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Kolumne aus Cannes

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Auslese

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CHRISTINE CAZON

Christine Cazon, alias Christiane Dreher, ist Krimiautorin und Wahlfranzösin. Zusammen mit ihrer Romanfigur Kommissar Duval erlebt sie Cannes sowohl vor als auch hinter den Kulissen der südfranzösischen Glitzerwelt.

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Pourquoi pas? Warum nicht!

STEPHAN GABRIEL  PORTRÄT CHRISTINE „Pardon“, ein Herr auf dem Markt spricht mich mit ernstem Gesicht leise an. Halblautes Französisch inmitten eines quirliglauten südfranzösischen Marktes geht völlig unter. „Pardon?“ frage ich höflich zurück. Er kommt etwas näher, spricht aber gleichzeitig leiser, als wolle er mir vertrauensvoll etwas sagen. Warnt er mich vor Taschendieben? Ich verstehe immer noch nichts. „Pardon?“ frage ich erneut und beuge mich leicht in seine Richtung. Auch er beugt sich zu mir und berührt dabei leicht meine Schulter. „Sie gefallen mir“, säuselt er. „Haben Sie einen Moment? Ich wohne gleich da vorne.“ Non mais! Ich werde flammend rot, verlegen, wütend und bin gleichzeitig schockiert. Hallo! Wo sind wir denn! Wir sind in Frankreich. Kein Zweifel. Ich bin eine rundliche Mittfünfzigerin und er ein stattlicher Herr en pleine forme, wie ältere Herren sich gern bezeichnen, um klarzumachen, dass sie, aber hallo, noch sexuell aktiv sind, und hoho, nicht zu knapp. Wie kommt er darauf, dass er mich am helllichten Tag abschleppen könnte? Wie sehe ich denn aus? So aufreizend? Oder nur naiv? Dass ich auch nach Jahren noch nicht verstehe, dass es in Frankreich zwischen Männern und Frauen immer nur darum geht, ärgert mich besonders. Nach der bis heute nicht ganz geklärten Affäre von Dominique Strauss-Kahn und einem Zimmermädchen in einem Hotel, nachdem Frauen unter #metoo weltweit wütend anprangern, dass Mann ihnen Klapse auf den Po gibt, sie anzüglich betrachtet, zweideutige Witze macht, ihr Knie, den Po oder den Busen betatscht, und dass damit nun ein für alle Mal Schluss ist, nach alledem hat sich in Frankreich nichts geändert. Französische Männer machen Frauen an. Immer und überall. Und französische Frauen parieren das in der Regel lässig. Geschmeichelt und amüsiert, denn es ist ja auch ein Kompliment, zumindest als solches gemeint. Das sagt zuhause auch mein lieber Monsieur, als ich ihm immer noch empört meine Geschichte erzähle. „Freu dich doch. Du hast ihm gefallen.“, sagt er verständnislos. Das mit den Frauen und den Männern in Frankreich ist buchstäblich ein schlüpfriges Terrain. Seitdem ich die Texte der harmlos klingenden französischen Schlager verstehe, kann ich sie nicht mehr mitträllern. Es geht oft so explizit zur Sache, dass ich schon beim Zuhören vor Scham erröte. Da wird im Rhythmus der Wellen geliebt („Elle prefère l’amour en mer“), da werden unbekleidete Frauen heimlich beobachtet („Melissa“) und selbst das so harmlos daherkommende „Pour un flirt“ endet nicht bei einem Küsschen, sondern selbstverständlich im Bett, schallalalalala. Ganz zu schweigen vom gestöhnten „Je t’aime moi non plus“ von Serge Gainsbourg und Jane Birkin. Und manche Sängerin interpretierte einen Text von Boris Vian, der heute so dermaßen nicht mehr politisch korrekt ist, dass man vor dem Anhören gewarnt wird, er könne sensible Gemüter verletzen: „Fais moi mal, Johnny“. Brigitte Bardot liebt unbekümmert mehrere Männer im Film „La Vérité“, in „Two days in Paris“ schockiert July Delpy ihren amerikanischen Freund mit ihren ungezählten französischen Ex-Lovern, und mich persönlich hat in jungen Jahren der Film „Pourquoi pas“ über eine Liebe zu dritt sehr beeindruckt. Pourquoi pas? Warum nicht. Das fragt auch der französische Journa-

Wie kommt er list Alain-Xavier Wurst in seinem Buch „Zur Sache Chéri“. Er versteht nicht, darauf, dass er warum er deutsche Frauen nach ein paar mich am helllichten plaudernden Sätzen nicht ins Bett kriegt. Warum? Fragt die deutsche Frau Tag abschleppen erstaunt über dieses Ansinnen. Warum könnte? Wie sehe nicht? Fragt der Franzose zurück. Warum sollte man die Nacht allein ich denn aus? So verbringen, wenn man auch zu zweit sein kann? Wächst man mit dieser Kultur aufreizend? auf, dann kann Mann vermutlich nicht anders, als charmant zu säuseln, sobald er eine Frau allein sieht. Sei es vor dem Weinregal, an der Bushaltestelle, im Zug und natürlich in der Kneipe oder am Strand. Herrjeh, diese französischen Männer! Ich habe sie so satt! In Deutschland merke ich den Unterschied. Wie erholsam, unbemerkt unterwegs sein zu können! Aber mit der Zeit verwirrt es mich. Kellner bedienen mich mit leerem Blick und ansonsten sieht Mann durch mich durch. Hallo! Bin ich versucht zu rufen, hier bin ich! Ein besonders charmantes Lächeln und eine witzige Bemerkung laufen ins Leere. Nach drei Wochen Unsichtbarkeit fühle ich mich fast gedemütigt. Es ändert sich schlagartig auf dem Rückweg, kaum habe ich französischen Boden betreten. Ein kurzes Zögern an der Zapfsäule der Tankstelle, schon steht ein Mann an meiner Seite, der mir beim Tanken behilflich ist und sicher ginge da auch mehr. Warum nicht. Er plaudert und lächelt charmant. Ich bin erleichtert. Alles ist gut. Ich bin eine Frau. In Frankreich. •

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