StudiVersum 4/2010

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STUDI VERSUM NUMMER 34 | 2010.10

FIBONACCI IN DER NATUR 10 STUDIERENDE AN DER BÖRSE 30 HORST WEISS RAT! 34

Zeit


tioonnäärr uti iveelllllut Urs, Schachhbooxer & RRiv ERFRISCHE SCCHEE

DEINEN GEIST!

MIT RIVELLA

GRÜN.

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lang-lebe-anders.ch

erdmannpeisker

Boxen ist Schach. Schach ist Boxen.


EDITORIAL | INHALT

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Liebe Leserinnen und Leser,

Sommer, ade! Vorlesungen morgens um acht, hallo? Zeit ist gerade deswegen so unendlich kostbar, weil sie vergänglich ist. Man kann sie verschwenden, aufholen, Revue passieren lassen, ablaufen lassen, doch eines bleibt: ihre Vergänglichkeit. Und uns bleibt die Erinnerung in Form von Musik, Gerüchen und Bildern. Auch die Studienzeit ist nicht unendlich. Lasst uns also dieses seltene Gut geniessen, denn nur Chuck Norris schafft den Bachelor in Regelstudienzeit. Zeitlos – In einer Gesellschaft die ständig in Bewegung ist, wirkt es unvorstellbar, etwas zu erschaffen, das die Zeit überdauert. Mirjam Goldenberger ist der Formel der Zeitlosigkeit auf den Grund gegangen. Keine Zeit – Bei Michael Hauser wurde ein Tumor diagnostiziert. Aufgrund dieser Erkrankung musste schliesslich sein Bein amputiert werden: Stephanie Renner im Gespräch mit einem Mann der hart kämpfte und heute wertvolle Zeit gewonnen hat. Teilzeit – Jobsharing oder Prozente-Handeln, die Arbeitswelt ist im Umschwung. Der zunehmende Individualismus gibt dem Einzelnen auch das, was er braucht: Freiheit und Zeit für sich selbst. Martina Zimmermann stellt gesammelte Arbeitsprozente von Individualisten vor, die sich und ihre Freizeit über gesellschaftliche Normen und Geld stellen. Sieben Minuten – Herz ausschütten nach vorgegebener Zeit und ein Buch verschrieben bekommen. Bibliotherapie, ein Angebot von «Das Magazin» und «Westflügel», hat Julia Krättli ausprobiert. Die Frist ist gesetzt und die Zeit läuft. Die Monate bringen auch Veränderungen mit sich. So auch beim StudiVersum: Unsere Rubrik «Digital» hat sich verabschiedet und ist dem «Atelier» gewichen. Neu werden euch spannende Projekte und Abschlussarbeiten von Studierenden aller Fachrichtungen vorgestellt. Der Relaunch der Studierendenplattform semestra.ch (ehemals StudiSurf.ch), konnte diesen August vollendet werden. StudiVersum ist eng mit dieser Plattform vernetzt: Da findet ihr StudiVersum-Artikel, weitere News, Erlebnisberichte, Ausgehtipps, Jobangebote, Files und Wettbewerbe. So, nun auf den Semesterbeginn: Lasst euch nicht stressen! Geht das Semester sachte an, ganz nach dem hawaiianischen Sprichwort: «Ihr habt die Uhren, wir haben Zeit».

Eure Raffaela Angstmann

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04 LIEBLINGSDING WARUM ICH MEINEN FÄCHER LIEBE 05 UMFRAGE WAS WAR DEIN BESTER FUND? 06 AUS DEM LEBEN ALLES WAS BLEIBT 08 ATELIER YOU ARE HERE, ARE YOU? 10 WISSENSCHAFT GENIES DER NATUR 12

Zeitlos gut 16

Teilzeit – Teil die Zeit 20

Literatur auf Rezept 24

Entschleunigung des Lebens 27 DAS UNIKAT GEWINNE KOSTBARE ZEIT! 28 UNIPOLITIK EINES FÜR ALLE 30 REPORTAGE AUF KURS 32 UNTERHALTUNG IMPRESSUM, RÄTSEL 33 DIE FLOTTE 3ER-WG JOHNS HANGOVER 34 WIE ANNO DAZUMAL KINDER, KINDER


LIEBLINGSDING

WARUM ICH MEINEN FÄCHER LIEBE

Isabel Hammer, 22, studiert temperamentvoll Publizistik und Geschichte an der Uni Zürich «Der südspanische Tanz ‹Flamenco› ist meine grosse Leidenschaft und ein Ausgleich zum kopflastigen Studium. Der Flamencofächer ist nicht nur ein Tanzinstrument, sondern auch ein praktisches und schickes Accessoire für heisse Sommertage.»

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UMFRAGE

WAS WAR DEIN BESTER FUND? Die Wurzel, die ich mit acht Jahren auf der Alp gefunden habe, der blaue Regenschirm mit Holzgriff, das Mountainbike oder die alten Liebesbriefe meiner Mutter auf dem Estrich? StudiVersum hat an der Zürcher Hochschule der Künste bei den Studierenden nach ihrer grössten Entdeckung gefragt. Text und Bild Selin Bourquin Gabriel Möhring, 24, Mediale Künste «Sie! Meine Freundin, die ich im Xenix, hier in Zürich, gefunden habe.» Nadine Bösch, 29, Scientific Visualization «Mit neun Jahren habe ich so einen Hologramm-Kleber gefunden. Da war ein funkelnder schwarzer Panther drauf!» Klara Windemann, 35, Bildende Künste «Das ist also etwas Zufälliges, Unplanbares? Als Kind hatte ich das Gefühl, das Meer schenkt mir Gaben. Die Sachen, die das Meer anspülte, waren geschenkte Spielzeuge für mich. Egal, ob es eine Muschel oder ein Stück grünes, geschliffenes Glas war.» Caroline Feder, 21, Film «Meine Wohnung an der Langstrasse, meine Freunde oder mein Fahrrad? Ich kann mich nicht entscheiden, aber meine Schwester, die hat mal ihr Handy am Strand verloren. Abends hat sie das bemerkt und es in der Nacht am Strand wiedergefunden! Und einmal hat sie beim Beachvolleyball ihren Fingerring verloren. Der Abwart hat ihn im Sand wiedergefunden!» Renato Schneeberger, 23, Style and Design «100 Franken im Hallenbad. Die habe ich selber dort verloren und dann wiedergefunden.» Claire Geyer, 35, Type Design and Typography «Ich habe so einen Klettverschluss für das Zusammenbinden des Laptopkabels gefunden. Ich hatte selber mal so eines, es dann aber verloren. Ich habe mich über den Fund sehr gefreut!» Olivia Broger, 24, Industriedesign «Meine WG hier in Zürich. Wir sind zu viert, kannten uns vorher nicht und sind jetzt gute Freunde.» Laura Ferrara, 25, Fotografie «Die emotionale Intensität zu Jugendzeiten. Alles war so intensiv!»

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AUS DEM LEBEN

WIE GEHT ES DIR? Stress an der Uni, Überstunden im Job, ein Saustall zu Hause: Manchmal ist alles negativ. Zeit, mal an das Positive zu denken. Text Karin Reinhardt

Wenn mich jemand fragt, wie es mir geht, sage ich immer «gut». Und hänge dann abschwächend ein «zwar müde», «halt gestresst» oder «wenn nur nicht diese Zahnarztrechnung wäre» an. Da bin ich wohl nicht die Einzige. Die meisten Menschen betonen das Negative mehr als das Positive. Weils einem wohl mehr auffällt und einen beschäftigt. Kommt die S-Bahn mal drei Minuten zu spät, geht ein kollektives Fluchen über den Perron. Dass wir ein pünktliches, modernes ÖV-Netz haben, das im Ausland seinesgleichen sucht, geht dabei gern vergessen. Sitzt man mal wieder zehn Stunden im Büro, flucht man wie ein Rohrspatz und vergisst dabei, dass viele Menschen täglich für einen Hungerlohn noch viel, viel mehr schuften, damit wir Kaffee, Bananen und H&M-Leibchen geniessen können. Die positiven Dinge in unserem Leben nehmen wir gerne als selbstverständlich hin. Sommerabende, die wir mit Freunden am See verbringen. Die Wurst auf dem Grill, das Bier in der Hand, dazwischen ein kurzes Bad im Zürichsee. Winterabende beim Käsefondue mit der Familie. Mit Freundinnen die Mister-SchweizWahlen am TV schauen. Dazu «Cüpli» trinken und bei der Badehosen-Runde johlen und pfeifen. Am Wochenende einen ganzen Tag mit dem Freund im Bett verbringen und zehn Folgen von «Die wilden Siebziger» schauen. Kurz in die Stadt gehen und mit drei paar neuen Schuhen nach Hause kommen. Für 20 Franken im Semester am ASVZ eine neue Sportart ausprobieren. Mit dem Rucksack drei Wochen durch Kroatien reisen. Spontan übers Wochenende nach Paris fahren. 50 Franken Gutschrift vom Steueramt auf der Kontoabrechnung entdecken. Die Liste liesse sich unendlich erweitern und jeder könnte sicher noch einige Punkte anfügen. So lange wir diese Dinge haben, darf die S-Bahn auch mal drei Minuten später fahren und der Arbeitstag mal zehn Stunden dauern. Denkt daran, wenn ihr das nächste Mal gefragt werdet, wie es euch geht.

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EIN HOCH AUF ADAM SANDLER «Adam Sandler ist mit Abstand der beste Schauspieler unserer Zeit.» Eine so gewagte Aussage bedarf einer sorgfältigen empirischen Fundierung. Nichts leichter als das. Text Christoph Lutz

Ich vermeine auf einer obskuren Internetseite gelesen zu haben, Adam Sandler sei nach Harrison Ford der bestverdienenste Schau«spieler»* . Das kommt nicht von ungefähr, denn allein schon seine beeindruckende Filmographie raubt einem den Atem: Darunter finden sich epische Grosstaten wie «The Waterboy», «Anger Management», «50 First Dates» und der neue Blockbuster «Grown-Ups». Sandlers Filme sind kulturell wertvoll und hochstehend, weil sie uns andauernd den American Dream predigen, weil sie niemals überraschen und das Gute eben doch gewinnt. Letzteres kommt in Adam Sandler Filmen wie «Mr. Deeds» oder «Big Daddy» immer in einer Form vor: Adam Sandler. Adam Sandler ist so lieb, naiv, hilflos und alltäglich, dass man nicht umhin kommt, ihn zu lieben, für das, was er ist und spielt: ganz sich selbst, Adam Sandler. Für diesen Artikel habe ich mir alle Adam Sandler Filme in der DVD-O-Thek ausgeliehen und in einer Marathonsession von 82 Stunden und 16 Minuten reingezogen. Ihr hättet das Gesicht der Verleiherin sehen sollen, als ich am Donnerstag Abend ganz unverbindlich und locker – aber nur gespielt, denn im Innern brodelte alles vor Vorfreude und dem dringenden Bedürfnis mich ein Wochenende lang ganz und gar dem Sandler’schen Schauspiel hinzugeben – durch die Tür getreten bin und sie mit einem süffisanten Lächeln um ALLE Adam Sandler Filme bat, «wo’s je hets gits uf de Welt»! Nach einer kurzen, aber hef-

tigen Pause, einem tiefen Seufzer und einem «Aber nöd im Ernscht?», das ich mit einem ebenso nonchalanten wie gewagten «Doch» konterte, verschwand sie hinter dem Computer, um zu checken, welche Adam Sandler Filme sie denn überhaupt auf Lager haben. Die gute Nachricht: Sie hatten alle. Die schlechte: Die Verleiherin wollte nicht damit rausrücken, zu meinem eigenen Schutz, wie sie sagte, aber ich verstand nicht so ganz, was sie damit meinte. Nach einem ordentlichen Bestechungsgeld liess sie sich dann doch erweichen, jedoch nicht ohne mich nochmals ausdrücklich zu warnen und mir einen mitleidsvollen Blick nachzuwerfen. Jetzt, nach diesen intensiven Adam Sandler Studien, bin ich zum unvermeidlichen Schluss gekommen: Die Schweiz ist Adam Sandler. Sie atmet Adam Sandler. Adam Sandler ist der Henri Dunant unserer Zeit. Alles hier ist sandlerisiert: Die Schweiz ist nicht komisch; sie ist fleissig, eifrig bemüht und tapsig, sie ist harmlos, repetitiv und schlecht angezogen, alles genau wie Adam Sandler. Nicht umsonst hat die Newsweek die Schweiz nach Finnland zum zweitbesten Land gekürt. Aber jetzt mal ehrlich: Wir wissen doch ganz genau, dass uns Finnland so wenig das Wasser reichen kann wie Harrison Ford Adam Sandler. * Sogleich wird klar werden, warum ich dieses

«spieler» in Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt habe.


AUS DEM LEBEN

MEINE ZEIT WIRD KOMMEN Nostalgisches Wühlen im Musikfundus bringt so manche Überraschung zu Tage; zum Beispiel den ironischen Kommentar zu aktuellen Problemen. Text Simon Knopf

Einige der CDs sind so verkratzt, dass sie sich nicht mehr abspielen lassen. Zum Glück nur wenige. Denn das, was mir da in die Hände gefallen ist, gleicht einem Gruss von mir aus vergangenen Tagen. Vor mir liegt meine längst vergessene Sammlung selbstgebrannter CDs. Darauf Musik, die es nie auf meinen MP3-Spieler geschafft hat. Dutzende Mixed-Alben mit ehemaligen Lieblingsliedern, musikalischen Fehltritten und Eintagsfliegen aus meiner Gymnasialzeit. Ich höre querbeet. Es dudeln «EagleEye Cherry» und «Oasis» und ich erinnere mich daran, wie mir das Herunterladen von Songs aus dem Netz und der CD-Brenner meines Klassenkameraden als nobelpreiswürdige Errungenschaften erschienen. Während «Eskobar» mein Zimmer verkitschen, beginne ich, an damals herumzugrübeln. Der Song muss um die Jahrtausendwende entstanden sein. Zwei Jahre vor meiner Matur. Unser Geographielehrer erzählte uns wöchentlich, dass wir die Elite seien und uns nach Matur und Studium die Welt offen stehe. «Von wegen», sag ich halblaut zu mir selber. Ich denke daran, wie mich jetzt, kurz vor Studiumende, permanent Zukunftsängste plagen. Ich bin Literaturwissenschaftler. Selbst Astronauten sind auf dem Arbeitsmarkt gefragter. Und die Chance, dass ich einmal meinen Traumberuf ausüben werde, bewegt sich in ein und derselben Kategorie, wie die Idee der Kalten Fusion oder des Perpetuum Mobile. Aus meiner Stereoanlage ertönen jetzt «Echt» mit «2010» (et voilà: der Fehltritt). «Meine Zeit wird kommen, ja, im 2010», singt Kim Frank. Ich schmunzle über das Lied und über den Zufall, der den Song über Zukunftsplanung, just in seinem Titel gebenden Jahr und kurz vor meinem Abschluss, zurück in mein Bewusstsein trägt. 2007 interviewte ich den ehemaligen Teenieschwarm für ein Magazin. Sein Soloalbum war gerade der Ladenhüter und die einstige Jungdiva gab sich lammfromm. Vermutlich ahnte Frank, dass seine Karriere das Jahr 2010 kaum erreichen würde. Wahrscheinlich ging es ihm da etwa so wie mir jetzt. Das beruhigt mich. Manchmal muss

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man sich vor Augen führen, dass die Welt nicht ausschliesslich aus Gewinnertypen besteht, welche jeden nächsten Schritt sauber geplant haben. In wenigen Wochen werde ich zum ersten Mal nicht genau wissen, wie es weitergeht. Aber eigentlich ist das ganz in Ordnung. Ich bin mir sicher, dass meine Zeit kommen wird. Irgendwann im 2011 oder so. Vorher gehe ich nämlich einfach mal in die Ferien.

ALLES WAS BLEIBT Ein Erasmus-Semester ist wie eine durchfeierte Nacht: kurz, emotional, intensiv. Doch was bleibt vier Jahre nach dem Austauschrausch? Text Chris Buchmann

Studieren in Europa hat in den letzten Jahren eine neue Dimension erreicht: Austauschsemester im Abenteuerland Erasmus. Hier ist das Leben eine Daily Soap, ein Alltag inexistent. Junge Menschen aus allen Ecken des Kontinents treffen in einem Mikrokosmos aufeinander, frei von heimatlichen Verpflichtungen, frei die universitären Verpflichtungen auf ein Minimum zu reduzieren, frei das Leben für einige Monate – vielleicht zum letzen Mal in dieser Exklusivität – einfach nur zu geniessen. In Wochen nur verdichtet sich Erasmusland in kleinen Küchen eines beliebigen Wohnheims zu einem engmaschigen Netz von Freunden, Verehrern, Schicksalsgenossen, Saufkumpanen, Liebhaberinnen. Es ist heiss da drin, im Erasmusnetz, intensiv, schnelllebig. Leben in voller Fahrt und dann plötzlich wird man wieder ausgespuckt, das Erasmusleben spuckt einem aus vor die eigene Haustür in der wohlbehüteten Schweiz, der Kopf brummt noch und von Kopf bis Fuss das Gefühl, es sei alles viel zu schnell gegangen. Vier Jahre später. Da ist die Zeile in meinem Lebenslauf: Austauschsemester Turku, Finnland. Macht sich gut, sagt man. Bestimmt. Da sind Hunderte von Fotos und Tausende von Erinnerungen, mittlerweile

wohl gespeichert unter «gute alte Zeiten». Gute Zeiten, tatsächlich. All die Eindrücke bleiben, bestimmt, doch wie hiess die Spanierin hier noch mal? Die Freundschaften fürs Leben, manche mit Tränen in den Augen vor dem wartenden Taxi versprochen, spielen sich heute grösstenteils als Statusmeldungen auf Facebook ab. Ein ungutes Gefühl. Deshalb die Hoffnung, dass es sich diese Menschen und die geteilten Erlebnisse irgendwo im Unterbewusstsein bequem gemacht haben, dass sie sich da schon lange eingenistet haben und so gelegentlich noch eine Rolle spielen im jetzigen Leben. Doch die dumpfe Frage bleibt: Waren all die Erlebnisse, die Beziehungen und Emotionen im finnischen Winter wirklich real? Bestimmt. Denn da sind die wenigen Freunde, die Freunde geblieben sind. Sie empfangen einen mit Freude in ihrem Zuhause, kommen auf Besuch, senden Fotos der ersten Tochter. Sie widerlegen die These, Erasmus sei nur ein schnelllebiges, oberflächliches Abenteuer. Erasmus ist kein One-Night-Stand - was auch wortwörtlich verstanden werden kann. Der endgültige Beweis liegt seit gestern in meiner Inbox, E-Mail aus Paris: «PS: I think we will have an erasmus wedding soon».


ATELIER

YOU ARE HERE, ARE YOU? PROJEKT VON MYRIAM CASANOVA

MYRIAM CASANOVA SETZT IHREN ZEIGFINGER BLINDLINGS AUF DIE LANDKARTE UND SCHWEBT ÜBER KLIPPEN, ÄCKER UND MEERE. SIE LANDET WEICH AUF STOFF. Wirklich geflogen ist sie ein einziges Mal. Zürich-Helsinki und retour. Myriam Casanova aus Freiburg wird aber bereits mit zehn Jahren von der Lust heimgesucht, alles stehen und liegen zu lassen, bäuchlings auf dem Teppich die Nase in den Atlas zu stecken. Die ganze Welt auf einem bunten und reissfesten Papier. Der Wald, die Berge, das Dazwischen, reduziert zwar; aber haben wir die visuelle Sprache der Landkarten einmal erlernt, wissen wir, wie sich Berge, Wasser, Wald oder Stadt zueinander fügen. Den Zeichen und Farben können wir schon fast wie Wegweisern folgen. Unser Kinderfinger bestaunt eine scheinbar wirkliche Sicht der Welt aus der Vogelperspektive. Später wissen wir um den Kartographen, der entscheidet, mal objektiv, mal subjektiv. Die Karte stellt die Wirklichkeit immer selektiv dar. Myriam schwebt über der Erdkruste, fasziniert vom Fliegen sichtet sie die Welt und bringt von ihrer Reise Augenblicke mit. Aus diesen kreiert sie Modestoffe für den Sommer. Stoffe, welche die im Flug aufgefangene Welt später am Körper widerspiegeln, senkrecht. Das Gewebe wölbt sich bei einer Anhöhe, bevor es Zentimeter weiter in die Schlucht stürzt. Flecken in unterschiedlichen Farbentönen erinnern an die von uns ordentlich parzellierte Erdoberfläche. Höhenlinien ermuntern uns, die Äquidistanz zu ertasten, und die Gletscherzungen, unterlegt mit einem zarten Rosa, umspielen die Taille. Präsentiert hat Myriam ihre Bachelorarbeit im Juli 2010 im Studienbereich Textildesign an der Hochschule Luzern. Text Martina Zimmermann, Bilder Myriam Casanova

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WISSENSCHAFT

GENIES DER NATUR ZAHLENFOLGEN WERDEN IN DER MATHEMATIK BEHANDELT, NICHT IN DER BIOLOGIE. ÜBER DIE FIBONACCIFOLGE JEDOCH RÄTSELN WISSENSCHAFTLER AUS BEIDEN DISZIPLINEN, DENN VERSCHIEDENE PFLANZEN ORDNEN BLÜTEN ODER BLÄTTER GENAU IN DIESER MATHEMATISCHEN REIHENFOLGE AN. Einen kurzen Blick auf den Kopf einer Sonnenblume macht klar, dass Mutter Natur keine Chaotin ist. Die Samen sind fein säuberlich angeordnet, eng zusammengepackt verlaufen sie spiralenförmig in zwei verschiedenen Richtungen vom Zentrum nach aussen. Wer sich die Mühe nimmt, die Spiralen zu zählen, stellt Erstaunliches fest: In

den meisten Fällen weisen Sonnenblumen 55 Spiralen im Uhrzeiger- und 34 im Gegenuhrzeigersinn auf. Grosse Blüten bringen es auf bis zu 144, beziehungsweise 89. 34, 55, 89, 144…Vage Erinnerungen aus dem Mathematikunterricht zu Gymnasialzeiten: Fibonacci-Zahlen! Die FibonacciFolge beginnt mit 1, 1. Dann wird sie rekursiv weiterentwickelt: Um die nächste Zahl zu erhalten, addiert man die letzten beiden Glieder der Folge. Also weiter mit 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, und so fort. Die Anzahl der Spiralen einer Sonnenblume sind somit zwei aufeinanderfolgende Fibonacci-Zahlen. Doch die Sonnenblume ist bei weitem nicht die einzige Pflanze mit einer vermeintlichen Vorliebe für Mathematik: Kiefernzapfen, Artischocken und Ananas weisen sehr ähnliche Spiralmuster auf, deren Anzahl durch aufeinanderfolgende Fibonacci-Zahlen gegeben sind. Dass es sich dabei nicht um Zufall handelt, beweist ein Artikel aus dem «Yearbook of Science and the Future» aus dem Jahr 1977: Das Fibonacci-Muster wurde damals mit einer sorgfältigen Untersuchung von 2000 Ananas bestätigt.

Talent am Werk

Schon die Entstehung der Zahlenreihe hatte einen engen Bezug zur Natur. Fibonacci beschrieb in seinem Klassiker «Liber Abaci» 1202 folgendes Problem: Zwei Hasen, ein Weibchen und ein Männlein, werden in ei-

nem Monat geschlechtsreif und werden von da an jeden Monat zwei weitere Hasen – ein Weiblein und ein Männlein – auf die Welt bringen. Mit dem neugeboren Hasenpaar verhält es sich genau so; sie werden einen Monat nach ihrer Geburt geschlechtsreif und noch einen Monat später das erste Mal Eltern von einem weiteren Hasenpaar. Wie entwickelt sich nun die Anzahl Hasenpaare über die Zeit, angenommen es sterben keine Hasen? Fibonacci notierte die Folge 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13,…, ohne zu wissen, dass er dafür Weltruhm erlangen würde. Man ist sich heute nicht einmal sicher, ob Fibonacci die einfache rekursive Eigenschaft seiner Lösung erkannte. Erst 1876 wurde die Zahlenfolge offiziell nach Fibonacci benannt. Ironischerweise bringt man deshalb Fibonaccis Name heute mit einer denkbar einfachen Abfolge von Zahlen in Zusammenhang, obwohl er zu seiner Zeit die komplexesten mathematischen Probleme löste – oft als Einziger. Doch ist die Fibonacci-Folge so einfach, dass sie sogar unter Pflanzen Anwendung findet?

Und sie rechnen doch nicht

Ein Zusammenhang zwischen FibonacciZahlen und Pflanzen besteht tatsächlich, jedoch nur indirekt. Eine verblüffende Eigenschaft der Fibonacci-Folge ist dafür verantwortlich: Die Division einer Fibonacci-Zahl durch die vorhergehende Zahl der Folge nähert sich exakt 1.6180 an, der goldenen Zahl. Zwei beliebige Dinge im Verhältnis 1:1.618 wirken nicht nur für das menschliche Auge harmonisch, der goldene Schnitt hat sich auch für Pflanzen als sehr nützlich erwiesen. Zum Beispiel wachsen Blätter spiralförmig nach dem goldenen Schnitt angeordnet um ihre Äste, weil sie damit am idealsten zum Licht ausgerichtet sind. Das Verhältnis minimiert den Schattenwurf von Blättern auf die darunterliegenden. Dementsprechend rechnet auch die Sonnenblume nicht – sie versucht nur ihre Samen optimal zu positionieren. Dabei stellen sich Fibonacci-Anordnungen als möglichst gute Annäherung an den goldenen Schnitt heraus: Eine Sonnenblume mit 34 und 55 Spiralen weicht nur gerade 0.01 Prozent vom goldenen Schnitt und somit von der optimalen Ausrichtung zur Sonne ab. Text Chris Buchmann, Illustration Me-

lanie Imfeld

Leonardo Pisano (geb. um 1180 in Pisa), bekannter unter dem Beinamen «Fibonacci», gilt als der bedeutendste Mathematiker des Mittelalters. Als Jugendlicher reiste er mit seinem Vater nach Algerien, wo er das Rechnen mit arabischen Ziffern lernte. Seine Arbeiten legten den Grundstein für eine neue angewandte Mathematik in Europa; die Erkenntnisse blieben bis weit ins 16. Jhdt. wegweisend.

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ZEITLOS GUT WAS HEUTE NOCH ANGESAGT IST, WIRD MORGEN SCHON WIEDER OUT SEIN. ETWAS ZEITLOSES ZU ERSCHAFFEN, DAS SÄMTLICHE TRENDS UND MODESTRÖMUNGEN ÜBERSTEHT, SCHEINT BEINAHE UNMÖGLICH ZU SEIN. DENNOCH IST DIES EINIGEN KLUGEN KÖPFEN GELUNGEN UND IHRE MEISTERWERKE BEHAUPTEN SICH SEIT JAHRZEHNTEN ALS FESTE BESTANDTEILE UNSERES ALLTAGS. WIR HABEN NACH IHREM ERFOLGSREZEPT GESUCHT.

Vitra Design Museum, Weil am Rhein: Ein runder Raum mit zwei Dutzend Holzkästen lädt die Besucher auf eine Zeitreise der besonderen Art ein. In den Kästen befinden sich Alltagsgegenstände, die normalerweise nicht im Museum anzutreffen sind – zumindest nicht als Ausstellungsobjekte. Nebst Regenschirmen und Büroklammern präsentieren sich hier auch kleine Kunstwerke aus Einmachgläsern und Teebeuteln. Wer hätte gedacht, dass unser Alltag voll von diesen zeitlosen Geniestreichen ist? Diese «heimlichen Helden», wie die Ausstellung sie nennt, machen unser Leben in vielerlei Hinsicht leichter. Sie unterstützen uns beispielsweise bei solch wichtigen Dingen wie dem Bier tragen, dem Wein öffnen, dem Kaffee filtern oder bei der Vorbereitung auf ein heisses Date. Als ich nach dem Besuch der Ausstellung einige Notizen machen will und meine Tasche öffne, entdecke ich sie plötzlich überall. Beginnend mit dem Reissverschluss, an welchem der Ingenieur Gideon Sundback über sieben Jahre lang arbeitete, bevor er ihn 1917 auf den Markt brachte, bis hin zum Kugelschreiber, den wir dem Un-

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garn Laszlo Biro zu verdanken haben – der übrigens auch ein Patent für einen Vorläufer des Deorollers anmeldete. Schnell krame ich weiter und entdecke weitere Zeitlosigkeiten; die gelben Post-its, die nur durch einen Fehler in der Leimproduktion entstanden sind, die Kleenex-Taschentücher, die nun schon seit über achtzig Jahren hygienisches Nasenputzen garantieren und einer der ältesten Zeitgenossen: der Bleistift, der eigentlich gar kein Blei, sondern Graphit enthält und schon seit zweihundert Jahren hergestellt wird. Diese und viele weitere Errungenschaften beweisen, dass eine kluge Erfindung sehr wohl Jahrzehnte überdauern kann. So manch ambitioniertes Unternehmen hat sich schon daran die Zähne ausgebissen. Ein fixfertiges Erfolgsrezept dafür gibt es anscheinend nicht, doch denjenigen ein wenig auf die Finger zu schauen, denen es schon gelungen ist, kann sicherlich nicht schaden.

Eine Anleitung für zeitlosen Erfolg

Wenn es um Stilfragen geht, ist die Bezeichnung «zeitlos» mittlerweile zu einer wahren Auszeichnung für unschlagbare Klasse und überzeugende Qualität geworden. Mit etwas Zeitlosem kann man nie falsch liegen, das wissen sowohl die kreativen Köpfe der Marketingabteilungen bekannter Produkte, als auch die Drehbuchautoren Hollywoods. Wer etwas Bleibendes schaffen will, braucht nebst einer innovativen Idee auch viel Durchhaltevermögen, ein wenig Mut und nicht zuletzt etwas Glück. Man nehme…

…Eine innovative Idee

«Seit Jahrzehnten treu und gut», «Setzen Sie auf unsere Erfahrung!», so oder ähnlich werben viele Firmen heutzutage für ihre Produkte. Für Sportmarken wie Adidas gehört die Geschichte ihres Konzerns genauso zum Vermarktungskonzept, wie die Erforschung neuer Technologien. Das zeitlose Design des Adidas-Schuhs wird gar mit einer eigenen Linie «Originals» zelebriert, die eng mit der langjährigen Geschich-


te des Unternehmens verknüpft ist. Ihren Erfolg hat die Marke vor allem den innovativen Ideen ihres Gründers Adi Dassler zu verdanken, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, qualitativ hochstehende Sportschuhe zu entwickeln. Die drei Streifen, welche bis heute als Markenzeichen von Adidas gelten, liess er 1949 patentieren. Mit seiner langjährigen Sportgeschichte und dem Erfolg, welchen die zeitlosen Schuhmodelle bis heute verzeichnen, schlägt das Unternehmen kräftig die Werbetrommel und gibt der Kundschaft zu verstehen, dass sie sich durch das Tragen der Schuhe in die lange Reihe der erfolgreichen, Adidas tragenden Tennisassen und NBA-Spielern einreihen kann. Ebenfalls auf einer innovativen Idee basiert ein anderes Produkt, das seit bald 100 Jahren beharrlich in Supermarktregalen und Spiegelschränkchen der ganzen Welt verweilt: die Nivea-Crème. Die Herren von Beiersdorf hätten sich damals bestimmt nicht erträumen lassen, dass ihre Erfindung auch noch ein Jahrhundert später unangefochten nebst modernen Produkten der Kosmetikbranche Bestand haben würde. Dank einem neuartigen Verfahren war es ihnen 1911 gelungen, Wasser mit Öl zu verbinden, welches in der Folge die Basis der Crème bildete. Die Rezeptur blieb bis heute beinahe unverändert.

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Eine grosse Portion Beharrlichkeit

Einer weiteren produktiven und gleichzeitig sehr beharrlichen Persönlichkeit verdankt die Modewelt einen zeitlosen Klassiker. Die unkonventionelle Modeschöpferin Gabrielle Bonheur Chasnel – besser bekannt als «Coco Chanel» – hielt an ihren Entwürfen für eine einfache und zugleich elegante Art von Damenbekleidung fest. Ihr haben wir es zu grossen Teilen zu verdanken, dass es auf sämtliche Fragen nach der passenden Garderobe für einen Anlass eine einzige Antwort gibt: das «kleine Schwarze». Spätestens seit Audrey Hepburn ist das Kleidungsstück zu einer Auszeichnung für echten Stil und Klasse geworden.

Die richtige Mischung aus Einfachheit und Vielseitigkeit

«Weniger ist mehr», das haben wir nun schon von Coco Chanel gelernt, die mit dieser Devise ein ganzes Imperium aufbaute. Auch Nivea blieb bei der einfachen Rezeptur, die bis heute ohne Q10 und Co. auskommt. Der Erfolg spricht für sich, denn mit Zusatzstoffen ist es wie in der Modewelt, kaum kommt etwas Besseres, ist das Neuste von heute bereits wieder Schnee von gestern. Die Nivea-Crème erhielt ihren Namen übrigens aus dem Lateinischen, von «nix, nivis»: der Schnee. Mit der Natur kann man diesbezüglich nie falsch liegen, denn sie überdauert sämtliche Trends und Modeströmungen. Ebenfalls bei der Natur abgeschaut haben die Hersteller eines Werkzeugs, ohne welches wir beim Joghurtessen unsere liebe Mühe hätten. Jeder kennt ihn und benutzt ihn mehrmals täglich: der gute alte Löffel (von althochdeutsch laffan=schlürfen, lecken). Das wohl älteste Essbesteck wurde nach dem Vorbild der schöpfenden Hand gebildet und ist bereits in steinzeitlichen Siedlungen, wie auch im antiken Rom häufig zum Verzehr von Mahlzeiten verwendet worden. Ob sich die Weiterentwicklung des Löffels – der so genannte «Göffel» (Englisch «spork») auch derart bewähren wird, bleibt fraglich. Eine sehr einfache aber be-

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währte Erfindung bleibt jedenfalls die des Kleiderbügels. Die Idee, diesen aus Draht, anstatt aus Holz zu fertigen, erhielt der Unternehmer John B. Timberlake von einem Mitarbeiter, der sich mangels Kleiderhaken kurzerhand einen Kleiderbügel aus Draht fertigte – so einfach kann eine geniale Erfindung sein.

Eine Prise Mut

Sowohl gewisse Adidas-Modelle, deren bunte Farbkombinationen von Stilberatern wohl von Beginn weg zensiert worden wären, wie auch Audrey Hepburn, die ihren Frühstückskaffee im kleinen Schwarzen schlürft, haben etwas gemeinsam: Mut. Ein nicht zu vernachlässigender Faktor, wenn es darum geht, etwas wirklich Zeitloses mit Wiedererkennungswert zu schaffen. Wem es gelingt, dieses Unverkennbare mit einem gewissen Lebensgefühl zu verbinden, winkt bereits der erste Erfolg. Das Lebensgefühl sollte idealerweise relativ breit gefasst sein, um auch noch Jahre später von einer möglichst grossen Anzahl Menschen aspiriert zu werden. Sei dies nun unbeschwerte Jugendlichkeit (welche mit knallbunten Schuhen zweifelsohne erlangt oder zumindest angedeutet werden kann) oder aber selbstsichere Eleganz (die man sich durch das kleine Schwarze in Sekundenschnelle aneignen kann) – mit dem richtigen Accessoire scheint solch ein Lebensgefühl greifbar nah und die Hersteller danken es. Zu guter Letzt noch ein Blick nach Hollywood, denn dort setzt man seit Generationen auf ein zeitloses Prinzip. Egal ob es sich um einen Actionstreifen oder die zigste Schnulze handelt, die Storys bleiben meist dieselben und unterscheiden sich nicht gross von jenen Homers und Ovids. Wer daher sicher gehen will, etwas zeitlos Aktuelles und Erfolgreiches zu erschaffen, orientiert sich am besten am gesamten Spektrum der menschlichen Gefühlswelt, diese wird nämlich auch in hunderten von Jahren noch dieselbe sein. Text Mirjam Goldenberger, Bilder Andreas Sütterlin (zvg. von Vitra Design Museum)


«Wer etwas Bleibendes schaffen will, braucht nebst einer innovativen Idee auch viel Durchhaltevermögen, ein wenig Mut und nicht zuletzt etwas Glück»

Die Sonderausstellung «Heimliche Helden. Das Genie alltäglicher Dinge» im Vitra Design Museum in Weil am Rhein dauerte vom 20. August bis zum 19. September. Die virtuelle Tour durch die Ausstellungsobjekte mit interessanten Infos und vielen Bildern und Videos ist unter www.hidden-heroes.net zugänglich.

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TEILZEIT – TEIL DIE ZEIT «70 PROZENT ARBEITEN GLEICH 30 PROZENT MEHR LEBEN», MEINT MÄNU. SUSANNE NICKT, WÄHREND SIE EINEN ZWEITEN KAFFEE BESTELLT, DEN ZEIGEFINGER BEFEUCHTET UND IN DER ZEITUNG JEDE SEITE DES WIRTSCHAFTSTEILS EINZELN UMBLÄTTERT. STUDIVERSUM TEILTE MIT TEILZEITLERN ZEIT.

Manche Studierende sind Weltmeister im Zeitmanagement. Am Morgen früh ein Kapitel aus «La vie verbale au travail» von Boutet lesen, um zehn Uhr im Seminar darüber diskutieren, am Mittag mit dem Sandwich zwischen den Zähnen in anständige Hosen schlüpfen, nachmittags als Angestellte in der Migros lächelnd nach Cumulus-Karten fragen. Am Abend einer Studentin aus Griechenland Nachhilfe in Deutsch erteilen und ins Bett kippen. Nach mehrjährigem Hin- und Herhüpfen zwischen zwei bis fünf Leben an der Uni, im Nebenjob und privat ist die Abschlussarbeit fertig, und das Konto lechzt nach «Fränkli». 100 Prozent arbeiten läge jetzt zum ersten Mal drin. Aber muss das sein?

Wozu ein englischer Rasen?

Mänu findet Anett Louisan zwar schlecht, flötet aber dennoch «ein Häuschen in der Vorstadt, mit Rasen rings umher, doch sobald du alles hast, willst du mehr», einen Ohrwurm, den er bei seiner Freundin oft gehört hat. Dieser bringe den Lebensentwurf auf den Punkt, unterstreicht er, nun wieder mit beeindruckend tiefer Sprechstimme. Studieren, bis zum Umfallen arbeiten, und ein Haus bauen, in welchem man vorwiegend das Bett amortisiere. Und sobald vor

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dem Eigenheim das Gras so saftig und englisch sei, wie man sich dies vorher jeweils im Hochglanzprospekt angeschaut habe, komme das Thema Zweitwagen auf den Tisch. Susanne bemerkt, ohne von der Zeitung aufzublicken: «Dicht gefolgt von der Ferienwohnung in Crans Montana.»

Haus, Hof und Museum

Mänu ist 25, hat in Bern Wirtschaft, Soziologie und Italienisch studiert. Er weiss, dass er nie eine Ferienwohnung haben wird, dies stört ihn aber keineswegs. Mänu arbeitet 72 Prozent als Unternehmensberater, verbringt den Montagmorgen jeweils mit Zeitung lesen und geht am Donnerstagabend ohne schlechtes Gewissen spät zu Bett, da er am Freitag frei hat. Er bezeichnet den Freitag als Haus- und Hoftag. Meist liest er The Guardian online, wozu er an den anderen Tagen nicht kommt, geht einkaufen, macht Wäsche, bezahlt Rechnungen, und oft besucht er eine Ausstellung. So läutet er das Wochenende ein. Mit dem Museumspass hat er fast überall freien oder zumindest reduzierten Eintritt. Er findet es jeweils schockierend, wie ignorant die Vollzeitler seien, ja sein müssten. Oft gingen wunderbare Ausstellungen an ihnen vorbei, weil sie neben dem 100-Prozent-Job schlichtweg keine Zeit oder wohl auch keine Nerven hätten, am Wochenende durch überfüllte Museumshallen zu stolpern und sich auf eine durchaus lohnende, aber keineswegs leicht zugängliche Ausstellung der Gegenwartskunst wie etwa «Don't look now» einzulassen.

Feminine Prozente

Manon (27) hat nach ihrem Geographiestudium in Lausanne bewusst nach einer Teilzeitstelle gesucht. Sie arbeitet nun 70 Prozent bei Pro Velo Schweiz in Bern. IhreArbeit gefällt ihr, zum einzigen Lebensinhalt


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«Teilzeit sei für Frauen toll. Für Männer ebenfalls»

solle sie aber nicht werden, stellt sie klar. Sie geniesst den entspannten Lebensrhythmus und hat neben der Arbeit Zeit für eigene Projekte. Oft werde sie von 100-Prozent-Leuten gefragt, was sie denn mit den verbleibenden 30 Prozent anstelle. Sie arbeite täglich etwas weniger als andere, treffe sich mit Freunden, mache Sport und könne spontan zusagen, wenn sie von einer tollen Veranstaltung höre oder eine nette Einladung erhalte. Ihr ganzer Lebensrhythmus sei einfach etwas entkrampfter, und das geniesse sie sehr. Noch immer sei die Teilzeitarbeit vor allem femininer Natur, dies schade leider der «Egalité des Tâches». Teilzeit sei für Frauen toll. Für Männer ebenfalls. Für Mütter, fügt Manon hinzu, komme meist nur eine Teilzeitstelle in Frage, was der ganzen Familie zugute komme. Im soeben geäusserten Satz könne man das Wort Mütter problemlos durch Väter austauschen. Teilzeit bedeute keinesfalls weniger Engagement oder tiefere Produktivität. Manon wünscht sich, dass dies zukünftig mehr Arbeitgeber wahrnähmen.

20 Prozent Improvisation

Mit seinem ökonomischen Standbein von 80 Prozent erklimme er die Sprossen der Karriereleiter nicht mühelos. Wolle er sein eigener Chef sein, sei dies wohl auch nicht der richtige Weg. Dennoch ist der 27-jährige Matthias aus Basel ein überzeugter Zeitteiler. Widmet er sich nicht seiner ihn durchaus erfüllenden Arbeit als typografischer Gestalter, spielt er in einer Band Bass, feilt an den Serifen der von ihm entwickelten Schrift und kann so einem Ungleichgewicht zwischen der Berufsarbeit und seinen anderen Interessen entgegenwirken. Weiter betont er, dass er, weil für ihn die Woche weniger dicht sei, als wenn er zu 100 Prozent berufstätig wäre, mehr Zeit für seine Freundin habe. Er ist überzeugt, Beziehungen würden nicht selten am Mangel an Zeit für Gespräche scheitern. Die 20 Prozent seien ein Zeitfenster, welches nach Belieben geöffnet oder geschlossen werden könne und ihm so Freiraum zur Improvisation gebe. Beispielsweise könne er am Montagmorgen den wolkenlosen Himmel angucken und mit dem GA und guter Lektüre in den nächs-

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ten Zug steigen, ohne drei Wochenendtouristen mit Wanderstöcken im selben Abteil, um dort zu verweilen, wo er Hunger verspüre, das Buch fertig sei oder er sich die Beine vertreten wolle.

Mehr Zeit = gesünder

Die Arbeitslosigkeit könnte etwas gesenkt werden, wenn mehr Leute auf ihre volle Stelle verzichteten und stattdessen einer Teilzeittätigkeit nachgingen. Würden vier Leute auf 80 Prozent reduzieren, könne bereits eine fünfte Person an vier Tagen beschäftigt werden. So einfach sei das, meint Stephan (26) aus Freiburg. Er habe mit Mathe wenig am Hut, sei sich aber schon bewusst, dass diese Rechnung nicht ganz so aufgehe. Schliesslich müssten die Arbeitgeber für die AHV jedes Angestellten aufkommen. Dennoch geht Stephan noch einen Schritt weiter: Er glaubt, mit einem 80-Prozent-Pensum die Krankenkassenkosten senken zu können. «Wenn ich vier Tage im Büro bin, bleibt der fünfte für mich. Nach drei Tagen Wochenende bin ich erholter, zufriedener, bestimmt seltener krank, psychisch und physisch belastbarer und wohl auch leistungsfähiger.» Der Umweltingenieur ist überzeugt, der etwas erhöhte Zeitdruck während seinen 80 Prozent sporne ihn auf positive Weise zu höherer Leistung an. Auch gelinge es ihm während seiner Freizeit, sich mit Themen auseinanderzusetzen, welche ihm im Job zugute kämen. Arbeitete er 100 Prozent, würde er höchstens das Deckblatt der Fachzeitschrift «Salamendre» beim Zeitungsbündeln anschauen.

Effektiv gegen Burnout

Angela, 28-jährig, arbeitet 90 Prozent und zählt in einem Atemzug sämtliche Teilzeit-Nachteile auf. Sie nennt die geringeren Aufstiegschancen, den tieferen Lohn, die zuweilen komplizierte Koordination und Organisation von Aufgaben, die spürbar tiefere Akzeptanz seitens verschiedener Mitarbeiter oder Vorgesetzter, welche einerseits durchblicken liessen, sie habe zu viel Lohn für ihre Prozente, beziehungsweise leiste dafür zu wenig Arbeit, andererseits ihr einfach ihren freien Freitagnachmittag missgönnten. Im Reisebüro verbringt Angela den Tag ausschliesslich sitzend, ist froh, sich einen halben Tag in der Natur aufhal-


ten und bewegen zu können. Ihre Lebensqualität, sagt sie, sei wegen des freien Nachmittags höher und sie packe ihre Berufsarbeit motivierter an, als wenn sie zu 100 Prozent berufstätig wäre. Schon mehrere Male habe sie Arbeitskollegen beobachtet, welche über längere Zeit völlig am Limit gewesen seien, da sie ihre privaten Pflichten (zum Beispiel Familie, Sport, Musik) neben fünf Arbeitstagen auch noch hätten erledigen müssen. Für Angela bestehen keine Zweifel, dass Teilzeitstellen die effektivste Prävention gegen ein Burnout seien.

Lebenszeitteil

Matthias, Manon, Susanne, Mänu, Angela und Stephan sind unverbraucht in die Arbeitswelt eingestiegen. Unverbraucht geblieben, sicher auch dank der Teilzeitjobs. Möglicherweise helfen die Ziffern, Stunden in «Fränkli» auszuzahlen. Was sie nicht vermögen, ist zu messen, wie sehr die nicht berappte Zeit einem Teilzeitler zugutekommt. Bleibt der Beruf eine Berufung, so voll und ganz. Arbeiten und Leben schliessen sich keineswegs aus, vielmehr ist ihre ideale Symbiose das Ziel. Und diese ist kaum von den Summanden abhängig, die sich zueinander gesellen, um 100 Prozent zu leuchten. Martina Zimmermann, Bilder Tamara Widmer

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«Möglicherweise helfen die Ziffern, Stunden in ‹Fränkli› auszuzahlen. Was sie nicht vermögen, ist zu messen, wie sehr die nicht berappte Zeit einem Teilzeitler zugutekommt»


LITERATUR AUF REZEPT SIEBEN MINUTEN HABE ICH ZEIT MEIN HERZ AUSZUSCHÜTTEN, MEIN LEIDEN ZU KLAGEN. EINEM FREMDEN. ALS MEDIKAMENT BEKOMME ICH DARAUFHIN EIN BUCH VERSCHRIEBEN. WAS IM «TAGI-MAGI» ALS «BIBLIOTHERAPIE» ANGEKÜNDIGT WURDE, HABE ICH AUSPROBIERT.

Mit einem Ausdruck von Google Map in der Hand stehe ich an einem Mittwochabend um halb sieben vor einem Gebäude in Zürich, das irgendwie nicht das richtige sein kann. Typ Fabrik, ohne Eingang. Das Googlepfeilchen muss sich geirrt haben. Also folge ich einfach mal den Läden, die in die Bogen des Eisenbahnviadukts eingelassen sind und schaue mir durch die grossen Schaufenster die Designergeschäfte an. Gegen Ende der Ladenstrasse sehe ich dann den richtigen Ort und bin – überrascht. Erwartet hatte ich Saalbestuhlung, vielleicht ein Podium mit Mikrofonen. Aber es handelt sich um Bogen 33 des Viadukts und somit um einen kleinen, länglichen Raum. Ein locker gefülltes Bücherregal steht als Raumtrenner darin. Davor und dahinter steht jeweils ein grosser Holztisch und daran stehen je nur zwei Stühle. Sehr schöne Möbel übrigens, aber eigentlich frage ich mich in diesem Augenblick, ob das etwa tatsächlich eine Therapie wird? Eine, die nur zu zweit stattfindet? Nicht, dass ich besonders gerne im Mittelpunkt stünde, aber hätte ich mein Leiden vor einem Publikum vortragen müssen, wäre diese Bibliotherapie in die Unterhaltungssparte gerückt und somit weniger ernsthaft gewesen. So aber, alleine mit dem Therapeuten, der zwar eigentlich keiner ist,

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sondern entweder Literaturexperte Stefan Zweifel oder «Das Magazin»-Chefredaktor Finn Canonica, werde ich zur Patientin. Anstatt stehen zu bleiben, gehe ich an der Tür vorbei und setze mich nebenan auf eine Treppe. Darüber muss ich erst mal nachdenken. Es ist auch noch nicht sieben Uhr.

Der Ort

Der kleine Raum heisst «Westflügel» und ist ein Laden, der Bücher verkauft, Veranstaltungen rund um Bücher durchführt und nebenher Möbel ausstellt. Das Besondere daran: Das Buchsortiment wird durch Buchempfehlungen bekannter oder weniger bekannter Persönlichkeiten bestimmt. Einige dieser Empfehlungen erscheinen als Kolumne mit dem Titel «Ein Buch fürs Leben» im «Magazin». Durch diese Zusammenarbeit ergab sich auch die Idee, unter anderem mit Finn Canonica als Therapeuten eine Bibliotherapiesitzung durchzuführen. Während ich auf der Treppe darüber nachdenke, wie therapiewürdig ich und mein Leiden sind und welches Leiden ich überhaupt, auf sieben Minuten gestutzt, bereit bin, einem selbsternannten Buchtherapeuten preiszugeben, fährt ein Mann mit seinem Fahrrad vor und geht auf den «Westflügel» zu. Wieder bin ich überrascht und muss mein Bild eines Chefredaktors überdenken. Die sehen offenbar nicht immer wie welterfahrene, ältere Herren aus. Canonica ist schlank und trägt schmal geschnittene Blue Jeans, die er in knöchelhohe Lederboots gestopft hat. Dazu ein hellgraues Sakko aus starkem Baumwollstoff. Ich hätte ihn ja auch mal googeln können. Er erinnert mich an Mads Mikkelsen und dieser wiederum an seine Rolle als Bösewicht «Le Chiffre» in Casino Royale. Sollte ich wählen können, werde ich mich in Stefan Zweifels Therapie begeben. Aus vertrauenstechnischen Gründen. Mit diesem


«Er wartet darauf, dass ich beginne. Aber wie nur?» Gedanken stehe ich auf und gehe noch mal ein Stück weiter weg. Es ist immer noch nicht sieben Uhr.

Das Problem

Ich kann wählen und werde in Stefan Zweifels Spalte eingetragen. Von acht Uhr bis zehn nach acht. Offenbar sind für die Rezeptierung drei Minuten geplant. Mittlerweile bin ich auch nicht mehr die einzige Besucherin. Und ich bin auch nicht die Einzige, die sich über die nicht vorhandene Saalbestuhlung wundert. Sie habe nur zuhören wollen, meint die Frau neben mir, wenn das aber so sei, müsse sie sich ja noch ein Problem überlegen. Tja, dem ist wohl so. Das naheliegendste Problem behält man für sich und überlegt sich ein bibliotherapiekonformes. Irgendwie geht es also doch um Unterhaltung. Nicht für ein Publikum, sondern um die eigene Unterhaltung. Und um die Unterhaltung zwischen zwei Menschen. Zeitbemessen. Zwei Drittel, ein Drittel, und schon hält man das Rezept für weitere Unterhaltung in Händen. Zumindest, wenn man gerne liest und wenn das Problem nicht unter den Top Ten der eigenen Problem-Bestenliste rangiert; die Lektüre könnte ansonsten anstrengend werden. Meines liegt ungefähr auf Platz zwei. Wenn schon, denn schon.

Das Herz ausschütten

StudiVersum-Redaktorin, Julia Krättli, wartet in der Bibliotherapie im Westflügel gespannt auf das ihr verschriebene Buch

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Dem Zeitplan etwas hinterher werde ich um zehn nach acht in den Raum gelassen und nehme am vorderen Tisch im grellen Licht von vier Scheinwerfern und ohne Sichtschutz zur Fensterfront hin Platz. Dahinter warten weitere Patienten. Ich revidiere, Publikum ist doch vorhanden, aber für sie bin ich nur eine Pantomimin. Als ich mich hinsetze, springt Stefan Zweifel meiner Vorgängerin hinterher. Ihm sei das richtige Buch erst eingefallen, als sie bereits weg war, meint er anschliessend. Überhaupt hätte er am liebsten eine ganze Bücherwand vor sich, damit er die verschiedenen Werke sehen könnte. Es sei schwierig, auf das richtige Buch zu kommen, wenn man die Möglichkeiten nicht physisch vor sich sehe. Er steckt sich seine Brille wie einen Haarreif in die Haare, startet den Count-


zin»: «Schütten Sie Ihr Herz aus!» Na gut. Ich erzähle von meinem Studium, für das ich zu wenig Zeit aufbringe, oder zumindest nicht mehr so viel, wie zu Beginn und auch nicht so viel, wie ich denke, dass ich sollte. Ich erzähle von Arbeiten und Aufgaben, die ich stattdessen angenommen habe, und in die ich vergleichsweise zu viel Zeit stecke und von meinem Perfektionismus, den ich deshalb nicht mehr ganz befriedigen kann, was mich wiederum unzufrieden macht. Auf seine Nachfrage kläre ich ihn in groben Zügen über Kreditpunkte und Bachelor auf und erwähne am Rande, dass ich mit den zusätzlichen Aufgaben nicht nur interessenshalber begonnen habe, sondern auch mit Blick auf meinen bis dahin leeren Lebenslauf. Ein bisschen geht es auch um Zukunftsangst, aber dazu komme ich nicht mehr. Das Wichtigste ist nach sieben Minuten immerhin gesagt.

Das Rezept

Das ausgestellte Literaturrezept down seines iPhones, das in einem leeren Wasserglas zwischen uns auf dem Tisch thront und wartet darauf, dass ich beginne. Aber wie nur? Mein Top-Drei-Problem erscheint mir plötzlich sehr umfangreich und ausserdem völlig ungeeignet für

einen Monolog. Und überhaupt, hätte ich mir doch ein top twenty überlegt! «Es geht um Unzufriedenheit», beginne ich mit einer Überblicksbeschreibung und komme mir seltsam vor. Gleichzeitig erinnere ich mich an die Anweisung im «Maga-

«Die Leute scheinen zufrieden und freuen sich auf das verschriebene Buch, wenn sie nach draussen kommen», sind sich Rea Eggli und Wendelin Hess vom «Westflügel» einig. So geht es mir eigentlich auch. Stefan Zweifel schrieb mir nicht nur eine ganze Liste an Literatur auf den Rezeptblock, sondern gab mir auch persönliche Eindrücke mit nach draussen, über die ich noch eine Weile nachdenken werde. Eine Weile wird auch meine Bibliotherapie dauern. Zwar kam ich um Musils umfangreichen «Mann ohne Eigenschaften» herum (dafür hätte ich ja gar keine Zeit, meinte Zweifel), aber auch die übrigen Werke meines Rezepts sind zeitlich nicht zu unterschätzen. Ich werde wohl eine Auswahl treffen müssen – einer von Stefan Zweifels Ratschlägen. Ob und in welchem Rahmen die Bibliotherapiesitzungen weitergeführt werden, sei noch nicht ganz klar, meint Rea Eggli. Vielleicht werde daraus eine Serie mit wechselnden Therapeuten; das müsse man aber noch diskutieren. Die Idee, Weltliteratur als Therapiemittel einzusetzen, ist jedenfalls bestechend. Die Zeit, die meinem Therapeuten fehlte, hatte der Autor zum Schreiben seiner Werke allemal. Mein Problem jedoch überstieg die Therapiezeit. Nur eine Herzklappe auszuschütten, hätte wohl gereicht. Text Julia Krättli, Bild Selin Bourquin

SURFEN Ob und wann die nächste Bibliotherapiesitzung stattfindet, wer welches Buch empfiehlt und was im «Westflügel» sonst noch Interessantes läuft, könnt ihr auf www.westfluegel.ch nachschauen. Stefan Zweifel kann man sich im «Literaturclub» auf SF1 ansehen.

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ENTSCHLEUNIGUNG DES LEBENS ZEIT IST DAS, WAS ER NICHT HATTE. HEUTE MUSS ER SIE SICH NEHMEN. DER 33JÄHRIGE MICHAEL HAUSER ERZÄHLT, WIE SCHNELL DER VERLUST SEINES BEINES SEIN LEBEN VERÄNDERTE, WIE ES LANGSAM DAZU KAM UND WIE DANKBAR ER HEUTE FÜR SEINE WERTVOLLE ZEIT IST.

Michael Hauser, woran denkst du vor dem Einschlafen, wenn du auf deine Geschichte zurückblickst? Ich blicke eigentlich nur nach vorne. Daran, was ich jetzt Positives erlebe. Das ist im Moment die Liebe, das Leben, welches ich führen kann, schöne Dinge, die ich wieder erlebt habe. Denn wenn ich zurückdenke, habe ich einzig diejenige Zeit, welche ich in der Uniklinik Balgrist in Zürich verbracht habe, positiv erlebt. Das war auch die Zeit, in der die Prothese angepasst wurde. Dort habe ich das erste Mal wieder ein bisschen angefangen zu leben. Alles, was vorher passiert ist, liegt für mich wie im Dunkeln. Wann und wie hast du das erste Mal bemerkt, dass etwas nicht stimmt? Im Sommer 2003 habe ich am Oberschenkel eine Verhärtung gespürt. Diese wurde, ähnlich wie ein Überbein, immer grösser. Zu dieser Zeit habe ich mich zum ersten Mal untersuchen lassen. Im darauffolgenden Dezember liess ich dann die faustgros-

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se Knochenwucherung operativ entfernen. Damals war diese noch gutartig. Danach ging ich nicht mehr regelmässig zu den Nachkontrollen. Es lief alles sehr gut und ich hatte nie Beschwerden. Im Frühling 2007 habe ich eine weitere Verhärtung bemerkt. Bei der nachfolgenden Untersuchung stellte sich heraus, dass das Ganze wieder gewachsen war – und zwar massiv. Wie lautete die Diagnose des Arztes? Der Arzt stellte fest, dass sich ein Tumor im Bereich des Bösartigkeitsgrades eins gebildet hatte. Dies ist die geringste Stufe. Eine weitere Operation war notwendig, in der das ganze Schambein und Sitzbein entfernt sowie das Becken mit der Fibula rekonstruiert und zusammengeschraubt wurde. Danach ging ich davon aus, dass das nicht mehr kommt. Das Schlimmste war jedoch noch nicht vorbei. Nein. Im Sommer 2009 bemerkte meine Masseurin, dass wieder eine Verhärtung entstanden war. Bei der Abklärung kam heraus, dass die Wucherung den ganzen Innenbereich des Beckens ausfüllte. Es war ein bösartiger Tumor. Dort sagte man mir auch zum ersten Mal, dass man das Bein abnehmen müsse. Was ging in dir vor, als du die Praxis verlassen hast? Die Diagnose Krebs war für mich nicht einmal so schlimm, meine Zeit war noch nicht gekommen. Was mich aber sehr traf, war die Aussage des Arztes, dass ich das ganze


Bein verlieren würde. Das war für mich das Schlimmste. Du hast jedoch weitere Untersuchungen veranlasst, um dein Bein behalten zu können. Dass ich mein Bein verlieren würde, wollte ich nicht akzeptieren. Deshalb war ich krampfhaft auf der Suche nach einer Alternative. Im Internet stiess ich schliesslich auf Professor Winkelmann aus Deutschland, welcher die sogenannte Umkehrplastik praktiziert. Bei dieser Methode wird das ganze Bein umgedreht, vom Knie bis zum Fuss, und wieder angebracht. Die Umkehrplastik erzielt sehr gute Erfolge. Im Bereich des Hüftgelenkes gibt es jedoch nur fünf Personen in Europa, die das schon haben machen lassen. Bei dreien von ihnen hat es funktioniert. Diese dritte Operation hattest du am 10. Dezember 2009. Ist sie ohne Komplikationen verlaufen? Nein. Die Ärzte versuchten, die Umkehrplastik anzuwenden und nach zirka zehn

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Stunden Operation wollten sie das Bein wieder anschliessen. Dabei gab es massive Blutungen, die man nicht mehr stillen konnte. Eine Weiterführung des Eingriffs hätte ich nicht überlebt. Folglich wurde die gesamte Operation notfallmässig abgebrochen. Dadurch ging mein Bein verloren und man versuchte nur noch, die Blutungen zu stoppen. Du hattest vor der Operation die Hoffnung, dein Bein nicht zu verlieren. Gab es nach der Amputation jemals eine Zeit, in der du dir den Tod gewünscht hättest? Ja. Ich habe mich sehr intensiv mit dem Tod auseinandergesetzt. Für mich kam eine Amputation nicht in Frage. Wenn das von Anfang an klar gewesen wäre, hätte ich den Tod gewählt. Alles war geplant bis ins kleinste Detail. Warum hast du deinen Suizidplan nach der Amputation aufgegeben? Wegen des grossen Blutverlustes war ich nach der Operation blind. Das hat mich von meinem Bein abgelenkt. Aber hätte

ich mein Augenlicht, zumindest auf einem Auge, nicht zurückerlangt, dann würde ich vermutlich jetzt nicht mehr leben. Wie viel siehst du denn jetzt? Auf dem einen Auge bin ich blind. Auf dem anderen Auge sehe ich fast wieder vollständig. Wie erklärst du dir die Tatsache, dass du weiter gekämpft hast? Ich stelle mir diese Frage öfters. Ich denke, dass es so ist, weil ich noch eine Aufgabe habe. Und wenn dies nur bedeutet, anderen Menschen zu zeigen, dass es immer irgendwie weiter geht. Was gab dir in dieser Zeit die Kraft und die Motivation weiterzuleben? Meine Kollegen und meine Familie, die immer für mich da waren, die 24 Stunden an meinem Bett standen, die mir aufmunternde Dinge vorbeibrachten, die mich fütterten, weil ich blind war und nichts sah. Oder die Pakete aus Österreich, die mir geschickt wurden, wo ein ganzes Dorf etwas beige-


«Wenn die Amputation von Anfang an klar gewesen wäre, hätte ich den Tod gewählt» steuert hat. Solche Dinge haben mich aufgemuntert. Was ist dir zurzeit am wichtigsten? Michi, meine Freundin aus Graz. Sie zeigt mir, was leben wirklich bedeutet. Fühlst du dich durch deine Krankheitsgeschichte zeitlich zurückgeworfen? Nein, zurückgeworfen nicht. Ich kann die Träume, die ich hatte, sicher nicht mehr ganz verwirklichen. Ich habe eine Erfahrung gemacht, die sehr schlimm war, die mir aber auch gezeigt hat, dass es auch anderes gibt als unermüdliches Arbeiten und extrem hoch gesetzte Berufsziele. Die Zeit hat mich gestoppt und mir bewiesen: Es gibt auch noch anderes – ein anderes Leben. Nicht alle Menschen hätten ihr Schicksal in deiner Situation so gut angenommen, wie du es getan hast. Was würdest du jemandem mit einem ähnlichen Schicksal raten? Es ist sehr sehr schwer. Aber praktisch alles ist wieder möglich, wenn der Wille gross ist. Man muss wirklich hart kämpfen dafür, immer und immer wieder. Wichtig für mich ist die vorhergehende Beratung. Nicht nur durch Ärzte, sondern durch Personen mit einer Behinderung, die solch ein Schicksal und vor allem auch negative Erlebnisse durchlebt haben. Ich hatte diese Beratung nicht und wollte um alles in der Welt diese risikoreiche Operation, damit ich nur einen Teil meines Beines erhalten konnte. Durch meine Sturheit habe ich das

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eine Augenlicht für immer verloren. Fühlst du dich im Alltag eingeschränkt? Zurzeit nicht. Man muss einfach auch Hilfe annehmen. Wenn ich beispielsweise mit einem Koffer in einen Zug einsteigen möchte, dann muss mir jemand über die Stufen helfen. Wofür brauchst du heute mehr Zeit? Bis ich ausgehfertig bin, bis ich meine Prothese und meine Schuhe angezogen habe, brauche ich mittlerweile 45 Minuten. Auch längere Distanzen haben es in sich: Fünf Minuten Umsteigezeit am Zürcher Bahnhof liegen nicht mehr drin. Alles braucht eben etwas mehr Zeit. Du bist seit April 2010 wieder zu Hause und kannst seit dem 1. Juni wieder zu 100 Prozent deiner vorherigen Tätigkeit nachgehen. Wie kam es dazu? Bereits im Spital führte ich ein Wiedereingliederungsgespräch mit meinem Arbeitgeber. Es wurde über ein neues Jobangebot im Bürobereich diskutiert. Bereits am dritten Arbeitstag fragte mich mein Chef, ob ich in der Lage sei, wieder die frühere Kaderposition zu übernehmen. Diese erfordert körperlichen Einsatz und ist sehr anspruchsvoll. Ich sagte zu ihm: «Ja, das kann ich.» Daraufhin gab er mir prompt meinen alten Job zurück und ich kann zunächst wieder meiner vorherigen Tätigkeit nachgehen. Was ist es für ein Gefühl, wenn du heute auf diese schwierige Zeit zurückblickst und

siehst, was du alles erreicht hast? Heute bin ich stolz auf das, was ich erreicht habe. Es gibt immer wieder Highlights, über die ich mich freuen kann. Beispielsweise das erste Mal, als ich mit der Prothese ins Flugzeug gestiegen bin und dies ohne Hilfe aus eigener Kraft geschafft habe. Oder wenn ich ohne Stock langsam gehen kann und wenn ich sehe «Wow! Jetzt habe ich wieder Fortschritte gemacht!» Das sind Dinge, bei denen ich wirklich ein wenig stolz bin. Du bist ein offener, humorvoller und fröhlicher Mensch geblieben. Gibt es auch schlechte Tage? Es gibt schlechte Tage. Zurzeit aber eigentlich weniger. Es gibt etwas wie einen dunklen Bereich in mir, den ich den Rest des Lebens in mir tragen werde. Denn für mich war das die Hölle. Ich habe das Ganze überstanden, weil ich einen sehr guten Pfarrer sowie einen guten Psychologen hatte. Auch ohne den Prothesentechniker und den Physiotherapeuten würde ich heute nicht sein, wo ich bin. Wofür bist du dankbar? Ich bin dankbar dafür, dass ich noch einmal die Chance auf ein neues Leben habe, ein Leben mit neuen Erfahrungen, mit neuen Situationen. Dieses neue Leben ist ein Geschenk. Ein Zitat von Nietzsche lautet: «Was mich nicht umbringt, das macht mich stärker». Bist du im Kampf gegen den Krebs stärker geworden? Ich weiss nicht, ob es mich stärker gemacht hat. Ich weiss auch nicht, ob ich den Kampf gewonnen habe. Ich habe nur eine Schlacht gewonnen und das zum dritten Mal. Man sagt auch: «Alle guten Dinge sind drei». Was ich aber weiss ist, dass ich ein viertes Mal den Kampf nicht mehr aufnehmen werde. Text Stephanie Renner, Bild Selin Bourquin


DAS UNIKAT

GEWINNE KOSTBARE ZEIT! Die Zeit läuft und läuft. Gute Jahre ziehen vorüber. 2010 wurde nun festgehalten als Unikat. StudiVersum und Durchzwei schenken dir das T-Shirt zum Titelthema! Auch dieses Mal nahmen sich die Berner Künstler Bruce Jost und Tim Engel von Durchzwei die Zeit, etwas zu visualisieren, das kostbarer, flüchtiger und seltener nicht sein könnte: die Zeit. Wir zählen das Jahr 2010, das, abgezählt in Strichen, gar nicht protzig wird, aber für uns persönlich sind es gute Jahre. Ein Jahr hat zwölf Monate/52 Wochen/365 Tage voller möglicher Abenteuer. Welchen Moment möchtest du festhalten? War dieses Jahr oder dieser Sommer bereits ein Unikat für dich? Dann schreib uns per Mail an shirt@studiversum.ch und erzähl, welche Zeit für dich nie vorbeigehen soll und weshalb. Vielleicht ergänzt dieses T-Shirt bald deine Garderobe und erinnert dich an das gute Jahr 2010. Text Raffaela Angstmann, Bild Durchzwei

PUBLIREPORTAGE

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UNIPOLITIK

GINGE ES NACH DEM VERBAND DER SCHWEIZER STUDIERENDENSCHAFTEN (VSS), WÄRE DIE FRAGE NACH DER HÖHE VON STIPENDIEN FÜR STUDIERENDE IN EIN PAAR JAHREN EINE SCHWEIZWEITE. EIN GESETZ FÜR ALLE SOLL ES SEIN. DIES VERLANGT DIE INITIATIVE, DIE DER VERBAND ENDE JULI IN BERN LANCIERTE. «Das isch für Basel, nenns doch Kantönligaischt / Digge mir liebe die Stadt, das Kantönli waisch / Und au weni durs Land vo de Röschti reis / Isch es in Basel halt immer no am schönschte» so der Basler Rapper Pyro in seinem Lied «Kantönligaischt», einer Hommage an die Stadt Basel, oder den Kanton Basel-Stadt – wie mans nimmt. Aus Stipendiatensicht lebt es sich mit dem Basler «Kantönligaischt» durchschnittlich schön; der Kanton vergibt Stipendien in etwa der Höhe des schweizerischen Durchschnitts. Immerhin, muss sich ein Basler Stipendiat sagen, denn würden seine Eltern im Kanton Neuenburg wohnen, bekäme er nur etwas mehr als die Hälfte davon. Im «Land vo de Röschti», in Zürich, wäre es hingegen ein Viertel mehr. In Zahlen (gestützt auf: Bundesamt für Statistik. Kantonale Stipendien und Darlehen 2007. Neuchâtel 2008): 2007 vergab der Kanton Basel-Stadt auf der Hochschulstufe Stipendien in Höhe von durchschnittlich 7'980 Franken pro Jahr. Die entsprechenden Zahlen für die Kantone Neuenburg und Zürich sind 4'780 Franken und 10'030 Franken. Wohl dem also, dessen Eltern nicht im Kanton Neuenburg wohnen, sofern er oder sie auf Stipendien angewiesen ist. Gerechterweise muss dazu gesagt werden, dass in Zürich nicht einfach prozentual mehr Geld für die Ausbildungsunterstützung bereitgestellt wird, sondern prozentual weniger Studierenden eine höhere finanzielle Unterstützung zukommt. Denn gemessen an der Gesamtbevölkerung erhält dort nur jeder 740. Einwohner Ausbildungsbeiträge für die Hochschulstufe. In Neuenburg und

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Basel-Stadt ist es jeder 240. Etwas schöner als durchschnittlich ist es also doch in Basel.

«Hoffningsfungge finde ihre Friide ufem Pflasterstei»

Diese grossen Unterschiede im Schweizer Stipendienwesen sollen nun endlich der Vergangenheit angehören. Dies verlangt die Stipendieninitiative des VSS, für die seit Ende Juli Unterschriften gesammelt werden. Die Gesetzgebung über die Vergabe von Ausbildungsbeiträgen für die tertiäre Bildungsstufe soll nämlich Sache des Bundes werden. Dazu gehören die höhere Berufsbildung, Fachhochschulen, pädagogische und universitäre Hochschulen. Nicht ganz die Hälfte, der in der Schweiz ausbezahlten Stipendien, wurden 2007 an Studierende jener Institutionen vergeben. Der andere Teil ging an Besucher der unteren Stufen, für die im Initiativtext weiterhin die kantonale Schulhoheit vorgesehen ist, wobei der Bund die Harmonisierung der Stipendien fördern und Beiträge leisten kann. Weiter sollen die Ausbildungsbeiträge – zusammen mit Einnahmen aus eigener Erwerbstätigkeit und Beiträgen der Familie – einen minimalen Lebensstandard gewährleisten. Über die genaue Höhe der Beiträge schweigt der Initiativtext jedoch. «Wenn die Initiative angenommen wird, müsste die Höhe der Ausbildungsbeiträge vom Gesetzgeber ausgearbeitet werden. Ein Maximalstipendium sollte, wie in den Ausführungsbestimmungen festgehalten, dem in den Richtlinien der Schweizer Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) festgehaltenen Betrag für den Lebensunterhalt entsprechen», sagt die Studentin Lea Meister, Vorstand der Studierenden Körperschaft der Universität Basel und Mitglied des Initiativkomitees.

dierendenverband 2005, dass der Bund für die Regelung und Finanzierung der Stipendien zuständig sein sollte. Und als kurz darauf die neuen Bildungsrahmenartikel für die Bundesverfassung mit dem Ziel verhandelt wurden, den Schweizer Bildungsraum zu vereinheitlichen, meldete er sich erneut zu Wort. Jeweils erfolglos. Vor zwei Jahren kam im VSS das Thema der Initiative zum dritten Mal auf den Tisch und man begann mit der Ausarbeitung des Initiativtextes. Die endgültige Entscheidung über die Lancierung fiel schliesslich an der Delegiertenversammlung im April dieses Jahres.

«Dänk zrugg an mini Wurzle, vil Wasser isch dr Rhy ab»

Die Stipendien landesweit zu vereinheitlichen, ist aber nicht nur im VSS seit langem ein Thema, sondern auch in der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK). Seit den 80er-Jahren ist man damit beschäftigt, und nachdem 1994 ein Anlauf scheiterte, kam es im Juni vor einem Jahr zum vermeintlichen Durchbruch: Das Stipendien-Konkordat wurde verabschiedet, welches Grundsätze und Mindeststandards zur Stipendiengesetzgebung festhält. Aber nur wenn mindestens zehn Kantone beitreten, tritt das Konkordat in Kraft – selbstverständlich nur für diejenigen, die beigetreten sind. Zurzeit haben das mit Basel-Stadt, Freiburg und Graubünden drei Kantone getan. Das Wallis hat den Beitritt bereits abgelehnt. «Die Tendenz des Konkordats wird von uns zwar begrüsst», meint Lea Meister dazu, «aber durch den freiwilligen Beitritt

der Kantone wird die Idee der Harmonisierung verfehlt». Dass das Konkordat der EDK nicht über alle Zweifel erhaben ist, findet mittlerweile auch die Bildungskommission des Nationalrats. Sie empfiehlt ihrem Rat die Annahme einer Solothurner Standesinitiative, die eine materielle Stipendienharmonisierung sowie eine finanzielle Beteiligung des Bundes zum Ziel hat. Rechtsgrundlagen für die Einführung eines Rahmengesetzes für Stipendien sollen diesem Anliegen Rechnung tragen. Der das Geschäft erstbehandelnde Ständerat hatte die Initiative in der Frühlingssession abgelehnt. Seien wir also gespannt, wie der Nationalrat entscheidet.

«Nimm kurz Platz, und schängg mr dini Zyt»

Dass sich seit Jahrzehnten auf unterschiedlichen Ebenen Diskussion an Diskussion reiht, ohne dass das bekannte und offensichtliche Problem der (zu) grossen kantonalen Unterschiede bei der Vergabe von Stipendien gelöst wird, mutet etwas befremdlich an. Ist es denn tatsächlich so schwierig, eine Lösung zu finden? Gibt es einfach zu viele «Kantönligeistliche», die ihre heilige Bildungskuh nicht mit Kühen anderer Kantonalität auf die Weide schicken wollen? Ja, diesen Satz zu überdenken, lohnt sich... In der Zwischenzeit warten drei Projekte auf unterschiedlichen Wegen aber mit ähnlichen Zielen auf ihre Chance, umgesetzt zu werden. Lasst uns beten, dass eines davon von Erfolg gekrönt sein wird. Text Julia Krättli, Illustration Marine de Dardel

«Au weni jedes Mol nonstop dä Sausiech am föpple bi»

1963 stimmten 78,5 Prozent der Schweizer Bevölkerung für einen neuen Verfassungsartikel über Stipendien und andere Ausbildungsbeihilfen. Der Bund konnte von nun an Stipendien subventionieren, die Schulhoheit verblieb jedoch gänzlich bei den Kantonen. Diese bauten daraufhin ihr Stipendienwesen in unterschiedlicher Weise aus, weshalb der VSS bereits Anfang der 70er-Jahre begann, eine Stipendienharmonisierung anzustreben. Das Mittel der Volksinitiative wurde damals ein erstes, und Anfang der 90er-Jahre ein zweites Mal, in Angriff genommen. Beide Male scheiterte man jedoch schon vor der Abstimmung. Auch im Rahmen der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung Bund - Kantone (NFA) forderte der Stu-

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SURFEN Auf www.stipendieninitiative.ch kannst du den Initiativtext einsehen und Unterschriftenbögen runterladen, falls du mithelfen möchtest, die Initiative zur Abstimmung zu bringen. Wissenswertes rund um Stipendien findest du auf www.ausbildungsbeitraege.ch Und: Stipendien gibt es nicht nur fürs Studium und es gibt auch nicht nur staatliche. Wo man finanzielle Unterstützung erhalten kann: www.stipendiensuche.ch


REPORTAGE

AUF KURS STUDIERENDE SUCHEN SICH STÄNDIG JOBS. EINIGE ARBEITEN BEI DER MIGROS, ANDERE BEI EINER BANK UND MANCH EINER VERDIENT SEIN GELD IM CALLCENTER. NICHT WENIGE SIND AN DER BÖRSE AKTIV. KANN MAN SICH SO DAS STUDIUM FINANZIEREN? STUDIVERSUM HAT MIT ZWEI INVOLVIERTEN GESPROCHEN.

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Der Einzige und seine Aktie

Statistische Daten über die Aktivität von Studierenden an der Börse gibt es wenig. In Deutschland befinden sich nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts nur 194’000 Studierende unter den rund zehn Millionen Aktionären und Fondsbesitzern. In der Schweiz sehen die Zahlen proportional gesehen ähnlich aus, wie ein Report von Ruedi Volkart vom Schweizerischen Institut für Bankenwesen zeigt: Im Jahr 2008 hatten 18,3 Prozent der 18- bis 74-jährigen Schweizer Aktien; also rund eine Million Personen. Mit zunehmendem Alter steigt die Häufigkeit des Aktienbesitzes, so dass Studenten doppelt unterrepräsentiert sind: Einerseits aufgrund des Alters, andererseits auch wegen der «Branche», beziehungsweise dem Beruf, und damit einhergehend, Einkommen und Vermögen. Leider enthält der Report keine Informationen über die sozio-

profesionellen Kategorien der Aktienbesitzer, so dass man nicht genau weiss, wie viele Studierende unter den 18,3 Prozent sind.

Voraussetzungen und Hindernisse

Um sich als Student den Lebensunterhalt an der Börse zu verdienen, braucht es neben einem guten Riecher auch anständig Startkapital. Für viele Studierende ist schon dieses erste Hindernis ausschlaggebend, nicht entsprechend aktiv zu werden. Markus Schmieder vom Trading Club der Universität St. Gallen (siehe Kasten) meint dazu: «Ein typischer tradinginteressierter Student versucht aus seinem wenigen Geld in kurzer Zeit viel Geld zu machen. Dieses Ziel, gepaart mit einem relativ geringen Vermögen, ist mit einer Portfoliostrategie kaum erreichbar, darum versuchen sich Studenten im Handel mit Optionsscheinen oder im Daytrading. Dort locken beide Ansätze mit


hohen Renditen in kurzer Zeit. Ich persönlich meine, dass dies mit viel Glück zu tun hat und es dadurch schwierig ist, sich damit das Studentenleben über die längere Frist zu finanzieren. Weil irgendwann geht jede Glückssträhne zu Ende.» Nadja* , Liz-Studentin an der Universität Zürich, sieht das ähnlich. Mitstudenten, die regelmässig und aktiv traden und sich dadurch einen Zuverdienst fürs Studium ergattern oder gar ihren Lebensunterhalt bestreiten, kann sie mir auf Anhieb nicht nennen. Wieso die Studierenden sich so selten an die Börse verirren, möchte ich wissen: «Als Student hat man wenig Zeit und oft fehlt auch das nötige Startkapital, damit sich der Aktienhandel lohnen würde». Sie selbst verfügt über ein ordentliches und breit gestreutes Aktienportfolio. Ihre Anlageentscheidungen trifft Nadja zusammen mit dem Anlageberater ihrer Bank. Anhand eines persönlichen Fragebogens zu ihrem Risikoverhalten hat sie zunächst ihre personalisierte Strategie ermittelt und dann die entsprechenden Anlagen gewählt. Ihr Anlagehorizont ist dabei eher langfristig ausgerichtet und konservativ – also nicht sehr risikofreudig – wie ihre Aktien erahnen lassen: Sie besitzt Anteilsscheine von Roche, Danone und der Münchner Rück und daneben einen Private Equity Fond, in dem bekannte und grosse Firmen wie Siemens oder BASF vertreten sind. Nadja informiert sich per iPhone täglich über den Kurs der Investitionen und interessiert sich dementsprechend für Wirtschaftsentwicklungen und -daten, allerdings nicht studiumsbedingt. Über die genaue Höhe ihrer Investitionen möchte sie mir lieber keine Auskunft geben und auf die Frage, ob sich die Aktieninvestitionen lohnen und ihre Anlagestrategie erfolgreich ist, antwortet sie: «Die Krise hat meine Pläne zwar durcheinandergeworfen, aber ich habe weiterhin viel Spass beim Aktienhandel». Und das sei ja schliesslich das Wichtigste. Momentan schaut sie optimistisch in die Zukunft und ist zuversichtlich, dass sie ihre Verluste der Wirtschaftskrise wiedergutmachen kann.

Der Reiz des Spiels

Nadjas Motivation, an der Börse tätig zu sein, kommt sowohl von innen als auch von aussen, das heisst, der finanzielle As-

pekt ist nicht völlig irrelevant. Doch wenn sie keine Freude an ihren Aktien hätte, würde sie ihr Geld wohl einfach aufs Sparkonto legen, wie sie mir verrät. Ähnlich sieht das auch Markus. Die Unsicherheit der Zukunft und das Risiko des Spiels machen für ihn den Reiz von Trading und Anlage aus. Dass die Sanktionsmechanismen der Märkte eindeutig und ehrlich sind, dass man seine Hypothesen und Entscheidungen also stets gegen objektive Entwicklungen verteidigen muss, sieht er als weitere Motivation: «Hatte man recht oder nicht? Genau über diese erfolgreichen, gescheiterten oder neu aufgestel-lten Hypothesen lässt sich wunderbar diskutieren. Meistens handeln die Gespräche der Tradinginteressierten von den letzten grossen Trades im Optionenhandel». Über gelungene Investments spricht man naturgemäss häufig und weniger erfolgreiche Trades werden gerne tot geschwiegen. «Die Höhe – seien es nun Gewinne oder Verluste – ist nach feiner Schweizer Art selten ein Thema», so Markus weiter. Ins gleiche Horn bläst Nadja: Mit Freunden und Bekannten spricht sie zwar offen

über die Anlagen, aber die genaue Höhe der Gewinne und Verluste ist tabu. Ihr Interesse und ihre Versiertheit mit der Börse hätten wohl auch damit zu tun, dass ihr Freund gelernter Banker sei und eine gewisse Neigung zu Börsenthemen aufweise, die auch auf sie abfärbe. Dementsprechend kann sie ihre Anlageentscheidungen und -pläne mit ihm besprechen und ihn bei Fragen oder Problemen um Hilfe bitten. Genau solche Bezugspersonen und Ansprechspartner fehlen vielen Studierenden, die ein gewisses Interesse für Finanzmärkte mitbringen: Markus ist der Meinung, dass mangelnde Vernetzung – neben fehlender Zeit und dem ungenügenden Zugang zu Informationen – ein entscheidender Grund für ihre Inaktivität ist. «Genau diese Leute möchten wir mit unserem Trading Club – neben denjenigen, die sich mit Finanzmärkten schon auskennen – ansprechen. Bei uns sind alle Studentinnen und Studenten willkommen, ob mit Finanzmarktkenntnissen oder (noch) ohne.» Text Christoph Lutz, Bild Selin Bourquin * Name von der Reaktion geändert.

Der regelmässige studentische Austausch zu Aktienund Anlagethemen scheint in der Schweiz weniger institutionalisiert zu sein als in Deutschland. Dort existieren viele akademische Börsenvereine, die es sich zum Ziel gesetzt haben, Anlagewissen zu teilen und gemeinsam Strategien für virtuelle Portfolios zu entwickeln. An der HSG existiert jedoch so ein Angebot: Der Trading Club Universität St. Gallen gibt mir denn auch bereitwillig Auskunft über die Aktivitäten des Vereins. «Der Trading Club bewirtschaftet ein virtuelles Portfolio. Ein Investment Committee, bestehend aus zehn engagierten Studentinnen und Studenten, trifft sich während dem Semester alle drei Wochen und berät über allenfalls zu tätigende Trades», erläutert Markus Schmieder, Präsident des Clubs. Die Auswahl der Titel für das Portfolio erfolgt aufgeteilt nach Anlageart und in gemeinsamer Absprache. Gewählt werden nur Titel, die man auch privat in sein Depot aufnehmen würde. Die Entwicklung des Portfolios wird allen Mitgliedern zugänglich gemacht und kann später auch von Nichtmitgliedern auf der Vereinshomepage eingesehen werden. Daneben organisiert der Club regelmässig Exkursionen, Vorträge und Apéros, so dass sich die Mitgliedschaft für börseninteressierte Studenten durchaus lohnt. Zur Zeit sind allerdings nur HSG-Immatrikulierte zutrittsberechtigt. Ähnliche Angebote gibt es an anderen Schweizer Hochschulen bislang nicht: Weder die Uni Zürich noch die Unis in Basel, Bern, Freiburg oder Genf haben einen Trading Club. SURFEN www.tradingclub.ch

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IMPRESSUM | 2010.10

DENKSPIEL | Die lächelnde Eins

HERAUSGEBERIN:

Alle wissen es: Es gibt selbst bei reinen Glücksspielen Gewinner- und Verlierertypen. Bei unserem Würfelspiel, das wir «die lächelnde Eins» nennen, entscheidet zwar der Würfel, wer gewinnt, doch ein reines Glücksspiel ist es deswegen gleichwohl nicht. Und so wird gespielt: In jeder Runde dürfen wir einen Betrag von einem bis sechs Franken setzen, wobei Rappen-Stücke unerwünscht sind. Nach dem wir unseren Einsatz geleistet haben, würfelt der Spielleiter, der die Bank repräsentiert. Seine gewürfelte Zahl wird mit unserem Einsatz verglichen. Übertrifft die vom Spielleiter gewürfelte Zahl unsere Zahl beziehungsweise unseren Einsatz oder sind die beiden Zahlen gleich hoch, so verlieren wir den gesetzten Betrag (vollständig). Ist dagegen die gewürfelte Zahl tiefer als unser Einsatz, so erhalten wir so viele Franken, wie der Würfel anzeigt und natürlich unseren Einsatz zurück. Eine letzte Regel will schliesslich etwas Pfeffer streuen. Eine Eins – gleichgültig ob gewürfelt oder gesetzt – bezwingt die Sechs. Setzen wir sechs Franken und der Spielleiter würfelt eine (lächelnde) Eins, so sind unsere gesetzten sechs Franken weg! Spielen wir zur Veranschaulichung drei Runden: Keck setzen wir in der ersten Runde fünf Franken. Der Würfel zeigt drei Augen. Somit gewinnen wir in der ersten Runde drei Franken. In der zweiten Runde begnügen wir uns mit einem Einsatz von vier Franken. Leider würfelt der Spielleiter vier Augen. Dieser Einsatz ist deshalb verloren. Zum Desaster wird die dritte Runde. Wir setzen sechs Franken und der Würfel zeigt eine Eins. Summa summarum haben wir in diesen drei Runden sieben Franken verspielt. Dies ist Grund genug zu fragen: Welche Zahlen (konsequent gesetzt) einen Gewinn versprechen?

Campus Lab AG Eschenring 2 6300 Zug CHEFREDAKTORIN:

Raffaela Angstmann REDAKTOREN DIESER AUSGABE:

Raffaela Angstmann, André Bähler Selin Bourquin, Chris Buchmann Mario Fuchs, Mirjam Goldenberger Simon Knopf, Julia Krättli Christoph Lutz, Karin Reinhardt Stephanie Renner, Martina Zimmermann LAYOUT:

Aline Dallo DESIGN:

Céline Beyeler, Maike Hamacher BILDREDAKTION:

Selin Bourquin ILLUSTRATION:

Marine de Dardel, Melanie Imfeld FOTOGRAFIE:

Durchzwei, Selin Bourquin Myriam Casanova, Andreas Sütterlin Tamara Widmer LEKTORAT:

André Bähler DRUCK:

Lösung der letzten Ausgabe (Köstliches): Euler: «So schwer diese Aufgabe auch zu sein scheint, so zeigt es sich doch, dass sie sogar ohne Algebra aufgelöst werden kann. Man gehe nur in Betrachtung derselben rückwärts. Denn, da die drei Personen nach dem dritten Spiele gleich viel bekommen, nämlich der erste 24, der zweite 24, und der dritte 24; da in jedem Spiele aber der erste und zweite ihr Geld verdoppelt haben, so müssen sie vor dem Spiele folgende Anzahl gehabt haben: I. 12, II. 12, III. 48.» Indem wir Eulers Idee fortsetzen, erhalten wir nach der ersten Verteilung 6 / 42 / 24 und zu Beginn 39 / 21 / 12. Text P.H.

Vogt-Schild Druck AG KONTAKT:

Campus Lab AG Lavaterstr. 71 8002 Zürich Tel: +41 44 201 16 57 Fax: +41 44 201 16 50 www.campuslab.ch info@campuslab.ch LESERBRIEFE:

leserbriefe@studiversum.ch StudiVersum erscheint sechs Mal jährlich in einer Auflage von 30 000 Exemplaren an allen Universitäten und Fachhochschulen der Deutschschweiz. Alle Rechte vorbehalten; Nachdruck, Aufnahme in OnlineDienste und Internet und Vervielfältigung auf Datenträgern wie CD-Roms etc. nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung der Herausgeberin.

An die weibliche Studierendenfraktion: Gib das Lösungswort jetzt ein auf www.studiversum.ch und gewinne mit etwas Glück das Modell «Mississippi» – eine Tasche von ZENIBAG! Weitere Designs findest du unter www.zenibag.ch. Lösungswort der letzten Ausgabe: ADAMSAPFEL Gewinnerin der letzten Ausgabe: Larissa Thum Weitere Wettbewerbe mit tollen Preisen findest du auf www.semestra.ch

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DIE FLOTTE 3 ER-WG

JOHNS HANGOVER Text: André Bähler

John liegt reglos auf dem Sofa, der obere Teil des Gesichts ist mit einem nassen Waschlappen bedeckt, die Farbe des unteren Teils liegt irgendwo zwischen käseweiss und blassgrün. «Was ist denn mir dir los?», fragt Rebekka, als sie das Wohnzimmer betritt. Da John nicht antwortet, fährt sie mit erhobener Stimme fort: «An den Halbtoten auf unserem Sofa: Bitte antworten!» «Schrei nicht so, mein Kopf platzt gleich!» «Bist du krank?» «Nein. Ich war gestern an der Erstsemestrigenparty.» «Der liebe John hat also Frischfleisch gejagt. Erfolgreich?» «Die jungen Küken haben mich nicht mit dem Arsch angesehen. Ich werde alt.» «Werden? So wie du heute aussiehst, bekämst du am SBB-Schalter ungefragt ein Rentner-GA.» «Zu Recht. Man ist ja bekanntlich so alt, wie man sich fühlt. Und ich fühle mich heute wie ein Hundertjähriger. Ober besser gesagt, wie ein Hundertjähriger mit dessen Kopf die russische Gewichthebernationalmannschaft stundenlang Bowling gespielt hat.» «Vielleicht solltest du weniger Alkohol trinken.» «Vielleicht solltest du jetzt einfach die Klappe halten und mir eine Packung Schmerztabletten holen.» «Willst du wirklich eine Tablette? Du sagst doch sonst immer, dass sie bei dir praktisch wirkungslos sind», sagt Rebekka als sie mit einer Packung ‹Saridon N Forte 400› und einem Glas Wasser ins Wohnzimmer zurückkehrt. «Natürlich will ich. Ich fühle mich hundeelend. Wenn es nichts nützt, dann schadet es auch nicht.»

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«Da wäre ich mir nicht so sicher. Gemäss Packungsbeilage kann es zu folgenden Nebenwirkungen kommen: Durchfall, Blähungen, Magenbeschwerden, Sodbrennen, Schmerzen im Oberbauch, Erbrechen, Übelkeit, Erbrechen von Blut, Schwarzfärbung des Stuhls, ungewöhnliche Müdigkeit, Schwindel, starke Kopfschmerzen, Verwirrtheitszustände, Hauterscheinungen wie Ausschlag, Juckreiz, Schwellungen im Gesicht, an den Füssen oder den Beinen, keuchende Atmung und Kurzatmigkeit, Schmerzen in der Brust, Husten, Blut im Urin.» «Meinst du… meinst du diese Nebenwirkungen können auch zusammen auftreten? Dass man zum Beispiel Juckreiz, Erbrechen von Blut und Durchfall gleichzeitig hat?» «Ja, klar. Hier steht: ‹Bitte informieren Sie Ihren Arzt oder Ihre Ärztin sofort, wenn bei Ihnen eine oder mehrere dieser Erscheinungen auftreten.›» «Mein Gott, das wäre ja schrecklich. Anderseits, meine Kopfschmerzen bringen mich fast um… Wie kommst du eigentlich dazu mir ungebeten die Packungsbeilage vorzulesen, du Sadistin?» «Ach, nur so.» «Nur so? Das glaube ich dir nicht. Sonst bist du immer viel netter. Liegt etwas gegen mich vor?» «Nein, nein. Ich bin nur ein bisschen frustriert.» «Frustriert? Wieso?» «Ich war gestern auch an der Erstsemestrigenparty…» Weitere Geschichten der flotten 3er-WG findest du auf semestra.ch. Schau doch rein!


WIE ANNO DAZUMAL

ALLTAGSTIPP Kinder, Kinder Bianca ist seit vier Jahren Mutter. Manchmal nimmt sie den kleinen Jan mit in die Vorlesung, und dann sitzt er da, auf seinem Stuhl, so ein aufgeweckter und «gmögiger» Bub, dass einem die Sonne im Herz aufgeht. Doch seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe, sind nunmehr schon einige Monate ins Land gegangen. Ob es dem jungen Mann denn gut gehe, habe ich Bianca neulich gefragt. Sie hat geseufzt: «Ach Horst, ich kann ihn nicht mehr mitnehmen. Er kriegt ständig Wutanfälle.» Ich musste schmunzeln: «Mach dir keine Sorgen. Das ist völlig normal in dem Alter. Das geht wieder vorbei.» Und dann habe ich zu reden angefangen wie der gute alte Pestalozzi: Da Kinder ihre Bedürfnisse noch nicht sprachlich äussern können, ist ein Wutausbruch oft der einzige Weg, ein Problem zu lösen. Besonders bei einer Überforderung bricht die Wut ungefiltert aus ihnen heraus. Heikel wird es jedoch, wenn ein Kind lernt, dass es mit Wutanfällen ans Ziel kommt. Dann fängt es an, dies auszunutzen. Meine Frau Martha und ich haben es bei unseren Sprösslingen immer so gemacht: Wenn Stefan oder Hanna ausgerastet sind, haben wir sie erstmal in ihr Zimmer geschickt. So haben wir ihnen zu verstehen gegeben, dass wir nicht mit ihnen verhandeln. Hinterher, wenn sie sich beruhigt hatten, haben wir mit ihnen über das Geschehene gesprochen. Daneben haben wir viel Wert darauf gelegt, sie im Alltag darauf aufmerksam zu machen, dass ein friedliches Zusammenleben wichtig ist. Jedesmal, wenn sie einen Konflikt friedlich gelöst haben, gabs ein «Guetzli». Ich bin überzeugt, dass Loben mehr bringt als Schimpfen. Auch bin ich oft mit den beiden raus in den Wald, um Tiere zu beobachten. Indem sie gelernt haben, dass alle Lebewesen Schmerzen empfinden, wenn man ihnen weh macht, wurden ihre Wutanfälle seltener. Das alles habe ich Bianca erzählt, worauf sie dankbar aufgeatmet und mir einen dicken Schmatzer auf die Backe gedrückt hat. Potz Blitz!

Horst

Horst, 74, zweifacher Vater, ist allzeit bereit: Ob im Haushalt oder in der Garage, beim Einkaufen oder an der Uni, Horst hilft! Als Hörer besucht er regelmässig Vorlesungen und weiss daher bestens Bescheid, was den Jungen von heute unter den Nägeln brennt. Seine Tipps sind längst schon keine Geheimtipps mehr. Deshalb: Horst ausschneiden, an den Kühlschrank oder die Pinnwand heften, dann kann nichts mehr schiefgehen!

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© 2010 KPMG Holding AG/SA, a Swiss corporation, is a subsidiary of KPMG Europe LLP and a member of the KPMG network of independent firms affiliated with KPMG International Cooperative (“KPMG International”), a Swiss legal entity. All rights reserved. KPMG and the KPMG logo are registered trademarks of KPMG International.

Stell dir vor

Du arbeitest nicht für ein Unternehmen. Sondern für viele.

Bernard hat sich für eine Karriere bei KPMG entschieden. In den Projekten, an denen er mitarbeitet, blickt er hinter die Kulissen verschiedener börsenkotierter Unternehmen. Und arbeitet in einem Umfeld, das ihn inspiriert – fachlich und menschlich. Inspiring careers for inspiring people. www.inspiringcareers.ch

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