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Steinböcke, Schnitzkunst und freche Engel
Steinböcke, Schnitzkunst und freche Engel Haute Maurienne
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Großartige Landschaften laden hier ein zum Wandern und zu romantischen Übernachtungen . Willkommen in diesem wenig bekannten Alpental an der italienischen Grenze.
Eröffnungsseite: Der Weiler l’Écot bei Bonneval mit der St. Marguerite-Kapelle aus dem 12. Jahrhundert. Hier, auf mehr als 2.000 m Höhe starten viele Wanderwege am Ende des Arc-Tals, das zum Nationalpark Vanoise zählt. Diese Seite im Uhrzeigersinn: Schnitzkünstler Fabrice Personnaz aus Bessans erschafft einen seiner Teufel; der 83 Meter hohe Monolithe de Sardières; zwei Engelchen tragen die Krone über einem Mariabild in der Kirche Église Saint-Jean Baptiste in Bessans. Rechts: warmer Empfang bei einer Wanderung im Arc-Tal. W ir kommen zur Haute Maurienne über den Col de l’Iseran. Wer wie wir etwas früher in der t Hochsaison ankommt, wird mit der Tatsache konfrontiert, dass dies der höchste Pass der Alpen ist: Wir müssen bis zum 22. Juni warten, bis er geöffnet ist. Unsere Geduld wird jedoch mit meterhohen Schneewänden entlang der Straße belohnt. Insbesondere Motorradfahrer scheinen über den Eröffnungstag informiert zu sein. Sie sind deutlich in der Überzahl. Die beiden Steinböcke, die in der Nähe der Straße grasen sind noch die Ruhe der letzten Monate gewöhnt. Sie haben ihr Winterfell noch nicht gnz verloren und lassen sich problemlos fotografieren. Doch das Dröhnen eines Motorrads bereitet der Szene ein jähes Ende. Dank des benachbarten Gran Paradiso Nationalparks in Italien gibt es hier überhaupt noch Steinböcke. Er wurde speziell eingerichtet, um ihr Aussterben zu verhindern, was vielerorts schon eine Tatsache war. Und es ist gelungen, sie haben inzwischen die gesamte Alpengegend zurückerobert.
Ursprüngliches Skidorf Das Dorf Bonneval-sur-Arc mit seinem robusten Baustil, der im langen Winter Schutz bietet, liegt am Fuße des Col d’Isère. In den 1980er Jahren wollten die Bewohner keine rigorose Wintersportbetrieb à la Val d’Isère, dem Dorf auf der anderen Seite des Passes. Sie entschieden sich für einen natürlichen Ansatz mit nicht zu vielen Hotels und dann nur außerhalb des Dorfzentrums, das selbst autofrei wurde. Das Ergebnis ist ein Erfolg. Hier übernachten wir in der Auberge d’Oul. Hatte die Besitzerin Maryse ursprünglich die Chambre d’hôte für uns reserviert, empfiehlt sie uns jetzt, wo sie bemerkt, dass wir kein Fotograf und Journalist sind, sondern ein Fotograf-Journalist und seine Freundin, augenzwinkernd die Gîte d’étappe. „Aber wir wollen nicht mit anderen Wanderern auf Etagenbetten hocken“, stottere ich. Dann öffnet sie die Tür eines winzigen Raumes, kaum größer als das Himmelbett darin. Platz für einen Tisch für mein Laptop gibt es nicht. „Das macht es just so romantisch“, lächelt Maryse. In der Auberge d’Oul genießen wir im kleinen, komplet in Holz eingerichteten Restaurant die savoyische Küche. Von hier aus starten wir unsere Tour und beginnen mit einer Wanderung. Wir folgen einfach der >
Diese Seite im Uhrzeigersinn: Sankt Antonius als Mönch in der Kappelle in Bessans; Wandern im Nationalpark Vanoise; Alpen-Astern; Husky Adventure bietet Ausflüge mit Huskies. Rechts, oben: Lac Blanc, mit Aussichtauf die Glaciers de la Vanoise. Rechts unten: das Bergdorf Bonneval-sur-Arc. Arc stromaufwärts, dem Fluss, der durch die gesamte Haute Maurienne fließt. Das Wasser hat wunderschöne Formen in den grauen Granit geschliffen, manchmal regelrecht tiefe Spalten. Die weniger tiefen Stellen sind azurblaue Teiche, die in der Sommerhitze zur Abkühlung einladen. Als wir weiter gehen, erreichen wir den vielleicht schönsten Weiler der Haute Maurienne: l’Écot mit der Kapelle Sainte-Marguerite aus dem 12. Jahrhundert.
Sommereis Wir erfahren von einer Stelle, an der man ohne große Anstrengung hoch in den Bergen wandern kann. Das ist Plan du Lac, ein Plateau oberhalb des Dorfs Termignon, das mit dem Auto erreichbar ist. Vom Parkplatz am Rande des Nationalparks geht es zu Fuß weiter zwischen den vielen Bergseen, für die das Plateau bekannt ist. Der Weg bietet einen permanenten Blick auf den poetisch benannten Gletscher Grand Balcon de Glace (großer Eisbalkon), eine Eisfläche mit einer Ausdehnung von 35 Quadratkilometern! Nur die höchsten Gipfel, 3.500 Meter und höher, erheben sich über dem Eis. Zu Fuß erreichen wir die Berghütte Plan du Lac, die inmitten blühender Almwiesen liegt. Ein schöner Ort zum Mittagessen: ein Brot mit Bleu de Termignon, dem Blauschimmelkäse aus der Alpenmilch der einheimischen goldbraunen Tarine-Kühe. Der Pilz wird nicht wie bei anderen Blauschimmelkäsen künstlich zugesetzt, sondern stammt von bestimmten Alpenblumen, die von den Kühen zusammen mit dem Gras gefressen werden. Der Geschmack ist unter der Kruste würzig, aber tiefer im Käse mild und cremig.
Teufel aus Holz Nach dem Wandern gehen wir es für einen Tag ruhiger an und fahren nach Bessans, wo wir das Atelier des Bildhauers Fabrice Personnaz, eines Teufelskünstlers, besuchen. Bessans ist seit Jahrhunderten ein Zentrum religiöser Holzschnitzerei. Die Tatsache, dass es heutzutage hauptsächlich um Teufel geht, ist auf einen Holzschnitzer aus dem 19. Jahrhundert zurückzuführen. Der sparsame Pastor der damaligen Zeit brach das Versprechen eines jährlichen kostenlosen Dorfessens, woraufhin der Bildhauer des Dorfes einen Teufel schnitzte und ihn nachts vor das Fenster des Priesters stellte. Der wusste natürlich, wer ihm diesen Streich gespielt hatte und stellte ihn wieder vor das Fenster des Täters. >
Nur die höchsten Gipfel über 3.500 Meter erheben sich über dem Eis des Grand Balcon de Glace.
Linke Seite im Uhrzeigersinn: Urige Gassen in Bonneval-sur-Arc; Wassertrog an der Berghütte am Plan du Lac; Dieser Steinbock wirft Mitte Juni immer noch das Winterfell ab; Detail einer Kapelle am Maultierpfad. Rechte Seite: Stromaufwärts ab Bonneval am Flüsschen Arc; Wanderung vom Dorf Bramans zu der Ruine der romanischen Kirche St. Pierred’Extravache aus dem 11. Jahrhundert. Von hier aus lässt sich ein großer Teil des Nationalparks Vanoise überblicken. Die Teufelsfigur wanderte so einen Monat lang jeden Tag hin und her, bis der Künstler sie stehen ließ. Bessans war inzwischen für seinen Teufel bekannt geworden und es kamen von überall Bestellungen für Teufelskulpturen. Heute setzt Fabrice diese Tradition fort und sein Studio „Le Chapoteur“ ist voller Teufel und sogar einer Teufelin. Ich frage Fabrice, was er für den Höhepunkt der Holzschnitzerei in seinem Tal hält. Er will es uns selbst zeigen und fährt uns zur Église Saint Michel in Lanslevillard mit einem Rosenkranzaltar. Wahrlich wunderschön. Aber viel braver als seine eigene Arbeit. „Es kommt darauf an, wie man es betrachtet“, antwortet er, „denn es gibt eine ziemlich freche Geschichte. 1627 schnitzte ihn ein Junge aus Bessans als Strafe im Winter in einem Bergchalet auf 2.300 m. Buße für die Verführung eines Mädchens aus Lanslevillard!“ Ich betrachte es nun mit anderen Augen und muss zugeben, dass ich selten eine so schöne Strafarbeit gesehen habe! Dann gehen wir zur St. Sébastien-Kapelle, Fabrices zweiter Favorit: ein Engel im Teenageralter in Hosen mit weitem Bein und schönen, zehenlosen Stiefeln darunter. „Hast du jemals so einen Engel gesehen?“, fragt Fabrice. „Ein echter Dandy!“
Heiterer Barock Die Haute Maurienne ist bekannt für ihren Barockstil. Äußerlich sehen die Kirchen genauso robust aus wie die dahinter liegenden Felsen. Umso überraschender ist der Vielfalt an Engeln, in sich gedrehten Säulen und reich verzierten Altären in ihrem Innern. Doch der Barock ist hier selten pompös wie in den großen Städten, sondern ländlich, naiv und heiter. Es gibt dazu eine Route, die Chemins du Baroque. Als uns von den vielen Engeln ganz schwindelig geworden ist, machen wir einen ruhigen Abendspaziergang. Ziel ist ein steinerner Wolkenkratzer, denn mit seinen 83 Metern ist der Monolithe de Sardières sehr beeindruckend. Er steht völlig einsam im Wald und erst 1957 gelang es zum ersten Mal, ihn zu besteigen. Wir beschränken uns darauf, ihn zu umrunden und wandern über einen höher gelegenen Panoramapfad zum Auto zurück. Der Blick auf das Arc-Tal, aus dem das goldene Abendlicht langsam verschwindet, ist unglaublich schön. Was für ein Ort!
TEXT & FOTOS PAUL SMIT
Tipps & Adressen
☛ Wo genau? Hinter dreitausend Metern hohen Gipfeln, die die Haute Maurienne im Osten und Süden umgeben, liegt Italien. Da der Pass zum Col de Mont Cénis so tief liegt, geniesst die Maurienne ein angenehmeres Klima als der Rest von Savoyen. Der gesamte nördliche Teil der Haute Maurienne gehört zum Parc National de la Vanoise. Zusammen mit dem angrenzenden Gran Paradiso in Italien bildet er das größte zusammenhängende Naturschutzgebiet der Alpen: 1.250 km 2 . 90% davon liegt oberhalb der Baumgrenze. Praktische Informationen zu Haute Mauriennne.
Übernachten ☛ Chambre d’hôte
Le Bois Joli
Ruhig im schönen Bonneval gelegen, mit viel Holz und doch modern. Reichliches Frühstück. DZ ab 99. Vieux Village, Bonneval-sur-Arc, chambres-hotes.fr/chambreshotes_chalet-le-bois-joli_ bonneval-sur-arc_h1948745.htm
☛ Auberge d’Oul Nur für Verliebte: das sehr romantische, sehr kleine Zwei-Personen-Zimmer mit einem großen Himmelbett der dazugehörigen Gîte d’étappe. Ausgezeichneter Table d’hôte, gilt als das beste Restaurant im Dorf. 30 pro Person mit Frühstück, 45 mit Tâble d’hôte. Vieux Village, Bonneval-sur-Arc, auberge-oul.com
☛ Chambre d’hôte
La Roche du Croué
Aussois ist ein ruhiges Dorf abseits des Haupttals. Das B & B liegt im Zentrum. Trotzdem wirkt es wegen der Terrasse und des gewölbten Speisesaals mit Blick auf die Berge wie Ortsrand. DZ ab 84 mit Frühstück. Tâble d’hôte für 20 pro Person mit Vorspeise, Hauptspeise, Frischkäse und Dessert, inklusive Wein. 3, rue de l’église, Aussois, larocheducroue.com
☛ Hôtel La Turra Termignon liegt zentral in der Haute Maurienne. Ein wirklich hübsches kleines Hotel im Herzen des Dorfes. Gutes Frühstücksbuffet mit regionalen und biologischen Produkten. Zum Abendessen braucht man nicht in ein anderes Restaurant zu gehen, denn hier werden die saisonalen Zutaten köstlich zubereitet. DZ ab 62, Frühstück 9,80. Halbpension 26. 20, rue de la Parrachée, Termignon, hotellaturra.com
Essen & Trinken ☛ Auberge d’Oul Gemütlich, klein, mit Holz und ganz typisch für die Savoyen, also viel Käsegerichte. Vieux Village, Bonneval-sur-Arc, auberge-oul.com
☛ La Cabane Interieur ganz Alpenchalet, aber die Küche ist zu gut und das Personal zu aufmerksam, um die
Die Fresken in der St. Sébastienkapelle in Lanslevillard sind künstlerisch von hohem Niveau. Ihre Farben leuchten hell wie eh und je. Hier das Fresko ‘Die Verkündigung’.
Atmosphäre nicht in Kitsch umkippen zulassen. Vieux Village, Bonneval-sur-Arc, haute-maurienne-vanoise.com/ ete/offres/la-cabane-bonnevalsur-arc-fr-ete-2306284
☛ La Lodze Urig mit traditioneller lokaler Küche auf hohem Niveau. Rue de la Plan Fenette, Bessans, http://lalodze.e-monsite.com
☛ L’Estanco Angenehmes Ambiente in einem ehemaligen Stall. Lokale Küche mit frischen Zutaten, sowie Fisch und vegetarische Gerichte. 92, rue du Mollaret, Lanslevillard, estanco-valcenis.fr
Sehenswert Le Chapoteur schnitzt kunstvoll Teufel und andere Skulpturen. Rue du Saint-Esprit, Bessans, facebook.com/Chapoteur
☛ Chapelle Saint-Sébastien Die Kapelle mit den schönsten Fresken im Tal. Lanslevillard, Val-Cenis
☛ Les Forts de l’Esseillon Eine Reihe imposanter Festungen, die das Tal strategisch schützen, mit einer besonderen Festung, die tibetanisch wirkt, Fort VictorEmmanuel. 43, route des Barrages, Aussois, esseillon.fr
Info ☛ haute-maurienne-vanoise. com ☛ vanoise-parcnational.fr