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DARF’S WENIGER SEIN?

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WIEDER VEREINT

WIEDER VEREINT

Einmal die Woche kein Fleisch essen? Das kann jeder, hat sich Werner

Zirkel vom BN Lindau überlegt. Nun sammelt er unter dem Titel »Fleisch fasten« Verbündete für eine klimaschonende und gerechtere Ernährung.

Mit dem Bus ist es schon eine kleine Reise von Lindau hinaus zur Camping-Gaststätte Gitzenweiler Hof. Und wo sich im Sommer um diese Uhrzeit die Urlauber tummeln, herrscht heute tiefe Dunkelheit. Nur die Wirtshausfenster leuchten uns den Weg zum Eingang. Hoffentlich bewährt sich Werner Zirkels Optimismus und es finden genügend Interessierte den Weg hier heraus, um mehr über das Thema Ernährung, Fleischverzehr und Klimawandel zu hören. Er selbst würde nahezu überallhin fahren, um »sein« Thema voranzubringen, soviel ist klar. Der Mann brennt für seine Sache. Seit Anfang des Jahres ist er in Rente, was eigentlich ganz schön sei, meint er. »Aber dann hat dieser depperte Krieg angefangen.« Und mit ihm gelangte das Thema Hunger wieder in die Schlagzeilen. »Da kann man nicht einfach zuschauen«, findet Werner Zirkel. »Die im Süden hungern und wir verfüttern nach wie vor fast 60 Prozent des in Deutschland produzierten Getreides zuzüglich des importierten Kraftfutters an die Viecher. Das ist doch zynisch!«

Nicht Missionarisch

Werner Zirkel und seine Frau essen schon lange kein Fleisch mehr. Und doch waren sie nie »missionarisch«. »Letztendlich muss jeder für sich entscheiden, ob er Fleisch isst oder nicht«, sagt Christiane Zirkel. Sie hat vor zehn Jahren einen Veggie-

Stammtisch in Lindau ins Leben gerufen. Einfach so, über eine Zeitungsannonce – mit erstaunlicher Resonanz. Am ersten Abend sind 30 Menschen der Einladung gefolgt, heute trifft sich der Kreis immer noch jeden Monat in verschiedenen Gaststätten. Ein sehr willkommener Nebeneffekt: Sie tragen ihr Thema damit von Restaurant zu Restaurant. Heute müssen sie sich längst nicht mehr so erklären wie am Anfang, wenn sie in der Speisekarte nach vegetarischen Alternativen suchen. Für Christiane Zirkel ist das Ziel klar: »Wenn wir es schaffen, dass mehr Leute auch nur einmal die Woche auf Fleisch verzichten, dann ist schon viel fürs Klima und gegen den Hunger in der Welt erreicht.«

Dass das Ehepaar mit diesem offenen Ansatz Erfolg hat, zeigt sich wenig später in der Gaststube: Der Raum füllt sich bis zum letzten Platz. Da ist Dietmar Stoller, ein distinguierter älterer Herr mit Halstuch, der im Arbeitskreis für Entwicklungspolitik und Selbstbesteuerung aktiv ist. Für ihn ist schon lange klar, dass es mit einem Fleischverzehr auf dem heutigen Niveau keine Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd geben kann. Ganz einfach, weil wir unsere Nutztiere gar nicht ernähren könnten, würden wir nicht im Globalen Süden wertvolles Ackerland dafür in Anspruch nehmen. Ackerland, das den Menschen dort für ihre Ernährung fehlt. Er findet, das ist schlichtweg koloniales Verhalten.

Oder Helga Semrau. Sie ist aktiv für den Verein »Tier und Mensch«. Der Kontakt besteht seit dem Klimastreik im Septem- ber 2022 in Lindau. Damals war sie sehr glücklich, dass auf dieser Veranstaltung die Klimarelevanz unserer Ernährung thematisiert wurde. Und die katholische Dekanatsrätin Christina Gentili berichtet, dass sie für das Fleischfasten in kirchlichen Einrichtungen wirbt. Hierbei ist es für sie eine große Hilfe, dass sie sich auf die Tradition des fleischlosen Freitags beziehen kann. Maximilian Schuff, Vorsitzender der BN-Kreisgruppe Lindau, ergänzt, dass der durchschnittlich hohe Fleischkonsum auch unserer Gesundheit nicht zuträglich ist.

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Inzwischen nimmt die Kellnerin die Bestellungen auf. Die Speisekarte spiegelt die Realität in vielen traditionellen Gasthäusern wider: Ente, Gans, Wiener Schnitzel, Zwiebelrostbraten … An vegetarischen Gerichten bleiben die unvermeidlichen Kässpatzn oder Süßkartoffelspalten. Aber immerhin: Auf Nachfrage zaubert die Küche vegane Ofenkartoffeln mit Salat.

Nicht nur nach Österreich, auch über die Landesgrenzen hinweg hat Werner Zirkel für heute Abend sein Netz gesponnen: Emma Heyen studiert Umweltbildung und ist Praktikantin beim BUND im baden-württembergischen Ravensburg. In ihrem Vortrag zum Thema Ernährung und Klimawandel fasst sie die wichtigsten Fakten für uns zusammen – und schon ist die Versammlung mittendrin in der Diskussion. »Bio ist gut, aber damit kön- nen wir die Welt nicht ernähren. Das braucht viel zu viel Fläche«, meint Peter Triloff, der sich im Klimabeirat der Stadt engagiert. Wenn wir weniger tierische Produkte essen, geht das sehr wohl, kontern andere. »Aber ganz sollten wir auf Nutztiere auch nicht verzichten«, findet Isolde Miller vom BN Lindau. »Kühe sind als ›Landschaftspfleger‹ für die ökologisch wertvollen Grünflächen immens wichtig. Und sie produzieren dabei sogar noch gute Nahrungsmittel für uns.« Da stimmt Diana vom österreichischen »Verein gegen Tierfabriken« zu. Allerdings findet sie, die Kühe könnten dort auch grasen, ohne dass man sie ausbeutet. Die Diskussion ist offen, lebendig und bleibt immer wertschätzend, trotz teils sehr unterschiedlicher Ansätze. Der Herr, der gerade einen Wurstsalat verspeist, bekommt genauso viel Raum wie die bekennenden Vegetarier oder Veganer in der Runde. Und das ist genau der Ansatz, den sich Werner Zirkel gewünscht hat: möglichst alle erreichen, einen Querschnitt durch die Gesellschaft. Und weil er genau weiß, was er will, lässt er die Leute nicht gehen, ehe er eine Handvoll Namen auf seinem Zettel stehen hat. Mit Datum und Uhrzeit des ersten Treffens einer kleinen Arbeitsgruppe, die sich für ein nachhaltiges Ernährungskonzept für Lindau starkmachen soll: weniger Fleisch in Kitas, Kindergärten, Mensen und anderen öffentlichen Einrichtungen. Ein kleiner Schritt mehr hin zu einer klimafreundlicheren und gerechteren Ernährung.

Heidi Tiefenthaler

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