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Vorwort

Der vorliegende Katalog erscheint anlässlich der Ausstellung Last Lecture Show von Werner Büttner in der Hamburger Kunsthalle und seiner Verabschiedung in den Ruhestand nach über dreißig Jahren Lehrtätigkeit an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK). Büttner prägte seit 1989 als Professor für Malerei die Lehre und Ausrichtung des Studienschwerpunktes Malerei/Zeichnen an der HFBK. In der Ausstellung Last Lecture Show sind Gemälde und Collagen aus den letzten drei Jahrzehnten zu sehen, die in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle präsentiert werden. Büttner konzipierte selbst sieben thematische Kapitel, in die er die ausgestellten Werke einordnete und die im Katalog neben ergänzendem Bildmaterial aus anderen Schaffensphasen abgebildet sind. In den pointiert betitelten Ausstellungskapiteln wie »Von Geworfenheit und Verstrickung« oder »Unvernunft keimt, wie Unkraut, schon bei Sternenlicht«, zu denen Büttner einführende Texte schrieb, die den Katalogbeiträgen vorangestellt sind, wird keiner chronologischen Logik gefolgt. Vielmehr liegt ein Querschnitt wiederkehrender Themen und Motive vor, die Büttner – etwa im Dialog mit prominenten Vorbildern, denen er sich in einer Art »prägender Verehrung« verbunden sieht – erkundet und die er inhaltlich und motivisch seziert, um sie in eigene Bildideen zu überführen und neu zusammenzusetzen. Büttners Perspektive ist dabei nicht der Vergangenheit verhaftet, auch wenn bisweilen biografische Bezüge anklingen, die mit der deutschen Zeitgeschichte verbunden sind, wie Badende Russen II (1984, S. 176) oder Von Geworfenheit und Verstrickung (2017, S. 46/47), oder indem er klassische Motive aus der antiken Mythologie und christlichen Ikonografie aufgreift. Mit der kanonisierten Bildsprache der Malerei jonglierend triumphiert Büttner über sein Publikum, das angesichts greller, schreiender Farben, rätselhafter Motive und anspielungsreicher Bildtitel bisweilen fragend zurückbleibt. Genau diesem Aspekt gebührt Aufmerksamkeit, denn es ist besonders dieses Moment des Überraschtseins und Rätselns bei der Betrachtung der Werke Büttners, dass die Neugierde entfacht und in der Erinnerung nachklingt. Es ist höchste Zeit, Werner Büttner mit einer umfangreichen Einzelausstellung in der Hamburger Kunsthalle zu ehren und ihn in einer »Abtritts-

vorlesung« – wie es in Alexander Klars Beitrag so treffend heißt –, seiner Last Lecture Show, mit allen Facetten seines subtilen und (staub-) trockenen Humors, seiner intellektuellen Fallstricke und provokanten Anspielungen auf gegenwärtige gesellschaftliche Debatten und künstlerische Diskurse zu zeigen und zu Wort kommen zu lassen. Die Ausstellung und der Katalog zu Werner Büttners Last Lecture Show ist ein Kooperationsprojekt zwischen der HFBK und der Hamburger Kunsthalle. Uns als Herausgebern dieser Publikation ist es ein großes Anliegen, den Malerei-Professor Werner Büttner als Gelehrten vorzustellen, der durch sein Auftreten und seinen provokanten Humor in Seminaren und Vorträgen eine moralische Haltung und intellektuelle Schärfe zum Besten gab, die viele Nachwuchskünstler*innen und Kolleg*innen geprägt hat. Es freut uns sehr, dass wir für die vorliegende Publikation Autor*innen gewinnen konnten, die teils zum ersten Mal über Büttners Malerei schreiben und deren Beiträge neue Perspektiven auf seine Bildsprache und Malweise oder sein Selbstverständnis als Künstler eröffnen und zur Diskussion stellen. Innerhalb der letzten etwa zwanzig Jahre haben sich Büttners Malstil und Farbauftrag auffallend stark verändert: Ganz anders als etwa noch in den 1980er Jahren, als er in einem Atemzug mit den Jungen Wilden wie Martin Kippenberger und Albert Oehlen genannt wurde, sind es nicht mehr die dunklen, erdigen Farben, sondern bunte und grelle Töne. Die gestische, mit dicken Farbschlieren versehene Malweise tauschte Büttner gegen einen gesättigten, glatten Farbauftrag ein. Auf den ersten Blick wirkt die Machart seiner Bilder seit den 1990er Jahren klar definiert und smart komponiert, bei näherer Betrachtung zeigen sich Lücken in der Bildoberfläche und es blitzen darunterliegende Farbschichten durch, etwa wie bei Büttner geht von Bord (2020, S. 50/51), Ausgebrannter Hengst (2018, S. 228) oder Rosenscharmützel (2007, S. 121). Dazu von unserer Autorin Larissa Kikol befragt, sprach Büttner in diesem Zusammenhang von »fadenscheiniger Malerei«. Diese Antwort Büttners ist gleichzeitig Wortspiel und Understatement der eigenen künstlerischen Strategie, und somit »typisch Werner Büttner«. Zugleich ist sie ein Verweis auf seinen vordergründigen, dunklen Humor, der, wie Barry Schwabsky in seinem Beitrag konstatiert, nicht witzig ist – und genau das ist eine wohlkalkulierte Strategie. Es sind Bilder wie Quel début! (2003, S. 31), Selbst als Karrierefred (1986, S. 13) oder Selbstbildnis im Kino onanierend (1981, S. 13), bei denen das Lachen im Halse stecken bleibt und die als bewusst angelegte Selbstbildnisse mitunter schonungslos den Blick auf menschliche Makel oder moralische Unzulänglichkeiten offenbaren, wie Jane Ursula Harris in ihrem Beitrag analysiert. Kate Brown spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer »gewieften Selbstherabsetzung«, die sich als »wahrer Triumph« entpuppt (S. 101). Auf diese Weise macht Büttner aus der Not eine Tugend, wenn er menschliches Verhalten zwar als fehlbar und lächerlich darstellt, dabei jedoch eine Form des Humors anwendet, durch die sich der Makel als allenfalls belustigende Eigenart verkraften lässt, wie es in den Ausstellungskapiteln »Von Geworfenheit und Verstrickung«, »Aus dem Leben der Loser« oder »Flucht ins Duett« deutlich wird. Büttner schafft folgerichtig auch keine Kunst um der Kunst willen, sondern orientiert sich an dem, was die Realität und der Motivschatz der Kunstgeschichte ihm bieten – darunter fallen das menschliche Subjekt oder die Tiere sowie Literatur, Philosophie und Religion. Alexander Klar bespricht in seinem Beitrag Büttners feinsinnige Bildtitel und zeigt auf, dass die Werke nicht von ihren Titeln zu trennen und dialektisch miteinander verwoben sind: »Es ist Malerei, die der Sprache ebenso verpflichtet ist wie dem ikonischen Bild. In beiden Fällen, Sprache wie Bild, dominiert das Ambivalente, aber auch das Unsagbare, am Ende sogar das Unmalbare.« (S. 179) Büttner gelingt es bravourös, ambivalente Emotionen bildlich zu fassen. Spielend kombiniert er Themen gesellschaftlicher Tabus mit seiner »fadenscheinigen« Malweise. Zugleich wendet sich Büttner Motiven zu, die in der gegenwärtigen Malerei nicht en vogue sind, wie zum Beispiel das Tiermotiv, mithilfe dessen

er in gleichnishafter Bildsprache die sogenannten animalischen Triebe durchspielt. Dabei ist es das Verhalten des Menschen gegenüber dem Tier, das Büttner in seinen Arbeiten als seltsam herausstellt, und durch welches, wie es Büttner in seinem einführenden Text zum Ausstellungskapitel »Parallelkreaturen« im Falle des Haustieres treffend bemerkt, ein Wunder geschehe: »Ein Tier wird in einen Menschen verwandelt.« (S. 148) Bei der Betrachtung der Tiermotive Büttners mag es einem zweifellos dämmern, dass den Menschen nicht so viel vom Animalischen trennt – so sehr sich der Primat auch anstrengt. So deprimierend diese Feststellung auch sein mag, Büttners Werke laden zur Ablenkung in Form intellektueller Höhenflüge ein. Es sind etwa die Verweise auf künstlerische Genien, mit denen er sich misst und denen sich Büttner wie in einer Art von »Wahlverwandtschaft« verbunden fühlt, wie es Bettina Uppenkamp und Wolfgang Ullrich in ihren Beiträgen zum Ausstellungskapitel »Prägende Verehrung« herleiten. Uppenkamp führt überzeugend und kenntnisreich aus, dass in Büttners Werken auffallende Bezüge zur Kunst von Francisco de Goya zu entdecken sind, wie in Originelle Kopie (Frauenraub nach Goya) (2018, S. 66/67). Büttner ahmt sein Vorbild nicht einfach nach, sondern adaptiert einzelne Bildelemente und die Kernaussage des grafischen Vorlagenmotivs Goyas, um sie mittels einer abstrahierenden Formensprache in das Medium Malerei und in ein großes Format zu übertragen – die Vergrößerung des Maßstabs der bildlichen Darstellung kann bereits als Ehrerbietung gedeutet werden. Ullrich konzentriert sich auf die Auseinandersetzung Büttners mit René Magritte, dessen im Krieg zerstörtes Gemälde Büttner reanimiert, indem er das zitierte Motiv monumentalisiert und transformiert, benannt als Wiedergutmachung (Magrittes »Le Barbare«, 1940 durch deutsche Bomben auf London zerstört, 2021, S. 70 ). Die Reverenz an Vorbilder der Kunstgeschichte ist ein Akt der Verehrung. Ein anderes Verfahren des sich Anverwandelns anderer Bilder ist bei Büttner der Kauf von Gemälden auf Flohmärkten und die anschließende Bearbeitung der Fundstücke. In »Aus dem Sanatorium meiner Hände« beschreibt Büttner, dass er die so erstandenen Bilder »heilen« möchte, um die bisher von der Öffentlichkeit übersehenen Kunstwerke durch »[H]inzufügen und [W]egnehmen, […] würdevoll leben zu lassen« (S. 191). Ullrich konstatiert, dass Büttner die Flohmarktbilder mit seinen Überarbeitungen in einem Akt moralischer »Wiedergutmachung« nobilitiert, so geschehen bei Die Avantgarde von hinten (2009, S. 189) oder Club Niemals (2001, S. 185). Die Frage ist, ob dieses Vorgehen eine Dekonstruktion des Vorgefundenen darstellt, die moralisch und als künstlerische Strategie verstanden vertretbar ist? Melanie Ohnemus geht in ihrem Beitrag diesem Aspekt anhand eines Künstlervergleichs nach, indem sie Büttners Die Avantgarde von hinten (2009) das überarbeitete Gemälde L’avantgarde se rend pas (Die Avantgarde ergibt sich nicht) (1962, S. 172) von Asger Jorn gegenüberstellt. Gegen die Institutionalisierung avantgardistischer – und somit als oppositionell zu verstehende – Kunst rebellierend, habe Jorn seine Übermalungen bewusst als Intervention genutzt, um vorgefundenes Bildmaterial neu zu interpretieren und das Medium Malerei für zeitgenössische künstlerische Strategien zu öffnen. Während Jorn jegliche Kunstwerke als Objekte auffasste, die er im Sinne eines experimentellen Kunstverständnisses uminterpretieren und künstlerisch verändern könne, verfolge Büttner ein anderes Ziel, indem er sich malend mit den Flohmarktbildern »verbinde«, um das »Beste« aus ihnen hervorzubringen. Scheint es bei dieser Strategie vor allem um stilistische und formale Eigenschaften eines Bildes zu gehen, widmet sich Büttner in einem anderen dekonstruktivistischen Verfahren auf inhaltlicher Ebene der Neuinterpretation, indem er antike Mythologien aufruft und ihnen neue Sinnebenen einhaucht. Sarah Edith James argumentiert in ihrem Beitrag, dass Büttners Verwendung von mythologischen Motiven an die offizielle und inoffizielle Malerei in der DDR erinnere. Allerdings nehme Büttner die mythologischen Motive nicht im Sinne einer subversiven Kritik oder als politisch motivierte Metapher in Anspruch, wie es bei Wolfgang Mattheuers Sisyphos-Figur der Fall war. Büttners Sisyphos

kämpft nicht als Symbol der Unterdrückten, vielmehr deutet er das tradierte Motiv um und überführt es in dem Holzschnitt Sisyphos vice versa (1989, S. 169) in eine postmoderne Lesart: Der Felsbrocken ist das Symbol künstlerischen Strebens, das bemüht ist, neue Welten zu erschaffen und dabei an den Bedingungen der Realität – im Sinne des sich ihm immer in den Weg stellenden Sisyphos – scheitert (oder scheitern muss). Dass sich in Büttners künstlerischer Strategie, aus dem vorgefundenen Material der Anschauung jegliches Sediment des Absurden herauszukitzeln und in eine bildhafte Form zu bringen, kein Scheitern, sondern immer ein »Vorwärts« ankündigt, wird anhand der im Katalog gesammelten Werke deutlich. Die Themen und Genres seines Schaffens erweisen sich als mannigfach und lassen sich auf Debatten und Diskurse in Politik, Kunst und Gesellschaft beziehen, zugleich erweist sich seine Malweise und Bildsprache als eigenständige und starke Position innerhalb der Gegenwartskunst. Die Ausstellung und der Katalog verorten Büttners Rolle im aktuellen Kunstdiskurs und zeigen auf, dass sein Œuvre ausgesprochen anschlussfähig, kontrovers, provokant und geistreich ist. Werner Büttner nimmt zwar seinen Hut, um die Hochschule zu verlassen, aber wir bleiben gespannt auf weitere Vorstellungen seines tiefsinnigen und bissigen Theaters. Unser ausdrücklicher Dank geht an den zu ehrenden Künstler selbst, denn Werner Büttner komponierte das Konzept seiner Last Lecture Show nebst einführender Künstlertexte als Kunstwerk sui generis. Der vorliegende Katalog gibt Dramaturgie und Inhalt der Ausstellung konsequent wider. Wir danken insbesondere HFBK-Professor Ingo Offermanns für die in enger Zusammenarbeit mit Werner Büttner präzise auf sein künstlerisches Konzept abgestimmte Gestaltung des Katalogs. Dr. Josephine Karg war für das Projektmanagement und die Redaktion des Katalogs verantwortlich, sie hielt das Projekt im Innersten zusammen und sorgte für die Zusammenführung aller losen Enden dieses ambitionierten Ausstellungs- und Katalogprojektes – herzlichen Dank! Wir danken allen Mitarbeiter*innen der Hamburger Kunsthalle und der HFBK, die an der Planung und Realisierung der Ausstellung und des Katalogs beteiligt waren. Insbesondere gilt unser Dank allen Autor*innen des Katalogs, die mit ihren mitreißenden und scharfsinnigen Beiträgen zu einer neuen Sicht auf die Kunst Werner Büttners einladen und seine Bildsprache im gegenwärtigen Kunstdiskurs pointiert und prägnant verorten. Allen beteiligten Übersetzer*innen und den Lektor*innen danken wir für ihre gewissenhafte Arbeit und Expertise.

Prof. Martin Köttering Präsident Hochschule für bildende Künste Hamburg

Prof. Dr. Alexander Klar Direktor Hamburger Kunsthalle

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