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JAPANISCHE TRADITION: Haiku & more

Vor der Blütezeit die Leute leben als gäb’ es keinen Himmel (G. Peer 2020)
TRADITIONELLE JAPANISCHE KURZLYRIK Haiku & more


Haiku ist keine asiatische Kampfsportart, wie manch einer hierzulande glaubt – sondern eine traditionelle japanische Gedichtform, der sich der Brixner Gontran Peer seit drei Jahrzehnten widmet.
Das traditionelle Haiku ist ganz bestimmten Regeln unterworfen: Der Gegenstand wird konkret genannt und entstammt der Natur. Dargestellt wird ein gegenwärtiges Ereignis mit einem Bezug zur Jahreszeit mittels KIGO, speziellen Wörtern, die in Japan mit der Jahreszeit in Verbindung gebracht werden. Die kürzeste Gedichtform der Welt als eigenständige Lyrik ist seit dem frühen Mittelalter belegt und besteht meistens aus drei Wortgruppen von 5-7-5 Silben, Moren genannt, die vertikal aneinandergereiht werden. Die Vollendung nicht abgeschlossener, offener Texte liegt im Erleben des Lesers; Gefühle erschließen sich erst durch konkrete Dinge und den Zusammenhang. Die Natur spiegelt die Seele, Objekte werden symbolhaft genutzt. Fallende Blätter werden assoziiert mit Herbst und dem Gefühl der Melancholie. Ein Teil der HaikuDichter, der Haijin, trennt die Haiku von Senryu¯ , die sich dem Persönlichen, dem Emotionalen widmen. Verwandte des Haiku sind das fünfteilige Tanka und das Renga als Kette von Tanka.
Geschichtliches. Die ersten Belege für diese lyrische Form finden sich im 13. Jahrhundert, wo das Hokku als Scherzgedicht bei Hofleuten und Samurai beliebt war. Während der feudalistisch geprägten Gesellschaft in der Edo-Periode, in der sich Japan vollständig nach außen abschottete, entstand die klassische Haiku-Form. Zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert lebten die berühmtesten ¯ Haiku-Dichter wie Matsuo Basho, Yosa Buson, Kobayashi Issa und Masoaka Shiki, wobei letzterer als Begründer des modernen Haiku gilt. Zwei seiner Schüler spalteten die Haiku-Dichtung in zwei Richtungen – eine experimentelle und eine traditionelle. Als Antwort auf den japanischen Ultranationalismus entstand nach dem Zweiten

Niemals allein sein. In Zweierreihen stehen grünende Weiden. (G. Peer 2016)


Frühlingstag im Tschilpen hör’ ich, was er bringt (G. Peer 2021)



Weltkrieg eine Gegenbewegung zum traditionellen Haiku, deren Vertreter verfolgt, verhaftet und gefoltert wurden. Heute tolerieren sich alle Positionen gegenseitig.
Leidenschaft: Haiku. Wenn es jemanden gibt, der in unseren Breitenkreisen über Haiku Bescheid weiß, dann ist es Günther Peer aka Gontran Peer. Der von Kindesbeinen an poesieaffine Brixner widmet sich seit nunmehr 30 Jahren dieser Gedichtform und rauft sich die Haare, wenn er immer noch erklären muss, was Haiku eigentlich ist. Er arbeitet bei einer Versicherungsagentur, aber seine Leidenschaft ist Haiku dichten. Wie es dazu kam? „Ich wurde durch das berühmte Teich-Frosch-Haiku des japani¯ schen Meisters Matsuo Basho wie vom Blitz getroffen“, gesteht Peer. „Nie hätte ich damals gedacht, dass mich eine Lyrik, die vom Zen-Buddhismus, Taoismus und Shintoismus beeinflusst ist, jahrzehntelang faszinieren würde.“ Umgewandelt in einen Dreizeiler wird das Gedicht, dem in Tokyo sogar ein Gedenkstein gewidmet ist, in etwa wie folgt übersetzt: Der alte Teich/Ein Frosch springt hinein./Oh! Das Geräusch des Wassers. „Es war für mich ein erhebendes Erlebnis, diesen ‚Nachhall‘ zu begreifen“, zeigt sich Peer begeistert, „der Teich ist die Ruhe, der Frosch bringt die Bewegung, das Wassergeräusch ist die Reaktion japanischen Kurzlyrik ankommt. „Es war gar nicht so einfach, als Europäer Zugang zur fernöstlichen Denk- und Lebensweise zu erhalten“, gibt Peer zu bedenken, „da ich nie in Japan gelebt habe und die Sprache nicht beherrsche, bin ich auf Übersetzungen angewiesen.“ Hilfreich bei seinen Studien war Imma von Bodmershof, Vorreiterin für eine die Haiku-Dichtung bekannter zu machen“, bedauert Gontran Peer.
Mühevoller Weg. Dass das Ringen um Anerkennung der japanischen Verse alles andere als ein mit Rosen gepflasterter Weg ist, muss Gontran Peer laufend am eigenen Leib erfahren. Er berichtet von der Kritik an den Übersetzungen bis zu den divergierenden
„Nie hätte ich gedacht, dass eine Lyrik, die vom Zen-Buddhismus, Taoismus und Shintoismus beeinflusst ist, mich jahrzehnte-
lang faszinieren würde“_ Günther aka Gontran Peer, Haiku-Dichter
darauf, und wenn die Kreise sich beruhigen, tritt die anfängliche Stille wieder ein. Was für ein schönes Sinnbild für den Kreislauf des Lebens!“
Der Poesiefreund hat sich viele Jahre lang in die Kultur des Haiku eingelesen und akribisch recherchiert, worauf es in der westliche Form des Haiku, und der schwedische Schriftsteller und Lyriker Tomas Tranströmer, der auf die Verknappung von Sprachbildern setzte, wie es die Prinzipien im Haiku vorgeben. „Es ist unbegreiflich, dass nicht einmal ein Nobelpreisträger wie Tranströmer dazu beitragen konnte, Strömungen und der zum Teil völlig zerrütteten Haiku-Szene in Deutschland. Der Brixner Lyriker gehört dem Haiku-Kreis München an, der grundsätzlich dem traditionellen Haiku verpflichtet ist – mit in letzter Zeit deutlicher Öffnung in Richtung Moderne. „Der Berliner Kreis hingegen will

weg von der Tradition, den großen Meistern“, weiß Peer, „was ich überhaupt nicht gutheißen kann, denn die Ahnenverehrung wird in der Wiege des Haiku großgeschrieben.“ Trotz aller Hürden verfasst der Dichter regelmäßig unzählige Haiku, Senryu¯ und Tanka. 2009 veröffentlicht er schließlich den ersten Lyrikband. Auf „Haiku zeitgemäß“ folgen weitere Bändchen, zuletzt das 2016 erschienene „Haiku und so weiter“.
Fotos: Oskar Zingerle
Haiku-Kreis Südtirol. Trotz aller Widrigkeiten gründete Gontran Peer im Jahr 2018 die HaikuArbeitsgruppe Südtirol. „Den Anstoß dazu gab mein Nachbar Hans Comploj bei einer Lesung in Neustift, wo wir zu unserer großen Überraschung unsere gemeinsame Leidenschaft entdeckt haben“, freut sich der Lyriker. Damalige Gründungsmitglieder sind überdies die Brixner Lyrikerin Christine Mathá, Marialuise Prosch und Georg Frener. Die Gruppe hat sich bis heute um Helga Gorfer, Roswitha Weissteiner und die Fernmitglieder Jan Hosemann und Stefanie Porath-Walsh erweitert. Man trifft sich monatlich, um sich Gontran Peer: „Wir Haiku-Dichter möchten unsere Lyrik gerne einem breiten Publikum vortragen“
auszutauschen und Dreizeiler zu dichten. „Wir haben uns qualitativ sehr verbessert und möchten unsere Lyrik einem größeren Publikum vortragen“, wünscht sich der
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Haiku-Veranstaltungen würden von Kulturverantwortlichen und von Literaturvereinigungen kaum unterstützt, beklagt der passionierte Dichter. „Ich selbst hatte allerdings das Glück, bereits einige wunderbare Lesungen gestaltet zu haben, wie jene auf der Leipziger Buchmesse“, lenkt er ein. Ähnlich unsäglich bezeichnet er die Situation im Bereich der Publikationen: Ohne finanzkräftige Rückendeckung sei an eine Veröffentlichung der Gedichte nicht zu denken. Es zähle heute nicht unbedingt die Qualität der Werke, sondern es ist wichtiger, dem Mainstream zu folgen, der von den mächtigen Großbuchhändlern vorgegeben wird. „Ich habe einige Manuskripte in der Schublade, die nur darauf warten, publiziert zu werden“, räsoniert Peer, „aber das müsste ich in Eigenregie machen, denn mir fehlt die Unterstützung der öffentlichen Hand oder von Literaturverbänden.“
Pandemiezeiten. In Zeiten des „Social Distancing“ läuft auch bei der Haiku-Gruppe das Dichten auf digitaler Ebene ab – beim einen mit mehr, beim anderen mit weniger Motivation, je nach emotionaler Verfassung. „Mir persönlich brachte bereits das Jahr 2019 durch ein gesundheitliches Problem einschneidende Verände2016 erschien der vorläufig letzte Gedichtband von Gontran Peer

rungen, die sich 2020 durch die Einschränkungen der Pandemie noch verstärkten“, gesteht Peer. Mit einer guten Portion Kampfgeist und Optimismus fühlt er sich inzwischen wieder gesund und voller Tatendrang, sein Arbeitseifer ist ungebrochen. Frohen Mutes stellt er sich den Herausforderungen der Lockdown-Bedingungen: „Man kann ja auch vom Fenster aus in die Natur blicken und über die Beziehung vom Menschen zur Schöpfung sinnieren“, meint der Haiku-Freund. Gontran Peer geht guter Dinge seiner Lieblingsbeschäftigung nach, die er mit Verve allen Lesern nahebringen möchte.