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ZWEI RÖMISCHE PALAZZI

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KULTURTIPPS

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Palazzo Brancaccio Palazzo Brancaccio & Palazzo Merulana & Palazzo Merulana

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Typisch römische Grandezza

Die Via Merulana im Zentrum von Rom ist ein gut bewahrtes Geheimnis für die echten Römer. Man stößt dort auf zwei historische Adelspaläste, wo man seit kurzem in den Genuss moderner Kunst kommt, sich einen Film anschauen kann oder ein Glas Wein trinkt. Der Dank hierfür gebührt dem Contemporary Cluster und dem italienischen Mäzen Claudio Cerasi.

TEXT TOENKE BERKELBACH FOTO AUF DIESER SEITE PAOLO ABATE

Aufschlagseite: der Palazzo Brancaccio mit Bibliothek und Weinbar; das Speerkunstwerk von Sara Ricciardi. Unten: Eingang des Palazzo Brancaccio. Rechts: Spiegelsaal; Kunstwerk von Sara Ricciardi; das Appartamento. Wer die prächtige, aus dem 4. Jh. stammende Basilika Santa Maria Maggiore verlässt, blickt auf einmal auf die Via Merulana, die wie ein Fluss hinabzufließen scheint. Die alten, hochgewachsenen Platanen an den Straßenrändern sind so groß, dass sie im Sommer die Wirkung riesiger Sonnenschirme entfalten,

©SERENA ELLER durch die man stets wohltemperiert hindurchflaniert. Die Via Merulana wurde 1871 angelegt und ist damit für romische Verhältnisse recht neu. Das ändert nichts an der Grandezza und der typisch römischen Atmosphäre, die dort vorherrscht. Kein Zufall also, dass hier das mit dem Brancaccio das jüngste aller römischen Adelspalais errichtet wurde. Die Brancaccios waren wohlgemerkt alter neapolitanischer Adel, doch sie waren eher knapp bei Kasse. Da fügte es sich gut, dass Prinz Salvatore Brancaccio die steinreiche amerikanische Erbin Mary Bradhurst Field heiratete, die einen Brautschatz von 21 Millionen Dollar mitbrachte. Der alteingesessene Adel wie die Colonnas und die Orsinis dürften staunend beobachtet haben, wie hier um 1883 mit amerikanischem Geld ein neuer Palazzo entstand. Mit ihm wollten Mary und Salvatore ihren Reichtum zeigen. Das spürt man sogleich, wenn man den Bau betritt. Alles scheint auf neobarocke Weise pompös. Riesige Bronzelöwen unter monumentalen Treppen, Dutzende Meter prächtiger Freskos, verschwenderische Draperien und glanzvolles Mobiliar. Höhepunkt ist die Galleria degli Specchi, ein goldener Spiegelsaal als Hommage an das Pendant Ludwig XIV. in Versailles. Speere mit Blumen

Nach dem Krieg stand der Palazzo ewig leer, dem Interieur aber konnte dies nichts anhaben. Die Gesellschaft für Gegenwartskunst Contemporary Cluster ergriff schließlich die Chance, ihrem zukunftsweisenden Konzept für die Gegenwartskunst ein Gesicht zu geben. Eine abwechslungsreiche Mischung aus ultramoderner Kunst, Design, Film und Musik in einem historischen Palazzo, wo man dennoch überall den Atem der Geschichte spürt.

Am15. Oktober 2021 eröffnete der Contemporary Cluster im Palazzo Brancaccio. Es ist ein in Rom einzigartiges Museum mit angeschlossener Art Gallery, Bibliothek, Weinbar und Garten. Wer sich durch die Säle treiben lässt, entdeckt allerorten überraschende Kunstwerke. Speere mit Blumen, die in den Wänden stecken, originelle Keramikobjekte und eindringliche Gemälde. Dabei läuft im Hintergrund sanfte Musik. Im sechsten Stock befindet sich das sogenannte Appartamento, wo man sich sofort zuhause fühlt. Das Besondere daran ist, dass man die meist von jungen Künstlern stammenden Designobjekte und Kunstwerke nicht nur betrachten, sondern auch kaufen kann - nicht selten zu akzeptablen Preisen. Ein weiteres Highlight des Contemporary Cluster ist der Bücherladen der Bibliothek, der seine eigene Weinbar hat. Mit einem

©SERENA ELLER ©PAOLO ABATE

©SERENA ELLER >

©WWW.EMILIANOALLEGREZZA.IT Der Palazzo Merulana mit Statuen und „Gita in barca“ (1938) von Antonio Donghi.

Gläschen in der Hand kann man in alten Sesseln in den Kunstbänden schmökern. So wird der Palazzo Brancaccio von einem aristokratischen Palais zu einem zeitgenössischen Erlebnis. Dabei ist die Finanzierung so gut abgesichert, dass der Eintritt frei ist. Noch ein Unikum für Rom.

Zirkuskinder

Auch der Weg über die Via Merulana zum Palazzo Merulana mit der Privatkollektion von Cerasi ist ein Erlebnis für sich. Es ist die einzig nennenswerte Straße im Zentrum Roms, die seit 50er Jahren vollständig intakt geblieben ist. Mit kleinen Antiquariaten wie dem De Luca Adele an Hausnummer 68, raffinierten Buchläden wie dem La Fenice an Nummer 80, Bankettbäckern, Boutiquen und Trattorien. BurgerBuden oder Ketten hingegen sind Fehlanzeige. Die Via Merulana ist ein gut behütetes Geheimnis der echten Römer geblieben. Einziger Dorn im Auge war stets die Ruine der Ex-Ufficio d’Igiene, die zu Beginn des 20. Jh. erbaut und 1944 bombardiert wurde. Bis zu dem Tag, als Claudio Cerasi (83) bei der Stadtverwaltung anrief. Cerasi war ein erfolgreicher Bauunternehmer, der unter anderem das moderne MAXXI-Museum (2010) in Rom entworfen und die Oper von Florenz restauriert hat. Er hatte beschlossen, mit seiner Firma die Ex-Ufficio wieder aufzubauen, um sie dann der Stadt zu vermachen. Auch sollte seine Sammlung mit Kunst aus dem 20. Jh., die er mit seiner Frau Elena aufgebaut hat, dort ausgestellt werden. Ein italienischer Mäzen also, wie es sie schon seit Ewigkeiten eigentlich nicht mehr gibt. 2015 eröffneten der Palazzo Merulana Collezione Cerasi. Die Ruinen sind vollständig restauriert mit Gängen aus klassischem Travertin und Säulen. Hinzu kommen eine schöne Dachterrasse, ein weitläufiger Buchladen mit Lunchbar sowie einer Terrasse im Innenhof, wo eine Bronzestatue die Mauer hochklettert. Die Sammlung, die die Jahre von 1920 bis 2001 umfasst, ist einzigartig in Italien. Wegen der Schönheit der Exponate, die immer figurativ und nie abstrakt sind, und die als surrealistisches Abbild des Alltags fungieren. Wie die beiden Zirkuskinder, die

©EMILIANO ALLEGREZZA FOTOGRAFO

sich zwischen zwei Vorstellungen kurz ausruhen, oder einer wundersamen Familie in einem Ruderboot. Mit in Italien berühmten Namen wie Fausto Pirandello, Giacomo Balla und Mario Sironi ist der Stil der Sammlung sehr kohärent. Vor Ort fühlt man sich fast wie im Italien der 20er, 30er oder 50er Jahre. Es ist eine rare Alltagsatmosphäre, die sich in der Via Merulana fortsetzt, sobald man wieder draußen ist. •

Palazzo Brancaccio - Contemporary Cluster, Via Merulana 248, Rome. contemporarycluster.com Eintritt kostenlos.

Palazzo Merulana e la Collezione Cerasi, Via Merulana 121, Rome. palazzomerulana.it. Eintritt €10.

TIPPS

ESSEN UND TRINKEN

• Trattoria Monti Es gibt so viele, doch was macht eine römische Trattoria wirklich besonders? Die Trattoria Monti nahe der Basilika Santa Maria Maggiore führt zur Antwort. Die Trattoria ist in Besitz der Familie Camerucci, die vor 30 Jahren aus den Marken nach Rom gezogen ist. Ihre Küche hat der klassischen römischen Küche einen über die Jahre immer raffinierteren Touch hinzugefügt. Alles wird mit Leidenschaft zubereitet. Ein Beispiel: das Carpaccio vom Stockfisch mit gedünsteten roten Zwiebeln und Trüffeln. Es ist eine kleine, intime Trattoria mit hervorragendem Service, wo man das Gefühl hat, bei der Familie zu Gast zu sein. Draußen sitzt man mit Blick auf eine barocke Kirche mit dem Arco di Gallieno aus dem 3. Jh. in der Nähe. Römischer geht es nicht. Trattoria Monti, Via di San Vito 13, Rome. +39 06 446 6573.

ÜBERNACHTEN

• The Blue Hostel The Blue Hostel ist ein ehemaliges Kloster mit gemütlichen hohen Zimmern sowie Kreuzgang und Treppen. Alle Zimmer gehen zum Innenhof raus, so ist die Ruhe noch immer klösterlich. Gäste befinden sich in Laufdistanz zum Kolosseum und dem Forum Romanum. Gastgeber ist Oreste, der in der Nähe aufgewachsen ist, was man unter anderem an seiner römischen Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft merkt. Er versorgt jeden gerne mit Tipps zu eher unbekannten Kirchen und Denkmälern in Rom, die man sonst nie entdeckt hätte. The Blue Hostel ist sehr komfortabel und geschmackvoll eingerichtet, denn Oreste hat ein Auge für Kunst und Design. Neben der besonderen Umgebung überrascht The Blue Hostel mit einem ausgezeichneten Preis-Leistungsverhältnis. The Blue Hostel, Via Carlo Alberto 13, Rome. bluehostel.it

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