SPREEWALD ANTHOLOGIE V

Page 1

S P R E E WA L D A n T H O L O G I E V

SPREEWALD AnTHOLOGIE V

Spreewald-Literatur-Stipendium 2012 - 2013


S P R E E WA L D A n T H O L O G I E V

SPREEWALD AnTHOLOGIE V

Spreewald-Literatur-Stipendium 2012 - 2013


SPRE EWA L D A N T HOLO G IE V

Spreewald-Literatur-Stipendium 2012 - 2013 Susanne Kippenberger Saša Stanišić Markus Orths Akos Doma Volker Harry Altwasser



INHALT

Susanne Kippenberger.............................................................................................................................. 05 Rot – Grün – Blau. Der Herbst 2012 in der Bleiche............................................................................................. 06 Saša Stanišić................................................................................................................................................. 19 Mitgenommen ...................................................................................................................................................... 20 Markus Orths .............................................................................................................................................. 23 Der Sommelier...................................................................................................................................................... 24 Akos Doma...................................................................................................................................................... 35 Vorbei.................................................................................................................................................................... 36 Die Stille der Bleiche............................................................................................................................................ 44 Volker Harry Altwasser ....................................................................................................................... 47 Ferne, so nah......................................................................................................................................................... 48 Die jury.............................................................................................................................................................. 53


Herbst 2012


Foto: © Elena Steil

SUSANNE KIPPENBERGER Wurde 1957 in Dortmund geboren, aufgewachsen in Essen. 1976/77 Studium Generale am Leibniz Kolleg Tübingen, anschließend Studium der Germanistik, Anglistik, Amerikanistik­in Tübingen und an der Wittenberg University in Springfield, Ohio, Abschlussarbeit über Woody­ Allens “Stadtneurotiker“. 1985/86 Fulbright-Stipendium zum Studium der Filmwissen­schaften an der New York University, Praktikum am Museum of Modern Art, anschließend freie Journalistin in Hamburg. Seit 1989 beim Berliner Tages­spiegel, 2007 erscheint „Kippenberger. Der Künstler und seine Familien“ (Berlin Verlag). 2009 „Am Tisch: Die kulinarische Bohème oder Die Entdeckung der Lebenslust“ (Berlin Verlag). 2011 Stipendiatin der Villa Aurora in Los A ­ ngeles, Arbeit am Buch „Das rote Schaf der Familie – Jessica Mitford und ihre Schwestern“, das im Herbst 2014 bei Hanser Berlin erscheint.

5


Rot – Grün – Blau Der Herbst 2012 in der Bleiche Immer, wenn ich nicht mehr weiter weiß, fange ich an zu schwimmen. Bewege Arme und Beine im Takt, gleite durchs sanfte Wasser. Der Rhythmus beruhigt mich sofort, trägt mich fort. Ich schwimme, während ich durch die Berliner Straßen laufe – wenn ich in Panik gerate, weil ich denke, das schaffe ich nie. Andere atmen tief in solchen Situationen, ich schwimme in Gedanken. Das tue ich, seit ich in der Bleiche war. Ich schwimme mich frei. Help! Help!, lautete der Refrain des Lieds „Grace Darling“, das Jessica Mitford, über die und deren Schwestern ich drei Jahre lang schrieb, mit ihrer Familie so gerne sang. Es ging um eine Leuchtturmwärterstochter, die Schiffbrüchigen das Leben rettete. Wenn die Mitfords den Song auf ihrer Hebriden-Insel im stürmischen schottischen Meer mehr schrien als sangen, kamen, so erzählten sie gern, die Boote aus der Umgebung tatsächlich herbeigeeilt, um zu helfen. Help! Help! Bücher lesen sich manchmal so leicht. Und schreiben sich so schwer. Was macht man, wenn man dauernd gegen Mauern – nein, nicht rennt, sondern schleicht? Man zieht in die Bleiche, vier Wochen lang. John von Düffel, auch er Literaturstipendiat, im ersten Jahrgang, hat einen Roman geschrieben, der in der Bleiche spielt, „Goethe ruft an“. Darin bietet die Hauptfigur einen Kurs an für Schriftsteller und solche, die es gern wären, unter dem Titel Leichtschreiben. Bisher war mir das Schreiben immer leicht gefallen, hatte mir immer Spaß gemacht. (Nur als ich aufhörte zu rauchen, ein Vierteljahrhundert war das her, habe ich schon einmal gelitten wie ein Hund, kam mir wie ein Analphabet vor.) Schreibblockade, das stellt man sich vor wie in Hollywood, irgendwann platzt der Knoten und alles ist gut, die Worte fließen in Strömen. Aber was, wenn man den Knoten mühsam aufdröseln muss, er sich immer wieder verwirrt?

6


In der Bleiche war vom ersten bis zum letzten Moment so ein Gefühl von Ruhe da, als wäre ich die ganze Zeit in einen molligen Bademantel gehüllt, der mich wie ein Zaubermantel beschützt vor der eigenen Nervosität und Angespanntheit, dem ungeheuren Druck. Jeden Morgen um viertel vor sieben bin ich den Bademantel geschlüpft und nach unten ins Freibad gegangen. Es war noch dunkel, wenn ich runter kam, meist hatte ich den Pool für mich. Der Dampf schwebte über dem Wasser, das wärmer war als die Luft, der Mond hing noch am dunklen Himmel. Langsam wurde es lichter, das Grün des Parks kam allmählich zum Vorschein, die Lichtkugeln leuchteten farbig im Gras. In der einen Richtung schwamm ich nach Frankreich, so wirkte der Garten auf mich, in der anderen Richtung nach Schweden. Daran erinnerte mich die Therme, in skandinavischem Rot gestrichen. Ich schwimme langsam wie ein Entchen, Köpfchen in die Höh. Das Wasser war so weich und sanft, wie ich es noch nie in einem Pool erlebt habe. Nicht mal ein Hauch von Chlor. Ich wollte gar nicht mehr aufhören. Als „Fliegen für Feiglinge“ hat die Schriftstellerin Katharina Hagena das Schwimmen beschrieben, als „Schweben ohne Absturzgefahr.“ Ich bin ein ängstlicher Typ und schrieb über eine Frau, die keine Angst kannte (höchstens vor den Lehrern ihrer Kinder, war sie doch selber, zu ihrem allergrößten Kummer, nie zur Schule gegangen). An einem Ort, der quasi ein Denkmal des Mutes ist: Anders kann man es nicht nennen, was Familie Clausing hier aufgebaut hat. Ich habe mir den Wecker gestellt, nicht, um mich weiter unter Druck zu setzen, sondern um rechtzeitig unten zu sein und die Ruhe zu genießen, im Pool und beim Frühstück danach: immer im Grünen Gewölbe, mit Hafenblick. Ich bin so früh aufgestanden, um den ganzen langen Tag vor mir zu haben. Er kam mir viel länger als anderswo vor: allein weil ich mich nicht, nicht mal in Gedanken, um irgendwas kümmern musste. Kein Einkaufen, kein Kochen, keine Termine.

7


8


In der Bleiche, stellte ich irgendwann fest, ticken die Uhren anders. Nämlich gar nicht. Es hat eine Weile gebraucht bis ich bemerkte, dass die Zeit hier nicht gemessen wird, dass nirgendwo Uhren stehen oder hängen, außer der einen, antiken, in der Weißbierstube, und die stand still. Ich selber habe vor Jahren aufgehört, Armbanduhren zu tragen, lege sie nur noch in dringenden Fällen, auf Reisen oder bei Lesungen um. Mich schnüren sie ein, am Handgelenk, ebenso wie im Kopf. Ich will der Zeit nicht beim Verrinnen zugucken. „Die Zeit rast“, schrieb mir eine Freundin aus Berlin. Ich konnte mir gar nicht mehr vorstellen, was sie meinte. Im Spreewald wurde die Zeit ein langer ruhiger Fluss. Wie ein Fließ. In den Fließen spiegelte sich die Umgebung, die Büsche, die Bäume, das ganze Grün, als gäbe es alles doppelt, auch die Zeit. Dass das Wochenende gekommen war, merkte ich nur daran, dass die Paare jünger und die Autos dicker wurden. Überhaupt, dass es voller war. Was für ein Luxus: Sich einfach an den gedeckten Tisch zu setzen. Wenn ich in meinem Riesenzimmer im ersten Stock am Schreibtisch saß, mit den riesigen Fenstern zu zwei Seiten, war es fast, als wenn ich draußen wär’, und doch geschützt. Es kam mir vor, als säße ich in einem Vogelhäuschen, so wie jenes im Baum vor meinem Fenster. Auch ich wurde gefüttert und getränkt: Filet vom norwegischen Lachs mit Wermutsauce, Keule vom märkischen Schwein mit Schnippelbohnen, Reh und Hirsch aus Spreewälder Jagd, Fenchelsuppe mit Thymian, lauwarmer Salat von lila Kartoffeln, Geflügelleberpralinen mit dreierlei Gemüsecreme, Wildbratwurst mit Selleriecreme, Blumenkohl-Panna Cotta mit Feldsalat und Kartoffelstroh, Tafelspitzsülze mit Gurkenbrotchip, Kürbissuppe mit Kernen und Öl, Rahmsuppe von weißen Zwiebeln mit Knusperstange, im Ofen gegartes Herbstgemüse, Burger Bienenstich, Rouladen vom Ogrosener Biorind mit Rotweinsauce, Holunderküchlein und Zwetschgenkompott... Die Menüs habe ich alle aufgehoben. In meinem Vogelhäuschen saß ich immer im Hellen und Warmen – im für mich, als AltbauHochparterre-Bewohnerin so ungewohnt Warmen, dass ich am zweiten Tag den Haustechniker rief, ich kriege die Heizung nicht aus, könne er wohl helfen, und er, nachdem er prüfend an ein paar Rädchen gedreht hat, sagte, die Heizung ist gar nicht an.

9


„Liebe ist Zeitvergessenheit, Arbeit ist Zeitversessenheit“, hat der Zeitforscher Karlheinz Geißler erklärt. Stimmt nicht immer und überall. In dieser Umgebung, in der das Internet gebremst war und das Handy an den meisten Orten einfach verstummte, war es in Ordnung, dass auch das Schreiben langsam floss. In der Ruhe liegt die Kraft, erklärte der Kellner eines Abends einem ungeduldigen Gast. Ich habe nicht schneller geschrieben in der Bleiche, aber ruhiger. Und dadurch lieber. Langsamkeit wurde in einem der Bücher auf meinem Zimmer nicht als Gegenteil von Schnelligkeit definiert, sondern als Gleichklang aller Bewegungen, wie ich ihn beim Schwimmen erlebe, im Wasser wie beim Schwimmen in Gedanken, auf dem Trockenen. Man könnte es auch Gelassenheit nennen. Etliches, von dem was ich hier schrieb, musste ich am Ende wieder rausnehmen, eindampfen. So wie Oliver Heilmeyer in seiner Küche. Zurück blieb das Konzentrat. (Auch wenn selbst das noch dick geriet.) Nachdem die Engländerin Jessica Mitford 1943 amerikanische Staatsbürgerin geworden war, konnte sie zusammen mit ihrem zweiten Mann endlich das tun, was sie schon lange wollte: in die Kommunistische Partei der Vereinigten Staaten eintreten. Einen Großteil meiner Spreewälder Zeit habe ich mit ihren Parteiaktivitäten und ihrem Engagement in der Bürgerrechtsbewegung verbracht, mit der Hexenjagd in den 40er, 50er Jahren. Mitford und ihr Mann Bob Treuhaft wurden vor den HUAC zitiert, jene Institution, die so absurd war wie ihr Name: House Un-American Activities Committee. Schon die Vorladung kam einem Schuldspruch gleich, aus Zeugen wurden Angeklagte, deren berufliches und privates Leben oft zerstört wurde. Viele verloren ihre Jobs oder Kunden, anderen drohte Berufsverbot, die Vorgeladenen – und deren Kinder – wurden von Nachbarn, Kollegen und Freunden geschnitten. So habe ich viel über die Farbe Rot nachgedacht in diesen Wochen. „Better dead than red,“ hieß der Schlachtruf Amerikas im Kalten Krieg. Rot war keine Farbe, sondern eine Bedrohung. „Red Scare“ hieß eines der Bücher, die ich jetzt las. Und ich: stieg morgens in meinen roten Badeanzug, zog mir abends meine roten Schuhe an, setzte mich in die Rote Bibliothek und bestellte Rote-Bete-Spaghetti. Das war zum Essen mein

10


Lieblingsplatz, das Tischchen mit dem Lämpchen, in dessen Schein man zwischen den Gängen so gut lesen konnte. Das Rot des kleinen Raums hatte etwas so Warmes, zugleich Stärkendes und Besänftigendes. Die Künstlerin Marina Abramovic, auch sie eine Radikale, saß bei ihrer Performance The Artist is Present im Museum of Modern Art zweieinhalb Monate regungslos auf einem Stuhl, vor sich einen Tisch, und guckte wechselnden Museumsbesuchern in die Augen. Auf diese Mammutperformance hatte sie sich monatelang vorbereitet. Ein paar Tage vor der Ausstellungseröffnung bekam sie eine schwere Erkältung. Rot, hatte ihr jemand gesagt, gibt Kraft. Also legte Abramovic sich im roten Nachthemd ins Bett, unter eine rote Decke. Es hat gewirkt, am Tag der Eröffnung saß die 63-Jährige in einem bodenlangen, langärmligen, hochgeschlossenen roten Kleid am Tisch. Sie saß insgesamt 736 Stunden und 30 Minuten dort, ohne Essen, ohne Trinken, ohne Klo, ohne Rührung. Die Leute standen Schlange, um sich ihr gegenüberzusetzen. Oft liefen ihnen die Tränen übers Gesicht, während sie da saßen. Auch in der Bleiche strahlt das Rot Kraft aus. Auf meinem Weg vom Zimmer zum Pool oder Essen erfreute ich mich jedes Mal an der knallroten Wurstschneide- und der ebenso knallroten Espressomaschine im À-la-carte-Restaurant. Und an der Blauen Küche des 17fuffzig. Rot, Grün, Blau, das sind meine Lieblingsfarben. Während meines Aufenthalts in der Bleiche habe ich gebadet in ihnen. Wasserblau, Spreewaldblau, Schwimmbadblau, Himmelblau, blaue Handtücher, Blaukraut und hinterher Pflaumenragout, gebrannte Creme mit Blaubeeren. Niveablau, blaue Stunde, Nachtblau: Nach dem Abendessen bin ich immer noch mal raus gegangen, zum Sterne gucken. Die seh ich von meiner Schöneberger Hochparterrewohnung aus nie. Wenn ich wieder zurück, aufs Hotel zu lief, empfing mich das schwimmbadblaue Licht des Foyers. Redesdale blue: Die Farbe der blaublütigen Mitfords, deren Adelsname Redesdale lautet, ist tatsächlich blau, so wie die Augen der Schwestern – ein so intensives Stahlblau, dass die Zeitgenossen immer wieder davon schwärmten.

11


Blau soll die Lieblingsfarbe der Deutschen sein. Als „ruhig, friedlich, entrückt“ beschreibt Michel Pastoureau die Farbe in seiner Kulturgeschichte des Blaus. Es könnte nicht schöner sein, sagte Oliver Heilmeyer über das Arbeiten in seiner Blauen Küche, die mich so anstrahlt. „So ruhig, so konzentriert.“ Blau, sagen die Farbpsychologen, vermittelt Ruhe, Grün Stille. Von beidem gab es im Spreewald reichlich. Ich liebe das leichte Gluckern und Plätschern des Wassers, das hier die Hintergrundmusik liefert. Das Knirschen der Schuhe im Kies, das Knistern des Holzes im Kamin, das Zirpen unsichtbarer Grillen. Was für eine Wohltat, dass beim Essen keine Musik läuft. Das Grün des Spreewalds dämpft die Geräusche. Grünes Gewölbe, grüne Gläser, grüne Sitze, Berliner Weiße, rot oder grün, grüne Büsche, grüne Bäume, grünes Gras, das, frisch gemäht, so köstlich roch. Ohne Grün könnte ich nicht leben, das ist einer der Gründe, warum ich England liebe. Ich bin kein Wüstenmensch. Der Spreewald soll grüner werden, las ich während meiner Zeit in der Bleiche in der Zeitung. Noch grüner? Ohne festgelegte Zeiten und Pflichten – nach zwei Wochen habe ich zum erstenmal überhaupt wieder einen Termin gemacht (zur Massage) – schuf ich mir meine Rituale selbst. Am Nachmittag bin ich aus meinem Vogelhäuschen im ersten Stock immer zur Kaffeepause nach unten gestiegen, oft überrascht, wo die ganzen Leute im Foyer herkamen, von denen ich oben kaum etwas mitbekam. Dann las ich in den Erinnerungen der Schriftstellerin Lillian Hellman, einer Freundin von Jessica Mitford. „Scoundrel Time“, „Zeit der Schurken“, hat sie ihr Buch über die Zeit der Hexenjagd genannt. Hellmans Lebensgefährte, Krimiautor Dashiell Hammett, hatte schon im Gefängnis gesessen, weil er als Mitarbeiter der Bürgerrechtsgruppe, für die auch Jessica Mitford arbeitete, die Namen der Spender nicht herausrücken wollte. Jetzt war Lilian Hellman ebenfalls vorgeladen, was für die Drehbuchautorin wie für viele Kollegen in solchen Fällen einige Jahre lang Berufsverbot bedeutete. Aus Hollywood bekam die Drehbuchautorin keine Aufträge mehr. Ihr Einkommen schrumpfte nach ihren Angaben von 140.000 Dollar im Jahr auf 10.000, wovon das Finanzamt einen Gutteil einbehielt, das auch von Hammett so viel Geld eintrieb, dass das Paar seine geliebte Farm in der Nähe von New York verkaufen musste.

12


13


An dem Sonntag, an dem Lillian Hellman ihre letzten Sachen in Kisten packte – Hammett hatte sie schon in die Stadt zurück geschickt; zusammen Abschied zu nehmen, fand sie zu hart –, rief Henry Wallace, ein entfernter Nachbar, am Nachmittag an, um sie zu einem Abschiedsabendessen einzuladen. Sie hatte sich, wie viele Linke, 1948 in seinem Wahlkampf als Präsidentschaftskandidat der Progressive Party stark engagiert, dann aber, ebenfalls wie viele, ein ambivalentes Verhältnis zu dem Politiker entwickelt. Doch am Tiefpunkt ihres Lebens angekommen, zu einer Zeit, als sich so viele ihrer Freunde einfach nicht mehr meldeten, empfand sie die Einladung als rare Geste der Menschlichkeit. Und obwohl sie vom Packen und vom Traurigsein eigentlich zu erschöpft war, um sich ins Auto zu setzen, machte sie sich auf die halbstündige Fahrt. Nach bedeutungslosem Geplänkel und ohne den von ihr ersehnten Drink, rief die Hausfrau, Ilo, zu Tisch. „Ilo’s dinner consisted of two poached eggs for Henry put on two shredded wheat biscuits, a horrid sight, made more insulting by one egg on shredded wheat for me and one for Ilo.“ Dieses Bild wurde ich in meinen Wochen in der Bleiche nicht mehr los. „Scoundrel Time“ las ich auf der Terrasse in diesem Herbst, in dem die Sonne gar nicht aufhörte zu scheinen, oder drinnen, in einen Sessel versunken, während ich das köstliche Eis löffelte, von dem ich gar nicht genug kriegen konnte, Haselnuss und Himbeer mit Sahne, und mir das rote ­Taschenbuch von 1976 auseinanderfiel – es rieselte beige-braunes Papier. Ich konnte es nicht glauben, kam mir vor wie im Schlaraffenland, dass ich mich einfach hinsetzen konnte und etwas Herrliches ­bestellen. Anfangs kam ich mir wie eine Betrügerin vor, eine Zechprellerin, wenn ich einfach aufstand und ging, meinen Zauberschlüssel 605 in der Hand. Fast hatte ich das Gefühl, dass ich mich bei den Kellnern entschuldigen musste dafür, dass ich die Literaturstipendiatin der Saison war. Ich konnte es einfach nicht glauben, dass es so was gibt, eine solche Großzügigkeit. Die herzlose, verletzende Knausrigkeit von Lillian Hellmans Gastgebern ließ mich die Großzügigkeit meiner Gastgeber, die an keine Erwartungen, keine Bedingungen geknüpft war, außer der, ein paar mal zu lesen und einen­Text über den Aufenthalt zu schreiben, umso unglaublicher, märchenhafter erscheinen. Es ist eine Großzügigkeit, die im ganzen Hotel zu spüren war. In der Weite des Foyers, bei den schweren Bildbänden, die überall lagen, auf dass man sie nahm und sich ansah. Bei den langen Frühstückszeiten. Dem Licht, das immer leuchtete.

14


Jessica Mitford, die den Ideen der Kommunisten treu blieb, auch nachdem sie Ende der 50er Jahre aus der Partei ausgetreten war, hatte mit den Clausings durchaus Ähnlichkeiten in ihrer Eigen­ willigkeit und Generosität. Sie hat den Luxus geliebt, hat ihn „geschlabbert“, wie sie es nannte. Vor allem, wenn sie nicht selber bezahlen musste dafür. Die Aktivistin, die sich unermüdlich für die Rechte von Schwarzen, von Häftlingen, von Entrechteten und Unterdrückten einsetzte, liebte den Komfort und eine heiße Badewanne. Sie liebte das Leben. Auch über diese Seite von ihr habe ich hier geschrieben. Ich kam mir vor wie Alice im Wunderland. Am Ende der vier Wochen krabbelte ich wieder zurück aus der Bleiche wie Alice aus ihrem Kaninchenloch, zurück in die wirkliche Welt, was gar nicht so einfach war. Schon die wenigen Ausflüge aus der Bleiche nach Burg waren ein Realitätsschock gewesen, schnell zog ich mich jedesmal wieder hinter die Hecken zurück, die ich als Schutzwände erlebte. Dass die Zeit im Spreewald tatsächlich langsamer vergeht, konnte ich am Tag meiner Rückkehr mit eigenen Augen sehen: Im Spreewald war im Laufe der vier Wochen ganz allmählich aus Grün Rot geworden, aber noch leuchteten die Blätter an den Bäumen. In Berlin flogen sie wie Schnee von den Zweigen. Neulich, zwei Jahre nach meiner Bleiche-Zeit, fiel mir eine verschrumpelte Kastanie in die Hand, die sich in den Tiefen einer Tasche verborgen hatte. Bei meinem täglichen Spaziergang im Spreewald waren mir die Kastanien oft vor die Füße geknallt, die stachelige Hülle platzte auf, zurück blieb die glatte braune Kugel, ein Handschmeichler. Ich konnte nicht widerstehen, hob sie auf. Kastanien sind meine Madeleines, sie transportieren mich in meine Kindheit zurück, als wir in Essen-Frillendorf am Ende einer Kastanienallee wohnten und sie tütenweise einsammelten, mehr als wir je mit Hilfe von Streichhölzern zu Rehen verwandeln konnten. Sie haben etwas sehr ­Melancholisches. Das sichere Zeichen, dass der Herbst da ist. Ich mag Bäume. Laubbäume. Kastanien, Birken, von denen ich hier viele sah. Das Schöne am Spreewald ist ja, dass er gar kein Wald ist, kein richtiger, dass er nicht dicht, sondern licht ist. Wald hat so was Düsteres, finde ich, vor allem wenn er aus lauter Nadelbäumen zusammen gesetzt ist.

15


16


Jessica Mitford hätte den Luxus in der Bleiche in vollen Zügen genossen, das Umringtsein von so vielen Heinzelmännchen, die einem das Gefühl vermitteln, dass es kein Problem gibt, für das sie nicht eine Lösung hätten. Sie hätte sich sicher in der Bar an den Flügel gestellt und ihre Hits geschmettert. Natürlich auch „Grace Darling“, die Ballade über die englische Leuchtturmwärterstochter, die den Schiffsbrüchigen das Leben rettete. Jessica Mitford hat Grace Darling ein eigenes Buch gewidmet, „Grace had an English Heart“: Das war das Erste, woran ich in der Bleiche gearbeitet habe, noch am Tag meiner Ankunft. Ich war ins Blaue gefahren, ohne zu wissen, wie es wird, ob das funktionieren kann, an einem Ort zu arbeiten, an dem alle anderen Urlaub machen. Ich habe mein blaues Wunder erlebt. Jetzt, zwei lange Jahre später, ist mein Buch endlich fertig und tatsächlich da: „Das rote Schaf der Familie“. Mit viel Rot auf dem Cover.

17


Winter 2012


Foto: © Katja Sämann

SAŠA STANIŠIĆ Wurde 1978 in Višegrad (Bosnien-Herzegowina) geboren und lebt seit 1992 in Deutschland.­ Sein Debütroman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ wurde inzwischen in 30 Sprachen­ übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter 2008 mit dem Adelbert-vonChamisso­-Preis. Er ist freier Autor und Reisejournalist und betreibt das Literaturatelier ­Adler & Söhne. Für seinen zweiten Roman „Vor dem Fest“, an dem er während seines Stipen­diums­ aufenthaltes gearbeitet hat, erhielt er 2014 den Preis der Leipziger Buchmesse.

19


Mitgenommen Zur Bleiche überhörte ich, erst zufällig, dann voyeuristisch, das Gespräch zwischen einer Heiratsvermittlerin und einem älteren Herrn; sie stellte Fragen über seine potentielle Zukünftige, er rauchte eine nach der anderen. Nachdem sie wieder gefahren war, saß er noch lange da – die Sonne ließ die Schneekristalle funkeln wie Hoffnungen in schlechten Bildern funkeln, ein kleiner Mann mit schäbigem Mäntelchen und Sechs-Tage-Bart –, raucht und denkt nach. Und ich erschuf für mein Buch die Figur einer Heiratsvermittlerin, die einen älteren Herrn – einen ehemaligen NVA-Offizier – besucht, um ihn zu seinen Vorstellungen über seine potentielle Zukünftige zu befragen. Zur Bleiche lief mir am Vorabend einmal ein Fuchs über den Weg; in großer Nähe blieb er stehen, wandte das Köpfchen mir zu – ich hatte die Straße verlassen, war durch einen lichten Wald gejoggt, sein Revier, ein Märchen, betreten – und das Tier ließ mich wissen – das stellte ich mir vor: „Dort, wo du bist, hast du bestimmt nichts verloren.“ Sein Blick, der eines Hausmeisters, wenn er ein Kind erwischt hat, das sich aufhielt, wo es schön ist, aber verboten. Und ich erschuf für mein Buch die Figur einer Fähe, wie sie ihr Revier verlässt und bei den Menschen zu jagen, ich gab ihr eine Sprache, ohne sie zu stark zu vermenschlichen, ich gab ihr die Tragödie, die dem Buch sonst gefehlt hätte. Zur Bleiche dachte ich über lokale Legenden nach; was sie uns bedeuten, Generationen später nach ihrem ersten Aufkommen – meistens, seien wir ehrlich – nichts. Ich traf sogar eine lokale Legende, eine lebende Legende, ich sprach mit ihr, zu kurz, weil das Sprechen mit Legenden immer nur zu kurz geraten kann, und ich stellte mir vor, wie das wäre, wenn Legenden sprechen könnten, würden sie von jenen erzählen, die sie schufen, oder immer nur von sich selbst – als Helden vom eigenen Erzählen.

20


Und ich erschuf für mein Buch lokale Legenden, wie sie sich selbst erzählen, wie sie durch eine Nacht schlafwandeln, als seien sie nicht aus Sprache und Tod, sondern aus Fleisch und Blut; ich belebte mein Dorf mit chronischem Wissen um die eigene Vergänglichkeit. Zur Bleiche schwitzte ich einmal in der Sauna; es gab einen Schnaps-Aufguss, und das fand ich komisch, ich bin kein erfahrener Saunierer, ich konnte mir nicht vorstellen, dass mit Schnaps aufgegossen werden kann, und wozu das gut sein soll, der Schnaps ist doch zum Trinken da. Aber wie ich da dann saß, Knie an Knie mit anderen vielleicht Verwunderten, da rief einer von ihnen: „Wie lange muss man denn hier so hocken, um so richtig besoffen zu werden?“ Ich fand, das war ein guter Satz. Und ich erschuf für mein Buch eine Saunaszene, in der einige übergewichtige Männer miteinander schwitzen, und es gibt einen Birnenschnaps-Aufguss, und der Erzähler fragt sich, warum niemand den guten Satz von oben sagt, und einer der Männer steht auf und bedroht einen anderen mit seinem Reitersäbel. Zur Bleiche zockte ich ein bisschen an der Börse und gewann, mehrheitlich. Zur Bleiche beschloss ich, kein Broker zu werden, sondern das verdammte Buch zu schreiben. Und ich verließ Zur Bleiche und ich schrieb das verdammte Buch.

21


Fr端hjahr 2013


Foto: © Olaf Kutzmutz

MARKUS ORTHS Wurde 1969 in Viersen geboren, studierte Philosophie, Romanistik und Anglistik in Freiburg und lebt als Autor in Karlsruhe. Er erhielt für seine Romane und Erzählungen in Klagenfurt den Telekom-Austria-Preis (2008), den Niederrheinischen Literaturpreis der Stadt Krefeld (2009) und den Phantastikpreis der Stadt Wetzlar (2011). Im Verlag Schöffling & Co erschienen die Erzählbände „Wer geht wo hinterm Sarg?“ (2001) und „Fluchtversuche“(2006), sowie die Romane „Corpus“ (2002), „Lehrerzimmer“ (2003), „Catalina“ (2005), „Das Zimmermädchen“ (2008), „Hirngespinste“ (2009) und „Die Tarnkappe“ (2011). Drei seiner Bücher sind in insgesamt 17 Sprachen übersetzt worden. Der WDR produzierte 2011 sein Hörspiel „Im Séparée“.

23


Der Sommelier „Martin!“, sagte meine Mutter am Bahnhof. „Schön, dass du da bist. Hast du die Wäsche dabei?“ „Was für Wäsche?“ „Zum Waschen!“ „Mama“, sagte ich, „ich bin vierundvierzig.“ „Ja, aber früher hast du doch immer Wäsche mitgebracht!“ „Als ich studiert hab vielleicht. Das ist jetzt fünfundzwanzig Jahre her.“ Die Fahrt vom Bahnhof nach Hause verlief wie üblich. Mutter winkte papstgleich jedem der auf den Bürgersteigen uns entgegenkommenden Leute zu, kommentierte jede dieser Begegnung mit einigen Sätzen: „Ach, der Rensing, dass der sich noch aus dem Haus traut, der ist doch vor vier Wochen fies gefallen und hat sich die Hüfte geprellt, guck mal, die Tochter vom Kleinert Josef, die hat es auch nicht leicht bei dem Vater, da, der Beuten, der geht bestimmt wieder zum Frühschoppen, nee, das ist nicht schön, unser Onkel Willi, der ist auch jeden Sonntag zum Frühschoppen gegangen, nach der Messe, der hat getrunken, da blieb kein Auge trocken, und in der Fastenzeit, hat der immer gesagt, also die paar Wochen kann ich ja mal drauf verzichten, was zu trinken, und dann ist der auch tatsächlich an der Kneipe vorbei gegangen, wo er sonst immer reinging, nach der Messe, ach, guck mal, die alte Spechert, die tut es auch nicht mehr lange, da drüben, das ist der Enkel vom Breitenbach Heinrich, guck dir mal an, wie der rumläuft, die Haare, die Jeanshose, auch noch zerrissen, nee, da muss ich schon sagen, da haben wir Glück gehabt, Martin, dass aus dir einigermaßen was geworden ist bis jetzt, aber man weiß ja nie, ja, was wollte ich erzählen, genau, der Willi, der ist dann also an der Kneipe vorbei gegangen, nee, hat der gesagt, heute trinke ich kein Bier, Fastenzeit, und als der schon hundert Meter weiter gegangen war, hat der gesagt, Mensch, Willi, hat der sich gesagt, das hast du ja gut geschafft, Willi, da bist du glatt an der Kneipe vorbei und hast auf dein Bier verzichtet, das hast du gut gemacht, Willi, dafür hast du eine Belohnung verdient, dafür, dass du an der Kneipe vorbei gegangen bist, zur Belohnung hast du dir ein Bier verdient, und dann ist der also wieder zurück zur Kneipe und hat sein Bier getrunken, und nicht nur eins, ja, wenn es nur eins gewesen wäre, aber, ach nee, das gibt es doch gar nicht, guck mal, die Frau Schneider, mit wem redet denn die?, das ist aber nicht ihr Mann, das ist, den kenn

24


ich ja gar nicht, die kann sich doch nicht einfach auf offener Straße mit einem wildfremden Mann unterhalten, das gibt es doch gar nicht, so was, das hätt ich aber nicht von der gedacht, der arme Johannes, also, dem werd ich was erzählen, wenn ich den das nächste Mal treff, ach, das Lieschen, also wenn du die triffst, dann bist du verkauft, Martin, die redet ohne Punkt und Komma, die redet ja wie ein Wasserfall, aber die lässt mich nie in ihre Wohnung, nein, die fängt mich immer am Törchen ab, wenn ich vom Einkaufen komme, die muss ja im Fenster sitzen und mich abpassen, und dann redet die, das kannst du dir nicht vorstellen, die lässt mich aber nicht ins Haus, nein, das ist viel zu unordentlich da drin, die soll ja so ein richtiger – wie heißt das noch? – Messias sein, die sammelt alles, was man sich vorstellen kann, Stoffbären, Plastikpuppen, Plüschhasen, und reden kann die, kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen, aber die lässt mich nie ins Haus, und da stehe ich also am Törchen und jetzt im Winter wird das auch immer so kalt, aber du kannst nichts machen, da kommst du einfach nicht weg, ich weiß nicht, ob du so Leute kennst, die einfach nicht aufhören können zu reden?“ „Nein“, sagte ich. „Da hast du aber Glück gehabt.“ Ich räusperte mich. „Mutter“, sagte ich, „es gibt eine Überraschung.“ „Was denn?“ „Wir fahren weg!“ „Wer? Wir?“ „Nur wir zwei! Eine Woche. In den Spreewald. Ins Hotel Zur Bleiche!“ „Zur Leiche?“ „Zur Bleiche!“ „Ehrlich? Wann?“ „Gleich morgen früh. Dann kommst du hier mal raus. Das wird dir gut tun. Für morgen Abend hab ich schon einen Tisch reserviert. Im Nobelrestaurant. Siebzehnfuffzig heißt das. Nur die allerbeste Sterneküche!“ „Ja, ist das nicht zu teuer?“

25


„Ach was! Du musst dir mal was gönnen!“ „Nur wir zwei“, sagte meine Mutter, „das ist schön. Dann können wir endlich mal in Ruhe reden.“ Rund dreißig Stunden später betraten wir im Spreewald gegen achtzehn Uhr das Restaurant Siebzehnfuffzig und wurden am Eingang empfangen. „Ach, das ist aber nett, dass Sie mir die Jacke abnehmen“, sagte meine Mutter, „das ist man gar nicht mehr gewöhnt, mein Mann hat das schon Jahre nicht mehr gemacht.“ „Mutter“, sagte ich, „kommst du bitte?“ Nachdem wir uns gesetzt hatten – nicht ohne, dass meine Mutter im Vorbeigehen einem erstaunt aufblickendem Pärchen zugerufen hatte, „Wir sind zum ersten Mal in so einem Laden, ich hoffe, dass wir nichts falsch machen, ich weiß ja gar nicht, wie das geht, hier drinnen“, die anderen Gäste sich die Hälse verdrehten, und mir erstmals ein wenig Schweiß den Nacken hinunterlief – nachdem wir uns also gesetzt hatten, brachte ein Kellner die Karten, und meine Mutter sagte: „So wenig? Das ist ja nur eine Seite. Also, da gibt es ja im Hirschen bei uns um die Ecke mehr Auswahl.“ „Wie bitte?“, fragte der Mann. „Nichts, nichts“, flüsterte ich schnell. „Entschuldigen Sie.“ „Da stehen ja auch gar keine Getränke drauf“, sagte meine Mutter. „Gibt’s hier nichts zu trinken?“ Der Kellner blickte mich vorwurfsvoll an, ich vertiefte mich in die Karte und tat, als hätte ich nichts gehört. Kurz streifte mich der Gedanke, dass es besser und weniger peinlich wäre, jetzt einfach aufzuspringen und aus dem Restaurant zu flüchten. Der Kellner sagte: „Die Wein-Karte wird Ihnen später gereicht, nachdem Sie das Menü gewählt haben, damit man den Wein passend zu den Speisen kredenzen kann.“ „Ach“, sagte meine Mutter, „ist denn jemand gestorben?“ „Bitte?“ „Weil Sie uns kredenzen wollen.“ Der Kellner entfernte sich mit angedeuteter Verbeugung. „Ja“, sagte meine Mutter, als wir allein waren, „ich versteh kein Wort. Was heißt das: En-treKot-te? Ist das ein Kotelett? Ach, guck mal, hier gibt es was mit Fisch. Das ist bestimmt Karpfen. Auf Italienisch. Car-pa-cchio. Dass die das nicht auf Deutsch schreiben können.“ „Nein“, sagte ich, „das ist geschnittenes Rindfleisch. Noch sehr blutig. Und kalt.“

26


27


„Was?“, rief meine Mutter. „Kaltes, blutiges Rindfleisch? Da kann ich ja direkt zum Schlachthof gehen!“ „Mutter“, flüsterte ich. „Nicht so laut, bitte.“ „Kalbsnierchen? Ich hatte erst vor nem halben Jahr den Nierenstein. Da bin ich die Wände hochgegangen, so hat das weh getan. Haben die denn nichts Normales?“ Ich verkroch mich weiter hinter der einseitigen Karte, so gut das ging, und dachte, Mensch, Martin, was für eine tolle Idee, dachte, lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Plötzlich hörte ich einen entsetzten Aufschrei meiner Mutter. Ich fuhr hoch. Die Gäste drehten die Köpfe um. „Ober!!“, schrie meine Mutter. „Ober!!“ „Mutter!“, flüsterte ich. Der Kellner eilte herbei. „Sie wünschen?“ „Sagen Sie, ist das hier ein Tippfehler oder heißt das wirklich Köstlich gegrillte, frisch von der Korri...dor ... Corri...da aus Malaga eingeflogene, und an Zimtäpfeln gereichte Stier-HODEN???!!!“ „Jawohl, eine unserer Delikatessen.“ „Ich ess doch nichts, was vorher, also, womit man, das kann man ja gar nicht aussprechen, das gibt es doch gar nicht, so was, nein, wissen Sie was, wenn ich im Hirschen bin, wir gehen ja noch einmal im Monat in den Hirschen, mein Mann und ich, mein Mann isst immer nur eine Suppe, der kann nicht mehr so gut schlucken, aber ich ess dann immer, also bringen Sie mir doch einfach ein Jägerschnitzel mit Pommes und einen kleinen Salat.“ Der Kellner sah meine Mutter an und sagte nichts. „Oder von mir aus auch eine Currywurst.“ Der Kellner sah mich an und sagte nichts. „Vielleicht“, versuchte ich die Situation zu retten, „haben Sie ein Wiener Schnitzel mit frittierten Kartoffelecken?“ „Sehr wohl“, nickte der Kellner. „Für mich“, fügte ich hinzu, „bitte nur das Carpacchio.“ „Sehr wohl.“ Kaum war der Kellner verschwunden, näherte sich ein Mann mit der Weinkarte. „Einen angenehmen Abend wünsche ich“, sagte er. „Mein Name ist Nikolaus Trinker, ich bin

28


der Sommelier.“ „Der was?“, fragte meine Mutter. „Der Sommelier.“ „Und was sommeln Sie so?“ „Wie bitte?“ „Was sammeln Sie so?“, wiederholte meine Mutter. „Ich versteh nicht“, sagte der Sommelier. „Also, ich find das schon eine Nummer, das muss ich sagen, blutiges Rindfleisch und Stierhoden, und jetzt kommt jemand, in so einem Restaurant, noch vor dem Essen, kommt also jemand, der sammelt, ich hab ja nichts dagegen, dass man mal was Gutes tut, aber da hätte man doch bis nach dem Essen mit warten können, wenn man schon was sammeln will, nein, verstehen Sie das nicht falsch, ich bin nicht geizig oder so, ich spende immer gern, ich wundere mich nur, also Geiz find ich im Grunde ja was ganz Furchtbares, kannten Sie den Hämmerle Karl-Gustav?, nein, den können Sie ja nicht kennen, jedenfalls, der Hämmerle, der war so geizig, dass er auf seine eigene Beerdigung gegangen ist, stellen Sie sich das vor, der hat gesagt, was soll ich den ganzen Leuten einen Leichenschmaus ausgeben, wenn ich selber nicht mehr dabei bin? Und hat Freunde und Verwandte eingeladen, auf seinen eigenen Leichenschmaus, und dann hat der gesagt, also, wir feiern jetzt meine Beerdigung, und wenn ich dann eines Tages wirklich tot bin, dann gibt’s nichts mehr, kein bisschen, keinen Kuchen, kein Abendessen, nichts, dann müsst ihr mich einfach so ins Loch seilen. Wenn ich schon so viel Geld ausgeben muss, hat er gesagt, dann will ich selber auch was davon haben. Was wollte ich sagen?, ach ja, zum Leichenschmaus gab’s Zander, und der Hämmerle, Karl-Gustav, der hat den Zander gegessen, und in dem Zander steckte diese eine fiese Gräte, und die hat sich im Hals quer gestellt, man hat ihm auf den Rücken gehauen, aber es half nichts, der Kerl ist elend verreckt, an der einen fiesen Gräte auf seinem eigenen Leichenschmaus, und seine letzten Worte, die letzten Worte, die waren: Das hat sich wenigstens noch gelohnt.“ Der Sommelier sagte nichts. Ich flüsterte: „Der Sommelier ist uns bei der Auswahl der Weine behilflich.“ „Ach so“, sagte meine Mutter. „Deshalb heißen Sie Trinker? Der Arzt, der meinen Nierenstein entfernt hat, hieß Doktor Albrecht Mörder. Jaja, das mit den Namen ist so eine Sache. Das Brigittchen ...“

29


30


„Mutter“, sagte ich. „Bitte.“ „Also“, sagte der Sommelier, „empfehlen könnte ich Ihnen einen Bordeaux aus der Gironde, eine wahre Perle der Natur, vollmundig, Brombeernote im Angang ...“ „Ach, der Papa hat dieses Jahr wieder zehn Kilo Brombeeren gesammelt, und wer musste die wieder zu Saft machen? Ich natürlich. Da steh ich stundenlang in der Küche und ...“ „Mutter!“ „Das volle Bouquet reift im Abgang, eine Geschmacks-Klaviatur von Vanille, einem leichten Hauch Malve, einer Winzigkeit Harz und einer wunderbaren Note Terpentin.“ „Wie? Terpentin? Wollen Sie uns vergiften?“ „Mutter!“ „Ist ja schon gut“, sagte meine Mutter. „Sagen Sie, ist das ein Rotwein oder ein Weißwein?“ „Wie bitte?“ „Ich kenn mich da nicht so aus. Also bei Weinen. Ich kann gerade mal den Rotwein vom Weißwein unterscheiden. Ach so, und ich glaube, Rosé gibt es auch noch, oder?“ „Wir hätten auch einen Venezianischen Cheverez ...“ „Venezi... was?“ „Einen ... eh ... Rotwein aus der Region um Venedig.“ „Och, Venedig, da wollte ich immer mal hin. Das soll sehr schön sein, da unten. Ja, bringen Sie den, bitte!“ Der Sommelier ließ uns allein. Ich atmete durch. Noch ehe ich mich ein wenig erholen konnte, näherte sich wieder der Kellner und brachte zwei Tellerchen. „Ein kleiner Gruß aus der Küche!“, sagte er. „Och, das ist aber nett“, sagte meine Mutter. „Wissen Sie, bei uns zu Hause gibt es so was nicht. Den einzigen Gruß aus der Küche, den mein Mann zu hören kriegt, ist, wenn ich ihm zurufe: Jetzt deck schon mal den Tisch, Heinrich!“ „Sagen Sie nichts!“, raunte ich dem Kellner zu. Aber es war schon zu spät. „Ein im Weinbergschneckensaft mariniertes Wachtelherz an Safran-Zuckerschoten-Flocken“, sagte der Kellner.

31


Meine Mutter riss Augen und Mund auf. „Das arme Tier!“, seufzte sie. „Sie können dem doch nicht einfach so das Herz rausreißen. Das reißt mir das Herz raus! Nehmen Sie das doch bitte gleich wieder mit.“ Die Nässe meines Hemdes unterm Sakko nahm von Minute zu Minute zu, als meine Mutter im weiteren Verlauf des Essens folgende Äußerungen tätigte: „Also, der Wein ist mir wirklich zu trocken, das staubt ja auf der Zunge, was kostet denn so ein Achtel?, was?, für ein Achtel?, ich wollte ein Gläschen trinken und nicht gleich den ganzen Weinberg kaufen, Sie sind aber gut, wissen Sie was, bringen Sie mir doch einfach noch ein Glas Limo, kennen Sie das?, süße Limonade, ja, genau. ... Danke, das ging aber schnell, sehr nett, sehen Sie, jetzt gieß ich einfach ein bisschen von der Limo hier in den Rotwein, das Glas ist ja nicht mal halbvoll, das geht gut, da müssen Sie nicht extra ein neues Glas schmutzig machen für mich, da bin ich ganz pflegeleicht, was schauen Sie denn so, Herr Trinker, das gibt eine süße Wein-Schorle, haben Sie da nie was von gehört?, sonst ist ja Ihre Perle aus dem Dingens da ungenießbar, wann kommt denn das Essen, ich hab schon ein bisschen Hunger! ... Ach, wunderbar, Mensch, das ist aber ein Ding, schau mal, Martin, zwei große, silberne, halbrunde Deckel, kennt man sonst nur aus dem Fernsehen, und gleich zwei Kellner, damit die das gleichzeitig hochheben können, nee, das find ich aber schön, wat is dat denn?, dat jibbet doch jar nich, also da muss ich schon sagen, im Hirschen sind die Schnitzel dreimal so groß, ich weiß ja, dass ich auf meine Linie achten muss, aber so dick bin ich nun auch wieder nicht, dass Sie uns hier ein Diät-Essen vorsetzen, sagen Sie, haben Sie die Schnitzel in der Friteuse gemacht oder ... nein?, in der Pfanne, gut, gut, ich mag das nicht, wenn da so viel Fett dran ist, wissen Sie. ... Mensch, das ist aber lecker, Martin, das hätte ich nicht gedacht, also, dass ein Schnitzel so lecker schmecken kann, ich glaub, das bestell ich mir gleich noch einmal, oder meinst du, Martin, die halten mich dann für verfressen?“ Ich verzichtete auf jeden weiteren Gang und aufs Dessert, schrieb auf die Rechnung eine kurze Entschuldigung und, dass man 100% Trinkgeld abbuchen solle, dann schob ich meine Mutter zum Ausgang und atmete auf, als wir endlich draußen standen, klatschnass, und wenn wir jetzt zu Hause gewesen wären, hätte ich meiner Mutter gesagt, dass ich doch Wäsche dabei habe, zum Waschen, mein Hemd, hätte ich gesagt. „Also Hunger hätte ich schon noch“, sagte meine Mutter, ehe ich die Tür zu ihrem Zimmer schloss, „aber ich will ja auch nicht enden wie das Klärchen von nebenan, die kann sich mit

32


ausgestreckten Armen nicht mehr den Bauch kratzen, so dick ist die, letztens gab’s ja im Garten gegenüber einen lauten Knall, ich weiß auch nicht, woher das kam, und da sagt der Papa, jetzt ist unser Klärchen geplatzt, ich muss der ja immer helfen, wenn die was nicht findet, die legt die Sachen irgendwohin, und dann weiß die nicht mehr, wo, und vor zwei Wochen, da haben wir ihre Brille gesucht, und da hab ich ihr bei geholfen, und da hab ich also die Schublade aufgemacht, und da lag in der Schublade, da lag da ein Paar dritte Zähne drin, in der Schublade, ich hab gefragt, ja, Klärchen, was soll denn das sein, das, hat das Klärchen gesagt, sind dritte Zähne, ja, hab ich gesagt, aber du hast deine doch im Mund, stimmt, hat das Klärchen gesagt, aber die hier, das sind die von meinem Mann, ja, aber, hab ich gesagt, der ist doch jetzt schon fast zehn Jahre tot, stimmt, hat das Klärchen gesagt, aber man weiß doch nie, für schlechte Zeiten.“

33


Sommer 2013


AKOS DOMA 1963 in Budapest geboren, wuchs in Ungarn, Italien und England auf. Mit 14 Jahren kam er nach Deutschland. Er promovierte über Knut Hamsun und D. H. Lawrence im Kontext des modernistischen Romans. Seine Übersetzungen ungarischer Literatur u. a. von Péter Nádas, ­Sándor Márai, László F. Földényi und Béla Hamvas wurden mit zahlreichen Auszeichnungen ­bedacht. 2001 erschien sein Debütroman „Der Müßiggänger“ im Rotbuch Verlag. Für seinen zweiten­­Roman „Die allgemeine Tauglichkeit“ (Rotbuch, 2011) erhielt er Stipendien in den Künstlerhäusern Lauenburg und Eckernförde, im Künstlerdorf Schöppingen sowie den Adelbert-vonChamisso-Förderpreis 2012. Im gleichen Jahr wurde er zum Stadtschreiber von Dresden gewählt.

35


Vorbei Es ist gleich da, sagt die Hebamme, und schließt die Tür hinter sich, zum wievielten Mal eigentlich, sie hat leicht reden, ist es mal da, wird alles anders, heißt es, soll es doch, anders werden, alles, darauf warten doch alle, daß alles anders wird, mir ist nicht bange, lange genug ist es nicht mehr anders gewesen, immer nur immergleich oder immergleich anders, jetzt kann es mal richtig anders werden, aber wenn ich das sage, versteht es wieder keiner, Schwamm drüber, schlimm nur, daß man, wenn es darauf ankommt, wieder einmal außen vor ist, dabei sein ist nichts hier, was tut man also, um nicht die Hände in den Schoß zu legen und Däumchen zu drehen, bis es da ist, man klickt vier Stunden Klassik oder sechs Stunden Entspannungsmusik an oder dreht eine Runde ums Haus, eine und noch eine und noch eine und dann noch eine hundertste, läuft sich die Füße wund, um auch eine davonzutragen, eine Wunde, aus Empathie, das ist das mindeste, was man in einer solchen Situation tun kann, wenn man schon außen vor ist, von Natur aus, bleib draußen auf dem Gang, hatte meine Mutter zu mir gesagt, sonst kriegst du danach keinen mehr hoch, sie sagte es natürlich anders, mit anderen Worten, meinte aber genau das, wegen der Schuldgefühle, die ich dann hätte, wenn ich sähe, hörte, welche Schmerzen ich ihr zugefügt hätte, sie meinte es nicht böse, sie wollte mich nur schützen, wie Mütter das nun mal tun, es war eine andere Zeit damals, in ihrer Jugend, fleischloser, idealistischer, verschämter, wenn man so will, so pflegte sie etwa zu sagen: die Liebe des Mannes ist die Welt, die Welt der Frau ist die Liebe, das sagte nicht etwa ihr Mann, der war gerade nicht da, war draußen in der Welt, nein, das sagte sie selbst, heute traute sie sich auch nicht mehr es zu sagen, heute wüßte auch sie es besser, und doch bleibe ich lieber draußen, außen vor, wer will schon riskieren, keinen mehr hochzukriegen, davon hätten wir am Ende alle nichts, ich verlasse mich lieber auf die Hebamme, sie macht das tagaus, tagein, mittendrin, statt nur dabei, geschweige denn außen vor oder gar auf und davon, sowas soll es nämlich geben, und selbst wenn ich dabei wäre, was könnte ich schon groß ausrichten, Händchen halten würde sich rächen, habe ich gelesen, am Ende schrien sie einen noch an, je verständiger, je liebevoller man sich gäbe, desto wütender, weil es halt raus mußte, tja, und was jetzt, hatten wir uns gefragt, als uns der Doktor das rote Kreuzchen auf dem weißen Feld gezeigt und uns beglückwünscht hatte, in die Kirche gehen und eine Kerze anzünden, das wäre es gewesen, aber wir wußten gar nicht mehr, wo die stand, die Kirche, nur

36


37


38


wo die Türme waren, wir sahen uns nur komisch an, dieses Fach hatte es in der Schule nicht gegeben, keine müde Silbe darüber, nur wie man es verhinderte, dafür alles über Dezimalbrüche und das d’Hondtsche System und das Laichverhalten von Stichlingen und agricola arat, und deshalb wurden wir auch immer weniger, im Grunde war es auch höchste Zeit, weniger zu werden, aber an sowas will ich jetzt nicht denken, nicht jetzt, da die Leningrader zu Ende geht und ich etwas Neues anklicken muß, die vierzehn anderen, die er komponiert hat, habe ich schon durch, seit dem Morgen, als es sich auf den Weg gemacht hat, die meisten blieben bei neun hängen, Symphonien, meine ich, aber Schostakowitsch kam auf fünfzehn, das ist gewaltig, andererseits ein Klacks im Vergleich zu Mozart, der brachte es auf über vierzig, freilich war das noch eine andere Zeit, eine andere Welt, da gab es noch Fruchtbarkeit und Lust und Verspieltheit, und da standen wir also und hatten unser Kreuz, was blieb uns anderes übrig, als in eine Buchhandlung zu gehen und ein Buch zum Thema zu kaufen, darauf lief doch immer alles hinaus, auf Bücher und Wissenschaft, was Wunder, daß wir weniger wurden, ob sie es behalten wolle, hatte der Doktor meine Mutter gefragt, es war seine erste Frage, zur Begrüßung gleichsam, noch bevor sie überhaupt Platz genommen hatte, und das tat sie dann auch nicht mehr, just diese Frage von allen Fragen dieser Welt, wo sie sich doch so gefreut hatte, nie hat sie ihm verziehen, dem Doktor, was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht, verstorben vermutlich, aber aus dem anderen bin ich geworden, irgendwie Glück gehabt, daß sie die richtige Antwort gab, ein Einzelkind blieb ich dennoch, obwohl mein Vater draußen geblieben war, es hat anscheinend nichts geholfen, wollen Sie es behalten, hatte er hinter seinem großen, sauber aufgeräumten Schreibtisch gefragt ohne auch nur den Blick zu heben, er hatte leicht reden, er war draußen in der Welt, sie drinnen in ihrer Welt der Liebe, für ihn war es Routine, business as usual, und doch hätte er einen anderen Ton anschlagen können, schließlich ging es um mich, um meine Haut, was hätte er wohl gesagt, wenn man ihn gefragt hätte, ob er seine schöne Praxis behalten wolle, er hätte gequiekt wie ein Schwein auf der Schlachtbank, so, jetzt habe ich das Richtige, die Alpensymphonie, die bringt mich durch die nächste Stunde oder so, wir waren ja auch reichlich blöd, sowas in der Küche mitzuteilen, sonntags kurz vor dem Mittagessen, während ihr Vater an der Spüle stand und Champignons putzte, einen Luftsprung vor Freude machte er jedenfalls nicht, als er es vernahm, wischte sich nur die Hände am karierten Geschirrtuch ab und ging hinaus, wortlos, vielleicht war das seine Art, seiner Freude Ausdruck zu verleihen, aber so ganz

39


glaube ich das nicht, jedenfalls stellte er keine dummen Fragen, das muß man ihm lassen, vor neun Monaten war das, aber jetzt wird das Warten wirklich zuviel, das hält keiner aus, was zuviel ist, ist zuviel, auch das muß es geben, Männer, die noch den Mut haben, auf den Tisch zu hauen und zu sagen, ich gehe jetzt, mit Weglaufen oder Feigheit hat das nichts zu tun, ich werde nur mal um den Block laufen und wiederkommen, in Sichtweite bleiben, nur nicht in Hörweite, eine Kerze im Fenster oder weißer Rauch wäre mir am liebsten, die frische Luft tut gut, nur das Viertel ist noch gewöhnungsbedürftig, so trist und grau, so gleichförmig, Reihenhäuser in Reih und Glied, ein Fenster nach dem anderen und hinter jedem ein Bildschirm, früher wohnten wir in einem Zimmer in der Stadt, mitten drin statt nur dabei, jetzt brauchen wir mehr Platz, und den gibt es für unseresgleichen nur am Rand, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir auch hier heimisch werden, ich bin da ganz optimistisch, hier oben auf dem Bahndamm läuft es sich gut, hier ist man den Sternen ein Stückchen näher, von hier sieht man die Elbe und die alte Eisenbahnbrücke, endlich Luft und klare Sicht, und wie schön der Fluß funkelt, eine schimmernde Riesenschlange im Schoß der schneebedeckten Erde, und wie schön sich der Mondschein in ihm spiegelt, immer wieder muß ich an diese verflixte Geschichte denken, in der sich der Indianer die Kehle durchschneidet, weil er das Warten, die Schreie nicht länger erträgt, das ist natürlich Humbug, zum Lachen, einen Mann, der so sensibel wäre, müßte man sich erst schnitzen, das sind nur die Phantasien eines Selbstmörders, schon sein Vater hatte es getan und seine Enkelin nach ihm auch, sowas ist vererblich, und doch wünschte ich, ich hätte die Geschichte nicht gelesen, so hart und heillos, amerikanisch eben, nie wieder werde ich etwas von ihm lesen, ich hätte auch nicht draußen bleiben dürfen, nie wird sie mir verzeihen, daß ich mein Wort gebrochen habe, sie ist so anders als meine Mutter, sie findet nicht, daß ich schützenswert sei, viel zu lange sei ich behütet und verhätschelt worden, nun sei es an der Zeit, daß ich ein Mann werde, hatte sie gesagt, natürlich mit einem Lächeln, einem Augenzwinkern, aber ich fürchte, sie könnte es ernst gemeint haben, ich zähle auf dich, es ist mir so wichtig, daß du dabei bist, zu zweit werden wir es schon schaffen, du und ich, hatte sie in einem intimen Augenblick im dämmrigen Zimmer in mein Ohr geflüstert und gefragt, du wirst doch dabei sein, nicht wahr, und ich hatte gesagt ja und es auch so gemeint, hatten wir doch schon den Vorbereitungskurs und die Gymnastik gemeinsam absolviert, aber glaubst du wirklich, daß uns das guttun wird, fragte ich, weil ich nicht in der Einzahl sprechen wollte, und sie antwortete, ich weiß es, es wird für dich ein

40


41


unvergeßliches Erlebnis sein, und ich nickte, sicher, das sagten alle Männer, die dabei gewesen waren, was sollten sie auch sonst sagen, manche filmten sogar mit, aber das würde ich niemals tun, obwohl es den Nerven sicher gut täte, dieses untätige Warten, diese Ohnmacht ist nichts für einen Mann, das liegt ihm nicht, er muß zuschlagen oder weglaufen, eins von beiden, oder dann eben mitfilmen, Hauptsache etwas tun, tätig sein, also ich habe das Gefühl, Frauen wußten früher besser Bescheid, wie Männer gestrickt sind, das Grundmuster erkennt doch wirklich jedes Kind, jedenfalls zogen sie es vor, mit sowas allein fertig zu werden, in Afrika machen es die Frauen noch heute so, verziehen sich in den Busch und hängen sich an einen Ast, und dann geht das ruck, zuck, habe ich gelesen, sie würden sich hüten, den Mann in die Nähe zu lassen, sie wissen noch einen Mann zu schätzen, der einen hochkriegt, hier oben auf der Brücke ist es endlich still, nichts zu hören, die Welt ein ferner Widerhall, das Meeresrauschen in der Muschel, hier in der Mitte spürt man das Wippen der Brücke, ich habe auch keine Angst hinüberzusteigen, über das Geländer, hinter diesem Pfeiler, niemand soll mich für einen Selbstmörder halten, es gibt eben verschiedene Arten von Mut, einen Frauenmut und einen Männermut, jahrelang in Schützengräben sitzen und auf Granaten warten, in geschlossener Schlachtreihe auf den schußbereiten Feind zu zu marschieren, tief in die geladenen Gewehrrohre zu blicken und doch nicht wankend zu werden, das kann nur ein Mann, und nie käme er auf die Idee, seine Frau mitzunehmen, damit sie es zu zweit schafften, ich werde ihnen noch zeigen, was Mannesmut ist, werde ihnen zeigen, daß zwanzig Meter keine Höhe sind, daß ein Mann mit der Strömung fertig wird und es bis zum Ufer schafft, selbst im tiefsten Winter, im kältesten Wasser, niemand soll mich einen Feigling nennen, eine Memme, ein Weichei, nur muß halt der Sprung gelingen, kerzengerade nach unten, in Komárom, heute Komárno, gibt es eine fast identische Brücke, nur der Fluß darunter ist ein anderer, dort pflegte sie zu singen, erzählte man mir, viele Jahre nachdem sie in der Oper der nahen Hauptstadt ihr Debüt gefeiert und die Presse sich vor Begeisterung überschlagen hatte, von einem neuen Stern am Musikhimmel, der Nachtigall von Komárom, heute Komárno, war die Rede, doch dann geschah etwas, sie kam in die Hoffnung und verstummte jäh und kehrte in ihre Welt der Liebe zurück, zweiundzwanzig war sie, aber sie nahm es klaglos, geradezu heiter auf sich, das, was nicht anders sein konnte, sie vielleicht nicht anders wollte, niemand hatte je einen Seufzer, ein Wort der Reue aus ihrem Mund vernommen,

42


hatte man mir erzählt, nur ging sie manchmal eben auf der Brücke über der Donau spazieren, viele Jahre später und ganz allein, nachdem der Vater ihres Sohnes längst verstorben war, und dann erklang es, diese himmlische Stimme auf der Brücke, die alle, die sie hörten, in ihren Bann schlug, erklangen Arien, die nur die wenigsten kannten, sie sprang nicht, sie sang, auch das Überleben ist vererblich, nur redet nachher keiner davon, warum auch Reue, hätte sie nur gesungen, hätte sie manch anderes verpaßt, ihren Sohn, der mein Vater wurde, und mich, der ich ihr Enkel wurde und nun auch draußen geblieben bin, für sie werde ich es tun, für sie allein, werde den Wellen entsteigen und nach Hause laufen, naß wie ich bin, werde eintreten und sagen, seht her, da bin ich, und sie werden mich ansehen und verstehen, nur falsch aufkommen darf ich nicht, ein Restrisiko bleibt bei diesem Wind, aber wo bleibt schon keines, ich habe ein gutes Gefühl, ich werde eintreten, naß und glitschig wie ich bin, und sagen, da bin ich, endlich gekommen, es ist vorbei.

43


Die Stille der Bleiche Die Stille der Morgen, Der schlafenden Wiesen, der ziehenden Wolken. Die Stille der lichten Kastanien, Ihrer Schatten. Die Stille der plätschernden Brunnen, Der schleichenden Jahrhunderte, Der gleitenden Kähne, Der unsichtbar treibenden Kanäle. Die Stille der weglosen Wälder Im Netz der Spree, Der schrägen Strahlen, der reglosen Nebel, Der verlorenen Spur Im grünen Labyrinth der Einsamkeit. Das Klopfen des Spechts, der Schrei der Eule, Der Hall in der tauben Stille wie Das Echo der Unendlichkeit. Die Stille der säuselnden Birken, Vor meinem Fenster, Des segelnden Flaums, blind Vom Nirgendher zum Nirgendhin. Des Flügelschlags, Wenn die nistende Meise an mein Fenster fliegt, Ein Rascheln im Loch, ein Rieseln, Poröser Schmutz, Staub, Lebenssinn.

44


Die Stille der Häuser, der Dinge, Der blattgrünen Teppiche, der lautlosen Schritte, Der Möbel, der Sessel, die immer schon dort zu stehen Scheinen, wo sie stehen. Die Stille des knisternden Kamins, Der leeren Becken in lauer Nacht, Der verlassenen Liegen, Wenn die Klänge des Klaviers zum Himmel fliegen. Die Stille der Uhren, Die nicht da sind, Der fehlenden, Der wiedergefundenen Zeit.

45


Sonderstipendium


Volker Harry Altwasser 1969 in Greifswald geboren. Nach der Realschule arbeitet er als Elektronikfacharbeiter, Heizer, Matrose, Montagearbeiter, Bürokaufmann. 1998 Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, heute freier Schriftsteller in Rostock. Nominierungen und Literaturpreise: Finalist beim AlfredDöblin-Preis (2009), Finalist beim Literaturpreis des Schlosses Wartholz, Österreich (2010), Finalist bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt (2010), Long-List Deutscher Buchpreis (2011), Italo-Svevo-Preis (2011), Grenzgänger-Stipendium der Robert-BoschStiftung (2012), Stadtschreiber von Reykjavik, Goetheinstitut Kopenhagen (2012). Einzelwerke: „Wie ich vom Ausschneiden loskam“ (Debüt bei Kiepenheuer & Witsch, 2003), „Letzte Haut. Historischer Roman.“ (Matthes und Seitz Berlin, 2009), „Letztes Schweigen. Abwrackroman.“ (Matthes und Seitz Berlin, 2010), „Letzte Fischer. Hochseeepos.“ (Matthes und Seitz Berlin, 2011), „Ich, dann eine Weile nichts. Theaterroman.“ (Matthes und Seitz Berlin, 2012)

47


Ferne, so nah I: Im Torbogen dem einzigen Zugang zur Altstadt von Lübbenau, hängt witterungsgeschützt der halbe Unterkieferknochen eines Wals, den ein Sohn der Stadt vor knapp zweihundert Jahren zu sich nach Hause geschickt hat, um auf Spreewälder Art zu sagen: Schaut her, nun bin ich Kapitän eines Walfängers und ihr fischt noch immer in den seichten Fließen! Doch die Reaktion seiner Heimatgemeinde war etwas anders, als er es sich auf einsamer Fahrt – denn auf See ist der Kapitän zwar Gottes Stellvertreter, aber er ist auch der einsamste Mann an Bord – vorgestellt hatte, denn die Einwohner, die einst seine Nachbarn gewesen waren, seine Schulkameraden und seine Zechkumpane, hängten den Walknochen im Torbogen auf, um jeden Tag daran erinnert zu werden, dass sie frei von seiner Gegenwart waren. So zogen sie Tag um Tag beschwingt aufs Feld, in den Urwald der Spree oder ins nahe Burg und freuten sich über das Glück, das sie hatten.

II: Kam einer in den Spreewald bei Burg, verfrachtet von einer Jury, bestehend aus dem Bestsellerliedermacher Heinz Rudolf Kunze, dem Bestsellerautoren Bernhard Schlink, der Bestsellerfilmemacherin Franziska Stünkel, dem Bestsellerliteraturwissenschaftler Martin Lüdke und dem Bestellerintendanten Friedrich Schirmer, kam also einer ins Resort und Spa Zur Bleiche und blieb zweimal zwei Wochen. War einer ausgewählt worden, der an der Gegenwart litt, der voll mit Menschenekel war, der ein wahrhaftiger, altmodischer Prosadichter war, der schon mehr Dichter als Bürger war, der den öffentlichen Auftritten überdrüssig war, der in seine im Herbst erscheinende Krimnovelle hinschreiben will: Menschen nerven, Leser stören. 48


Und traf einer schlicht auf Freundlichkeit am Hoteleingang, auf Herzlichkeit an der Rezeption, auf Lebenslust am Frühstücksbuffet, im Mittagsrestaurant, beim Abendmenü und auf Leichtigkeit an den drei Pools, an den zwei Dutzend Fitnessgeräten, bei den Aufgüssen in den vier Saunen, und traf er auch auf lachendes Zimmerreinigungspersonal in seiner Bestsellersuite und veränderte sich einer, unterlag sein angestauter Zivilisationsekel doch der freundlichen Übermacht im sorbischen Land, kapitulierte sogar gänzlich am Vorabend der Entscheidungsschlacht mit einem Lächeln, das noch schief aussah, das noch nicht ganz gelungen war, das unbedarft blieb. Und dankte einer schließlich mit nordischer Kühle, sprach einer wieder mit Menschen, witzelte – Alles Idioten, bloß ich nicht – und strich – im allerletzten Moment – einen Satz aus einer Novelle.

III: Krabat – so geht die sorbische Sage zu Ende, besiegt zusammen mit Markus die Schreckensherrschaft des Schwarzen Müllers – reist sieben Jahre lang durch alle Länder der bekannten Welt und jener der unbekannten. Als er nach Hause kommt, in Vetschau vom Lastwagen springt und sich den Seesack überwirft, hat er den Winter mitgebracht. Es ist der zweite Advent, und zuerst geht Krabat zur gemütlichen Ecke des Wirtshauses Zur sorbischen Gemütlichkeit und setzt sich mit dem Rücken an den breiten Ofen. Älter ist er geworden, das sehen die Vetschauer ihm an. Sie grüßen ihn, wie sie jeden Fremden grüßen, denn es geht die Sage von Krabat, der die sorbischen Bauernsöhne einst aus der Knechtschaft des Schwarzes Müllers befreit habe, und als Krabat sagt, er sei Krabat, da glauben sie es, denn der eine lebt wie der andere ohne Mutter, und das ist schlimm, wissen die Leute aus Vetschau, für einen Jungen, denn wie kann einer, fragen sie, heimisch werden, wenn ihm die Mutter fehlt, und darum sind sie zu allen Fremden freundlich, denn diese haben ja die Mutter nicht bei sich, aber so einen Winter, stöhnen sie, gab es hier noch nie. Entweder gibt es hier Schnee oder Frost, aber hier gab es noch nie Frost und Schnee 49


50


zur gleichen Zeit, worauf Krabat nickt, der ja alle Länder und Planeten kennt, ehe er sagt, er habe den Winter mitgebracht, es sei eine neue Zeit. Die Alten sehen ihn skeptisch an, sie trinken ihr Gebrautes, sie mögen keine neue Zeit, nicht schon wieder, hier soll ihnen niemand von einer neuen Zeit – schon wieder – etwas erzählen, sagen ihre Blicke, doch Krabat beschwichtigt, er kenne das Mittel gegen den neuartigen Winter. Er winkt dem Wirt. Der Wirt kommt nicht gleich, denn ein guter Wirt kommt nie sofort, wo käme man als Wirt wohin, wenn man immer gleich aufspringen würde, doch dann ist er doch am langen Tisch neben der Ofenbank, an dem seine Gäste alle sitzen, und macht, was Krabat ihm vorschlägt, denn wer bezahlt, hat recht, wer nicht bezahlt, hat unrecht. Mit dampfenden Bechern kommt er zurück, die eiligen Gäste verbrennen sich die Finger, die späten die Lippen, doch nach und nach hat jeder getrunken, und anerkennend nicken die alten Männer und die jungen Männer auch, ja, damit sei jeder Winter durchzustehen, das sei ein gutes Rezept, und einer ist da, der fragt den weltgereisten Krabat, wie man das Gesöff denn nennen soll. Grog, sagt Krabat, die ganze Welt nennt es Grog. Dann nennen wir es Schluck, sagen die sorbischen Ökobauern, einfach Schluck.

51



Die Jury des Spreewald-Literatur-Stipendiums

53


54


NINA BOHLMANN ist seit 1989 in der Filmbranche tätig. Nach ihrer Laufbahn u.a. bei der Lichtblick Filmproduktion und Corona Film Hamburg gründet sie gemeinFoto: © magnolia / Jat J.Olczyk

sam mit Babette Schröder die magnolia Filmproduktion. Die erste Eigenproduktion „Süperseks“ läuft 2004 auf dem Filmfest Hamburg; für den Fernsehfilm „Kuckuckszeit“ gewinnen sie 2007 in Hamburg den „TV-Produzentenpreis“. Ihre deutsch-österreichische Koproduktion „Die Fälscher“ läuft 2007 im Wettbewerb der Berlinale und gewinnt 2008 den Oscar für den Besten nichtenglischsprachigen Film. Neben ihrer Arbeit als Produzentin ist Nina Bohlmann auch als Autorin für Film und Fernsehen tätig.

Heinz Rudolf Kunze wurde 1956 im Flüchtlingslager Espelkamp geboren. Vor dem Lehramtsstudium der Germanistik und Philosophie besucht er das Graf-Stauf-

Foto: © Nikolaj Georgiew

fenberg-Gymnasium in Osnabrück. Schon früh entdeckt er seine Liebe zum sprachlichen Balanceakt. 1978 wird er mit dem Literatur-Förderpreis der Stadt Osnabrück ausgezeichnet, bald darauf musikalisch bei einem Nachwuchs-Festival entdeckt. Das junge Talent bekommt seinen ersten Plattenvertrag und veröffentlicht sein allererstes Album. Songs wie „Dein ist mein ganzes Herz“, „Mit Leib und Seele“ oder „Finden Sie Mabel“­ machen Heinz Rudolf Kunze zu einer der Koryphäen deutschsprachiger Rockmusik. Übersetzungen diverser preisgekrönter Musicals, Buchveröffentlichungen, große Tourneen und musikalische Lesungen schließen sich an. Zwischenzeitlich moderierte Kunze Radiosendungen, unterrichtete als Gastdozent und trat in Fernsehserien auf. Nur wenige andere Künstler schafften es bisher so wie Kunze, ihrem­Stil treu zu bleiben und sich dennoch künstlerisch kontinuierlich vorwärts zu bewegen. Ende August 2011 veröffentlichte er seinen ersten Prosatext unter dem Titel „Vor Gebrauch schütteln – Kein Roman“.

55


Der Literaturkritiker Martin Lüdke war nach dem Studium der Philosophie, Soziologie,
Germanistik und Politik von 1976 bis 1978 Wissenschaftlicher Mitarbeiter
 an einem sozialwissenschaftlichen Institut des Bundes in München (SOWI), bis
1984 Foto: Wolfgang Becker

Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Goethe-Universität
Frankfurt am Main und hatte später verschiedene Gastprofessuren in den USA
(San Diego, Los Angeles, St. Louis, Gainesville, FL) inne. 1985 bis 1990
arbeitete er als Redakteur des Hessischen Rundfunks (Fernsehen/Kultur), seit
1990 beim Südwestfunk, dem heutigen SWR. Seit Sommer 2003 ist er Courtesy Professor der University
of Florida, Gainesville, FL, USA. Martin Lüdke schreibt u.a. für die
Frankfurter Rundschau, DIE ZEIT, DER SPIEGEL, LITERATUREN und veröffentlicht
zahlreiche literaturwissenschaftliche Bücher u.a. bei Suhrkamp und im
Rowohlt Verlag. Von 2010 bis 2014 war er als Vorsitzender des Kuratoriums des Deutschen Literaturfonds Darmstadt tätig und als Kritiker gehört(e) er zahlreichen Jurys an, u.a. war er Vorsitzender der
Jury zur Vergabe des Preises der Leipziger Buchmesse und Mitglied der Jury zur
Vergabe des Deutschen Buchpreises, Frankfurt am Main.

FRIEDRICH SCHIRMER Theaterintendant und Dramaturg. 1951 in Köln geboren, begann er seine Theaterlaufbahn unmittelbar nach dem Abitur 1970 als Assistent und Dramaturg am Westfälischen Landestheater Castrop-Rauxel. Sein Weg führte ihn an-

Foto: © Ilona Habben

schließend über die Freie Volksbühne Berlin, die Städtischen Bühnen Nürnberg, das Nationaltheater Mannheim und die Städtischen Bühnen Dortmund zu seiner ersten Intendanz an der Württembergischen Landesbühne Esslingen (ab 1985). 1989 wurde Friedrich Schirmer Intendant der Städtischen Bühnen Freiburg. Von 1993 bis 2005 leitete er als Intendant das Schauspiel Staatstheater Stuttgart. Seit der Spielzeit 2005/2006 war Friedrich Schirmer Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Im September 2010 trat er infolge nicht eingehaltener finanzieller Zusagen und erheblicher Zuschusskürzungen seitens der Stadt Hamburg zurück. Im Herbst 2012 wurde er wieder zum Intendanten der Württembergischen Landesbühne Esslingen berufen. Sein neues und altes Amt hat er mit Beginn der Spielzeit 2014/15 angetreten.

56


Der Schriftsteller und Jurist Bernhard Schlink wurde 1944 bei Bielefeld geboren und wuchs in Heidelberg auf. Er wurde Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an den Universitäten in Bonn, Frankfurt und Berlin (HumboldtFoto: © Herlinde Koelbl

Universität) und Professor of European Law and Comparative Constitutionalism an der Benjamin N. Cardozo School of Law, New York. Von 1988 - 2007 war er Richter des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen. Seit 1985 veröffentlicht er Romane, Erzählungen und Essays. Sein Roman „Der Vorleser“ machte ihn international bekannt.

FRANZISKA STÜNKEL Regisseurin, Drehbuchautorin und Fotokünstlerin. Die Filme von Franziska Stünkel liefen in 19 Ländern auf über 150 internationalen Filmfestivals und wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem „Best New Director

Foto: © Carsten Witte

Award“ in New York. Für ihren Kinospielfilm „Vineta“ arbeitete sie mit Peter Lohmeyer, Ulrich Matthes, Justus von Dohnanyi, Matthias Brandt und Susanne Wolff zusammen. Franziska Stünkel erhielt für ihre Leistungen als Regisseurin den „Otto-Sprenger-Preis“ und wurde unter anderem für den „Prix Genève Europe – Bestes Europäisches Drehbuch“ nominiert. Als Regisseurin realisierte sie ferner den 15stündigen TV-Dokumentarfilm „Der Tag der Norddeutschen“. Für ihre fotografischen Arbeiten wurde sie mit dem Audi-ArtAward ausgezeichnet. Im Jahr 2012 erschien ihr Fotokunstbuch „Dialog der Geschichten“. Seit 2008 betreut sie als Kuratorin das Spreewald-Literatur-Stipendium.

57


58


Die Spreewälder Kulturstiftung wurde im Jahr 2002 ins Leben gerufen. Ihr Anliegen ist die Förderung und Bewahrung der traditionellen Spreewälder Kultur und des Brauchtums. Die Wahrung der ursprünglichen Zeugnisse des Spreewaldes sowie das bewusste Wahrnehmen der einzigartigen Leistungen in der prähistorischen Zeit (1300 v. Chr.) und der sogenannten „Lausitzer Kultur“ (bronze- und eisenzeitliche Kultur 1300-500 v. Chr.) ist ein wesentlicher Schwerpunkt der Stiftungsarbeit. Mit der Unterstützung des Spreewald-Literatur-Stipendiums möchte die Stiftung darüber hinaus zeitgenössischen Literaten die Möglichkeit eröffnen, sich vom Spreewald inspirieren und ihn so in ihre Werke einfließen zu lassen.

www.spreewaelder-kulturstiftung.com

59


Impressum Herausgeber: © 2015 Spreewälder Kulturstiftung Fotos: Nikolaj Georgiew Gestaltung: Ronald Reinsberg Druck: Druckzone, Cottbus ISBN 978-3-9817343-1-7


S P R E E WA L D A n T H O L O G I E V

SPREEWALD AnTHOLOGIE V

Spreewald-Literatur-Stipendium 2012 - 2013


S P R E E WA L D A n T H O L O G I E V

SPREEWALD AnTHOLOGIE V

Spreewald-Literatur-Stipendium 2012 - 2013


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.