luft anhielt und untertauchte, mit dem Kopf unter dem Wasser verschwand. Solange, dass ich mir Sorgen machte. Ich wollte schon gegen die Wand klopfen, als ich es plötzlich blubbern hörte. Langsam ließ sie die Luft aus dem Mund entweichen. Es blubberte. Auch das ergab eine Melodie, die mich umtänzelte, die Augen schließen und träumen ließ. Von früher, der Vergangenheit. Ich lag im Sand am Ufer der Ostsee, vor mir das Wasser bis zum Horizont, über mir der blaue Himmel, der sich am Horizont mit dem Wasser freundschaftlich verband, eins wurde, wie ich eins werden wollte mit den Flugzeugen, die meinen Blick durchschnitten und weiße Kondensstreifen zurückließen, auf denen meine Sehnsucht auf und ab ging. Als wäre sie ein erstarrtes Stück Blei – Blei zieht Böses an - oder Zinn, gegossen im Orakelkult der Antike, ein Zinnsoldat, der standhafte Zinnsoldat. Jetzt da oben sein, dachte ich mit den Armen verschränkt hinter dem Kopf, hoch über der Erde und der Sehnsucht einen weiten Blick gönnen. Weiter als das eigene Leben reicht. Und dann an das Mädchen, verbrennend in den Flammen der Liebe. Ich erregte mich an meinen Gedanken auf dem Klodeckel sitzend, während nebenan bereits das Wasser im Abfluss gurgelte und von der Vergeblichkeit des Festhaltens der künstlichen Wolken, der gefrorenen Wassertröpfchen kündete. Observiertes Objekt (OO) löscht um 23 Uhr 20 das Licht im Zimmer.

Ich wachte auf. Ich lag nur im Bademantel auf der Couch. Mein Kopf schmerzte, meine Augen fühlten sich in ihren Höhlen schwer wie Blei an. Ich hatte einen schlechten Geschmack im Mund, zudem war es mir ein wenig schlecht. Der Fernseher lief. Frühstücksprogramm. Eine Kältewelle zog über Deutschland. Die Flüsse waren bereits zugefroren, die Schifffahrt auf dem Rhein wurde eingestellt. Auf der Nord- und Ostsee befanden sich zwischen den Inseln dicke Eisschichten. Ein Meteorologe sprach von einem Jahrhundertwinter, von Rekordminustemperaturen, zuerst im Süden des Landes, dann hinauf bis in den Norden, Schleswig-Holstein, Vorpommern. Und Osten, Berlin, Lausitz, Spreewald. Man sah Schlittschuh laufende Menschen auf dem Bodensee. Die ostfriesischen

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Inseln waren mit dem Schiff nicht mehr zu erreichen. Auch die Ostseeinseln waren vom Eis eingeschlossen. Man erkannte Hiddensee und einen Reporter, der davon sprach, dass seit 1996 das erste Mal wieder der Eisgang den gesamten Fährverkehr zum Erliegen gebracht hätte. Der Bodden wäre zugefroren und Eis blockiere die Fähren in den Fahrrinnen. Dann Themenwechsel. Die Finanz- und Wirtschaftskrise war mal wieder an der Reihe. Ich stand auf, ging ins Bad und bemerkte an der Stirn eine verkrustete Wunde. Ich stellte mich unter die Dusche. Anschließend nahm ich zwei Aspirin. Ich zog mich an und ging in den Frühstücksraum. Es war kurz nach sieben Uhr. Keiner der Hotelgäste saß um diese Uhrzeit schon an den eingedeckten Tischen. Es roch nach gebratenem Speck, aufgebrühtem Kaffee und dem süßlichen Parfum der Bedienung. Kaffee?, fragte das junge Mädchen, das zu dieser morgendlichen Stunde schon überzeugend frisch aussah. Ja, sagte ich. Sie brachte eine ganze Kanne. Dann verschwand sie wieder in der Küche. Ich schaute ihr nach und bewunderte ihren bubenhaften Hintern. Ich trank die ganze Kanne leer, las in der Lausitzer-Zeitung über den Jahrhundertwinter und das Eis und brachte, trotz ernsthaftem Vorsatz, keinen Bissen hinunter. Ich wollte gerade aufstehen und wieder zurück in mein Zimmer gehen, als ich Schritte auf dem Flur hörte. Ich verbarg mich hinter der Tageszeitung. Es war Helene. Das Parfum des Mädchens wurde verdrängt von dem ihrigen. Es roch herb, holzig, wie der Duft eines Männerparfums. Sie fragte, ob hier noch frei wäre und setzte sich an meinen Tisch, obgleich alle anderen unbesetzt waren. Das Mädchen kam und fragte wieder, Kaffee? Tee bitte, sagte Helene und dabei fiel mir das erste Mal auf, dass ihre Stimme seltsam balsamiert klang, wie in weiche Tücher gebettet. Zart, verführerisch, vielleicht so, wie man sich die Stimmen vorstellt, die sich hinter den Telefonsexnummern verbergen und großspurig ein unvergessliches Abenteuer versprechen, dass sie dann doch nicht einhalten können. Ich wurde ein wenig rot bei dem Gedanken. Helene ging zum Frühstücksbuffet und kam mit einem vollen Teller zurück. Ich trank noch eine ganze Kanne Kaffee und wurde immer nervöser. Jetzt hätte ich sie fragen können, ob sie hinter dem verschlossenen Gitter am Bismarckturm steckte und was das mit der Puppe und der Pistole auf sich haben sollte. Ich hätte sie fragen können, was sie mit diesem perfiden Spiel bezwecke. Dann hätte ich aber auch gleich meine Koffer packen und nach Hause abreisen können. Der Vorschuss

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wäre natürlich zurückzuzahlen und das Honorar dahin gewesen. Das konnte ich mir nicht leisten. Dafür hatte ich zu lange zu wenig verdient. Außerdem geht es bei einer Observation nicht um das schlussendliche Ergebnis, nicht um die Erwartung des Auftraggebers, sondern um das, was ist, was der Detektiv vor- und herausfindet. Um die Wahrheit, also. Der Ausgang ist dabei immer offen und ungewiss. Ich schwieg. Helene dagegen schien an einem Gespräch interessiert. Sind Sie aus beruflichen Gründen hier oder privat, fragte sie ganz unvermittelt und strich dabei die Butter auf eine Brötchenhälfte und warf einen Klecks Himbeermarmelade hinterher. Natürlich war ich auf so eine prekäre Situation vorbereitet. Ich hatte einige Legenden abrufbereit im Gedächtnis. Eine davon, die ich schon öfter anwenden konnte, war die eines Journalisten. Wahlweise mit verschiedenen Fachgebieten. Ich sagte ihr, ich sei Reisejournalist und arbeite für verschiedene Reisemagazine. Ich schriebe eine Reportage über den Spreewald im Winter, was natürlich bei so einem Jahrhundertwinter wie dem jetzigen einen ganz besonderen Reiz ausmache. Sie nickte und sagte, dass nicht nur für Reisejournalisten der Spreewald um diese Jahreszeit ein ganz besonderes Erlebnis wäre. Das war mein Stichwort. Ich nahm die Gelegenheit wahr, um erstens von mir selbst abzulenken und sie zweitens, ähnlich unbedarft wie sie, zu fragen, was denn ihr Grund für den Aufenthalt hier wäre. Ich habe hier früher immer meine Ferien verbracht, sagte sie, von Kindesbeinen an. Sie sind alleine hier?, fragte ich. Sie schwieg lange, sagte dann, dass ihr Mann tot wäre. Er wäre noch in der DDR bei einem Fluchtversuch erschossen worden. Sie lachte, als ob das Gesagte ein schlechter Witz gewesen wäre. Vielleicht war das ihre Legende, dachte ich, zusammengezimmert, ausgedacht und erlogen. Vielleicht. Sie sagte, sie wäre Balletttänzerin gewesen und hätte sich damals bei einem Gastspiel in Westdeutschland abgesetzt. Ihr Mann hätte sich gleichzeitig illegal über die Grenze davon machen sollen. So hatten wir es abgesprochen, sagte sie. Es ging schief. Er wurde an der Grenze erschossen. Wieder lachte sie. Es klang bitter. Wie wissen Sie das?, fragte ich. Sie sagte, sie hätte es nachgelesen. Erst kürzlich wurde eine Akte über ihn gefunden. Sie lachte wieder, nippte an ihrem Tee, der bereits kalt sein musste, und fragte mich dann, was ich heute noch vorhätte. Ich sagte, ich wolle mir die Weidenburg anschauen, das ökologische Baumdenkmal aus geflochtenen Weidenruten. Sie fragte, ob ich was dagegen hätte, wenn sie mich begleiten würde.

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Ich log und sagte, aber nein, ganz im Gegenteil. Ich wurde verlegen, sogar ein wenig rot im Gesicht und fragte, vielmehr um abzulenken, als aus Interesse, wie sie hieße, und sie sagte, ich könne Helene zu ihr sagen. Als sie mich dann nach meinem Namen fragte, sagte ich, Hagen. Observiertes Objekt (OO) betritt gegen 7 Uhr 20 den Frühstücksraum. Sie setzt sich an einen freien Tisch, trinkt Tee, macht einen entspannten Eindruck, redselig, gut gelaunt. Unterhält sich mit einem fremden Mann, angeblich Reisejournalist, etwas übergewichtig, starker Raucher, aufgeschwemmtes Gesicht. Wirkt ungepflegt, ähnliches Alter wie OO, wohnt auch im Hotel. OO lacht viel, es scheint, der Mann gefalle ihr. Auch der Mann suggeriert Interesse. Gespräch ist nur schwer zu verstehen. Meistens redet OO. Er schweigt. Wenn er redet, macht er einen nervösen Eindruck. Er steht auf und verlässt um 9 Uhr 13 den Frühstücksraum. Sie bleibt zurück und wartet. Er kommt um 9 Uhr 16 wieder zurück, mit Jacke, Schal, Handschuhen und Fotoapparat. Sie verlässt den Frühstücksraum, geht auf ihr Zimmer und kommt nach genau 10 Minuten wieder. Er wartet rauchend vor dem Hotel. OO ist von 9 Uhr 30 bis 17 Uhr 45 mit unbekanntem Mann (UM) unterwegs. Besuchen Heimatstube, Weidenburg, essen zusammen Mittag. Scheinen sich gut zu verstehen. OO redet. UM hört zu. Kurzer Zwischenfall auf dem Rückweg zum Hotel auf der Spree. OO rutscht auf dem Eis aus. UM kümmert sich um OO. Hilft ihr auf, stützt sie. Kurzzeitig gehen sie eng umschlugen nebeneinander her.

Am Abend, als wir wieder im Hotel zurück waren, schlug Helene nach dem Abendessen vor, noch gemeinsam einen Drink an der Hotelbar einzunehmen. Ich willigte ein. Wir saßen auf den niedrigen Stühlen an der Bar, vor uns unzählige Schnapsflaschen in einem pyramidenförmigen Regal aufgetürmt. Kennst du den Wendenkönig?, fragte sie. Ich schüttelte den Kopf und sagte: Nie gehört. Ein Mythos hier. Der Wendenkönig soll einmal über ein mächtiges Reich geherrscht haben. Doch irgendwann verlor er sein Land und irrte verlassen umher. Er baute eine einsame Burg und barg dort kostbare und herrliche Schätze. Um über die unwegsamen Sümpfe und Gewässer in sein Schloss zu gelangen, konnte der Wendenkönig durch die Lüfte reiten. Er soll eine Brücke aus Leder, die sich selbst vor ihm auf- und hinter ihm wieder einrollte, besessen haben. Einige Sagen erzählen, den Wendenkönig habe ein Blitz aus einer schwarzen Wolke erschlagen, das Schloss mit seinen Schätzen sei versunken und der König liege in einem silbernen Sarg an unbekanntem Ort.

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Sie erzählte und ich trank. Ab und zu stand ich auf und ging für die Länge einer Zigarette in den Raucherraum. Als die Bar schloss, es musste schon nach ein Uhr gewesen sein, fragte Helene: Und jetzt? Sie guckte mich mit einem Blick an, der mir ein wenig Angst machte. Ich zuckte mit den Schultern, schaute unschlüssig und sagte, eher aus Verlegenheit, denn als ernstzunehmenden Vorschlag, in meinem Zimmer gäbe es eine Minibar. Wenn sie damit vorlieb nehmen wolle, würde ich sie gerne auf mein Zimmer einladen. Sie stimmte sofort zu. Wir saßen in meinem Zimmer, tranken Himbeergeist, Wodka und unterhielten uns über den Spreewald, den Winter, das Wetter und sonstiges belangloses Zeug. Ich wurde immer betrunkener, hörte nur noch zu und vermied es, zu sprechen. Wir saßen beide auf der weißen Couch und kicherten wie Pennäler. Sie rückte näher, legte mir ihre Hand auf mein Knie und sagte nichts mehr. Ich war schlagartig wieder nüchtern. Ich legte meine Hand auf ihre. Dann ging es ganz schnell. Wir rissen uns gegenseitig die Kleider vom Leib. Ich verhedderte mich mehrmals in Hose und Unterhose. Dann versuchten wir auf dem Boden neben der Couch miteinander zu schlafen. Es misslang. Wir lagen lange auf dem Rücken, schauten zur Decke und schwiegen. Die geflochtenen Schilfmatten verschwammen zu einer bleichen Fläche, in der sich unsere Körper spiegelten. Zumindest kam es mir so vor. Mir wurde schlecht. Ich entschuldigte mich für einen Moment und ging aufs Klo. Vom Himbeergeist und den vielen Zigaretten angegriffen, reagierte meine Darmflora mit Durchfall. Ich hustete, um das Geräusch zu übertönen. Als ich zurückkam, war Helene verschwunden. Ein Zettel lag auf dem Tisch. Verzaubert vom Wendenkönig muss ich raus, geleitet von den Lutken - unterm freien Himmel einen Nachtspaziergang - was gibt es Schöneres?! - auf den zugefrorenen Wasserarmen. Wenn Du Lust hast, komm einfach mit - du triffst mich an der Kahnanlegestelle hinter dem Hotel. Bis gleich. Helene. Was hatte das nun schon wieder zu bedeuten? Ich hatte keine Lust, durch diese Kälte zu wandern. Ich war müde, angetrunken, hatte Durchfall und wollte schlafen. Ich verfluchte meinen Beruf. Ich zog meine Fellmütze über den Kopf und den Mantel an. Es schneite. Es war dunkel, obgleich ein voller Mond am Nachthimmel leuchtete. Ich ging zur Anlegestelle hinter dem Hotel. Ein eisiger Wind und dicke Schneeflocken peitschten mir ins Gesicht. Ich war ärgerlich über Helene, über diesen blöden Wendenkönig, diese lächerlichen Lutken und vor allem über mich selbst. Ich hatte den größten Fehler begangen, der einem Detektiv unterlaufen konnte. Ich hatte mich mit dem zu observierenden Objekt eingelassen! Was gibt es Schöneres? Ich stand an der zugefrorenen Anlegestelle, wo eine brennende Fackel im Boden steckte. Helene war dagegen nirgends zu sehen. Nicht

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weit von der Anlegestelle entfernt, sah ich eine weitere Fackel lodern. Ich ging am Fließ entlang zur Brücke. Am Brückengeländer, neben noch einer Fackel, wehte ein weißer Büstenhalter im Wind. Ich nahm den BH vom Geländer. Es war Helenes. Er roch nach ihr. Was gibt es Schöneres? Ich folgte der Hauptspree. Keine 20 Meter weiter, erblickte ich noch eine Fackel am Ufer. Daneben, an einem herunterhängenden Ast eines Baumes, hing Helenes Handtasche. Ich öffnete sie. In der Handtasche war ein Verdienstorden der DDR, der für außergewöhnliche Verdienste um das Vaterland überreicht worden war. Ich hielt ihn dicht vor die Augen und konnte Hammer und Sichel erkennen. Auch ich hatte einmal einen solchen bekommen, vor vielen Jahren, für die Verdienste als Soldat bei der NVA und ihn nach der Wende weggeschmissen. Wie alles andere aus der Vergangenheit auch. Ich fragte mich, mit dem Orden in der Hand, am Ufer des Flusses beim flackernden Feuer der Fackel, was das alles zu bedeuten hatte. Was führte Helene im Schilde? Vielleicht war ich zu betrunken, zu müde, um einen klaren Gedanken zu fassen, der ihre Absicht durchschaut, ihr Vorhaben offen gelegt hätte. Ich ging weiter. Um mich herum war es dunkel. Nur in der Ferne, vielleicht 50 Meter weit weg, war wieder eine Fackel aufgestellt. Der Wind blies mir, durch den Schnee stampfend, nach wie vor schneidig ins Gesicht. An der Fackel angekommen, hing Helenes Mantel an einem Baum. Es war doch ihr Mantel, oder? Auch er roch nach ihrem Parfum. Ich band ihn um meine Taille und rief ihren Namen. Helene! Sie meldete sich nicht. Was hatte das zu bedeuten? Was war das für ein Spiel? Was gibt es Schöneres! Oder hatte dieser verdammte Wendenkönig seine Hand im Spiel? Führten die Lutken Regie? Ich wollte umkehren. Plötzlich hörte ich einen Schrei. Schrill, laut, kurz. Dann noch einen. Es klang so, als ob sich jemand verletzt hätte, als ob jemand vor Schmerz - ein umgeknickter Fuß, ein verknackstes Handgelenk - aufschreien würde. Es kam von stromaufwärts. Helene?! Ich rannte los, immer am Ufer des Flusses entlang. In regelmäßigen Abständen hörte ich immer wieder Schreie, weniger laut, dafür lang anhaltend und nicht mehr so schrill. Es klang schließlich wie ein Wimmern. Aus dem Wimmern wurde eine Stimme. Je näher ich kam, umso deutlicher konnte ich sie vernehmen. Hilfe, Hilfe, hörte ich. Es war Helenes Stimme. Es war Helene. Wo bist du?, rief ich. Es kam mir vor, als ob es immer dunkler um mich herum werden würde. Ich sah überhaupt nichts

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mehr und lief aufs Geratewohl immer weiter am Ufer entlang. Hier, hier bin ich. Ich war ganz in ihrer Nähe. Die Stimme kam von der anderen Uferseite. Ich rannte über den zugefrorenen Fluss, rutschte aus, stürzte und brach ein. Nein, ich brach nicht ein, sondern das Eis war plötzlich unter meinen Füßen verschwunden. So, als wäre es vielleicht nie da gewesen. Es war ein Loch im Eis, ein großes Loch, in das ich jetzt eintauchte. Das Wasser war eiskalt. Ich schrie. Jetzt schrie ich um Hilfe. Helenes Stimme war nicht mehr zu hören. Ich schrie, so laut ich konnte. Meine Kleider sogen sich mit dem eisigen Wasser voll. Mein Körper wurde schwer. Ich spürte, wie sich meine Muskeln verhärteten. Ich versuchte, mich am Rand des Loches auf das Eis hochzuziehen. Ich rutschte immer wieder ab. Ich strampelte, bewegte Arme und Beine so schnell ich konnte. Ich wurde schwächer und wusste, lange würde ich es in diesem eiskalten Wasser nicht mehr aushalten. Plötzlich sah ich in der Ferne ein Licht. Eine dieser verdammten Fackeln, dachte ich noch, als ein leises Surren zu hören war. Ein Surren, wie von einer Biene im Sommer, aufgeregt über einem Blumenbeet. Das Surren wurde lauter. Aus der einen Biene wurde ein ganzer Schwarm. Gleichzeitig wurde auch das Licht immer größer und heller und kam näher. Es war ein Motorgeräusch, das auf mich zukam. Hilfe, schrie ich jetzt so laut ich konnte, mit aller Kraft. Das Moped wurde langsamer und hielt schließlich vor mir am Ufer an. Der Lichtkegel traf mich im Gesicht. Eine dunkle Gestalt stieg vom Moped, betrat vorsichtig das Eis und stand jetzt direkt neben mir. Um Himmels Willen, sagte ein junger Mann, fast noch ein Junge, und fragte, was ich denn hier machen würde. Ich konnte nicht antworten. Er reichte mir seine Hand. Ich griff danach. Er zog mich hoch. Ich fiel aufs Eis und zitterte am ganzen Körper. Setzen Sie sich auf den Gepäckträger, kommen Sie, sagte der Junge und wollte mir aufhelfen. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, schlotterte nur noch, schloss die Augen und wollte sterben. Der Junge zog seine Daunenjacke aus und warf sie über mich. Er sagte, ich solle liegen bleiben, er würde Hilfe holen. Dann stieg er wieder auf sein Moped und fuhr davon. Der Lichtkegel wurde kleiner, das Motorgeräusch leiser. Aus dem Schwarm wurde wieder eine Biene, bis auch die schließlich verschwand.

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Ich wurde ohnmächtig. Erst auf einer Liege, in einem weißen Raum, mit trockenen Kleidern und in kratzige Decken gehüllt, kam ich wieder zu mir. Es war warm und ich schwitzte. Schweiß stand auf meiner Stirn, meine Hände waren feucht. Trotzdem fror ich. Trinken Sie das hier, sagte eine Frau mit rotem Gesicht und einer Dauerwelle, wie ich sie schon lange nicht mehr gesehen hatte. Sie reichte mir eine dampfende Tasse. Ich trank. Es war ein starker Grog, der nach würzigen Kräutern roch und eigenartig schmeckte. Mein Magen grummelte, ich

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dachte an meinen Reizdarm und an Helene. Dann schlief ich ein. Und träumte. Von mir. In einer Uniform der Nationalen Volksarmee. Ich gehe an einem Grenzzaun entlang. Es ist Nacht. Grillen zirpen. Der Mond am Nachthimmel sieht gespenstisch aus. Ich höre ein Knacken. Und noch eins. Ich sehe am Zaun, nicht weit von mir entfernt, ein verdächtiges Funkeln. Ist da jemand?! Hallo? Da ist jemand. Da erschrickt jemand. Jemand rennt davon. Stehen bleiben! Ich renne hinterher. Halt! Ich ziehe meine Pistole, eine Makarov, aus dem Gurt. Stehen bleiben! Halt! Ich ziele. Ich schieße. Der Schuss peitscht durch die Nacht. Die Grillen verstummen. Der Mond ist verschwunden. Ein Mann schreit, taumelt, fällt. Und bleibt liegen, am Grenzzaun. Mit dem Gesicht im Gras. Ich drehe ihn um. Er hat einen Oberlippenbart und blonde Haare. Er blutet aus dem Mund, er ist kaum älter als ich. Und tot. Am nächsten Mittag ging ich zurück zum Hotel. In meinem Zimmer fehlte mein Laptop. Die Filme meiner Kamera waren verschwunden. Auch mein Geld, der Vorschuss für den Auftrag, war weg. Ich hatte vorsorglich, wie ich das immer mache, wenn ich beruflich unterwegs bin, einen Daten-Stick von meinen Aufzeichnungen hinter den Schrank geklemmt. Meine Observationsberichte wurden somit gerettet. Mit ihnen konnte ich, wie es sich später herausstellen sollte, nichts anfangen. Helene war verschwunden. Das Mädchen mit dem bubenhaften Hintern sagte, sie wäre heute schon sehr früh abgereist. An der Rezeption konnte ich die Rezeptionistin, mit all meinem Charme, davon überzeugen, mich einen Blick in das Anmeldeformular werfen zu lassen. Ich las: Vorname: Helene Nachname: Weigel Wohnort: München Straße: Großer Würnsdorfer See 86 Geburtsdatum: November 1989 Beruf: Reisejournalistin. Raffiniert, dachte ich und plötzlich war mir klar, wer sie war. Jetzt wusste ich auch, was dieser ganze Auftrag zu bedeuten hatte. Glück gehabt, dachte ich und packte die mir verbliebenen Habseligkeiten in meine Ledertasche. Ich reiste ab. Auftrag beendet. OO verschwunden. Geld weg. Mist.

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FRÜHJAHR 2009

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Foto: © Isolde Ohlbaum

STEFAN WEIDNER Stefan Weidner wurde 1967 in Köln geboren. Heute lebt er als Autor, Übersetzer und Journalist in Köln und Berlin. Zu seinen bekanntesten Publikationen zählt die Anthologie Die Farbe der Ferne. Moderne arabische Lyrik sowie die ‚erzählten’ Essays Mohammedanische Versuchungen, Fes und Manual für den Kampf der Kulturen. Außerdem hat er das Sachbuch für Kinder Allah heißt Gott. Eine Reise durch den Islam geschrieben. Für seine schriftstellerische Arbeit erhielt er den Clemens-BrentanoPreis der Stadt Heidelberg, für seine Übersetzungen den Johann-Heinrich-Voß-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Zuletzt erschien: Aufbruch in die Vernunft. Islamdebatten und islamische Welt zwischen 9/11 und den arabischen Revolutionen. Dietz-Verlag, Bonn 2011.

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VOM SPREEWALD IN DEN ORIENT – EINE GEDANKENREISE.

Jeder kennt seinen Namen. Aber wer kennt ihn? So flüchtig, so oberflächlich ist manchmal der Ruhm. Das hat er mit dem Spreewald gemeinsam. Jeder hat schon einmal davon gehört. Aber wer war wirklich hier? Ich hatte das Glück. Ich lernte: Der Spreewald ist gar kein Wald. Kein Wald jedenfalls, wie ich ihn mir vorstellte. Und ich lernte: Fürst Pückler ist gar kein Eis. Er ist auch kein Park, jedenfalls nicht nur. Er ist anders, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Er ist ich. Ich schrieb, er schrieb. Ich war im Spreewald und schrieb die Erinnerung auf. Vorsicht: Ich erdichtete sie mir neu. Es gab etwas, das war die Erinnerung. Sie war diffus. Ich konnte sie steigern, kommen lassen. Je mehr ich mich in sie vertiefte, desto mehr erinnerte sie, erinnerte mich. Ein Tasten in einem dunklen Raum. Plötzlich stieß man auf Dinge, gegen sie. Tastete an ihnen herum, erkannte sie. Da war dann ein Bild und ein Wort, wo vorher nur Dunkel war. Das ist Erinnerung. Würde man nur lang und genau genug tasten, keine Ecke aussparen, man würde das ganze Leben wiederfinden. Im Gedächtnis, in Bildern. Mit den Worten und dem Schreiben war es dann noch einmal etwas anderes. Welche der Bilder wollten in Worte übersetzt werden? Immer drängte sich das Gerüst vor, schiere Äußerlichkeiten, Daten, Fakten, Ereignisse, während doch die innere Wahrheit stets eine andere war. Aber was hielt die Bilder zusammen, wenn nicht diese Äußerlichkeiten? Ich hatte kein Tagebuch geführt damals, das tat ich selbst heute nicht. Das unterschied mich von ihm. Ich vertraute auf meine Erinnerung. Ich vertraue ihr immer noch. Ich glaube, dass sie das Wichtige behält. Vielleicht muss ich danach suchen wie in einem alten dunklen Speicher nach einem Erbstück der Großtante. Aber was ich dann finde ist gleichsam nachgereift, von der Zeit veredelt, ist das Eigentliche, das ich zu der Zeit, als es geschah, womöglich gar nicht sah, nicht sehen konnte, weil es zu nah vor mir stand. So schreibe ich auch diese zweite Erinnerung, diesmal an meine Zeit im Spreewald, aus einigen Monaten Abstand auf. Erst jetzt weiß ich, was es für mich daran zu erzählen gibt.

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Der Spreewald ist ein guter Ort für die Erinnerung. Das wusste, nehme ich an, auch Pückler. Der Spreewald lässt einen in Ruhe. Das ist nicht wie Rom oder Istanbul, wie Sils-Maria oder Rhodos, wo es ein Verbrechen wäre, das Hotelzimmer nicht zu verlassen. Deswegen war er selten zuhause. Und wenn er zuhause war, schrieb er. Oder er versuchte, aus dem Zuhause etwas von dem zu machen, was ihn hinauslockte. Eine Landschaft. Pyramiden. Eine Pflanzenwelt. Eine exotische Geologie. Dinge, die man beschreiben kann. Aber die Lausitz, der Spreewald? Das Hotel Zur Bleiche ist der perfekte Ort für diese Art von Erinnerung. Ich brauchte es ja wirklich nicht zu verlassen. Allenfalls für einen kleinen Spaziergang, einmal um das Gelände. Für eine Kahnfahrt vielleicht, in den nahgelegenen Kanälen, wenn es das Wetter erlaubt. Schon der Weg nach Branitz kommt einem vor wie eine Weltreise. Man muss sich gut überlegen, wann man das macht. Und wenn man zurückkommt, ist es wie etwas sehr Großes, das man getan hat. Und das ist es ja auch. Man fährt nicht in dieses Hotel, um gleich wieder aufzubrechen, Sehenswürdigkeiten abzuhaken. Man fährt dorthin, um zu bleiben. Ich bin dorthin gefahren, um mich zu erinnern. Und um zu schreiben. Und saß dann da, nach all den Bädern, Saunen, Massagen, Anwendungen, Menüs und Gängen und habe gemerkt: Erinnere dich erstmal. Erinnere dich erstmal richtig! Schon den Stift zu halten, waren die Arme zu müde. Schon aufrecht am Schreibtisch zu sitzen, der Rücken. Schon in die Tasten zu hauen, die Finger. Es war, als wäre der Körper in einen anderen Aggregatzustand geraten und als hätte die doch im Alltag eher unübliche Zuwendung, die der Körper erfahren hatte, mich gerade von dem Körperlichen befreit – oder vielleicht nicht mich, sondern etwas von mir und in mir. So war der Körper nicht mehr eine Funktion des Geistes, und der Geist nicht mehr damit beschäftigt, den Körper zu beschäftigen, ihm seine Funktionen zuzuweisen. Der Körper war ja genügend beschäftigt, alles war dazu da, mich auf ihn zu reduzieren, und das gefiel ihm, dem Körper, endlich einmal die Hauptperson zu sein. Und weil ihm so vollauf Genüge getan wurde, ließ er den Geist in Ruhe, und dieser war nun frei und konnte machen, was er wollte, solange er dazu den Körper nicht brauchte. Also nicht schreiben. Aber sich erinnern. Und das war ja ohnehin die Vorbedingung zum Schreiben.

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Also erinnerte ich mich. Ein Vierteljahrhundert ging es zurück. Der Schreck: So lang ist das schon her?! So alt bin ich schon?! Bin ich so alt? Damals war ich siebzehn. Irgendwie bin ich es immer noch. Sobald meine Aufmerksamkeit durch nichts mehr um mich gebunden ist – und kaum bin ich im Spreewald, ist sie durch nichts mehr gebunden – falle ich wie ein Vogel, der aufhört, mit den Flügeln zu schlagen, in diese Zeit zurück und alles ist wieder da. Marrakesch, rote Stadt. Gegen halb 10 kam er an, es war finster bereits, die rasche, wie eine Falle zuschnappende Finsternis des Südens, doch die Straßen um den Bahnhof gaben sich munter belebt. Er war viel im Zug herumgelaufen, hatte sich mal hierhin, mal dorthin gesetzt, schon um sich die Zeit zu vertreiben, sich eingelassen auf die Leute, die ihn ansprachen, die verschiedenartigsten. Um die Zeit der letzten Dämmerung, als der Himmel zur Rechten der Fahrtrichtung nur noch grün war, mit einem Hauch von Lila tief unten, stellte er sich bei voller Fahrt auf die Brüstung am Ende des Waggons. Es schien gefährlich, es war kalt im Fahrtwind, aber er konnte sich nicht lösen, mochte zwanzig Minuten oder länger dagestanden haben wie in einem Windkanal, immer nur auf die ins Dunkle tauchende, hüglige, sehr feminine Landschaft starrend, in der die einzige Menschspur dieser Zug war (also er selbst!), der da hindurchrauschte. Die Gefahr des Stehens auf diesem wackligen Waggonaustritt, der schneidende Wind, seine Kälte, erhöhten seine Anspannung, die sich als Bogen der Wahrnehmung über die Hügel, die Gräser, den Himmel spannte, welcher nun mit der Landschaft in eins verschmolz und mit seinen Sternen, die der Reihe nach angeknipst wurden wie Lampen hinter unendlich fernen Fenstern, vertrauter wirkte als die verfinsterte Erde. Mitten hindurch, an der Grenze von Erde und Himmel, der Zug, und mitten auf der Grenze er, ein Grenzhüter, der sicher gut aufpaßte, aber bisweilen ein Auge zudrückte, Schmuggler durchließ, diese vor allem, einzelne, neugierige Reisende, wie er einer war, seine Freunde. Zurück im Waggon, unter dem künstlichen Licht, spürte er wie vom Wind gezogene Schmisse seine Müdigkeit im Gesicht. Als sie eine Stunde später in Marrakesch ankamen, es mochte gegen halb zehn sein, ging es trotz der Finsternis auf dem spärlich beleuchteten, kleinen Bahnhof sehr betriebsam zu. Wieder überraschte ihn die Selbstverständlichkeit, mit der das Leben an allen Orten ohne ihn ablief und dass er es so in flagranti erwischen konnte (nämlich so, dass es ihm auffiel und bewußt wurde), wenn er aus einem Zug stieg oder ein Flugzeug verließ. Und je fremder diese Welt war, je weniger er

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sie sich hatte vorstellen können, desto autarker (ohne ihn) und also empörender, oder, präzise gesagt, obszöner wirkte sie auf ihn. Und so war es jetzt mit dem kleinen Bahnhof in Marrakesch mit den vielen geschäftigen Leuten darauf, weit außerhalb des alten Stadtkerns gelegen, aber dafür direkt gegenüber der Jugendherberge, wo er übernachten wollte. Leicht fand er den Weg gemäß der Beschreibung seines Reiseführers, ein weiches, dehnbares Taschenbuch mit nach Welt riechendem schwarzen Cover und fast strahlend weißem, sehr dünnen Papier. Die Herberge lag wie in einem verwilderten Garten; freilich war es nur ein vernachlässigter. Während der vier Tage, die er hier verbrachte, hatte er stets Angst um sein Gepäck, das er während seiner stundenlangen Wanderungen durch die Stadt unter seinem Bett liegen lassen mußte. Nichts wurde von ihm rascher aus seinem Gedächtnis verdrängt, als die zahllosen Nächte, die er auf Reisen in Jugendherbergen zubracht hatte. Bloß wie aus dem Zusammenhang gerissene Traumreste, aus den Augenwinkeln erhascht, waren Erinnerungen davon zurückgeblieben. Keines dieser vereinzelten Bilder von Schlafsälen und Doppelbetten konnte er noch mit Orten außerhalb verbinden, als wären die Jugendherbergen, wie die Ketten internationaler Hotels, überall gleich. Sie bildeten einen Kosmos für sich, mit ihren unter den Betten hervorlugenden Rucksäcken in allen Farben, den Schnarchenden, der Unlust, einen dieser Reisenden näher anzusehen, ihn anzusprechen. Jeder andere, der dasselbe tat wie er, um die Welt gondeln, entzauberte sein Tun, machte ihn zu einem unter vielen und dann war nichts Besonderes mehr an seinem Reisen, und so fühlte er sich, nur dadurch, dass andere da herumliefen wie er, herabgesetzt, gleichgemacht, obwohl er doch, nichts wußte er besser, ganz anders war, nicht besser, aber ganz anders. Es gab in diesen Jugendherbergen den typischen Gestank, die immer durchhängenden Betten, man traf dort die Angeber ebenso wie die reisenden Spießer, die Jugendherbergsspießer, es gab die ewigen Frühstückssäle und billigen Marmeladen, das trockene Weißbrot, die Einsamkeit. Wie Schottland, das wußte er noch, in Inverness, wo er sich zwar an keinen Schlafsaal erinnern kann, aber dafür an diesen Gemeinschaftsraum, eine verwinkelte Halle, Fluchten von Gängen, die davon abgingen wie in einem Schloß, einem Museum. Und er erinnerte sich an das von allen Gruppen, die irgendwie widerlich ihre Geselligkeit pflegten, Ausgeschlossensein, und an den Blick auf zwei oder drei Frauen, die diesem Elend ein Ende hätten machen können, wie er wußte, genauer wußte als alles in diesen Momenten, außer: dass er doch nicht an sie herankam, dann nie, wenn er sie am nötigsten brauchte, hier, jetzt, in Inverness. In Marrekesch war es die verstopfte Dusche

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mit dem spärlichen kalten Wasser, die er barfuß betreten mußte, an die er sich erinnerte; die dunklen Schlafsäle ohne Fenster, aber mit immer offenen Türen, so dass er sich schutzlos und ausgesetzt fühlte. Und auch dort gab es, wie fast überall in den Herbergen, niemanden, mit dem er sprechen konnte oder wollte. Ohnedies schlief er nur dort. Wohnen tat er in der Stadt, die er tagelang, unermüdlich, von Morgen bis zur Dämmerung durchstreifte. Er hatte keinen Stadtplan und erkundete am nächsten Morgen lediglich die Umgebung um die Jugendherberge, als könne er sich dem Eindruck des eigentlichen Marrakesch nicht unvermittelt, nicht ohne eine langsame, zärtliche Anfahrt aussetzen. Er brauchte ein langes Vorspiel, oder Marrakesch brauchte ein langes Vorspiel, bis man, und genau das wollte er, wie von alleine hineinglitt. Aber vielleicht scheint es ihm auch erst jetzt so und in Wahrheit war es bloß derart, dass er nicht wußte, wo die Innenstadt lag, und einfach herumlief, einem Gespür für Wege folgend und vor allem im Besitz von viel Zeit. Er wußte nicht, was er sehen würde, er erwartete nichts, hatte keine Vorstellung und konnte daher auch nicht dort hineilen, um es sofort zu sehen. Nur dass es Marrakesch war, wußte er, und dass es etwas Besonderes sein sollte, das hatte er gelesen. Die Gegend um die Herberge erinnerte ihn an zu Hause, an die verwahrlosten Gärten im Viertel seiner Heimatstadt, wo er aufgewachsen war, aufgelassene, dem Abriß für eine Schnellstraße harrende Gärten, die umso schöner waren mit ihren vermoderten Lauben und verwilderten Hecken, und wo man zwischen alten, rostigen Gerätschaften und Autoreifen Brombeeren fand, mitten in der Stadt, und wo man später, als alles abgerissen wurde, aber die Straße dann doch nicht kam, auf einem Rasen Fußball spielen konnte, während Rentner im Trainingsanzug ihre Hunde dort ausführten. So war es einen kleinen Ausblick lang durch den Zaun der Jugendherberge auch hier, ein Niemandsland, das in ein Villenviertel überging. Nicht in dieses Viertel spazierte er aber, sondern folgte einer prächtigeren Straße, die wie ausgestorben wirkte. Es war sehr hell, und nun wurde es auch langsam heiß. Er ließ sich treiben, ahnte, dass er nicht richtig war hier, wußte aber auch keinen besseren Weg, und so schlenderte er über diesen verlassenen Boulevard, der nunmehr von echten Luxusvillen im orientalischen Stil gesäumt war, die obendrein von Polizeiposten mit Maschinenpistolen bewacht wurde. Diese sahen ihn schräg an, und er sie, flüchtig und von der Seite. Er schien ans Ende der Welt geraten, ein Ort, wo nie ein Tourist hingeriet, hier war er falsch, und zugleich vergnügt, so falsch und doch da zu sein, wie einer, der im rich-

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tigen Haus sich in der Zimmertür vertut, kurz reinschaut, etwas gesehen hat, eine Entschuldigung murmelt, die Türe schließt und gleichwohl, obwohl er nichts Aufregendes gesehen hat, die Neugier befriedigt findet, gesehen zu haben, was hinter dieser Tür ist. Hinter dieser Tür war das Nobelviertel von Marrakesch, einen Steinwurf entfernt von der heruntergekommenen Jugendherberge. Erst unter dem argwöhnischen Blick eines solchen Wachmannes fiel ihm auf, dass er allein auf dieser riesigen Straße war, nicht nur als der einzige Fußgänger, überhaupt als das einzige, das sich bewegte, kein Wagen zu sehen, keine Katze, wie nicht einmal während der Siesta. Einen Augenblick kam es ihm vor, als sei er dazu bestimmt, auch die letzte Sackgasse an diesem Ende der Welt noch bis zum Ende gehen zu müssen, und wenn nur, um sicherzugehen, dass hier jedenfalls nichts zu verpassen war. Und genau das tat er nun, er ging weiter, weil er, seit er auf der Welt war, nichts anderes tat, als Sackgassen bis zu ihrem Ende zu gehen, nur um sicher zu sein, dass es Sackgassen waren, ein Profi der Sackgassen des Lebens, der Wege, die zu nichts als solchen lächerlichen bewachten Villen unter praller Sonne führten, zu derartigen breiten, unbefahrenen Alleen, die ihn, ohne dass er es wollte, magisch anzogen, vielleicht nur, weil das Leben hier innehielt, hier eben nicht war. Doch er kehrte nicht um, sondern ging unangefochten weiter, bis er schließlich wie in einem amerikanischen Film an eine nicht minder verlassene Kreuzung gelangte, wo dann tatsächlich nach wenigen Minuten ein Bus hielt, der von irgendwoher kam und irgendwohin fuhr, und dieses Irgendwohin war in seinem Fall das Glück in Gestalt eines Platzes vor den alten Stadtmauern von Marrakesch. Er stolperte aus dem Bus, wurde fast rausgedrängt. Was er sehen konnte durch die gequetschten Leiber der Passagiere, schlüsselte sich nicht zu einem Bild auf. Aber sobald er auf der Straße stand, war es, als läge alles, was er gewollt hatte, auf einmal vor ihm und hätte nur so auf ihn gewartet. Er war angekommen. Er war am Umschlagplatz der Welt angelangt, im großen Verteilerkreis der Wünsche, der Bilder, der Mythen, der Visionen, von hier aus konnte er überall hin, wie wenn hier die wirklichere Erde gewesen wäre, der Vorhang weggezogen, der Lack abgekratzt, die Brust aufgeschnitten: hier war das Herz, und es schlug. Viele dieser Busse hielten an diesem Ort und drehten dann wieder um, Busse wie seiner, metallische, klapprige und zugleich solide wirkende Gestelle, in irgendeiner gottverdammten europäischen oder amerikanischen Fabrik in den fünfziger Jahren fabriziert, mit einer Art Schaffnerhäuschen rechts von der Tür am Hintereingang, so dass man gar nicht anders konnte, als zu zahlen.

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Vgl. Stefan Weidner: Mohammedanische Versuchungen und Fes.

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So stand er da in einer bereits nachmittäglich schweren Luft, die Neustadt hinter ihm, die Altstadt mit der Stadtmauer, die ihre Kreisform hier schon andeutete, vor ihm, wieder eine neue Dimension, eine Mauer wie eine Schallmauer oder wie eine Sphäre, eine Kugel eigentlich, keine Mauer, sondern eine Schale, und was sie umschloß, war nicht einzusehen, nicht zu erraten, nicht zu erdenken, jenseits der Vorstellungskraft, durch keinen Bericht, durch keine Beschreibung zu erschließen. Dennoch wußte er: Etwas war da, da mußte man rein. Und wenn er darin war, auch das ahnte er, gab es dahinter noch anderes. Dahinter waren die Berge, dahinter war das Weiß ihrer Gipfel, war der Schnee, war Atlas, genannt der Hohe. Hier aber, auf diesem Platz, eilten die Menschen, brüllten die Verkäufer mit ihren Handkarren in abgerissenen Kleidern. Hier war es noch heißer, aber du warst leichter, deinen Körper fühltest du nicht mehr, fühltest nicht die vielleicht müden Füße, nicht vielleicht den Hunger, nicht vielleicht den Drang, jetzt zu scheißen, nicht vielleicht den dir den Leib hinabrinnenden Schweiß. Du spürtest das alles nicht, denn du hattest den Blick eines Raubtiers, eines Raubtiers Gehör und Geruchsinn. Du warst aufgelöst in dem, was du sahst, was du hörtest und rochst. Die Sinne waren dein Wasser, und aufgelöst warst du darin wie Salz. Du gingst nicht, du triebst. Und jetzt triebst du in einem sanften Strudel im Kreis, als würdest du es nicht wagen, die Stadtmauern zu betreten, und betratest sie doch…

Ich erwache aus meiner Versenkung. Habe ich womöglich geträumt? Gibt es schon wieder ein Essen? Spreewald- oder Bleichemenü? Oder ist gerade Aufgusszeit in der Sauna? Hatte ich mich für eine Anwendung einbuchen lassen? Zum Abendessen, ich bin ja ein Alleinsitzer wie alle Stipendiaten, bringe ich ein Buch mit. Erleichtert stelle ich fest, noch ein paar andere sitzen allein. Allesamt Frauen. Interessant. Die Frauen sind mutiger als die Männer. Kein Mann wagt sich allein in die Bleiche (außer natürlich die Schriftsteller, die Stipendiaten!). Die Frauen schon. Sie haben dann alle beim Abendessen ein Buch zur Gesellschaft. Man, beziehungsweise frau grüßt sich hinter den Büchern hervor. Wovor haben die Männer nur Angst, dass sie nicht allein herkommen? Sofern ich für mein Geschlecht repräsentativ bin, könnte ich vielleicht sagen: Vor dem Abgekoppeltwerden vom Alltag, vom Geschäftigsein. Angst vor dem Freisetzen des Geistes, wie es mir geschah, vor der Erinnerung, vor dem Fragen und Hinterfragen und vielleicht vor dem Gefühl, das dann kommt, einfach nicht mehr immer so weitermachen zu können. Was auch immer gekonnt sein soll und können hier meint.

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Ich las ein Buch über den „grünen Fürsten“. Es hieß auch so: Der grüne Fürst1. Ich wunderte mich. So einen Mann gab es? In unserem provinziellen Deutschland, im 19. Jahrhundert, hatte ich einen Bruder im Geiste. Einen, der mich als Siebzehnjährigen womöglich besser verstanden hätte, als ich mich verstand. Und er teilte diese verrückte Idee mit mir, von der ich als junger Mensch ebenfalls besessen war. Sich durch Schreiben und Reisen zu finanzieren, zu überleben, indem man reist und darüber schreibt. Und als Ziel dafür ausgerechnet den Orient zu wählen, Nordafrika, die arabischislamische Welt. Pückler hatte Ländereien und pflegte den seinem Stand gemäßen aufwendigen Lebensstil, verfügte jedoch nur über wenig Bares. Verkaufen kam nicht ohne weiteres in Frage. Es schädigte den Ruf. Im Einverständnis mit seiner Frau ließ er sich scheiden, um in Großbritannien nach einer guten Partie, einer reichen Frau zu suchen, die seine Geldprobleme lösen würde. Pückler amüsierte sich gut in London, aber seine Heiratspläne scheiterten kläglich und er kehrte mit leeren Händen zurück. Mit leeren Händen, aber voller Erinnerungen. Einen großen Teil davon hatte er schon während seines Englandaufenthaltes niedergeschrieben, in Form von Briefen an seine (jetzt Ex-)Frau Lucie. Diese Berichte aus England waren so faszinierend, dass Pücklers berühmte Freundin Rahel Varnhagen auf die Idee kam, sie zu publizieren. Ohne Verfasserangabe erschienen sie 1830 als „Briefe eines Verstorbenen“ und wurden ein Bestseller. Pückler erhielt für sie das höchste bis dahin gezahlte Autorenhonorar und hätte sich fast durch diese Publikation saniert, wäre es ihm gelungen, seinen Lebensstil bescheidener zu gestalten. Sein Werk beeindruckte die Zeitgenossen nicht nur durch seine Landschaftsschilderungen, sondern auch durch seine fortschrittlichen politischen Kommentare. Denn dass der „Verstorbene“ der höchst lebendige Pückler war und dem besseren Adel angehörte, wussten die meisten. Die Kritik an der englischen Aristokratie wurde nicht zuletzt als Kritik an den Verhältnissen in Deutschland gelesen. Pückler stand politisch weit links, er war einer der progressivsten Adeligen in Deutschland, ein echter Salonsozialist. Denn seine Einstellungen änderten natürlich nichts an seinem Lebensstil.

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Heinz Ohff: Der grüne Fürst. Das abenteuerliche Leben des Hermann Pückler-Muskau. München 1993.

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Was ihn von anderen Zeitgenossen seiner Art unterschied, war seine Neugier. Europa kannte er gut genug. Im Alter von Fünfzig wollte er noch etwas anderes von der Welt sehen. Dem politischen Stillstand in Deutschland und den Anfeindungen seiner Standeskollegen entfliehen. Auch weil er überschuldet war und die Aussicht auf die Publikation eines weiteren Reiseberichts verlockend erschien. Ein Bericht über eine so exotische, von den Zeitgenossen nicht zu unrecht als gefährlich angesehene Reise müsste sich erst recht verkaufen. 1835 schiffte sich Pückler mit etlichen Empfehlungsschreiben versehen in das erst vor wenigen Jahren von den Franzosen eroberte Algerien ein und wollte von dort das südliche Mittelmeer umrunden. Er war der erste und meines Wissens einzige Deutsche, der eine solche für damalige Verhältnisse aberwitzige Idee umsetzte. Er verstand sich dabei nicht, wie Alexander von Humboldt, als Entdecker, obwohl er in seinem Bericht immer wieder versuchte, geologische und botanische Entdeckungen mitzuliefern. Er war weiß Gott auch kein Pilger, mit der Religion hatte er nichts am Hut. Er wollte einfach nur sehen, erleben, sich von Eindrücken bereichern lassen. Also das, was der europäische Adel seit dem Ende des 18. Jahrhunderts mit Europa tat, eine Frühform des Tourismus. Pückler weitete dieses Konzept einfach auf Afrika aus. Genau 150 Jahre später – Pückler kannte ich damals nur als Eis – hatte ich mehr oder weniger dasselbe vor. Ich wollte fliehen, weil ich die Atmosphäre – daheim, in der Schule, in Köln, in der geteilten Bundesrepublik – als bedrückend und einengend empfand. Ich hatte kein Geld (mit 1000 DM war ich sieben Wochen lang in Nordafrika unterwegs, Anreise inklusive), natürlich auch keine Empfehlungsschreiben, aber ich hoffte, über das Reisen schreiben und irgendwie davon leben zu können. Rückblickend betrachtet ist es tatsächlich so gekommen, auch wenn es viel länger gedauert hat, als ich damals glaubte. Ich bin gereist und habe darüber geschrieben und sogar ein wenig Geld damit verdient. Und ich tue dies immer noch. Und in gewisser Hinsicht immer noch so wie Pückler – mich von Eindrücken bereichern lassend. Freilich, die Ergebnisse, die Herangehensweise, sind anders. Sowieso in dem, was ich zu erinnern versuchte und was gar kein Bericht über eine fremde Welt sein will, sondern, jedenfalls sehe ich es so, der Wiederbelebungsversuch einer besonderen Stimmung und Verfassung, in die mich diese Reisen einst versetzt hatten. Das Heraufbeschwören weniger eines spezifischen Erlebten, als des

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Wie dieses Erlebens. Ein Reden also nicht über die Fremde als Fremde, sondern eher über ihre erfrischende, belebende, befreiende Wirkung. Die befreiende Wirkung eines möglichst unvoreingenommenen Blicks auf sie. Unvoreingenommener Blick: Einer, der nicht schon vorher weiß, was er sieht. Idealerweise: Einer, der die Dinge so aufnimmt, wie zum ersten Mal gesehen. Wie ein Kind sie aufnimmt. Klar, dass man darüber nicht schreiben kann. Oder wenn, nur aus dem großen Abstand, wie ich jetzt, hier, im Spreewald. Und gleichzeitig der Versuch, diesen Blick auf den Spreewald selbst zu richten. Auch klar, dass ich erst aus dem Abstand darüber schreiben kann. Wenn ich Pückler mit meinen eigenen beiden Nordafrika-Büchern2 im Hinterkopf lese, entdecke ich freilich Gemeinsamkeiten. Oder sagen wir: Bestimmte gemeinsame Schwächen. Zum einen die für die antike (und frühchristliche) Kultur Nordafrikas, deren Spuren teils unübersehbar (Karthago), teils zu Pücklers Zeiten noch unsichtbar waren (Hippo Regius, der Bischofssitz des Augustinus, der erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts archäologisch erschlossen wurde). Ferner das Faible für Orte, in denen man als Fremder eigentlich nichts verloren hat. Spelunken und verrufene Bars, Krankenhäuser und Hinterhöfe, die Einblicke in die Privatsphären geben. Das gehört sich nicht. Aber gibt es Anziehenderes als genau dies? In Algier schreibt er: Man kann, sobald es finster geworden ist, nicht fünf Minuten in der Stadt umhergehen, ohne von einem Ruffiano, die hier meist junge Knaben sind, angesprochen zu werden, der einem dann in ziemlich verständlichem Französisch alles anbietet, was der gesunde wie der verkehrteste Geschmack nur verlangen kann. (…) Es versteht sich von selbst, dass für einen Europäer die meisten dieser Schauspiele so ungeheuer ekelhaft sind, dass man alle seine Reisepflicht zusammen nehmen muss, um sich zu ihrem Anblicke entschließen zu können.3

Man hat eher den umgekehrten Eindruck: Pückler schützte die Pflicht des Reiseberichterstatters vor, um auch die seltsamsten Etablissements besuchen zu dürfen. Nicht: Weil er ein neugieriger und emphatischer Reisender ist, kann er schreiben. Sondern: Er darf neugierig und erlebnishungrig sein, weil er darüber schreiben will. So stellt er es nach außen hin dar. In Wahrheit dürfte er frei-

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Vgl. Stefan Weidner: Mohammedanische Versuchungen und Fes.

3

Fürst Pücklers orientalische Reisen. Hrsg. Von Helmut Wiemken. Hamburg 1963, S. 68.

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lich durchaus neugierig und natürlich auch am „verkehrtesten Geschmack“ interessiert gewesen sein. Was er seinem Publikum aber nicht hätte gestehen können – einem Publikum, das uneingestandenermaßen vermutlich ebenfalls besonders an diesem „Verkehrtesten“ interessiert war. Es ist ein Spiel, und Pückler spielt es mit. Wer er jenseits davon war, was er jenseits davon gedacht hat, dürfte schwer herauszubekommen sein. Aber es gibt diesen anderen Pückler. Es muss ihn gegeben haben. Denn er tat etwas völlig Unerhörtes. Er nahm ein auf dem Kairoer Sklavenmarkt erstandenes äthiopisches Mädchen, das ihn auf seiner Reise den Nil hinab begleitet hat, mit auf die Heimreise, sein Verhältnis mit ihr nicht verheimlichend. Er warf damit alle Konventionen seines Standes und seiner Zeit über Bord – noch heute würde man über solche Verhältnisse die Nase rümpfen. Das ist aber nicht alles. Vielleicht noch bemerkenswerter ist ein anderer Aspekt. Wie kommt er überhaupt dazu, an einer solchen Frau etwas zu finden? Und nicht bloß etwas: So viel, dass er nicht mehr von ihr getrennt sein möchte und sie mit nach Hause nimmt, trotz des Skandals, den er dadurch auslöst. Dass der ohnedies als Sonderling geltende Fürst nicht völlig geächtet worden ist, verdankt sich wohl der traurigen Tatsache, dass Machbuba, so hieß die Ägypterin, kurz nach ihrer Ankunft in Muskau stirbt. Für mich heißt das: Es gab in Pückler eine radikale, alle Konventionen sprengende Offenheit – für das Erlebte, Erfahrene, Gefühlte. Es heißt auch: Nichts davon kam bei ihm zur Sprache. So interessant sein Reisebericht ist. Das für mich Eigentliche finde ich darin nicht. Ich muss es mir hinzudenken. Dichten: Über die Dinge schreiben, die der Fürst ausspart.

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SOMMER 2009


Foto: © Katja Sonnenberg

JOHN VON DÜFFEL John von Düffel wurde 1966 in Göttingen geboren und wuchs unter anderem in Londonderry, Irland, Vermillion South-Dakota (USA) und Oldenburg i. O/Niedersachsen auf. Er studierte Philosophie und Volkswirtschaft in Stirling/Schottland und Freiburg im Breisgau. Promotion 1989 über Erkenntnistheorie. Ab 1991 war John von Düffel Dramaturg und Autor an verschiedenen Theatern in Stendal, Oldenburg, Basel und Bonn, von 2000 bis 2009 Schauspieldramaturg am Thalia Theater Hamburg. Seit 2009 Dramaturg am Deutschen Theater Berlin und Professor für Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. Für seinen Roman „Vom Wasser“ (1998) wurde John von Düffel mit dem Ernst-Willner-Preis der Verlage beim Ingeborg Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt, dem Mara-Cassens-Preis des Literaturhauses Hamburg sowie dem Aspekte-Literaturpreis des ZDF ausgezeichnet. Es folgten die Romane „Zeit des Verschwindens“, „Ego“ und im Jahr 2004 „Houwelandt“, der wie sein Roman-Debüt ein Bestseller wurde. 2006 schrieb er die Erzählung „Hotel Angst“ und erhielt den Nicolas-Born-Preis für deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Angeregt von seinem Literaturstipendium im Hotel Zur Bleiche im August 2009 sowie einem Workshop dort im August 2010 schrieb er seinen neuesten Roman „Goethe ruft an“, erschienen im August 2011 im Dumont Verlag.

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ZUR BLEICHE Der Himmel blank und wie das Land so weit Über Kuppeln aus Grün, schwer von Sonne Und niedrigen Dächern, erblasst das Blau Trunken die Fliegen und Wespen Vollgesogen von der Süße des Tags Taumeln im Strom des Sommers am Abend Über Felder, Gräben, Wasserarme Die den Wald balancieren, die Wiesen schaukeln In einer Wiege des Aus-der-Welt-Genommenseins Auf dieser Insel aus Wasser, Oase aus Land Den Gesang der Stille auf den Flügeln.

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FLIESSE Das Wasser schläft Hinter geschlossenen Lidern Aus Laub und Schatten Dahintreibende Träume Ohne Erinnerung Narkotisches Behagen Im Schwappen und Schlängeln Des schwarzen Wassers am Ufersaum Ein warmes Tuch aus Nacht Das seine Bahn zieht zwischen Bäumen Über Wurzeln hinweg gleitet Und die Unebenheiten des Tages glättet.

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TÜREN Wie das Holz lebt Wie das Wetter zeichnet Wie der Stein ruht Und die Dinge Im Verschwinden wohnen So bleibt nichts als die Kunst Die Zeit anzuhalten Indem man sie aufhebt Ihren Gang, ihre Spuren Der Vergänglichkeit ein Haus baut Und sie einlädt zu verweilen.

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VERWANDLUNG Im Sog unaufgeregter Tage Die allmähliche Verwandlung Des Gregor Samsa in seinen eigenen Bademantel Begleitet vom Schlurfen all derer Die jeder Last enthoben So wandeln wir, Gespenster der Entspannung Durch das Gleichmaß der Muße Eine Woche, so kurz und unendlich Wie eine Jahreszeit.

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ZAUBERBERG Dieser Zauberberg ist eben Und ergießt sich in die Zeit Ein Massiv aus Fläche Panorama aus Kleinigkeiten Die unmerkliche Reise der Sinne Beim Sightseeing des Details Besichtigt im Liegen Im Zurücklehnen und aus der Tiefe Der Gelassenheit.

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ZUR RUHE KOMMEN Das Erste ist die Abwesenheit von Lärm Doch das ist noch nicht die Ruhe Es ist nur der Anfang Das Schweigen an der Oberfläche Viel tiefer noch geht es hinab Durch die Stille der Wasser Der Tage Bis man vorstößt zu ihr Der Ruhe hinter der Ruhe Unter Schichten von Schlaf Von Traum und Traumlosigkeit Wo die Bilder aufhören Und wo sie anfangen.

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FRÜH-STÜCK Den Tag beginnen wie einen Satz Der es nicht eilig hat Mit seinem ersten Wort Dem das Gefühl gefällt Der Unbeschriebenheit Geborgen in der Weiße einer Seite Der einem Gedanken nachhängt Wie dem Gang der Sonne Durch den unverbrauchten Tag Und am Abend in die Laken steigt Wie wenn man eine Seite umschlägt.

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KAHNFAHRT Wie die Zeit steht Wie das Wasser gleitet Wie das Ufer nickt Farnverhangen, baumbestanden Wie das Rudel tropft Und das Land dahinfließt Wie die Tiefe kühlt Unter Blättertürmen Wie der Kreis sich schließt.

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SPREE/WALD Es ist nicht nur das Wasser Dieser Fluss in Fließen Seine spiegelnde Kühle Und die Spur von Geheimnis Mit der er das Land durchzieht. Es ist nicht nur sein Gang Dieses Gleiten, Verweilen Sein sanftes Erinnern Und das Loslassenkönnen Das er auf seinen Wegen lehrt. Es ist alles, was einen umgibt An diesem anschmiegsamen Wasser Diese Verführung zum Fallenlassen In den Sog und Strom einer Geschichte In der man sich verliert Um sich zu finden.

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AGENDA Sich ausbreiten wie das Land Ebnen, glätten Und durchstrÜmen lassen Von der Weite Die man nicht zu suchen braucht Liegen einfach Stiller, leiser werden Und in den Himmel gucken Bis man ihn lesen kann.

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Gร STEBUCH Gut gegessen Tief geschlafen Zeit gelassen Kahn gefahren Stรถrche gesehen Fische gestreichelt Schatten gewendet Und den Klatschmohn gelรถscht.

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Sonderstipendium DIE „FÜNFTE JAHRESZEIT“


Foto: © Renate von Mangoldt

WOLFGANG SCHLÜTER Wolfgang Schlüter studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie in Hamburg, Berlin und Wien. 1982 promovierte er an der Technischen Universität Berlin mit einer Arbeit über die Rezeption Gustav Mahlers. Seit 1977 publiziert er u.a. Übersetzungen, Essays und Romane. Von 1984 bis 1993 arbeitete er für die Arno-Schmidt-Stiftung in Bargfeld an der Herausgabe der Werke Arno Schmidts im Rahmen der Bargfelder Ausgabe. 1997 nahm er am Ingeborg-BachmannWettbewerb in Klagenfurt teil. Wolfgang Schlüter erhielt 1986 den Blaise-Cendrars-Preis, 1997 den Förderpreis zum Mörike-Preis der Stadt Fellbach, 1998 den Dedalus-Preis für Neue Literatur, 2000 das Calwer Hermann-HesseStipendium, 2005 das Barthold-Hinrich-Brockes-Stipendium des Deutschen Übersetzerfonds und 2011 die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung von 1859. Schlüter lebt als freier Schriftsteller und Übersetzer in Bamberg und Berlin.

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FLACHBILD Erinnerung an die Bleiche im Spreewald.

Er beherrscht den Raum. Immer, wenn ich den Schlüssel umdrehe im Schloß, die Klinke drücke und das Hotelzimmer betrete, empfinde ich es so. Da steht er, kiloschwer, auf der alten Eichenkommode, bald einen Meter zwanzig breit und knapp siebzig Zentimeter hoch, auf einer Drehkonsole schwenkbar, und sieht mir ehrfurchtheischend entgegen, ein schwarzer, stummer Spiegel, solange er noch nicht eingeschaltet ist. Drücke ich aber den orangefarbenen Einschaltknopf auf der Fernbedienung, dann – Er beherrscht den Raum. Er steht zur Linken, lehnt sich mit dem Rücken an die Theke und öffnet den Mund zum Singen, ein Farmer vielleicht oder Fischer, zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt, im dunklen, womöglich braunen Schlabberjackett über dunklen Hosen und Lederschuhen, a tall gentleman, etwas schräg auf dem Kopf die Schirmkappe aus kariertem Tweed, wie alle sie tragen, dort, am westlichen Rande Europas. Die Kristalle im elektrischen Feld des Flachbildschirms schießen zur Fläche zusammen, zum Bild, zur Figur. Das Bild ist bewegt, ist ein Film, streifig, rissig, körnig, schwarzweiß. Das bewegte Bild flimmert einen Meter zwanzig breit und siebzig Zentimeter hoch, erzeugt von einem elektrischen Apparat, einem sogenannten High-Tech-Gerät japanischer Provenienz auf der antiquen Kommode im Zimmer meines Hotels am östlichen Rande Europas. Der Westmann am Tresen ist schmal, hochgewachsen, außerordentlich mager, sein Gesicht mit den eingefallenen Wangen und dem langen Kinn trotzig gereckt, fast herrisch zu nennen, so daß es etwas nachgerade Hochmütiges hat, wenn über den geschlossenen Augen auch die Brauen sich heben beim Singen, aus einem Mund, der zu einem gestreckten Oval sich auftut, in dem nur wenige Zähne noch sichtbar sind, lange Eckzähne, wie die Hauer eines Keilers aus dem Spreewald. Schweift mein Blick ab, dann fällt er aus den Fenstern des Hotelzimmers auf Weidenbäume, Erlen, Hecken, Gebüsch und die Feuchtwiesen, die den Spreewald säumen. Die Landschaft wirkt, auf 92


eine schwer zu begründende Weise, östlich, und ich könnte mir vorstellen, daß sie so oder ähnlich sich fortsetzt bis weit nach Polen hinein, nach Weißrußland und in die Ukraine. Flach ist sie, so flach wie der Bildschirm, wie die Pripjet-Sümpfe. Die Worte, die der Mann am Westrand Europas singt, verstehe ich nicht. Wahrscheinlich geht es um Liebe, um alte Heldentaten, oder um Emigration. Es ist eine Ballade, Strophe um Strophe erzählend, auf Gälisch, im näselnden und die Intervalle verschleifenden, daher an den Gesang des orientalischen Ostens gemahnenden epischen Duktus des sean-nos singing, musikalische Prosa, gelassen, narrativ und ausdrucksvoll ineins, solche Geschichten verlangen Zeit, ihre eigene Zeit, viel Zeit, und am Ende wird die Zeit hier zum Raum. Aus dem Flachbildschirm in der Bleiche wölbt sich der Raum, nein, es ist ja andersherum: in ihn hinein stülpt er sich, mit dem Diorama einer Wirtsstube, wohnzimmergroß, die Wände bleichgekalkt, links der an die Theke gelehnte Fischer oder Farmer im Halbprofil, hinter ihm an der Wand ein Dutzend Zuhörer, eng beieinander sitzend auf Stühlen, einige stehend, sie alle im dunklen Tweed und viele mit der Schirmkappe über wettergegerbten, zerknitterten Gesichtern, eines davon trägt die Pfeife geklemmt in den Mundwinkel. Sie sehen und lauschen (und einer brummt mit) und werden gefilmt dabei, ich lausche und sehe sie gefilmt, gebannt auf empfindliches, grobkörniges Negativmaterial ohne Schweinwerferlicht. Ich unterbreche kurz den Film, da wird der Bildschirm schwarz, ein stummer, schwarzer Spiegel, darin erblicke ich verschwommen das eigene Antlitz, die Pfeife geklemmt in den Mundwinkel, um mich herum schemenhaft das Mobiliar des Hotelzimmers, die gelben Astern des Tapetenmusters an Decke und Wänden. Schwarzweiß ist das Bild wieder da, auf Knopfdruck, und die Brennweite der Kamera verringert sich etwas, so daß jetzt erst deutlich wird, daß der Sänger, von Anfang an, am gereckten Arm mit der Rechten die Hand eines anderen Mannes umschloß. Dieser steht, im Profil nur zu sehen, ihm gegenüber zur Rechten und schwankt und wiegt sich im festen Griff des Sängers hin und her. Sein Gesicht ist kurz, kantig, tragisch zerfurcht, sein Auge ist glasig. Womöglich ist er betrunken. Ganz sicher ist er, in Herz und Seele, bewegt, so wie sein Körper bewegt ist, sich immerdar wiegt und schwankt und seine Miene einen kaum deutbaren Ausdruck von Rührung, Schwachsinn, Trauer und Elevation weist, dazu eine höchst widersprüchliche Mischung aus beinahe hündischer 93


Servilität und stumm anfeuernder Stärke. Ja, ganz gewiß ist er sturzbetrunken; die Kamera, die nie schwenkt, sondern immer gerade, Strophe um Strophe, auf dieses ungleiche Paar hält: – den Sänger, der womöglich ebenfalls erst im Rausch sich ermannte zum Balladenvortrag, und den Stummen – ist es sein Freund? –, der ihm die Hand hält –: diese Kamera schweißt die Beiden, das ahnt man, zusammen, setzt ihnen den Rahmen zu einem Duett aus Singen und Schweigen, beflügelter Trance und beflügelndem Suff. Doch wer ist hier Nehmender, wer ist hier Gebender, in diesem System kommunizierenden Röhrens, kommunizierender Luft- und Speiseröhren und pulsierender Nerven, Arterien? Braucht der Trinker den Zugriff des Sängers, um an ihm sich zu halten, zu trösten? Braucht der Sänger den nicht ablassenden Halt des Trinkers zum Zeichen hündischer Treue? Ist der Arm des Trinkers der Schlauch, der dem Sänger den erhebenden Stoff einfüllt, die Energie, die ihn erst befähigt, Gesang sich auszupressen mit Krächzen und Krähen? Im Verlauf der vierten Strophe zoomt das Kameraobjektiv so weit zurück, bis zu sehen ist, daß der Trinker in der Linken ein Glas schwenkt. Ich greife zum Glas, das vor mir auf dem Sofatisch steht, nehme einen Schluck und gewahre, wie die Kamera bei der sechsten Strophe den weitesten Winkel erreicht hat, so daß jetzt erkennbar wird, daß es ein dreiviertelvolles Pint-Glas Stout ist, das der Schwankende an seinem ekstatisch gereckten linken Arm schwenkt in der Hand, als wolle er einen Toast ausbringen. Die Schaumkrone schwappt im Glase bedenklich zum Schwanken des Trinkers, doch er verschüttet kein Tröpfchen. Das Getränk bleibt im Lot, das schwanke Mobile im Gleichgewicht, nur mir schwappt das Wasser beim Absetzen meines Glases ein wenig über den Rand, so daß ich rasch nach einer Serviette greife, um den Fleck vom Glastisch zu wischen. Staunend öffne ich den Mund und ergriffen, geöffnet hat weiter der Sänger den Mund und seine Hand lockert den Griff nicht einen Moment. Von der sechsten Balladenstrophe an zoomt sich die Brennweite langsam, immer näher, an ihn heran und zeigt überm langen gereckten Kinn die mächtigen Hauer im ansonsten zahnlosen Oberkiefer. Mein Hotel ist komfortabel, seine Gäste sind gepflegt und wohlhabend; unvorstellbar, daß sie im Alter ihre Zähne einbüßen werden, ohne die Mittel zu haben für ihren Ersatz, wie dieser Farmer oder Atlantikfischer aus dem Westen.

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Mein Hotel nennt sich Wellness Spa, und Trinker, Sänger und Zuhörer, in deren Züge sich Entsagung gefurcht hat und Entbehrung, harte Arbeit, rauhes Wetter und rauhe See – sie hätten wohl nicht zu sagen gewußt, was das sei: eine Therme, ein Wohlfühlbad. Ein Dreiviertelpint Stout vor dem Kamin, ja, das hieße Wellness vielleicht, dazu die Pfeife geklemmt in den Mundwinkel und einen Freund an der Hand gehalten: so fühlt man sich wohl, und fürs Bad sorgt schon der dauernde allesdurchweichende Regen, den die Tiefdruckwolken vom Atlantik heranschaufeln, doch tritt, was hier allenfalls Wellness heißen möchte, zurück vor der hageren, mageren Elevation des Sängers, beflügelt und weit fortgetragen auf den Schwingen des Gesangs, tritt zurück vor Askese und spirituellem Rausch im hager gestreckten Gesicht mit der römischen Adlernase. Nach der achten Strophe endet die Ballade, der Mund des Sängers schließt sich, die Hände lassen sich los. Die halluzinierend geschlossenen Augen des Sängers tun sich auf; er wirft stolz den Kopf zurück, verschränkt die Arme abwehrend vor der Brust und dabei krümmt sich sein Mund kurz zu einem Ausdruck grenzenloser Verachtung, wie bei einem, der kurz davor ist, auszuspucken. Wen oder was verachtet er? Die Zuhörer, die nun freundlich klatschen, wiewohl sie doch gar nicht wirklich schätzen konnten, was sich hier zutrug? Seinen Gesang, diese acht Strophen, acht Perlen auf der Schnur des Erzählens, hingeworfen vor die Säue des bäurischen Auditoriums? Den Trinker, der ihm eine Freundschaftskraft einflößen wollte, die er gar nicht entbehrte, ihn, der in Wahrheit, gerade umgekehrt, vom Sänger den Halt sich bezog, dessen er wankend, schwankend und schwenkend bedurfte? 1967 produzierte das irische Fernsehen diesen untransmitted stock shot mit Pádraig Ághas und seiner Ballade An Baile Atá Láimh Léi Siúd in einem namenlosen Pub des Dörfchens Baile na nGall an der Nordküste der Dingle-Halbinsel in der Grafschaft Kerry. Ausgestrahlt wurde diese Live-Dokumentation – mir liegt sie als DVD vor – von Radio Telefis Eireann nie. Vielleicht schämte man sich, fürchtete unter kultivierten städtischen Zuschauern Abscheu vor dieser Komplexion aus artistischer Verzückung und trunkener Debilität, die das ärgste Vorurteil über die archaischen Bräuche des irischen Westens zu bestätigen schien, eines Landstrichs, in dem, wie man raunte, mitunter noch Mensch und Vieh zusammenleben sollten unter einem Dach, in einem Raum, barbarisch, schmutzig, verkommen.

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Wenige Jahre nach dieser Aufnahme war das spontane Balladensingen im Wirtshaus so gut wie ausgestorben. An die Stelle der sean-nos-Sänger trat das Radio, in den achtziger Jahren das Fernsehen. Pádraig Ághas ist längst dahingegangen, Regen fällt auf sein Grab, vielleicht ist auch dies eine Form von Wellness. Der alte Gesang ist inzwischen zum Gegenstand musikethnologischer, kulturanthropologischer Feldforschung geworden. Dämmerung senkt sich auf den Friedhof, und die Eule der Minerva beginnt ihren Flug. Heute steht in jeder irischen Bar oder Lounge ein Flatscreen-TV, und die Pfeife sich in den Mundwinkel zu klemmen wäre eine Ordnungswidrigkeit, die bei Geldstrafe verboten ist. Ich stelle mir vor, wie heute, zweiundvierzig Jahre später, am 14. Februar 2009, da ich im Hotelzimmer vor dem Flachbild sitze, an der Nordküste der Dingle-Halbinsel in der Grafschaft Kerry ein Farmer oder Fischer im Pub vor eben so einem japanischen High-Tech-Bildschirm sitzt und eine Dokumentation sich anschaut, die das RTE über das östliche Deutschland gedreht hat. Zu sehen sind Sumpfwiesen, auf denen Störche nach Nahrung suchen, Moorkaten, Eichen, Erlen, Birken und Weidenbäume, ein flaches, ärmliches, dünnbesiedeltes Gebiet, durchzogen vom stillen Labyrinth der Fließe im Spreewald, über dem ein weiter grauer Himmel lautlos sich wölbt und in dem, in dieser Jahreszeit, kein lebendes Wesen, nicht einmal ein Vogel, zu singen scheint. Und während unter mir die WellnessGäste im Bademantel in die Therme schlendern und Schneeflocken auf die Fließe sich senken, seit Tagen nun schon, so daß sich die Landschaft dick bepelzt hat mit dem Königshermelin des Winters, denke ich, daß diese Reziprozität zwischen Ost und West, zwischen Innen und Außen, Fläche und Raum und Damals und Heute, am Ende auf nichts anderes verweist als darauf, daß solche Komplementärbeziehungen gar nicht für sich bestehen, sondern nur in der Synopsis des Subjekts sich herstellen, dessen Einbildungskraft sie zu einem Bilde synthetisiert, an dem nun allerdings nichts Flaches mehr ist. Statt dessen singt das Bild – so, wie beim Hotel-Irrgarten der kleine Brunnen, dessen sacht sprudelnder Quell, der den ganzen Winter hindurch am Plätschern ist, das eiserne Becken, in das er fällt, vermöge der geheimen Sympathie, die zwischen den Sphären und Elementen waltet, in die beständig hell-leise, heitere Schwingung eines Dreiklangs versetzt aus Grundton, Quinte und großer Terz.

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DIE JURY DES SPREEWALD-LITERATUR-STIPENDIUMS

NINA BOHLMANN ist seit 1989 in der Filmbranche tätig. Nach ihrer Laufbahn u.a. bei der Lichtblick Filmproduktion und Corona Film Hamburg grünFoto: © magnolia / Jat J.Olczyk

det sie gemeinsam mit Babette Schröder die magnolia Filmproduktion. Die erste Eigenproduktion „Süperseks“ läuft 2004 auf dem Filmfest Hamburg; für den Fernsehfilm „Kuckuckszeit“ gewinnen sie 2007 in Hamburg den „TV-Produzentenpreis“. Ihre deutsch-österreichische Koproduktion „Die Fälscher“ läuft 2007 im Wettbewerb der Berlinale und gewinnt 2008 den Oscar für den besten nichtenglischsprachigen Film. Neben ihrer Arbeit als Produzentin ist Nina Bohlmann auch als Autorin für Film und Fernsehen tätig.

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HEINZ RUDOLF KUNZE wurde 1956 im Flüchtlingslager Espelkamp geboren. Vor dem Lehramtsstudium der Germanistik und Philosophie besucht er das GrafStauffenberg-Gymnasium in Osnabrück. Schon früh entdeckt er seine Liebe zum Foto: © Nikolaj Georgiew

sprachlichen Balanceakt. 1978 wird er mit dem Literatur-Förderpreis der Stadt Osnabrück ausgezeichnet, bald darauf musikalisch bei einem Nachwuchs-Festival entdeckt. Das junge Talent bekommt seinen ersten Plattenvertrag und veröffentlicht sein allererstes Album. Songs wie „Dein ist mein ganzes Herz“, „Mit Leib und Seele“ oder „Finden Sie Mabel“ machen Heinz Rudolf Kunze zu einer der Koryphäen deutschsprachiger Rockmusik. Übersetzungen diverser preisgekrönter Musicals, Buchveröffentlichungen, große Tourneen und musikalische Lesungen schließen sich an. Zwischenzeitlich moderierte Kunze Radiosendungen, unterrichtete als Gastdozent und trat in Fernsehserien auf. Nur wenige andere Künstler schafften es bisher so wie Kunze, ihrem Stil treu zu bleiben und sich dennoch künstlerisch kontinuierlich vorwärts zu bewegen. Ende August 2011 veröffentlichte er seinen ersten Prosatext unter dem Titel „Vor Gebrauch schütteln – Kein Roman“ im Aufbau Verlag.

HANNS-JOSEF ORTHEIL wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den bedeutendsten deut-

Foto: © Pvon Felbert

schen Autoren der Gegenwart. Sein Werk ist mit vielen Preisen ausgezeichnet worden, zuletzt mit dem Brandenburger Literaturpreis, dem Thomas-Mann-Preis, dem Georg-K.-Glaser Preis, dem Koblenzer Literaturpreis, dem Nicolas-BornPreis und jüngst dem Elisabeth-Langgässer-Literaturpreis. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.

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FRIEDRICH SCHIRMER, Theaterintendant und Dramaturg. 1951 in Köln geboren, begann er seine Theaterlaufbahn unmittelbar nach dem Abitur 1970 als Assistent und Dramaturg am Westfälischen Landestheater Castrop-Rau-

Foto: © Ilona Habben

xel. Sein Weg führte ihn anschließend über die Freie Volksbühne Berlin, die Städtischen Bühnen Nürnberg, das Nationaltheater Mannheim und die Städtischen Bühnen Dortmund zu seiner ersten Intendanz an der Württembergischen Landesbühne Esslingen (ab 1985). 1989 wurde Friedrich Schirmer Intendant der Städtischen Bühnen Freiburg. Von 1993 bis 2005 leitete er als Intendant das Schauspiel Staatstheater Stuttgart. Seit der Spielzeit 2005/2006 war Friedrich Schirmer Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Im September 2010 trat er infolge nicht eingehaltener finanzieller Zusagen und erheblicher Zuschusskürzungen seitens der Stadt Hamburg zurück.

Der Schriftsteller und Jurist BERNHARD SCHLINK wurde 1944 bei Bielefeld geboren und wuchs in Heidelberg auf. Er wurde Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an den Universitäten in Bonn, Frankfurt und Foto: © Herlinde Koelbl

Berlin (Humboldt-Universität) und Professor of European Law and Comparative Constitutionalism an der Benjamin N. Cardozo School of Law, New York. Von 1988-2007 war er Richter des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen. Seit 1985 veröffentlicht er Romane, Erzählungen und Essays. Sein Roman „Der Vorleser“ machte ihn international bekannt.

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FRANZISKA STÜNKEL, Regisseurin, Drehbuchautorin und Fotografin. Schon während ihres Studiums erhielt sie mehrere Stipendien, darunter auch das vgf-

Foto: © Stefan Neuenhausen

Filmproduktions-Stipendium und das Filmstipendium des Landes Niedersachsen. Die Filme von Franziska Stünkel liefen in 19 Ländern auf über 150 Internationalen Filmfestivals und wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem „Best New Director Award“ in New York. Für ihren Kinospielfilm „Vineta“ arbeitete sie mit Peter Lohmeyer, Ulrich Matthes, Justus von Dohnanyi, Matthias Brandt und Susanne Wolff zusammen. Franziska Stünkel erhielt für ihre Leistungen als Regisseurin den „Otto-Sprenger-Preis“ und wurde unter anderem für den „Prix Genève Europe – Bestes Europäisches Drehbuch“ nominiert. Ferner ist sie im Bereich der Fotokunst tätig. 2009 wurde sie für ihre Fotografien mit dem Audi-Art-Award ausgezeichnet. Ihre fotografischen Werke werden in Einzelausstellungen von namhaften Galerien und auf Kunstmessen gezeigt.

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S P R E E W Ä L D E R KULTURSTIFTUNG auf Schloss Müschen

Die Spreewälder Kulturstiftung wurde im Jahr 2002 ins Leben gerufen. Ihr Anliegen ist die Förderung und Bewahrung der traditionellen Spreewälder Kultur und des Brauchtums. Die Wahrung der ursprünglichen Zeugnisse des Spreewaldes sowie das bewusste Wahrnehmen der einzigartigen Leistungen in der prähistorischen Zeit (1300 v. Chr.) und der sogenannten „Lausitzer Kultur“ (bronze- und eiszeitliche Kultur 1300- 500 v. Chr.) ist ein wesentlicher Schwerpunkt der Stiftungsarbeit. Mit der Unterstützung des Spreewald-Literatur-Stipendiums möchte die Stiftung darüber hinaus zeitgenössischen Literaten die Möglichkeit eröffnen, sich vom Spreewald inspirieren und ihn so in ihre Werke einfließen zu lassen.

www.spreewaelder-kulturstiftung.com

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S P R E E W Ä L D E R KULTURSTIFTUNG auf Schloss Müschen

IMPRESSUM Herausgeber: © 2012 Spreewälder Kulturstiftung Fotos: Nikolaj Georgiew, Gerd Spans, Volker Linger, Esther Bernstorff, Wolfgang Schlüter Gestaltung: Ronald Reinsberg Druck: Druckteam, Berlin ISBN 978-3-00-036744-1


S P R E E W Ä L D E R KULTURSTIFTUNG auf Schloss Müschen


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