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Die Geschichte der Pummerin
Der Klang Österreichs
Die Pummerin ist gewiss die bekannteste Glocke Österreichs. Sie ruft nicht nur die Gläubigen zu Hochfesten oder besonderen Gottesdiensten im Stephansdom, sondern erklingt auch zu besonderen Anlässen, vor allem zum Jahreswechsel. Grund genug also, diese Pummerin näher kennenzulernen. Von Günther Haller
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Foto: ÖNB/Wien, „US 10.025/1“
Einen derartigen Festzug hat das unter alliierter Besatzung stehende Österreich der Nachkriegszeit kaum je erlebt. Musikkapellen und Trachtenvereine, festlich gekleidete Bürger, Fahnenträger standen entlang der Straßen Spalier, als sich vor 70 Jahren eine Glocke auf ihre zweitägige Reise von Linz über Enns, Amstetten, Melk, St. Pölten und den Riederberg nach Wien machte. „Das weite Rund des historischen Stadtplatzes von Enns, das beim Einzug der Glocke einem Fahnen- und Blumenmeer glich, konnte die wartende Menge kaum fassen“, schrieb einer der Berichterstatter. Es ging um den Transport der neu gegossenen, mehr als 20 Tonnen schweren Pummerin zu ihrem Ziel, dem Wiener Stephansdom. Sie stand auf einem geschmückten Tieflader, die Möglichkeit, sie per Schiff nach Wien zu bringen, wurde verworfen. Das hätte den triumphalen Charakter dieser Fahrt quer durch Demarkationslinien und Diözesangrenzen geschmälert. Der Höhepunkt war für den 26. April 1952, einen Samstag, geplant: Die Glockenweihe wurde zu einem Höhepunkt im Prozess der neu gewonnenen gesamtstaatlichen Identität Österreichs.
„Steht der Steffl noch?“
Die alte Pummerin aus dem Jahr 1711 war beim Brand des Stephansdoms 1945 in die Tiefe gestürzt und zerschellt. Die bekanntesten Wahrzeichen der Stadt, die Staatsoper, die Museen, das Burgtheater, die Universität waren damals betroffen, die Zerstörung ihrer symbolreichsten Gebäude erschütterte die Wiener. Doch was den meisten die Tränen in die Augen trieb, war der Brand des Stephansdoms am 12. April. Nach jedem Bombenangriff hatte man sich gefragt: „Steht der Steffl noch?“ Das 800 Jahre alte Bauwerk galt als Nationalheiligtum und Identifikationsobjekt des ganzen Landes, es hatte so viel überlebt, Erdbeben und Brände, Türkenbelagerung und Franzosenkriege. Nun aber: ein erbarmungswürdiges Bild. Plünderer hatten Feuer gelegt in den umliegenden Geschäften, es breitete sich durch den Wind aus, griff auf den Dachstuhl des Steffls über. Der Glockenturm brannte aus, die schwerste Glocke Österreichs, 22 Tonnen, krachte zu Boden und zerschellte mit grauenhaftem Getöse. Einer der Menschen, die an diesem schlimmen Tag vor dem Dom standen, ein Mann mit ausgebeulten Hosen und abgeschabtem Hut, soll gesagt haben: „Na, wir werden ihn halt wieder aufbauen müssen.“ Es war Kardinal Theodor Innitzer.
Symbolhafte, wichtige Etappe
Das Aufbauwerk am Stephansplatz ging einher mit dem des ganzen Landes. Eine symbolhafte, wichtige Etappe war dieser 26. April 1952, als die Pummerin, die „Heimgekehrte“ (wie der Dichter Max Mell in seinem „Hymnus an die große Glocke“ schrieb), wieder da war, wenn auch noch nicht im Turm, sondern auf ihrem provisorischen Standort auf dem Areal der Dombauhütte. Die Weihe fand auf dem Platz vor dem Riesentor des Doms statt, in Anwesenheit von Bundespräsident, Bundeskanzler, Vertretern der Besatzungsmächte, Botschaftern ausländischer Staaten usw. Das war nicht nur ein Volksfest, das war eine Demonstration der Eigenständigkeit des Landes. Es wurde medial geschickt inszeniert, Wiedereröffnung des vollständigen Doms und Transport der Pummerin waren – und das bewiesen die Spaliere der Menschen – enthusiastisch zur Schau gestellte Zeugnisse eines Gemeinschaftsgefühls. Unbekannte und vergessene Geschichten ranken sich um das Ereignis. Die Kuratorinnen Heidemarie Uhl und Anna Stuhlpfarrer haben sie in einer neuen
Die Pummerin auf der Linzer Landstraße während des Transports nach Wien
» Doch was den meisten die
Tränen in die
Augen trieb, war der Brand des
Stephansdoms. «
» Die Fotografin
Lucca Chmel erhielt am Tag nach dem Brand den Auftrag zur fotografischen
Dokumentation der Zerstörung.
Seit 70 Jahren läutet die Pummerin vom Nordturm des Stephansdoms Web-Ausstellung des Hauses der Geschichte Österreich (HDGÖ) erzählt und mit zahlreichen Fotos illustriert (sie ist seit 10. April unter hdgoe.at zu sehen). Selbst für Kenner ist hier viel Neues zu entdecken.
Unumstrittener Klang Österreichs
„70 Jahre nach dem Glocken-Festzug von Oberösterreich nach Wien ist der C-Ton der Pummerin längst fixer Bestandteil im Baukasten österreichischer Identitätssymbole. Während etwa das politische Konzept der Neutralität wie zuletzt schon mehrfach in Diskussion geraten ist, blieb die Pummerin der unumstrittene Klang Österreichs“, sagte HDGÖ-Direktorin Monika Sommer bei der Premiere der digitalen Ausstellung in Anwesenheit von Dompfarrer Toni Faber, der von „Säulen des Österreichischen“ sprach. „Frauenpower für Dom und Glocke“ nennt sich ein Abschnitt, der die Rolle von Frauen beim Wiederaufbau des Stephansdoms hervorhebt. Sie sind – natürlich, ist man versucht zu sagen – vergessen. Da ist zuerst die Fotografin Lucca Chmel zu erwähnen. Sie erhielt am Tag nach dem Brand von Dompfarrer Franz Gessl den Auftrag zur fotografischen Dokumentation der Zerstörung. Sie war vorbelastet durch ihre Tätigkeiten in der Zeit des Nationalsozialismus und daher wie andere Parteimitglieder auch als „Sühneleistung“ zum Arbeitseinsatz für die Aufräumungsarbeiten verpflichtet worden. Um gute Aufnahmen zu erhalten, bestieg sie, gesichert wie eine Bergsteigerin, die zerstörten Mauern. So entstanden die berühmten, aus extremer Perspektive aufgenommenen Fotos. Die Architektin Helene Koller-Buchwieser leitete in der Anfangszeit die Aufräumungs- und Sicherungsarbeiten auf der Großbaustelle. Ihr passierte ein typisches Frauenschicksal: Sie agierte als Stellvertreterin des Dombaumeisters Karl Holey, der aufgrund der Reisebeschränkungen zwischen den Besatzungszonen erst später nach Wien kam. Koller-Buchwieser wurde unsanft ihrer Funktionen enthoben. Ebenso in Vergessenheit geraten ist die Ziseleurin Gertrude Stolz, sie arbeitete an den Reliefs der neuen Pummerin in der oberösterreichischen Glockengießerei St. Florian. Nach dem Vorbild der alten Pummerin von 1711 verfertigte sie figürliche Darstellungen der unbefleckten Empfängnis, Szenen der Türkenbelagerung 1683 und des Dombrands von 1945. Die Ausstellung zeigt ein Foto, auf dem man sie strahlend zusammen mit Landeshauptmann Heinrich Gleißner und Mitarbeitern der Glockengießerei sieht. Oberösterreich war besonders stolz darauf, dies als Geschenk für die Bundeshauptstadt zustande gebracht zu haben, zumal zur großen Enttäuschung vieler zuvor, 1950, ein Guss fehlgeschlagen war. „Aufgrund der Größe der Glocke haben alle gedacht, dass das eh nichts wird“, so ein Ortschronist aus St. Florian. Immerhin galt es, 27 Tonnen Metall zum Schmelzen zu bringen, Material, das größtenteils von der alten Pummerin stammte. Zum Jahreswechsel 1951/52 war die neue Glocke erstmals im Radio zu hören, damals noch von Linz aus. Ab da läutete sie jedes neue Jahr ein.
Die Pummerin vor Schloss Schönbrunn
Symbolischer Versöhnungsakt
Die Bilder der Zeremonie an diesem denkwürdigen Apriltag des Jahres 1952 waren auf der Titelseite jeder österreichischen Zeitung zu sehen. Die Pummerin stellte ein zweites Ereignis in den Schatten: die feierliche Eröffnung des Albertinischen Chors mit dem wiederhergestellten Hochaltar. Nach sieben Jahren Bauzeit war damit der gesamte Kirchenraum wiedereröffnet. Erst ganz zuletzt einigte man sich auf den Fahnenschmuck: Der Dom war in den päpstlichen Farben gelb-weiß geschmückt, auf dem Südturm war die österreichische Fahne gehisst. Oberhalb des Riesentors waren die Fahnen der Bundesländer zu sehen. Kein politisches Lager scherte aus, so wurde es auch „zu einem Akt der symbolischen Versöhnung der gegnerischen Lager der Februarkämpfe 1934“, so die Kuratorinnen. Es war eben ein durch und durch österreichisches Ereignis. Man wollte es besser machen in der Zweiten Republik. ●