Fotografie aus Wiener Privatsammlungen

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fotografie aus wiener privatsammlungen Kunst im St. Johanns Club



Kunst im St. Johanns Club, Wien

fotografie aus wiener privatsammlungen

Kurator und Herausgeber: Fritz Simak


Impressum Fotografie aus Wiener Privatsammlungen Kunst im St. Johanns Club, Wien Ausstellungseröffnung 30. September 2009 Herausgeber, Kurator und Text Fritz Simak Graphische Gestaltung Christoph Fuchs Druck Holzhausen, Wien © 2009


Vorwort Ungehemmt aus einer Fülle von Meisterwerken bedeutender Sammlungen schöpfen zu können gehört zu den schönsten Belohnungen für einen Kurator; hier und jetzt geschehen bei der Auswahl für diese Ausstellung. Denn neben der Präsentation von Einzelwerken kann man durch die Zusammenstellung von Bildern neue Aspekte und Assoziationsketten auslösen: Sei es durch das Aneinanderreihen­ ähnlicher Bildinhalte oder durch eine kontrapunktische Auswahl. Manches wird sich vielleicht nicht sofort erschließen, aber eines sei versichert: Je mehr Zeit und Intensität man in die Anschauung investiert, desto reicher wird man belohnt werden­, einer Exponentialkurve gleich wird sich die Befriedigung verviel­fachen. Auch kann ein flüchtiger Moment, von einem Fotografen festgehalten, die Wahrnehmung und Einstellung des Betrachters für immer verändern.


Harry Callahan bedient sich des Dye-Transfer Verfahrens, um durch reiche Sättigung der Farben die Leuchtkraft der Abend­sonne darstellen zu können. Auch Walfred R. Moisio ist, wie Callahan, fasziniert vom abstrakten Geflecht der Formen in das er den Mensch integriert.

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Harry Callahan (1912–1999 usa) „Venice“ 1957 Dye-Transfer Print, 22,4 * 34,1 cm


Walfred Robert Moisio (1910–2002 usa) „Depression, New York City, NY“ 1938 Silver Bromide Print, 23,7 * 31,4 cm



Walter Bartsch (aktiv 1950er in Deutschland) Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche bei Nacht, 1957 Gelatin Silver Print, 17 * 12 cm Wolfgang Reichmann (*1962 Österreich) „BAG piece 20#1“ 2005 Photogramm, Gelatin Silver, 60 * 50 cm


Der österreichische Fotograf Wolfgang Reichmann produziert­auch Bilder ohne den Einsatz einer Kamera­. Mit ausgeklügelter Beleuchtungstechnik ist es ihm möglich durch bloßes Platzieren eines banalen Einkaufs­sackerls auf das Fotopapier ein Bild magischer Leuchtkraft und facettenreicher Nuancierungen zu erzeugen. Ähnliches gelingt Walter Bartsch, der den richtigen Zeitpunkt in der Dämmerung abzuwarten vermochte, bei dem der Mond schon klar, die Wolken noch kräftig, und die Gedächtniskirche­mit Umgebung noch hell genug sind. Maurice Loewy und Pierre Puiseux zeigen den Mond nahsichtig in einer Teleskopaufnahme aus dem Jahr 1896 in ihrem Mondatlas.

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Maurice M. Loewy & Pierre Puiseux (1833–1907 / 1855–1928 Frankreich) „Photographie lunaire“ 1896 Heliogravure, 58 * 47,3 cm



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Christoph Fuchs & Gregor Hofbauer (*1978 / *1982 Österreich) „ohne Titel“ 2003 Photogramm, C-Print, 21 * 25 cm


Auch Christoph Fuchs beschäftigt sich mit Photo­grammen: Er legt bei völliger Dunkelheit ein Mobil­telefon auf das unbelichtete Farbfotopapier und lässt sich anrufen, sodass das Display leuchtet und das Tele­fon vibriert. Dadurch wird ein Bild erzeugt, welches dieses – vielen von uns zur Qual gewordene – Alltagsgerät mit einer geheimnisvollen Aura umgibt. Michael Flomen hingegen lässt Glühwürmchen für sich arbeiten: Nächtens legt er einen unbelichteten 8 x 10 inch Film ins Gras und wartet bis eines dieser leuchtenden Geschöpfe sein Negativ überquert. Da diese Tiere in rhythmischer Folge leuchten ergibt sich ein Muster am Film, das an Tanzfigurenzeichnungen erinnert. Deshalb nennt Flomen dieses Bild „Two Step“. In der Mitte hatte der Glühwurm innegehalten und somit den hellsten Teil im Bild erzeugt, da er immer wieder das Negativ an der selben Stelle belichtet. Die anderen an gefrorenes Wasser erinnernden Formationen entstanden durch Tau im Gras und durch das Gras selbst. Neben dieser Vergrößerung der Wirklichkeit zeigt Todd Watts ebenfalls Glühendes in komprimierter Form: Ein Feuer­werk am East River mit Brooklyn Bridge. Neben­ einander stehend werfen diese Bilder Fragen in Bezug auf Maßstab und Wahrnehmung auf.

> Michael Flomen (*1952 Kanada) „Two Step“ 2004 Negativ-Photogramm Gelatin Silver Print, 90 * 90 cm

>> Todd Watts (*1949 usa) „Artifice and Artifact“ 1989 Dye-Transfer, Gelatin Silver Monoprint, 70 * 77,5 cm




Bei Rudolf Sulke ergeben Formationen von kubischen Einzelteilen im Zusammenspiel mit Schattenpartien ein kompaktes Gebilde, das gleichzeitig ein stimmungsvolles Bild einer mediterranen Stadtlandschaft vermittelt. Schatten sind auch im Bildaufbau von Mark Markarian entscheidend: Diese überziehen gemeinsam mit dem Geländer und dem Baumstamm die übrigen Bildinhalte gleichsam mit einem zweiten, abstrakten Muster. Bei Paul Freiberger wird das gesamte Bild von einer Ebene aus Schneeflocken überlagert; diese kontrastiert mit dem streng gestalteten Ausschnitt.

Rudolf Sulke (1885–1964 Österreich) Mediterrane Stadtlandschaft, 1930er Brom Silver Print, 39,2 * 29,5 cm Mark Markarian (1910–1985 Deutschland) Häuserstudie, 1932 Bromoil Transfer Print, 39 * 28,2 cm 16

Paul Freiberger (1896–1962 Österreich) „Schneegestöber“ Alter Universitätsplatz Wien, 1930er Gelatin Silver Print, 28,4 * 22 cm



Wie sehr Landschaftsfotografie, oder Fotografie überhaupt, im Spannungsfeld zwischen subjektiver Projektion und Objektivität eingespannt sein kann, zeigt Lehnert & Landrocks Wüstenbild „Sahara b. Biskara“ (1912) in der Gegenüberstellung mit Edward Westons „Dunes, Oceano“ (1934). Nur 22 Jahre liegen zwischen diesen Bildern. Mit etwas Vorstellungskraft könnte man Weston neben Lehnert & Landrock stehen sehen, seinen abstrakten Formenprojektionen von Licht und Schattenverteilung folgend, während Lehnert & Landrock die Wüste als Stimmungslandschaft wahrnehmen, miteingeschlossen der Mensch als Betrachter im Sinne C.D. Friedrichs. Außer dem Sujet Dünen haben diese Bilder nichts gemeinsam, das Kunstwollen ist ein völlig anderes.

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Edward Weston (1886–1958 usa) „Dunes, Oceano“ 1934 Gelatin Silver Print, 19 * 24 cm < Lehnert & Landrock (1878–1948 / 1878–1966 Deutschland) „Sahara b. Biskara“ 1912 Bromsilver, 29 * 59 cm


Allen dreien dieser Naturstudien ist eine gewisse Zurückhaltung in der Gestaltung gemeinsam. Fast könnte man von Beiläufigkeit sprechen. Diese Bilder wirken aber mit einer derartigen Selbstverständlichkeit auf uns weil sie eben nicht zufällig oder schnappschuss­artig entstanden sind, sondern weil es sich um ersehene­Auf­nahmen handelt. Bei derartigen Aufnahmen bewegt sich der Fotograf so lange im Raum bis sein Standpunkt genau jenes Bild ergibt welches seiner Vorstellung entspricht: Denn Fotografieren außerhalb des Studios ist die Funktion der Bewegung des Fotografen im Raum. Einen anderen Weg ging Edward Weston 10 Jahre früher (1930) bei der Erarbeitung seiner „Pepper (30p)“. Die Formenvielfalt von Paprikas hat Weston besonders gereizt und er schuf in wochenlanger Arbeit und mit ausgefeilten Hilfsmitteln zur Lichtführung, wie etwa einem Topf in den er die Paprika stellte, eines seiner wichtigsten Werke.

Edward Weston (1886–1958 usa) „Cypress, Point Lobos“ 1940 Gelatin Silver Print, 19,3 * 24,5 cm Hugo Brehme (?) (1882 Deutschland – 1954 Mexiko) Olivenbäume, 1930er Gelatin Silver Print, 22 * 36,8 cm 20

Albert Renger-Patzsch (1897–1966 Deutschland) „Landschaft auf einer Rheinaue bei Ingelheim“ 1949 Gelatin Silver Print, 28,3 * 38,5 cm



Edward Weston (1886–1958 usa) „Pepper (30p)“ 1930 Gelatin Silver Print, 23,6 * 18,7 cm

nächste Doppelseite: Edward Weston (1886–1958 usa) „Shell (1s)“ 1927 Gelatin Silver Print, 24 * 19 cm Alfred Ehrhardt (1901–1984 Deutschland) „Ampelita sepulchralis (Madagascar)“ 1939 Gelatin Silver Print, 23,5 * 17,7 cm Piet Zwart (1885–1977 Niederlande) „Kohl“ 1929 Gelatin Silver Print, 25,7 * 19 cm

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Edward Weston (1886–1958 usa) „Pepper (35p)“ 1930 Gelatin Silver Print, 18,7 * 23,7 cm





Während des Ersten Weltkrieges hatte auch William E. Dassonville mit Rohstoffknappheit zu kämpfen. Platin für Platindrucke war Mangelware. So entwickelte er eine neue Papieremulsion deren Nuancenreichtum dem Platindruck sehr nahe kam. Ansel Adams benutzte auch gerne dieses Papier und ließ sich zudem von Dassonvilles Arbeiten zu manchen seiner großartigen Landschaftsbildern inspirieren.

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Ansel Adams (1902–1984 usa) „Jeffrey Pine, Sentinel Dome“ 1940 Gelatin Silver Print, 19 * 24,1 cm

William Edward Dassonville (1879–1957 usa) „Gnarled Tree“ 1920er Charcoal Black Print, 20,3 * 22,7 cm



Die Gemeinsamkeiten der folgenden beiden Bilder sind rein visueller­Natur: Die Feinheit der Tonwertabstufungen, die zarte Hellig­keit, die abstrakt-dekorative Komposition. Ralph Gibson zeigt eine Partie um das Schlüsselbein eines Mannes, einer sanft hügeligen Landschaft gleich, während die Formen im Photogramm von Lotte Jacobi entstanden indem sie Foto­papier mit einer punktförmigen Lichtquelle belichtete.

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Lotte Jacobi (1896 Deutschland – 1990 usa) „Photogenic“ 1950er Gelatin Silver Print, 13,8 * 11,6 cm

Ralph Gibson (*1939 usa) ohne Titel, 1987 Photogravure, 14 * 21 cm



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Lucien Clergue (*1934 Frankreich) „Le Marais d’Arles“ 1961 Gelatin Silber Print, 50 * 60 cm



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Lucien Clergue (*1934 Frankreich) „Le Marais d’Arles“ 1960 Gelatin Silver Print, 50,5 * 59,5 cm



Fritz Simak (*1955 Österreich) aus der Serie: F.X. Messerschmidt Gelatin Silver Prints, 24 * 29,5 cm 34

„Zweiter Schnabelkopf“ 1994



Fritz Simak (*1955 Österreich) aus der Serie: F.X. Messerschmidt Gelatin Silver Prints, 24 * 29,5 cm 1996–1997

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„Ein absichtlicher Schalksnarr“ „Ein Erzbösewicht“ „Des Künstlers ernste Bildung“ „Der Schafkopf“ „Ein Erhängter“



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Fritz Simak (*1955 Österreich) „Hommage á David Hockney, Belvedere Staatsvertragssaal“ 1995 Photocollage C-Prints, 100 * 125 cm


> Rudolf Koppitz hatte mit seiner „Bewegungs­ studie“ von 1925 eine Ikone der Fotografie geschaffen. Sie ist bis heute das bekannteste und am häufigsten abgebildete Werk eines österreichischen Fotografen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hier ein kolorierter Bromölumdruck von 1916 eines mit Blumen bekränzten Mädchens, das trotz seiner Jugend durch den gesenkten Blick eine geheimnisvolle Ernsthaftigkeit ausstrahlt. Erinnerungen an Igor Stravinskis­ „Le sacre­du printemps“ das drei Jahre zuvor uraufgeführt wurde, werden wach.

Rudolf Koppitz (1884–1936 Österreich) Mädchenkopf, 1916 Bromoil Transfer-Print, koloriert, 27,5 * 25,5 cm



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