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Reise

DIE STRASSE DER MIMOSEN

Frühlingsboten

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Im Hinterland der Côte d’Azur läuft die Skisaison auf Hochtouren. Den Mimosen an der Küste ist dies gleich. Sie blühen ab Anfang Januar und zaubern einen leuchtend gelbgrünen Frühling ins Land.

TEXT & FOTOGRAFIE PAUL SMIT & MICK PALARCZYK

Unten: Alice und Tochter Solange pflücken wilde Mimosen bei einem Spaziergang am Circuit du Grand Duc.

Rechts: Ein Bild wie in Australien, wo die Mimosenbäume ursprünglich herkommen, so verwildert sind die Mimosenhaine. Es fängt schon bei Mandelieu an, wo sich die Straße von der Küste nach Tanneron hinaufwindet. Dort, wo wir die letzten Villen hinter uns lassen, zeichnet sich Le Grand Duc ab. Die meiste Zeit des Jahres ist das ein eher unauffälliger Buckel, bedeckt mit unspektakulärem Wald. Aber jetzt ist er verborgen unter gelb blühenden Baumkronen. Als er ob die eingefangenen Sonnenstrahlen wieder abgäbe – ein überschwängliches Gefühl des Frühlings. Und das Mitte Februar! Den Beweis, dass es wirklich noch Winter ist, liefert die majestätische Silhouette am Horizont, die hinter den blühenden Bäumen emporragt: die Seealpen schlummern unter einer dicken Schneedecke im Winterschlaf. Die Saison im Skigebiet Isola 2000 dauert noch zwei volle Monate. Auf dem Parkplatz des Grand Duc stehen einige Morgenwanderer mit großen Mimosenzweigen in den Händen. „Ist das erlaubt?“, fragen wir. „Hier durchaus“, sagt Alice, eine junge Frau, die mit ihrem Töchterchen Solange spazieren geht. „Die Bäume rund um Grand Duc sind verwilderte Exemplare, schon vor langer Zeit vom Wind ausgesät. In den Mimosenwäldern um Tanneron sollen natürlich keine Zweige abgebrochen werden, dort verdienen die Züchter ihren Lebensunterhalt damit.“ Sie deutet auf ihre Tochter: „Wir machen unsere eigenen Sträuße, damit es den ganzen Winter in unserer Wohnung so aussieht, als schiene die Sonne. Vom wunderbaren Duft ganz zu schweigen.“ Die kleine Solange schiebt einen Zweig unter meine Nase: eher frisch als blumig, mit einem Hauch von Honig und etwas Undefinierbarem, das an Anis erinnert. Auch wir begeben uns auf den Circuit du Grand Duc, einen Weg auf aussichtsreicher Höhe ohne viel Auf und Ab. Schon bald ziehen wir unseren Pullover aus und gehen im T-Shirt weiter. Oft blicken wir übers Mittelmeer. Das Sonnenlicht spiegelt sich auf den Wellen und lässt die Lérins-Inseln vor der Küste von Cannes wie auf Quecksilber schweben. Die Landschaft ist mediterran, neben Mimosen gedeihen hier auch viele Korkeichen.

Mimosen-Dschungel

Das ist im Vallon de Valcros anders; wo wir am folgenden Tag hinfahren. Hier ist das Klima kontinentaler: Bevor die Sonne durchbricht, bleibt die Jacke an. Doch es lohnt sich! Ist der Circuit du Grand Duc eine schöne Strecke, so ist der Vallon de Valcros ein einzigartiges Erlebnis. Wir wandern durch Mimosenhaine in allen Phasen ihrer Verwilderung. Nur ein Teil wird bewirtschaftet. Dort wachsen neben den geköpften Mimosenbäumen, deren Triebe Jahr für Jahr geerntet werden, auch Bäume der Gattung Eucalyptus pulverulenta, die eigentlich in Australien beheimatet ist. Ihre Zweige mit silberblauen, runden Blättern werden als Schnittgrün verkauft, oft in einem Blumenstrauß zusammen mit der Mimose. Anderorts sind die Mimosentriebe seit Jahren nicht mehr geerntet worden, wodurch die gelben Blütenfächer hoch über die Baumkronen ragen. Im Nachbartal Valbugrelle gibt es sogar Haine, die schon seit einem halben Jahrhundert verwildert sind. Dort haben die Mimosen und Eukalypten einen australischen Dschungel herangebildet mit mehr als zehn Meter hohen Bäumen. Apropos Australien: Es war der Entdeckungsreisende James Cook, der Ende des 18. Jahrhunderts die Saat in Down Under einsammelte. In Europa blühten daher die ersten Mimosen in England, in den Londoner Kew Gardens. Wohlhabende Briten, die es im 19. Jahrhundert zum Überwintern an die Côte d’Azur zog, haben die Bäume um ihre Villen gepflanzt. Anschließend >

Wohlhabende Briten, die es im 19. Jahrhundert zum Überwintern an die Côte d’Azur zog, schickten den Daheimgebliebenen im grauen England gern ein wenig Sonnenschein, so begann die Mimosenzucht.

schickten sie den Daheimgebliebenen im grauen England ein wenig Sonnenschein, so begann die Mimosenzucht. Im Tanneron-Massiv waren die Voraussetzungen perfekt: durchlässige, saure Böden, viel Sonne und nur selten Frost.

Pralinen und Parfüm

Kurz vor dem Dorf Tanneron finden wir den Mimosenzuchtbetrieb Vial vor. Mitarbeiterin Cassandra erklärt, dass die Forcerie der Schlüssel des Züchters sei. Das ist ein geschlossener, warmer und feuchter Ort, wo die Blüte vorzeitig geernteter Zweige erzwungen wird. So bleiben die Blumen mehr als eine Woche frisch und können in alle Welt exportiert werden. Cassandra führt uns zum Laden und serviert ein Glas Mimosensirup. Der spezifische Duft ist unverkennbar. „Es kursiert eine Geschichte über die Entdeckung des Forcierens”, sagt sie. „Vor hundert Jahren hat ein hiesiger Züchter einen noch nicht ausgetriebenen Mimosenzweig auf seinen Misthaufen geworfen. Am nächsten Tag fand er ihn wieder, in voller Blüte, dank der Wärme und Feuchtigkeit des Dunges.“ Cassandra kichert: „Ob diese Blumen auch den feinen Mimosenduft verbreitet haben, verrät uns die Geschichte nicht.“ Mit dem Duft beschäftigen wir uns am nächsten Tag in der Parfümstadt Grasse, wo die „Straße der Mimosen“ ihren Anfang nimmt. Für zwei Stunden sind wir Nez (Nase): Schöpfer eines Parfüms beim Parfümeur Molinard. Nach einem kurzen Kurs zusammen mit anderen Touristen bekommen wir die Zutaten zur Verfügung gestellt, einschließlich MimosenAbsolue (Essenz). Dann beginnt das Riechen und immer wieder Riechen. Wir erproben allerlei Duftkombinationen; was sich ein bisschen wie Kochen anfühlt. Zu guter Letzt steigen wir mit unserer eigenen Parfümkreation wieder ins Auto. Auf dem Rückweg geraten wir in Mandelieu in die Fête du Mimosa (2021 vom 17. bis 24. Februar). Die Hauptveranstaltung ist ein Korso auf dem Boulevard. Wir erwarten etwas Altbackenes, bekommen aber eine absolut schräge Schau geboten. Nicht so sehr wegen der Festwagen, sondern dank der Musiker und Straßenkünstler rundherum. Sie kommen aus ganz Europa und ihre Kostüme sind so kreativ gestaltet, dass wir noch nicht alle Einzelheiten entdeckt haben, als die Parade das vierte Mal vorbeigezogen ist. Im Anschluss werden Mimosenzweige verteilt. Der Boulevard und alle Café-Terrassen sind gelb gefärbt. Fahrräder, Kinderwagen und Hunde: Alles und jeder ist mit Mimosen geschmückt. Sogar die harten Jungs vom Harley-Davidson-Club knattern grinsend durch die Gegend - mit Mimosen auf dem Chrom.

Göttliche Trüffel

Schon mal einen Mimosentrüffel gegessen? Weiße Schokolade, gewälzt in einem Pulver aus gesüßten Mimosenblüten. Wir haben das Glück in der Chocolaterie Le Palet d‘Or in Agay. Himmlisch! Genau wie auch der Streckenverlauf der Mimosenstraße bei Agay: Sie windet sich durch die roten Vulkanfelsen des Estérel, die wunderbar mit dem Azurblau des Meeres kontrastieren. Auch das Cap

Links: ein Auto aus der ehemaligen Flotte von La Poste auf der Route du Mimosa, im Hintergrund das Dorf Tanneron.

Oben links: im Lädchen der Mimosenzüchterfamilie Vial sind Mimosenprodukte erhältlich, zum Beispiel Sirup, Seife und Pollen. Rechts: die Fête du Mimosa in Mandelieu ist das kreativste und stilvollste der Mimosenfeste.

Dramont besteht aus diesem roten Rhyolith. Hier wandern wir über einen schönen Küstenweg mit Blick auf die Île d’Or (Goldinsel). Diese diente als Vorlage für die Insel auf dem Cover des Tim-und- Struppi-Bandes „Die Schwarze Insel“.

Den Winter vergessen

Bald biegt die Küste nach Süden ab, wir folgen ihr unter den Hängen des Massif de Maures, wo die Mimose die Straße zuweilen in einen gelben Tunnel bettet. Bei Rayol-Canadel ist die Küste am wildesten. Kleine, weiße Sandstrände sind von zerklüfteten Felsen eingeklemmt, darauf stehen Korkeichen und krumme Kiefern, die sich im Wind wiegen. In dieser mediterranen Natur liegt der wundervolle botanische Garten der Domaine du Rayol, wo Pflanzen aus anderen warmen Regionen der Welt angesiedelt wurden. Ein Muss für Mimosen-Liebhaber, besonders wegen der dreißig Arten, die nicht nur aus Australien stammen, sondern auch aus Südafrika. Die letzten Tage verbringen wir bei Bormes-les-Mimosas. Es ist das vielleicht reizvollste Dorf der Mimosenstraße und zugleich ihr Endpunkt. Mittelalterliche Gassen, Treppen und Plätze sind mit exotischen Pflanzen und Bäumen gefüllt, die uns das Gefühl geben, durch ein tropisches Dorf zu schlendern. Dass es eigentlich Winter ist, vergessen wir völlig. Wie der Name schon sagt, fühlt sich hier auch die Mimose zu Hause und spielt deshalb die Hauptrolle beim Blumenkorso des Dorfes. Es ist eine ganz andere Parade als im mondänen Mandelieu. Die Motivwagen und Kostüme basteln die Dorfbewohner selbst und das Publikum besteht hauptsächlich aus Verwandten und Freunden. Ein Dorffest also, aber deshalb macht es nicht weniger Spaß. Der auffälligste Wagen der Parade wird von einer großen ägyptischen Sphinx geziert, deren Kopf natürlich aus Mimosen besteht. Zwischen ihren Beinen stehen zwei junge Prinzessinnen, die von der Dorfjugend laut bejubelt werden, wodurch deren ägyptische Pose stark auf die Probe gestellt wird. Der Pharao ist beim Publikum ebenfalls bestens bekannt und schwingt wild einen Speer aus Pappe. Es ist der Postbote von Bormes. Die Feier endet wie in Mandelieu: Die Mimosenzweige werden im Publikum verteilt. Die Blumen dürfen auch von den Wagen gepflückt werden. An diesem Abend färben wir unser Hotelzimmer sonnengelb. ■

Linke Seite: die Gassen von Bormes-les-Mimosas sind mit exotischen Blumen und Bäumen geschmückt.

Oben links: weiße Schokolade in einer süßen Kruste aus gemahlenen Mimosenblüten in der Chocolaterie Le Palet d’Or in Agay. Rechts: Tradition und Erneuerung gehen Hand in Hand bei der Fête du Mimosa in Mandelieu.

Mittelalterliche Gassen, Treppen und Plätze sind mit exotischen Pflanzen und Bäumen gefüllt, die uns das Gefühl geben, durch ein tropisches Dorf zu schlendern.

Tipps & Adressen

WANN

Die Mimosen blühen von Anfang Januar bis Mitte März, je nach Wetterlage kann sich die Blüte um maximal bis zu zwei Wochen verschieben.

DIE STRECKE

Die Mimosen-Route führt über 130 Kilometer von Grasse über Pégomas, Tanneron, Mandelieula Napoule, Saint-Raphaël, Sainte-Maxime und RayolCanadel-sur-mer nach Bormesles-Mimosas.

WANDERN

Am Ende des Rundwegs Circuit du Grand Duc ist es erlaubt, selbst ein paar Mimosen zu pflücken. Route: https://randoxygene. departement06.fr/pays-cannois/ circuit-du-grand-duc-9322.html. Zu empfehlen ist die Tageswanderung durch den Vallon de Valcros, von Auribeausur-Siagne bis Tanneron (7,5 km). Wir sind bergan gewandert (370 m Höhenunterschied), um peu à peu in die Welt der blühenden Bäume hinein zu gelangen. Wer möchte, nimmt für den Rückweg ein Taxi (taxipascal-tanneron.fr). Das Tanneron-Massiv steht auf der IGN Wanderkarte 3543 ET Haute Siagne (€13,20).

AUSFLÜGE

☛ Broschüre mit der vollständigen Route und Infos zu den Sehenswürdigkeiten, Aktivitäten und Mimosenfesten. routedumimosa.com

☛ Mimosenzüchter Vial. Die Besichtigung des Betriebs ist kostenlos. Im Geschäft sind Mimosenprodukte, wie Sirup, Seife und Pollen erhältlich. vial-tanneron.com

☛ Die Chocolaterie Le Palet d’Or in Agay, berühmt für ihre Mimosentrüffel, liegt direkt an der Route (170, rue de l’Agay).

☛ Der Garten der Domaine du Rayol ist im Winter zwischen 9.30 und 17.30 Uhr geöffnet. Führung um 14.30 Uhr. Eintritt €12 (€14 mit Führung). domainedurayol.org

☛ Gartencenter Pepinieres Cavatore in der Nähe von Bormes-les-Mimosa. 180 verschiedene Sorten für Ihren Garten in Südfrankreich. mimosa-cavatore.com

☛ Seifenhersteller Savonnerie de Bormes verkauft nach Mimose duftende Seifen. savonnerie-bormes.com

ÜBERNACHTEN

☛ Maison d’hôtes

Villa Colina

Zwei luxuriöse Zimmer. in idealer Lage an der Straße zum Circuit du Grand Duc mit Blick auf die Hügel. In dieser Gegend hat die Route viel zu bieten. 2363 Boulevard des Termes, Mandelieu la Napoule, villacolina.fr.

☛ Appartements

Villa Justine

Liegt neben dem TanneronMassiv mit seinen Mimosen. 47 Rue Emile Baudin, 06210 Mandelieu-la-Napoule, villajustine.com. ☛ Hotel La Villa Douce Charmantes 4-Sterne-Hotel oberhalb von Rayol-Canadel, mit Panoramablick auf das Meer und die Inseln Port Cros und Île du Levant. Frisch und modern gestaltete Zimmer. Im Restaurant Le Café l’Envol serviert Küchenchef Zivorad Markovic leichte mediterrane Gerichte. 8 Corniche de Paris, RayolCanadel-sur-Mer, lavilladouce. com.

☛ Hotel Les Terrasses de

Bailli

Das 3-Sterne-Hotel liegt an einem von Bäumen gesäumten Hang, der das Meer und die Inseln überblickt. Eine elegante Villa aus den 1920er Jahren wurde mit modernen Nebengebäuden erweitert. Mit Mimosenangebot, einschließlich freiem Zugang zum nahe gelegenen botanischen Garten Domaine du Rayol. 18 avenue du Capitaine Thorel, Rayol-Canadel-sur-Mer, hotelterrasses-dubailli.com.

ESSEN & TRINKEN☛ ☛ Restaurant

La Fleur de Lys

Stimmungsvoll unter gemauerten Gewölben.

Französische Küche, frisch und lokal, die Speisekarte wechselt zu jeder Jahreszeit. 2 Avenue Chiris, Grasse, facebook.com/ lafleurdelysgrasse.

☛ Restaurant Le Grill de la

Mourachonne

Pégomas ist ein malerisches Dorf am Fuße der mit Mimosen bewachsen Tanneron-Hügel. Gäste aus der Küstenregion kommen hier gerne her, die Küche ist ausgezeichnet, mit einer lebhaften BrasserieAtmosphäre. 3 Place du Logis, Pégomas, legrilldelamourachonne.fr.

☛ Restaurant L’Eveil des

Sens

Gaumenfreuden! Joël Metony hat als Standort für sein Restaurant das Dorf Les Alizés in Deauville nach fünf Jahren gegen Pegomas getauscht. Er mag die entspannte Atmosphäre des provenzalischen Dorfes. 412 boulevard de la Mourachonne, Pegomas, facebook.com/Léveil-desSENS-766981403682758.

☛ Restaurant La Table Sehr erschwingliches Bistro, das zugleich ein Weinkeller ist. Ausgezeichnete Küche, ideal zum Mittagessen im Herzen der Stadt, in der Nähe des alten Hafens. 47 Rue Thiers, Saint-Raphaël, latablerestaurant.fr.

☛ Restaurant La Terrasse Gutes Essen. Blick auf das Dorf von der Terrasse aus im Herzen von Bormes, besonders mittags, wenn die Sonne im Februar schon wärmt. Besucher blicken auf die gelben Kronen der Mimosen unter der Terrasse. 12 place Gambetta, Bormesles-Mimosas, facebook.com/ LaTerrasseDuVieuxSauvaire.

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