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in die Praxis
Waldmonitoring mit Satelliten: von der Forschung in die Praxis
Die Sentinel-2-Satellitenmission ermöglicht seit 2015 die zeitnahe und kontinuierliche Überwachung von Wäldern in einem hohen Detaillierungsgrad. Um dieses Potenzial für die Praxis nutzbar zu machen, wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts an der BFH-HAFL der Einsatz dieser Daten in drei konkreten Use-Cases erarbeitet. In Zusammenarbeit mit der Praxis wurden einfache und intuitiv bedienbare Kartenviewer entwickelt, um die technischen Hürden in der Anwendung auf ein Minimum zu reduzieren.
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Alexandra Erbach, Dominique Weber
Der Einsatz von Fernerkundung im Waldbereich hat eine lange Tradition. Dabei hat sich das Angebot an Daten sowie effizienten Analysetools in den letzten Jahren stark verbessert und bietet neue Perspektiven für forstliche Anwendungen (Ginzler & Waser 2017). Eine wesentliche Entwicklung hat im Bereich der satellitengestützten Waldüberwachung stattgefunden. Die Sentinel-2-Satellitenmission liefert seit 2015 grossflächige und frei verfügbare Daten mit einer häufigen Wiederholung der Aufnahmen (alle 2–5 Tage). Diese Datensätze eignen sich für die zeitnahe und kontinuierliche Überwachung von Waldflächen (Weber et al 2018). Damit dieses Potenzial in der Praxis stärker genutzt wird und einen faktischen Mehrwert erzielt, müssen praxistaugliche Tools verfügbar sein und die Informationen bedarfsgerecht bereitgestellt werden. Im Rahmen eines Forschungsprojekts der BFH-HAFL mit Unterstützung des BAFU wurden nun Sentinel-2-Daten für drei konkrete Use-Cases (Anwendungsfälle) eingesetzt. Um den Bedarf der Praxis von Anfang an zu bedienen, wurde eine Ex-
Auf waldmonitoring.ch werden einfach und intuitiv bedienbare Kartenviewer, Geodienste und Hintergrundinformationen zu den erarbeiteten Use-Cases bereitgestellt. (alle Bilder: www.waldmonitoring.ch)
Auf waldmonitoring.ch finden Sie Kartenviewer und Geodienste, die Veränderungen oder Störungen im Schweizer Wald visualisieren. Datenquelle sind die frei verfügbaren Sentinel-2-Satellitenbilder. Momentan werden drei Anwendungsfälle bedient: 1) Monitoring jährlicher Waldveränderungen, 2) Rasche Erfassung von Sommersturmschäden und 3) Hinweiskarten zur Vitalität von Waldflächen. Die Daten und Services stehen allen Interessierten zur Verfügung – einfache Videos mit Anwendungsbeispielen (Tutorials) zeigen, wie es geht. Der Einsatz ist bisher noch ausschliesslich für Testzwecke gedacht.
pertengruppe aus Vertretern und Vertreterinnen von Forstbetrieben und Forstdiensten gebildet. Um die technischen Hürden in der Anwendung auf ein Minimum zu reduzieren, wurden einfache und intuitiv bedienbare Kartenviewer entwickelt, welche auch auf mobilen Geräten benutzt werden können. Zudem können die dargestellten Karten als Geodienste (WMS, WMTS, WFS) in eine GIS-Umgebung eingebunden werden.
Use-Case 1: jährliche Waldveränderungen
Starke Waldveränderungen können durch den Vergleich von Sentinel-2-Aufnahmen in zwei aufeinanderfolgenden Jahren zuverlässig erkannt werden. Dabei wird der Vegetationszustand anhand eines aus mehreren Spektralbändern abgeleiteten Vegetationsindizes in beiden Jahren beurteilt. Die resultierenden Veränderungen beziehen sich auf eine starke Abnahme der Vegetationsaktivität zwischen den zwei Jahren. Aufgrund der räumlichen Auflösung von 10 m × 10 m sind kleinräumige und schwache Veränderungen nicht detektierbar. Ausserdem kann die Ursache für die Veränderung (Holzschlag, Sturmschaden etc.) nicht bestimmt werden. Die Daten bieten jedoch eine objektive Einschätzung der jährlichen Veränderungen, welche effizient und für grosse Flächen erfasst werden können, sei es auf Betriebs- oder Kantonsebene.
Jährliche Veränderungen
Juni 2016 - Juni 2017 Juni 2017 - Juni 2018 Juni 2018 - Juni 2019
Veränderungsstärke
Hinweiskarte für Waldveränderungen zwischen den Jahren 2016/2017 (blau), 2017/2018 (rot) und 2018/2019 (violett). Hier gut ersichtlich die typisch linearen Muster von Seilkrananlagen in der Nähe von Chur.
Use-Case 2: rasche Erfassung von Sommersturmschäden
Das Ziel des zweiten Use-Cases war die Erarbeitung von Hinweiskarten für Sommersturmschäden. Die entwickelte Methode wurde am Beispiel der Sommerstürme 2017 von Ende Juli/Anfang August getestet und soweit möglich mit Referenzdaten der WSL validiert. Dabei konnte aufgezeigt werden, dass Flächenschäden zuverlässig erkannt und räumlich gut abgegrenzt wurden. Jedoch werden bis dato auch diverse Flächen fälschlicherweise ausgeschieden, insbesondere an Wolkenrändern und im Zusammenhang mit Schattenwurf an steilen Nordhängen. Wie rasch nach einem Sturmereignis eine Auswertung möglich ist, hängt von der Verfügbarkeit wolkenfreier Sentinel-2-Aufnahmen ab. Im besten Fall beträgt die Wartezeit wenige Tage, liegt aber öfters im Bereich von zwei Wochen und ist regional sehr unterschiedlich. Der
Hinweiskarte Sturmschäden
18. August 2017
Schadensstärke
Hinweiskarte für Sommersturmschäden von Anfang August 2017 bei Nussbaumen TG. Die Farbe der abgegrenzten Flächen gibt einen groben Hinweis auf die Stärke des vermuteten Schadens. Hinweiskarte für die Veränderung der Vitalität in Bezug zum Medianwert seit 2015. Hier gut ersichtlich die vom trockenen Sommer 2018 gestressten Bäume bei Ziegelbrücke und entlang des Südhangs oberhalb des Walensees.
Hinweiskarte Vitalität
Aug. / Sept. 2018
Abnahme Zunahme
operationelle Einsatz dieses Verfahrens ist möglich und angedacht: Die vollautomatische Erstellung von Hinweiskarten sollte innerhalb von 2 bis 5 Tagen nach Bildaufnahme möglich sein. Eine anspruchsvolle Situation stellt sich jedoch im Winter, wenn der blattlose Zustand von Laubbäumen, die niedrige Beleuchtungsintensität, die häufige Bewölkung und schneebedeckte Gebiete eine Herausforderung darstellen. Ein denkbarer Lösungsansatz wäre eine Kombination mit Sentinel-1-Radar-Daten, welche von Bewölkung und Beleuchtungsintensität kaum beeinflusst werden (Rüetschi et al 2019).
Use-Case 3: Hinweiskarten für die Vitalität
Auch die Vitalität von Waldflächen kann mit einem aus Sentinel-2-Satellitenbildern abgeleiteten Vegetationsindex grob erfasst werden. Durch den Vergleich des aktuellen Vegetationszustands mit den Vorjahren lassen sich daraus Hinweiskarten zur Veränderung der Vitalität erstellen. Dabei werden jeweils die Medianwerte innerhalb eines zweimonatigen Zeitfensters (z. B. Juni bis Juli) mit den Medianwerten aller Vorjahre (bis 2015) innerhalb des gleichen Zeitfensters verglichen. Ob es sich bei der Veränderung um Borkenkäferbefall, Trockenstress oder einen Holzschlag handelt, wird hierbei nicht unterschieden. So können z. B. negative Werte sowohl einen Holzschlag wie auch eine vorzeitige Herbstverfärbung beschreiben. Wir sprechen daher von Hinweiskarten und für die Interpretation ist immer auch Expertenwissen über die Wälder und gegebenenfalls eine Feldbegehung notwendig.
Mehrwert für die Praxis
Die bereitgestellten Daten und Geodienste sind bis dato ausschliesslich für Testzwecke gedacht, da die Methoden noch weiter verfeinert und validiert werden müssen. Das Projekt wurde jedoch als vielversprechend eingestuft und der Mehrwert von der Expertengruppe klar bestätigt. Forstbetriebe nannten als mögliche Anwendungsfelder zum Beispiel Kommunikationsgrundlage, Massnahmenplanung sowie Vollzugs- und Wirkungskontrolle. Die kantonalen Forstdienste sehen den Mehrwert in einem effizienteren Ressourceneinsatz durch die Möglichkeit, sich schnell und einfach einen grossflächigen Überblick zu verschaffen sowie auch in der Transparenz und Vergleichbarkeit über die
Kantonsgrenzen hinweg. In Graubünden wird in Erwägung gezogen, die Hinweiskarten nach der Testphase auch dem kommunalen Forstdienst zur Verfügung zu stellen. Die Ansprüche an Detaillierungsgrad, Genauigkeit und Aktualität der Daten sind in der Schweiz aufgrund der naturnahen und kleinräumigen Bewirtschaftung sehr hoch. Sentinel-2 liefert hier, insbesondere aufgrund der hohen zeitlichen Auflösung, einen wichtigen Beitrag. Aufgrund der räumlichen Auflösung und der Einschränkung durch Wolken reicht Sentinel-2 allein jedoch nicht aus, um alle Ansprüche der Praxis abzudecken. Deshalb wird die Kombination unterschiedlicher und komplementärer Datenquellen (z.B. LiDAR, Feldaufnahmen) als Schlüsselelement für eine breitere Anwendung von Fernerkundungsdaten angesehen.
Ausblick
Bereits im September startet ein Nachfolgeprojekt mit dem Ziel, den Nutzen von Fernerkundung für Waldfachleute weiter zu erhöhen. Dazu sollen die existierende Lösung ausgebaut und komplementäre Datenquellen miteinbezogen werden. Der Fokus liegt jedoch auf dem Wissenstransfer, der Kommunikation und dem Aufbau einer User-Community, um die effektive Verwendung in der Praxis durch intensiven Austausch weiter zu fördern und zu verstärken. In diesem Rahmen sollen unter anderem konkrete Einsatzbeispiele zur Verwendung der Daten und Tools in der Praxis gesammelt, dokumentiert und bereitgestellt werden.
Alexandra Erbach (Mathematikerin und Umweltwissenschaftlerin) ist an der HAFL in GIS- und Fernerkundungsprojekten sowie in der Lehre tätig, zudem arbeitet sie als Projektleiterin für die Stiftung Bergwaldprojekt.
Dominique Weber bearbeitete Sentinel-2-Projekte an der HAFL und ist neu an der WSL im Bereich Fernerkundung tätig.
Kartenviewer im Teststadium, Hintergrundinformationen und Videoanleitungen: waldmonitoring.ch. Interessierte an der User-Community können sich gerne an Alexandra Erbach (alexandra.erbach@bfh.ch) wenden.
Referenzen
Ginzler, C., & Waser, L. T. (2017). Entwicklungen im Bereich der Fernerkundung für forstliche Anwendungen. Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen, 168(3), 118–126.
Rüetschi, M., Small, D., Waser, L. T., & Ginzler, C. (2019). Lokalisierung von Windwürfen mit Sentinel-1A/B-Daten: ein Versuch nach «Burglind». Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen, 170(2), 86–93.
Weber, D., Ginzler, C., Flückiger, S., & Rosset, C. (2018). Potenzial von Sentinel-2-Satellitendaten für Anwendungen im Waldbereich. Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen, 169(1), 26–34.