chilli cultur.zeit

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HEFT NR. 5/22 12. JAHRGANG

KULTUR

MONDRIANS FRÜHWERK BEI BEYELER IN BASEL

LEINWAND

900 JAHRE FREIBURG ZWISCHEN KRIEG & FRIEDEN

MUSIK

ZMF-PREIS FÜR NEELE PFLEIDERER


SPECIAL FESTIVALGUIDE

Entspannt bis eskalativ

Freiburg startet in die Festivalsaison

Southside Festival

Wann? 17. bis 19. Juni Wo? Neuhausen ob Eck

Aus den Festival-Kalendern ist das Southside bei Neuhausen ob Eck nicht mehr wegzudenken. Jedes Jahr stürmen die Massen in die beschauliche Gemeinde im baden-württembergischen Landkreis Tuttlingen. Das Southside Festival hat sich als süddeutsches Pendant zum Hurricane Festival in Norddeutschland etabliert. Über die vergangenen Jahre haben international erfolgreiche Künstler·innen vorbeigeschaut, ebenso beliebte deutsche Acts und eine große Zahl an Newcomern, von denen einige heutzutage die Headliner-Position einnehmen. Zu den Acts in diesem 42 CHILLI CULTUR.ZEIT JUNI 2022

Die Vorfreude ist vielerorts zu spüren. Es geht wieder was. Wer tanzen, mitgrölen oder entspannt zuhören möchte, findet im chilli-Festivalguide die besten Events. Wo tritt James Blunt auf? Wo kann man zu Elektromusik in den See hüpfen? Wo gibt es kostenlose Shows an vielen Ecken der Breisgaumetropole?

Jahr gehören Größen wie die Kings of Leon, Rise Against, Seeed, Martin Garrix, die Killers, Deichkind, Twenty One Pilots, Von Wegen Lisbeth, Mando Diao und K.I.Z. Auch der kantige Erfolgs-Rapper Kontra K zählt zum gewaltigen Line-up des Großevents. Genau wie die Antilopen Gang oder der Sänger Schmyt, dessen Album „Universum regelt“ auf den Musikseiten der aktuellen chilli-Ausgabe besprochen wird. Wer die Rückkehr des Festivals nicht verpassen will, dürfte es schwer haben. Der Run auf die Tickets ist wohl groß. Die Tagestickets werden ab rund 100 Euro angeboten. Der Festivalpass für drei Tage kostet mindestens 250 Euro. Darin inbegriffen ist ein Platz zum Campen von Donnerstag bis Montag. Wählbar ist da auch die Option „Grüner Wohnen“, die mehr Ruhe und Sauberkeit bieten soll. Das Festival bietet auf seiner Website zudem haufenweise Konzerte zum Onlineschauen an.

Fotos: © Julius-Keller, Matthias Rhomberg

M

ehr als zwei Jahre ging fast gar nichts. Jetzt geben die Veranstalter wieder Gas. Feierfreudige können sich auf einen heißen Sommer freuen. Nicht nur ZMF, Sea You oder Schlossberg Festival stehen in Freiburg und der Regio auf dem Programm.


SPECIAL FESTIVALGUIDE

Wann? 24. bis 26. Juni Wo? Freiburg

Wann? 30. Juni bis 3. Juli den Wo? Kurgarten, Kurhaus, Baden-Ba

An vielen Orten in der Stadt wird vom 24. bis 26. Juni Kunst und Kultur geboten sein: Mit rund 100 musikalischen Acts geht das Mitmach-Festival gewöhnlich an den Start. Erstmals gibt’s in diesem Jahr eine Bühne für Gruppen aus Mulhouse. Das Festival bietet Open-Air-Konzerte an vielen zentralen Orten der Stadt. Auf dem Platz der Alten Synagoge geht’s rund genau wie im Stadtgarten oder im Eschholzpark. Musikerinnen und Musiker verschiedener Genres treten dort ohne Gage auf und teilen ihre Lieder mit dem Publikum. Sie kommen meist aus der Stadt und Regio, teils aber auch von weit her. Die Stadt wird durch das Event zur Megabühne: Am Konzerttag, traditionell der Sonntag, klingt der Sound durch viele Winkel der City. In diesem Jahr soll das Festival auch den grenzüberschreitenden Austausch fördern: Im Mensagarten spielen von 14 bis 22 Uhr auf der „Hoppla-Mulhouse“Bühne französische Bands. Es gibt Rap, Rock, Punk und Chanson.

Nach zwei Jahren Pandemie-Pause treten vor dem Kurhaus Baden-Baden nun wieder hochklassige Tribute-Bands und weitere Musiker auf: Bekannte Hits von den Bee Gees, Roxette oder Phil Collins und Genesis erklingen im sommerlichen Ambiente. An allen vier Tagen wird bei freiem Eintritt abwechslungsreiche Livemusik geboten. Dabei reicht das Spektrum von hochklassigen Tribute-Shows über Jazz und Chanson, von Pop bis zu Rock. Gastronomische Angebote machen die Sommernächte auch zu einem kulinarischen Treffpunkt. Abgerundet wird die Veranstaltungsreihe vom Programm Jazzlife von Ellen & Bernd Marquart, dem Musikverein Oberstrot und Klängen der 1960er- bis 1980er-Jahre mit Einflüssen aus Blues, Country, Folk oder Jazz mit der Band Noisepollution. Marcel Adams „Hommage an Charles Aznavour” präsentiert Klassiker des französischen Chansonniers. Flor De Toloache beleben mit Interpretationen traditioneller mexikanischer Musik, und obendrauf kommt noch ein Wiedersehen mit der Band Kuult.

STIMMEN-Festival 2022

Wann? 30. bis 31. Juli Wo? Burghof Lörrach

Fotos: © Nils Boeddingmeier, Jens Koch, Freistil-Theater

Baden-Badener Sommernächte

In seiner 28. Ausgabe widmet sich das Stimmen-Festival unterschiedlichsten Genres und Trends: Am 6. Juli eröffnen Max Mutzke und als Support Duo Ruut im Burghof Lörrach. Dort ebenfalls zu Gast ist der Singer-Songwriter aus Berlin Finn Ronsdorf. Ein Klassik-Highlight ist das Zusammentreffen des Countertenors Valer Sabadus mit der Band Spark, einem Kammerquintett, das wie eine Band musiziert. Red Moon bringt cineastische, emotionsgeladene Popmusik in den Burghof. Soulig wird es mit Jake Isaac, dem Multiinstrumentalisten aus London. An zwei Konzerten im Werkraum Schöpflin in Lörrach-Brombach erlebt das Publikum junge Songwriter wie den US-Musiker Cobi. Sänger und Multitalent Lie Ning reist mit elektronischen Kängen im Gepäck aus Berlin an. Ab dem 20. Juli werden die Shows noch einmal größer. Passenger eröffnen die Marktplatzkonzerte, Silbermond spielen sich mit ihren Ohrwürmern in die Herzen, und die österreichische Band Wanda zeigt klare Kante mit Rock ’n’ Roll und Wiener Schmäh. Außerdem dabei: die schottische Künstlerin Amy Macdonald sowie die englische Rockband Deep Purple.

Open Air Impro-Theater

Wann? Je vier Tage im Juli, August Wo? Stadtgarten Freiburg

und September

Unter dem Motto „Frisch, frech, fröhlich, frei“ bietet das Open Air Impro-Theater im Stadtgarten ein unterhaltsames kulturelles Angebot. Vom 21. Juli bis zum 10. September zeigt „Freistil“ an den Wochenenden die hohe Kunst der Improvisation. Impro-Theater ist spannend wie Fußball, spontan wie Jazz, unterhaltsam wie Comedy und manchmal bewegend wie Kino. Schauspielkunst, Wortwitz, Spontaneität, Kreativität, Gesang und Situationskomik stehen im Vordergrund der interaktiven Show. Hier entsteht alles live und ungeprobt vor den Augen der Zuschauer·innen. Ein Moderator sammelt vor jeder Szene drei Vorschläge für einen Titel oder einen Ort und lässt das Publikum abstimmen, welcher der Vorschläge gespielt werden soll. Besonders für Familien und Kinder geeignet sind die Termine um 18 Uhr, bei denen kindgerechte und „jugendfreie“ Szenen und Geschichten gespielt werden. Der Eintritt ist frei, Spenden werden erbeten. JUNI 2022 CHILLI CULTUR.ZEIT DEZEMBER 2019 / AUGUST 2020 CHILLI CULTUR.ZEIT 4343

Foto: © René van der Voorden

Freiburg stimmt ein


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ZMF

Zwei Jahre gab es kein ZMF. Die Vorfreude auf das Freiburger Kultfestival ist daher groß. In drei Zelten wird es ein gewohnt hochkarätiges Programm geben: Es kommen Weltstars wie James Blunt, die Mighty Oaks oder Herbie Hancock. Dazu gibt’s deutsche Ausnahmetalente wie Clueso, Dota oder Meute. Nicht fehlen dürfen im Programm auch namhafte Gruppen aus dem Ausland: Zu sehen sind unter anderem das Dubioza Kolekti aus Bosnien und Herzegowina, I Muvrini aus Korsika oder Les Yeux D’La Tête aus Frankreich. Nur HipHop-Fans gehen mehr oder weniger leer aus. Ein richtiger Rapact ist nicht im Programm. Die Liste der sehenswerten Musiker ist dennoch lang bei fast drei Wochen Programm. Platz gibt’s traditionell auch für lokale Gruppen: Al Jawala wird sein Jubiläumskonzert mit zwei Jahren Verspätung spielen. Die Rocker von „Von Welt“ spielen ein Doppelkonzert mit Fisherman’s Fall. Und der ZMF-Preis geht bei der Philharmonischen Gala an die Freiburger Sängerin und Komponistin Neele Pfleiderer. Für den Charme des Zelt-Musik-Festivals sorgt die Lage am Tiergehege Mundenhof. Nebenan grasen Kamele und Büffel. Besucher·innen können an lauen Sommerabenden im Freien sitzen und auch ohne Konzerttickets Musik genießen. Der Eintritt auf das Gelände ist frei. Erstmals wird es jedoch Kassen am Eingang für einen freiwilligen Eintritt geben. Kleinkunst mit Jongleuren oder balancierenden Artisten wird genauso geboten wie ein Zelt für Nachwuchskünstler und Clubabende: Freitags und samstags gibt es zu später Stunde Tanzbares im Spiegelzelt. Die ersten Shows sind ausverkauft. Wer noch ein Ticket im Vorverkauf erstehen möchte: Das geht auch im ZMF-Container auf dem Platz der Alten Synagoge. Er ist donnerstags und freitags von 12 bis 18 Uhr und samstags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Da die Festivalkasse nach langer Pause knapp ist, hoffen die Veranstalter auf viele verkaufte Karten.

44 CHILLI CULTUR.ZEIT DEZEMBER 2019/JANUAR 2020

Fotos: © Klaus Polkowski, Sea You, lukeandsimon

Wann? 13. bis 31. Juli Wo? Mundenhof, Freiburg


SPECIAL FESTIVALGUIDE

Sea You Festival

Wann? 15. bis 17. Juli Wo? Tunisee, Freiburg-Hochdorf

Sommer, sieben Stages, ein See. Die Sea You-Formel dürfte auch dieses Jahr aufgehen. Immerhin bekommen Fans elektronischer Musik nach zwei Jahren Zwangspause für die Karte hochkarätige DJs geboten: Alle Farben, Ann Clue, Boris Brechja, Einmusik, Hidden Empire, Moonbootica, Paul Kalkbrenner oder Rainier Zonneveld lassen die Plattenteller am Tunisee kreisen und verwandeln das Areal drei Tage lang in eine rauschende Partymeile. Passend zum starken Line-up haben sich die Organisatoren für dieses Jahr einiges vorgenommen: Wartezeiten am Eingang sollen reduziert werden, das Bus-Shuttle setzt auf eine neue, eigenständige Route. Dazu gibts mehr WCs und zusätzliche Bars sowie mehr überdachte Flächen in der VIP-Area. Stage 3 bekommt eine neue, druckvollere Musikanlage spendiert. Außerdem versprechen die Sea You-Macher ein „Mega Iglu“: ein 60 Meter langes und 40 Meter breites Zelt. Der „Dome“ konnte bislang auf keinem deutschen Festival bestaunt werden. Offene Seitenwände sorgen für zahlreiche Zugänge zum neuen Techno-Tempel und ausreichend Frischluft. Wer sich die Beine beim Tanzen wundgestampft hat, relaxt im Sitzsack unter schattenspendenden Zelten oder Betten direkt am Seeufer mit insgesamt einem Kilometer Liegefläche.

Schaulaufen und schrille Vögel gibt’s nicht nur dort, sondern auch beim Flamingo-Verleih. Bis zu sechs Personen können sich auf einem rosafarbenen Plastikvogel über das kühle Nass treiben lassen, auf dem auch Wakeboarder ihre Bahnen ziehen. Außerdem wächst das Sea You dieses Jahr noch einmal. Das Festival-Gelände wird um 10.000 Quadratmeter erweitert – bei gleicher Anzahl von Besucher·innen.

Open Air im Park

Wann? 16. Juli bis 5. August Wo? Kurpark Bad Krozingen

Im Sommer verwandelt sich der idyllische Bad Krozinger Kurpark beim Open Air im Park wieder in eine Freilichtbühne. Mitten im Grünen wartet ein abwechslungsreiches Musik- und Unterhaltungsprogramm auf die Besucher·innen. Zum Auftakt findet am 16. und 17. Juli das traditionelle Lichterfest mit Musik, Tanz und jeder Menge Unterhaltung statt. Über 15.000 Kerzen und Lampions lassen den Park am 16. Juli bei Einbruch der Dunkelheit in romantischem Licht erstrahlen. In einem separaten Teil werden rund 700 japanische Bambuslaternen und Poi-Leuchtbälle für meditative Stimmung sorgen. Am 17. Juli wartet ein buntes Unterhaltungs- und Familienprogramm auf die Gäste. Am Sonntag ist der Eintritt frei. Den eigentlichen Anfang macht dann am 21. Juli die Schlager-Gala mit Liane, Reiner Kirsten und Semino Rossi. Letzterer ist einer der bekanntesten Schlagersänger Deutschlands und

gehört seit über zehn Jahren mit seiner Tenorstimme zu den Top-Stars der Szene. Er kombiniert deutschen Schlager mit internationaler Popmusik und lateinamerikanischem Spirit. Weiter geht’s am 22. Juli mit Chris Norman und Band. Der Brite wurde als Frontmann der Band Smokie bekannt, die Hits wie „Living next Door to Alice“ auf den Markt brachte. Mit dem Philharmonischen Orchester Freiburg gibt es am 27. Juli Klassik pur. Das Orchester kann auf eine lange Historie zurückblicken, es wurde 1887 gegründet. An der Spitze des Orchesters steht an diesem Abend Simon Gaudenz. Am 29. Juli wird Nico Santos auf die Bühne gehen. Mit seinen 29 Jahren zählt er zu den erfolgreichsten deutschen Songwritern. Rockfans können sich den 31. Juli vormerken. Dann wird „Manfred Mann’s Earth Band“ aufspielen. Die Combo hat sich mit Hits wie „Blinded by the Light“, „Davy’s on the Road again“ und „For you“ einen Namen gemacht. Den Abschluss markieren am 5. August Helmut Dold’s Dixie All Stars feat. Claudia Moehrke. Zu hören gibt es eine Dixieland-Band-Besetzung mit drei exquisit eingespielten Bläsern und grooviger Rhythmusgruppe. JUNI 2022 CHILLI CULTUR.ZEIT DEZEMBER 2019 / AUGUST 2020 CHILLI CULTUR.ZEIT 45 45


SPECIAL FESTIVALGUIDE

Das Fest Karlsruhe

Das Fest in Karlsruhe gehört mit über 200.000 Besucher·innen zu den größten Open-Air-Festivals in Deutschland. Als generationenübergreifendes Sommer-Event zieht es Menschen aus ganz Deutschland und den angrenzenden Ländern an. Passenger, Jan Delay & Disko No1 und Bilderbuch sind die diesjährigen Top-Acts. Darüber hinaus noch ein geheimer Headliner. Die Veranstalter freuen sich besonders darüber, dass Weltstar Passenger nach seinen Zusagen für die vergangenen beiden Jahre, in denen das Festival coronabedingt ausfallen musste, nun tatsächlich kommen kann. Erstmals werden in diesem Jahr viele weibliche Stars dabei sein: Alice Merton, Lotte, Blond, MiA., Deine Cousine, Indra-Rios Moore und Steiner & Madlaina bringen ordentlich Frauenpower auf die Hauptbühne am Mount Klotz. Auch die aktuellen Chartbreaker Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys erobern die Bühne, und die Celtic-Punks Flogging Molly garantieren Partystimmung. Das Fest kann dieses Jahr einen Tag länger gefeiert werden. Programm und Bühne sollen entzerrt werden. So haben auch die Künstler·innen Gelegenheit, nach der entbehrungsreichen Zeit das Beisammensein länger

zu genießen. Für das besondere Flair am Fest ist übrigens auch die Location verantwortlich: Der Mount Klotz bildet mit seinem gegenüber der Hauptbühne liegenden Hang eine ungewöhnliche, ansteigende Zuschauertribüne im Freien. Neben der Hauptbühne gibt es noch eine Feld- und eine Kulturbühne. Zum Festivalgelände gehören außerdem ein Sportpark und ein Kinderbereich, in dem die Kids pädagogisch betreut spielen und planschen können. Dieses gesamte Areal außerhalb der Hauptbühne und damit 70 Prozent des Programms ist kostenfrei zugänglich. Die Tickets für das Programm auf der Hauptbühne gibt es zu je 15 Euro pro Tag (zuzüglich Gebühren) nur bei Eventim, entweder online oder bei den Vorverkaufsstellen der Region. Weitere Infos unter: www.dasfest.de

I EM MUSIC! 2022

Tamburi Mundi

Wann? 21. bis 26. Juli Wo? Schlossplatz Emmendingen

Wann? 30. Juli bis 8. August Wo? E-Werk, Freiburg

Im Juni verwandelt sich der Schlossplatz vor dem historischen Markgrafenschloss im Herzen von Emmendingen in eine riesige Bühne. Nach der unfreiwilligen Durststrecke verspricht die 17. Ausgabe des I EM MUSIC! „Hautnah-Atmosphäre“ und wartet auf mit tollen Künstlern aus ganz Deutschland: Die Fantastischen Vier, The BossHoss, Viper-Sniper, Max Giesinger, Roland Kaiser, The Last Bandoleros und Wincent Weiss geben sich vom 21. bis zum 26. Juli ein Stelldichein in Südbaden. Fans können sich auf weitere tolle Künstler und einen unvergesslichen Konzertsommer freuen. Künstler wie Chris de Burgh, Jan Delay, Unheilig, Milow, Udo Jürgens, A-HA, John Fogerty, BAP, Billy Idol, Mark Forster, Andreas Bourani, Rea Garvey , Limp Bizkit, Adel Tawil und viele mehr waren bereits in Emmendingen zu Gast und haben Tausende Fans begeistert.

Auf Einladung von Worldpercussionist Murat Coskun ˛ und dem Verein Tamburi Mundi sind in Freiburg an zehn Tagen internationale Musiker·innen zu Gast, um ihre Rahmentrommelkunst und -kultur zu präsentieren – im Dialog mit Tanz, Gesang, Streichern, Klavier, Baglama, Oud und anderen Instrumenten der Weltmusik. ˛ Beim Eröffnungskonzert Bodycussion trifft Coskun auf die Musikerin Anita Gritsch aus Österreich, tags darauf weben Rhani Krija und andere Musiker einen nordafrikanischen Klangteppich. Nach dem Kinderprogramm mit dem TAK und seiner fliegenden Trommel am 1. August geht es an den folgenden Tagen weiter mit Luca Rossi und seiner italienischen Tammorra und einem vielstimmigen „Rundumschlag“. Zum Programm gehören auch Frame Drums & Poetry sowie SpiRitual, wo die rituelle Seite des Rahmentrommelspiels in verschiedenen Kulturen musikalisch verarbeitet wird. Und natürlich ein fulminantes Abschlusskonzert mit Trommel, Streichern und Klarinette.

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Fotos: © Steffen Eirich, Christoph Köstlin, Michael Reiserer, Schlossbergfest, African-Music-Festival

Wann? 21. bis 24. Juli 2022 Wo? Günther-Klotz-Anlage, Karlsruhe


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Schlossberg Festival

Wann? 28. Juli bis 7. August Wo? Freiburg

Neun Veranstaltungstage, ein neues Gastronomiesowie Sicherheitskonzept: In idyllischer Atmosphäre und sommerlichem Ambiente kann beim abwechslungsreichen musikalischen Rahmenprogramm von Rock, Pop, Jazz, Folk, Funk, Latin, Reggae, HipHop bis hin zu elektronischer Musik getanzt, gefeiert und geschlemmt werden. Auf drei Bühnen sorgen regionale und überregionale Bands für das richtige Sommerflair. Der Kanonenplatz bietet Pop, Rock, Reggae bis Funk und außerdem eine sagenhaften Aussicht auf das nächtliche Freiburg. Am danebenliegenden Burggraben wird im südamerikanischen Ambiente zu heißen Samba- und Salsaklängen sowie Indie(-Pop) eine ganz besondere Show geboten. Die darüberliegende Ebene steht den Fans elektronischer Musik voll und ganz zur Verfügung. Von hier aus hat man sogar einen 280-Grad-Panoramablick.

African Music Festival Wann? 4. bis 7. August Wo? Schlossplatz, Emmendingen

Dieses Mal dauert es vier Tage: das längst aus Emmendingen nicht mehr wegzudenkende African Music Festival. Denn nach zwei Jahren mit kleinen Formaten soll es wieder ein richtig großes Fest geben. Jeder Tag hat ein eigenes musikalisches Motto. Nach Choir & Voices am Donnerstag ist der Freitag Afro-lateinamerikanischen Rhythmen gewidmet, am Samstag ist Afro World Music-Tag und am Sonntag gibt es Reggae Music. Mit dabei sind in diesem Jahr internationale Gäste wie Sona Jobarteh, Sergent Garcia, Stoneboy, Nkulee Dube, Gentleman und einige andere. Auch regionale Künstler tragen zur Festivalstimmung bei, darunter Soulvation, Golden Harps, Soulfamily, El Flecha Negra und die Ritmo Jazz Group. Ergänzt wird das Musikprogramm mit einer Modenschau, der Straßenparade, einem interreligiösen Gottesdienst, Tanz-Workshops und Lesungen. Außerdem gibt es afrikanische Küche und den beliebten Afro World Basar mit Kleidung, Stoffen, Kunsthandwerk und Accessoires. www.festival.afrikaba.de


Polyfon Festival Wann? 11. bis 13. August Wo? Kasernenplatz Basel

Der Name ist Programm: Beim Polyfon-Festival trifft vielstimmige Musik auf ein stimmiges Surrounding. Rund um und auf dem Kasernenplatz gibt es Sommerstimmung im Freien, funkelnde Bühnenatmosphäre und waberndes Clubfeeling im Inneren: Drei Tage lang wird das Areal zum Treffpunkt für Liebhabende und auch die Lieblinge aktueller, überraschender und begeisternder Musik aus der Schweiz, aber auch aus der ganzen Welt. Ein Mikrokosmos mit Marktständen, Workshops, Mitmachangeboten schmücken das Line-up, die Macher Caroline Faust und Marlon McNeill haben mit ihrem Team ein Kaleidoskop kultureller Diversität kreiert, das nicht nur Open Air ist (so der frühere Name des Festivals), sondern auch polyfon. Cate Le Bon kommt, bei Pongo trifft Soul auf Techno, Minyo Cursaders mischen japanische Volkslieder mit Afrobeat Cumbia und Dub, Boy Harsher haben den guten alten Synthesizer dabei, Morena Leraba setzt aufs Psychedelische, Jess Smyth aka Biig Piig kombiniert HipHop mit Neo-Soul, Omni Selassi scheinen Musik vom Mars zu machen. Das kooperierte tunesische Sailing Stones Festival bringt Mad Bastard an die Kaserne, der irgendwo zwischen Ambient, Noise und Techno performt. Aus Tunis kommt

auch die Demolition Unit, die dark Disco zelebrieren. Und mit DJane Bonnie gibt es sodann noch kräftig Industrial und Techno auf die Ohren. Ein fein getuntes Line-up fernab vom Mainstream, eher eine Wundertüte, die im Inneren neue Horizonte aufblitzen lässt. Und da gibt es dann auch noch die Weird Fishes, die ihrem Namen alle Ehre machen. Oder Anna Erhard, die in „Horoscope“ den Rhythmus verschleppt – als ob die Stimme mit 45 Umdrehungen, die Instrumente aber nur mit 33 laufen. Etwas weird kommen auch Louis Jucker & Band daher, punkig, rockig, neblig. Das etwas Verrückte, Abseitige ist auch die spirituelle Heimat der Acid Amazonians aus Zürich, die HipHop-Groove zocken.

Heroes Festival

Wann? 9. und 10. September Wo? Messegelände Freiburg

Das gab’s in Freiburg noch nicht: Am 9. und 10. September kommt die Crème de la Crème des Deutschraps in den Breisgau. Stars der Szene wie K.I.Z., RIN, Trettmann oder Kool Savas entern an den zwei Tagen die Bühne auf dem Messegelände. Das Line-up lässt viele HipHop-Herzen höherschlagen. Gleich mehrere der angesagtesten Deutschrap-Acts sind Anfang September in Freiburg zu sehen. Für die Stadt ein Novum, so viele reimende Schwergewichte auf einmal zu sehen: Neben den Headlinern K.I.Z. kommt auch eine der gefragtesten Rapperinnen der Stunde, Badmomzjay. Die im Umland Berlins aufgewachsene Rapperin Jordan aka Badmomzjay ist seit zwei Jahren auf der Überholspur des Deutschraps unterwegs. Und das mit gerade mal 19 Jahren. Auch Trettmann dürfte sehnsüchtig erwartet werden. Der Mann aus Chemnitz hat sich 2017 mit dem Album #DIY in den Raphimmel katapultiert und ist mit modernem urbanem Sound und ausgefeilten Texten einer der meistrespektierten Künstler in seinem Genre. Als Evergreen ist Kool Savas vertreten, der seit rund 20 Jahren der Szene seine Stempel aufdrückt. Wichtig ist den Veranstaltern „der Spagat zwischen 48 CHILLI CULTUR.ZEIT JUNI 2022

Vergangenheit, Zukunft, Hier und Jetzt“. Das Team aus Dettelbach bei Würzburg will Newcomern genauso eine Bühne bieten wie Allstars und den gehypten Chartbreakern. Mit gleich drei Ausgaben in diesem Jahr geht das Heroes an den Start: Es steigt im Juni in Kassel und Geiselwind (nähe Würzburg). Im September geht’s in Freiburg weiter. Seit 2017 existiert das Festival. In Freiburg ist das Gelände am Freitag ab 14 Uhr und Samstag ab 12 Uhr geöffnet. Die Party geht jeweils bis um 3 Uhr morgens. Tickets gibt es fürs ganze Wochenende oder einen Tag. Tagestickets sind aktuell ab 69 Euro erhältlich. VIP-Tickets werden für 149 Euro angeboten. Der Verkauf ist in Phasen eingeteilt. Je später man zugreift, desto teurer wird es. www.heroes-festival.com


SPECIAL FESTIVALGUIDE

Internationales Rothaus Food Festival Wann? 10. und 11. September Grafenhausen Wo? Badische Staatsbrauerei Rothaus,

Streetfood und Tannenzäpfle passen bestens zusammen. Das haben die letzten Foodtruck-Festivals in Rothaus bewiesen. Die bekanntesten Streetfood-Vertreter aus Deutschland, der Schweiz und Österreich verwandelten das Gelände der Badischen Staatsbrauerei in ein gigantisches Open-Air-Restaurant. Dieses Mal wird das Ganze noch größer: Rund 30 rollende Küchen werden dabei sein, nicht nur in Foodtrucks, sondern auch in Marktständen und Trailern. Das bedeutet, dass die kulinarische Auswahl noch vielfältiger wird. Es gibt wieder hochwertiges Streetfood aus verschiedenen Nationen. Wer offen für Neues ist, kann sich durch unzählige Länderküchen probieren und das Besondere genießen. Wer Bodenständiges vorzieht, findet auch das. Es soll aber nicht nur gegessen und getrunken werden – das musikalische Begleitprogramm kann sich hören und sehen lassen. Die Livebands bedienen viele Geschmäcker: Acoustic-Rock, Pop und Soul.

Und das Festival hat noch mehr auf Lager – ein attraktives Rahmenprogramm mit den unterschiedlichsten Veranstaltungen, sodass die ganze Familie etwas davon hat: >>Märzen-Marsch: von hier nach Bier, mit RothausSpezialitäten, Vesper und Guide in die Natur >>Braukunst-Brunch: Frisches aus dem Kessel – Weißwürste & Zäpfle, Biertreber-Backwaren & Kochkaffee >>BBQ-Show mit dem Grillprofi Tom Heinzle und dem Rap-Comedian Cossu >>Rock Rookies live: Junge Musiktalente der Europapark-Talentakademie präsentieren sich auf der großen Bühne >>Moderator an beiden Veranstaltungstagen ist Markus Knoll, Chef der Radiosender Hitradio Ohr und Schwarzwaldradio Und dies alles vor der herrlichen Kulisse des Hochschwarzwaldes. Los geht es am Samstag, den 10. September um 12 Uhr. Bis 21 Uhr kann man essen, trinken, lauschen, lachen und feiern. Der Sonntag startet zu bester Frühschoppenzeit um 11 Uhr und endet am Nachmittag um 17 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Fotos: © Samuel Bramley, Heroes-Festival, Badische-Staatsbrauerei-Rothaus-AG

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JUNI 2022 CHILLI CULTUR.ZEIT 49


MUSEUM

Gespenstische Klänge GEIST SUCHT ORGEL IM AUGUSTINERMUSEUM HEIM

Peter Kalchthaler kennt die 300 Jahre alte Orgel wie kaum ein Zweiter. Seit Jahrzehnten begleitet er das Prunkstück: Majestätisch thront es im Museum. Doch etwas stimmt nicht. Immer wieder gibt die Orgel Misstöne von sich. Im März kam es zum „Katastrophenkonzert“, wie der 66-Jährige erzählt. Die beliebte Musikvorstellung wurde abgebrochen. Am Orgeltisch saß Musikstudent Johannes Opfermann. „Bei meinem ers-

Orgelkenner und Maschine: Peter Kalchthaler und der ominöse Audiorecorder im Museum. 50 CHILLI CULTUR.ZEIT JUNI 2022

ten Stück habe ich den falschen Ton noch überspielt“, berichtet der 22-Jährige. Beim zweiten ging das nicht mehr: „Es sind total random Töne erklungen, ich habe versucht, andere Register zu spielen, aber es wurde nicht besser.“ Also brach Opfermann die Vorstellung ab und sagte dem Publikum: „Tut mir leid, die Orgel ist kaputt.“ Er hätte auch sagen können: Der Geist ist zurück. Als solcher wird das Problem im Museum gehandelt. In einer Pressemitteilung heißt es: „Mysteriöse Vorkommnisse legen den Konzertbetrieb im Augustinermuseum still. Wie von Geisterhand spielt die Orgel oder gibt schräge Töne von sich.“ Schon 2016 spukte es um die Orgel mit seltener Bauart: Sie wird elektromagnetisch gesteuert. Auch damals spielte sie verwegene Töne. „Wir hatten alle möglichen Geister in Verdacht“, berichtet Kalchthaler: Das elektrische Feld der vorbeifahrenden Straßenbahn genau wie die Bewegungsmelder der Alarmanlage. Vor sechs Jahren schien das Problem gelöst: Ein an die Orgel angeschlossener staubiger Audiorecorder wurde als Bösewicht ausgemacht – und deaktiviert. Die Geister verschwanden. Bis jetzt. Der Recorder war es also nicht. Das Team von Kalchthaler hat Experten aus Waldkirch beauftragt, des Problems Herr zu werden. Der Historiker ist sicher: „Wir haben jetzt erkannt: Der Orgelgeist steckt im Spieltisch.“ Dort seien Kriechströme unterwegs, das verursache die mysteriösen Töne und lasse sich mit Altersschwäche erklären. Sie hat drei Jahrhunderte auf dem Buckel und wurde mehrfach umgebaut. Doch die Experten von „Jäger & Brommer“ aus Waldkirch rudern zurück: „Derzeit sind wir noch auf der Detailsuche. Wäre alles spekulativ

Mysteriöse Töne: Die Welte-Orgel spielt wie von Geisterhand.

und unnötig.“ Noch sei nichts geklärt. Weitere fantasiereiche Mutmaßungen des Museumsteams sind also noch im Rennen: Es raunt, dass die abgeschlagenen Hände der Statuen vor der Orgel der Grund des Übels sein könnten. Oder der auf der Orgel sitzende Abt von Gengenbach. Aus seiner Stadt ist das Instrument 1923 als leeres Gehäuse gekommen. Ist er zornig, dass er in Freiburg sitzen muss statt in der Ortenau-Gemeinde? Bis alles geklärt ist, kann es noch dauern. Die Konzertreihe am Samstag ruht. Der Schaden ist vor allem emotional, sagt Julia Habermann vom Museumsteam: „Die Leute sind traurig, die Orgel fehlt uns.“ Dennoch ist das Haus um einen Gast reicher: Spuk im Museum, das gibt’s nicht überall. Eine Gruppenführung mit Geisterjagd durch die Räume würde bestimmt Anklang finden.

Fotos: © tln

E

rneut verbreitet die Welte-Orgel im Freiburger Augustinermuseum seltsame Töne. Sie kommen aus dem Nichts. Das Museumsteam spricht von der Rückkehr des „Orgelgeists“. Zum zweiten Mal scheint der Fehler gefunden. Doch sicher ist das nicht.

von Till Neumann


Piet Mondrian: (o.) OOSTZIJDER MÜHLE AM ABEND, um 1907–1908, Öl auf Leinwand, 67,5 × 117,5 cm Kunstmuseum Den Haag, Niederlande, Vermächtnis Salomon B. Slijper, (u.r.) BLÜHENDER APFELBAUM, 1912, Öl auf Leinwand, 78,5 × 107,5 cm Kunstmuseum Den Haag, Niederlande, beide: © 2022 Mondrian/Holtzman Trust, Fotos: Kunstmuseum Den Haag; (u.li.) BAUM, 1912 (?), Öl auf Leinwand, 74,9 × 111,8 cm, Munson Williams Proctor Arts Institute, Museum of Art, Utica, NY, © 2022 Mondrian/Holtzman Trust, Foto: bpk/Staatsgalerie

KUNST

Pionier der Moderne WERKE VON PIET MONDRIAN IN DER FONDATION BEYELER

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er Name Mondrian wird vorwiegend mit einer fast gegenstandslosen Bildsprache assoziiert, die sich auf die rechtwinklige Anordnung schwarzer Linien auf weißen, bestenfalls mit den drei Grundfarben Blau, Rot und Gelb ausgefüllten Flächen beschränkt. Dass dies zu kurz gegriffen ist, zeigt nun die Ausstellung „Mondrian Evolution“, die noch bis zum 9. Oktober in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel zu sehen ist. Wie bereits der Titel der 89 Objekte umfassenden Werkschau aus sämtlichen Schaffensphasen des vor 150 Jahren geborenen niederländischen Künstlers andeutet, geht es um seine Entwicklung vom figurativen Landschaftsmaler des ausgehenden 19. Jahrhunderts hin zu einem Pionier

von Erika Weisser und führenden Protagonisten der abstrakten Moderne. Zwar sind einige Beispiele eben dieser abstrakten Moderne Teil der Ausstellung, doch sie werden Exponaten aus dem impressionistischen Frühwerk gegenübergestellt. Oder besser: in Beziehung zu ihnen gesetzt. So, wie es der 1944 verstorbene Maler nach den Worten von Beyeler-Direktor Sam Keller in seinen eigenen Ausstellungen selbst gerne machte. Für ihn ist Mondrian Evolution „ein Höhepunkt im Sommerprogramm zum 25-jährigen Bestehen des Kunstmuseums“. Mondrian, erläutert Kurator Ulf Küster angesichts der Bilder „aus wichtigen internationalen Leihgaben und der hauseigenen Sammlung“, war ein Künstler, der sich „immer wieder neu erfunden und der viel experimentiert hat“. Ein Mensch, der „auf der Suche war“ – auf der Suche nach dem Wesentlichen, das auch und gerade in der Abstraktion er-

kennbar wird. Anschaulich wird das etwa bei den aus seinen verschiedenen Lebens- und Arbeitsphasen stammenden Bildern von Windmühlen, die nun gleichfalls in Riehen zu sehen sind.

Reduktion und Verdichtung als evolutionäres Stilmittel Besonders offenkundig wird das auch in der Darstellung dreier einzeln stehender Bäume. So ist der zwischen 1908 und 1910 entstandene „Rote Baum“, der das Plakat der aktuellen Ausstellung schmückt, zwar schon reduziert, doch noch sehr naturalistisch. Auf dem vermutlich im Jahr 1912 gemalten Bild „Baum“ (u.li.) ist ein ähnlich strukturiertes Gewächs indessen deutlich verfremdet und durch kubistische Elemente in seine Einzelteile zerlegt. Das Bild „Blühender Apfelbaum“ (u.r.) aus demselben Jahr geht hingegen ganz in die waagerechtrechtwinklige Ausrichtung sowohl des Hintergrunds als auch des Gegenstands über. Hier verweisen lediglich noch blattförmige Elemente darauf, dass es sich um einen Baum handeln könnte. Großartig ist das Bild aber allemal, so wie die ganze Ausstellung, deren Besucher hier einen ganz neuen Mondrian entdecken.

INFO: Metamorphosen: Piet Mondrians Frühwerk ist figurativ (o.) – und wird zunehmend abstrakt.

fondationbeyeler.ch JUNI 2022 CHILLI CULTUR.ZEIT 51


KINO

Widerständige Visionäre FREIBURGER·INNEN ERLEBEN IN 900 JAHREN FRIEDLICHE UND KRIEGERISCHE ZEITEN

Tun wir. Tun wir. Was dazu! Freiburg 2022 Regie: Autorenteam 12 A* Mit: Janou Iserloh, Sujit Kuruvilla u.a. Laufzeit: 88 Minuten Info: ganter.filmundmedien

Foto: © Markus Weber

Fotos: © Ganter Film & Medien

52 CHILLI CULTUR.ZEIT JUNI 2022

W

enn ein Projekt freiburgerisch genannt werden kann, so ist es der Film „Tun wir. Tun wir. Was dazu!“, der am 26. April Premiere im Harmonie-Kino feierte. Nicht nur der Anlass hatte mit Freiburg zu tun: Der Film entstand zum 900-jährigen Stadtjubiläum. Und nicht nur die Drehorte sind im Stadtgebiet, auch alle Beteiligten kommen aus Freiburg: die Autorinnen, Darsteller und Sprecher, der Filmemacher und auch der Komponist der Filmmusik. Elf Menschen aus neun verschiedenen friedens-, gesellschafts- und umweltpolitischen Initiativen forschten mehr als zwei Jahre lang intensiv in Archiven über Frauen und Männer, die sich in den 900 Jahren für Frieden, Gerechtigkeit, Freiheitsrechte, für den Erhalt der Schöpfung einsetzten. Federführend waren dabei die Theologin und Kirchenhistorikerin Barbara Henze als Ideengeberin und der Lehrer Klaus Schittich vom Weltbürger·innenverein AWC, der die inhaltliche Arbeit koordinierte. Aus dem recherchierten Material entwickelten sie szenische Texte, die „sowohl historisch verbürgt als auch filmtauglich sein mussten“, so Schittich. Zusammen mit dem Filmemacher Stefan Ganter bildeten die Mitwirkenden, die etwa bei Pax Christi, dem Freiburger Friedensforum, der DFG-VK, dem EineWelt-Forum oder den Ärtz·innen gegen den Atomkrieg engagiert sind, das Autor·innenteam12A*. Was dieses Team zustande brachte, ist sehr sehenswert. Sie thematisieren, was in der Geschichtsschreibung oft zu kurz kommt: Verwaltungsbeamte mit weißen Fahnen.

von Erika Weisser

Foto: © Ulrike Schubert

Stadtgeschichte ins Bild gesetzt: Dreharbeiten zur Szene „Erasmus verlässt die Stadt“.

Bauern, die gegen die feudale Herrschaft aufbegehren. Demokraten, die 1848 die Badische Republik errichten wollen. Friedensaktivist·innen, die noch bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs pazifistische Reden halten. Menschen, die Widerstand gegen das NS-Regime leisten, die Verfolgte und Deserteure retten – und viele mehr. Durch den Film führen die jungen Schauspieler·innen Janou Iserloh und Sujit Kuruvilla. Sie gehen durch die Stadt, angetrieben von der Frage, ob es wohl in allen Epochen der Freiburger Geschichte Bürger·innen gab, die sich der Logik von nicht nur kriegerischer Gewalt und Gegengewalt widersetzten. So wie es in der ersten Szene des Film zu erleben ist: Hier steht der später zum Graf von Fahnenberg geadelte Stadtschreiber Franz Ferdinand Meyer auf der Stadtmauer und schwenkt die weiße Fahne – und bewahrt Freiburg im Jahr 1713 vor der Zerstörung durch belagernde französische Truppen. Nicht nur im Kino wird er gezeigt, sondern nun auch in Bürgerhäusern, Kulturund Jugendtreffs, in Schulen. Gedacht ist auch an eine Zusammenarbeit mit dem Rathaus und dem Kommunalen Kino. Im Sommernachtskino, das am 1. Juli startet „wird es leider keine Vorführung geben“, bedauert Schittich.


KINO SCHMETTERLINGE IM OHR

WIE IM ECHTEN LEBEN

RIFKIN’S FESTIVAL

Foto: © Neue Visionen

Foto: © Neue Visionen

Foto: © Filmwelt

Frankreich 2021 Regie: Pascal Elbé Mit: Sandrine Kiberlain, Pscal Eblé u. a. Verleih: Neue Visionen Laufzeit: 93 Minuten Start: 16. Juni 2022

Frankreich 2021 Regie: Emmanuel Carrère Mit: Juliette Binoche, Hélène Lambert u. a. Verleih: Neue Visionen Laufzeit: 106 Minuten Start: 30. Juni 2022

USA 2021 Regie: Woody Allen Mit: Elena Anaya, Wallace Shawn u. a. Verleih: Filmwelt Laufzeit: 92 Minuten Start: 7. Juli 2022

Wer nicht hören will ...

Zwischen Sein und Schein

Absurder Humor

(ewei). Antoine, ein gut aussehender Geschichtslehrer um die 50, genießt den zweifelhaften Ruf, arrogant zu sein: Geflissentlich überhört er auch die Wortmeldungen seiner Schüler, ignoriert die Gefühlslage seiner Freundin. Seine neue Nachbarin Claire treibt er mit ohrenbetäubendem Lärm in den Wahnsinn. Ihre Beschwerden perlen gnadenlos an ihm ab – wie alles in der Welt. Erst als er in der Schule nicht auf einen Feueralarm reagiert, ist Antoine gezwungen, sich den Symptomen des eigenen Alterns zu stellen. Und der unangenehmen Tatsache, dass er so gut wie taub ist. Mit dem Einsatz von Hörgeräten eröffnet sich ihm zwar bald eine neue Welt. Doch plötzlich kriegt er alles mit, was er sonst entspannt ausblenden konnte. Die demente Mutter, die ständig überforderte Schwester, die jahrelang brüskierten Kollegen – alles prasselt ungefiltert auf ihn ein. Nur ein einziger Mensch versteht ihn: Claires kleine Tochter Violette, die seit dem Tod ihres Vaters nicht mehr spricht.

(ewei). Die erfolgreiche Schriftstellerin Marianne arbeitet gerade an einem neuen Buch. Darin geht es um die wenig beachteten, extrem ausgebeuteten Arbeiterinnen in der Gebäudereinigung: schwer schuftende Menschen, die sich tagtäglich abmühen – und Miete und Lebenshaltungskosten nur gerade so zahlen können. Um Einblicke in deren Lebens- und Arbeitsbedingungen zu erhalten, reist Marianne in die nordfranzösische Hafenstadt Caen. Dort gibt sie sich im Jobcenter als arbeitslose, geschiedene Frau aus, die dringend eine neue Beschäftigung sucht. Das Arbeitsamt beschafft ihr schließlich eine Anstellung in einer Putzkolonne, die unter großem Zeitdruck die Kabinen der Fähre nach England reinigen muss. Marianne kommt mit Frauen zusammen, die seit vielen Jahren diese harte Arbeit machen. Sie lernt ihre Freuden und Leiden kennen, freundet sich besonders mit der alleinerziehenden Christèle an. Doch ihre wahre Identität, ihr Balanceakt zwischen Schein und Sein, belastet die Beziehung.

(ewei). Mort Rifkin ist nicht der Typ, der Frauenherzen schneller schlagen lässt. Um die 60, klein, glatzköpfig und ziemlich unbeholfen, kann er jedenfalls nicht mit den selbstgefälligen Paradiesvögeln konkurrieren, die er beim Filmfestival in San Sebastián trifft. Schon gar nicht mit dem jungen französischen Regisseur Philippe, für dessen neuen Film Morts Ehefrau Sue die Pressearbeit macht. Bald sieht er seine Vermutung bestätigt, dass Sues Interesse für Philippe nicht nur beruflicher Natur ist. Und der liebenswürdige Cineast mit einem Faible für die Kinoklassiker von Bergman, Fellini, Godard oder Truffaut wird zum gnadenlosen Kritiker der schnelllebigen und nichtssagenden neuen Filmindustrie. Er lernt die Ärztin Jo Rojas kennen, die seine Vorliebe für das Autorenkino teilt und ihn durch die malerische Stadt führt. Natürlich verliebt er sich. Doch sie kommt nicht von ihrem narzisstischen Ehemann los. Viel absurder Humor in irrealen Situationen – vor grandioser Kulisse.


MUSIK

Tanzt auf vielen Hochzeiten: die Freiburger Sängerin und Komponistin Neele Pfleiderer. Foto: © Ellen Schmaus

„Groove und Gespür“

JAZZ-KÜNSTERLIN NEELE PFLEIDERER BEKOMMT ZMF-PREIS

N

icht nur Musikerkollegen schwärmen von ihr. Auch die Macher des Zelt-Musik-Festivals (ZMF) sind begeistert: Die Freiburger JazzSängerin und Komponistin Neele Pfleiderer erhält im Juli den ZMFPreis. Der 39-jährigen Künstlerin könnte das neue Wege für ein Großprojekt öffnen. Sie singt in fünf Formationen, komponiert Songs, unterrichtet Gesang. Neele Pfleiderer tanzt auf vielen Hochzeiten. Dennoch war es zuletzt aus familiären Gründen etwas ruhiger. Dieses Jahr rückt sie dafür verstärkt ins Rampenlicht. Am 24. Juli erhält sie den ZMF-Preis – und wird mit dem Philharmonischen Orchester eigene Songs bei der Gala präsentieren. „Ich war ziemlich fassungslos“, erzählt Pfleiderer. Festivalgründer Alexander Heisler hatte sie angerufen und anfangs rumgedruckst. Irgendwann sei ihr klar geworden, dass es wichtig ist. Eine „schöne Würdigung“ ihrer Arbeit sei der Preis. Die Freude ist riesig. 54 CHILLI CULTUR.ZEIT JUNI 2022

von Till Neumann Pfleiderer singt im Freiburger Jazzchor, ist Teil des Trios Mimanée und des Contemporary Big Band Projects (CBBP). Außerdem arbeitet sie im A-cappella-Bereich und in weiteren Kollabos. Im Stand-by ist ihr Hauptprojekt Neele and the Sound Voyage. Die gebürtige Lörracherin ist bei Müllheim aufgewachsen. Musik studierte sie in Luzern und Basel. Seit 2015 ist sie wieder in Freiburg. Als lebensfrohe Nomadin bezeichnet sich die Sängerin: Mit dem Jazzchor spielte sie in Fukushima und trat beim Eurovision Songcontest der Chöre vor 10.000 Leuten in Riga auf.

„Bin fasziniert von schrägen Harmonien“ Starallüren sind ihr dennoch fern. „Sie ist keine dieser arroganten Sängerinnen auf der Bühne“, sagt Pianist Will Bartlett, „sondern einfach jemand, der sich ins Musikmachen vertieft.“ Auch Stefan Merkl vom CBBP sagt: „Der Preis ist absolut verdient.“ Pfleiderer singe genreübergreifend stilsicher und könne alles, von leisen Tönen bis zum Bel-

ting (schmetternd). Bartlett hat sie bei einer Jamsession im Funkeneck kennengelernt: „Sie hatte einen Sinn für Groove und rhythmisches Gespür.“ Er wollte direkt mit ihr zusammenarbeiten. Pfleiderers Leidenschaft hat sich früh entwickelt: „Zu Hause war Musik omnipräsent.“ Ihr Vater war Berufsmusiker, spielte Gitarre und komponierte. Mit ihm sang sie im Duett. Eigentlich wollte sie im Bereich Schauspiel und Tanz arbeiten. Doch wegen hoher Aufnahmehürden entschied sie sich für Musik. Heute lebt sie ihren Traum: „Ich singe gerne Pop und Soul, aber bin fasziniert von schrägen Harmonien und komplexen Rhythmen.“ Gute Musik sei die, die von Herzen kommt. Mit den 2500 Euro Preisgeld möchte sie wieder verstärkt als Bandleaderin arbeiten. Das heißt: mehr eigene Songs schreiben und damit touren. Aktuell arbeitet sie mit Bartlett an einem Alemannisch-Projekt. Tradition will die Sängerin so am Leben halten. Ihr Talent wird schon am 26. Juni im Jazzhaus zu hören sein. Dann releast ihr Jazz-Trio Mimanée sein erstes Album.


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KOLUMNE HARRY STYLES

SCHMYT

Pop

Pop/Hip-Hop

HARRY’S HOUSE

UNIVERSUM REGELT

... zum Finale Die Freiburger Geschmackspolizei ermittelt schon seit 20 Jahren gegen Geschmacksverbrechen – nicht nur, aber vor allem in der Musik. Für die cultur.zeit verhaftet Ralf Welteroth fragwürdige Werke von Künstlern, die das geschmackliche Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich beeinträchtigen.

In Harry’s Haus

Begeisterung und Stirnrunzeln

(hm). Es gibt nicht viele Menschen, die schon zu Lebzeiten eine Kunstfigur sind. Einer davon ist Harry Styles. In seinem im Mai erschienenen Album „Harry’s House“ bricht er Genderklischees und verbindet Talent mit Hype. Wie er das geschafft hat? Nach drei Jahren Albumpause setzt der 28-Jährige neue Maßstäbe: Die Art und Weise, wie er sich inszeniert und Genres verbindet, ist einmalig. Dadurch schafft er es, selbst NichtPop-Fans zu überzeugen. Neuerdings hat sich Styles inspirieren lassen von den Musiklegenden der alternativeren Szene wie Prince oder Brothers Johnson. Schon der Albumtitel geht auf das in den 70er-Jahren erschienene Album „Hosono’s House“ zurück. Die Sounds sind funky. 13 Tracks mischen Jazz, Folk, Indie, R&B und ganz klar: Pop. Letzteres ist man gewohnt aus alten „One Direction“Zeiten. Aufgepeppt werden die Songs durch Trompeten und ein rhythmisches Schlagzeug. Die Lyrics sind intimer: „You can throw a party full of everyone you know. And not invite your family, 'cause they never showed you love.“ Und trotzdem bleibt er unerreichbar, irgendwie fremd. Einzig durch seine Musik gewährt er Einblicke in sein „Haus“. Mit diesem Album hat der Brite das Fundament für weitere großartige Musik gelegt.

(pl). Ein Geheimtipp ist Julian Paul Schmit aka Schmyt nicht mehr. Nach dem Aus der Formation „Rakede“ startete der Musiker 2020 eine Solo-Karriere und arbeitete mit Künstlern wie RIN oder Haftbefehl zusammen. Eine düstere Stimmung zieht sich durch das Debüt-Album des Berliners. Das einigermaßen gut gelaunte „Alles anders (weniger im Arsch)“ zählt zu den Ausnahmen. Tracks wie die Außenseiter-Hymne „Keiner von den Quarterbacks“ begeistern mit durchdachten textlichen Einfällen ohne Kitsch und einem eigenen Stil zwischen Pop und Hip-Hop. Da geben sich die Gäste Cro, Majan und OG Keemo gerne die Klinke in die Hand. Gleichwohl kann man über manche Textzeilen die Stirn runzeln. Eine Line wie „Ich wünscht, du wärst schwach, damit ich dich halten kann“ wirkt arg aus der Zeit gefallen. In „Scherben und Schnittwunden“ wird eine gewaltvolle Beziehung romantisiert, auf dem Titeltrack listet das lyrische Ich Gewaltfantasien auf – wenn auch ohne sie auszuleben. Solche Ausreißer kann man problematisieren. Das ändert nichts daran, dass Schmyt ein Künstler ist, von dem man noch viel hören wird. Sein Gastspiel im Jazzhaus im kommenden November ist schon jetzt ausverkauft.

Fußball ist für die einen die schönste (Neben-) Sache der Welt, für die anderen, zum Beispiel die Geschmackspolizei, eine der größten Herausforderungen. Dabei geht’s nicht um das Spiel selber, nein, es geht um die sogenannten Fans und ihr Lied „gut“. Beispiele? Ungern, aber da müssen Sie jetzt durch. „Finale oh, oh, Finale oh, oh, Finale oh, oh ...“ Ganz harmlos – noch. „Schwarz, Weiß und Rot, wir saufen bis zum Tod, wir holen den DFB-Pokal und wir werden Deutscher Meister, MEISTER! Wir sind aus Freiburg und wir reisen viel, für dich singen wir bei jedem Spiel, wir brauchen keine Arbeit, keine Frau, kein Geld, denn du bist für uns das Größte auf der Welt. Sportclub Freiburg, oh, oh.“ Reicht das? „Arschloch, Wichser, Hurensohn, deine Mutter hatt’ ich schon – zwei Mal!“ Reicht jetzt, oder? Es geht noch schlimmer, aber das ersparen wir Ihnen. Das ganze Repertoire dieser „Fans“ wurde uns neulich bei einer Zugfahrt nach Berlin, bei der wir verdeckt ermittelten, freimütig und skrupellos präsentiert. Diese Schlachtenbummler waren irgendwann, so gegen 8.15 Uhr, stark alkoholisiert, somit eigentlich schuldunfähig. Wir belegten das ganze Zugabteil trotzdem mit einem saftigen Bußgeld und mehrmonatigem Singverbot, konnten aber nicht wirklich durchdringen und mussten dem unwürdigen Singspiel beiwohnen. Es sind bei weitem aber nicht alle so. Die anderen sind noch schlimmer. In diesem Sinne, Geschmackspolizei Freiburg oh, oh, Geschmackspolizei Freiburg oh, oh ...


LITERATUR

Schaurige Orte und Taten DAS RENNEN UM DEN FREIBURGER KRIMIPREIS GEHT IN DIE VIERTE RUNDE

A

nne Grießer wartet „schon ziemlich gespannt“ auf den 25. Juni: Dann ist Einsendeschluss für die Kurzkrimis, die im Rennen um den alle drei Jahre verliehenen Freiburger Krimipreis miteinander konkurrieren. Und dann beginnt die eigentliche Arbeit der Vorsitzenden des gleichnamigen Vereins. Grießer muss die Beiträge erstlesen, sie nach inhaltlichen oder örtlichen Aspekten

Vorfreude: Autorin Anne Grießer ist gespannt auf die Beiträge für den vierten Freiburger Krimipreis zum Thema „Verlassene Orte“.

sortieren, nummerieren und unter strikter Wahrung der Anonymität an die dreiköpfige Jury weiterleiten. Obwohl sie bei den bisher vergebenen Krimipreisen jeweils zwischen 50 und 100 Einsendungen zu lesen hatte, übernimmt sie diese Aufgabe „sehr gerne“. Denn sie entdecke dabei stets „ganz fantastische und verblüffend gut geschriebene Geschichten“. Häufig seien auch talentierte junge Autor·innen dabei, die sich zum ersten Mal trauten, anderen einen selbst verfassten literarischen Text zur Bewertung vorzulegen. Darüber freut sich die nicht nur im Genre des Regio-Krimis bewanderte Schriftstellerin ganz besonders: Es sei ihr ein „großes Anliegen, jungen Kolleg·innen eine Plattform zu bieten und sie bekannt zu machen“. Die eingesandten Geschichten verbleichen nach der Ermittlung der drei Preis-

Foto: © privat

von Erika Weisser

INFO: freiburger-krimipreis.de

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träger·innen nämlich nicht etwa in einer verstaubten Schublade. Die spannendsten, einfallsreichsten und auch literarisch am besten gelungenen Krimis werden in einer Anthologie veröffentlicht, die Grießer im Jahr nach der Preisverleihung herausgibt. Darin sind neben den prämierten Geschichten und neuen Kurzkrimis bereits bekannter Regio-Krimi-Autor·innen auch die Stories enthalten, die Grießer und die Jurymitglieder „besonders überzeugend“ finden. Drei Sammelbände mit einer „sehr spannenden und anregenden Mischung an kriminellen Geschichten“ sind bereits erschienen. Und alle hatten, gemäß den thematischen Vorgaben des jeweiligen Wettbewerbs, einen anderen Schwerpunkt. Konnten die Teilnehmenden 2013 ihre mörderischen Fantasien noch einfach um Freiburger In-Orte spinnen, so mussten sie 2016 auf historische Schwarzwälder Ereignisse und Entwicklungen Bezug nehmen, in deren Umfeld Verbrechen hätten geschehen können. Und 2019 ging es im Hinblick auf das Stadtjubiläum um viel Recherche: um wahre Kriminalfälle in der Geschichte Freiburgs. Von der nächsten Anthologie kennt Anne Grießer bisher nur den Titel: „Freiburg morbid“. Denn die Preisausschreibung 2022/23 hat Orte zum Thema, die als verloren, verlassen oder vergessen gelten. „Lost Places“ wie Geisterbahnhöfe, stillgelegte Steinbrüche, Autofriedhöfe, nutzlose Bunker, ausgediente Industrieanlagen, geschlossene Schwimmbäder, alte Kultplätze – mystische und schaurige Orte, zu denen schaurige Taten passen. Zwar hat Grießer bisher erst „ungefähr 20 Zuschriften“ erhalten. Doch erfahrungsgemäß treffen die meisten dicken Umschläge „in den letzten zehn Tagen vor der Deadline“ ein. Sie hofft auch beim vierten Freiburger Krimipreis auf rege Beteiligung.


FREZI

ALS HÄTTE JEMALS EIN VOGEL VERLANGT ...

von Marie Malcovati Verlag: Edition Nautilus, 2022 224 Seiten, gebunden Preis: 22 Euro

UND DOCH SO FERN

von Paolo di Paolo Verlag: Nonsolo, 2022 232 Seiten, Paperback Preis: 19,90 Euro

FASSADEN FÜR DIE VOLKSGEMEINSCHAFT

von Wulf Rüskamp Verlag: Rombach, 2022 234 Seiten, Paperback Preis: 34 Euro

Suchen nach Tahvo

Radikale Umbrüche

Ideologie im Stadtideal

(ewei). Luchsberg ist ein Dorf in Süddeutschland, wo jeder jeden kennt und alle alles voneinander wissen. Außer in Claras Fall: „Niemand kannte die Frau, die ihre Mutter hätte sein können“, schreibt die Freiburger Autorin Marie Malcovati über die ungewisse Herkunft des Mädchens, das ein Bauer als Neugeborene an einem kalten Dezembermorgen im Kuhstall fand. Seither lebt Clara im Haus des kinderlosen Lehrerehepaares Tine und Niklas. Gegenüber, in einer leerstehenden Bruchbude, wohnt Tahvo. Auch von ihm wissen die Dorfbewohner wenig. Das stellt Iona fest, als sie nach langem Fußmarsch durch eine stürmische Regennacht völlig erschöpft dort ankommt und ihn nicht antrifft: Niemand will die geringste Ahnung über seinen Verbleib haben. Weder Tine, die eine Affäre mit ihm verschweigt. Noch die Gastwirtin Karolin, die insgeheim mit den Geistern ihrer Vergangenheit mit ihm kämpft. Tahvo ist Ionas Vater; sie kennt ihn nicht, wollte es auch nie. Doch nun ist sie pleite, obdachlos und schwanger. Zögernd nehmen sich Tine und Karolin ihrer an. Trotz gegenseitiger Vorbehalte reisen die drei Frauen schließlich in die finnische Heimat des rätselhaften Mannes – und kommen unterwegs zu einem erstaunlichen Schluss. Lesung: 6. Juli, 19.30 Uhr SWRStudio Freiburg

(ewei). Wie aus der Bahn geworfen irrlichtern drei Frauen im Frühsommer 1983 durch Rom. Völlig verschiedene Frauen, die sich nie begegnen und die nichts miteinander verbindet. Außer der Tatsache, dass sie ungeplant schwanger sind. Einfühlsam und drastisch beschreibt Paolo di Paolo in seinem jüngst im Freiburger Nonsolo-Verlag erschienenen Roman die radikalen Umbrüche, die sie gerade durchleben. Da ist die wohlbehütete Schülerin Luciana, die sich mit ihrem Freund Ermes auf ein erstes Liebesabenteuer eingelassen hat und die schließlich vor dem Druck ihrer gutbürgerlichen Eltern davonläuft. Da ist die unabhängige Cecilia, die mit ihrem Hund in einem besetzten Haus lebt. Sie war ein paar Wochen mit Gaetano unterwegs und verschwand dann aus seinem Leben – um kurz vor der Geburt panisch bei seiner Imbissbude aufzutauchen. Und da ist Luciana, die für eine vor der Schließung stehende Zeitung arbeitet. Sie ist unsterblich in ihren verschwundenen irischen Lover verliebt und wartet vergeblich und depressiv auf eine Nachricht von ihm. Drei Lebensgeschichten, deren Enden offen bleiben. Wobei jede einzelne im letzten Kapitel ihre Fortsetzung gefunden haben könnte: in der Geschichte des Ich-Erzählers, der als Findelkind in einem Nonnenkloster aufwuchs.

(ewei). Joseph Schlippe war von 1925 bis 1951 leitender Stadtplaner in Freiburg. In dieser Funktion war er auch für den Wiederaufbau der im November 1944 durch Bombardierung fast vollständig zerstörten Innenstadt zuständig. Der langjährige BZ-Redakteur Wulf Rüskamp hat nun eine quellenreiche Untersuchung über den Verwaltungsbeamten vorgelegt, dem es in „erstaunlich unumstrittener Weise gelungen ist, über alle politischen Umbrüche hinweg die Stadtentwicklung Freiburgs zu steuern“. Er geht dabei der Frage nach, ob und inwieweit Schlippes Baupolitik von völkischnationaler Ideologie geprägt war. Anhand von Entwürfen, Veröffentlichungen und Briefen aus Schlippes Nachlass, aber auch mittels konkreter Straßenzüge und Gebäude zeigt Rüskamp, dass es dem Architekten nicht um den Erhalt vorhandener Substanz ging. Sondern um vereinheitlichte Schlichtheit und die „Entschandelung“ allzu auffälliger und individuell gestalteter Gebäude. Dass also die heute das Stadtbild bestimmenden, als typisch gehandelten Altstadthäuser keine historischen, sondern eher volksgemeinschaftliche Bezüge haben. „Besonders pikant“ für Wulf Rüskamp ist, dass das NS-Dokuzentrum ausgerechnet in dem von Schlippe entworfenen ehemaligen Verkehrsamt am Rotteckring eingerichtet wird. JUNI 2022 CHILLI CULTUR.ZEIT 57


CHILLI ASTROLOGIE

DAS »BIERERNSTE«

CHILLI-HOROSKOP DIE VERKEHRS-EDITION VON HOBBY-ASTRONAUT PHILIP THOMAS

WIDDER

WAAGE

21.03. – 20.04.

24.09. – 23.10.

Du hast kein Auto und den öffentlichen Personennahverkehr nutzt du nicht. Dieses gänzlich gut gemeinte Maßnahmenpaket der Ampel fährt folglich mit Vollgas an dir vorbei. Nun wartest du auf die 300-Euro-Energiepauschale und freust dich schon, diese fachgerecht versteuern zu dürfen. Du fragst dich: Wann kommt endlich die 9-Euro-Miete?

1968 wollte der frisch gewählte Bundeskanzler Willy Brandt mehr Demokratie wagen. Das funktioniert seitdem mal so, mal so. „Besser“ läuft es auf deutschen Straßen. Das Motto dort bis zum gerade durch das EU-Parlament beschlossenen Verbrenner-Aus ab 2035: „Mehr Benzin wagen“ und „mehr Neuwagen“.

STIER

SKORPION

21.04. – 21.05.

24.10. – 22.11.

Am meisten Sprit spart, wer die eigenen vier Wände nicht verlässt. Eine Studie von 2021 schätzt, dass Homeoffice-Arbeitnehmer in Deutschland Fahrten von insgesamt 36 Milliarden Kilometern ersparen und damit jährlich bis zu 5,4 Millionen Tonnen CO2 einsparen könnten. Du bist trotzdem ein großer Fan von Verkehr. Zumindest im Homeoffice.

ZWILLING 22.05. – 21.06. Dein Sommerurlaub fällt ins Wasser: Von München bis nach Rügen wolltest du dich mit dem 9-Euro-Ticket durchschlagen. 16 Stunden Fahrt, sieben Umstiege. Bereits in Franken brichst du die Tour de Force allerdings entnervt ab. Die Bahn ist voll. Voll mit Reportern, die darüber berichten, wie voll die Züge sind.

KREBS 22.06. – 22.07. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Deutschland lag 2020 bei 46.216 Dollar. Damit liegt die BRD auf Platz 17 der reichsten Länder der Welt. Dich erinnert die BRD an eine Bananenrepublik: fehlende oder defekte Züge, marode Ausstattung der Armee. Du überlegst: Was wurde mehr kaputtgespart? Die deutsche Bundeswehr oder die Deutsche Bahn?

Das Pokalfinale hat der SC Freiburg gegen die Wand gefahren. Auf dem Weg vom Breisgau nach Berlin kam es auch beinahe zum „Totalschaden“: Auf freier Strecke kam ein ICE voller SC-Anhänger bei Mahlberg zum Stehen. Andere Verbindungen fielen komplett aus. Aber halb so wild. Pünktlich zum Elfmeterschießen warst du im Stadion.

SCHÜTZE 23.11. – 21.12. Sylt ist gefallen. Du findest: Das ist nur recht und billig. Immerhin nisten sich Bonzen seit Jahren mit Bootsschuhen und Pullunder in Vierteln voller Geringverdiener ein. Im September ist das 9-Euro-Ticket Schnee von gestern. Die Gentrifizierung von Berlin Kreuzberg, dem Frankfurter Bahnhofsviertel oder Sankt Pauli in Hamburg ist es nicht.

STEINBOCK 22.12. – 20.01. Der Autofahrer bekommt seinen Tankrabatt, der ÖPNV-Krieger das 9-Euro-Ticket. Beides finanziert von dir, dem Radfahrer. Du fragst dich: Wann tut die Politik endlich mal was für Drahtesel-Cowboys? Frische Luft, Bewegung, die Gewissheit, den Planeten zu retten und Innenstädte nicht zu verstopfen, müssen wohl reichen ...

LÖWE

WASSERMANN

23.07. – 23.08.

21.01. – 20.02.

Dem 9-Euro-Ticket sei Dank haben es sich Punks und Proletariat mit Boombox und Billig-Bier auf Sylt gemütlich gemacht. Seit dem 1. Juni ist die nordfriesische Insel fest in der Hand von burschikosen Barbaren, hast du gehört. Das Drama ließ sich nicht abwenden: Die von Sylt beantragte NATO-Mitgliedschaft wurde abgelehnt.

Zwölf Scherze über Verkehr, Politik, Mineralölkonzerne, allerlei Tickets und natürlich Sylt. Mal mehr und mal noch mehr lustig. Zielführend wie ein Navigationssystem, streitbar wie das Tempolimit, spitz wie der Nagel in deinem Fahrradreifen. Einen Witz gibts aber noch: die Deutsche Bahn.

JUNGFRAU

FISCHE

24.08. – 23.09.

21.02. – 20.03.

Du hast dir das 9-Euro-Ticket und sogar die 3 Euro für eine stinknormale Fahrkarte gespart und musst nun wegen „Erschleichen von Leistungen“ ein Bußgeld von 60 Euro berappen. Kannst du das nicht blechen, droht dir in Deutschland übrigens eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr – wie gesagt fürs Schwarzfahren. Und das kostet den Staat dann wiederum richtig Geld.

58 CHILLI JUNI 2022

Das findest du verdächtig: Obwohl der Rohöl-Preis längst gesunken ist, steigen die Preise für Benzin und Diesel. Bemerkenswerterweise noch mal just vor der Einführung des Tankrabatts, der Steuereinnahmen in Höhe von rund 3,15 Milliarden Euro kostet. Für dich kein Grund zur Panik. Preisabsprachen hat es nicht gegeben. Sagen schließlich die Mineralölkonzerne.



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