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Werner Büttners Last Lecture Show

Werner Büttners »Letzte Vorlesungsausstellung« in der Hamburger Kunsthalle »überfällig« zu nennen, ist eine sicherlich nachvollziehbare Bestandsaufnahme. Nicht dass Hamburg den Künstler nicht für sich erkannt hätte: 1979 schenkte Büttner der Stadt den ersten Büttner’ schen Ausstellungstitel von Rang, der da lautete Enthemmungsprozesse äußern sich am Anfang immer als gute Laune, gezeigt in seinem Atelier in der Fettstraße 7a, vier Jahre später gefolgt von Jenseits konstanter Bemühungen um braven Erfolg in der Produzentengalerie. Der Hamburger Kunstverein zog 1995 nach mit einer Einzelausstellung, die betrüblicherweise keinen herausragenden Titel zu verzeichnen hat, gefolgt von den Deichtorhallen mit dem etwas lahmen Werner Büttner – Verkehrte Welt im Jahr 2003. Nun also die Kunsthalle, und auf den ersten Blick könnte man nächst des späten Zeitpunktes der Retrospektive auch vom Titel Last Lecture Show ein wenig enttäuscht sein. Das allerdings sollte man doch erst einmal hintenanstellen und sich vergegenwärtigen, dass man als Publikum nahezu immer von »letzten« Ausstellungen enttäuscht sein muss, man bekommt ja selten, was man erwartet. Bleiben wir daher erst einmal sachlich: Das Timing von Künstler und Kunsthalle ist eigentlich nichts weniger als perfekt und wir wissen von Groucho Marx, Woody Allen, Harald Schmidt, Sarah Silverman und Carolin Kebekus, dass Timing alles ist. Werner Büttners Last Lecture Show eröffnet in der Hamburger Kunsthalle am Tage der Verabschiedung des Malers aus seiner Lehrtätigkeit als Professor an der Hochschule für bildende Künste Hamburg – hence the title, hence the timing. Seine letzte Vorlesung findet damit in Bildern und vor der Allgemeinheit statt. Hat die akademische Tradition der vergangenen Jahrhunderte das venerable Genre der Antrittsvorlesung zu höchster Blüte geführt, nimmt sich Werner Büttner in der Hamburger Kunsthalle nichts weniger als ein völlig neu zu schaffendes akademisches Format vor: Die Abtrittsvorlesung. Die Ankündigung einer »letzten« Ausstellung ist dabei in ihrer Fallhöhe lediglich mit den letzten Touren großer Bühnenkünstler* innen zu vergleichen, in ihr klingt das lasciate omni speranza ebenso mit wie die knalligen Beklebungen an den Schaufenstern sich auflösender

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Ladengeschäfte. Dem Maler, der die deutsche Sprache in wortmächtigster Weise für sein Werk nutzt, muss übrigens die doppelte Bedeutungsebene des »Abtritts« höchstes Vergnügen bereiten. Dass es durchaus angemessen ist, diesen Text über Werner Büttner mit einer kleinen Improvisation über den Abtritt zu beginnen, sei mit dem Verweis auf das relativ neue Bild Büttner geht von Bord (2020, Abb. S. 50/51) legitimiert, das den Künstler als Scherenschnitt am unteren Treppenlauf der markanten Treppenanlage der HFBK wiedergibt. Die genaue Position des sich selbst ins Bild gemalt habenden Malers ist der sogenannte »Treppenan-« oder auch »-auftritt«. Es ist ein schonungsloser Blick auf den Weg nach unten: Aus der Perspektive der einsamen Figur des Bildes ist diese nahezu am unteren Ende der Treppe angekommen, mithin an dem Ort, an dem man von einem Treppenabtritt sprechen könnte, wenn die architektonische Formenlehre dieses Wort für uns bereithalten würde. Es sind derartige Schonungslosigkeiten, auch gegen sich selbst, die Werner Büttners Werk charakterisieren und auszeichnen. Dem Großmeister der beziehungsreichen Bildtitel, die im Übrigen immer ganz harmlos von schräg unten (da wo das Schildchen üblicherweise hängt) daherkommen, ist also auch hier der Ausstellungstitel zu verdanken, weswegen es sich lohnt, mit der kunsthistorischen Exegese bereits bei diesem Titel zu beginnen. Last Lecture Show lässt sich ableiten aus dem Titel eines amerikanischen Films aus den frühen 1970er Jahren, The Last Picture Show, ein noch (beziehungsweise absichtsvoll) in Schwarz-Weiß gedrehter Film. Seine Erzählung wird zusammengehalten durch das disparate Beziehungsgeflecht einiger Gymnasiast*innen untereinander, aber auch mit den sie umgebenden Erwachsenen. Sexhunger und Verklemmtheit, die Konventionen der amerikanischen Gesellschaft in den flyover countries und der Versuch, diese Konventionen zu durchbrechen, verleihen dem Film Tragik und Vergeblichkeit. Es mag auch das Disparate sein, das Werner Büttner an diesem Film anziehend findet, in jedem Fall sind Tragik und Vergeblichkeit zwei Schlüssel zu den Bildern Büttners. Die Bilder: Komponiert aus dem, was man im Film found footage nennt, entstehen sie aus »gefun-

1 Alle Zitate Werner Büttners entstammen einem Gespräch des Autors mit Werner Büttner am 8.5.2021 in seinem Atelier in Geesthacht.

denen«, vorhandenen Bildern oder Bildfragmenten, die von Büttner in eine Szene oder Szenerie überführt werden. Dem Bild zur Seite gestellt wird ein Text, der gerne auch als Schrift im Bild erscheint, dem Bild aber immer als Titel beigegeben wird. In der Regel ist das Bild da, der Titel kommt hinzu. Werner Büttner: »Es ist eine Form von Freigiebigkeit, der Kunde kriegt ein gutes Bild und eine schöne Formulierung dazu. Der Titel kann einfach nur deskriptiv sein, manchmal ist er eine Deutung, manchmal führt er in die Irre.« 1 Zu ergänzen wäre der Rang seiner Titel als eigenständiger kompositorischer Bestandteil des Bildes, halt nicht im Bild, sondern »schräg unten« (siehe oben). So zu erleben bei dem Bild Badende Russen II (1984, Abb. A): Das Bild war geboren aus einem Foto, auf diesem: Stiefel am Strand, mit Uniform, allerdings keine »Russen«. Diese komponiert der Maler im Bildtitel dazu und platziert sie »schräg unten«. Schrift und Text treiben also sowohl die Komposition als auch die Bildaussage voran, wobei, Halt!, wie steht es mit der Bild»aussage«? Werner Büttners Bilder gehören zu der raren Sorte von Gemälden, vor denen man sich mit Fug und Recht fragen kann: »Was will uns der Künstler hier sagen?« Denn Werner Büttner »sagt« tatsächlich etwas, er sagt es in Bild und Wort und – bitte – in dieser Reihenfolge, denn er ist Maler und nicht Sager. Und doch ist das »Oratorische« seiner Kunst eines der herausragenden Charaktermerkmale seiner Werke. Dies wird nachvollziehbar in der kleinen Arbeit Schismator (2020, Abb. B): Dargestellt ist der tote Martin Luther, wie ihn Lukas Furtenagel (oder ein namentlich nicht bekannter Maler) 1546 auf dem Totenbett wiedergegeben hat. Das von Werner Büttner gefundene Bild wurde von ihm malerisch überarbeitet und deutlich verbessert: So strahlt das ehemals weiße Totengewand nun in leuchtendem Blau, dessen radial aufgetragene Pinselspuren dem Kopf einen inversen, also unter dem Kopf befindlichen, Nimbus hinzufügen. Unter diesem wiederum befindet sich auf einem als Gold lesbaren Grund das Wort SCHISMATOR. Dem ikonischen Bild des toten Luther ist nun das Wort beigegeben und das Wort klagt an. Der Reformator ist hier zum Schismator geworden, zum »Spalter«, zur Ursache der protestantischen Abspaltung vom einzig wahren katholischen Glauben. Es ist dies eine typische Büttner’sche Wortschöpfung, die nicht von ungefähr zwischen »Reformator« und »Terminator« oszilliert. Eine weitere große Arbeit, die ebenfalls Luther und das Wort SCHISMATOR zum Inhalt hat (2020, Abb. C), greift das Cranach-Porträt Luthers von 1530 auf. Dem milde blickenden Luther gegenübergestellt, nimmt der Begriff noch einmal eine andere Nuance an: Liest sich beim toten Luther das Wort als Anklage (nicht umsonst wurde es kraftvoll unterstrichen), so steht es in diesem Bild fast beiläufig, in Versalien zwar, aber in der Tradition einer Renaissancebeschriftung mit Stifternamen. Der Schismator als Stifter der protestantischen Methode sozusagen. Im Begriff Schisma klingt der der Glaubensspaltung inhärente Begriff des Glaubens mit, aber auch der Abfall von jeglicher reinen Lehre, ein Aspekt, der im Leben Werner Büttners nicht zu vernachlässigen ist: In Jena gebürtig, wäre Büttner nach eigener Aussage »in der DDR sicher kein Maler geworden, sondern hätte Parteikarriere gemacht. Wären wir in der DDR geblieben, wäre ich 1989 Egon Krenz gewesen.« Der Wechsel »in den Westen« stimmte den jungen Werner Büttner allerdings nicht milder: »Liebevoll stehe ich dieser Gesellschaft bestimmt nicht gegenüber, das kann man mir nicht nachsagen. Ich beobachte alle Systeme mit Skepsis und Misstrauen. Dieses Urunvertrauen ist wohl das Resultat der Heimatlosigkeit.« Seine Nähe zu den Professoren der HFBK und der private Austausch mit eminenten Professoren wie Sigmar Polke, Ulrich Rückriem, Franz Erhard Walther und ebenso eminenten Studenten wie Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Hubert Kiecol und Georg Herold, die dort seit beziehungsweise um 1979 studierten, garantierte seine Mittäterschaft am damals abrollenden Diskurs der Gegenwartskunst, ganz besonders dem der Malerei. Einerseits stolzer Autodidakt, andererseits frühzeitig Beteiligter an der gegenseitigen

Erziehung zur Auseinandersetzung mit den Härten des Genres: »Gute Studenten erziehen sich gegenseitig, das darf ruhig hart sein. Das war das Gute an Oehlen und Kippenberger, die konnten einstecken. Wir haben kübelweise Spott übereinander ausgeschüttet.« Daneben arbeiteten Büttner und Oehlen bei Springer in der Stereotypie und machten ihre Erfahrungen mit der Gewerkschaft. Das Widersprüchliche, Inkongruente und Absurde fand sich im Hamburg der Achtzigerjahre mühelos eingefangen: »Als wir herkamen, war das eine große, fette, saubere sozialdemokratische Stadt. Die Musikszene war lebendig, die Kunstszene kaum existent. Idealer Boden also. Ich hätte in jeder anderen großen Stadt leben können, aber München und Berlin kannte ich, da blieb nur noch Hamburg über.« Hamburg, die Stadt, in der Schanze und Hafenstraße koexistieren mit den Villenvierteln am Elbhang und Harvestehuder Weg, Hamburg, die Hansestadt, die immer eine Kaufmannsrepublik war, in der weder Fürsten noch der gemeine Bürger viel zu sagen hatten, Hamburg also war in seiner eklatanten Widersprüchlichkeit der beste Nährboden, den die rebellisch gesonnene, humorbegabte und malerisch avancierte Gruppe um Büttner, Oehlen und Kippenberger für ihre Arbeit finden konnten. Folgerichtig ging es auch technisch um Disparates: »In den Achtzigern und Neunzigern bereitete ich die Bilder mit klassischen Skizzen vor. Danach gingen die Bildideen auf Collagen zurück. In der Collage kommen Sachen zusammen, die nicht zusammengehören, trotzdem bella figura machen und vielleicht mit Sinn infiziert sind.« Gut heißt für Werner Büttner: absurd, überraschend, nicht ausdenkbar. Noch nie gesehen, macht aber Sinn. Die tiefer bohrende Frage, was ein gutes Bild ausmacht, beantwortet Werner Büttner heute, wie er sie damals beantwortet hätte, mit: »Ach herrjeh. Da muss ich auf den Kollegen Magritte zurückgreifen, der sagt, wenn ich schreibe, will ich etwas schreiben, das ich noch nicht gelesen habe, wenn ich etwas male, dann male ich, was ich noch nicht gesehen habe.«

C Schismator, 2020, Öl auf Leinwand, 150 × 120 cm D Gefangener, leicht angefoltert, 2017, Öl auf Leinwand, 150 × 120 cm E Die beiden Schurken links und rechts, 2019, Öl auf Leinwand, 80 × 80 cm F Posaunenengel nach Dürer, 2019, Öl auf Leinwand, 190 × 150 cm

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D E F

Die Suche nach Bildern und die Suche nach der diese Bilder beschreibenden Sprache ist der wesentliche Antrieb der jungen, wilden Hamburger Malerschaft. Begleitet (oder angestachelt?) von den HFBK-Professoren Sigmar Polke, Ulrich Rückriem und Franz Erhard Walther treiben die drei die Malerei in eine bissige, schmissige Bilderorgie, die sich der Farbe wie der Sprache bedient, in beiden Fällen mit dem Hang zum kontrastreichen Knaller. Dieses bis in die Gegenwart getrieben zu haben, ist eines der Verdienste Werner Büttners: Gefangener, leicht angefoltert (2017, Abb. D) legt davon Zeugnis ab. Da sitzt der Schmerzensmann im Lendenschurz und mit Dornenkrone in der rechten Bildecke und wartet auf den Fortgang der Folterung. »Behind the scenes of the crucification« möchte man im Neusprech der Zeit anmerken und feststellen, dass Werner Büttner regelmäßig die Abteilung Glauben und Zweifeln besucht, um pointierte Bildfindungen präsentieren zu können. In der Chronologie schließen sich dem Gefangenen dann auch gleich Die beiden Schurken links und rechts (2019, Abb. E) an. Fehlt nur noch die Apokalypse und die hat Büttner auch im Köcher, in Form des Posaunenengel der Apokalypse nach Dürer (2019, Abb. F). Es sind – nächst dem (Un-)Glauben – die Kunstgeschichte, die Philosophie und die Literatur die liebsten Sujets Werner Büttners. Wo kommen dabei all die Bilder her? Kommen sie eher aus Lektüre (Zeitung, Literatur, Belletristik, Poetik, Drama) oder entstammen sie der Rezeption anderer Bilder (eigener wie fremder)? »Das kann alles sein. Bilder kommen von Bildern, deswegen sollte man Milliarden abgespeichert haben, um zu sehen, ob das eigene Bild etwas taugt. Der Bildfindungsblitz kann einschlagen, wenn ich das Bild eines Kollegen sehe, bei der SPIEGEL-Lektüre und beim Blick aus dem Fenster.« Werner Büttners Kunst changiert, fast möchte man sagen: oszilliert zwischen Bild und Wort. Es ist Malerei, die der Sprache ebenso verpflichtet ist wie dem ikonischen Bild. In beiden Fällen, Sprache wie Bild, dominiert das Ambivalente, aber auch das Unsagbare, am Ende sogar das Unmalbare. Dies ist, während sich vor unseren Augen regelmäßig neue Tabus und Unsagbarkeiten auftun, eine eminente Leistung.

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