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Famille Aschman
Sonia Aschman-Bodson
Mein Mann Alex Aschman und sein Bruder Pol waren sehr liebe, ruhige, introvertierte Menschen; schon extrem kultiviert aber nicht sehr expressiv. Dass beide im Krieg viel gelitten haben, dass der Pol mit einem Polen geflüchtet war, dass sie auf einem geklauten Fahrrad quer durch Deutschland geradelt sind, weiß ich von meinem Schwiegervater. Der wurde übrigens später von Pol gepflegt und einfallsreich beköstigt, da er nach einem Sturz bettlägerig war.
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Eine Zeitlang haben wir, in den Ferien, regelmäßig bei den beiden gewohnt. Alex war noch Medizinstudent, war auf Universitäten in England und in Frankreich, wir hatten bereits zwei Kinder, aber in Luxemburg keine eigene Bleibe. Kam ich ins Bad war die Badewanne häufig besetzt: da schwammen Pols Filme, die mussten gewässert werden.
Mir haben seine Fotos in schwarz-weiß äußerst imponiert. Mit denen wollte er zum Ausdruck bringen, wie die einfachen, die normalen Leute gelebt und gearbeitet haben.
Ich wurde oft gefragt, warum hat der Pol es so und nicht so getan, wieso hat er in jener Situation so komisch reagiert. Warum, wieso? Es war halt so. In der Nachkriegszeit standen wir vor großen Herausforderungen: ich hatte, zum Beispiel, schon bald sechs Kinder, war in der Praxis meines Mannes als Sekretärin, Rezeptionistin, Putzfrau eingebunden. Ich bin auch nachts aufgestanden, wenn das Telefon geklingelt hat, ob ich schwanger war oder nicht. Für warum und wieso hatten wir keine rechte Zeit.
Sonia et Mimy Bodson, Alex Aschman, Léon et Robert Bodson, fixent l’objectif du photographe à l’Émaischen, place du Marchéaux-Poissons à Luxembourg en mai 1952.
Charles-Louis a photographié son oncle en juillet 1969, lors d’un reportage sur le « Studententour » et qui avait comme titre « He’ch de Bockel voll Gepäck ». Cette randonnée d’étudiant allait d’Ettelbrück à Lultzhausen.
Mein Onkel Pol hat immer eine gewisse Ruhe ausgestrahlt, aber tief in ihm drin wüteten wahrscheinlich Tornados, die sich manchmal ihren Weg an die Oberfläche bahnten. Was die mit zwanzig Jahren schon alles in diesem Krieg damals mitgemacht haben...das haben wir als kleine Knirpse nicht annähernd begreifen können.
Nichtsdestotrotz suchte und fand Pol danach Kontakt zu den Menschen. Und zwar sowohl zu Großherzogs, wie auch zu Vertretern der sogenannten fahrenden Gilde, deren Freiheit er irgendwie bewundert hat, wie zu Normalos. Es war beeindruckend, wie leicht ihm das fiel. Er hatte den nötigen Respekt, kuschte aber auch vor keinem.
Zudem stand er mit seiner Kamera Mal für Mal im richtigen Winkel, wusste genau, und ohne Belichtungsmesser, welche Blende und welche Zeit er kombinieren müsste, um die optimale Momentaufnahme im Kasten zu haben. Schade nur, dass diese Kunstwerke häufig nicht ihre verdiente Anerkennung erfahren haben. In den Magazinen galten sie als Nebenprodukt, wurden von den Leuten ähnlich konsumiert, wie heute Internetbilder, bei denen der Betrachter ebenfalls oft nicht weiß, wer der Autor ist. Damals galt das Hauptaugenmerk dem Artikel, nicht dem Foto.
Sonia Aschman-Bodson, la belle-soeur de Pol Aschman, lors de la première communion de Betsy, avenue de la Liberté, le 19 avril 1964.
Georgette (Mausy) Wenandy-Hostert et Pol Aschman lors du baptême de leur filleule Isabelle, en novembre 1959.
Betsy Aschman (Pol Aschmans älteste Nichte)
Wenn ich an Onkel Pol denke, schießen mir einzelne Bilder durch den Kopf. Wie er mich als kleines Küken mit auf seine Lichtmess-Runde zu Ministern nimmt und fotografiert. Oder wie ich an Palmsonntag, als Bettelmädchen verkleidet, vor der Kathedrale, kurz zuvor gepflückten Buchsbaum verkaufe. Über diese Rollenspiele wurde im Vorfeld nie viel diskutiert, Pol war eher ein Mann der Tat, und ich bin gerne dabei gewesen. Er ist ja auch selbst in die Haut eines Müllmanns oder eines Hausierers geschlüpft, wollte am eigenen Leib erfahren, wie sich deren Alltag anfühlt, welchen Blicken sie ausgesetzt sind. Es ging ihm um Authentizität. Die Fotos wurden dann von einem Assistenten geschossen.
Pol zollte den Anderen Respekt. Von daher frage ich mich seit Längerem, wie es um unsere Achtung ihm gegenüber bestellt war. Wem konnte er sich eigentlich anvertrauen? Zum Beispiel, wenn es um seine Homosexualität ging. Da ist nie drüber gesprochen worden, ich habe das von Freunden erfahren. Das Bild, das sich nun vor mein inneres Auge schiebt, ist das des traurigen Einzelgängers. Ich war häufig mit Freunden im Café von Malou in Clausen, da dort die Stimmung immer gut war. Pol war auch Stammgast “beim Malou”, aber er saß allein am Tresen, hat nie richtig dazu gehört. Warum habe ich da nichts unternommen? Ich stand irgendwie zwischen den Stühlen, zwischen den Barhockern: meine Bekanntschaften haben sich, mir gegenüber, sporadisch herablassend über verschiedene Pol-Aschman-Artikel geäußert. Von daher blieb es, zwischen Onkel und Nichte, des Öfteren bei einem einfachen Gruß. Heute würde ich diesbezüglich die Zeit gerne zurückdrehen und anders handeln...
Abschließend ein heiteres, beschwingtes Bild: eine entfernte Verwandte von uns, die den Aschmans aber dennoch nahe stand, die als Sekretärin des Dirigenten, Komponisten und Violonisten Henri Pensis tätig war, setzte sich, nach Mahlzeiten im Kreis der Familie, gewohnheitsmäßig zu Pol ans Klavier, und dann ging es vierhändig ran an die Tasten. Ich denke, dass sie teilweise improvisierten. Unser Onkel hatte eine ausgeprägte musikalische Ader. Das übermütige, ja freie, Spiel des Duos hat mich stets sehr berührt und einen dauerhaften Eindruck hinterlassen.
Isabelle und Tun Aschman (Pol Aschmans mittlere Nichte und Neffe)
Wir beide haben als Kinder Onkel Pol oft spontan besucht. Er hat uns fasziniert, da er so anders war, anders gelebt hat. Er war auch immer spaßig, wahrscheinlich nicht nach innen aber nach außen. Und er konnte super Geschichten erzählen, zum Beispiel von seinen Reisen: er war einmal pro Jahr am Nordkap, einmal in Istanbul, an die hundert Male in Paris, einmal reiste er zum Frisörtermin nach Marokko!
Am 28. Juni lud er uns traditionell alle sechs zu seinem Namenstag ein. Da wurden wir fürstlich von ihm verwöhnt, die Stimmung war feierlich ironisch.
Tja, unser Onkel Pol fiel auf, war bekannt. Wenn die Leute unsern Nachnamen hören, fragen sie uns heute noch, ob wir Verwandte von Pol Aschman sind.
Ob wir auch auf Fotos drauf waren? Ja klar, wir haben es als Kinder und Jugendliche fast darauf angelegt: war Braderie oder Büchermarkt, haben wir nach ihm Ausschau gehalten. Dann hat er uns in der Menge fotografisch festgehalten.
Pol wirkte irgendwie getrieben. Das kam wohl noch vom Krieg. Seine Generation litt unter Ängsten, über die nie gesprochen wurde, die aber an ihnen genagt, sie zu Aktionismus getrieben haben. Später kamen bei unserem Onkel noch die Existenzängste des freischaffenden Fotojournalisten dazu. Er musste liefern, um finanziell über die Runden zu kommen. Mitte der 1980iger war er gezwungen, wegen seines Diabetes, einen längeren Krankenhausaufenthalt in Kauf zu nehmen. Da hat er Fotomaterial für spätere Artikel, nach Themen, in braune Supermarktpapiertüten einsortiert, Schrauben in die Klinikschränke gedreht, und die Tragetaschen dort aufgehängt, um weiter arbeiten zu können.
Onkel Pol war ein Original, das man nicht kopieren kann. Tun hat in der Schule einmal versucht, mit einem Aufsatz in Pols typischem Plauderton zu punkten: der Deutschlehrer war ganz und gar nicht angetan.
Portrait d’un homme à la Brasserie Henri Funck, Neudorf, en mai 1969.
Autoportrait de Pol Aschman à la Schueberfouer en 1955.