„Völlig kontraproduktiv “
CHILLI-INTERVIEW MIT BÜRGERMEISTER ULRICH VON KIRCHBACH
Ulrich von Kirchbach, seit 20 Jahren Kultur- und Sozialbürgermeister, verteidigt im traditionellen Weihnachtsinterview mit chilli-Chefredakteur Lars Bargmann die Städtepartnerschaft mit Isfahan, plädiert fürs Brückenbauen mit China und berichtet über ein hartes Ringen mit den anderen Bürgermeistern.
chilli: Herr von Kirchbach, welche Überschrift steht über dem Jahr 2022? von Kirchbach: Hilfe und Solidarität in schwierigen Zeiten.
chilli: Freiburg hat viel für die Partnerstadt Lviv gemacht. Ende Mai kam überraschend Andrij Melnyk im Rathaus vorbei. Der ukrainische Botschafter hatte Deutschland im Ukraine-Krieg lautstark kritisiert. Zu Recht?
von Kirchbach: Im persönlichen Gespräch war die Kritik an der Regierung kein Thema. Er wollte Freiburg persönlich danken für die herausragende Unterstützung. Später bei der Pressekonferenz hat er dann wieder Kritik geübt. Ohne mich generell zur Außen- und Verteidigungspolitik des Bundes äußern zu wollen, glaube ich, Deutschland muss sich bei der Unterstützung der Ukraine nicht verstecken. Für uns ist es wichtig, dass Russland keinen Erfolg hat und wir andererseits nicht in einen Krieg reinrutschen.
chilli: Wie schätzen Sie die Gefahr eines Dritten Weltkriegs ein? von Kirchbach: Da gibt es ein gewisses Risiko. Und ich halte die Stimmen, die sagen, Russland wäre dafür viel zu schwach, für falsch, wenn nicht abenteuerlich.
chilli: Durch den kaltherzigen Krieg gegen die Ukraine sind auch in Freiburg viele Geflüchtete angekommen … von Kirchbach: … aktuell 2320. Anfangs waren 80 Prozent privat untergebracht, jetzt sind noch 1375 privat und 945 in Einrichtungen. Das hat sich deutlich verschoben. Deswegen haben wir eine neue Unterkunft in Hochdorf gebaut und müssen jetzt schauen, ob wir noch weitere bauen.
chilli: Kommen aktuell immer noch viele Flüchtlinge an? von Kirchbach: Derzeit bekommen wir über das Regierungspräsidium wöchentlich etwa 15 bis 20 zugewiesen. Baden-Württemberg ist bundesweit aber bei der Verteilung noch im Minus. Wir haben da eine sehr unsichere Prognosesituation.
chilli: Wer übernimmt die Kosten? von Kirchbach: Ukrainer gelten nicht
als Asylbewerber, sondern als Kriegsvertriebene. Damit sind sie arbeitssuchend und erhalten somit Bundesleistungen. Kosten, die uns entstehen für Kinderbetreuung, Gebäude oder Sozialarbeit, werden wir, denke ich, zu 95 Prozent zurückbekommen. Müssen das aber vorfinanzieren.
chilli: Der Sinn von Städtepartnerschaften wird immer wieder mal hinterfragt. Die Freiburger mit Lviv hat gezeigt, wie viel sie bewirken können. Seit 22 Jahren unterhält Freiburg auch mit der iranischen Stadt Isfahan eine Städtepartnerschaft. Als einzige deutsche Stadt. Was erwartet Freiburg von diesem Partner?
von Kirchbach: Dass das schwierig sein würde, war von Anfang an klar. Es gab damals im Gemeinderat aber eine große Mehrheit dafür und ich halte sie nach wie vor für richtig. Es wäre völlig kontraproduktiv, das jetzt zu beenden oder auf Eis zu legen.
chilli: Bundeskanzler Scholz hatte unlängst gesagt: „Was sind Sie für eine Regierung, die auf die eigenen Bürgerinnen und Bürger schießt? Wer so handelt, muss mit unserem Widerstand rechnen.“ Ist diese Städtepartnerschaft wirklich noch akzeptabel? von Kirchbach: Die Partnerschaft jetzt aufzukündigen, wäre ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die dort gerade für mehr Freiheit auf die Straße gehen. Ich denke, dass die Städtepartnerschaft, die in der Vergangenheit einen Austausch ermöglicht hat, auch dazu beigetragen hat, den Boden für eine solche Bewegung zu bereiten. Wäre das Land abgeschottet gewesen, würde es die Aufstände vielleicht gar nicht geben. Ich selber war einmal in Isfahan, das Theater im Marienbad war zwei Mal dort auf Festivals zu Gast. Die Menschen dort lechzen nach Austausch. Das ist nach meiner Erfahrung unheimlich wichtig. Und es ist völlig illusorisch zu glauben, dass dies ohne einen offiziellen Rahmen, wie der einer Städtepartnerschaft, Bürgerreisen oder einem kulturellen Austausch funktionieren könnte.
chilli: Am 1. November wurden in Freiburg 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und
China gefeiert. Sie haben das Rathaus repräsentiert. Kritik an der Veranstaltung gab es nicht nur von den Grünen. Auch die Chinesen stehen in der westlichen Welt sehr stark in der Kritik. von Kirchbach: Vor 50 Jahren war man noch sehr viel weiter auseinander. China hat ja noch keinen einzigen Tag Demokratie gehabt. Das muss man sich klarmachen. Bei aller berechtigten Kritik ist es wichtig, die diplomatischen Beziehungen zu pflegen. Globale Herausforderungen wie der Klimawandel sind nur mit Afrika und China oder auch mit Südamerika zu lösen. Es ist richtig, dass Scholz als erster ausländischer Politiker nach China gereist ist. Wir müssen weiter Brücken bauen, wir hängen stark von China ab, im Export, aber auch im Import. Man muss also sehr genau überlegen, welche Strategie man verfolgt. Bei all dem muss aber die Souveränität von Staaten gewährleistet sein.
wir mussten einen Neuanfang wagen, mit neuen Architekten …
chilli: … weil sich das Rathaus nach 20 Jahren vom Architekten Christoph Mäckler getrennt hatte. In beiderseitigem Einverständnis natürlich. Aber ohne Vorfall trennt man sich nicht... von Kirchbach: Wir haben das gemeinsam entschieden …
chilli: Zurück nach Freiburg. Wie liefen die dezernatsinternen „Verteilungskämpfe“ beim Doppelhaushalt? von Kirchbach: Das waren 30 Stunden Klausur und keine Kuschelrunden. Jeder hat versucht, seine Interessen durchzusetzen. Da wird hart gerungen. Die Wünsche waren deutlich höher als das, was jetzt im Haushalt drinsteht.
chilli: Der Haushalt kommt mit bis zu 80 Millionen Euro neuen Schulden und 60 Millionen aus Kassenentnahmen daher. Ist das generationengerecht? von Kirchbach: Die Ausgaben wachsen weiter schneller als die Einnahmen. Aber wir wollen die Investitionen nicht runterfahren. Die öffentliche Hand muss investieren, vor allem, wenn die privaten Investitionen zurückgehen. Das geht nicht ohne Neuverschuldung. Bei zehn Prozent Inflation sind neue Schulden volkswirtschaftlich sinnvoll. Keine Kommune kann aktuell ohne neue Schulden auskommen.
chilli: Die Sanierung des Augustinermuseums hat mittlerweile die 90-Millionen-Euro-Schallmauer durchbrochen. Wann fällt die 100-Millionen-Mauer? von Kirchbach: 100 werden es nicht. Aber
chilli: …konkreter? von Kirchbach: Über die Details wurde Stillschweigen vereinbart, der Gemeinderat hat das gebilligt. Die Stimmung auf der Baustelle ist jetzt gut, es geht voran. Jetzt müssen wir aber noch die Probleme mit der Schatzkammer lösen. 90 Millionen ist eine unerfreuliche Zahl, die anfangs so nicht erkennbar war. Aber wir hätten uns um das Gebäude, das zweitwichtigste Denkmal in Freiburg, auch ohne Museum kümmern müssen. Außerdem haben wir 19 Millionen von Land und Bund bekommen und vom Kuratorium 2,2 Millionen. Rein kommunale Mittel sind also 70, nicht 90 Millionen.
chilli: Anfang Mai hatte überraschend Museumsdirektor Tilmann von Stockhausen angekündigt, in seine Heimatstadt Lübeck zu wechseln. Was hat den Ausschlag für Jutta Götzmann als Nachfolgerin gegeben? von Kirchbach: Hohe Fachlichkeit, Führungsstärke, viel Erfahrung. Frau Götzmann war Gründungsdirektorin des Potsdam Museums, hat also auch einen kommunalen Hintergrund. Sie hat in allen Bereichen überzeugt.
chilli: Was steht kulturpolitisch auf der Agenda 2023? von Kirchbach: Wir starten mit dem Umbau im Rotteckhaus zum NS-Dokuzentrum, wir wollen mit den Proberäumen für Bands weiterkommen …
chilli: …wo sich die Verwaltung bisher nicht mit Ruhm bekleckert hat … von Kirchbach: …wir sind in guten Gesprächen für eine Ersatzlösung für das Kunsthaus L6, und die Umgestaltung des Colombiparks wird auch dem archäologischen Museum zugutekommen. chilli: Herr von Kirchbach, vielen Dank für dieses Gespräch.
„Das waren keine Kuschelrunden“
Ungesühntes Unrecht
JURIST FORSCHT ZU NS-JUSTIZ IN FREIBURG
homas Kummle kennt das Freiburger Amtsgericht in- und auswendig. Doch wie viel Unrecht in dem Gebäude am Holzmarkt gesprochen wurde, wusste der frühere Präsident der Institution lange nicht. Unlängst hat Kummle seine Ergebnisse in einem Webtalk vorgestellt. Die Ergebnisse seiner Recherchen machen den Juristen betroffen: Allein das Sondergericht fällte in Freiburg mindestens 29 Todesurteile.
„Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für
die Gegenwart.“ Mit diesen Worten des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker eröffnet Kummle seinen Vortag zur NS-Justiz in Freiburg. Der Jurist war von 2006 bis 2020 Präsident des Freiburger Amtsgerichts, seit 2020 gibt es eine von ihm initiierte Ausstellung zur NS-Justiz zu sehen. Das Fazit: Drei Gerichte tagten während des Dritten Reichs in Freiburg.
Nicht nur hielten das Reichskriegsgericht und der Volksgerichtshof hier auswärtige Sitzungen ab und tagten im Gebäude am Holzmarkt. Hier hatte von 1939 bis 1945 auch das Sondergericht Freiburg seinen Sitz. Schon 1933 hatte Hitlers Kabinett die Bildung von Sondergerichten in allen Oberlandesgerichtsbezirken beschlossen, Ziel war der Kampf gegen politische Gegner. Für Baden fiel die Wahl auf Mannheim mit seiner großen linken Opposition. Aufgrund der vielen Verfahren war die schnelle Aburteilung jedoch nicht mehr gewährleistet. Daher erhielt Freiburg ein eigenes Sondergericht.
Die Sondergerichte urteilten wie auch Reichskriegsgericht und Volksgerichtshof hart, belegt sind reichsweit mehr als 11.000 Todesurteile. „Von Rechtssprechung kann man nicht mit gutem Gewissen reden“, so Kummle über die NS-Justiz. In Freiburg fällte das Sondergericht am 13. Oktober 1939 das erste Todesurteil, belegt sind 29. Wie stark die Verfahren politisiert waren, zeigt etwa die Praxis, Gutachten zur „politischen Zuverlässigkeit“ der Angeklagten einzuholen. Auch in den anderen beiden NS-Gerichten gab es große politische Einflussnahme.
Ein vom Sondergericht Freiburg Verurteilter ist Otto Friedrich. Sein „Vergehen“: das heimliche Hören
ausländischer Sender. Die relativ hohe Strafe von drei Jahren Zuchthaus wurde mit Friedrichs politischer Einstellung begründet: Er habe einen Trauermarsch für die Beisetzungsfeier des Revolutionärs Kurt Eisner komponiert. Zwar wurde die Reststrafe Friedrichs 1944 zur Bewährung ausgesetzt. „Es war aber gängige Praxis, dass die Strafvollstreckungsbehörde der Gestapo eine Mitteilung über die Entlassung bei politischen Tätern machte“, erklärt Kummle. Friedrich wurde wieder verhaftet und ins KZ Dachau gebracht, wo er kurz vor Kriegsende starb. Das Urteil wurde 1947 aufgehoben.
Von Gerechtigkeit konnte auch nach 1945 nicht die Rede sein. „Die Aufarbeitung der NS-Justiz in der Bundesrepublik ist fehlgeschlagen“, sagt Kummle. Berufsrichter schafften es nach 1945 beispielsweise bis in den Bundesgerichtshof. „Die Durchlässigkeit war groß nach dem Zweiten Weltkrieg.“
Ein besonders prominentes Beispiel hierfür ist Hans Filbinger. Der langjährige baden-württembergische Ministerpräsident hatte während des Zweiten Weltkriegs als Marinerichter vier Todesurteile beantragt beziehungsweise gefällt. Ein klarer Fall, in dem die Augen vor der Vergangenheit verschlossen wurden – und die Zeitgenossen blind für die Gegenwart wurden.
INFO
Dauerausstellung „NS-Justiz in Freiburg“, Amtsgericht Freiburg, Montag bis Freitag, 9 bis 12 Uhr sowie nach Vereinbarung, Gruppen nach Voranmeldung, freier Eintritt
Einst Ort des Unrechts: Ausstellung zur NS-Justiz im Freiburger Amtsgericht.Keine Langeweile in 2023
VADDI CONCERTS WARTET MIT VIELVERSPRECHENDEN EVENTS AUFer für das neue Jahr planen möchte, hat nun die Gelegenheit. 2023 gibt es bei Vaddi Concerts viel zu erleben. Eine Auswahl der Highlights:
Schätze des Jazzschlagers: SWR Big Band & Götz Alsmann
Mit vergnüglicher Unterhaltung und mitreißender Musik starten Götz Alsmann und die SWR Big Band ins Jahr 2023. Dabei werden Schätze aus den Tiefen des deutschen Jazzschlagers ins Rampenlicht gerückt.
Zudem haben sich die Big Band und der Jazz-Echo-Preisträger sowie Triple-Platin-Sänger Alsmann Gäste mit ins Boot geholt. Die Zucchini Sistaz sind ein Damentrio mit falschen Wimpern und echtem dreistimmigem Gesang. Selbstbewusst bezeichnet sich das Trio als „das schärfste Gemüse auf sechs Beinen“.
Konzerthaus, Freiburg Mittwoch, 18. Januar, 20 Uhr
Echte Gefühle: Atze Schröder Nichts ist mehr echt: Fake News, gefilterte Selfies, alternative Fakten – jeder tut nur noch so „als ob“, alle bluffen. Dem setzt Atze Schröder, „Gralshüter
aller Pointen“, mit seinem Programm „Echte Gefühle“ etwas dagegen.
Schröder spricht über Wahrhaftigkeit, denn er weiß: Statistisch gesehen geht’s uns spitze, nur vom Feeling her haben wir kein gutes Gefühl. Männer und Frauen kommen von der Arbeit erschöpft nach Hause, aber nur Alexa und Siri wollen miteinander kuscheln.
Die Jugend guckt derweil manisch aufs Handy und macht die Robbe. Der Comedian entlarvt die falschen Fünfziger, predigt Blut, Schweiß und Tränen. Konzerthaus, Freiburg Donnerstag, 19. Januar, 20 Uhr
Dylanreise mit Niedecken
Wolfgang Niedecken, bekannt geworden als Frontmann von BAP, präsentiert mit Pianist Mike Herting ein kurzweiliges Storyteller-Programm. Im Fokus: Bob Dylan.
Seit Jahrzehnten setzt Niedecken sich immer wieder mit dem Werk des Musikers und Nobelpreisträgers auseinander. 2017 brach er im Auftrag von ARTE zu einer Reise auf den Spuren der Ikone auf. Über die Erlebnisse hat Niedecken ein Buch geschrieben. Darin geht es auch um Querverbindungen zur eigenen Biografie. Vor allem erzählt er vom großen Einfluss, den Dylan auf ihn hatte und hat.
In seinem Bühnenprogramm liest der Kölner Musiker aus dem Buch und
spielt ausgewählte Stücke. Man darf gespannt sein, ob die jeweiligen Geschichten auf einen Dylan- oder BAPSong rauslaufen. Paulussaal, Freiburg Freitag, 24. März, 20 Uhr
Mnozil Brass: Unernst ernst Bisher hat die österreichische Kombo Mnozil Brass ausgiebig und mit großem Ernst Unernstes, ja sogar Heiteres gespielt. Im neuen Programm „Phoenix“ soll sich das jetzt ändern: Ab sofort will das Bläserseptett mit angemessenem Unernst die ernsten Dinge des Lebens beleuchten. Lustvoll werden all die kleinen Dämonen, die uns beim Streben nach dem Wahren, Edlen und Reinen immer im Weg stehen, einer gepfefferten Reflexion unterzogen. Warum wollen wir gar nicht so heilig sein? Warum sind wir lieber haltsam als enthaltsam, und wieso ist es in der Nacht oft lustiger als am Tag? Diesem Fragenkomplex stellt sich die bereits 1992 gegründete Band ausgiebig und angezuckert.
Paulussaal, Freiburg Freitag, 24. März, 20 Uhr
INFO Tickets gibt’s unter www.vaddi-concerts.de.
Fotos: © Lena Semmelroggen Boris Breuer, Tina Niedecken, Daniela MatejschekSprungbrett auf die Bühne
DIE 35. AUFLAGE DER IKF LOCKT IM JANUAR ÜBER 300 KULTURSCHAFFENDE
AUF DIE MESSE FREIBURGn den vier Tagen, die Ende Januar in den Messehallen immer für die Internationale Kulturbörse Freiburg (IKF) reserviert sind, blieb es in den beiden vergangenen Jahren still und dunkel. Heuer, freut sich die neue IKF-Leiterin Karola Mohr, soll dort „endlich wieder richtig was los sein“. Mit Live- Auftritten – auch fürs breite Publikum –, Live-Begegnungen, Live-Specials, Live-Sonderschauen sowie der persönlichen Verleihung des Messe-Preises „Freiburger Leiter“ an Künstler·innen aus den Bereichen Darstellende Kunst, Musik und Straßentheater.
Gala: (von o.l. im Uhrzeigersinn)
Comedian Skotty, die Vokalband „Anders“, das Duo Mimikry, Sängerin Maria Mazzotta, Klavierkabarettistin Anne Folger, Wheel-Performer Mikail Karahan eröffnen die IKF, die Karola Mohr (r.) gerade koordiniert.
„Direkter Austausch zwischen Bühnenkultur und Publikum ist unerlässlich“, sagt die diplomierte Kultur- und Veranstaltungsmanagerin. Kultur bringe die Menschen in einem Raum non-verbal und emotional zusammen, und das gehe in Online-Formaten so gut wie gar nicht. Für
Einzigartige Konzeption
Mohr, die sich in Freiburgs Szene als freiberufliche Organisatorin des Actionprogramms beim ZMF und als feste Mitarbeiterin im Fabrik-Team schon längst einen Namen gemacht hat, ist die 35. Auflage dieser größten Fachmesse für Bühnenproduktionen, Musik und Events im deutschsprachigen Raum eine Premiere: Seit September ist sie als neue IKF-Chefin zuständig für deren vielgestaltige Abläufe. „Gemeinsam mit den Künstler·innen freuen wir uns sehr, dass der Austausch nun wieder persönlich möglich sein wird“, sagt Messechef Daniel Strowitzki.
Die IKF, findet Mohr, sei in ihrer Grundkonzeption einzigartig: Sie ist Ort der Information, der Kommunikation und ermög-
von Erika Weisserlicht es dem Fachpublikum, in kurzer Zeit einen umfassenden Einblick in neue Produktionen und Angebote zu geben. Für Künstler·innen sei sie die ideale Plattform, um eine Karriere zu starten und den eigenen Bekanntheitsgrad zu erhöhen. „Hier sprudelt die Kreativität und das Leben, und wir brauchen diese optimistische Grundstimmung in der Branche und in der Gesellschaft.“
Die 45-Jährige kennt die KulturVermittlungs-Messe schon lange. Und sie schätzt sie sehr. Die IKF, sagt sie, sei bei ihrer Suche nach neuen talentierten Künstler·innen, die für ihre eigenen Programme in Frage kamen, stets eine gute Adresse gewesen. Und es habe auch Kontakt und Austausch mit den bisherigen Organisator·innen gegeben. Die Kulturszene sei zum Glück schließlich „gut vernetzt“. Dennoch ist sie jetzt „schon sehr gespannt darauf, das Ganze erstmals von der anderen Seite her zu erleben“. Sie betrachtet ihre neue Aufgabe „witzigerweise als Traumjob“, der sich nachgerade als „logische Konsequenz“ an ihre selbstständige Tätigkeit in den vergangenen 20 Jahren anschließt. Eine gute Fügung, die sie „vor einem Jahr noch nicht für möglich gehalten“ hätte.
Von ihrer Vorgängerin Susanne Göhner hat die neue Projektmanagerin „ein wohlbestelltes Feld übernommen“: Für die kommende IKF war schon fast alles bestens vorbereitet: Die Ausschreibung für die Aussteller·innen war längst über die Bühne, die Anmeldefrist gerade beendet, die Fachjury, die über die
Auswahl der künstlerischen Bewerber·innen für die Live-Programme entscheidet, bereits einberufen. Dazu kam, dass sie die Zusammenarbeit mit dem bisherigen Team als sehr wertschätzend empfand – und die Unterstützung der Leitung der FWTM als „wirklich toll“.
Die organisatorischen Weichen für den Neuanfang waren also gestellt. Für diese Auflage der IKF konnte Karola Mohr daher noch „keine eigene Handschrift entwickeln“. Darüber wird sie ab Februar nachdenken; sie blicke mit „Vorfreude in die Zukunft“. Und hat gerade auch genug damit zu tun, der 35. IKF den letzten Schliff zu geben.
Immerhin sind mehr als 300 Aussteller·innen aus mehr als 20 Ländern dabei, deren Auftritte koordiniert werden müssen. Außerdem ist sie zuständig für die Liveshowprogramme und die Specials der angemeldeten, vorwiegend in der Kleinkunstbranche angesiedelten Künstler·innen, die sich dem Publikum an drei Tagen auf vier Bühnen präsentieren. Für viele junge Talente bedeutet die IKF „ein Sprungbrett auf die Bühne“.
Drei Abende sind auch für die kulturinteressierte Öffentlichkeit zugänglich: die Eröffnungsgala am 22. Januar mit einem tempo- und abwechslungsreichen, aus Musikkabarett, visueller Comedy, Slam-Poetry, WheelPerformance und Gesang komponierten Programm; der Abend mit Luksan Wunder und der Abschluss mit „Young & Fresh“ am 25. Januar. Besonders freut sich Karola Mohr auch auf die Verleihung der mit je 1000 Euro dotierten „Freiburger Leiter“, für die je vier Kandidaten aus den Bereichen Darstellende Kunst, Musik und Straßentheater in die engere Auswahl gelangten.
INFO
www.kulturboerse-freiburg.de
Die öffentlichen Gigs für alle 22. Januar, 20 Uhr: Eröffnungsgala
23. Januar, 20 Uhr: Luksan Wunder 25. Januar, 20 Uhr: Young & Fresh
Neuer Beirat für Kunst
Nach dem lautstarken Ärger um die Auflösung der Kunstkommission (wir berichteten) hat sich in Freiburg der neue Beirat „Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum" gegründet. Zu dem fünfköpfigen Gremium zählen Annette Merkenthaler (sie vertritt die Bildende Kunst und war in der Kunstkommission des Landes Baden-Württemberg tätig), die Architektin Simone Wörner (Justies Architekten, Vorstandsmitglied des Architekturforums Freiburg), Christian Korn (Landschaftsarchitekt), Dagmar Danko (Kunstsoziologin an der Universität Freiburg) und Michael Klant (Professor für Kunst und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg). Klant ist Herausgeber der dreibändigen Dokumentation „Kunst im öffentlichen Raum in Freiburg“, einem Projekt der Hochschule. Das Quintett ist für vier Jahre bestellt.
Rathaus sucht neue StaBi-Leitung
Das Freiburger Rathaus muss die Stelle der Direktorin der Stadtbibliothek (StaBi) neu besetzen. Die langjährige Leiterin Elisabeth Willnat geht zum 1. Juli 2023 in den Ruhestand. Bis Mitte Dezember konnten sich Interessierte bewerben.
„Die Stadtbibliothek ist ein ganz wichtiges Haus für die Bildung“, sagt Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach.
Kuratorium sammelt mehr als 50.000 Euro
Das Kuratorium Augustinermuseum hat im laufenden Jahr private Spenden in Höhe von 50.235 Euro eingeworben. Den Scheck überreichten die stellvertretende Vorsitzende Martina FeierlingRombach und Ulrike Langbein, Leiterin der Geschäftsstelle Kuratorium Augustinermuseum, am 9. Dezember an Oberbürgermeister Martin Horn und Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach. Seit seiner Gründung hat das Kuratorium fast 2,3 Millionen Euro an Spenden für das Augustinermuseum gesammelt.
Rathaus sucht Ersatz für L6
Die Freiburger Stadtverwaltung ist laut Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach in „guten Gesprächen“ für eine Ersatzlösung fürs Kunsthaus L6 an der Lameystraße, das ab Juni 2024 nicht mehr zur Verfügung steht. Damit fallen erneut auch acht Proberäume für Bands weg. Konkreter wollte von Kirchbach nicht werden. bar
Was man von hier aus sehen kann Deutschland 2022
Regie: Aron Lehmann
Mit: Corinna Harfouch, Luna Wedler, Karl Markovics, Benjamin Radjaipour, Rosalie Thomass u. a
Verleih: Studiocanal
Laufzeit: 109 Minuten
Start: 29. Dezember 2022
Von Liebe und Tod
ARON LEHMANN MACHT MARIANA LEKYS ERFOLGSROMAN ZU EINEM GELUNGENEN KINOERLEBNISIn dem winzigen Ort im Westerwald geht es hin und wieder recht spukhaft zu. Seit Jahren schon. Und schon längst wundern sich die wenigen, wie von unsichtbaren Banden zusammengehaltenen Dorfbewohner nicht mehr, wenn plötzlich Dachbalken, Deckenlampen oder Ladenschilder auf den Boden stürzen. Denn schon längst wissen sie, dass dann Luise in der Nähe ist. Und dass die hochsensible junge Frau, die schon als Kind die Menschen und ihre wohlbehüteten Geheimnisse schneller durchschaute als andere, gerade mal wieder das Gegenteil von dem sagt, was sie denkt oder fühlt. Dass sie so tut, als erkenne sie die allenthalben aufgetischten großen und kleinen Alltags- und Liebeslügen nicht.
Die Leute im Dorf haben sich auch schon längst an die besonderen Talente von Luises Großmutter Selma gewöhnt. Allerdings nehmen sie diese nicht so gelassen hin wie die destruktive Energie der Schwindeleien ihrer Enkelin. Denn Selma kann den Tod voraussehen: Immer dann, wenn ihr im Traum ein Okapi erscheint, stirbt innerhalb von 24 Stunden ein Mensch. Wobei unklar ist, wen es treffen wird.
Hatte die aus ziemlich skurrilen Leuten zusammengesetzte Dorfgemeinschaft beim ersten Fall – es handelte sich um den Ehemann der damals ganz jungen Mutter Selma – noch keinen Zusammenhang zwischen Traum und Tod gesehen, so herrscht inzwischen kein Zweifel mehr daran.
Deshalb verbreitet sich die Kunde von jedem neuen Okapi-Traum stets wie ein Lauffeuer im ganzen Ort. Und da keiner weiß, wer dieses Mal an der Reihe ist, geraten alle in Aufruhr. Alle machen sich bereit, Abschied von Freund oder Feind zu nehmen, jemandem doch noch seine Liebe zu gestehen, zu verzeihen oder um Verzeihung zu bitten, aufgeschobene Dinge zu erledigen, letzte Vorbereitungen zu treffen, zu sagen, was man immer schon sagen wollte. Und alle – bis auf eben die eine oder den einen – revidieren tags darauf ihre vorschnellen Gefühlsäußerungen, verlangen vom Postboten die Herausgabe der voreilig in den Briefkasten geworfenen Liebes- oder Schulderklärungen, kehren beruhigt in ihren Alltag zurück. Es sind nur wenige, die sich nicht an dem Wettlauf mit dem Tod beteiligen: Die ewig schlecht gelaunte Marlies, die sich nichts sehnlicher wünscht als das Ende. Der extrem religiöse Palm, dessen Sohn Martin – Luises bester Kinderfreund –vor vielen Jahren Opfer eines OkapiTraums war. Die reichlich transzendente Elsbeth, die in ihrem Hotel mit Vorliebe buddhistische Mönche beherbergt. Der Optiker, der Selma seit jeher heimlich liebt und, obwohl er sehr an dieser Liebe leidet, ihr bester Freund ist. Und natürlich auch Luise – und Selma selbst. Sie fürchtet den Tod nicht, und als er zu ihr kommt, trifft er sie in einer der schönsten Szenen dieser gelungenen filmischen Umsetzung des 2017 erschienenen Romans und Überraschungserfolgs von Mariana Leky.
von Erika WeisserEIN TRIUMPH
DIE INSEL DER ZITRONENBLÜTEN
THE BANSHEES OF INISHERIN
Frankreich 2020
Regie: Emmanuel Coucol
Mit: Kad Merad, Davis Ayala u. a.
Verleih: Filmwelt
Laufzeit: 105 Minuten
Start: 15. Dezember 2022
Warten auf Godot
(ewei). Etienne stand schon lange auf keiner Bühne mehr. Und seit es um ihn still geworden ist, hält sich der Schauspieler mit kleinen Aufträgen über Wasser. Doch so unmotivierte Workshop-Teilnehmer hatte er noch nie: Er ist kurzfristig für einen Kollegen bei dessen Theater-AG im Gefängnis eingesprungen und trifft auf gelangweilte und widerspenstige Häftlinge.
Doch bald erkennt Etienne ihr künstlerisches Potenzial – und ihre Suche nach einer halbwegs sinnvollen Beschäftigung. Beides kombinierend, beginnt er mit seinen Schützlingen für ein großes Theaterstück zu üben: Samuel Becketts „Warten auf Godot“, das gleichsam das eigene Warten auf das irgendwann versprochene Ende der Knastzeit inszeniert. Nach anfänglicher Skepsis ist die Gefängnisleitung damit einverstanden, das in jeder Hinsicht absurde Drama auch öffentlich aufzuführen.
Humorvolle Komödie, die sich mit der individuellen Bedeutung von Kunst und Kultur auseinandersetzt.
Spanien 2020
Regie: Benito Zambrano
Mit: Elia Galera, Eva Martín u. a.
Verleih: Splendid Films
Laufzeit: 122 Minuten
Start: 29. Dezember 2022
Rätselhaftes Erbe
(ewei). Marina ist um die 40 und arbeitet als Ärztin irgendwo in Afrika. Ihre Verbindungen nach Europa hat sie gekappt. Erst als sie und ihre Schwester Ana in einem vom Tourismus bisher verschonten mallorquinischen Dorf ein Haus mit Bäckerei erben, kehrt sie auf die Insel zurück. Allerdings nur kurz, um den Verkauf des rätselhaften Erbes zu regeln, das von einer ihnen unbekannten Frau namens Lola stammt.
14 Jahre haben die sich sehr fremd gewordenen Schwestern nichts voneinander gehört, und beide sind gleichermaßen erstaunt über den Nachlass. Und während Ana die Immobilie sofort verkaufen will, hat es Marina damit plötzlich nicht mehr eilig: Sie will erst einmal herausfinden, wer diese Lola war und wie die Backrezeptbücher ihrer Großmutter in ihren Besitz gelangten.
Die Schwestern kommen sich näher. Dann überstürzen sich die Dinge und zwingen Marina, länger zu bleiben. Dabei kommt sie einem Familiengeheimnis auf die Spur.
Irland 2022
Regie: Martin McDonagh
Mit: Colin Farrell, Brendan Gleeson u.a. Verleih: Disney
Laufzeit: 109 Minuten Start: 5. Januar 2023
Zum Lachen und Weinen
(ewei). Jahrelang waren Pádraic und Colm gute Freunde. Vielleich sogar beste. Jedenfalls war das für Pádraic so. Doch das ist Schnee von gestern, jedenfalls für Colm
Von einem Tag auf den anderen kann er den jüngeren Mann nicht mehr ertragen, will weder mit ihm in den einzigen Pub auf der kleinen Insel Isherin gehen noch überhaupt mit ihm reden. Gründe dafür scheint er nicht zu haben. Denn außer „I just don’t like you no more“ kriegt Pàdraic von dem stoischen Sturkopf höchstens Drohungen zu hören. Für den Fall, dass er ihn nicht in Ruhe lässt.
Um ihn endlich ganz loszuwerden, schreckt Colm nicht davor zurück, die eine oder andere Banshee zu beschwören – Geister aus der Anderswelt, die in der irisch-keltischen Mythologie eine Art Todesengel darstellen. Die Situation eskaliert in einem Strudel überraschender Ereignisse. Eine tragikomische, wunderbar absurde Farce, die irische Lebensart mit bitterbösem Humor ironisiert. Zum Lachen und Weinen.
Foto: © Filmwelt Foto: © Splendid FilmsTracks des Jahres
DAS CHILLI KÜRT DIE ZWÖLF BESTEN SONGS DES JAHRES 2022 AUS FREIBURG
Indie, Jazz, Balkan Brass und HipHop. Freiburgs Musikszene ist so bunt wie die Häuser in der Vauban. Wie jedes Jahr kürt die chilli-Redaktion ihre zwölf Favoriten. Die Songs gibt’s auf der Spotify-Playlist „Freiburgs Tracks des Jahres 2022“. Euer Favorit ist nicht dabei? Kommentiert unseren Post auf Instagram.
Danjo » Take Me Home
Ein bisschen Folk, ein wenig Country, eine Prise Rock – musikalisch balanciert die Debüt-Single von Danjo zwischen genretypischem Schwermut und Sonnenaufgang. Und auch inhaltlich setzt Danny Harland vom Duo auf Bewährtes: Fernweh und Heimweh, Einsamkeit und Gemeinschaft, suchen und gefunden werden. Das Rezept geht auf, Take Me Home entführt von der B31 an die Route 66.
El3ctrio » Goldrausch
Seit 2017 machen Elias Jakob, Matthias Droll und Tilman Fehse gemeinsam Musik, verbinden als El3ctrico Instrumente wie E-Gitarre, Posaune, Synthesizer und Drums im Laptop zu elektronischen Klängen. Garniert wird das Ganze mit feinen Samples aus ihrer Umwelt. Dieses Jahr ist mit Goldrausch ein Arrangement entstanden, das an seinen besten Stellen an Genre-Größe Tycho erinnert. Gerne mehr davon.
Park Bench Sleepers » Sofa World Erstes Album, erster Track – und der geht direkt ins Ohr. Dass die Park Bench Sleepers Heiko Sauter und der 2021 verstorbene Jens Kreuzer musikalisch durchaus beschlagen sind und nicht das erste Mal in Saiten oder Tasten gehauen haben, ist „Sofa World“ schnell anzumerken. Ebenfalls unverkennbar ist der BeatlesEinfluss. Es gibt schlimmere Vorbilder.
Seven Purple Tigers » Clarity
Als Opener für ihre aktuelle EP haben sich die Seven Purple Tigers für eine tanzbare Indie-Nummer entschieden. Die Stimmung von „Clarity“ changiert zwischen Melancholie und guter Laune. Vor allem live dürfte der Song super ankommen. Spaß macht auch das in Los Angeles gedrehte grelle Musikvideo voller wilder Outfits und Make-ups.
The Astronaut & The Fox » City Lights Gerade haben The Astronaut & The Fox ihre erste EP veröffentlicht. Ein Highlight: die Ballade „City Lights“. Neben der melancholischen Stimmung bleiben vor allem die Lyrics hängen. Zeilen wie „I’m feeling wrong, I feel
Danjo
Volles Dutzend: Diese zwölf Bands haben sich im Rennen um die besten Plätze gegen die Konkurrenz durchgesetzt.
I’m guilty, when all I know: it’s you who should be“ gehen unter die Haut: Die Band thematisiert durch sexuelle Gewalt verursachte Schlaflosigkeit.
Redensart » Die letzte ruhige Nacht Auf der zweiten Single nach ihrem Comeback liefern Redensart folkigen Indie, im Vordergrund steht die charakteristische Stimme von Danny McClelland. Auf dem gesellschaftskritischen „Die letzte ruhige Nacht“ gibt es zudem Unterstützung von Tilman Gottfried von der nordrheinwestfälischen Punkband Tigeryouth. Herausgekommen ist eine der bisher besten RedensartNummern.
Zweierpasch » Solange Auch in schwierigen Zeiten sendet die HipHop-Band Zweierpasch ihre Botschaft für mehr Miteinander in die Welt. Mit „Solange“ funken die Zwillingsbrüder Till und Felix Neumann eine deutsch-französische Mischung
aus Dancehall und Urban Pop – direkt aus der Stadt der Liebe. Statt Schwarzmalerei und Durchhalteparolen gibt’s positive Vibes und eingängige Vocals.
Raw Sienna » Soak up some Lights „Come on, punch me in the morning and kick me in my face“ – mit diesen Worten beginnt „Soak up some Lights“. Musikalisch versetzen die Alternative-Rocker von Raw Sienna ihren Hörer·innen mit der Nummer ebenfalls einen Tritt – und zwar einen groovigen. Mit der coolen Nummer ist den Freiburgern ein Ohrwurm gelungen, den man so schnell nicht wieder los wird.
Catastrophe Waitress » Silent Talk
Eine Ukulele, ein Kontrabass, zwei Stimmen. Die fünf Musiker·innen der experimentierfreudigen Indie-Folk-PopBand Catastrophe Waitress entführen ihr Publikum mit dem erdigen „Silent Talk“ in einen kleinen Raum – mit dem
Mond als einzigem Gesprächspartner. Die melancholischflüsternde Nummer ist während der Corona-Zeit entstanden und zeigt, wie schön Schmerz klingen kann.
Triaz » Silvermoon Jazzhaus Session
Mit vertrackten Rhythmen hat sich die Freiburger JazzPop-Kombo Triaz einen Namen gemacht. So berührt das fast zehn Minuten lange „Silent Tears“ mit vielen Wendungen. Der Track ist im August als Jazzhaus Live Session erschienen – aufwendig arrangiert und bildstark in Szene gesetzt. Zu Streichern, Piano, Kontrabass, Gitarre und Drums kann Sängerin Florine Puluj glänzen.
Äl Jawala » Sautez Musik kann so einfach sein: „Sautez“ (springt!) singt Frontfrau Stefanie Schimmer der Freiburger Balkan-Beats-Band Äl Jawala. Genau wie bei „Jump Around“ von House of Pain muss man da nicht lange nachdenken, sondern kann einfach zum vogelfreien Saxofon durch den Saal hüpfen. Seit 20 Jahren bringt die Band Menschen zum Tanzen –dazu gibt’s jetzt die sehenswerte Doku „I Way to Äl“.
Laura Braun » Ode an dich Eine Frau, ein Mikro, ein Piano. So macht sich die Freiburgerin Laura Braun derzeit einen Namen. Auf YouTube gibt es bisher nur Livevideos aus dem Homestudio. So auch „Ode an dich“. Darin führt sie einen Monolog mit ihrem Freund, der Trümmer mit ihr einsammelt. Der Sängerin hört man gerne zu – und ist gespannt, wie das auf dem Debütalbum klingen könnte.
ANHÖREN
» Alle Songs zum Nachhören gibt’s auf chilli-freiburg.de » Und in der Spotify-Playlist „Freiburgs Tracks des Jahres“
DIE JURY
Name Till Neumann Jobs chilli-Redakteur und Musiker Hört gerne HipHop, Soul, Urbanes Ist allergisch auf Schlager und schlechte Texte
Name Philip Thomas Jobs chilli-Redakteur Hört gerne Elektro und Techno Ist allergisch auf Deutsch-Pop und Nazis
Name Jennifer Patrias Jobs chilli-Volontärin Hört gerne Pop, Party-Schlager Ist allergisch auf Deutschrap und Metal
Name Pascal Lienhard Jobs chilli-Volontär Hört gerne Punkrock, Singer-Songwriter, Indie Ist allergisch auf Remixe einstmals guter Songs
Fassungslos, begeistert , berührt
DAS SIND DIE BÜCHER DES JAHRES VON FREIBURGER AUTOR∙INNENAuf unseren Literaturseiten haben wir die Rubrik FREZI, in der wir die Werke Freiburger Autoren rezensieren. Zu Weihnachten aber durften diese nun selber ihre Lieblingsbücher vorstellen. Lesetipps von Profis.
Letzte Chance für Last Generation
Es ist der letzte Tag vor dem Weltuntergang in Köln. Sieben Menschen, von denen jeder eine der Todsünden verkörpert, erhalten noch einmal Besuch von Ludwig, einem gemeinsamen Bekannten, und bekommen eine letzte Chance, ihre Schuld zu tilgen. In dem Moment, wo man kapiert, um wen es sich bei Ludwig sowie dem rauchenden, blonden Mann von der Tankstelle wirklich handelt, fängt man gleich noch einmal von vorne zu lesen an, so clever ist das alles konstruiert.
Ein philosophischer Roman voller kluger Anspielungen und einem unschlagbar-lässigen Humor. Mein Lieblingssatz: „Sag Dr. Haussmann zu mir.“
Marc HofmannStefan Suchanka: Unser letzter Tag.
In sieben Sünden zum Weltuntergang Kirschbuch, 2021, 242 Seiten, Taschenbuch, 12 Euro
Marc Hofmann ist Lehrer, Autor, Kabarettist und Musiker in Freiburg. Im kommenden Jahr erscheinen zwei neue Bücher von ihm.
Großer kleiner Lebenskosmos
Bis vor kurzem kannten hierzulande allenfalls Leute, die sich mehr als 1000 Seiten eleganter englischer Prosa im Original zutrauen, den berühmtesten britischen Roman aller Zeiten. Es handelt sich weder um Emily Brontës „Sturmhöhe“ oder Jane Austens „Stolz und Vorurteil“, noch um Mary Shelleys „Frankenstein“. Zwar stammt auch „Middlemarch“ von einer Frau, allerdings hat sie sich das männliche Pseudonym George Eliot zugelegt. Er spielt in den grünen Weiten der Midlands, wo Eliot vor unseren Augen einen großen kleinen Lebenskosmos entfaltet, in dem es keine wirklichen Nebenfiguren gibt. Nun liegen gleich zwei Übersetzungen vor. Ich habe vor Begeisterung beide gelesen, bevorzuge aber die flüssigere von Melanie Walz.
Karl-Heinz OttGeorg Eliot: Middlemarch, Rowohlt, 2021, 1264 Seiten, Taschenbuch, 20 Euro
Karl-Heinz Ott ist Autor von Romanen sowie philosophischer und musikbiografischer Essays. Er lebt in Wittnau.
Lektüre mit raketenhaftem Flash Egal, ob ihr schon einen Plan für die Silvesterverbringung habt oder nicht – lest dieses Buch! Danach werdet ihr ein paar Tage fassungslos durch euer Leben irren und euch fragen, wie es so weit kommen konnte. Was ist das bitte für eine Rakete von einem Debüt-Roman? Wien, 31. Dezember, ein halbes Dutzend Freund:innen wollen das alte Jahr loswerden und das wehrt sich. „Die Möbel sehen aus, als wäre auf jedem schon mal jemand von hinten erwürgt worden [...].“
Ich kann mich nicht erinnern, wann mich eine Lektüre das letzte Mal dermaßen geflasht hat. „Steine schmeißen“ ist so sehr Sound und Gegenwart, dass es schmerzt, und beinhaltet mehr gelungene Dialoge als sämtliche Buchpreis-Nominierten zusammen. Bald wird der Quatsch von der „Stimme ihrer Generation“ losgehen, dabei steht doch alles schon geschrieben: „Ich bin immer irgendwo zwischen trickfilminteressiert und Fernseherrunterschmeißen.“
Jess JochimsenSophia Fritz: Steine schmeißen, Kanon, 2021, 231 Seiten, gebunden, 22 Euro
Jess Jochimsen ist Autor und Kabarettist in Freiburg. Am 27. und 28.12. feiert er sein 30-jähriges Bühnenjubiläum im Vorderhaus.
Ohne romantische Schönfärberei
Über drei Generationen begleitet das Buch eine Bergbauernfamilie in Südtirol. Harte Arbeit, Durchhaltevermögen, ein Krieg, der Söhne raubt, eine starke Frau, die den Hof mit zäher Kraft ganz alleine durchbringt, und eine Gegenwart, die vor neue Herausforderungen stellt.
Die Journalistin Jarka Kubsova ist selbst sieben Monate lang in die Berge gezogen, um für ihren ersten Roman zu recherchieren. Sie hat das Leben dort in allen Facetten, frei von Klischees oder romantischer Schönfärberei eingefangen. Der Umgang mit den Tieren, die Zukunft der Landwirtschaft, Nachhaltigkeit, Chancen und Risiken durch den Tourismus, all das spielt in dem Buch eine Rolle und stimmt nachdenklich. Vor allem ist es aber eine spannende, wunderschön geschriebene Geschichte, die mich tief berührt hat.
Anne GrießerJarka Kubsova: Bergland, Goldmann, 2021, 288 Seiten, Hardcover, 20 Euro
Anne Grießer lebt als Autorin und Herausgeberin von Krimi-Anthologien in Freiburg. Sie organisiert den Freiburger Krimipreis; die nächste Preisverleihung ist im Mai 2023.
Momentaufnahmen kleiner Dinge
Lesen Sie Gedichte? Ich mag Gedichte, weil sie mir Raum geben. Das fängt beim Satzspiegel an und reicht bis zur Musikalität und Mehrdeutigkeit der Worte. Sie haben keine Agenda, wollen nichts anderes sein als poetische Momentaufnahmen und zwingen auch mich in den Moment, in den Augenblick, aus dem mich Gedanken und Aufgaben immer wieder vertreiben.
In den Gedichten des Schweizer Autors Thomas Dütsch geht es um kleine Dinge wie den fallenden Schnee, einen Morgen im April, um Hände und junge Hunde. Es geht um das Altern, Freundschaften, Selbstbildnisse, Glück und Traurigkeit. Philippe Jaccottet sagte: „Wenn wir nicht an die Macht des beinah Unsichtbaren glauben, können wir auch gleich verzweifeln.“ Ich glaube an die Kraft der Worte und nehme mir bei meinem Tun Thomas Dütschs Gedanken oft zu Herzen.
Iris Wolff
Thomas Dütsch : Zwischenhoch. Gedichte, Nimbus, 2022, 84 Seiten, Fadenheftung, 20 Euro
Iris Wolff war bis 2018 Koordinatorin des Netzwerks Kulturelle Bildung beim Kulturamt Freiburg und wagte den Schritt in ein Leben als freie Autorin – mit Erfolg.
Wunderbar bildhafte Sprache
„Herkunft“ ist der dritte Roman von Saša Stanišic´, der 1992 als 14-Jähriger mit seinen Eltern vor dem Krieg in Jugoslawien nach Deutschland floh. Hier teilte er das von Sprachbarrieren und Ausgrenzung geprägte Schicksal entwurzelter Migrantenkinder – bis ein Lehrer sein schriftstellerisches Talent erkannte und ihn förderte. In „Herkunft“ schreibt Stanišic´ über den Vielvölkerstaat, der im Krieg untergeht, und seine Jugend in Deutschland. Besonders eindrücklich schildert er zwei Besuche in seinem bosnischen Heimatdorf, wo er seine am Ende demente Großmutter wiedersieht.
„Herkunft“, ein Buch zwischen Autobiographie und Roman, ist in einer wunderbar bildhaften Sprache geschrieben. Darüber hinaus sensibilisiert es für die Thematik Flucht und Neuanfang, die heute ebenso erschütternd und bedeutsam ist wie vor dreißig Jahren.
Renate Klöppel
Saša Stanišic´: Herkunft, btb, 2020, Taschenbuch, 368 Seiten, 12 Euro
Renate Klöppel ist Ärztin, Musikerin und Autorin der ersten Freiburger Regiokrimis. Inzwischen schreibt sie Kinder-Sachbücher.