der Schreibgehilfe“
24. JUNI 2023 WORTKLANG III SAISON 2022/23
„Bartleby, Herman Melvilles
Saison 2022/23 – WortKlang III
3. von 3 Konzerten im Abonnement
Herman Melville (1819–1891)
Bartleby, der Schreibgehilfe. Eine Geschichte aus der Wall Street (Bartleby, the Scrivener. A Story of Wall-Street) (1853, rev. 1856)
durchsetzt mit Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Sechs leichte Variationen F-Dur über das Schweizer Lied „Es hätt’ e’ Buur e’ Töchterli“ für Harfe, WoO 64 (1790–92)
Michail Glinka (1804–1857)
Variationen Es-Dur über ein Thema von Mozart (aus Die Zauberflöte) für Harfe (1822)
Louis Spohr (1784–1859)
Variationen F-Dur über „Je suis encore dans mon printemps“ von Méhul für Harfe, op. 36 (1807)
Wilhelm Posse (1852–1925)
Variationen As-Dur über Der Karneval von Venedig für Harfe (1919)
Konzertende ca. 21:15
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Brucknerhaus-Premiere
Programm
Besetzung
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Caroline Peters | Sprecherin
Christoph Bielefeld | Harfe
Brucknerhaus-Debüt
„Ich möchte lieber nicht.“ Mit diesem Satz, den er dem Schreibgehilfen Bartleby in seiner 1853 veröffentlichten Geschichte aus der Wall Street in den Mund legte, schuf Herman Melville einen der denkwürdigsten Aphorismen der Literaturgeschichte, dessen rätselhafte Vieldeutigkeit die Leser*innen bis heute fasziniert.
„DER IRRSINNIGE TROTZ“
Jorge Luis Borges über Herman Melvilles Bartleby, der Schreibgehilfe
Die genaue Untersuchung der „Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten“ zwischen Moby Dick und Bartleby bedürfte nach meinem Dafürhalten einer Sorgfalt, welche die Kürze dieses Bandes nicht erlaubt. Natürlich liegen die „Verschiedenheiten“ auf der Hand: Ahab, die Hauptperson der breit angelegten Phantasmagorie, der Melville seinen Ruhm verdankt, ist ein Kapitän aus Nantucket, und er hat einem weißen Walfisch, der ihn verstümmelte, Rache geschworen; Schauplatz sind alle Meere der Welt. Bartleby ist ein Schreiber, bei einer Anwaltspraxis in der Wall Street angestellt, der sich mit einer Art demütiger Verbohrtheit weigert, irgendwelche Arbeit zu verrichten. Der Stil von Moby Dick ist voll von herrlichen Anklängen an Carlyle und Shakespeare; bei Bartleby ist er so grau wie die Titelfigur selbst. Und dabei liegt zwischen dem Roman und der Erzählung ein Zeitraum von nur zwei Jahren, von 1851 bis 1853. Vielleicht hat sich der Verfasser, von
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„Ich möchte lieber nicht.“
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Herman Melville Bartleby, der Schreibgehilfe
Herman Melville, anonyme Fotografie, um
1855
Beginn von Bartleby, der Schreibgehilfe in Putnam’s Monthly Magazine, in dem die Erzählung in zwei Teilen im November und Dezember 1853 erstmals erschien
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Herman Melville Bartleby, der Schreibgehilfe
Herman Melville Bartleby, der Schreibgehilfe
der ungeheuren Weiträumigkeit seines vorigen Romans überwältigt, absichtlich die vier Wände eines im Dickicht der Stadt verlorenen kleinen Büros gesucht. Die „Gleichheiten“, wohl etwas weniger augenfällig, sind in dem Wahnsinn der beiden Hauptfiguren zu finden und in dem Umstand, daß dieser Wahnsinn alle um sie herum ansteckt. Die gesamte Besatzung des Pequod läßt sich mit fanatischer Begeisterung zu der unsinnigen Abenteuerfahrt des Kapitäns anheuern; der Anwalt aus der Wall Street und die anderen Schreiber nehmen den Entschluß Bartlebys mit seltsamer Untätigkeit hin. Der irrsinnige Trotz sowohl Ahabs wie des Schreibers Bartleby erlahmt nicht einen einzigen Augenblick und wird ihr Tod.
„ […] ABER ER HAT ES AUCH ERREICHT“
Aus einem Brief von Albert Camus an Liselotte Dieckmann vom 3. Dezember 1951
Ich habe Kafka mit 25 Jahren gelesen (1938) und ich habe ihn auf Französisch gelesen. Der Prozess hat mich beeindruckt, das Gesamtwerk hat bei mir den Eindruck eines extrem limitierten Schriftstellers hinterlassen. Um Ihnen ein klares Beispiel zu geben: Ich denke, Melville hat sich das gleiche Ziel gesetzt wie Kafka, aber er hat es auch erreicht, weil er es sowohl in den Schatten als auch in die Sonne schrieb; Kafka kommt nicht aus der Nacht heraus.
„EIN AKT DER VERSAGUNG “
Aus Slavoj Žižeks Buch Parallaxe
Der Satz, den Bartleby ständig wiederholt, lautet, wie gesagt, „Ich möchte lieber nicht“ und nicht „Ich möchte es lieber nicht tun“. Es handelt sich bei seiner Verweigerung nicht so sehr um die Ablehnung eines bestimmten Inhalts, sondern vielmehr um die formale Geste der Verweigerung als solcher. […] Sie ist ein Akt der Versagung, kein symbolischer Akt. Dem „Ich möchte lieber nicht“ haftet etwas eindeutig Holophrastisches an: Die Aussage ist ein objektgewordener Signifikant, ein Signifikant, der auf einen trägen Fleck reduziert ist, welcher für den Zusammenbruch der symbolischen Ordnung steht.
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Es gibt zwei Verfilmungen von Bartleby, einen Fernsehfilm von 1970 (Regie: Anthony Friedman) und einen Kinofilm von 2001, der die Handlung ins heutige Los Angeles verlagert (Regie: Jonathan Parker); es hält sich allerdings in den Tiefen des Internets hartnäckig das nicht bestätigte Gerücht, es gebe noch eine dritte Version, in der Bartleby von Anthony Perkins gespielt werde. Selbst wenn sich dieses Gerücht als falsch erweisen sollte, gilt hier mehr denn je: se non è vero, è ben trovato [Wenn es nicht wahr ist, ist es doch gut erfunden]: So wie Perkins den Norman Bates [in Alfred Hitchcocks Psycho] ge-
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Herman Melville Bartleby, der Schreibgehilfe
spielt hat, wäre er der Bartleby schlechthin. Wenn dieser lächelnd „Ich möchte lieber nicht“ sagt, kann man sich dieses Lächeln leicht als das des Norman Bates in der letzten Szene von Psycho vorstellen, als er in die Kamera schaut und (mit der Stimme seiner Mutter) sagt: „Ich könnte nicht einmal einer Fliege etwas zuleide tun.“ Darin liegt keinerlei gewalttätige Qualität, die Gewalt betrifft vielmehr ihr unbewegliches, träges, beharrliches, unbeteiligtes Wesen selbst.
Bartleby könnte nicht einmal einer Fliege etwas zuleide tun – das macht seine Anwesenheit so unerträglich.
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Herman Melville Bartleby, der Schreibgehilfe
„I would prefer not to!“ („Ich möchte lieber nicht!“). Graffiti an der Wand eines College in Champaign, Illinois (USA)
Caroline Peters
Sprecherin
Caroline Peters wurde schon während ihres letzten Studienjahres an der Hochschule für Musik Saar von Andrea Breth an die Berliner Schaubühne engagiert. Es folgten Engagements an allen wichtigen deutschsprachigen Bühnen, darunter an den Schauspielhäusern in Hamburg, Köln und Zürich sowie an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. Seit 2004 ist sie festes Ensemblemitglied des Burgtheaters in Wien. Als Meisterin des Timings wechselt sie mühelos von einfühlsamen Betrachtungen zu furiosen Auftritten. Ihr Spiel zeugt von einem ausgesprochenen Gefühl und einer sensiblen Intelligenz für die ambivalenten Beweggründe der von ihr verkörperten Charaktere.
Auf der Bühne sind respektive waren es ihre Zusammenarbeiten mit Barbara Frey, Dimiter Gotscheff, Karin Beier, Luc Bondy, Nicolas Stemann, René Pollesch und Simon Stone, die das Gegenwartstheater veränder(te)n und maßgeblich präg(t)en. Im Film arbeitet sie erfolgreich und wiederholt mit Adolf Winkelmann, Arne Feldhusen, Christoph Schnee, Eva Spreitzhofer, Isabel Kleefeld, Jan Schomburg, Sathyan Ramesh, Sönke Wortmann und Vanessa Jopp – von Independent-Filmen wie Schöne Frauen oder Womit haben wir das verdient? bis zu Kinoerfolgen wie Der Vorname. Einem breiten Publikum wurde sie als Sophie Haas in der Kult-Krimiserie Mord mit Aussicht bekannt. 2020 spielte sie an der Seite von Tobias Moretti die Buhlschaft im Jedermann bei den Salzburger Festspielen.
Caroline Peters wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Grimme-Preis, dem Bayerischen Fernsehpreis, dem Ulrich-Wildgruber-Preis sowie mit dem Deutschen Schauspielpreis 2016 als „Beste Schauspielerin in einer komödiantischen Rolle“. Von der Zeitschrift Theater heute wurde sie 2016 und 2018 als „Schauspielerin des Jahres“ ausgezeichnet. Ebenfalls 2018 erhielt sie den Wiener Theaterpreis Nestroy als „Beste Schauspielerin“, mit dem sie 2020 ein zweites Mal geehrt wurde. Caroline Peters lebt in Berlin und Wien.
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Biographie
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Christoph Bielefeld
Christoph Bielefeld studierte Harfe bei Helga Storck in München, Catherine Michel und Julie Palloc in Zürich sowie bei Marie-Pierre Langlamet in Berlin. In der Saison 2011/12 war er als Soloharfenist am Theater Altenburg Gera engagiert. Aushilfstätigkeiten führten ihn unter anderem zu Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, den Münchner Philharmonikern, dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg, dem Tonhalle-Orchester Zürich, den Bamberger Symphonikern, den Orchestern der Opernhäuser in Zürich und Oslo, dem Helsinki Philharmonic Orchestra und dem WDR Sinfonieorchester. 2011 war er Mitglied des Gustav Mahler Jugendorchesters, während der Schulzeit spielte er im Bundesjugendorchester (Deutschland).
Bei Wettbewerben wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter 2010 der Schumann-Award für die beste Liedbegleitung beim Internationalen Harfenwettbewerb in Utrecht (Niederlande). 2006 erhielt er den ersten Preis beim Franz Josef Reinl-Wettbewerb in Wien sowie den zweiten Preis bei der Soka-Nippon Harp Competition in Japan. Er war Stipendiat der Akademie für Kammermusik der Villa Musica Rheinland-Pfalz, die ihm 2009 einen Förderpreis verlieh. Mit seinem « trio l’après-midi » – mit Nora Romanoff-Schwarzberg (Viola) und Eric Lamb (Flöte) – spielte er unter anderem im Wiener Konzerthaus, beim Kultursommer Wien und beim Kammermusikfestival Trame Sonore in Mantua. Solorecitals und Kammerkonzerte in verschiedenen Besetzungen führten ihn durch Deutschland, Österreich und die Schweiz, nach Frankreich, Belgien, Italien, Polen und Südafrika.
Seit der Spielzeit 2015/16 ist Christoph Bielefeld Soloharfenist des Bruckner Orchester Linz, seit 2018 unterrichtet er an der Universität Mozarteum Salzburg. Darüber hinaus ist er Mitglied des Festspielorchesters der Bayreuther Festspiele.
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Biographie
Harfe
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AUFBRUCH
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Intendanz: Dietmar Kerschbaum
„DAS EWIG-WEIBLICHE ZIEHT UNS HINAN.“
FR 15 SEP
19:30
MITTLERER SAAL
NIKOLA HILLEBRAND & HELMUT DEUTSCH
Frauenlieder und -leben
Frauenlieder von Franz Schubert, Johannes Brahms und Richard Strauss
DO 21 SEP 19:30
MITTLERER SAAL
ESFAHANI & MÜNCHENER KAMMERORCHESTER
Das Cembalo ist weiblich!
Werke von Élisabeth Jacquet de La Guerre, Antonio Vivaldi, Manuel de Falla u. a.
FR 29 SEP
19:30
MITTLERER SAAL
SO 1 OKT
18:00
MITTLERER SAAL
SITKOVETSKY TRIO
Klaviertrios von Cécile
Chaminade, Elfrida Andrée, Laura Netzel und Clara Schumann
SOPHIE ROIS & DAVID KADOUCH
Madame Bovary und die Musik Auszüge aus Gustave Flauberts
Madame Bovary, verwoben mit Klaviermusik von Frédéric Chopin, Clara Schumann u. a.
17 Karten und Info: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerfest.at
KONZERTHIGHLIGHTS
Nikola Hillebrand | Sopran
Sophie Rois | Sprecherin
Mahan Esfahani | Cembalo
Sitkovetsky Trio
VORSCHAU : WortKlang in der Saison 2023/24
Mechthild Großmann
liest Tanztexte
Die Roaring Twenties im Tanzrausch
Samstag, 2. Dezember 2023, 19:30 Uhr
Mittlerer Saal, Brucknerhaus Linz
Tanzende Buchstaben von Else Lasker-Schüler, Kurt Tucholsky, Gertrud Kolmar, Bertolt Brecht, Klaus Mann u. a.
verwoben mit in die Beine fahrender Klaviermusik von Bohuslav Martinů, Wilhelm Grosz, Alexandre Tansman, Mischa
Spoliansky, Kurt Weill, Ernst Krenek/Jenő Takács, Stefan Wolpe u. a.
Mechthild Großmann | Sprecherin
Gottlieb Wallisch | Klavier
Karten und Info: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at
Herausgeberin: Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, Brucknerhaus Linz, Untere Donaulände 7, 4010 Linz
CEO: Mag. Dietmar Kerschbaum, Künstlerischer Vorstandsdirektor LIVA, Intendant Brucknerhaus Linz; Dr. Rainer Stadler, Kaufmännischer Vorstandsdirektor LIVA
Leiter Programmplanung, Dramaturgie und szenische Projekte: Mag. Jan David Schmitz
Redaktion: Mag. Jan David Schmitz | Die Texte für dieses Programmheft hat Andreas Meier zusammengestellt.
Biographien & Lektorat: Romana Gillesberger | Gestaltung: Anett Lysann Kraml
Abbildungen: A. Grilc (S. 15), M. Jung (S. 17 [1. v. o.]), Library of Congress, Washington, D.C. (S. 7), V. Ng (S. 17 [3. v. o.]), privat (S. 8), R. Pröll (S. 13), D. Sadrowski (S. 18), Shutterstock (S. 16), S. Skjold/Alamy Stock Photo (S. 10–11), K. Smith (S. 17 [2. v. o.]), L. Zscharnt (S. 17 [4. v. o.])
Programm-, Termin- und Besetzungsänderungen vorbehalten
LIVA – Ein Mitglied der Unternehmensgruppe Stadt Linz
Foto: motionARThoughts C.BECHSTEIN KLAVIERABEND 28.Juni 2023,19:30 Uhr VERANSTALTUNGSORT UND K ARTEN Brucknerhaus Linz · Untere Donaulände 7 · 4010 Linz +43 (0) 732 77 52 30 · kassa@liva.linz.at C. Bechstein Centrum Linz / Klaviersalon Merta GmbH Bethlehemstraße 24 · 4020 Linz · +43 (0) 732 77 80 05 20 linz@bechstein.de · bechstein-linz.de Daniel Ciobanu Werke von Johannes Brahms, Maurice Ravel, Keith Jarrett und Robert Schumann
Venice
by Neudoerfler
Eine Produktlinie, die sich abhebt.