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Abwehrkettenreaktion

MehrereaktuelleStudien zeigen,dass eine überstandene Corona-InfektionfürlängereZeit Immunitätverleiht. Brauchen die Genesenen überhaupt eine Impfung?

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VON ROSEMARIE SCHWAIGER

Ischgl undCorona:Daraus wird wohl nie mehr eineGeschichte,die sichfür die Tourismuswerbung eignet. Aber ein wenigkannsich das Pandemie-Image deskleinen Dorfsin Tirolschonnoch verbessern. Aus Sicht der Wissenschaft ist der Hotspot Ischglnämlich viel wert. Dort gewonneneErkenntnisse werden auch woanders von Nutzensein.

Ankaum einem anderen Ort auf der Welt gabessofrühso vieleInfektionen auf sokleinem Raum wie im Paznauntal. Hier lässt sichfastwie im Labor untersuchen, wiedas Immunsystem des Menschenmit IMPFZENTRUMINWIEN einer überstandenen Coronavirus-Infektion umgeht. DieAntwort fällt erfreulich Mindestens einen noch einknappes Monatl Gut. ang sinddieVakzine aus: „Ischglmacht Hoffnung auf eineRück- C O M . kehr zur Normalität“ , sagtedieInnsbruD E S K cker Virologin Dorothee von Laer am ver- T U R E C gangenen Donnerstag. / P I S

Fast dieHälfteder Ischgler– exakt 42,4 U T E R Prozent – warenim Frühlingmit SARS- / R E R CoV-2 in Kontakt gekommen. Das ergab S N E E I eineAntikörper-Studieder Medizinischen S I N I L Universität Innsbruckim April. Acht Monate später, im November, wurden diebetroffenen Dorfbewohner noch einmal gecheckt. Das Ergebnis: 90 Prozentvonihnen zeigten eineanhaltendeImmunität gegen das Virus. Deshalb war Ischgl von der zweiten Welle im Herbst auch weitgehend verschont geblieben; die Neuinfektionsrate lag unter einem Prozent.„Vielleicht gelingt es uns durch die gewonnenen Erkenntnisse,Ischgl etwaspositiver zu konnotieren“, sagteWolfgang Fleischhacker,Rektor der MedUni.

Ebenfallsmit der Immunität nach Corona befasst sich eine jüngst publizierte Studieder MedUni Graz in Kooperationmit der AGES (Agenturfür GesundheitundErnährungssicherheit) und der Stanford University. In diesem Fallging esnichtum das Ausforschen von Antikörpern, sondern um deren Wirkung. Untersuchtwurde,bei wie vielen Infizierten der ersten Welle es zu einer Reinfektionim Herbst gekommenist. Als Referenzrahmen diente hiernicht ein einzelnes Dorf, sondern das ganze Land. Von fast 15.000 Menschen, die im Frühling eine Infektion durchgemacht hatten, infiziertensichnur40 ein zweites Mal. Ein Patient starb – allerdings nicht in einem kauZum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG. Digitale Nutzung gem PDN-Vertrag des VÖZ voez.at. Anfragen zum Inhalt und zu Nutzungsrechten bitte an den Verlag (Tel: 01/213 12-3502). Pressespiegel Seite 33 von 74 salen Zusammenhangmit dem Virus. Das Risiko einer Neuerkrankunglaglaut Studie um 91 Prozent niedriger als das Risiko einer erstmaligen Ansteckung in der restlichen Bevölkerung. „Das heißt, eine durchgemachte Infektion hat etwa die gleiche Schutzwirkung, wie wirsiederzeitvon den Impfungen erhoffen“, sagt AGES-Experte Franz Allerberger. Zwar wisse mannicht, wie langedieseImmunität anhalten werde. Aber das sei bei der Impfung ja ebenfalls nochnicht klar,ergänzt Studienautor Stefan Pilzvon der MedUni Graz.„Das Besondere an unserer Untersuchungist dieEinbindung dergesamten Bevölkerung. Sohatten wir auch Menschenmit diversenschweren Vorerkrankungen dabei,die in bisherigen Impfstoffstudiennichtuntersuchtwurden.“

Dass dieImmunität nach einer CoronaInfektion anhält, ist eine sehrguteNachricht: Fast 440.000 Österreicher waren nachweislichschonmit SARS-CoV-2 infiziert. DieDunkelziffer dürfteerheblichhöhersein. Elisabeth Puchhammer Stöckl, Virologin an der MedUniin Wien, schätzte

„EinedurchgemachteInfektionhat etwadiegleicheSchutzwirkung, wie wirsiederzeitvon den Impfungen erhoffen.“

Franz Allerberger, AGES dieGesamtzahl der Infiziertenschon vor einem Monat auf über eineMillion. Der Simulationsforscher Niki Popper kommt sogar auf1,3 bis1,5 Millionen. Das würde bedeuten,dassjedersechsteÖsterreicher derzeit für das Viruskeinlohnendes Angriffsziel darstellt. Brauchen all dieseMenschen überhaupt eineImpfung?

Die Studienautoren Franz Allerberger undStefan Pilz plädieren dafür,die natürlicheImmunität bei der Impfplanung zu berücksichtigen. „Solange der Impfstoff knappistundbestimmteGruppenpriorisiert werden müssen, wäre es sinnvoll, innerhalbdieser Gruppen erst einmalnur jeneMenschen zu impfen,die nochkeine Infektionhintersichhaben“, sagt Pilz.

Im nationalen Impfgremium rennt er damit offeneTüren ein. Seit7. Februarfindet sichgenau dieseAnregungganz offiziell– wenn auch ein wenig versteckt – auf der Websitedes Gesundheitsministeriums. „Prinzipiellkann und soll auchnach Infektiongeimpftwerden. Aufgrundder derzeitigen Impfstoffknappheit sollnachlabordiagnostisch gesicherter SARS-CoV-2-Infektion eineImpfunggegen Covid-19 bis auf Weiteres aufgeschoben werden, da nach vorliegenden Daten bei diesen Personen Antikörpermehrere Monate (mindestenssechs bis acht)persistieren“, heißt es da. Dassei eigentlich eine klareEmpfehlung, meint Herwig Kollaritsch,Infektiologe und Leiter des Gremiums.„Es müsste sich mittlerweile herumgesprochen haben. Aberich bekomme immer wieder Anrufe von Ärzten,die michfragen, wassie in solchen Fällen tunsollen.“ Wenigstens eine der zwei Impfungenkönnte mansich bei schon Genesenen aber häufig sparen, meint Kollaritsch.„Mansolltedas von der Reaktion auf dieersteDosis abhängigmachen.“ Werstarkreagiere – etwa mit Fieber oder ähnlichen Symptomen– brauche keine zweiteDosis, weilsein Immunsystem offenbar bereits auf Hochtourenlaufe.

Das deutscheRobert Koch-Institut (RKI) empfiehlt ebenfalls,Menschennach einer überstandenen Covid-Erkrankung anders zu behandeln:Geimpftwerdensolleerst sechs Monate nach der Genesung– und zwar wegen „anzunehmender Immunität“ , „zur Vermeidung überschießender Nebenwirkungen“ und „in Anbetracht des bestehenden Impfstoffmangels“.

Impfenist Ländersache – deshalb weiß kein Mensch, obdieseRatschläge umgesetztwerden. In Niederösterreich bemüht mansichimmerhin darum. Bei der Online-Anmeldung werde mehrfach darauf hingewiesen,dass Genesene noch warten sollten, sagt Impfkoordinator Christof Constantin Chwojka. ObdieLeute sich daranhalten, kann ernicht beantworten: „Es gibt leider keine Datei, in der wir nachschauenkönnen. In den Alters- undPflegeheimenist ja meistens bekannt, werschon infiziertwar. Da können wir uns danach richten.“ AbApril,Mai werdees dannsowieso egalsein, weil bis dahinhoffentlich genug Impfstoff da sei, hofft Chwojka.

In Wien werden Impfwilligedagegen nicht extradaraufhingewiesen,dasssie den Nadelstich unter Umständen verschiebenkönnten.„DieImpfung wird niemandem verweigert“ , sagt UrsulaKarnthaler vom Landessanitätsrat.„Wirmüssen die Kirche im Dorflassen. So vieleMenschen sind ja nicht immun.“

DieNEOS sprachensichkürzlich dafür aus, Antikörpertests breit und gratis auszurollen, um denknappen Impfstofffürjene zu sparen,die ihn wirklich brauchen. Obwohl das Tempo bei den Impfungen zuletzt etwas stieg, warten noch immer viele alte Menschen – vor allem außerhalb der Heime – auf eineImmunisierung. Ihnen würde diese Strategie zugutekommen.

Geplant sind groß angelegteAntikörpertests dem Vernehmennach abernicht.

Bald wird man auch die Debatte führen müssen, obMenschenmit nachgewiesener Immunität – entweder durch eine Impfungoder durch eine überstandene Infektion–nicht mehr Rechte habensollten als andere. Obwohl etwadie meisten Bewohner von Pflegeheimen bereits geimpft wurden, herrscht nach wie vor einstrenges Regime; erlaubt ist nur ein Besuchpro Woche fürhöchstens 30 Minuten. Peter Kostelka,

Chef des dasnicht SPÖ-Pensionistenverbands, sieht ein: „Aus unserer Sicht ist esnach „Der Fall Ischglmacht erfolgter Impfung der Heimbewohner Hoffnung auf eine Rücknichtvertretbar,dassmansie so tet.“ Gesundheitsminister Rudolf abschotAnschokehrzur Normalität.“ ber bremst: „Wir wollen den Februar abDorothee von Laer, warten,alleDurchimpfungen abschließen MedUni Innsbruck unddas Mutationsaufkommen beobachten“, sagteer. kommissionhat sichmit der Fragealler-

Sollteesmit den Impfungen wie geplant dings schon auseinandergesetzt. Bei der weitergehen, werden bis Ostern eineMillion Maskenpflicht könnees wohlkeineDiffe-

Österreich den vollen Schutz erhaltenha- renzierunggeben, weilsichim Alltaggar ben. Dürfensiedannin ein Theateroder ein nicht kontrollierenlasse, wergeimpft istund

Restaurant gehen? Gilt für sie weiterhin wer nicht, meint dieKommissionsvorsit-

Maskenpflicht? Auf Ebeneder Politik wurde zendeChristianeDruml. Was den Zugang zu das bishernichtthematisiert,dieBioethik- Veranstaltungen Zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG. Digitale Nutzung gem PDN-Vertrag des VÖZ voez.at.angeht, plädierte sie in Anfragen zum Inhalt und zu Nutzungsrechten bitte an den Verlag (Tel: 01/213 12-3502). Pressespiegel Seite 35 von 74

R E G N I R H O F T U M L E H / A P A einem Gesprächmit der Tageszeitung„Die Presse “ allerdingsfür dieRücknahme von Beschränkungenfür Geimpfte: „Ichredebewusst nichtvon Privilegienoder Bevorzugungen. DieMöglichkeitzur Teilhabeamsozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebenist kein Privileg,esgeht hier um die Rücknahme vongravierendengrundrechtlichen Einschränkungen. “

DieVirusmutationensindaktuell der Hauptgrund für dieVorsicht der Politik. Zuletztwurdebekannt,dassin Tirolsechs Menschennach überstandener Covid-Erkrankung ein zweites Malpositiv getestet wurden– diesmal auf die südafrikanische Variante.„So wiebei Influenza sehen wir auch bei SARS-CoV-2 laufendMutationen, die ja erklären, warum wir bei der Grippe fast jedes Jahr einenneuen Impfstoff brauchen“, sagt Franz Allerberger. Esseimöglich,dasssowohl die natürlicheImmunisierung als auch dieImpfunggegen eine solche Mutation weniger gut schützen. Allerberger vergleicht dieLageder Wissenschaft mit dichtem Nebel auf der Autobahn. Da sei esschon vernünftig, nichtvoll aufs Gas zu steigen, meint er.„Aber eine Vollbremsung wäre genausofalsch.“ æ

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