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Cholesterinsenker

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Hyperkyphose

Hyperkyphose

TEIL 2: OSTEOPOROSEMITTEL

SERIE Medikamente Teil 1:

Cholesterinsenker

Weltweit zählen Cholesterinsenker zu den meistverkauften Medikamenten; in Deutschland kommt vor allem die Wirkstoffgruppe der Statine zum Einsatz. Sie mindern u. a. das Risiko für Arteriosklerose, koronare Herzerkrankungen und Schlaganfälle. Wie steht es um Wirkung und Nebenwirkungen?

DR. RER. NAT. JENS FREESE

Der Autor ist Leiter der Dr. FREESE Akademie und des Dr. FREESE Instituts für Sport- und Ernährungsimmunologie. www.dr-freese.com D er amerikanischer Ernährungswissenschaftler Ancel Keys, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit der

Erforschung von Nahrungsfetten im Zusammenhang mit Herzerkrankungen beschäftigte, richtete 1951 in Neapel ein

Labor ein, um der Frage nachzugehen, warum die Neapolitaner nur selten unter

Herzerkrankungen litten. Keys stellte fest, dass Neapolitaner niedrigere Cholesterinspiegel aufwiesen als seine Landsleute.

Daraufhin bereiste er diverse Länder, um den Cholesterinspiegel der Bevölkerung zu messen. Seine anschließende Analyse ergab, dass eine Ernährung reich an gesättigten Fettsäuren den Cholesterinspiegel erhöht. In einem nächsten Schritt untersuchte Keys dann über sechs Jahre in sieben Ländern 12 000 gesunde Männer. Die Daten seiner Untersuchung in diesen ausgewählten Ländern bestätigte seine These, dass gesättigtes Fett für Herzerkrankungen verantwortlich ist.

Zwei Jahre nach Veröffentlichung dieser aufsehenerregenden Sieben-Länder-Studie startete Keys das „Minnesota Coronary Experiment“. Mit dieser Untersuchung wollte er belegen, dass im Umkehrschluss eine Reduktion gesättigter Nahrungsfette das Herz-Kreislauf-Risiko vermindert. Ergebnis: Der Austausch von gesättigten gegen ungesättigte Fettsäuren sorgte zwar für eine Absenkung des Cholesterinspiegels, hatte aber statistisch keinen Effekt auf die Gesamtsterblichkeit. Die Originaldaten wurden erst 2011 im Nachlass des Studienleiters gefunden. In einer Revision der Daten kam für die Wissenschaftler überraschenderweise heraus, dass Patienten über 65 Jahren in der Versuchsgruppe sogar schneller starben als in der Kontrollgruppe – also genau das Gegenteil von dem, was sich in der Zwischenzeit weltweit als Ernährungsstandard durchgesetzt hatte. Zudem war das Sterberisiko umso höher, je stärker die Patienten in der Versuchs- und der Kontrollgruppe ihren Cholesterinspiegel im Blut absenkten. Zu hohes Cholesterin ist ungesund, zu geringes aber auch. Diese Erkenntnis wurde inzwi-

TEIL 3: BLUTDRUCKSENKER TEIL 4: SCHMERZMITTEL TEIL 5: IMMUNSUPRESSIVA

schen durch die „Framingham“-Studie, die „Honolulu Heart Program“-Studie und den „Japan Lipid Intervention Trial“ eindeutig bestätigt.

Basierend auf der Sieben-Länder-Studie kam es in der Folge zu einer Bewertung von Nahrungsmitteln nach ihrem Cholesteringehalt, zur Entwicklung einer herzgesunden cholesterin- und fettarmen Ernährung und zur pharmakologischen Entwicklung von Cholesterinsenkern, die sich als Standardtherapie durchgesetzt haben. Wie falsch das Narrativ bis heute ist, dass Nahrungs-Cholesterin z. B. in Hühnereiern den Cholesterinspiegel im Blut beeinflusse, geht daraus hervor, dass Cholesterin unabhängig von der zugeführten Nahrung je nach Bedarf von der Leber und der Darmschleimhaut selbst synthetisiert wird. Und dieser Bedarf steigt unter bestimmten Bedingungen wie stummen Entzündungen, latenten Infektionen, diabetischen Stoffwechsellagen, hohem Zucker- und Transfettkonsum (Industriekost) oder körperlichem und seelischem Dauerstress.

EMPFEHLUNGEN

Trotz Federführung der Cholesterinsenker in den Leitlinien der Kardiologie raten führende Fachgesellschaften dazu, bei hohen LDL-Cholesterinwerten an erster Stelle den Lebensstil anzupassen. Dazu zählt eine kalorienangepasste Ernährung mit viel Obst, Gemüse und Fisch („Mittelmeerküche“), mindestens 30 Minuten Bewegung pro Tag, Rauchstopp und Reduktion von Übergewicht. Bei erhöhten LDL- und Gesamt-Cholesterinwerten reichen nach Meinung der Deutschen Herzstiftung e.V. diese Maßnahmen jedoch nicht mehr aus; den Patienten wird empfohlen, dauerhaft Cholesterinsenker einzunehmen.

WIRKMECHANISMEN

Die wichtigste Wirkstoffgruppe der Cholesterinsenker sind die Statine mit Handelsnamen wie Atorvastatin, Simvastatin und Rosuvastatin. Bei einem zu hohen LDL-Cholesterinspiegel sind sie die erste Wahl. Statine hemmen die körpereigene Bildung von Cholesterin, indem sie das Enzym HMG-CoA-Reduktase blockieren, das im Körper für die Bildung von Cholesterin zuständig ist. Die medikamentöse Enzymhemmung sorgt entsprechend dafür, dass Leberzellen (Hepatozyten) mehr LDL-Rezeptoren bilden, die dann mehr LDL-Cholesterin aus den Zellen aufnehmen können. Die Folge: Die Cholesterinmenge im Blut sinkt ab.

RISIKOREDUKTION

Die Analyse von über 170 000 in randomisierten Studien eingeschlossenen Menschen ergab, dass eine Absenkung des LDL-Cholesterins im Blut von 40 mg/ dl das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und die Notwendigkeit einer Bypass-Operation um ca. 5 Prozent pro Jahr reduziert. In einer Studie mit einer Nachbeobachtung von 19 Jahren zeigte sich zudem, dass der Nutzen der Statin-

ZIELWERTE

In der Leitlinie zur Behandlung von Fettstoffwechselstörungen zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos der Europäischen Gesellschaften für Kardiologie (ESC) und Atherosklerose (EAS) sind folgende Zielwerte

für das LDL-Cholesterin

angegeben (Update von 2019):

• Bei sehr hohem Risiko:

Ziel < 55 mg/dl (1,4 mmol/l)

• Bei hohem Risiko:

Ziel < 70 mg/dl (1,8 mmol/l)

• Bei moderatem Risiko:

Ziel < 100 mg/dl (2,6 mmol/l)

• Bei niedrigem Risiko:

Ziel < 116 mg/dl (3,0 mmol/l)

behandlung im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich zunahm. 40 Studien mit 361 923 Probanden, die zwischen 1979 und 2013 veröffentlicht wurden, kamen hingegen zum Ergebnis, dass Cholesterin in der Nahrung nicht mit koronarer Herzkrankheit und Schlaganfall verbunden ist. Cholesterin in der Nahrung hatte zudem keinen Einfluss auf die Triglyzeride oder die LDL-Cholesterin-Konzentrationen im Blut. Niedrige Cholesterinspiegel im Blut senken also das Herz- und Hirninfarktrisiko, aber die Ernährung hat keinen nennenswerten Einfluss. Entsprechend liegt es in der Schulmedizin nahe, erhöhte Werte vorzugsweise mit Statinen zu senken. Alternativen: • Ezetimib: Wenn Statine nicht vertragen werden oder keine ausreichende LDL-Senkung dadurch erreicht wird, werden Statine mit Ezetimib kombiniert. Dieses hemmt die Aufnahme von Cholesterin aus dem

Dünndarm um etwa 20 Prozent. • Bempedoinsäure: Sollte die o. g. Kombination nicht wirksam sein, wird Bempedoinsäure eingesetzt. Es handelt sich hierbei um eine Substanz mit Statin-ähnlichem

Wirkmechanismus, die erst in der Leber in die eigentlich wirksame Substanz verstoffwechselt wird. • PCSK9-Hemmer: Für Patienten, die gesunde LDL-Zielwerte nicht erreichen, gibt es ein Medikament, welches das körpereigene Enzym PCSK9 hemmt. PCSK9 ist an der

Regulation der LDL-Rezeptoren beteiligt.

Wird es blockiert, entstehen mehr LDL-Rezeptoren. PCSK9-Hemmer senken das

LDL-Cholesterin um circa 50 bis 60 Prozent.

NEBENWIRKUNGEN

Die Liste der Nebenwirkungen von Cholesterinsenkern ist lang. Statine wirken mitotoxisch, d. h., sie blockieren nicht nur die Kraftwerke unserer Zellen, sondern sorgen auch für deren Abbau. Das liegt unter anderem daran, dass unter Cholesteringabe dosisabhängig die Q10-Spiegel in den Mitochondrien reduziert werden. Die Inzidenz einer Myopathie – nicht durch Training induzierte Muskelbeschwerden wie Muskelkater oder Muskelschwäche – im Zusammenhang mit einer Statinbehandlung liegt bei bis zu 10 Prozent. Im Labor können die Werte der Muskelenzyme, wie Kreatinkase (CK), bis zu dreifach erhöht sein. Da immer mehr Patienten mit Statinen behandelt und immer höhere Dosen verschrieben werden, um die Zielwerte zu erreichen, treten Nebenwirkungen immer häufiger auf. Statine hemmen die Synthese wichtiger Selenoproteine, die u. a. für die Schilddrüsenfunktion benötigt werden. Zu allem Überfluss werden die Nebenwirkungen durch einen Vitamin-D-Mangel verstärkt, der Studien zufolge bei Menschen, die in Seniorenheimen leben, zwischen 80 und 100 Prozent liegt.

Da Herzpatienten i. d. R. auch unter Bluthochdruck leiden, werden zusätzlich oft sog. ACE-Hemmer verschrieben. Durch die medikamentöse Hemmung des Enzyms ACE weiten sich die Blutgefäße, sodass das Herz weniger Pumpleistung erbringen muss. Die ACE-Hemmer sorgen nicht nur für Magen-Darm-Beschwerden, sondern verstärken den hemmenden Effekt der Cholesterinsenker auf den muskulären Energiestoffwechsel, was zu Müdigkeit, Muskelschmerzen und in der Folge zur Bewegungsvermeidung führen kann.

Vor etwa 10 Jahren kam zur langen Liste der unerwünschten Nebenwirkungen noch Diabetes Typ 2 hinzu. Seit 2015 wurde die Steigerung des Diabetesrisikos um 9–33 Prozent infolge einer langfristigen Statinanwendung durch weitere Studien zweifelsfrei bestätigt.

TRAININGSBETREUUNG

Trainer sind bekanntlich nicht befugt, in die Medikationen ihrer Kunden einzugreifen. Nichtdestotrotz dürfen sie auf etwaige Nebenwirkungen hinweisen, die vom behandelnden Arzt abgeklärt werden sollten. Muskelschmerzen mit und ohne auftretende Müdigkeit müssen nicht zwingend mit intensivem oder umfangreichem Training zusammenhängen, sondern können auf Nebenwirkungen einer Statineinnahme hindeuten. In diesem Fall sollten Trainer ihre Kunden auf mögliche Ursachen hinweisen und eine Laborkontrolle defizitärer Mikronährstoffe empfehlen. Insbesondere die Co-Faktoren des Energiestoffwechsels, wie das Co-Enzym Q10, Magnesium und B-Vitamine, die für die mitochondriale Bildung von Adenosintriphosphat (ATP-Bildung) benötigt werden, stehen bei der Einnahme von Statinen im Mittelpunkt.

Literatur auf Anfrage beim Autor erhältlich. W

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