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Acer platanoides L

Forstlich interessantes Multitalent Spitzahorn (Acer platanoides L.)

Der Spitzahorn ist in der Schweiz nirgends bestandesbildend, sondern kommt nur beigemischt vor. Dennoch ist er in submontanen und untermontanen Lagen bis 1000m ü.M. erstaunlich weit verbreitet. Der Spitzahorn weist besondere Eigenschaften auf, die ihm auch angesichts des aktuellen Klimawandels weiter Aufwind geben. Es lohnt sich deshalb, die wichtigsten Eigenschaften dieses forstlich interessanten Multitalents näher kennenzulernen.

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A. Rudow

Systematik

Der Spitzahorn (Acer platanoides L.) gehört zur Gattung der Ahorne (Acer L.), die der Unterfamilie der Hippocastanoideae Burnett) in der Familie der Seifenbaumgewächse (Sapindaceae Juss.) zugeteilt ist. Früher wurden die Ahornarten einer eigenen Familie (Aceraceae Juss.) zugeordnet, ebenso wie die nahe verwandten Rosskastanienarten (Hippocastanaceae A. Rich.). Genetische Untersuchungen der letzten Jahrzehnte zeigten aber eine sehr nahe Verwandtschaft dieser beiden Gruppen mit der artenreichen Familie der Seifenbaumgewächse. Die Gattung der Ahorne weist weltweit 110 Arten auf, allesamt Baumarten der gemässigten und subtropischen Zone der Nordhemisphäre. In Mitteleuropa kommen sechs dieser Ahornarten vor, vier davon sind in der Schweiz einheimisch. Davon ist der Spitzahorn sehr nahe mit dem Feldahorn (Acer campestre L.) und relativ nahe mit dem Bergahorn (Acer pseudoplatanus L.) und dem Schneeballblättrigen Ahorn (Acer opalus Mill.) verwandt, er hybridisiert allerdings mit keiner dieser Arten. Aufgrund seiner Robustheit und dekorativen Erscheinung wird der Spitzahorn häufig in der Siedlungsgestaltung verwendet, wobei oft Zuchtformen mit besonderer Rotfärbung der Blätter (z.B. «Faassen’s Black») oder besonders kugeliger Kronenform (z. B. «Globosum») zum Einsatz kommen.

Arterkennung

Die Blätter des Spitzahorns sind den meisten Fachleuten bestens bekannt. Die Blattstellung ist wie bei allen Ahornarten gegenständig, d.h. am Jahrestrieb stehen sich in jedem Knoten zwei Blätter gegenüber. Die Spitzahornblätter sind, wie für die meisten Ahornarten typisch, handförmig gelappt, d.h. die Blattnerven jedes Blattlappens entspringen aus einem Punkt an der Basis der Blattspreite (Abb. 1). Zudem sind sie lang gestielt, d.h. der Blattstiel ist gleich lang oder länger als die Blattspreite. Vom auf den ersten Blick ähnlichen Bergahorn unterscheidet

Abb. 1: Spitzahornblatt

(Bild: Rudow, ETHZ)

Abb. 2: Spitzahornborke.

(Bild: Rudow, ETHZ)

sich das Spitzahornblatt durch den einfach gezähnten Blattrand und die lang ausgezogenen Lappen und Zähne. Der Spitzahorn ähnelt damit dem Ahornblatt in der Kanadischen Flagge, das den kanadischen Zuckerahorn (Acer saccharum L.) darstellt. Ausserdem tritt beim Spitz- und Feldahorn bei Verletzung von jungen Zweigen und Blättern ein weisser Milchsaft aus, womit sich diese gut vom Bergahorn abgrenzen lassen. Um vereinzelt beigemischte Spitzahorne im Wald nicht zu übersehen, sollten Waldfachleute auch mit den speziellen Merkmalen von Habitus, Borke und Winterzweig des Spitzahorns vertraut sein. – Der Spitzahorn ist starkwüchsig. In der Jugend ist das Höhenwachstum dem des Bergahorns ebenbürtig, sodass wir die beiden Arten bis zur Stangenholzstufe in Mischung antreffen können. Ab der Baumholzstufe nimmt das Höhenwachstum des Spitzahorns jedoch deutlich ab, sodass er hinter den Bergahorn zurückfällt. Die Oberhöhe des Spitzahorns liegt auf wüchsigen Standorten bei rund 30 Meter. In Ausnahmefällen kann die

Wuchshöhe etwas darüber liegen und maximal 35 Meter betragen. – Anhand seiner feinen Streifenborke lässt sich der

Spitzahorn ab der Baumholzstufe gut von unseren anderen Ahornarten unterscheiden (Abb.2), sowohl von der ausgeprägten Plattenborke des

Bergahorns und des Schneeballblättrigen Ahorns sowie auch von der Schuppenborke des Feldahorns. Die Längsstreifung zeichnet sich schon in der Jugend noch vor der Borkenbildung ab, woran mit etwas Übung auch jüngere Exemplare vor der Borkenbildung zuverlässig erkannt werden können. Bei ausgebildeter Borke hilft der spezifische helle, orange schimmernde Farbton in den Furchen zwischen den Borkensteifen, um sich des Spitzahorns versichern zu können. – Am Winterzweig zeigt der Spitzahorns die schon bei den Blättern erwähnte Gegenständigkeit: die in den Blattachseln gebildeten Überwinterungs-

Abb. 3: Winterzweig des Spitzahorns. (Bild: Rudow, ETHZ)

Abb. 4: Auffällige Spitzahornblüte noch vor dem Laubaustrieb.

(Bild: Rudow, ETHZ)

knospen der nächstjährigen Jahrestriebe stehen sich in jedem Nodium ebenso zu zweien gegenüber (Abb. 3). Die mittelgrossen Knospen sind bei guter Besonnung rot oder bei Beschattung zumindest rötlich überlaufen, wodurch sie sich deutlich von den anderen gegenständigen Baumarten unterscheiden. Sollte es bei ungenügend ausgebildetem Rotton der Knospen, z. B. in Naturverjüngungen unter Schirm Bestimmungsprobleme geben, so können auch die Blattnarben unter den Knospen einbezogen werden. Die gegenüberliegenden Blattnarben des Spitzahorns berühren sich beinahe, während das beim Bergahorn mit Narbenabständen von deutlich über 1 Millimeter nicht der Fall ist. Für das Auffinden sind zudem zwei phänologische Merkmale des Spitzahorns von Bedeutung. Mit diesen kann er im Frühling und Herbst auch aus Distanz erkannt werden, z. B. durch Beobachtung vom Gegenhang: erstens sind dies im April noch vor dem Laubaustrieb der meisten Baumarten die üppigen gelbgrünen Blütenrispen (Abb. 4) und zweitens sind dies im Oktober seine leuchtend gelborange verfärbten Blätter.

Verbreitung

Das Verbreitungsgebiet des Spitzahorns ist geprägt durch kühlgemässigtes, ozeanisches bis kontinentales Klima. Der Verbreitungsschwerpunkt liegt in Mittel und Osteuropa. In West und Nord

europa breitet sich der Spitzahorn aktuell weiter aus. Dabei ist unklar, wie sehr dies durch Pflanzungen im Siedlungsraum verstärkt wird. In Südeuropa beschränkt sich die Verbreitung auf mon tane Lagen der Gebirge. Die Verbreitungsobergrenze steigt von Meereshöhe in Südskandinavien bis auf 1400 m ü. M. in den Alpen, wobei der Schwerpunkt der Höhenverbreitung in der kollinen Stufe liegt. In der Schweiz ist der Spitzahorn zwar recht weit verbreitet, aber als beigemischte Nebenbestandesbaumart nirgends häufig. Aufgrund der umfassenden Erhebung des Projekts Förderung seltener Baumarten mit Försterbefragung auf der gesamten Schweizer Alpennordseite kennen wir die Gebiete der dichtesten Verbreitung aber recht genau und können Kernpopulationen entlang des Juras sowie in den Voralpen insbesondere in Gebieten der Alpenrandseen und Föhntäler ausmachen (Abb. 5). Gemäss Landesforstinventar stellt der Spitzahorn bezogen auf Stammzahl und Holzvorrat nur rund ¼ Prozent des Schweizer Waldes. In der Wirtschaftsregion Alpen Südost (Kanton Graubünden) erreicht er sogar nur knapp ½ Promille, aber in der angrenzenden Wirtschaftsregion Alpen Nordost (Walenseeregion) gegen ½ Prozent der gesamten Stammzahl im Wald. Im Kanton Graubünden besteht in der Bündner Herrschaft und um Chur sowie im unteren Prättigau, im Domleschg und in den Bündner Südtälern ein beträchtliches Potenzial für den Spitzahorn. In Nordamerika wurde der Spitzahorn schon vor gut 200 Jahren insbesondere zur Verwendung im Siedlungsraum eingeführt und Mitte des 20. Jahrhunderts als Ersatz für die durch das Ulmensterben ausgefallene Amerikanische Ulme (Ulmus americana L.) auch im Wald häufig angepflanzt. Seither breitet sich der raschwüchsige und relativ schattentolerante Spitzahorn dort stark aus und wurde von einigen Staaten der Ostküste als invasive Art eingestuft.

Abb. 5: Spitzahornverbreitung auf der Schweizer Alpennordseite mit hypothetischer Populationsbildung.

(Graphik: Rudow & Schwab, ETHZ)

Standort

Der Spitzahorn weist ganz unterschiedliche und erstaunliche ökologisch relevante Fähigkeiten auf. So gilt er als etwas toleranter gegenüber Trockenheit und gegenüber Nässe als der Bergahorn. Auch gegenüber sporadischer Überflutung ist er weniger empfindlich, weshalb er auch in der Hartholzaue der Tieflagen regelmässig anzutreffen ist. Der Spitzahorn wächst auf unterschiedlichsten geologischen Substraten. Er bevorzugt frische, tiefgründige, skelett und basenreiche Böden, wächst aber auch auf mässig sauren Böden. Der Schwerpunkt der Höhenverbreitung des Spitzahorns liegt in der Schweiz in der kollinen und submontanen Höhenstufe, insbesondere zwischen 400 und 800 m ü. M., weshalb der Spitzahorn als wärmebedürftige Baumart gilt. Er ist aber ähnlich kältetolerant wie der Bergahorn und er kommt östlich bis in kontinental geprägte, winterkalte Gebiete am Ural vor und im Alpenraum kann er örtlich bis 1400 m ü. M. aufsteigen. Damit hat der Spitzahorn ein grosses ökologisches Potenzial. Angesichts seiner beträchtlichen Schat

tentoleranz und kaum ernsthafter Bedrohung durch Pathogene erstaunt, dass der Spitzahorn dieses Potenzial in Mitteleuropa aktuell nicht besser realisieren kann. In Vergesellschaftung mit konkurrenzstarken Hauptbaumarten spielt der Spitzahorn nur eine untergeordnete Rolle. Auf trockenen und feuchten Buchenstandorten kommt er nur vereinzelt vor, was sich im Ökogramm deutlich zeigt. Einzig in Kombination mit bewegtem Hangschutt in milden und eher luftfeuchten Lagen des Juras und im Gebiet der Alpenrandseen und Föhntäler ist der Spitzahorn auf Waldstandorten des Turinermeister-Lindenmischwaldes etwas häufiger anzutreffen.

Verwendung

Nebst der Verwendung als robuster Strassenbaum und dekoratives Element im Landschafts- und Siedlungsraum ist der Spitzahorn auch ökologisch und forstlich interessant. Ökologisch sticht die frühe intensive Blüte des Spitzahorns hervor, die aufgrund reichlicher Nektarproduktion eine wichtige Frühtracht für zahlreiche Wildbienen- und weitere Insektenarten darstellt. Das macht den Spitzahorn auch für die Imkerei interessant. Zudem wurde früher aus dem Blutungssaft der Rinde Zucker gewonnen. Allerdings ist die Ausbeute bei einem Zuckergehalt von 3,5 Prozent eher gering und macht verglichen mit dem kanadischen Zuckerahorn (Acer saccharum L.) nur rund die Hälfte aus. Forstlich kann der Spitzahorn aufgrund seines wertvollen Holzes, seines raschen Wachstums und der relativ hohen Schattentoleranz durchaus zur Holzproduktion eingesetzt werden. Gute Stammqualitäten liefern ein gesuchtes Holz für Möbel, Treppen und Parkette. Das Holz des Spitzahorns ist etwas härter, schwerer und grobfasriger als dasjenige des Bergahorns. Mit seinen sehr feinen Poren quillt es bei Wasserkontakt kaum und nimmt auch Fremdgerüche kaum auf. Deshalb wurde es früher gerne für Küchengeräte, Wallhölzer oder Schneidbretter verwendet. Gelegentlich wird es auch gedämpft und gebeizt als Ersatz für kostbarstes Birnbaum- und Elsbeerholz oder wegen seiner hohen Zug- und Druckfestigkeit im Bogenbau eingesetzt. Dokumentierte Erfahrungen zur waldbaulichen Behandlung gibt es wenig. Raschwüchsigkeit und begrenzte Lebensdauer legen Systeme mit kurzer Umtriebszeit nahe, wie wir sie z. B. für den Kirschbaum kennen, mit welchem sich auch Mischungen anbieten würden. Aufgrund der relativ hohen Schattentoleranz und der Fähigkeit, im Lichtschacht aufzuwachsen und relativ gute Stammqualitäten zu erzeugen, könnte sich der Spitzahorn auch für den Dauerwaldbetrieb mit Laubholzarten eignen. Dabei verfügt er aufgrund seiner rasch abbaubaren Laubstreu über bodenverbessernde Eigenschaften. Darüber hinaus kann der Spitzahorn aufgrund seiner Kombination von Herzwurzel und dichten oberflächlich streichenden und verwachsenden Wurzeln und aufgrund seiner guten Stockausschlagfähigkeit zur Bodenstabilisierung und im Steinschlag-Schutzwald eingesetzt werden.

Fazit

Der Spitzahorn ist mit seinen ebenso erstaunlichen wie vielfältigen Eigenschaften durchaus ein forstlich interessantes Multitalent mit beträchtlichem Potenzial. Dies gerade auch im Hinblick auf den prognostizierten Klimawandel. Da die Erfahrungen im Umgang mit dieser Baumart aber eher gering sind, ist heute die weitere Erkundung und Erkenntnisgewinnung vordringlich. Es gilt geeignete standörtliche Bedingungen und waldbauliche Behandlungsmethoden systematisch auszuloten und zu erproben.

Andreas Rudow ist Dipl. Forsting. ETH und arbeitet als Dendrologe und Dozent an der Professur für Waldökologie, Departement Umweltsystemwissenschaften, ETH Zürich.

Literaturverzeichnis und weiterführende Informationen auf www.buendnerwald.ch

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