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Die Eiche im Vinschgau
Die Eiche und der Vinschgau gehören zusammen. Aber wie in jeder langfristigen Beziehung gibt es gute Zeiten und schlechte Zeiten. Die Flaumeiche im Vinschgau hat jedenfalls eine lange und interessante Vergangenheit hinter sich. Aktuell, nach einigen schwierigen Jahrhunderten als Randerscheinung, wird immer klarer, dass sie in Zukunft – vor allem auch durch die Klimaveränderung – wiederum eine wichtige Rolle spielen wird.
Georg Pircher
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Eiche am Trumsberg oberhalb Kastelbell
auf 1300m Seehöhe. (Bild: O. Seehauser) Ausgangspunkt für diesen Artikel war die Frage nach der Herkunft und den Zukunftsaussichten des Flaumeichenbestands bei Predigizzi oberhalb der Dorfs Laatsch. Dieser kleine Eichenbestand auf dem Südhang am Eingang des Münstertals ist wohl ein Relikt von früher weit ausgedehnteren Flaumeichenwäldern. Wahrscheinlich reichte nämlich in früheren Jahrhunderten ein mehr oder weniger geschlossener Waldgürtel mit Eiche vom Etschtal bei Meran bis nach Taufers im Münstertal an die Schweizer Grenze heran.
Geschichtliche Notizen zur Eiche
Offenbar hat es im Hochmittelalter bei Laatsch noch mehr oder weniger ausgedehnte und stattliche Eichenwälder gegeben, denn aus den Aufzeichnungen des Klosters Marienberg von 1287 geht hervor «… dass wir im Dorf Laatsch … Rechte besitzen, dass wir jährlich in ihrem Walde Holz holen dürfen, Eichen, Eichenholz, zum Gebrauch und Nutzen unseres Hauses, und dass wir soviel Holz holen dürfen, wie wir es für unsere Arbeiten notwendig brauchen.» Ebenso berichtet eine Urkunde aus dem Gemeindearchiv von Laatsch aus dem Jahr 1335 von einem Streit mit dem Nachbardorf Schleis um Weiderecht und Holzbezug: Interessant ist dabei, dass Schleis unter anderem oberhalb der Felsen bei der Calven Eichenbäume fällen durfte. Jedenfalls ging es beide Male nicht um Brennholz,
Eichenwald Predigizzi bei Laatsch mit guten Steinschlagschutzeigenschaften.
(Bild: Forstinspektorat Schlanders)
denn das war andernorts leichter verfügbar, sondern spezifischum Eichenholz. Das wiederum lässt auf Stammholz und somit recht stattliche Eichen schliessen. Verwendungszwecke könnten Dauben für Weinfässer, Möbelholz oder das Anfertigen von Hackstielen und anderem Werkzeug gewesen sein. Am anderen Ende des Vinschgaus, in Tschars bei Kastelbell, bietet sich ein ähnliches Bild: Eichenwälder waren vorhanden und Thema von Auseinandersetzungen. Im Jahr 1398 entschied der Richter einen Streit der Gemeinde mit einem oberhalb gelegenen Hof um Eichholz, Wasser und Weide zugunsten der Gemeinde. Und auch in der ältesten erhaltenen Dorfordnung von 1432 gibt es spezifische Regelungen «von des Aichholtz wegen, ob dem dorff zu Tscharrs». Dort sind verschiedene Strafen aufgelistet für jene, die ohne Genehmigung Eichen stümmeln oder fällen. In einer Dorfordnung von 1615 findensich wiederum Regelungen zum Eichenwald: Die Eichen oberhalb des Dorfs wurden je nach Hofgrösse aufgeteilt, «grüne» Eichen jedoch durften nicht geschlagen werden, nur «dürre und abgestandene». Gleichzeitig ist die Holzknappheit der Gemeinden im Vinschgauer Haupttal seit dem Mittelalter belegt. Unzweifelhaft hat die Bewaldung der untersten Hanglagen, der collinen Stufe, dort, wo die Flaumeiche vorkommt, durch jahrhundertelange Übernutzung kontinuierlich abgenommen. Dabei stand nicht die Holznutzung im Vordergrund, sondern die Weidetätigkeit, vor allem mit Kleinvieh,
hatte den grössten Einfluss. Viehwirtschaft war nämlich stets eine Lebensgrundlage der Bauern im Vinschgau. Aus Futtermangel jedoch musste das Vieh bereits zeitig im Frühjahr, teils den ganzen Winter über, auf die schneefreien Südhänge getrieben werden. Schliesslich waren die Hänge gegen Ende des 19. Jahrhunderts bis in einer Höhe von 600 m über der Talsohle praktisch waldfrei. Das ursprünglich wohl zusammenhängende Eichenareal war zerfallen, es blieben nur noch kleine Restbestände, wie eben jener bei Laatsch oder einer bei Eyrs und vor allem in schwer zugänglichen Lagen verstreute Einzeleichen übrig.
Waldtypen mit Flaumeiche
Laut Waldtypisierung Südtirol, welche die potenziell vorkommenden Waldtypen beschreibt und deren Vorkommen auch kartografischaufzeigt, hat die Flaumeiche im Vinschgau grosses Potenzial. Im Vinschgau, und südtirolweit nur dort, tritt der Walliserschwingel-Flaumeichenwald (Festuco valesiacae-Quercetum pubescentis asplenietosum adianti-nigri) als extremster Eichenwald der unteren collinen Stufe auf. Diese Flaumeichenwälder befindensich an der Trockengrenze des Waldes, sie sind meist als niedriger Buschwald ausgebildet und verzahnen sich mosaikartig mit den waldfreien
Der entwaldete Sonnenberg um 1930mit Tschengls im Vordergrund. Erste Aufforstungsflächen sind sichtbar. (Bild: zVg)
Steppenrasen. Deren Nachbarschaft sowie der häufigauftretende Karbonateinflussbringen eine beeindruckende Artenvielfalt in der Bodenvegetation zustande. Dieser Waldtyp reicht im inneralpin-trockenen Vinschgau bis circa Eyrs und erstreckt sich an den Sonnenhängen bis auf 900 oder 1000 m Seehöhe. Als weitere Besonderheit der Region ist der Vinschgauer Flaumeichen-Kiefernwald (Astragalo-Pinetum quercetosum pubescentis) zu nennen, welcher die trockensten und sonnigsten waldfähigen Lagen der oberen collinen Höhenstufe einnimmt. Er kommt auf karbonathaltigen und auch auf silikatischen Böden vor. Bei den Baumarten treten Rotkiefer, Mannaesche und Flaumeiche in wechselnder Stärke auf, in der Bodenvegetation finde sich Felsspalten- und Sandrasenarten, aber auch Schmetterlingsblütler. Bei etwas günstigerem Wasserhaushalt, expositions- oder geländebedingt, ist als recht eigenwilliger Mischwald der Lärchen-Kiefern-Flaumeichenwald mit Felsenzwenke ausgebildet (Festuco valesiacae-Quercetum pubescentis brachypodietosum rupestre). Die Lärche bildet die Oberschicht, Flaumeiche und/oder Mannaesche sind in der zweiten Baumschicht beigemischt. Die Lärche als Mischbaumart in Flaumeichenwäldern ist eine Eigenheit der trockenen Hänge des Vinschgaus, wo in einem Übergangsgürtel zwischen der collinen Eichenstufe und der montanen Lärchenstufe beide Baumarten gemeinsam lockere Bestände bilden und sich verjüngen können. Sie wurden auch als «anthropo-zoogenes Sukzessionsstadium» beschrieben. In schattigen, aber durch die Niederschlagsarmut noch immer mässig trockenen Lagen des Vinschgaus ist der Lärchen-Kiefern-Flaumeichenwald mit Stink-Wiesenraute (Festuco valesiacae-Quercetum pubescentis thalictretosum foetidi) auf nicht zu steilen Mittelhängen der oberen collinen Stufe weit verbreitet. In diesem strauchreichen Wald treten neben Flaumeiche und Mannaesche auch Rotkiefer und Lärche auf, dazu verschiedenste Laubbaumarten eingesprengt. Diese Mischwälder aus Laub- und Nadelholz der oberen collinen Teilstufe reichen im Durchschnitt im Vinschgau bis 1250 m hinauf, stellenweise aber auch bis 1400 m Seehöhe. Die Rotkiefer ist vielerorts durch den menschlichen Einfluss,sprich Rodung, Brand, die starke Waldweide und Humusdegradation (Streunutzung) zur Dominanz gelangt, als widerstandsfähige Pionierbaumart konnte sie profitieen.
Flaumeiche in der Umstrukturierung der Schwarzkiefernforste
Der Vinschgau besitzt aber noch eine spezielle Waldgesellschaft, in der die Flaumeiche, vor allem als gepflanzterBaum, eine wichtige Rolle spielt: die Schwarzkiefernforste. Nach der fast vollständigen Entwaldung der Sonnhänge war die Gefährdung durch Erosion, Murgänge und Überschwemmungen kontinuierlich angestiegen, sodass ab Mitte des 19. Jahrhunderts verschiedene Aufforstungsinitiativen gestartet wurden. In den Jahren 1951 bis 1965 wurden schliesslich durch ein gross angelegtes Aufforstungsprogramm circa sechs Millionen Pflanzen ausgebracht. Davon waren 58 Prozent Schwarzkiefer, welche zwar standorttauglich, aber eigentlich nicht heimisch ist, sodass in Summe am Sonnenberg schlussendlich 940 Hektar Schwarzkiefernwälder auf Standorten der Eichen- und Eichen-Kiefernwälder entstanden. Diese Aufforstungen erfüllten ihre vordringlichste Aufgabe als Erosions- und Hochwasserschutz, schafften jedoch neue Problemfelder wie Rückgang der Artenvielfalt, Versauerung des Bodens, Steigerung des Waldbrandrisikos, sowie schliesslich Massenvermehrungen des Kiefernprozessionsspinners. Also wurde mit der sogenannten Umstrukturierung ab Mitte der 1990er-Jahre begonnen, die Schwarzkiefernwälder in laubholzreiche, naturnahe Mischwälder umzuwandeln. Dabei wurde von Beginn an stark auf Flaumeiche gesetzt. Dieses
Vorgehen wurde einerseits durch historische Quellen untermauert, andererseits durch Studien zu den potenziellen Waldtypen. Gleichzeitig konnte man in diesen Kiefernwäldern, aber auch auf Flächen, wo der Weidedruck abgenommen hatte, immer wieder verstreut Naturverjüngung der Flaumeiche feststellen. Im Jahr 1996 wurde das erste Konzept zur Umwandlung mit der Errichtung von «Biozellen» unter einem aufgelockerten Schwarzkiefernschirm gestartet. Auf einer Fläche von einem Quadratmeter wurden jeweils 21 Flaumeichen gepflanztoder gesät und mit einem Wildverbisszaun geschützt. Diese über den Bestand verteilten Biozellen sollten Ausgangspunkte der Eichenausbreitung werden. Im Rahmen eines Monitorings wurden ausgewählte Biozellen jährlich genau erfasst, um Rückschlüsse auf Verbesserungsmöglichkeiten ziehen zu können. Eine generelle Erkenntnis war, dass das Höhenwachstum der Flaumeiche in den ersten Jahren sehr schleppend verläuft: Die Flaumeiche investiert auf diesen sehr trockenen Standorten in den ersten Jahren viel ins Wurzelwachstum, erst danach beginnt das exponentielle Höhenwachstum. Beim Vergleich verschiedener Herkünfte des Vinschgaus konnten keine Unterschiede festgestellt werden. Hingegen wurden die Auswirkungen unterschiedlicher Behandlung der Oberschicht sehr deutlich sichtbar: Unter einer relativ geschlossenen Oberschicht zeigte sich bei der Flaumeiche schwaches Höhenwachstum, in mutiger geöffneten Beständen ein viel besseres Höhenwachstum. Zwar ist eine Beschattung der Jungbäume durch den Restbestand vom Süden her immer wichtig, aber oberhalb der Bäumchen sollte freier Himmel sein. Minimumfaktor ist da eindeutig das Wasser, das heisst, Niederschläge müssen zur Pflanzegelangen können, vor allem auch der meist spärliche Schnee. Mit den Jahren wurde das Konzept der Umstrukturierung mit einer zweiten Vorgehensweise ergänzt: dabei werden in kleinen schmalen Schlitzen quer zum Hang alle Schwarzkiefern entnommen, bei der Bepflanzungwird neben Flaumeiche auch stark auf Mannaesche und mehrjährige Vogelkirsche ge-
Sogenannte Flaumeichen-Biozelle.
(Bild: Forstinspektorat Schlanders)
Laubholzschlitz im Kiefernwald mit Herbstfärbung.
(Bild: Forstinspektorat Schlanders)
setzt. Vorteile sind dabei eine nur «einmalige» Bearbeitung der Fläche, rasche Bodenumstellung und starkes Höhenwachstum der Vogelkirsche. Kurzfristig stellt also Vogelkirsche den Laubholzanteil dar, langfristig soll dann die «Klimaxbaumart» Flaumeiche übernehmen.
Bedeutung und Zukunft der Flaumeiche
Jedenfalls werden im Rahmen der Umstrukturierung jährlich mehrere Tausend Flaumeichen gepflanzt,dazu kommt im Wald, aber auch auf nicht mehr genutzten Weideflächen Naturverjüngung von Flaumeiche. Leider ist die Entwicklung vielerorts durch Wildverbiss gehemmt, und Aufforstungen bedürfen generell Zaunschutz, was den Arbeitsfortschritt sehr verlangsamt. Die Hangwälder im Vinschgau besitzen fast durchwegs Schutzfunktion, ein weiterer Faktor, welcher die Bedeutung der Flaumeiche in tiefen Lagen stärkt. So besitzt sie bei Steinschlag oder Schuttbewegung eindeutig Vorteile gegenüber der Kiefer, die Ausheilungsfähigkeit nach Stammverletzung ist höher, der oft mehrstämmige Wuchs ist günstiger und Schneedruck oder Windwurf mit aufgeklappten Wurzeltellern kommt praktisch nicht vor. Aber auch hinsichtlich Abflussverhalten gibt es positive Wirkungen des Flaumeichenmischwaldes, welche erst kürzlich durchgeführte Beregnungsversuche mit Starkregensimulationen erneut aufzeigten. Der Abflussbeiwert(Anteil des oberflächlic abfliessendenWassers) in beweideten Trockenrasen wurde mit 0,65 bestimmt, im Schwarzkiefernwald mit 0,26 und im umgewandelten Mischwald schliesslich war gar kein Oberflächenabflus feststellbar. Die positive Bodenentwicklung und der günstige Auflagehumusim Mischwald begünstigen im Vergleich zu einem Kiefernwald mit Nadelstreuauflag nicht nur die Einsickerung, auch die nicht unwesentliche Waldbrandgefahr ist vermindert. Ein neuerlicher Schub des Föhrensterbens 2017 im Vinschgau hat den Wert der Flaumeiche in den trockenen Schutzwäldern nochmals deutlich aufgezeigt. Zwei sehr niederschlagsarme und überdurchschnittlich warme Winter haben die Kiefern in den tiefen Lagen schwer geschädigt. Die Eiche, welche im Winter kaum Bodenwasser benötigt, hat diese dagegen unbeschadet überstanden. Bei angespanntem Wasserhaushalt hat die Kiefer ja mit einer Reihe von Schädlingen, sei es Insekten oder auch Pilzerkrankungen, zu kämpfen. Hinzu kommt, weniger witterungsabhängig, der Kiefernprozessionsspinner als Störung für den Menschen. Aus den Daten der Waldtypisierung lässt sich abschätzen, dass die Flaumeiche im Vinschgau auf 4200 Hektar eine wesentliche Rolle spielen könnte und sollte. Das sind immerhin rund 10 Prozent der Waldflächeim Forstinspektorat Schlanders. Aktuell kommt die Eiche in den vorratsbezogenen Inventurdaten als Baumart noch gar nicht vor. Die Klimaänderung mit dem Anstieg der Temperaturen wird auch zum Anstieg der Höhenstufen führen, sodass für den Vinschgau nochmals mit einer zusätzlichen Ausweitung des Areals der Flaumeiche zu rechnen ist. Diese Eigenschaften der Flaumeiche in Relation zu den naturräumlichen Gegebenheiten des Vinschgaus sowie die oben genannten Zahlen zeigen, dass in der Zukunft mit ihr zu rechnen und zu arbeiten sein wird. Die Flaumeiche ist gekommen, um zu bleiben!