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Pariser Café-Legenden
Die Cafés von
Liebevoll und mit einer ordentlichen Portion Savoir vivre beobachtet Murielle Rousseau in ihrem neuen Buch das Leben in den schönsten und außergewöhnlichsten Cafés der Hauptstadt.
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Links: Café du Petit Palais „Kaffeeklatsch mit Freundinnen unter Bananenstauden und Palmen“, rechts: Le Balto, „Wie der Bug eines großen Schiffes“.
Sie gehören zur Stadt wie der Eiffelturm und der Louvre. Sowohl die kleinen, mit einfachen Holztischen ausgestatteten Bistros um die Ecke als auch die traditionellen und unverwechselbaren Cafés, die seit jeher Kultur und bisweilen sogar die Geschichte prägen: Sie sind untrennbar mit dem Leben und dem Flair der Stadt verbunden. In ihrem neuen Buch stellt ParisKennerin Murielle Rousseau (1966) die schönsten Cafés der Stadt vor.
Ein ganzes Buch über Cafés! Wie viel Kaffee haben Sie denn dafür getrunken?
Rechts: Le Train Bleu „Leidenschaftliche Affäre“, unten: Autorin Murielle Rousseau. (lacht) Unendlich viele. Früher saß ich da mit meinen Schulsachen und habe gelernt. Oder ich habe mit Freunden einfach Zeit abgesessen, ohne Smartphones; warten, Menschen beobachten. Ganz oft. In meiner Branche hält man ArbeitsTreffen und Besprechungen in Cafés, das ist typisch für Paris. Wenn Sie heute das Treiben in den Cafés beobachten, sehen Sie alles, junge Leute, alte Leute, Menschen mit Tablett bei der Arbeit.
Woran erkennt man ein echtes Pariser Café?
Zum einen natürlich an den Requisiten: die Rattanstühle im Stil des 19. Jahrhunderts, die kleinen runden Tische aus Metall oder Marmor, die große Theke aus Zink – von denen wurden im Zweiten Weltkrieg übrigens viele gestohlen und für die Waffenindustrie eingeschmolzen , der Brotkorb mit Croissants darauf. Und natürlich am Garçon mit seiner weltläufigen Allüre, Schürze und schwarzen Weste. Das Wichtigste ist aber die große Fensterfront! Diese Offenheit, der Blick nach außen.
Ist das so anders als bei einem Café in Deutschland?
Ein englisches oder deutsches Café ist viel verschlossener! Es ist eine viel größere Hürde, die Tür zu öffnen. In England fand ich es wirklich schwer, als Frau allein ein Café auszuwählen. Von außen war gar nicht zu sehen, was mich drinnen erwartet. Wenn ich mich dann getraut hatte, bin ich aber belohnt worden mit Gemütlichkeit, Kaminfeuer und toller Stimmung eine völlig andere Atmosphäre.
Was ist denn das Besondere an der Pariser Caféhaus-Tradition?
Cafés sind ein integraler Bestandteil des Pariser Lebens. Für die Pariser gehört dieser kleine Gang, mal eben einen Kaffee zu trinken, zum Leben. Man verabredet sich nicht drei Tage vorher. Das passiert en passant. Ob es nun drei Freundinnen sind, die gerade vom Yoga kommen oder die Oma, die beim Einkaufen mal kurz einkehrt. Es ist so integriert im Leben, man zieht sich nicht extra an, man kommt so gerade noch nicht im Morgenmantel.
Wo bleibt denn dann der Pariser Chic?
Caféterrassen sind natürlich ein wichtiger Faktor fürs Sehen und Gesehen werden. Aber, wenn Sie da alleine sitzen, Sie fühlen sich nie einsam! Man gehört zu einer Gruppe von Menschen, die dasselbe Plaisir genießen. Ich gehe auch oft alleine ins Café und habe eine unheimliche Freude dran, da zu sitzen und Menschen zu beobachten.
Haben die Pariser etwa mehr Zeit?
Sie nehmen sich die Zeit, das gehört zum Savoir vivre, den Genuss des kleinen Augenblicks zelebrieren, den Kaffee genießen und die Sonne beobachten, diesen Kaffeemoment für sich haben... Il faut être dans le moment. Die Cafés sind essentielle Infrastruktur für das Savoir vivre. Aber in Deutschland hat man viel dazugelernt, finde ich.
Haben Sie als gebürtige Pariserin auch für sich etwas Neues entdeckt?
Die Auswahl im Buch ist persönlich. Ich habe mir auch neue angeschaut, wie das Boot Café in einer ehemaligen Schuhwerkstatt. Es ist mini! Total nett, wenig Sitzplätze. Eher ein modernes „Coffee to go“. Es hat meine Sammlung vervollständigt.
Welches Café ist denn Ihr Liebling?
Das Café SaintRégis, direkt an der Seine mit herrlicher Aussicht! Es serviert göttliche heiße Schokolade! Nettes Frühstück, gutes Mittagsangebot und deren gute Beziehungen zum Süden von Frankreich schmeckt man zu jeder Tageszeit. >
Exklusiv für das Frankreich Magazin hat die Autorin eine kleine Leseprobe aus dem Buch zur Verfügung gestellt:
Lachs, Rosé und People watching bis zur blauen Stunde LE SAINT-RÉGIS Île Saint-Louis, 6 Rue Jean du Bellay 75004 Paris
Sonnenuntergang mit Blick auf die nach dem verheerenden Brand in Gerüsten ummantelte Notre-Dame, den Pont Saint-Louis und die Ufer der Rive gauche, die sich sacht über die Seine beugen. Wir sitzen in meinem Lieblingscafé, dem StRégis, auf der kleinsten Pariser Insel, der Île Saint-Louis. Bei Jean, dem Spaßmacher-Kellner des Cafés, den wir so nennen, weil er immerzu singt, pfeift oder lacht, haben wir eine Flasche unseres Lieblings-Rosés aus der Camargue bestellt. Ein ungewöhnlicher Roséwein, weil die Reben auf dem Sand der Camargue Trauben voller Konzentration und Intensität hervorbringen. Jean hat mir irgendwann einmal erzählt, dass diese Anbauweise in
Links: Bistrot Vivienne „Käse, Wein und Crème brùlée in der schönsten Galerie von Paris“, in der Mitte: Les Deux Magots „Feiner Jazz zu später Stunde in legendärer Kulisse“, Rechts: Bar Hemingway und Salon Proust im Ritz „Einen Wodka Martini für Bond“ ihrer ursprünglichen Form in der Weinwelt schon fast in Vergessenheit geraten war. Dabei waren die in den kargen südfranzösischen Sand gepflanzten Reben der Domaine Royal de Jarras die einzigen, welche die Reblausplage im 19.Jahrhundert überlebten. Wir lassen die untergehende Sonne über Paris durch den besten Rosé aus dem Süden Frankreichs scheinen und nehmen einen Schluck aus dem Glas. Welch ein Glück, dass das St Régis für unseren Rosé die passenden Speisen hat. Ich nehme den geräucherten Lachs, eine Assiette de saumon fumé, mein Compagnon Matthieu die Sardines d’Espagne avec du beurre fin et du pain grillé. Wir haben nichts anderes zu tun, als Fisch und Rosé zu genießen. Wir frönen dem People watching und erzählen uns gegenseitig Geschichten. Zum Espresso am Schluss serviert uns Jean noch Nougat von Sénéquier aus dem über 130 Jahre alten roten Café- und Nougathaus von St.Tropez. >
Murielle Rousseau Die Cafés von Paris ISBN 9783458681458 Insel Verlag
Wir verlosen GEWINN 5 Exemplare SPIEL des Buchs. Mehr Info unter frankreichmagazin. org/Gewinnspiel
Das Café Sénéquier an der Côte d’Azur ist leuchtend knallrot, die Fassaden und das Interieur des St Régis dagegen klassisch in retro-schwarz-braunen Nuancen gehalten, lediglich unterbrochen durch goldene Lettern, Silberstreifen, große Glasfronten und dem Refl et der Wein- und Spirituosenfl aschen, die ringsum an den Wänden des Lokals auf dunklen Holzregalen stehen. Das dunkelrote Leder der Cafébänke, die in schönen Rundbögen die Mitte des Lokals unterteilen, ist gerade verschlissen genug, um dem Café die richtige, die echte Pariser Patina zu verleihen. Auf ihnen lässt es sich mühelos zum Sitznachbarn rutschen, auf der Suche nach einer Schulter, wenn der Kopf von zu viel Rosé etwas schwer geworden ist, so wie jetzt. Der aufmerksame Jean macht die kleine Stehlampe hinter unserer Bank diskret aus. Ruhe kehrt ein, um uns herum und in uns selbst. Die heure bleue, dieser fast undefi nierbare Moment zwischen Tag und Nacht, wenn die Pariser Häuserfassaden und die Landschaft in ein Blau tauchen und die Vögel zum letzten Mal ihr Abendlied singen, legt sich wie ein Band auf diesen Ruhehafen mit dem zeitlosen Aussehen im Herzen von Paris. Wortlos schlendern wir nach unserem Rosé und den Fischen im Café St Régis an den Quais de Bourbon und d’Anjou, de Béthune und d’Orléans entlang und bleiben am Place Louis Aragon hängen, weiter in unseren Träumereien gefangen. An den Platz grenzen keinerlei Häuser, es sieht so aus, als würde er frei über der Seine hängen. Die Île Saint-Louis hat sich seit dem 17. Jahrhundert zum privilegierten Wohnort der Bourgoisie entwickelt und die architektonische Einheit und Atmosphäre einer Kleinstadt in der Großstadt beibehalten – hier an diesem Platz unweit des Café St Régis spüren wir dies besonders. 11, 8, 4: Matthieu kennt sich aus und verrät mir die Zahlen der Insel: 11 Hektar groß ist sie, 8 Straßen gibt es und 4 Quais. Ich merke, dass er mir die Zahl der Plätze und verbindenden Brücken vorenthalten hat. Dafür lesen wir auf einer blauen Tafel, wie Aragon, Namensgeber dieses Platzes, die Insel bezeichnete: L’île au cœur de la ville où tout est tranquille éternellement – die Insel im Herzen der Stadt, in der alles ruhig ist, unendlich. Um uns herum kehrt diese Tranquillité in die luxuriösen, palastartigen Hôtels particuliers ein, deren Fassaden gen Norden auf die Rive droite blicken. Nun weiß ich, warum die Insel Île des Palais heißt.