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Nicht zum Lachen
1 Martin Evans, »Germany officially the world’s least funny country«, in: The Telegraph, 7. Juni 2011; http://www.telegraph.co. uk/culture/8560815/Germany-officiallythe-worlds-least-funny-country.html [zuletzt 17.05.2021]. 2 Andreas Kluth, »Being German is no laughing matter«, in: The Economist, 3. Mai 2016; https://www.1843magazine.com/ideas/ the-daily/being-german-is-no-laughing-matter [zuletzt 17.05.2021]. Betrachtet man zwei Werkgruppen desselben Künstlers, die drei Jahrzehnte auseinanderliegen, könnte man zunächst die Unterschiede vermerken, das, was sich im Laufe der Jahre verändert hat – oder aber auch die Kontinuitäten im Œuvre. Im Falle von Werner Büttner lassen sich seit den 1980er Jahren, nachdem er als Vertreter einer neuen Generation von deutschen Maler*innen in Erscheinung getreten war, einige offenkundige Entwicklungen beobachten. So ist etwa seine Palette heller und leuchtender und sein Pinselstrich geschmeidiger geworden (vielleicht eher gegen seinen Willen, da er dem Gefälligen und dem Anbiedernden in der Kunst misstraut). Am bemerkenswertesten ist für mich jedoch, dass Büttner seine Haltung beibehält, beziehungsweise das, was man als den Zweck seiner Kunst bezeichnen könnte. Und wenn ich mich nicht irre, gilt das gleichermaßen für alle Werke Büttners, also sowohl für die frühen als auch die jüngsten Arbeiten. Es ist bemerkenswert, dass Büttner in der anglofonen Welt bis zu seiner ersten Ausstellung 2015 in der Marlborough Gallery in London praktisch unsichtbar gewesen ist, obwohl seine Arbeiten bereits 1990 in der Kerlin Gallery in Belfast gezeigt wurden. Im vorangegangenen Jahrzehnt waren seine Arbeiten im Rahmen von zwei Einzelausstellungen in New York zu sehen, außerdem hat er an verschiedenen Wanderausstellungen in den USA sowie an einer wichtigen Gruppenschau in London teilgenommen. Warum also hat die »englischsprachige Welt« – um es mit Winston Churchills Worten auszudrücken – Büttners Werk so lange ignoriert? Ich frage mich, ob nicht auch kulturelle Stereotype hier eine Rolle spielen. Briten und Amerikaner hängen immer noch gerne dem Klischee an, dass Deutsche keinen Humor haben – oder zumindest, dass der deutsche Humor nicht lustig ist. In einer Schlagzeile verkündete der Telegraph im Jahr 2011, dass Deutschland »das am wenigsten lustige Land der Welt« sei; 1 der Economist versicherte seinen Leser*innen fünf Jahre später in dem Artikel »Being German is no laughing matter« (Deutsch sein ist nicht zum Lachen), dass es »vielleicht ein Klischee, aber auch wahr ist, dass Deutsche keinen Sinn für Humor haben.« 2
3 »Werner Büttner’s prosaic biography in tabular prose«, in: Werner Büttner: Coincidence in Splendour, London 2016, S. 246. Umso witziger ist es vielleicht, dass es vor allem der Humor ist, den ich an Büttners Bildern so sehr schätze – allerdings lache ich nicht. Vielleicht erkennen manche Leute diese Art von Humor nicht als Humor. Er verwirrt sie eher. Wie geht man mit einem Humor um, der nicht witzig ist, der einen vielmehr in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Erfahrung führt, in denen ein Lachen allzu leichtfertig wäre? In der jüngeren US-amerikanischen und britischen Malerei ist Humor eher ungewöhnlich – das Vergnügliche bei einem Alex Katz oder Brice Marden, bei Bridget Riley oder Lucian Freud hat eine andere Qualität –, aber für die deutsche Malerei seit den 1960er Jahren ist diese Art von schwarzem, unlustigem Humor wesentlich. Es spricht Bände, dass der im Ausland bekannteste deutsche Maler, Gerhard Richter, jemand ist, in dessen Werk Humor kaum eine Rolle spielt, und dass Anselm Kiefer erst zu Ruhm gekommen ist, nachdem er die beißende Ironie seines frühen fotografischen Werks zugunsten der Trauer und der Melancholie seiner großformatigen Gemälde aufgab. Allerdings ist es schlichtweg unmöglich, das Werk von Sigmar Polke, Georg Baselitz oder Martin Kippenberger – um nur einige Namen zu nennen – zu würdigen, ohne sich auf ihre sardonische Darstellung der Gesellschaft, des Einzelnen sowie der Kunst an sich einzulassen. Dasselbe gilt für das Œuvre Büttners. Zweifelsohne hat es seine Gründe, dass insbesondere die in den 1940er und 1950er Jahren geborenen Künstler*innen einen Hang zum schwarzen Humor haben. Sie wissen am besten, dass Deutschsein nicht zum Lachen ist. Sie sind nicht nur im Schatten eines verlorenen Krieges aufgewachsen und wurden mit den Enthüllungen der Verbrechen des Nationalsozialismus konfrontiert; sie haben auch erkennen müssen, dass die Generation ihrer Eltern und Großeltern an diesen Geschehnissen beteiligt gewesen war. Zudem sind sie in einem geteilten Land aufgewachsen. In den unvereinbaren Systemen von Ost und West, der DDR und der BRD, bemühten sich beide Seiten darum, die Schwächen des Gegenübers offenzulegen. Es ist auffallend, wie viele der führenden westdeutschen Künstler*innen aus den Jahrzehnten vor der Wiedervereinigung im Osten geboren sind, darunter (die der älteren Generation angehörenden) Baselitz, Polke und Richter sowie A. R. Penck und Blinky Palermo. Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, dass Polke und Richter (gemeinsam mit dem im Westen geborenen Konrad Fischer alias Konrad Lueg) ihre künstlerische Laufbahn mit der Verkündigung der Pseudobewegung Kapitalistischer Realismus begonnen haben. Sie spielten auf den Sozialistischen Realismus im Ostblock an und schufen eine ironische visuelle Lobeshymne auf die Oberflächlichkeit der westdeutschen Konsumkultur in der Zeit des Wirtschaftswunders – das religiöse Vokabular allein spricht Bände. Auch Büttner verlebte bis zum Alter von sieben Jahren eine »glückliche Kindheit im Paradies der Arbeiter und Bauern« 3. Im Westen sei er, wie er mir erzählt hat, »täglich daran erinnert worden, dass er ein Flüchtling, ein Vertriebener« sei, weshalb er aus diesem Status einen gewissen Stolz gezogen habe. Die Werte des Deutschlands, in das er hineingeworfen worden war, blieben ihm ebenso fremd wie die des Deutschlands, aus dem man ihn herausgerissen hatte. Die zwei deutschen Staaten bezeichneten die Lebensumstände im jeweils anderen Land als falsch und hässlich, und Büttner scheint zu der nicht unerheblichen Anzahl von Leuten zu gehören, die zu dem Schluss gekommen sind, dass zumindest in diesem Punkt beide Seiten recht hatten. Wenn das Leben aber falsch und hässlich ist, welche Rolle spielt dann die Kunst? Soll sie dieses Leben verschönern? In den USA gibt es eine Redewendung dafür: Einem Schwein die Lippen schminken. Nein, aber mit der Kunst kann Hohn und Spott zum Ausdruck gebracht werden, was wenigstens für ein wenig Linderung sorgt. Außerdem hilft die Kunst dabei, herauszufinden, wer eine ähnliche Weltanschauung hat. Das Bild wird zu einer Art Banner, um das sich jene versammeln können, die mit dem Stand der Dinge nicht einverstanden sind. Darum besteht Büttners Ansicht nach das Problem der Abstraktion
darin, dass »man damit weder die Schöpfung noch die Gegenwartskunst verspotten oder beleidigen kann.« 4 Seine Kunst ist spöttisch, oder eigentlich eher sarkastisch. Sie macht sich über das Leben und die Kunst – auch die eigene – gleichermaßen lustig. Aber Büttners Sarkasmus zielt auf etwas Positives ab, und zwar genau in dem Sinne, in dem Antonio Gramsci den Begriff verwendete, als er über den Sarkasmus von Karl Marx schrieb – in einer Textpassage, auf die der Autor und Radioreporter Richard Seymour hingewiesen hat, wofür ich ihm sehr dankbar bin; es handelt sich dabei um eine Form des Sarkasmus, die nicht die menschlichen Hoffnungen angreifen soll, sondern »ihre kontingente Form, die an eine bestimmte vergängliche Welt geknüpft ist, ihren Leichengestank sozusagen, der durch die Schminke dringt.« 5 Büttner malt die Schminke und den Gestank zugleich. Sein Sarkasmus sollte uns aber nicht entmutigen oder resignieren lassen, selbst wenn wir selbst Teil dessen sind, was kritisiert wird, sondern er sollte uns zuversichtlich stimmen, da er an der Vorstellung festhält, dass ein besseres und wahrhaftigeres Leben möglich ist, wenn auch nicht für uns. Die Schöpfung und die Schöpfungen der Künstler*innen verdienen es, verspottet und beleidigt zu werden, da sie die Vorstellung einer möglichen Welt, einer möglichen Kunst vermitteln, die so viel besser ist als das armselige Gemurkse, das wir daraus gemacht haben. Ich nehme nicht an, dass Büttner sich groß mit den Ideen seines Landsmannes befasst, mir kommt es hier auf ihren ähnlichen Umgang mit Humor an. Seymour weist darauf hin, dass diese sarkastische Form des Humors etwas Masochistisches habe; sie setzt nicht nur die Prätention der anderen herab, sondern auch die eigene – und zieht aus dieser Herabsetzung das größtmögliche Vergnügen. Deshalb muss Büttners Kunst die Kunst verspotten und nicht nur die Welt. Es ist eine Methode, um sich das eigene Versagen einzugestehen und sich daran zu vergnügen – anders als bei der Art von »geistreichem« Witz, mit dem man vorgibt, über den Dingen zu stehen. Sarkasmus wird im Allgemeinen als eine niedere Form des Humors angesehen, als etwas für Heranwachsende. Vielleicht ist diese Vorstellung mit dafür verantwortlich, dass wir so lange gebraucht haben, um auf Büttner aufmerksam zu werden. Der Philosoph Karl Rosenkranz, ein Zeitgenosse von Marx und wie dieser Anhänger Hegels, fragte sich 1836 in einem Tagebucheintrag: »Gott sollte nicht Humor haben? Wenn nicht, wie sollte dann wol [sic] die Welt bestehen?« 6 Vorsichtig ausgedrückt ist dies eine doppelbödige Anmerkung. Will Rosenkranz damit sagen, dass Gott die Welt zu seinem eigenen Vergnügen am Laufen hält, als etwas, das ihn zum Lachen bringt, eine Art grausamer Witz? Oder weiß der Allwissende einfach nur, dass am Ende alles gut ausgehen wird? Büttners Bilder suggerieren, dass der Humor Gottes auch eher sarkastisch sein dürfte – dass der Allmächtige sich angesichts der von ihm erschaffenen Welt eingestehen müsste, dass das Erschaffen von Welten eine Kunst ist, die er eigentlich auf elegantere Weise hätte ausführen können. Etwa zwei Jahrzehnte nach seiner Anmerkung über den Humor Gottes hat Rosenkranz seine Ästhetik des Häßlichen geschrieben, in der er zu dem Schluss kommt, dass so, wie das Verstehen der Unwahrheit erhellt, was Wahrheit ist, so wie Ungerechtigkeit erhellt, was Gerechtigkeit ist, auch der wesentliche ästhetische Wert, die Schönheit, nur durch ihr Gegenstück verstanden werden kann. Nachdem er jedoch seine Analyse des Hässlichen abgeschlossen hatte, gelangte Rosenkranz zu der Erkenntnis, dass sie unvollständig war, da eine Versöhnung von Schönheit und Hässlichkeit nur durch den Humor erreicht werden kann: »[…] ich [habe] den ungeheuren Umfang des Häßlichen in der Kunst mit staunendem Blick einigermaaßen [sic] übersehen lernen, aber auch den intimen Zusammenhang des Komischen mit ihm immer deutlicher erkannt. Ich halte daher den Begriff des Humors für das Ultimatum in der Metaphysik des Schönen […].« 7 Rosenkranz hat da wohl wirklich einen großen Gedanken formuliert. Auf alle Fälle würde ich sagen, dass man, wenn man den Humor in Büttners Bildern erkennt, auch ihre Schönheit erkennen kann.
4 »Reality is a surprisingly cheap stoolpigeon. Werner Büttner and Andrew Renton in Conversation«, in: Werner Büttner: The Marking of the Abyss, London 2015, nicht paginiert. 5 Richard Seymour, »Not: Marxism as ›Organised Sarcasm‹«, in: Salvage 5, 6. Februar 2018; http://salvage.zone/in-print/not-marxism-as-organised-sarcasm/ [zuletzt 17.05.2021], und Zitat aus: Antonio Gramsci: Gefängnishefte, Kritische Gesamtausgabe, hg. vom Deutschen Gramsci-Projekt, Hamburg 1991–1999. 6 Karl Rosenkranz, Aus einem Tagebuch: Königsberg Herbst 1833 bis Frühjahr 1846, Leipzig 1854, S. 5. 7 Karl Rosenkranz, System der Wissenschaft. Ein philosophisches Encheiridion. Königsberg 1850, S. 615.