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CASTELLO DI RIVOLI

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LIBRI E MUSICA

LIBRI E MUSICA

Castello di Rivoli Castello di Rivoli

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Moderne Kunst in barockem Rahmen

Die ehemalige Stammburg der Savoyer Könige ist heute ein außergewöhnliches Museum. Jahrhunderte bewegter Geschichte hat das ehrwürdige Schloss hinter sich gelassen und beherbergt seit 1984 eine angesehene Sammlung zeitgenössischer Kunst. Das passt überraschend gut - Moment mal, hängt da ein Pferd von der Freskodecke?

TEXT TOENKE BERKELBACH FOTO AUF DIESER SEITE LAWRENCE WEINER/MADE TO PRODUCE A SPARK (FATTA PER PRODURRE UNA SCINTILLA), 2006/FONDAZIONE CRT PROGETTO ARTE MODERNA E CONTEMPORANEA, 2006

Die Umrisse des Castello di Rivoli in der Nähe von Turin erinnern an einen Zeichentrickfilm. Seine Burgtürme heben sich vom blauen Himmel ab,

Vögel singen und die Bäume wiegen sich sanft im Morgenwind. Das Castello ist der ehemalige Stammsitz der

Könige von Savoyen und ist heute ein Museum, in dem Vergangenheit und Gegenwart einander treffen. Die

Geschichte des Castello beginnt im finsteren Mittelalter, im 12. Jahrhundert, der Zeit der strammen Feldherren, keuschen Hofdamen und raffinierten Alchimisten. Neun Jahrhunderte lang erlebte es eine bewegte Geschichte, die so turbulent war wie die von Italien selbst. Heute hingegen beherbergt es eine weltweit bedeutende Sammlungen moderner Kunst, das Museo d’arte contemporanea. Die Kunstwerke wurden behutsam in die historische Umgebung eingefügt, vielleicht auch, um die umwerfende Wirkung einiger Kunstwerke etwas abzufedern. Denhof macht eine bunte abstrakte Skulptur dann wieder glücklich. Vom Pflaster aus dem 17. Jahrhundert ausgehend, scheint das Kunstwerk wie eine Art Farbfontäne in die Luft zu strahlen. Von den Gemälden an den Wänden der Hallen aus schauen die vielen Generationen der Könige von Savoyen wohlwollend zu, wie ihr einstiger Wohnsitz so wunderbar neu gestaltet wird. Herzstück der Macht

Das Haus der Savoyen geht bis ins 10. Jahrhundert zurück. Damit ist es eine der ältesten Dynastien Europas und eine der wichtigsten Familien Italiens. Es war also kein Zufall, dass Viktor Emanuel II. von Savoyen bei der italienischen Einigung 1861 König von ganz Italien wurde. Jahrhundertelang regierten die Savoyer offiziell von Turin aus. Doch das eigentliche Herzstück ihrer Macht war das 15 Kilometer von der Stadt entfernte Castello di Rivoli. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Schlossburg mehrmals zerstört und wieder aufgebaut, und die Savoyer

Das ausgestopfte Pferd, das unter der reich verzierten Freskodecke aus dem 17. Jahrhundert baumelt, ist ein Schock

noch, betritt der Besucher einen Barocksaal und sieht das ausgestopfte Pferd unter der reich verzierten Freskodecke aus dem 17. Jahrhundert hängen, dann ist das ein Schock. Genau das war die Absicht des italienischen Künstlers Maurizio Cattelan (1960). Er will zum Nachdenken über Leben und Tod anregen, mit jenem Pferd, das einst fröhlich über die Wiese trabte und nun regungslos von der Decke eines Königsschlosses baumelt. Im Innenbetrachteten sie als ihren einzigen wirklichen Stammsitz. Als Victor Amadeus II. von Savoyen 1693 zusehen musste, wie sein Castello di Rivoli von den Feinden aus Turin niedergebrannt wurde, gelobte er, es als Familiensitz wieder aufzubauen, schöner und prächtiger als je zuvor. Offensichtlich mit Erfolg. Nachdem sich die Savoyer als Könige von Italien endgültig in der Hauptstadt Rom niedergelassen hatten, verkauften sie das Castello an die Gemeinde Rivoli. Es diente verschiedenen Zwecken, bis 1984 nach umfangreicher Renovierung das Museo d‘arte contemporanea hier unterkam. Gläserner Lift

Die gelungene Verschmelzung von Vergangenheit und Gegenwart wird beim Gang durch die Manica Lunga (langer Ärmel) spürbar. Der 147 Meter lange Saal wurde Anfang des 17. Jahrhunderts von Carlo von Savoyen erbaut, um seine Gemäldesammlung unterzubringen. Als das Schloss 1693 abbrannte, stand der „Ärmel“ noch, von der Sammlung war nichts übrig. Architekt Andrea Bruno hat die Restaurierung des „Ärmels“ im Jahr 2000

PAOLO PELLION, TORINO © Im Uhrzeigersinn: Castello di Rivoli; Rebecca Horn, „Cutting Through the Past“, 1992-93; Marco Bagnoli, „Cinquantasei nomi“ (56 Namen), 1999–2000; Maurizio Cattelan, „Novecento“ (1900), 1997.

© ANTONIO MANISCALCO

Oben: Die Villa Cerruti. Rechts oben: Giovanni Boldini: „Nudo sdraiato (Nudo coricato di giovane donna bionda)“, ca. 1893 Sammlung Francesco Federico Cerruti. Rechts: das Turmzimmer der Villa Cerruti. Rechte Seite: Amedeo Modigliani, „Donna dal vestito giallo o La bella spagnola“, 1918, Sammlung Fondazione Francesco Federico Cerruti.

©GABRIELE GAIDANO

abgeschlossen. Als zeitgenössischer Architekt drückte er ihm mit gläsernen Aufzugsschächten und Treppenhäusern an der Außenseite seinen Stempel auf. So ist die ursprüngliche Struktur des Baus aus dem 17. Jahrhundert zu erkennen, aber nun mit bewegenden Aufzügen und Menschen auf den Treppen. 2017 bereicherte unerwartet die Sammlung Cerruti das Museum. Federico Cerruti (19222015) war ein Turiner Industrieller und schlichtweg der Nachbar: Sein Anwesen mit der Villa Cerruti grenzt an das Castello. Cerruti hatte mit seiner Buchbinderei ein großes Vermögen angehäuft. Das Binden aller italienischer Telefonbücher war jahrzehntelang eine seiner Spezialitäten – eine enorme Einnahmequelle. Er war nie verheiratet und kannte nur zwei Leidenschaften: harte Arbeit und das Sammeln von Kunst. Seine Sammlung umfasst moderne Kunstwerke von Renoir, Matisse, Klee, Kandinsky, Francis Bacon und Andy Warhol, aber auch Werke aus dem 16. Jahrhundert von Jacopo Pontormo und Werke des berühmten venezianischen Malers Giambattista Tiepolo. Per Testament verfügte Cerruti, dass seine Villa und seine Sammlung dem Nachbarn als Leihgabe überlassen werden sollten. Cerruti war ein seltsamer Mann,

eine Art Einsiedler, der über seinem Büro in Turin lebte. In seiner Villa, die er 1953 errichten ließ, verbrachte er nur eine Nacht, weil er von all der Kunst, die er dort gesammelt hatte, unruhig wurde. Die Villa Cerruti und ihre Kunstwerke vervollständigen somit die Sammlung des Schlosses. Und der schrullige Einsiedler vervollständigt den märchenhaften Rahmen des Schlosses. •

Castello di Rivoli Museo d’Arte Contemporanea Piazzale Mafalda di Savoia, Rivoli Castellodirivoli.org

Pendelbus ab Turin: castellodirivoli.org/en/rivoli-express

TIPPS

ÜBERNACHTEN

• B&B Via Stampatori Im Herzen von Turin steht der Palazzo Scaglia di Verrua, der dieses B&B beherbergt. Es ist der älteste Renaissance-Palast Turins. Im prächtigen Innenhof sind Sie von schönen Fresken umgeben, darüber hängen blühende Bougainvilleen. Im Inneren findet ein ständiger Dialog zwischen Alt und Neu statt. Denn die Einrichtung der Via Stampatori wartet u.a. mit folgenden Highlights des modernen italienischen und internationalen Designs auf. Von Ihrem Mies van der RoheSessel blicken Sie bequem auf die Fresken aus dem 15. Jahrhundert im Außenbereich. Morgens frühstücken Sie auf einem hochmodernen Stuhl an einem alten Tisch. Der herzliche Empfang gibt einem das Gefühl, ein Freund zu sein, der schon seit Jahren hier willkommen ist. Via Stampatori 4, Turijn. viastampatori.com

ESSEN

• Ristorante Del Cambio Das Ristorante Del Cambio ist in ganz Italien bekannt. Es eröffnete 1757 als Kaffeehaus und entwickelte sich zu einem legendären Restaurant mit Küche auf höchstem Niveau, die mit der Zeit mitgeht. Casanova, Puccini, Verdi und Nietzsche sowie die Familie Agnelli, Maria Callas, Audrey Hepburn und viele andere genossen die kulinarischen Köstlichkeiten und die warme Atmosphäre. Die Kreativität des Chefs Matteo Baronetto ist im Piemont verwurzelt. Baronetto gibt dem Ganzen seine persönliche Interpretation. Seine kulinarischen Leistungen wurden innerhalb von sechs Monaten mit einem Michelin-Stern belohnt. Das elegante, historische Restaurant überrascht seine Gäste mit Möbeln aus dem 19. Jahrhundert und zeitgenössischer Kunst. Piazza Carignano 2, Turin. delcambio.it

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