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Claude Schmitz

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Légendes

Légendes

sie spielen fast ein Spiel mit dem Fotografen, wollen unbedingt auf den Film drauf. Da wusste auch keiner, was danach mit den Aufnahmen passiert. Aber Pol Aschman hat Gott sei Dank erst einmal auf den Auslöser gedrückt, weil er die Situation als schön, interessant und stark empfunden hat. Gut, damals war die Straßenfotografie noch neu, das Verhältnis zu ihr ein anderes, aber während ich ungeheuerlich viel Zeit mit administrativen Komplikationen verliere, hatte Pol Aschman die Sache schon im Kasten. Dafür nimmt man den Aufwand fürs Entwickeln im Nachhinein doch fast gerne in Kauf.

Sie haben ein Faible für Pol Aschmans Portraits?

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SB: Sie sind zeitlos, und sie wirken nicht gestellt. Die Abgebildeten treten quasi in einen Dialog mit dem Betrachter: “Schau mich an, nein schau mich an, ich schaue dich auch an!” Hinter diesen Blicken stecken Geschichten, Geschichten sehen finde ich super. Pol Aschman darf unter gar keinen Umständen vergessen werden. Leider haben die Luxemburger die Tendenz, bei Künstlern ins Ausland zu schauen. Es schockiert mich, wenn die meisten wissen, wer Henri Cartier-Bresson war, Pol Aschman ihnen aber kein Begriff ist. Man sollte nicht vergessen, wo man herkommt. Es ist wichtig, seine kulturellen Wurzeln auch mit über die Grenzen zu tragen, sich mit anderen über sein Daheim auszutauschen. Man kommt nämlich nie ohne Gepäck.

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Sie waren einer der zahlreichen „Gesellen“ Pol Aschmans. Wie kam es dazu?

CS: Nach meinem Passage Examen war mir, im Sommer 1969, eine Annonce in der Zeitung aufgefallen: „Pol Aschman sucht Jungen als Hilfe bei fotografischen Aufnahmen“. Ich radelte zu seinem Haus. Auf mein Klingeln erschien die Haushälterin am Fenster, meinte, ich solle später nochmals vorbeischauen, Herr Aschman sei unterwegs. Irgendetwas hielt mich dort, und tatsächlich spazierte Pol, 5 Minuten später, mit seinem Hund zur Tür hinaus. Als er das Tier auf einer Wiese von der Leine lies, entdeckte er mich, verstand sofort, was Sache war. Ich wurde engagiert, obwohl ich weder fotografisch noch zeichnerisch geschult war, und zum Retuschieren von Fotos beide Fähigkeiten gebraucht hätte. Pol Aschman hat mir alles beigebracht: ich bin für ihn mit dem Scheinwerfer über Böden gekrabbelt, habe beim Entwickeln von Farbfotos geholfen -damals haben wir ja nur 2-3 pro Tag geschafft- mit Farbfiltern hantiert, habe die schweren Apparate durch die Lande geschleppt, ihn auf seinen vielen Auslandsreisen begleitet... war eben Junge für alles. Zunächst einen Sommer lang, aber danach immer wieder. Wir sind quasi bis zu seinem Tod 1990 in Kontakt geblieben. Wenn er mich brauchte, ließ er seine Haushälterin anrufen: Telefone waren ihm zuwider.

Sie gehören zur Nachkriegsgeneration, sind Jahrgang 1954. Ab 1969 haben Sie bei Pol Aschman gejobbt, in einem von der internationalen Jugend- und Protestbewegung geprägten Klima. Unbeschwertheit, Aufbruchsstimmung waren Pol Aschman fremd, seine fotografischen Höhepunkte zu dem Zeitpunkt passé. Was haben Sie beide geteilt, was gab er Ihnen, Sie ihm?

« Istanbul, Bärenführer, Tanzbär, Bärenführerin und ein Luxemburger », 1969.

Tempête de neige en janvier 1954, Gare centrale de Luxembourg. CS: Er hatte keine eigene Familie, ich wurde eine Art Kindsersatz. Und er hat mich des Öfteren als Informationsquelle für Jugendthemen genutzt. Zu unserer Grillfete am Stau, nach dem Passage Examen, hat er mich begleitet, `ne Reportage gebracht. Umgekehrt hat er mir furchtbar viel über Fototechnik beigebracht, obgleich ich all die Jahre an seiner Seite nicht ein Foto geschossen habe. Und er hat mich in mir fremde Welten eingeführt, seine Leidenschaft für klassische Musik mit mir geteilt, mir Lebenserfahrung geschenkt. Auch wenn er nie viel geredet hat: er war ein sehr verschlossener Mensch, das meiste musste man ahnen.

Als Gymnasiast haben Sie sich doch sicherlich mit der deutschen Nachkriegsliteratur beschäftigt. War der 2. Weltkrieg auch ein Thema zwischen Pol Aschman und Ihnen?

CS: Ich war 15, er 48, als wir uns begegnet sind. Ich war stark am Krieg interessiert, wie alle Jungs damals. Aber Pol hat nie darüber gesprochen: er hat ihn totgeschwiegen, ihn ausgeklammert, als hätte es ihn nie gegeben. Manchmal las ich ´was in seinen Artikeln darüber. Aber die Texte kamen eigentlich an 2. Stelle. Er war ein exzellenter Fotograf, aber kein begnadeter Schreiber. Und als dieser stürzte er sich am liebsten bis 22.00-23.00 Uhr in die Arbeit, suchte abschließend sein Stammlokal in Clausen auf, kippte in rekordverdächtiger Geschwindigkeit 10 Biere runter und danach erschöpft und zufrieden ins Bett.

Wie passen da all die „ehrlichen“ Fotoportraits Pol Aschmans ins Bild? Emotionen, Stimmungen, die er, auch bei Gruppenaufnahmen, meisterhaft, ja mit Gespür und Sensibilität, einfing? War er Menschenfreund oder Menschenfeind? Und woher kam diese Fotografie-Obsession?

CS: Spontan würde ich sagen, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Pol wurde in Luxemburg mitunter gehänselt: „Er ist ein Graf, ein Graf, ein Fotograf!“ oder „Den Aaschmann“. Das war zum Teil dem Neid geschuldet. Ruhm macht auch einsam. Dabei hatte er sich den hart erkämpft. In Pols Familie wurde man traditionell Mediziner, Chemiker oder Apotheker. Er hatte sich für letzteren Beruf entschieden, musste die Studien allerdings abbrechen, da, seinen Aussagen zufolge, nach 1945 nichts mehr in seinen Kopf reinging. Seine Faszination für Fotografie und Chemie hatte er schon als Kind von seinem Vater übernommen. Dazu kam, dass Camille Aschman in seiner Freizeit regelmäßig Artikel für Zeitungen verfasste. Für seinen Sohn Pol lag der Beruf Fotojournalist demzufolge auf der Hand. Er war weder Menschenfreund noch Menschenfeind, er hat nur alles immer mit einem fotografischen Auge betrachtet, wollte so viel wie eben nur möglich festhalten. Aber Massen waren ihm eigentlich ein Gräuel; dem Wesen nach war er ein Einsiedlerkrebs.

Als Fotojournalist und Chronist zog Pol Aschman, pflichtbewusst, jahrein jahraus zu Prozessionen, Hochzeiten der Prominenz, zur „Schueberfouer“, „Foire“ und zu anderen Messen und Massen...Wie hielt er das denn aus? Fungierte die Kamera als imaginärer Schutzschild?

CS: Das tat sie! Im Reinen war Pol Aschman nur mit den Unverstandenen, den Randgruppen, und hauptsächlich mit den Toten. Ich kann Ihnen nicht sagen, auf wie vielen Friedhöfen wir im Ausland waren: in Paris haben wir

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