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Philippe Aschman

sie wahrscheinlich alle besucht; besonders beeindruckend war für mich der Zentralfriedhof Wien. Da haben wir den Schauspieler Albin Skoda, der Pol Jahre zuvor als Hamlet auf dem Wiltzer Festival beeindruckt hatte, sozusagen besucht, nebst all den großen Komponisten, versteht sich. Diese Beschäftigung mit den Toten, das hat uns beide verbunden.

Welche fotografische Fähigkeit Pol Aschmans hat Sie besonders beeindruckt?

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CS: Dass er es trotzdem verstand, den Bildern Leben einzuhauchen, wie kein Zweiter. Einmal waren wir Sylvester in einem Dampfmaschinen-Betrieb. Auf Pols Fotos sieht man Lokomotivelemente, aber in der Hauptsache Arbeiter, die schuften, während andere feiern. Ja, er hat immer wieder Leute geknipst. Und vielleicht hat er so seine Liebe zu Menschen auf seine Art ausgedrückt. So wie wir beide hier miteinander diskutieren, das wäre mit Pol nicht möglich gewesen, da hätte er sich zu sehr nackt gefühlt. Für mich wird er immer ein lieber Kerl bleiben, der aber zu den meisten Zweibeinern keinen Zugang hatte. Kam diese Blockade vom Krieg? Ich habe es nie so empfunden.

Philippe Aschman: Im Gespräch mit Bildern

Sie entsprechen, als Grundschullehrer, nicht dem „typischen Aschman“, und Sie bringen einen ganzen Rucksack voll Anschauungsmaterial zu unserm Gespräch mit...?

PA: Ja, auf diesem Bild sehen Sie mich -uns- im Kindergarten auf Verlorenkost. Mein Onkel Pol hatte ein Faible für den Rollentausch, schlüpfte schon mal für ein Foto in die Rolle eines Straßenbahnkontrolleurs: hier wurde er 2-3 Tage lang zum Kindergartenkind. Er hatte sich mental darauf vorbereitet, sich morgens von seiner Haushälterin ein Pausenbrot schmieren zu lassen, später saßen wir beide dann als gute Klassenkameraden in der letzten Reihe nebeneinander. Er hat alles mitgemacht, sich von meiner Lehrerin Schwester Jean-Marie Anekdoten über meine Mitschüler erzählen lassen, Stichwörter notiert und abschließend einen Artikel über die Erfahrung verfasst. Das war der normale Werdegang: Pol ist auf die Leute zugegangen, hat Fragen gestellt, bis sich sein Gegenüber wohl gefühlt hat, sich Notizen und Fotos gemacht. Er war immer auf der Suche nach den persönlichen Geschichten, die er dann, in erweiterter Form, einer Leserschaft mit auf den Weg geben wollte: es sollte keine große Literatur werden. Darüber hinaus ging es ihm auch um die Familiengeschichte, stellvertretend für die Geschichte einer Nation. In verschiedenen seiner Reportagen kommen seine Vorfahren vor.

Und was hat es mit dem Fotoapparat auf sich, den Sie mitgebracht haben?

PA: Mein Kommunionsgeschenk von Pol Aschman! Der Apparat ist zwar ganz einfach, konform; non- konform war, dass mein Onkel mir das Präsent zur Feier, in alte Zeitungen gewickelt, übergab. Es sollte wohl witzig sein, aber irgendwie wollte er auch zeigen, dass er anders war als wir, eine ganz normale Familie: Mutter, Vater, sechs Kinder. Es fiel ihm schwer, sich da zu integrieren. Er kam auch eigentlich nicht oft zu uns, wir Kinder gingen zu ihm.

Klippschule, Verlorenkost, « Schwester Jean-Marie mit einem Teil ihrer Mannschaft ». Collection Philippe Aschman

Anfangs lebte er mit seinem kranken Vater zusammen. In seinem Ambiente, im Mobiliar der Großmutter, ab der späten 1950iger mit einer Haushälterin, die leicht beeinträchtigt war, da fühlte er sich wohl, verwandelte sich für uns in einen Clown. Seine Kleidung kann man auch nicht als konform bezeichnen: sie war alt, verschlissen, voller Hundehaare. Aber so lief er dann in den großherzoglichen Palast oder zum Pressemeeting beim Bischof.

Markenzeichen? Tarnung?

PA: Ja, wahrscheinlich sein Wiedererkennungsmerkmal. Er fiel dadurch auf, die Leute schmissen sich sogleich in Pose, da sie hofften, sie würden fotografiert werden. „Wéini komme mir an d‘Zeitung“, haben sie ihn gefragt. Das hat ihn gefreut, er hat ihre Namen aufgeschrieben, sie in ein Gespräch verwickelt. Da war er jovial. Aber privat war er anderer Natur. Da hat sich sein Wohlwollen, seine Gönnerhaftigkeit eher in Gesten ausgedrückt: wenn er sich für Randgruppen engagiert hat, zum Beispiel. Einige seiner Gesellen kamen aus prekären Verhältnissen aus Pfaffenthal. Die haben bei ihm geklingelt, wenn sie Hunger hatten, er hat ihnen Taschengeld gegeben, mancher Einer hat auch ´mal dort übernachtet. Er konnte auf der anderen Seite aber auch sehr aufbrausend sein, vor allem gegen Ende seines Lebens, als er nicht mehr fähig war, sich durch Aktionismus von seiner Krankheit abzulenken.

Sie waren selbst eine Zeit lang Geselle, haben als Gymnasiast Ihrem Onkel, der offizieller „Foire“-Fotograf war, bei Nachtaufnahmen der Messestände für Dokumentationszwecken, unter anderem als Beleuchter, assistiert. Ab der 1980iger, als Ihr Onkel immer stärker unter seinem Diabetes, also auch an Sehschwäche litt, haben Sie die Schärfe der Kameras korrigiert, immer öfter auch, zum Beispiel bei der Hochzeit vom damaligen Erbgroßherzog Henri mit Maria Teresa Mestre, unter seiner Anleitung, eigenständig fotografiert.

PA: Er wusste einfach, dass er mit mir rechnen könnte. Nach und nach machte ich außerdem technische Fortschritte. Ich habe ihn dann auch ein paarmal ins Ausland begleitet. Über Nationalstraßen ging es nach Colmar oder Paris. Machten wir unterwegs Rast, grüßten ihn die Gastwirte. Das Personal im bescheidenen Hotel am Zielort kannte ihn, genauso wie die Bedienung in der Kneipe um die Ecke. Er schien immer in denselben Etablissements zu verkehren. Er hatte seine Orientierungspunkte, war der totale Gewohnheitsmensch. Onkel Pol hat auch ständig Postkarten an seine Haushälterin, sogar an seinen Hund Rex, verschickt. Hier zum Beispiel: „Schéine Bonjour vu Wien, bill net ze vill, looss de Facteur an d‘Zeitungsfra mat Rou a pass op d‘Madame Jeanny op, datt si der net ze vill stiicht!“

Bedeutet, er hat auch auf der Braderie, der Emaischen, beim OktavMäertchen, bei Prozessionen nach dem, oder denjenigen, Ausschau gehalten, den/ die er kannte. Wie war eigentlich sein Verhältnis zur Religion?

PA: Er war strenggläubig, allerdings ohne zum Gottesdienst zu gehen. Nach seinem Tod habe ich mich um eine Messe in der Kathedrale bemüht. Dort finden fast nie Trauerfeiern statt. Aber für den Fotografen Pol Aschman haben sie eine Ausnahme gemacht. Am Ende sprach der Organist uns sein Beileid aus und fügte hinzu, er hätte extra schön gespielt, da mein Onkel ihn auch immer fotografiert hätte.

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