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Klemmschnitt

Wer heute einen Holzschlag anzeichnet, kann sich so mancher digitaler Hilfsmittel bedienen. Bei mir sehr beliebt ist die App SoLight, welche für die Montage von Sonnenkollektoren entwickelt wurde. Sie ersetzt den Sonnenkompass aus meiner Sicht zufriedenstellend. Meine Garmin-Uhr zeigt mir die aktuellen Höhenmeter im Gelände und lässt mich abends plagiieren, wie viele Schritte ich getätigt habe. Auch das Anzeichnungsmass wird direkt digital erfasst und oft orientieren wir uns auf Karten-Apps, wo wir uns im Gelände gerade befinden. Gar Pflanzen, die sich aus unserem erlernten Wissen verabschiedet haben, können wir mit wenigen Fotos durch die Flora-Incognita-App bestimmen lassen. Da fragt man sich schon, was wir ohne digitale Unterstützung noch bewältigen können. Als ich einen meiner letzten Holzschläge auf Bündner Boden anzeichnete, meinte mein langjähriger Waldbaubegleiter Burtel: «Einer wie du müsste eigentlich Pfeife rauchen.» Vielleicht wollte er mir sagen, dass ich doch besser rauchen würde, statt ständig auf dem iPhone herumzutippen. Damit hatte er recht, doch Pfeife rauche ich seit meinem zwanzigsten Lebensjahr. Aber was stimmt, bisher nie beim Holzanzeichnen. Alte Fotos und Erzählungen belegen, wie die Tabakpfeife einst ständiger Begleiter im Wald war. Kann sein, dass der wohlig riechende Tabak das optimale Ambiente schuf für eine bedachte Anzeichnung und so weitere Hilfsmittel überflüssig waren. Auch mir kommen gute Ideen bei einer gemütlichen Pfeife bei Feierabend. Keine App wird dies je ersetzen können. Vor dem digitalen Zeitalter sollen Rabbis gar Weglängen in Pfeifen angegeben haben. Sie wanderten also vom einen Ort zum andern und berichteten, es habe beispielsweise sieben Pfeifen gedauert, bis sie da waren. Vielleicht haben die alten Kreisförster die ersten Seillinienlängen in Pfeifen angegeben. Man stelle sich vor, sie hätten berichtet: «Gestern habe ich eine Seillinie angezeichnet, die dauerte ganze fünf Pfeifen!» Heute heisst es eher: «Welche Pfeife hat diese Seillinie angezeichnet?» Vor ein paar Jahren ging uns in der Jagdhütte der Tabak aus. Ich kramte in meiner Pfeifentasche und fand nur noch Indianergras aus Nordamerika mit dem vielsagenden Namen «Shaman’s Choice». Diese Ware wurde einst in zu grossen Mengen in die Schweiz importiert – wegen einer Null zu viel bei den Grammangaben. Meine Jagdkollegen waren anfangs äussert skeptisch bezüglich dieses Stoffs des fremden Medizinmanns. Ich habe ihnen versichert, dass ein mir bekannter Laborant den Stoff vorgängig untersucht habe. Wir stopften also ohne Bedenken unsere Pfeifen und rauchten die fremden Kräuter. Prompt wurde die Hirschjagd in den nächsten Tagen wieder erfolgreich – keine App kann das! Rauchen ist ungesund, trotzdem verdanke ich meiner Pfeife aus Olivenholz viel, wenn ich so darüber nachdenke, denn sie hilft mir beim Nachdenken. Der erfahrene Pfeifenraucher weiss, das Mundstück klemmt erst im Holz, wenn die Luftfeuchtigkeit stimmt. Wenn ich darüber weiter nachdenke – bei gewissen Pfeifen klemmt das Mundstück nie. Möglicherweise wünschen sich deswegen Förster wieder Vorgesetzte, die Pfeife rauchen, damit diese ihren Mund eher dafür gebrauchen statt damit zu stark in ihre Tätigkeit reinzureden. Mir kann es jetzt egal sein, hoffentlich kann ich meinen letzten Holzschlag noch Pfeife rauchend anzeichnen. Ich muss mir im Outlook eine Erinnerung setzen und das Smartphone dann im Auto lassen – wer weiss, vielleicht kommts besser als mit allen Apps.

Sandro Krättli

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