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„Sich erden ist ein Geschenk“: Setzlinge, Kräuter & Co
denn vormittags sehen die Blüten der Prunkwinden am schönsten aus. Wer den Balkon nur am Feierabend nutzt, sollte das berücksichtigen.
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Mit kulinarischer Bonusqualität
Duft-Wicken (Lathyrus odoratus) wachsen je nach Sorte bis zu eineinhalb Meter hoch. Ab Juni zeigen sich große, duftende Schmetterlingsblüten in Weiß, Rosa, Rot, Blau oder Violett. Die Blütenstängel dürfen, ja sollten sogar immer wieder als Vasenschmuck geerntet werden, weil regelmäßiges Schneiden die Blühfreude der Wicken befördert. Eine farbenfrohe Kletterpflanze mit kulinarischen Bonusqualitäten ist die Echte Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus). Die exotisch anmutenden Blüten erfreuen mit lebhaften Gelb-, Orange- und Rottönen und sind, genauso wie die Blätter der Pflanze, sogar essbar. Mit ihrem herzhaft-scharfen Geschmack bereichern sie auch frische Salate. Die bis zu zwei Meter langen, fleischigen
Die Prunkwinde, auch Morning Glory genannt, ist am Vormittag besonders prunkvoll.
Triebe brauchen nicht unbedingt ein Rankgerüst, sondern können auch am Boden entlangkriechen oder vom Balkon herabwallen. Von der Kapuzinerkresse gibt es übrigens auch nichtrankende Sorten, deren Triebe nur 25 Zentimeter lang werden. Damit eignen sie sich gut für die Bepflanzung von Balkonkästen und Töpfen.
Wer es besonders eilig hat, kauft jetzt beim Gärtner seines Vertrauens oder im Gartencenter vorgezogene Pflanzen. Die werden in der Regel ab Anfang Mai angeboten und zeigen oft schon erste Blüten. Preiswerter, aber etwas langwieriger ist die Selbstanzucht aus Samen. Das gelingt, ausreichend warme Temperaturen vorausgesetzt, bei Glockenrebe, Schwarzäugiger Susanne und Sternwinde aber meist problemlos. Bei Duft-Wicken, Prunkwinden und Kapuzinerkresse ist die Anzucht aus Samen sogar empfehlenswert, denn Jungpflanzen dieser Arten lassen sich nur schlecht verpflanzen. Weil alle einjährigen Schlinger sich im Eiltempo zu Höchstleistungen emporschwingen, brauchen sie reichlich Wasser und Dünger, insbesondere, wenn sie in Töpfen oder Kübeln kultiviert werden. Sind die Pflanzgefäße ausreichend groß, muss übrigens seltener gegossen werden. Eine Kletterhilfe ist allerdings obligatorisch und kann aus einem Spalier oder einem Rankobelisken aus Metall oder Holz bestehen oder aus selbst gebastelten Konstruktionen, etwa aus Weidenruten. Lassen Sie Ihrer Fantasie einfach freien Lauf, dann wachsen die einjährigen Blütenwunder schon in wenigen Wochen in den Himmel!
Kapuzinerkressen gibt es in vielen verschiedenen Farbschattierungen.
Diese Duftwicken recken die Hälse in die Sonne.
Die Lappen-Prunkwinde, die auch Sternwinde heißt, wird in einer Saison bis zu fünf Meter hoch.
VERDINGT & Im Cartoonmuseum Basel ist noch bis zum 29. Mai eine Präsentation Retrospektive Lika Nüssli i n Base l VERDRÄNGT
des vielgestaltigen Werks der St. Galler Künstlerin Lika Nüssli zu sehen. Darunter sind auch Originalzeichnungen ihrer soeben erschienenen Graphic Novel „Starkes Ding“, die das schwere Leben ihres Vaters als Verdingkind in der Landwirtschaft zum Thema hat.
Text: Erika Weisser
Der kleine Ernst ist 1943 sechs Jahre alt und ein fröhlicher Bub. Er lebt mit sechs Geschwistern und der Mutter auf einem Bauernhof, zu dem auch 20 Hühner, zehn Kühe, acht Kälber und andere Haustiere gehören. Der Vater ist nur selten da: Das Nachbarland Deutschland führt Krieg gegen die meisten Länder Europas, da müssen die Männer Abwehrdienst an der Grenze leisten. Ernsts Vater ist im Rheintal stationiert. Zwar muss der Junge auf dem Hof mithelfen, im Heuet oder bei der Kartoffelernte. Und er muss die Kühe auf der Weide hüten, muss aufpassen, dass keines der „verspielten und ungestümen“ Jungtiere ausbricht. Doch das ist für ihn selbstverständlich, macht ihm manchmal sogar Spaß.
Denn es gibt bei der Arbeit immer wieder auch die Gelegenheit für ein Spiel: Er liebt es, den Geschwistern oder den Tieren beim Fangis hinterherzujagen, mit den Brüdern kleine Ringkämpfe oder das Hoselupf-Spiel zu machen. Oder sich mit ihnen darin zu messen, wer die größere Heuburdi tragen kann. Außerdem schaut Ernst „so gern den Hühnern beim Fliegen zu“: Er wirft sie aus dem Fenster der Tenne. Aber nur, wenn der Vater fort ist.
Als Ernst noch nicht einmal 12 ist, ändert sich sein Leben: Bauer Schweizer aus der „Höchi“ kommt daher und will einen der fünf Buben der Familie zur Arbeit auf seinem Hof anheuern. Die Eltern beraten sich – und finden, dass sie den Zuverdienst von einem Franken am Tag gut gebrauchen könnten. Am Ostermontag 1949 bringt der Vater Ernst zum Schweizer. Und damit ändert sich das Leben des Kindes auf einen Schlag: Er hat keine ihm wohlgesinnten Menschen mehr um sich, er ist der Gewalt und der Lieblosigkeit des Schweizers, den er „Meister“ nennen muss, ganz allein ausgesetzt. Er lebt in Angst, Schrecken und Hunger, seine von daheim gewohnte Mitarbeit wird zur Zwangsarbeit. Mehr als vier Jahre lang.
Ernst ist der Vater von Lika Nüssli. „Mein ganzes Leben wusste ich, dass er als Kind verdingt wurde“, sagt sie. Doch er habe nicht viel darüber
erzählt – „bis ich ihn ernsthaft danach gefragt habe“. Etwa 70 Jahre nach seiner Zeit als Verdingkind begann sie, ihren inzwischen 85-jährigen Vater bei regelmäßigen Besuchen nach seinen Erinnerungen zu fragen. Und sie erfuhr, dass die Erlebnisse bis heute wirken, dass er manchmal noch „Alpträume vom Schweizer“ hat. Dass er immer noch den Schmerz von damals spürt, als er am ersten Weihnachten nicht nach Hause durfte. Dass er lange Zeit dachte, er sei zur Strafe weggegeben worden. Und dass er noch heute darunter leidet, vom „Meister“ nie ein Wort des Dankes oder der Anerkennung gehört zu haben.
In der Schweiz, schätzt die engagierte Künstlerin, „lebt heute eine vermutlich fünfstellige Zahl ehemaliger Verdingkinder, die nicht selten psychische Probleme haben“. Die in Einzelfällen bis in die 1970er-Jahre praktizierte Verdingung und Ausbeutung der faktisch rechtlosen Kinder aus armen Familien ist nach Nüsslis Auffassung „eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren Geschichte der Schweiz“. Ein Tabuthema, das lange Zeit verdrängt war und erst allmählich aufgearbeitet wird.
Nun zum ersten Mal auch in einem Comic. Als Würdigung der Lebensleistung nicht nur ihres Vaters. Und auch als eine Art Entschädigung.
Info
www.cartoonmuseum.ch
Zum Buch:
Starkes Ding
von Lika Nüssli Edition Moderne, 2022 256 Seiten, Broschur Preis: 36 Euro
Salut
iStock / phbcz Foto: ©
DER BLICK AUS DEM ELSASS
Jill Köppe-Ritzenthaler lebt in Neuf-Brisach. Fürs REGIO Magazin schaut sie sich regelmäßig im Dreiländereck um. Diesmal berichtet sie über hautnahes Erleben von Zeitgeschichte.
Mein Sohn ist gerade 18 Jahre alt geworden. Er hat Freunde dies- und jenseits des Rheins, im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen Europas; Hobbys und viele Interessen, vor allem für Geschichte, das Ganze ohne viel Anstrengung. Seit einiger Zeit steht für ihn fest, dass er aus seiner Leidenschaft ein Berufsziel machen will. Wir haben uns entsprechend viel mit Geschichte und Weltpolitik beschäftigt. Bislang vor allem in Museen, in Filmen oder auf Gedenkveranstaltungen. Letztens auch an der Straßburger Uni, bei einem Vortrag zu einem deutschfranzösischen Studiengang im Fach Geschichte. Passgenaue Studienplanung sozusagen.
Und doch war bei diesem Tag der offenen Tür alles anders als geplant. Denn wie bei vielen ist das Weltgeschehen mittlerweile über uns hereingebrochen und hat uns gründlich aufgemischt. Zeitzeugen sind jetzt nicht mehr nur die Dorfältesten, die von entFoto: © privat fernten Kindertagen berichten, sondern gleichaltrige Jugendliche am anderen Ende von Europa, die noch in den Jahren zuvor in den Sommerferien ein paar Wochen bei uns waren, um danach gestärkt und erholt in ihre Heimatregion rund um Tschernobyl zurückzukehren.
Wer hätte in unserer heilen Welt noch vor zwei Monaten geglaubt, dass wir einmal über Instagram dreimal täglich die aktuelle Kriegslage bei unseren ukrainischen Freunden abfragen und Tag und Nacht um deren Leben bangen würden. Dass wir ukrainische Fluchtwege auf der Landkarte erkunden und am Tag der offenen Tür an der Uni in Straßburg aus der Vorlesung heraus ehemalige polnische Studienfreunde aktivieren, um unsere für sie unbekannten Freunde, die über Nacht zu Flüchtlingen wurden, an der polnischen Grenze abzuholen, sie ein paar Tage zu beherbergen und dann auf den Weg zu uns in den Zug zu setzen. Und doch war es genau so.
Mein Sohn hat an diesem Tag Zeitgeschichte und das Zusammenstehen in Europa am eigenen Leib erlebt. Ich hoffe, es bleibt ihm ein nachhaltiges Beispiel für seine persönliche und europäische Zukunft.