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Von der Ära der Götter bis zu den guten alten Zeiten des Kalten Krieges und darüber hinaus: A Rock Caught Between two Hard Places

1 Diese Haltung kommt in vielen seiner Werke zum Ausdruck, wie in seiner in einem Zeitraum von 20 Jahren entstandenen Serie Schrecken der Demokratie (1979–1999). Eine der selbstreflektierenden und selbstmythologisierenden Äußerungen von Werner Büttner findet in Katalogtexten und Interviews immer wieder Erwähnung – und zwar die Geschichte, dass der Künstler 1961, also kurz vor dem Bau der Berliner Mauer, von seiner Mutter aus der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nach Westdeutschland »verschleppt« worden sei. Warum bezeichnet Büttner diese Republikflucht, einen Schritt, zu dem sich so viele Familien oder Einzelpersonen entschlossen hatten, als Verschleppung? Auch unter Berücksichtigung seines Faibles für das Geschichtenerzählen – er ist ein großer Freund der literarischen Satire und der Farce – und seiner Schwäche dafür zu schockieren, offenbart dieses oft wiederholte Detail in Büttners Biografie doch mehr über die psychologischen Abgründe seines malerischen Werks, als man zunächst annehmen würde. Es sorgt nicht nur dafür, dass Büttners Ausreise etwas Skandalöses und Aufsehenerregendes bekommt, sondern trägt wesentlich zur Entschuldigung seines Weggangs bei, indem es diesen mit dem zarten Alter begründet, also damit, dass der damals siebenjährige Büttner bei der Entscheidung, das Land zu verlassen, kein Mitspracherecht hatte. Durch diese oft wiederholte Geschichte unterscheidet sich Büttner von den Künstler*innen einer älteren Generation – Gerhard Richter, Georg Baselitz und später A. R. Penck –, die ihre künstlerische Ausbildung in der DDR erhielten, diese aber aus ideologischen Gründen verließen und den provinziellen Sozialistischen Realismus kritisierten. Stattdessen wird der Ursprung von Büttners ambivalenter Haltung gegenüber dem kapitalistischen Westen, der sein Zuhause wurde, mit dem gegen seinen Willen auf die andere Seite des Eisernen Vorhangs geschmuggelten Kindes in Zusammenhang gebracht.1 Die Subjekte und Objekte eines im Kapitalismus gelebten Lebens, das mit der ethnografischen Distanz eines Außenseiters betrachtet wird, durchziehen Büttners Werk, von den Mischtechniken Erste Versuche (1980, Abb. A) – Zeichnungen auf Lohnsteuerkarten – bis hin zu den gern aus der Werbung übernommenen Motiven. Seine frühere Positionierung in Bezug auf das kommunistische Gegenüber beibehaltend spricht Büttner nicht wie Richter oder Baselitz höhnisch

oder gar beschämt von Ostdeutschland, sondern eher liebevoll, wenn er es als den »kurzlebigen Staat« in »jenen guten alten Zeiten des Kalten Krieges« bezeichnet.2 Sein Verhältnis zum Osten hat dabei aber häufig etwas Parodistisches oder Ironisches – eine gemeinsame Ausstellung mit seinen engen Freunden und Kollegen Martin Kippenberger und Albert Oehlen im Jahr 1984 hieß in Anlehnung an die ideologisierte Sprache der DDR Wahrheit ist Arbeit. In Erinnerung an seine Kindheit dort bekennt Büttner mit jenem Humor und jener Fantasie, die es mit den historischen Gegebenheiten manchmal nicht zu genau nimmt, und die seinen Kunstwerken einen ganz besonderen Glanz verleihen: »Ich war ein hervorragender Jungpionier […]. Manchmal denke ich, wenn wir in der DDR geblieben wären, […] dann wäre ich 1989 Egon Krenz und etwas zickiger beim Verkauf der DDR gewesen.« 3 Diese Haltung Büttners, obschon er sie hier überspitzt und ins Absurde überzeichnet, wurde von vielen radikalen Künstler*innen und Kulturschaffenden im Ostdeutschland des Jahres 1989 geteilt. So wie sich Büttner vorstellt, dass der sozialistische Staat in einem Paralleluniversum mit ihm als letztem Regierungsoberhaupt vielleicht ein besseres Ende genommen hätte, finden sich in Büttners Œuvre von den Anfängen bis zu den neuesten Werken zahlreiche Verweise auf den Kommunismus. Die russische Revolution – vom Hörensagen und in Öl (1985, Abb. B–C) interpretiert den berühmten Sturm auf das Winterpalais und andere nach der Revolution entstandene Historienbilder neu. Opus Magma (2007, Abb. D) zeigt Wladimir I. Lenin auf seinem Totenbett, von psychedelischen Schlieren in leuchtend rotem und blauem Acryl umgeben und das Wort »LOVE« auf die Fingerknöchel tätowiert – ein Motiv, das in Der geduldige Götze (2015, Abb. S. 81) wieder auftaucht. Bei Whirling Weltgeist (2020, Abb. S. 75) scheint Büttner die Ästhetik der sowjetischen Plakatkunst aufzugreifen. Das

A Erste Versuche, 1980, Mischtechnik auf Lohnsteuerkarte, je 21 × 14,8 cm B – C Die russische Revolution – vom Hörensagen und in Öl, 1985, mehrteilig, Öl auf Leinwand, B: Der Sturm auf das Winterpalais, 190 × 240 cm, C: Sippenhinrichtung, 50 × 60 cm D Opus Magma, 2007, Öl auf Leinwand, 150 × 120 cm E Wolfgang Mattheuer, Die Flucht des Sisyphos, 1972, Öl auf Hartfaserplatte, 96,8 × 118 cm, Dresden, Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

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2 Werner Büttner, »The tiny New York Statement«, in: Werner Büttner: Poor Souls, New York 2016, S. 81. 3 Zitiert aus: Es begann also mit einem One-Night-Stand. Werner Büttner im Interview mit Hans Ulrich Olbrist, hg. von Wigger Bierma für die Hochschule für bildende Künste Hamburg, Hamburg 2018, S. 1 f. Bild zeigt eine wie ein Derwisch tanzende Gestalt in einem langen Gewand, die einen roten Fes wie einen Eimer auf dem Kopf trägt, sodass er ihm die Sicht nimmt. Der Titel ist eine Anspielung auf den philosophischen Begriff – und zwar insbesondere auf Hegels dialektische Verwendung desselben – einer unsichtbaren Kraft, welcher die Weltgeschichte bestimmt – und der später als gedanklicher Rahmen der kommunistischen Revolution aufgegriffen werden sollte. Bei Die Internationale der Leidtragenden kennt keine Nachwuchssorgen (2015, Abb. S. 82) wird die Idee einer sozialistischen Internationale von einer länderübergreifenden Qual abgelöst, oder vielleicht eher durch eine hohle Form der Selbsthilfe und des Selbstbekenntnisses; einmal mehr scheint Büttner hier dem Verlust utopischer Politikentwürfe in der postkommunistischen Zeit hinterherzutrauern. Auch wenn viele Kommentator*innen angemerkt haben, dass er bei der Entstehung seiner Bilder aus den 1980ern die beiden Lager des Kalten Krieges vor Augen gehabt habe, hat Büttner immer wieder betont, dass seine kritische Aneignung der Historienmalerei und kommunistischer Sujets wenig mit seiner Vergangenheit in Ostdeutschland zu tun habe. Er kehre vielmehr zu den Grundlagen der Malerei zurück, zu ihren Traditionen und großen Themen, um sie umzukrempeln und zu erneuern. Auch Kippenberger hat gern auf die ideologische Welt des Sozialistischen Realismus verwiesen – in seinen Gemälden der 1980er Jahre tauchen immer wieder revolutionäre Bauern, Traktoren und Angehörige des Proletariats auf. Doch Büttners Arbeiten aus dieser Zeit und danach weisen eine Besonderheit auf, welche die Verbindung zwischen dem »verschleppten Kind« und der Malerei des »Staatssozialismus« wiederherstellt, und die seltsamerweise bislang übersehen wurde. Es ist dies die beständige Verwendung der Symbolik der antiken Mythologie – eine Strategie, welche auch bei den subversiveren Werken der offiziellen und inoffiziellen Malerei der DDR zum Einsatz kam. Diese Gemeinsamkeit Büttners mit einer Malerei der DDR, die nicht mit dem Sozialistischen Realismus konform ging, auf den Kippenberger anspielt, führt an jene Spielart der Postmoderne heran, die Büttners Werk innewohnt, und die sich deutlich von der

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Postmoderne unterscheidet, die im gleichen Zeitraum in den USA gang und gebe wurde. In Ostdeutschland wurde die Verwendung von mythologischen Motiven und Symbolen der christlichen Ikonografie in der Malerei zum beliebtesten Mittel bei der Beschäftigung mit gesellschaftlichen Problemen der Gegenwart und fortschreitender Kritik am Staat, getarnt durch die Bildsprache der klassischen Antike. In den 1970ern wurde die Mehrdeutigkeit der Mythologie von bekannten und auch offiziell wohlgelittenen Malern wie Wolfgang Mattheuer und Bernhard Heisig breit eingesetzt, um Sujets so wenig greifbar darzustellen, dass sie auf gegensätzliche Weise – also sowohl als Huldigung an die Obrigkeit wie auch als Kritik am Regime – verstanden werden konnten. So wurde zum Beispiel Ikarus zu einem beliebten Sinnbild für die Fortschrittlichkeit des Kommunismus, bei dem eine deutliche Kritik mitschwang, und Sisyphos – der mythische König, der für seine Selbstherrlichkeit bestraft wurde, indem er gezwungen wurde, bis in alle Ewigkeit einen Felsblock einen Berg hinaufzurollen, der, kaum, dass er oben ist, wieder hinunterrollt – wurde zu einem Symbol für die Bevölkerung der DDR und den absurden Umstand, dass diese Menschen sich für eine nie verwirklichte Revolution abmühten. Viele Kunsthistoriker*innen haben darauf hingewiesen, dass Wolfgang Mattheuer mit der Selbstbefreiung der mythologischen Gestalt in Werken wie Die Flucht des Sisyphos (1972, Abb. E) oder Sisyphos behaut den Stein (1974, Abb. F) den Mythos neu erfunden und so ein Sinnbild für den Widerstand geliefert habe. Büttner widmet sich denselben Mythen und definiert sie neu. In seiner Arbeit Der blöde Ikarus von 1987 (Abb. G) wird die Figur ins Lächerliche gezogen – sie hat riesige Insektenflügel anstelle von Armen und balanciert unsicher auf einem Fass. In Sisyphos vice versa (Abb. H), einem Linolschnitt von 1989, stellt sich der Künstler nicht etwa als der König, sondern als Fels dar – also als jenes leblose Objekt, das durch einen im wahrsten Sinne des Wortes verdammten Despoten dazu gezwungen wird, sein einsames Scheitern fortwährend zu wiederholen. Wenn sich Büttner immer wieder der Mythologie bedient, dann weniger auf die Art und Weise der Künstler*innen der ehemaligen DDR, sondern eher, um

F Wolfgang Mattheuer, Sisyphos behaut den Stein, 1974, Öl auf Hartfaserplatte, 96 × 119,5 cm, Dresden, Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden G Der blöde Ikarus, 1987, Öl auf Leinwand, 150 × 190 cm H Sisyphos vice versa, 1989, Linolschnitt, 62 × 62 cm I Räudiges, freudig streunend …, 2002, Öl auf Leinwand, 150 × 120 cm J Niemandsland, 2011, Öl auf Leinwand, 190 × 190 cm die allgemein anerkannten Grenzen der Symbole zu überschreiten, um eine Art extreme »Ekelhafte Symbolik« (2016, Abb. S. 88) – so auch der Titel einer seiner Arbeiten – zu erzeugen. In seinen Gemälden tauchen nicht nur Gestalten der klassischen Mythologie von Leda und dem Schwan bis hin zu Arachne und Pan auf, sondern auch die Themen moderner Mythen – Verschwörungstheorien, hormonelle Fluchten (Hormonhektik in Maigrün, 2020, Abb. S. 124), Klonexperimente. Büttner distanziert sich bei seiner postmodernen Aneignung der Mythologie sowohl von der traditionellen Lesart als auch von der politischen Verwendung mythologischer Motive in der DDR. Gleichzeitig lässt der gestelzte und bewusst melodramatische Einsatz autobiografischer Elemente die heroisierende und moralisierende Überhöhung von in der damaligen BRD prominenten Protagonisten wie Joseph Beuys absurd wirken. Wenn Büttners durchgehende Einbringung der eigenen Biografie – er zögert nicht, uns zu erzählen, dass er sich der Collage nur zugewandt habe, weil er zufällig auf die Zeitschriftensammlung seiner Ex-Frau gestoßen sei, und dass er Oehlen und Kippenberger durch einen One-Night-Stand mit der Mitbewohnerin des Ersteren begegnet sei – die Vorstellung vom Künstler als heterosexuelles, weißes männliches Genie in sich zusammenfallen lässt, dann untergräbt dies auch das Bild vom Künstler als utopischem Mittler des sozialen Wandels. Wie in so vielen seiner Selbstporträts offenkundig wird, hinterfragt Büttner den Mythos des Künstlers – er stellt sich selbst als theatralische und lachhafte Figur dar, ob masturbierend im Kino oder mit verschiedenen Fernbedienungen ausgestattet. Auch Tiere durchziehen Büttners Werk – von Räudiges, freudig streunend … (2002, Abb. I) bis zu Alpharüde (2007, Abb. S. 140/141) wollen sie nach ihren ganz eigenen Kriterien betrachtet werden, und es ist das menschliche Verhältnis zum Tier (egal, ob dieses verkitscht, personifiziert, domestiziert oder gegessen wird), das Büttner

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hierbei als etwas Seltsames präsentiert. Auch dies faszinierte ihn: dass der Mensch im Grunde ein Tier ist, aber nur die Negierung unserer Tierhaftigkeit uns die Selbstdefinition ermöglicht. Büttners Werk ist sowohl in seiner Ironie als auch in der sich durchziehenden Zerlegung der Malerei in ihre Einzelteile postmodern, aber es ist nicht pessimistisch oder destruktiv und weit davon entfernt, das große Medium der Moderne, welches es fortwährend auf lustvolle Weise wiederbeleben möchte, zu demontieren. Nirgendwo wird dies deutlicher als bei Niemandsland (2011, Abb. J), auf dem der riesige, senffarbene Kopf Friedrich Nietzsches über den Rand einer grünen Badewanne ragt, um die Berliner Mauer und die in Violett- und Magentatöne getauchte Landschaft in Augenschein zu nehmen. Hier wird der Antiheld der Moderne, der Urheber des »Übermenschen« und Pate des nihilistischen Spiels der Postmoderne, zu einem Badenden – jenem bedeutenden Sujet der Bildwelt der Moderne seit Paul Cézanne. An die Stelle der für das Genre typischen idyllischen Landschaft tritt der Todesstreifen, der Deutschland zweiteilte. Mit diesem auf den ersten Blick lustigen Ansatz schafft Büttner verschiedene komplexe Verweise sowohl auf der symbolischen als auch auf der historischen Ebene und versetzt das Sujet des Gemäldes in die Psychogeografie einer Vergangenheit, in der man die Avantgarde, die Nazis und das geteilte Deutschland unter einen Hut bringen und damit zurechtkommen musste. Ein weiteres schönes Beispiel für die sardonische, mythologische und oft autobiografische Sprache Büttners ist das neuere Gemälde Symbol mit Brillenhämatom (2018, Abb. S. 214/215). Vor einem grauen Hintergrund schwebt eine dreieckige Form über einer zerklüfteten goldenen Landschaft, aus der ein Auge hervorblickt, das von violett unterlaufener Haut umgeben ist: Horus mit einem blauen Auge, seine allsehende Herrlichkeit durch einen beschämenden Bluterguss getrübt. Während dieses Auge früher Schutz gewährte und seinem ehemaligen Besitzer noch im Jenseits Gesundheit verlieh, stößt Büttner die glückbringende Hieroglyphe vom Sockel und entzaubert sie; er lädiert sie sprichwörtlich durch eine belanglose Prügelei und zieht sie damit auf die Ebene von Klatsch und Körperflüssigkeiten herunter. Doch er räumt das Horusauge und seine labyrinthische Symbolik nicht komplett aus dem Weg; es bleibt als nun wesentlich hoffnungsloseres Menschenauge bestehen und schwebt weiterhin im Himmel. Doch kaum, dass wir einen abgedroschenen Witz in dem Werk zu erkennen meinen, klärt Büttner uns darüber auf, dass es in Erinnerung an seine verstorbene Frau Julia entstanden sei – und an die unerklärliche Zerstörung innerer Schönheit, die mit einem plötzlichen Tod einhergeht – das Bild handelt von dem körperlichen Schmerz, der einem die Trauer zufügt. Wenn Büttner in die Sprache der Malerei eindringen will – um ihr eine bestimmte Struktur zu verleihen oder um die Erwartungen bezüglich ihrer Symbolik und Ästhetik zu unterlaufen –, tut er dies auf eine Weise, die wohl mehr der eines Romanautors als der eines Malers entspricht. In seinen Bildern wimmelt es von Aphorismen und Neologismen: eine Hommage an eine besondere Art von Humor, wie sie in den Figuren der Werke des Wiener Sängers, Schauspielers und Dramatikers Johann Nepomuk Nestroy aus dem 19. Jahrhundert zum Ausdruck kommt, der das Wortspiel, die Farce und die Gesellschaftssatire kultivierte. Es fließen aber auch andere Erzähltraditionen in Büttners Ästhetik ein – darunter die eines Nathanael West, US-amerikanischer Erzähler und Verfasser von Satiren wie Miss Lonelyhearts und Der Tag der Heuschrecke, die durch einen ausgeprägten schwarzen Humor gekennzeichnet sind, sowie eines Paul Bowles, Schriftsteller, Komponist und Freund von Tristan Tzara. Wie der Verfasser einer existenzialistischen Erzählung frönt Büttner der Ästhetik der Ich-Erzählung, wobei seine beständige Rückbesinnung und Neuorientierung in der Malerei – wie beim zwanghaften Drehen an einem Zauberwürfel – immer mit einem Sezieren der konkreten tagtäglichen Erfahrungen einhergeht, was es heißt, Künstler zu bleiben und weiterhin Bilder zu malen.

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