10 minute read
Von Haus aus apokryphisch Werner Büttner und das Theater des freien Willens
1 Zitiert aus: Es begann also mit einem One-Night-Stand. Werner Büttner im Interview mit Hans Ulrich Obrist, hg. von Wigger Bierma für die Hochschule für bildende Künste Hamburg, Hamburg 2018, S. 13. Die marktgetriebene Kunstwelt der 1980er Jahre hat das revolutionäre Potenzial der Kunst verhackstückt und Wall-Street-freundliche Trends wie »Neo-Geo« oder »Neo-Pop« hervorgebracht. Im Showdown der Postmoderne, in dem Originalität verächtlich gemacht wurde, war der Neoexpressionismus Teil dieses Zeitgeists – und gleichzeitig eine Ausnahme. Die durch ihn angekündigte Rückkehr zur Malerei war weder dem Wesen nach zynisch noch steril in ihrer Ausführung, sondern erinnerte eher an die geistigen und psychologischen Grundsätze der Romantik. Frühe deutsche Vertreter*innen der Strömung wie Jörg Immendorff, Anselm Kiefer und Georg Baselitz entwickelten beispielsweise eine Nachkriegsversion des Sturm und Drang, und sollten als Neue Wilde in die Kunstgeschichte eingehen. Der 1954 geborene Werner Büttner gehört der zweiten Generation von Künstler*innen an, die den Neuen Wilden zugerechnet werden und und deren ausgesprochen subjektive Malerei eine besonders ironische Weltsicht zum Ausdruck brachte. Ihren expressionistischen Oberflächen, die das Prinzip der »Subversion durch Affirmation« verkörperten, wohnte eine desillusionierte, aufsässige Haltung inne, die über jegliche Vorspiegelung von Tradition oder Technik erhaben war. Die Antiästhetik der »schlechten Malerei« Büttners sowie seiner Kollegen Martin Kippenberger und Albert Oehlen verwehrte sich bewusst jeder Kategorisierung und wurde oft auf schlichte parodistische Kritik reduziert. Büttners Erläuterungen zum Einfluss Goyas auf sein Werk führen eine solche Sichtweise jedoch ad absurdum, indem sie seine Wertschätzung für moralische Integrität ausdrücken: »Unter den Malern ist er fraglos der Erste, der vor den Gesetzen seiner Zeit nicht einknickt und sein Gewissen zum Gesetz macht.« 1 Man könnte es als das Zusammenspiel einer sardonischen Widerspenstigkeit mit einem romantischen Nihilismus betrachten, es bleibt jedoch etwas von dem Ichschmerz und Weltschmerz in Büttners Werk spürbar, das nicht von dessen beißendem Humor zu trennen ist. Wie seiner Bewunderung für Francisco de Goya, Martin Heidegger, François Rabelais und René Magritte wohnt auch seinem unerschütterlichen Glauben an den Wert der philosophischen Befragung eine
unleugbare, wenn auch paradoxe Stärke inne. Sogar in den 1980er Jahren, umgeben von stilistischem Pluralismus und einem Kosmos von Zitaten, den er und seine appropriationistischen Kolleg*innen geprägt haben, ist eine glühende Verachtung für reinen Konzeptualismus spürbar. Vor diesem Hintergrund ist der Vergleich dreier innerhalb eines Jahres entstandenen Arbeiten aufschlussreich: Kippenbergers Modell Interconti (1987, Abb. A), ein Détournement, bei dem ein Monochrom von Gerhard Richter in einen unscheinbaren Couchtisch eingearbeitet wurde; Oehlens Untitled (1988, Abb. B), ein auf regelbasierter Abstraktion beruhendes großformatiges Gemälde; sowie Büttners Überfahrener Hippie im ägyptischen Stil (1988, Abb. S. 55), ein trockener Verweis auf den plattgemachten Idealismus der Vorgängergeneration. Mit der nachtblauen Gitarre zwischen zwei übergroßen Füßen erinnert das Bild in seiner Farbpalette und Bildsprache an Picassos Gemälde Der alte Gitarrenspieler (1903/1904, Abb. C) aus der blauen Periode. Büttners malerischer Kannibalismus ist trotz seines bewusst einfachen und formelhaften Stils im Wesen demütiger und melancholischer als der seiner Mitstreiter*innen. Man könnte anführen, dass die expressionistische Angst des Künstlers nur ein vordergründiges Spiel ist, eine Art Versinnbildlichung des teutonischen Ernstes, und uns auf die falsche Fährte locken soll. Wenn er seine Vorgehensweise jedoch als »erbärmlichen Hund« beschreibt, »der sein erbärmliches Revier markiert« 2 , stellt dies die Vorstellung infrage, dass es sich um eine Karikatur von Befindlichkeiten handeln könnte.3 Nun ist Büttner aber ein Widerborst, wie er im Buche steht, und wenn er sich das Credo Satans »non serviam – ich werde nicht dienen« zu eigen macht, erinnert er uns daran, dass eine fatalistische Selbstherabsetzung von Haus aus apokryphisch ist: Der freie Wille mag nur ein schöner Traum sein, aber das Ego
A
B A Martin Kippenberger, Modell Interconti (Peter-Skulptur), 1987, Gerhard Richter Gemälde von 1973, Holz, Metall, 32 × 79,5 × 59 cm, Sammlung Gaby und Wilhelm Schürmann, Herzogenrath B Albert Oehlen, Ohne Titel, 1988, Mischtechnik auf Leinwand, 280 × 380 cm, Privatbesitz/ Standort unbekannt C Pablo Picasso, Der alte Gitarrenspieler, 1903/1904, Öl auf Holz, 122,9 × 82,6 cm, Chicago, The Art Institute of Chicago, Helen Birch Bartlett Memorial Collection D Selbstbildnis im Kino onanierend, 1981, Öl auf Leinwand, 150 × 115 cm E Selbst als Karrierefred, 1986, Öl auf Leinwand, 240 × 190 cm
C D E
2 Gilda Williams: »Werner Büttner’s Collages: From A to T (and Back Again)«, in: Werner Büttner, My Looting Eye, London 2016, S. 8. 3 Werner Büttner: »Von Geworfenheit und Verstrickung«, in: Last Lecture Show, Hamburg 2021, S. 39 – 40. bleibt bestehen – und mit ihm das Streben nach Herrschaft, oder zumindest der Überlebenswille. Mit seiner von jeher unverwechselbaren, mal nachdenklichen, mal sardonischen oder auch gleichnishaften Herangehensweise an Politik und Kunstgeschichte beschwört der in Ostdeutschland Geborene die existenziellen Nöte des Normalsterblichen herauf, indem er das Tragikomische und Banale bemüht. Nirgendwo tritt dies offenkundiger zutage als in seinen Selbstbildnissen, die der unentrinnbaren Weltmüdigkeit angesichts unserer mit Makeln behafteten und erbärmlichen Existenz Ausdruck verleihen. Das berühmt-berüchtigte Selbstbildnis im Kino onanierend (1981, Abb. D) präsentiert diesen Blick auf die Welt mit dem komisch wirkenden Selbstbewusstsein eines durchgedrehten Hofnarren. Hier wird uns wortlos und auf abstoßende Weise ein Gemächt in einer Popcorntüte präsentiert, wobei der Künstler – mit einem Gestus, der zwischen verletzlicher Blöße und furchteinflößender Zurschaustellung oszilliert – zum Zugreifen einlädt. Die weit aufgerissenen Augen, das vor Wollust angespannte Gesicht und die zwischen den Lippen hervortretende Zungenspitze sind jedoch alles andere als einladend. Dieses rohe Motiv, das vor Blasphemie und Einsamkeit nur so strotzt, ist ein Sinnbild des Künstlers als Perversling, ein Sinnbild des einsamen Sex und des Pathos der Lust. Die Wiederauferstehung des Lebens aus dem schlaffen sterblichen Zustand ist in seiner Sinnlosigkeit überwältigend. Selbst als Karrierefred (1986, Abb. E) inszeniert die Sinnlosigkeit des künstlerischen Strebens noch ausdrücklicher; hier erklimmt eine mit groben Pinselstrichen gemalte affenähnliche Gestalt in dem Versuch, Unsterblichkeit zu erlangen, eine blau-weiß gestreifte Mauer. Auf Büttners Gemälden aus dieser Zeit tauchen häufiger Affen auf, die auf den Galgenhumor verweisen – der für ihn als Medium in gewisser Weise ebenso wichtig ist wie die Farbe – und auf die niederen Gründe für den Erfolg in der Kunstwelt des Kapitalismus. Die Mauer könnte auch eine Metapher für die Berliner Mauer sein, die damals noch den Osten vom Westen trennte, und den gescheiterten Sozialismus gegenüber der krassen Konsumorientierung, gleichwohl das Gras auf keiner
F G H
Seite grüner ist. In der im Anschluss an die Serie Die Russische Revolution – vom Hörensagen und in Öl von 1985 (Abb. F–I) entstandenen Arbeit hallt die vom Künstler oft vorgebrachte Sicht auf die eigene Erfahrung als Geflüchteter ebenso nach wie die hierdurch beförderte Distanzierung von beiden Systemen: »Das Vergnügen, zwei gegensätzliche Systeme zu erleben, ließ mich alle Systeme meiden und misstrauisch, zweiflerisch und melancholisch werden.« 4 In einer Wiederholung dieser Aussage offenbart Büttner, wie die bereitwillige Annahme dieser Außenseiterrolle seine Arbeit durchdrungenhat: »Das Schicksal sozialisierte mich zum Systemflüchter und demgemäß bevorzugte ich immer das Fragmentarische, Aphoristische, die Rätselrede, das kleine, poetische Dickicht… die Koffer der Systeme sind mir zu schwer«.5 Selbst als Karrierefred und das 25 Jahre später entstandene Bild Die Avantgarde von hinten (2009, Abb. S. 189), stehen in einem indirekten Verhältnis zueinander. Letzteres ist ein großformatiges Gemälde mit acht kosakisch anmutenden Milizionären auf Pferden, die am Rande eines Waldes beisammenstehen. Die Kosaken – dafür bekannt, autonom, widerspenstig und antibolschewistisch zu sein – waren Grenzbewohner, die das Niemandsland nördlich des Schwarzen und Kaspischen Meeres besetzt hatten. Viele verdingten sich im Zarenreich als Grenzschützer und waren Loyalisten, die ihr kriegerisches Geschick und die Erfahrungen einer jahrhundertelang währenden Revolte gegen ihre Freiheit eintauschten. Für Büttner entspricht diese Bereitschaft, alles zu tun, um seine Unabhängigkeit zu bewahren, auf symbolische Weise seiner eigenen Position gegenüber der Kunstwelt, wie der Titel der Arbeit andeutet. Wie linksgerichtet seine ideologischen und politischen Vorlieben auch sein mögen – sein rebellischer Geist speist sich aus dem existenziellen Unbehagen: »Jeder steht für sich allein, in seiner eigenen Zeit, und hat mit seinem ganz eigenen Mist zu kämpfen und muss dann entscheiden, ob er sich darin suhlt, ihn ignoriert oder herunterwürgt.« 6 Von Geworfenheit und Verstrickung (2017, Abb. S. 46/47), der Titel eines Gemäldes und zugleich eines Textes Büttners, der in diesem
4 Zitiert aus: Jo Lawson-Tancred, »Werner Büttner: Humour in Darkness«, in: Port Magazine, 20. Juni 2018; https://www. port-magazine.com/art-photography/wer ner-buttner-humour-in-darkness/ [zuletzt August 2021]. 5 Zitiert aus: Harald Falckenberg, »Theorien von mittlerer Reichweite. Einige Details«, in: Werner Büttner – Verkehrte Welt. Hg. Uta Grosenick, Deichtorhallen Hamburg, Köln 2003, S. 14. 6 Zitiert aus: Jan Verwoert, »Melodic Thinking«, in: Frieze Magazine, 23. Mai 2013; https://www.frieze.com/article/gegendarstel lung-zur-wirklichkeit [zuletzt August 2021]. 7 Zitiert aus: Es begann also mit einem One-Night-Stand. Werner Büttner im Interview mit Hans Ulrich Obrist, Hamburg 2018, S. 1.
I
Buch abgedruckt ist, gewährt uns Einblicke, wie – und wo – alles begann. In einem weiteren Selbstporträt sehen wir rückblickend den kleinen Werner rittlings auf einem Pony sitzen – einen zukünftigen Kosaken. Locker hält er die Zügel in seinen Händen, sein trauriger Blick korrespondiert mit dem starren Blick des Ponys, von dem wir nur das uns zugewandte Auge sehen. Als schlichte, nahezu schwarz-weiße Formen ragen sie im rechten Vordergrund des Bildes auf, wo sie sich auf einer Anhöhe befinden, hinter der sich in der Ferne Jena erstreckt, die Heimatstadt des Künstlers. Diese in einem warmen Sonnengelb gehaltene Szenerie hat Büttner nicht etwa aus dem Gedächtnis gemalt, sondern nach einer alten Ansichtskarte. Der Künstler macht keinen Hehl aus der Bildquelle, sondern verwandelt sie in eine billig wirkende theatralische Kulisse, bei der die mittelalterlichen Festungsmauern der Stadt einer Schemazeichnung gleichen. Auf der linken Seite, gegenüber von Junge und Pony, ist ein verwachsener, blattloser Baum zu sehen, der vom Bildrand angeschnitten wird. Die collagenhafte, bühnenartige Wirkung der Arbeit wird noch gesteigert durch die Darstellung von Himmel und Erdboden als abgetrennte malerische Felder, die durch den weißen Rand der Postkarte begrenzt werden. Die komplexe Ausführung und Konzeption des Werkes täuscht über das rührselige Sujet hinweg, in dem eine Kindheit wiederhallt, an die sich der Künstler gern erinnert. Büttner ist in einer waldnahen Wohnsiedlung aus den 1930er Jahren am Stadtrand von Jena aufgewachsen, und seine glücklichen Erinnerungen trotzen der Propaganda des »heuchlerischen Westens«,7 die das Leben in der DDR als trist und unfrei definieren würde. Diese vielversprechende Idylle fand ein jähes Ende, als die Mutter des Künstlers plötzlich beschloss, ihrem abtrünnigen Gatten mit ihrem siebenjährigen Sohn im Schlepptau in den Westen zu folgen. Von Geworfenheit und Verstrickung scheint diese Abreise wiederaufleben zu lassen, um sie als Geschichte vom verlorenen Sohn – allerdings ohne Versöhnungsfest – neu zu denken. Die Darstellung eines Jungen, der allein zu einer unvorhergesehenen Reise durch die Erinnerungslandschaft aufbricht, beschwört das idealisierte Künstlerschicksal der Romantik herauf.
Damit wir nicht auf die Idee kommen, das sei alles gewesen, vermerkt Büttners gleichnamiger Text warnend, »[dass] unsere hymnische Verehrung der Freiheit ein magisches Sedativum ist.« 8 Er untergräbt damit jeden Anschein von Kontrolle über die Situation oder vermeintliche Möglichkeiten, zu entkommen, da die Erbarmungslosigkeit des Schicksals – ob zufällig oder willentlich herbeigeführt – immer wieder dazwischenfunken wird. Das betrifft selbst den Tod und diesbezügliche Pläne, die man dafür hat. So schreibt der Künstler von dem vereitelten Vorhaben, ein Mausoleum für sich selbst zu errichten, um das zu verweigern, »was die Natur von uns will: Sie will […] mit unserem Kadaver ein klein wenig die Krume erhöhen.« 9 In der Stadt Hamburg, in der er nicht mehr lebt, haben die Launen der Bürokratie dafür gesorgt, dass überirdische Grabstätten nicht mehr erlaubt sind. Schon die von ihm gewählte Grabinschrift »Vermutlich wird auch der Tod eine Enttäuschung sein« ist Vorbote dessen, was da noch kommt. Doch wie der namenlose Protagonist aus Samuel Becketts handlungslosem Roman Der Namenlose aus dem Jahr 1953 weiß der Künstler: »Man muss weitermachen, ich kann nicht weitermachen, ich werde weitermachen.« 10 Dies tut Büttner mit zynischer, gerissener und eigenwilliger Entschlossenheit und nimmt auch das Unausweichliche an: »Denn wenn ich Mahood bin, so bin ich auch Worm. Pluff. Und wenn ich noch nicht Worm bin, werde ich es sein, wenn ich nicht mehr Mahood bin. Pluff. Auf, nun zu ernsten Dingen.« 11
8 Werner Büttner: »Von Geworfenheit und Verstrickung«, in: Last Lecture Show, Hamburg, 2021, S. 40. 9 Ebd., S. 39. 10 Samuel Beckett: Drei Romane. Molloy, Malone stirbt, Der Namenlose, Frankfurt am Main 2005, S. 566. 11 Ebd., S. 461.