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VALENTINO ROSSI

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AUSLESE

AUSLESE

Valentino mit einem Modell der legendären MV Agusta.

VALENtINo RoSSI Zauberer auf zwei Rädern

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Eine Maschine aus Stahl, Kunststoff und Gummi, hunderte von Stundenkilometern schnell auf einer Rennstrecke: Der Italiener Valentino Rossi (41) fährt immer noch Rennen auf höchstem Niveau. Mit neun Weltmeistertiteln und mehr als hundert Grand-Prix-Siegen ist er eine lebende Legende. „Mein Herz schlägt nicht, es rast.“

TexT Ronald KuipeRs FoTos anp-Hollandse H oogte

„D u musst verstehen, was deine Maschine will. Es ist wie bei einer Frau. Es klingt seltsam, aber es ist wahr.“ Valentino Rossi liebt es, nachts neben seinem Motorrad zu sitzen, damit zu sprechen, es mit neuen Aufklebern zu dekorieren (er ist der einzige, der das darf!). Motorradfahren ist so viel mehr als nur Gas geben. Während eines Rennens verschmelzen Fahrer und Maschine wie zwei Liebende zu einem blitzschnellen Ganzen. Rossi: „Motorradfahren auf höchstem Niveau ist eine Kunstform, wie Klavier spielen, ein Lied komponieren, ein Gedicht schreiben, ein Gemälde malen. Man macht es, weil man die Leidenschaft tief in der Seele spürt. Manche haben es, andere nicht. Und für diejenigen, die es haben, ist der Gewinn eines Weltmeistertitels wie ein Hit für einen Sänger “. Wie ein Konzertpianist kurz vor einer Aufführung konzentriert sich Rossi. „Sobald ich mein Visier schließe, konzentriere ich mich nur noch auf das Rennen. Wo ich einen halben Meter früher in eine Kurve muss, wie ich irgendwo eine Zehntelsekunde gewinnen kann. Ich habe absolut keine Probleme mit Nervosität. Ich muss mich dafür nicht anstrengen, es liegt mir einfach im Blut.“ Rossi, im Alltag ein fröhlicher Mann, der Witze und Spaß liebt, entfesselt in solchen Momenten die aggressive Seite seines Charakters. „Während eines Rennens kann ich

Unten: Im April 2019 verpasste Rossi den Sieg des amerikanischen Grand Prix. Rechte Seite: Neue Aufkleber auf seine Maschine kleben darf nur Valentino selbst.

mich selbst übertreffen. Ich kann nicht vorhersagen, wann es passieren wird, ich weiß nicht, was es auslösen wird. Ich weiß nur, dass ich es in mir habe. Wenn ich meine Grenze erreicht habe, scheine ich sie dennoch überschreiten zu können. Ich kann dann alle überholen und Lücken schließen, die normalerweise nicht geschlossen werden können.“

Blaue Flecken tavullia, eine Stadt in der Nähe der adriatischen Küstenstadt Pesaro, könnte besser in Città di Rossi umbenannt werden. Wände, Fensterläden, Laternenpfähle und sogar Verkehrsschilder sind aufwendig mit

Plakaten, Aufklebern und Flaggen mit Rossis fester Startnummer 46 verziert. Es gibt einen Rossi-Fanclub, man kann in der Pizzeria Da Rossi essen und die Kirchenglocken läuten, wenn Rossi ein weiteres Rennen gewonnen hat. tavullias Wirtschaft lebt zum teil von Rossis Merchandising-Firma VR46, die Dutzende Einwohner beschäftigt. Fans kommen von nah und fern, um einen Blick auf das Allerheiligste zu werfen: Rossis Farm vor den toren der Stadt mit eigener Rennstrecke, auf der topFahrer aus dem In- und Ausland trainieren und Rossi – in seiner VR46 Riders Academy – junge talente ausbildet. Wer hätte gedacht, dass der kleine Valentino, aufgewachsen im verschlafenen tavullia, einst solchen Einfluss haben würde? Auf jeden Fall nicht sein Kunstgeschichtslehrer, der ihm einmal sagte: „Glaubst du ernsthaft, dass du mit dem albernen Motorradfahren jemals deinen Lebensunterhalt verdienen wirst? Das einzige, was du bekommst, sind blaue Flecken.“ Von denen hat Valentino in der tat einige bekommen, ab dem Moment, in dem er im Alter von zweieinhalb Jahren den Garten seiner Eltern auf einem MiniMotorrad unsicher machte (er nahm die Stützräder schon nach drei tagen ab). Als teenager fuhr Valentino mit Freunden auf getunten Rollern in und um tavullia herum. „Unsere Beziehung zur Polizei war einfach: Wir sind abgehauen und sie hinter uns her. Manchmal sind wir entkommen, aber normalerweise haben sie uns erwischt.“

Rossi-Manie Als Valentino seinem Vater Graziano sagt, dass er mit dem Motorsport beginnen will, ist dieser schockiert. Graziano, einst selbst ein bekannter Rennfahrer, erlitt 1982, als Valentino erst drei Jahre alt war, schwere Kopfverletzungen. trotzdem beschließt er, seinen Sohn zu unterstützen.

DAS PUBLIKUM LIEBt VALENtINoS ANStECKENDE BEGEIStERUNG, SEINE ExtRAVAGANtEN, BUNtEN FRISUREN UND DIE GEIStREICHEN WItZE.

Valentino fährt seine ersten Runden mit einer geliehenen Aprilia 125, wobei er den alten rot-gelben Rennanzug seines Vaters trägt. „Alles ändert sich, wenn man auf einer Rennstrecke fährt: Wie sich die Perspektive kontinuierlich ändert, wie man dem Asphaltband mit den Augen folgt, wie die umliegende Landschaft an einem vorbei schießt. Mir wurde klar, dass ich von Geschwindigkeit besessen war.“ Von diesem Moment an geht es schnell. Valentino gewinnt viele Rennen im In- und Ausland. Mit 16 Jahren verlässt er 1995 die Schule und konzentriert sich ganz auf den Rennsport. Mit 20 Jahren darf er sich bereits als Weltmeister in der 125er- und 250er-Klasse bezeichnen. Danach wendet er sich der härtesten Klasse zu, den MotoGP. Valentino interessiert sich nicht für seinen Ruf. „Ich wollte nur schnell fahren, super schnell. Wenn ich eine Möglichkeit sah, wollte ich sie nutzen. Ich wollte alle überholen, unabhängig von den Konsequenzen. Infolgedessen fühlten sich viele meiner Gegner nicht wohl.“ Dies führt zu unzähligen Auseinandersetzungen, unter anderem mit dem berühmten italienischen Fahrer Max Biaggi (von dem Valentino als Junge einmal ein Plakat über seinem Bett hatte). In Barcelona schildert Biaggi seinen jungen Landsmann bereits vor einer Pressekonferenz als Rennhooligan, wonach sich beide handgreiflich in die Wolle kriegen. Der Aufruhr trägt jedoch zur schnell wachsenden „Rossi-Manie“ bei. Das Publikum liebt Valentinos ansteckende Begeisterungsfähigkeit, seine extravaganten, farbenfrohen Frisuren und die geistreichen Witze. Die gelben Rossi-Flaggen mit der Nummer 46 verwandeln die tribünen in singende gelbe Massen: „Vale! Vale!“ >

Doktor Rossi tavullia ist der einzige ort, an dem Rossi nicht von seinem Ruhm gestört wird, wo Fremde ihn nicht unaufgefordert umarmen und sich fotografieren lassen möchten. „Ich liebe meine Landsleute. Aber ich wünschte, sie wären etwas höflicher.“ Rossi schafft es auch, die Presse in tavullia effektiv zu meiden. „Journalisten sind wie Frauen: Wenn man Erfolg hat, umschwärmen sie einen – allerdings sind Frauen viel interessanter.“ Rossis Witze werden von der Presse dankbar veröffentlicht. Wie er sein Motorrad während einer Grand-Prix-Siegesrunde gegen eine Wand parkt und mit gespieltem Blasendrang in einer mobilen toilette verschwindet. oder wie er auf einer Rennstrecke von falschen Polizisten „wegen Geschwindigkeitsüberschreitung“ (340 km/h!) ein Knöllchen bekommt. Wie er eine Ehrenrunde mit einer aufblasbaren Sexpuppe in einem roten t-Shirt mit der Aufschrift „Claudia Schiffer“ fährt (ein Seitenhieb auf den Rivalen Max Biaggi, der ein Date mit Naomi Campbell hatte). Und wie er den italienischen Sender RAI mit der erfundenen Sponsorenmarke Pollo osvaldo (oswald, das Huhn) zum Narren hält. Für sich selbst hat er den Spitznamen „Der Doktor“ ausgewählt. Er kam auf die Idee, als er auf einem Flughafen einen Aufruf für einen gewissen Doktor Rossi hörte. Ein passender Name: Doktor Rossi, der Fahrer, der all seine Rivalen mit chirurgischer Präzision des Sieges beraubt. Rossi zeigt, dass das Leben eines top-Fahrers nicht nur aus Leistung auf der Strecke besteht. Er liebt auch Ski fahren, Snowboarden, kann aber auch mal langsam: Sonnenbaden, spätes Aufstehen („Ich habe zu Beginn des tages immer Probleme“) und vor allem – ganz Italien-Klischee – gutes Essen und trinken mit Freunden und Familie. All das macht Rossi zu einem der beliebtesten Stars Italiens.

Leidenschaft und Spass „Der Sport ist zu ernst geworden. Ich denke, Spaß zu haben, ist ebenso wichtig.“ Im Jahr 2003 erzählte Rossi einer verblüfften Motorradwelt, dass er trotz seiner MotoGP-Erfolge vom technisch überlegenen team von Honda zu dem von Yamaha wechseln wird. Die einhellige Meinung aller

DoKtoR RoSSI, DER FAHRER, DER SEINE RIVALEN MIt CHIRURGISCHER PRäZISIoN DES SIEGES BERAUBt.

Rossi mit Fans im Jahr 2013.

Experten: „Wenn Sie gewinnen wollen, brauchen Sie eine Honda!“ Aber Rossi findet Honda zu arrogant. Ein Fahrer werde wie eine austauschbare Glühbirne gesehen, sagt er. Wenn sie defekt sei, schraube man einfach eine Neue in die Fassung. Bei Yamaha findet Rossi, was ihm fehlt: teamgeist, Spaß und Begeisterung. Rossi argumentiert, dass das technisch beste Motorrad nicht zwangsläufig ein Rennen gewinnt. Die Reflexe, Fähigkeiten, Erfahrung und der Mut des Fahrers... sie seien viel wichtiger. Der Beweis ist ein überwältigender Sieg in Südafrika im Jahr 2004. Nachdem Rossi als Erster die Ziellinie überquert hat, kniet er neben seiner Yamaha nieder. Das Publikum glaubt, er sei von Emotionen überwältigt. Rossi: „Ich habe laut hinter meinem dunklen

Visier gelacht. Ich lachte über das enorme Gefühl von Stolz, Erleichterung und Glück. Ich hatte Recht. Ich habe es all meinen Kritikern gezeigt. Was für eine Show!“ In seiner Biografie sagt Rossi ganz ohne falsche Bescheidenheit: „Motorradrennen waren seitdem nie mehr dasselbe.“ Mit seiner Yamaha

wird er insgesamt viermal Weltmeister in der knallharten MotoGP-Klasse, womit sich die Gesamtzahl seiner Weltmeistertitel insgesamt auf neun erhöht. Damit ist er einer der erfolgreichsten Motorradrennfahrer aller Zeiten. Ob er jemals einen zehnten Weltmeistertitel gewinnen wird? Rossi ist jetzt 41 Der junge Valentino Rossi im Jahr 2001.

Jahre alt. Er ist immer noch in der Spitzengruppe, aber es gibt Gerüchte, dass er möglicherweise aufhören will: „Wenn ich nicht mehr gewinnen kann, wird es Zeit, im Garten zu arbeiten.“ Aber wer weiß, vielleicht wird Doktor Rossi noch ein paar Jahre weitermachen. „Alter ist kein Problem. Es ist nur eine Zahl.“ •

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25-09-2020 12:32:14

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