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Vollernter auf dem Vormarsch: Weinlese im Wandel

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Weinverkostung

Weinverkostung

We in lese zwischen Tradition un d Mo derne MIT DER BIGGI IN DEN BOTTICH

Immer mehr Winzer setzen aus Kostengründen einen Traubenvollernter ein. Er macht vieles einfacher, einiges geht jedoch verloren. In Königschaffhausen am Kaiserstuhl kann man die Methoden nebeneinander erleben.

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Text & Fotos: David Baldysiak

„Jetzt kummts schönschte am Herbschte“, lacht Thomas Meier, als es ans Vespern geht. Seit halb neun, also seit etwa drei Stunden, ist der 58-Jährige zusammen mit Freunden und Familie bei der Arbeit: Zuerst haben sie gemeinsam die Reben der Schwägerin gelesen, jetzt sind seine Spätburgunder-Trauben dran. Geerntet wird hier noch von Hand, fast wie vor hundert Jahren.

Jedes Jahr freue man sich auf die Handlese, so Meier. „Ein schöner Tagesausflug“ sei das. Überhaupt sei man hier ein „richtiger Familiebetrieb“. Meier und seine „Mitleser“ kennen sich seit Ewigkeiten.

Ein paar hundert Meter weiter ist das Bild ein anderes: Man kann sich kaum unterhalten ob der Lautstärke des Vollherbsters. In einem Bruchteil der Zeit schüttelt er die Trauben von den Reben. Je näher sich Sascha Durand mit dem tonnenschweren Fahrzeug dem Ende der Reben nähert, desto mehr vibriert der Holzpflock, an dem die Trauben aufgespannt sind. Es wirkt beinahe so, als würde hier ein Erdbeben auf einer sauber bemessenen Fläche wüten.

Schafft die Tagesarbeit von zwölf Menschen in einer halben Stunde: Der Vollherbster hat viele Vorteile. Trotzdem freut sich Winzer Thomas Meier (u.) auch immer auf die Handlese.

Immer mehr Winzer setzen Traubenvollernter ein. Das Fahrzeug ersetzt die Tagesarbeit von zwölf Menschen innerhalb einer halben Stunde. Für einen Hektar braucht er ungefähr zweieinhalb Stunden.

Durch den Klimawandel verschiebt sich der Herbst, also die Erntezeit für Wein, immer weiter nach vorne. Außerdem wird der Herbst immer kürzer. Hatten die Winzer früher noch sechs Wochen Zeit, um den Wein vollständig zu ernten, sind es jetzt nur noch drei Wochen. Auch dieser Umstand begünstigt den immer weiter ausgeprägten Einsatz des Vollernters.

„Verlorene Nostalgie“

„Es geht schon ein bisschen Nostalgie verloren“, sagt Meier mit Blick auf das riesige Gefährt. Er hat seine Zellen von seinem Vater geerbt, war im zarten Alter von drei Jahren zum ersten Mal beim Herbsten dabei. Seine Kinder werden den Weinbau wohl nicht übernehmen. Zu groß der Aufwand, zu gering der Ertrag. Der Weinbau hat Tradition hier in Königschaffhausen. Die Winzergenossenschaft besteht seit 1933, die Keller, in denen sie den Wein lagert, stammen aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert. Die älteste Flasche Wein im Keller wurde hier 1949 abgefüllt.

Nachdem die Maschine fertig ist, lädt sie die Trauben in Bottiche ab. 400 bis 450 Kilo fassen die Gefäße. Die werden dann zur Winzergenossenschaft gefahren, wo sie weiterverarbeitet werden. Nach der Gärung reift der Wein dann noch mindestens ein halbes Jahr im Holzfass.

Mit der heutigen Ausbeute ist Meier nicht ganz zufrieden: vier Bottiche sind voll geworden, ungefähr 1000 Kilo Kabinett und 850 Kilo Auslese stehen am Ende zu Buche. Die Stimmung kann das an diesem goldenen Herbsttag allerdings nicht lange trüben. Nachdem die Trauben maschinell geerntet und verladen sind, nachdem die Bottiche gespült sind, nachdem der letzte Schwatz an der Winzergenossenschaft beendet ist, kommt auch die Handlese-Gruppe langsam zum Ende. Erschöpft aber zufrieden wissen sie, was sie heute geschafft haben, wenn sie auch ein Vielfaches der Zeit gebraucht haben.

Zum Abschluss führt Meier noch die Biggi vor, eine zylinderförmige Traubenbütte, die die Erntenden früher auf dem Rücken trugen, als es noch keine praktischen Traktoren gab. Zwei Männer müssen ihm den vollen Behälter auf den Rücken hieven. Beim Umladen in die Bottiche seien die Männer früher auch schon mal mit der Biggi in den Bottich hinein gekippt, erzählt Meier schmunzelnd. So ein bisschen Fortschritt hat also auch sein Gutes.

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