Standpunkt
Paul Kimberger Mein Standpunkt
Das PISA-Märchen … ... ist schnell erzählt.
V
or 19 Jahren, einige mögen sich daran erinnern, war Finnland der große PISA-Star. Aus ganz Europa reisten Bildungspolitiker und Schulexperten in den Norden, um staunend zu erfahren, mit welchen pädagogischen Konzepten und organisatorischen Maßnahmen die Finnen ihre erfolgreiche Schule der Zukunft bauen. Jetzt, 19 Jahre später, ist die Zukunft da und keiner interessiert sich mehr für die Finnen. Sie wurden überholt von Ländern wie Singapur, China oder Korea, die für ihre Drillschulen bekannt sind und damit ziemlich genau das Gegenteil von humaner und kindgerechter Pädagogik praktizieren. Je größer die Angst, desto besser scheinen die PISA-Ergebnisse zu sein, zumindest in den asiatischen Siegerländern.
Diese erschreckende Erkenntnis offenbart die ganze Absurdität der Studie. Trotzdem starrt die Bildungspolitik noch immer auf jedes Testergebnis und blendet meist alles andere fakten- und sinnbefreit aus. Dieses eigenartige Phänomen ist aber keineswegs nur auf Österreich beschränkt. Nein, auch für viele andere zählt nur, ob ihr Land sich in den Ranglisten verbessern konnte oder eben nicht. Dass die OECD damit zu einem „globalen Schiedsrichter über Mittel und Ziele von Bildung“ wurde und das, obwohl man inzwischen wissen müsste, wie wenig verlässlich – auf das unerklärte Verschwinden Finnlands von der PISATabellenspitze habe ich bereits hingewiesen – die Aussagen all dieser Tests sind, wird einfach ignoriert.
Das Messbare ist nicht die Welt Die PISA-Studie misst nur das, was sich messen lässt und reduziert Bildung damit zu einem Wettlauf um Testergebnisse, der den Unterricht nicht nur zum Guten verändert hat. Tatsächlich verkümmert er mancherorts zu einer Vorbereitung auf die Formate der sogenannten empirischen Bildungsforschung – modular und kompetenzorientiert wohlgemerkt. Unsere Klassenzimmer werden dadurch bildungsärmer, weil gestalterische, musische, historische, moralische oder handwerkliche Fähigkeiten zwangsläufig im schulischen Spektrum immer mehr in den Hintergrund treten (müssen).
Foto: Caito/AdobeStock
Es ist schon nachvollziehbar, dass die OECD als wirtschaftspolitische Organisation vor allem die Arbeitsmarktbefähigung unserer Kinder und Jugendlichen im Blick hat, aber in Bezug auf eine ganzheitliche, humanistische Menschenbildung ist das bei weitem nicht ausreichend. „Die messbare Seite der Welt ist nicht die Welt“, schrieb einst der Philosoph Martin Seel. „Sie ist nur die messbare Seite der Welt.“ Daher besteht auch das Leben, in das die Schule entlässt, nicht ausschließlich aus Wirtschaft und insofern lässt sich die Illusion von PISA als Indikator für gute Bildungsqualität oder Mehrwert durch echten Erkenntnisgewinn, wenn es denn diesen jemals gab, auch nicht mehr aufrechterhalten.
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FEBRUAR 2020 | DAS SCHULBLATT