Trail Magazin #1/2023

Page 12

NEWS&JOURNAL G LOS S E

DIE FLOW-BRECHER wissen wohin sie ausweichen sollen. Nach einigen Antäuschmanövern nach rechts oder links, entscheiden sie sich im letzten Moment genau für die Seite an der ich vorbei laufen möchte. Eine Kollision kann nur durch abruptes Abbremsen verhindert werden. Dabei wäre es doch so einfach: Trailrunner ruft, Wanderer dreht sich um, ist vorbereitet und bleibt einfach stehen, wo er sich gerade befindet, sodass man vorbeilaufen kann. Aber das wäre wohl wirklich zu simpel. Stattdessen wird selbst auf breiteren Wegen nervös nach einer Stelle zum Ausweichen gesucht, als wenn man einen tonnenschweren SUV statt eines 60 Kilo schweren SpargelAthleten durchlassen müsste. Ich habe daher festgestellt, dass es für mich am einfachsten ist, wenn sie mich nicht bemerken und einfach weiterlaufen. Das ist berechenbar und ich kann am

Foto: Andi Frank

Der Weg ist eigentlich breit und ausladend. Ich laufe an zwei älteren Damen vorbei. So weit Abstand haltend, wie es nur geht. Mindestens einen Meter. Beide zucken zusammen. Eine der beiden schreit sogar kurz auf. Es ist bei weitem nicht das erste mal, dass ich Wanderern einen gehörigen Schreck einjage, nur weil ich an ihnen vorbei laufe. Die Trails werden voller. Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber seit Corona scheint mir das Wandern und das „in die Berge gehen“ ein Volkssport geworden zu sein. Immer öfter muss ich mich an Outdoor Enthusiasten vorbei drücken. Trotz knapp zehnjähriger Trailrunning Erfahrung habe ich noch immer nicht den richtigen Weg gefunden, langsamere Weg-Genossen zu passieren. Rufe ich „Vorsicht“ oder „Achtung“, sehen sie mich zwar kommen, aber sind so verwirrt, dass sie nicht

12

1/2023

Rand des Weges oder Off-Trail vorbei huschen. Ich ging also dazu über, mich nicht mehr anzukündigen. Klappt gut, hat nur den großen Nachteil des schon erwähnten Schocks, den ich jedes mal auslöse. Die Goldlösung scheint dies also auch nicht zu sein, schließlich will ich nicht irgendwann für einen Herzinfarkt verantwortlich gemacht werden. Ja ich weiß, ich könnte auch einfach abbremsen und langsam vorbei gehen. Aber das würde meinen Flow doch ziemlich arg durchbrechen. Beziehungsweise wäre an manchen sonnigen Samstagen sogar eine unerträgliches Stop and Go, welches mit Laufen nichts mehr zu tun hätte. Ich habe daher bei meinem letzten Lauf etwas Neues ausprobiert. Einer Wanderin die mich kommen sah und ob meines forschen Downhill Schrittes schon sichtlich gestresst war, rief ich zu: „Da geh ich vorbei“ und deutete auf die rechte Wegesseite. Hat gut geklappt. Ermuntert durch meinen Erfolg, verfolgte ich diese Strategie weiter. „Vorsicht Trailrunner! Geht rechts vorbei!“, rief ich einer ins Gespräch versunkenen Gruppe zu, die den Weg komplett versperrte. Nur um kurz darauf genau an jenem rechten Wegesrand fast die komplette zur Seite gesprungene Wandergruppe vor meiner Nase wiederzufinden. Meine Suche nach dem Goldstandard des laufenden Personen-Passierens wird wohl weiter gehen. Vor kurzem war zwei Wochen Dauerregen angesagt und die Trails leerer als eine russische Gaspipeline. Was eine Wohltat.

Fotos: Thomas Bekker

Genau im falschen Moment machen sie den falschen Schritt in die falsche Richtung. Oder sie erschrecken sich zu Tode. Wandernde Zeitgenossen richtig zu überholen, ist nicht einfach.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.