OKTOBER 2015
CHF 7.50
LGBT: EINHEIT ODER DIVERSITÄT? WIE DIE COMMUNITY ZU SICH SELBST STEHT
MONOGAMIE
FITNESS
NEUE SERIE
Kopieren Gays das Heteromodell?
Wer wo wie trainiert
Cruiser auf Reisen
STOP SYPHILIS IM OKTOBER ZUM GRATISTEST SYPHILIS-TESTWOCHEN F체r M채nner, die Sex mit M채nnern haben 1. bis 31. Oktober 2015 bei teilnehmenden Teststellen Teststellen unter drgay.ch
Mit freundlicher Unterst체tzung
3
EDITORIAL Lieber Leser Wir erhalten täglich Mails (und ganz selten auch mal einen Brief) mit Leserkommentaren, Meinungen und Inputs. Dabei fällt uns auf, dass die verschiedenen Fraktionen der LGBT-Community oft ganz unterschiedliche Ansichten über unseren redaktionellen Output haben. Was den einen gefällt, finden die anderen unmöglich. Da stellt sich natürlich die Frage: Warum macht eine LGBT-Allianz überhaupt Sinn? Denn weder ist die Sexualität der verschiedenen Gruppierungen gleich noch ihre Anliegen. Grund genug also, dieser Frage in unserer Titelgeschichte genauer nachzugehen. Besonders freut uns, dass wir als einziges Gay-Magazin neu WEMF-zertifiziert sind. Wir haben unsere gedruckte Ausgabe offiziell und ordentlich bei der WEMF AG für Werbemedienforschung beglaubigen lassen und sind daher nun quasi das «amtlich beglaubigte GayMagazin» und daher auch klar Nummer 1 auf dem Markt. Das macht Freude und ist eine unglaubliche Motivation für die ganze Cruiser-Crew! Herzlich, Haymo Empl CHEFREDAK TOR
INHALT 16 KOLUMNE WEISSBERGS WARME WEISSHEITEN 18 KULTUR SO WIRD DER HERBST 20 KOLUMNE BÖTSCHI KLATSCHT
21 HOMOSEXUALITÄT IN GESCHCHTE UND LITERATUR: ZWEI KRIEGER IM ZELT 23 KOLUMNE MICHI RÜEGG 24 KOLUMNE PIA SPATZ 25 R ATGEBER AIDS-HILFE DR. GAY
04 T HEMA LGBT: EINHEIT ODER DIVERSITÄT?
26 IKONEN VON DAMALS SANDRAS VERZWEIFELTE COMEBACK-VERSUCHE
09 NEWS NATIONAL 10 R EPORTAGE MONOGAME BEZIEHUNGEN
28 NEUE SERIE CRUISER AUF REISEN
13 I NTERVIEW SIND ALLE GAYS UNTREU?
29 LIFEST YLE WER WO WIE RUMSTRAMPELT
14 NEWS INTERNATIONAL
30 KOLUMNE THOMMEN MEINT
IMPRESSUM CRUISER MAGAZIN PRINT
FOTO UMSCHLAG: FOTOLIA
Herausgeber & Verleger: Haymo Empl, empl.media Infos an die Redaktion: redaktion@cruisermagazin.ch Chefredaktor Haymo Empl Stv. Chefredaktor Daniel Diriwächter Bildredaktion Haymo Empl Art Direktion Ana Lewisch Redaktion Print Vinicio Albani, Thomas Borgmann, Bruno Bötschi, Daniel Diriwächter, Andreas Empl, Martin Ender, Andreas Faessler, René Gerber, Moel Maphy, Michi Rüegg, Alain Sorel, Pia Spatz, Peter Thommen, Marianne Weissberg Lektorat Ursula Thüler Anzeigen Said Ramini, Telefon 043 300 68 28 anzeigen@cruisermagazin.ch
Auflage Druck
12 000 Exemplare, WEMF beglaubigte Auflage: 11 539 Exemplare Druckerei Konstanz GmbH Wasserloses Druckverfahren
REDAKTION UND VERLAGSADRESSE
empl.media, Haymo Empl Welchogasse 6, Postfach 5539, 8050 Zürich redaktion@cruisermagazin.ch Telefon 043 300 68 28, Telefax 043 300 68 21
CRUISER MAGAZIN ONLINE
Herausgeber & Verleger: Haymo Empl, empl.media Infos an die Online-Redaktion: redaktion@cruisermagazin.ch
C RUI S E R O K T O B E R 2 015
4 THEMA LGBT
LGBT: EINHEIT ODER DIVERSITÄT?
LGBT? Oder LGBTI? Oder vielleicht LGBTQ? Was der Oberbegriff für eine Gemeinschaft sein soll, ist in Tat und Wahrheit der Oberbegriff eines politischen Schlachtschiffes, das immer schneller in See sticht. Dies mit einer Vielfalt an Anliegen und Meinungen.
VON DANI DIRIWÄCH TER
C RUI S E R O K T O B E R 2 015
Plus ein «I» also, das für Inter*/ intersexuelle Menschen steht. Baumann hält aber auch fest, dass politisch derzeit für Pink Cross die ersten vier Buchstaben im Vordergrund stehen. Es gehe im Prinzip «nur» um den Überbegriff, denn die unterschiedlichen Interessen innerhalb des LGBTI-Universums seien einfach zu unterschiedlich. Und Bastian Baumann konkretisiert weiter: «Bei Pink
SEIT ANFANG DER 1990ER SIND DIE VIER BUCHSTABEN AUF DEM VORMARSCH UND BIETEN EINEN SCHÜTZENDEN DECKMANTEL FÜR DIE SOGENANNTEN «MINDERHEITEN».
Cross stehen das ‚G’ und das ‚B’, also Schwule und Bisexuelle, im strategischen Fokus.» Und selbst darunter befände sich eine Vielfalt an Meinungen oder Lebensauffassungen, was die Arbeit der Organisation oft nicht ganz einfach mache.
DAS G
Eine extreme Breite zeigt sich unter dem «G». Angeführt von Pink Cross, will man das Maximum an Rechten (und Pflichten) für die Gleichberechtigung verlangen. «Wir wollen die bestmöglichen Ziele erreichen, Schritt für Schritt», so Baumann. Dass konservative Kritiker Pink Cross eine Salamitaktik vorwerfen, kann er sogar unterstützen, denn schliesslich sei das Usus im politischen System. Viel eher ist der Geschäftsleiter erstaunt, wenn ein Mitglied, wie kürzlich geschehen, seinen Austritt aus Pink Cross bekannt gibt, weil die Organisation die Adoption auch für gleichgeschlechtliche Paare favorisiert. Angesicht der Fortschritte, die schwule Männer erreicht haben, wird nun ersichtlich, dass der Regenbogen eben nicht nur sieben Farben hat, sondern selbst eine Jumbo-Farbstiftbox mit der Vielfalt der schwulen Welt – im Fachjargon: Diversität – nicht mithalten kann. Längst gibt es nicht nur die «Normalen», die Tunten oder die Ledertypen. Heute darf man schwul sein – und auch Chef von Apple. Man darf schwul sein – und auch in der SVP agieren. Klischees wurden verworfen oder bilden nun Teil der schwulen Realität, die Baumann trotz aller Anstrengungen, die es braucht, um diese auf einen Nenner zu bringen, definitiv als erfreulich bezeichnet.
FOTOS: FOTOLIA (1)
F
rüher, da war vieles gut. Heute ist alles besser. Manchmal wäre ich froh, es wäre wieder gut», so ein Zitat des Schweizer Texters Andreas Marti. Ähnliche Stimmen sind immer öfter aus der Community zu hören: «LGBT, was ist das schon?» Ein wachsendes und undurchsichtiges Konstrukt. Denn früher, da konnte man noch einfach schwul sein. Und Lesben waren Lesben. Punkt. Diese Stimmen bedenken aber nicht, dass in diesem «Früher» die Konsequenz eines Mauerblümchendaseins gesteckt hätte. Die direkte Einfahrt ins Ghetto. An diesem «Früher» lohnt es sich nicht zu kleben. Wir leben in einer modernen Zeit und es gilt in ebensolchen Ländern die Meinungsfreiheit. Und wir reden heute über die LGBT-Community. Eine Abkürzung, die, wie viele andere auch, aus dem Englischen stammt: Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender. Seit Anfang der 1990er sind die vier Buchstaben auf dem Vormarsch und bieten einen schützenden Deckmantel für die sogenannten «Minderheiten». Aber es blieb nicht einfach bei vier Buchstaben. «Wir benutzen heute den Begriff LGBTI, so wie es die Bundesverwaltung auch macht», betont Bastian Baumann, der Geschäftsführer des Schweizer Dachverbands der Schwulen, «Pink Cross».
DAS L
Dass besagtes «L» hier erst an zweiter Stelle aufgeführt wird, dürfte in lesbischen Kreisen sauer aufstossen – wo es doch den Begriff «LGBT» anführt. Oder ist diese Meinung nur eines der Vorurteile, mit denen lesbische Frauen konfrontiert werden? «In der Tat gibt es noch viele Vorurteile gegenüber uns lesbischen Frauen, ganz oben das der Kampflesbe», sagt Barbara Lanthemann, Geschäftsführerin der Lesbenorganisation LOS. Nicht zuletzt kommt dieses Vorurteil auch von schwulen Männern. Nichtsdestotrotz ist LOS die engste Verbündete von Pink Cross. Für die «Ehe für alle» oder die Adoption setzt auch sie sich ein – logisch.
«Viele lesbische Frauen sind aber auch Feministinnen», so Lanthemann. Die Gleichberechtigung der Frau steht noch immer nicht dort, wo sie sein sollte. Und auch Lanthemann weiss, dass die Vielfalt an Frauenthemen – und an Frauen selber – es für LOS nicht einfach macht, im Sinne aller zu agieren. Aber auch sie begrüsst die Diversität. Wobei Lanthemann im Begriff «LGBT» das «B» als etwas «schwierig» bezeichnet, da
LGBT: EINE COMMUNITY, DIE SICH AUSSCHLIESSLICH ÜBER DIE SEXUALITÄT DEFINIERT?
sich die LOS für alle Frauen einsetzt welche sich zu Frauen hingezogen fühlen. «Bisexuelle Frauen waren bei LOS bisher kein eigenständiges Thema», erklärt sie – und wundert sich zugleich. Wenn das Bedürfnis und die Ressourcen bestehen, seien die Türen weit offen, um sich auch speziell diesem Thema zu widmen.
DAS B
Bisexualität – die fast unbekannte Grösse im «LGBT»-Bereich. Bisexuelle Menschen in der Schweiz verfügen über keinen eigenen Dachverband wie LOS oder Pink Cross. Anlaufstellen wie bi-net.ch sind im Netz zwar zu finden, ansonsten bieten alle HA-Gruppen (HAZ, HAB und HABS)
einen Bi-Treff an. Hannes Rudolph, Geschäftsführer der HAZ, sieht eines der Probleme der Bisexuellen darin, dass sie «so gut wie unsichtbar» seien. Als Beispiele nennt er etwa die bisexuelle Frau, die Hand in Hand mit einem Mann geht und als hetero angesehen wird. Ebenso gilt der bisexuelle Mann, der einen Mann küsst, als schwul. «Die Bisexualität wird nur durch ein Coming-out sichtbar. Und selbst dann steht sie im Verdacht, etwas anderes zu sein», so Rudolph. Vorurteile wie «Bi-Menschen können nicht monogam sein» oder müde Sprüche wie «man habe sich noch nicht entschieden», zermürben. «Viele lesbische Frauen, und sicher auch einige schwule Männer, können nicht nachvollziehen, wie diese Art von Sexualität gelebt werden kann», meint Barbara Lanthemann von LOS. Dabei sei Bisexualität eine sexuelle Orientierung, die genauso wenig der RechtC RUI S E R O K T O B E R 2 015
«DIE BISEXUALITÄT WIRD NUR DURCH EIN COMING-OUT SICHTBAR. UND SELBST DANN STEHT SIE IM VERDACHT, ETWAS ANDERES ZU SEIN.»
fertigung bedürfe wie jede andere sexuelle Orientierung, erklärt Rudolph.
DAS T
Das grosse «T» im Begriff holt derzeit mächtig auf. Und das muss es, denn anders als um die Sexualität wie bei «LGB», geht es im «T» um die Identität. Seit der Gründung von Transgender Network Switzerland (TGNS) vor
fünf Jahren hat sich in der Schweiz das Bild der Transmenschen bereits geändert. Beispielsweise wird heute nicht mehr der Begriff «transsexuell» verwendet, sondern trans*. TGNS steht für alle Menschen ein, die sich mit dem Geschlecht, das ihnen bei Geburt zugewiesen wurde, nicht oder nicht ausschliesslich identifizieren können. Aber anders als Lesben, Schwule und Bisexuelle stehen Transmenschen noch relativ am Anfang ihrer – auch politischen – Emanzipation. Anderen Menschen immer und immer wieder zu erklären, das trans* nichts mit Sexualität zu tun hat, gleicht oftmals einer Sisyphusarbeit. Dass es Heteros, Homos und Bi’s unter den Transmenschen gibt, wird oft nicht verstanden. «Aber auch bei uns Transmenschen gibt es viele verschiedene Meinungen», weiss Claudia Sabine Meier, die mit zwei Präzendenzfällen in Bezug auf Namens- und Personenstands
FOTOS: FOTOLI
6
THEMA 7 LGBT
AM ENDE IST «LGBT» EIN SPIEGELBILD DER GESELLSCHAFT. EIN SAMMELSURIUM AN FARBE, AN LIEBE, AN KRAFT, ABER AUCH AN DEMUT, AN STREITIGKEITEN ODER AN MISSGUNST.
EIN EFFEKTIVES «MITEINANDER» EXISTIERT IN DER LGBT-GEMEINSCHAFT NUR SELTEN.
änderung für Schlagzeilen sorgte (siehe Cruiser Juli/August). Sie erlebte einen gewissen Neid unter den Transmenschen, etwa in Hinsicht darauf, wer den grösseren Nachteil hat. «Jeder Weg, egal wie gross die Hürden und die Tücken auch sind, hat seine Vorteile», so Meier. Tatsächlich bemerkte sie aber auch immer wieder einen Graben zwischen denen, die alle medizinischen geschlechtsangleichenden Massnahmen ausschöpfen und denen, die nicht alle Operationen machen, die möglich sind. Hannes Rudolph von der HAZ, selbst ein schwuler Transmann, bemerkt dazu, dass viele Transmenschen auch die Geschlechterordnung und die Rollenbilder oder das Zweigeschlechtersystem generell hinterfragen. Immerhin, schwule Männer stehen seiner Erfahrung nach schwulen Transmännern mit viel Neugierde gegenüber. Nicht umsonst wurde an der dritten Schweizer Transtagung extra
ein Workshop abgehalten, um schwul und trans* gemeinsam zu präsentieren.
EIN I UND DIE ZUKUNFT Wie eingangs erwähnt, wird das «I» der Inter*/intersexuellen Menschen bereits grossgeschrieben – und es gebührt ihm Beachtung. Die HAZ hingegen benutzt «LGBTQ» – weil das «Q» (queer) für viele, die entweder ihr Begehren oder ihr Geschlecht nicht in Schubladen packen möchten, eine Selbstbeschreibung ist. Weitere Bezeichnungen und Buchstaben machen die Runde, so etwa das «P», das für Pansexuelle steht (Personen, die nicht bi sind, sondern den Menschen an sich sexuell anziehend finden). Eine berechtigte Frage ist, wie viele Gruppen «LGBT» noch aufnehmen kann. Dieser kurze Einblick in die Begrifflichkeit vermag selbstverständlich nicht die unzähligen Facetten der Sexualität zu beschreiben. Aber der Dampfer ist in See gestochen und nimmt Kurs auf. Am Ende ist «LGBT» ein Spiegelbild der Gesellschaft. Ein Sammelsurium an Farbe, an Liebe, an Kraft, aber auch an Demut, an Streitigkeiten oder an Missgunst. Die Vielfalt kommt zum Vorschein – vielleicht dürfte das der Grund sein, weshalb konservative Kräfte vor Angst erzittern. Denn was die Menschlichkeit lebendig macht, lässt sich schwer regieren und schon gar nicht in Schubladen stecken. Aber das ist eine ganz andere Geschichte. A ll e A d r e s s e n d e r Fa c h s t e ll e n a u f w w w. c r u i s e r m a g a z i n . c h
ANZEIGE
C RUI S E R O K T O B E R 2 015
NEWS 9 NATIONAL
NATIONALE
NEWS
ZÜRICH STÄNDERATSWAHLEN IM KANTON ZÜRICH: WER VERTRITT UNS?
FOTOS: FOTOLIA (2)
In Bern werden in den kommenden vier Jahren viele der LGBTIQ-relevanten Themen behandelt: «Ehe für alle», das Adoptionsrecht oder auch Fragen des Diskriminierungsschutzes. Alle sieben Zürcher Kandidierenden wurden, wie vor allen Wahlen, von der HAZ (Homosexuelle Arbeitsgruppen Zürich) zu diesen Themen befragt. Auf www.regenbogenpolitik.ch sind die Antworten nachzulesen, hier die Zusammenfassung: Bezüglich der Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare sind alle Kandidaten überraschend offen. Maja Ingold (EVP), Ruedi Noser (FDP) und Hans-Ueli Vogt (SVP) schränken allerdings ein, eine Lebensgemeinschaft von gleichgeschlechtlichen Paaren sollte nicht «Ehe» heissen. Anders gestalten sich die Fronten im Bereich Adoptionsrecht. Alle Befragten sind für die Stiefkindadoption.
Ein generelles Adoptionsrecht lehnt Ruedi Noser ab, Barbara-Schmid Federer (CVP) hat sich noch keine Meinung gebildet. Daniel Jositsch (SP), Bastien Girod (Grüne), Martin Bäumle (GLP) und Hans-Ueli Vogt sind dafür, dass gleichgeschlechtliche Paare Kinder adoptieren dürfen wie Ehepaare auch. Gemäss der HAZ-Umfrage führen in Sachen LGBT-Freundlichkeit Girod und Jositsch, beide stehen hinter jedem Anliegen – gefolgt von Bäumle (lediglich «keine Position» zur künstlichen Befruchtung bei eingetragenen Partnerinnen). Anhand des Fragebogens ist Barbara Schmid-Federer aufgeschlossener als Maja Ingold, Ruedi Noser und Hans-Ueli Vogt, die alle etwa gleich viele Bedenken zu verschiedenen Fragen haben. W e i t e r e In f o s : w w w. r e g e n b o g e n p o li t i k . c h
CHECKPOINT IM GESPRÄCH Bei «Checkpoint im Gespräch» informieren und diskutieren die Mannen vom Checkpoint bekanntlich über die unterschiedlichsten Themen rund um die schwule Gesundheit.
In ungezwungener Atmosphäre präsentieren ausgewählte Referenten neueste Erkenntnisse; im Oktober wird es zum Thema «Der schwule Mann und sein Arzt – ein starkes Team?» sein. Das Fragezeichen ist insofern berechtigt, als man beim Arzt nach einer Diagnose oft rausgeht und denkt: «Weiss ich jetzt, was ich wissen wollte? Warum habe ich nicht nachgefragt? Und eigentlich ist mir überhaupt nicht klar, warum meine Medikamente umgestellt wurden.» Egal ob Hausarzt, Psychologe, Physiotherapeut, Heilpraktiker oder Zahnarzt – zwischen Therapeut und Patient ist Vertrauen eine Grundbedingung für eine erfolgreiche Betreuung. Wie man nun was genau fragen soll, erklärt Roger Fontana. Er ist langjähriger medizinischer Berater im Checkpoint Zürich und Masterstudent der Pflegewissenschaften; er wird aus seinem Erfahrungsschatz berichten. Die Veranstaltungen der Reihe «Checkpoint im Gespräch» finden immer am dritten Donnerstag im Monat ab 18.00 Uhr im Restaurant «Bubbles» an der Werdstrasse 54 in Zürich statt; eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
10 REPORTAGE MONOGAMIE
MONOGAMIE
DAS EINZIGE REZEPT ZUM GLÜCK? «… und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage». Alles ein Märchen? Der kirchlichen Trauungsformel «Bis dass der Tod euch scheidet» steht eine hohe Scheidungsrate gegenüber. Da stellt sich die Frage: Müssen Gays die offenbar untaugliche monogame Hetero-Ehe kopieren? VON MARTIN ENDER
VON LEBENSLANG ZUM LEBENSABSCHNITT Das Versprechen einer unauflöslichen Ehe hatte in früheren Jahrhunderten eine völlig andere und überlebenswichtige Bedeutung. Leid, Krankheit, Hunger sollte man gemeinsam durchstehen. Die Ehe bot also Schutz. Dieser Lebensbund war eine Art Lebensversicherung für beide Partner und damit verbunden auch für deren meist zahlreiche Kinder. Heute ist die Ehe keine unmittelbare Versorgungseinrichtung mehr. Sollte sie in die Brüche gehen, ist für die materielle Sicherheit von Frau und Kindern gesorgt dank gerichtlich festgesetzter Unterhaltszahlungen. Die «lebenslange» Ehe war früher ausserdem einfaC RUI S E R O K T O B E R 2 015
cher auszuhalten. Die Leute wurden schlicht nicht so alt. Nachdem die Kinder grossgezogen waren – das war der Zweck der Ehe – machte man keine grossen Sprünge mehr, sondern stellte sich bereits gemeinsam auf den herannahenden Lebensabend ein. Um 1700 lag das Durchschnittsalter bei 50 Jahren, um 1900 bei 65 Jahren und heut liegt es bei rund 80 Jahren. So stellen sich die Menschen auf mehrere Lebensphasen ein. Man gibt in der Mitte des Lebens nicht auf, macht allenfalls eine Weiterbildung, wechselt den Beruf, startet eine neue Karriere und sogar Rentner entdecken noch neue Welten. Oder man erfüllt sich nochmals den Traum einer neuen Beziehung. So ist auch das nicht gerade schöne Wort «Lebensabschnittpartner» entstanden.
SCHEITERN ODER GLEICH SINGLE BLEIBEN? Im Jahre 2010 war die Scheidungsrate in der Schweiz am höchsten, in den Jahren bis 2014 sank sie leicht. Gemäss dem Bundesamt für Statistik betrug sie damals 54,4 Prozent. In Zahlen: 22081 Scheidungen auf 43257 Eheschliessungen. Das bedeutet, mehr als die Hälfte der Ehen scheitern und dies nach durchschnittlich nur 14 Jahren. Im gleichen Jahr wurden in der Schweiz 720 eingetragene Partnerschaften begründet und 77 aufgelöst. (Da die eingetragene
ERSTMALS LEBTEN ENDE LETZTEN JAHRES MEHR EINWOHNER MIT DEM ZIVILSTAND «LEDIG» IN DER SCHWEIZ ALS VERHEIRATETE.
Partnerschaft noch nicht so lange existiert, ist das Zahlenverhältnis natürlich nicht vergleichbar.) Dass die offiziellen monogamen Beziehungen immer seltener werden, zeigt auch folgender Statistikauszug. Erstmals lebten Ende letzten Jahres mehr Einwohner mit dem Zivilstand «ledig» in der Schweiz als Verheiratete. Laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) sind 3,54 Millionen Menschen ungebunden, 3,53 Millionen verheiratet. In zahlreichen Kulturen werden monogame Beziehungen durch soziale Strukturen wie die Ehe gefördert und stellen immer noch eine Norm dar. Neuerdings kommen in vielen Ländern die Homo-Ehen oder die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften hinzu. Ist aber der Mensch tatsächlich für das Glück zu zweit gemacht? Im Prinzip ja, behaupten Wissenschaftler der US-amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften. Aller-
FOTOS: FOTOLIA, ZVG
F
Praktisch jede zweite Hetero-Ehe wird geschieden. «Bis dass der Tod euch scheidet» ist ein Ideal, das kaum noch zu halten ist. Das grosse Scheitern monogamer Beziehungen zeigt es deutlich. Kirchen geben nach wie vor die Durchhalteparole raus. Doch Psychologen raten immer öfter zum Seitensprung. Der könnte ein Lösungsversuch für Probleme in der Partnerschaft sein. Aber eben, nicht die Lösung, nur ein Versuch, die Partnerschaft zu retten, indem durch das Fremdgehen Gespräche in Gang kommen und man sich so über nicht erfüllte Bedürfnisse klar werden kann.
11
MONOGAMIE: WARUM DAS BEI GAYS NICHT
dings räumen sie ein, dass monogame Beziehung nicht mehr ein Leben lang halten, es würden nach einer Beziehung andere folgen. Der Bergriff «serielle Monogamie» wurde kreiert.
VON MONOGAM BIS ZUR POLYAMORY Es stellt sich die Frage, wie viel Sinn es macht, das monogame Heterokonzept für Schwule und Lesben zu übernehmen. Ist die treue monogame Beziehung zwischen Mann und Mann oder Frau und Frau genauso zum Scheitern verurteilt? Oder scheitert sie noch schneller, weil meist keine Kinder da sind, aufgrund derer die Beziehung durchgezogen wird? Gibt es allenfalls andere erfolgsversprechende Modelle? Dazu eine Auflistung und Begriffserklärung. Unter monogam versteht man eine Eins-zu-eins-Beziehung und stellt sich diese idealerweise treu vor. Bigamie – gleichzeitig mit zwei Partnern verheiratet sein – ist in unseren Breitengraden offiziell verboten. Bei der Polygamie gibt es die Polyandrie (Vielmännerei), die Polygynie (Vielweiberei) und die Polygynandrie. Bei letzterer Form der «Gruppenehe»
FUNKTIONIERT. ODER EBEN DOCH.
haben Frauen und Männer jeweils mehrere Ehemänner und Ehefrauen. Dem ähnelt auch die Polyamory, die aber nicht an gesellschaftliche Institutionen und Normen wie die Ehe gebunden ist, und sie betont die Wahl freiheit der Beteiligten. Insbesondere müssen diese nicht miteinander verheiratet sein. Besonderes Kennzeichen dieser Form der gleichzeitigen vielfachen Liebesbeziehungen ist, dass sie mit vollem Wissen und Einverständnis aller beteiligten Partner geschehen. Für Polyamory-Anhänger werden herkömmliche Liebeskonzepte wie die Ehe als besitzergreifend, ökonomisch begründet und unfrei kritisiert.
entstanden Swingerclubs, Schlüsselpartys, und offene Ehen wurden erprobt. Auf dem Monte Verità vereinten sich vor über 80 Jahren die Aussteiger und Weltverbesserer und verkündeten in einer einzigartigen Mischung freie Liebe, Vegetarismus, Anthroposophie, Anarchie und kommunistisches Gedankengut. Auch Kirche und Staat waren einst recht «flexibel». Bei den Normannen und Wikingern wurde die Möglichkeit, eine Zweitfrau zu ehelichen, nach deren Christianisie-
DIE KOMUNE 1 WAR EINE POLITISCH MOTIVIERTE WOHNGEMEINSCHAFT IN BERLIN.
DEHNBARE REGELN Das Bestreben, den Rahmen der Monogamie zu sprengen und die Grenzen der Treue zu dehnen, hat es immer wieder mal gegeben. Die 68er-Generation propagierte die freie Liebe. Es C RUI S E R O K T O B E R 2 015
12 REPORTAGE MONOGAMIE
rung eine Zeit lang als More danico (dänische Sitte) seitens der Kirche geduldet. Der Reformator Martin Luther gab dem Landgrafen von Hessen, Philipp dem Grossmütigen, «auf Grundlage der Bibel» den Segen zur Heirat mit zwei Frauen, schränkte das Recht aber auf die Herrscherschicht ein. Diese sogenannten morganatischen Ehen erfolgten meist mit der Absicht des Mannes, die bestehende Liebesbeziehung zu einer Mätresse als öffentlich anerkanntes Verhältnis zu legitimieren. Im Täuferreich von Münster wurde 1534 wegen eines erheblichen Frauenüberschusses sogar die allgemeine Polygynie eingeführt.
Die Geschichte lehrt, dass in Sachen Liebesbeziehungen alles schon da gewesen ist. Findet deshalb in der Hetero-Welt ein Revival der Monogamie statt – allerdings unter dem neuen Vorzeichen der «seriellen Monogamie»? Ist das bei schwulen Partnerschaften anders? Ob sie nun offiziell beim Standesamt eingetragen sind oder nicht, sei hier ausser Acht gelassen. Für viele Gays ist Monogamie gleichbedeutend mit Monotonie und sie sehen sich gerne als Trendsetter. Warum aber funktionieren visionäre, zukunftsorientierte Liebesbeziehungen doch nicht so toll? Ohne Kinder wären viele doch prädestiniert für die Polyamory. Paartherapeutin Claudia Haebler glaubt, dass – geschlechter unabhängig – früher oder später die Eifersucht einen Strich durch die Rechnung macht und formuliert es so: «Es ist sehr anspruchsvoll, die verschiedenen Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen – das ist schon in einer Zweierbeziehung schwierig genug. Aber ich kann mir vorstellen, dass es so mehr Befriedigung bringt, weil man nicht einen Partner für den anderen aufgeben muss.» In der Literatur ist ausserdem zu lesen, dass Menschen in Mehrfachbeziehungen «frubbelig» sein müssen. Frubbelig ist kurz gesagt das Gegenteil von eifersüchtig. Die Emotion geht dabei sogar soweit, dass der eine Partner glücklich ist, wenn der andere Partner mit dem dritten Partner glücklich ist – ohne dabei anwesend sein zu müssen. Nach dem Motto, geteiltes Glück ist doppeltes Glück – oder gar C RUI S E R O K T O B E R 2 015
BIS DASS DER TOD SIE SCHEIDET … GLEICHGESCHLECHTLICH VERPARTNERT
dreifaches. «Offene Beziehung» ist bei Gayromeo ein viel gelesenes Zauberwort. Und wo man hinschaut, gibt es Paare, die sich «Freiheiten» erlauben. Man kann damit «gut leben», solange dadurch der Partner nicht verletzt wird. Ansonsten heisst es, Rückkehr ins Single-Leben oder in die treue Zweierkiste. (Ein Pladoyer für die streng monogame Beziehung finden Sie auf Seite 13.)
DIE UNGEHEUREN ERWARTUNGEN Der deutsche Buchautor Eric Hegmann, der u. a. die Schwulen-Kolumnen «Jungs in Beziehungskisten» schrieb, meint dazu: «Auf jeden Schwulen, der sich Monogamie nicht vorstellen kann, kommt einer, dessen schlimmster Alptraum ein untreuer Freund wäre.» Und Erich Fromm, ein deutsch-US-amerikanischer Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe kommt in seinem Bestseller «Die Kunst des Liebens» zum Schluss: «Es gibt kaum ein Unterfangen, das mit so ungeheuren Erwartungen begonnen wurde und das mit einer solchen Regelmässigkeit fehlschlägt wie die Liebe.» Die niederländische «Paartherapeutin Prof. Evje van Dampen» (Hape Kerkeling), die sich auf der Bühne in ihrem Seminar als «Mutter Theresa der lebensabschnittspartnerschaftlichen Beziehungsarbeit» sieht, bringt es auf den Punkt: «Liebe ist Arbeit, Arbeit, Arbeit.»
DAS NEUE FAMILIENRECHT Was sagt der Staat heute zu den unterschiedlichen Lebensformen? Der Bundesrat sieht Handlungsbedarf und will das Familienrecht den heutigen Realitäten anpassen. Er will das Familienrecht modernisieren und hat dazu 2013 drei Gutachten in Auftrag gegeben. Für Diskussionen sorgte im Vorfeld die Offenheit auch bei Fragen rund um die Polygamie. Grundsätzlich mischt sich der Staat nicht in die Privatspäre ein. Jeder soll die Lebensform wählen, die für ihn richtig ist. Für alle, die einen rechtlichen Schutz wünschen, schafft der Staat jedoch Institute wie die Ehe (evtl. in Zukunft in veränderter Form) oder die eingetragenen Partnerschaft (evtl in Zukunft aufgewertet oder gleichgestellt mit der Ehe). Der im März präsentierte Bericht des Bundesrates ist eine Antwort auf das Postulat Fehr. Dass der Bundesrat selber noch zuwartet, hängt auch mit der CVP-Volksinitiative zusammen, die die Ehe exklusiv auf «Mann und Frau» beschränken will. Für Zündstoff in der parlamentarischen und öffentlichen Diskussion ist gesorgt.
UND DIES ZUM SCHLUSS Bei aller Rede über offene Beziehungen, Mehrfachbeziehungen und weitere Wunsch- Beziehungsmodelle: Am Ende entscheidet das eigene Bauchgefühl. Dabei wird man feststellen, dass das Herz längst nicht so flexibel ist, wie man sich das in seinen kühnen Träumen erhofft hat.
FOTO: FOTOLIA
ÜBER DEN EMOTIONALEN SCHATTEN SPRINGEN
INTERVIEW 13 SIND ALLE GAYS UNTREU?
«ICH HABE NOCH NIE EIN TREUES SCHWULES
PAAR KENNENGELERNT» Ist der schwule Mann nicht zur sexuellen Treue fähig, so wie es der EDU-Politiker Marco Giglio zu wissen glaubt? Lucas P.*, 28, schwört auf die Monogamie. Und wurde dafür innerhalb der Szene kritisiert.
Cruiser: Lucas P.*, beschreib uns dein Verständnis von Monogamie in der schwulen Welt. Lucas P.: Monogamie bedeutet für mich eine Liebe zwischen zwei Menschen, die bereit sind, miteinander durchs Leben zu gehen. Die Liebe, in der man sich ewige Treue schwört und jemanden so liebt, wie er ist. Dass quasi zwei Menschen sich eine kleine gemeinsame Welt bauen und aus «mir» und «dir» ein «wir» wird. Denkst du, deine Einstellung könnte sich einmal ändern? Diese Frage beantworte ich mit einem klaren Nein. Ich würde mich niemals auf eine offene Beziehung einlassen. Denn wenn ich das Bedürfnis habe, mit anderen zu schlafen, gehe ich keine Beziehung ein, sondern tobe ich mich erst einmal aus. Du hast den Eindruck, dass Monogamie in der Szene keinen Bestand hat. Warum ist das deiner Meinung nach so? Gegenseitige Treue hat in der Szene keinen hohen Wert. Mir scheint, dass die Szene sehr oberflächlich und auch sexuell orientiert ist. Mit meinen Erlebnissen auf Gay-Dating-Portalen habe ich erlebt, wie schwierig es ist, Liebe zu finden, und das, obwohl mein Profil nicht auf eine sexuelle Schiene ausgerichtet war. Die sogenannte Szene ist doch grösser, hast du nie ein «treues» Paar kennengelernt? Die Szene ist zwar gross, aber die «Treuen» unter uns gehören zu einer Minderheit und ich habe leider keine kennengelernt.
Woher kommt denn dein Bedürfnis nach Treue? Es ist ein Bedürfnis, das aus vielen Aspekten entsteht, wie z. B. der Erziehung, der Selbstachtung oder ganz einfach, dass ich als Schwuler auch ein normales Leben führen möchte. Als Schwuler möchte ich dadurch definiert werden, dass ich Männer liebe, und nicht, dass ich dauernd nur an Sex denke. Man darf sagen, dass schwule Männer offener mit der Sexualität umgehen als heterosexuelle. Wie würdest du einem heterosexuellen Paar begegnen, das sich gegenseitig heimlich «betrügt»? Heterosexuelle werden immer wieder gerne als Argument benutzt nach dem Motto «die sind einander ja auch nicht treu». Das sind doch nur Ausreden. Aber ich bin noch nie bewusst einem Heteropaar begegnet, das sich heimlich betrügt. Du wurdest für deine Einstellung kritisiert, was genau ist passiert? Ich werde ständig kritisiert, aber nur in der Szene. Sobald ich das Wort «Monogamie» erwähne, werde ich in Sekundenschnelle darüber belehrt, wie langweilig ich sei und dass doch eine offene Partnerschaft viel mehr Spass mache. Und dann merke ich, wie schwierig es ist, wenn man einfach die Liebe seines Lebens sucht, und wie viele Stimmen von aussen man überhören muss, um sich selbst treu bleiben zu können. Das ist sehr anstrengend. Die oben genannten Fragen stellen wir deshalb, weil du sehr jung bist –
wo findet dein Leben als schwuler junger Mann statt? Ich lebe ganz normal wie jeder andere auch. Ich treffe Freunde, gehe aus und geniesse die Zeit mit meinem Freund. Ich muss auch betonen, dass ich keine anderen schwulen Freunde habe; dafür habe ich mich bewusst entschieden. So erspare ich mir unnötige Missgunst und Intrigen. Also sind dir andere Schwule in deinem Leben bis jetzt ohne Toleranz oder gar Akzeptanz begegnet? Ich denke nicht. Aber viele redeten mir ein, dass ich in einer Fantasiewelt lebe und dass ich nie das finden würde, was ich suche. Ich vermute, das war nur Selbstschutz, weil diese Männer sich nicht vorstellen konnten, mit nur einem Partner ihr Leben zu verbringen. Würdest du den Menschen, egal ob hetero, homo oder bi, deine Meinung «vorschreiben» – oder kannst du akzeptieren, dass es andere Lebensformen gibt? Leben und leben lassen. Vorschreiben würde ich niemanden was. Ich habe als Homosexueller eine Stimme und rede nur aus meiner Sicht der Dinge. Ich möchte als Schwuler wahrgenommen werden, der einen Mann liebt, mit dem ich auch eine kleine Familie gründen möchte. Wir können nicht für Gleichberechtigung und für die «Ehe für alle» kämpfen, wenn wir dauernd das Gegenteil vorleben. Dann bleiben Vorbildfunktion und Verantwortungsbewusstsein auf der Strecke. *Name der Redak tion bekannt
C RUI S E R O K T O B E R 2 015
14 NEWS INTERNATIONAL
INTERNATIONALE
NEWS
«Ich hoffe, die sexuelle Ausrichtung wird irgendwann kein Thema mehr sein.» T V - S e r i e n s t a r J a c k Fa l a h e e
GAY OR NOT GAY? «How to get away with Murder»-Star Jack Falahee will nicht verraten, ob er nun schwul ist oder nicht, weil er nicht auf seine sexuelle Ausrichtung reduziert werden möchte. Unter den Fans ist der 25-jährige Schauspieler, der in der Rolle als Connor Walsh offen schwul ist, schnell zum Favoriten der Serie geworden. Die teilweise sehr ausführlich dargestellten Szenen sind ungewöhnlich fürs amerikanische Fernsehen. In der Krimiserie setzt der Protagonist ganz unverfroren seine Sexualität ein, um an Geständnisse (oder allerlei Sonstiges) heranzukommen. Diese Szenen werden dann durchaus gezeigt, allerdings natürlich so, dass es gerade noch ins Abendprogramm des US-Senders ABC passt. Hinter der Serie steckt eine alte Bekannte: Shonda Rhimes, afroamerikanische Hit-Serien-Produzentin und Drehbuchautorin. Shonda war schon für «Greys Anatomy» (inklusive legendärem Ärzte-Lesben-Drama) oder «Scandal» verantwortlich und ist bekannt dafür, dass sie das prüde Amerika gerne mal etwas konsterniert. Bei HTGAWM-Star Falahee alias C RUI S E R O K T O B E R 2 015
Connor Walsh wäre es nun natürlich passend, wenn der Darsteller der Figur auch im wirklichen Leben gay wäre. Falahee meint aber, dass es keine Rolle spiele, was er auf diese Frage antworten würde, es gäbe sicher immer jemanden, der sagen würde, es sei nicht wahr. In den zahlreichen Interviews, in welchen Falahee zu diesem Thema befragt wurde, betonte er immer wieder, er hoffe, dass diese Frage irgendwann mal nicht mehr relevant sein würde.
GROSSBRITANNIEN NEUER JAMES-BONDTITELSONG WIRD VON SAM SMITH GESUNGEN Er ist erst 23 Jahre alt, offen schwul und seit 1965 der erste britische Solokünstler, der den neuen James-Bond-Titelsong singen darf. Der Shootingstar Sam Smith ist der Interpret des Titelsongs des im November in die Kinos kommenden James-Bond-Films «Spectre». Neben dem kultigen Daniel Craig als Geheimagent seiner Majestät können
SCHWULER SICHERHEITSBEAMTER GEFEUERT In Denver wurden zwei Sicherheitsmitarbeiter der US-Flughafensicherheitsbehörde TSA fristlos entlassen, weil sie sich ein System ausdachten, das es ihnen ermöglicht hat, attraktiven Passagieren in den Schritt zu fassen. Der eigentlich sehr simple Trick funktionierte folgendermassen: Wenn dem schwulen Sicherheitsbeamten ein Mann gefiel, machte er seiner Kollegin ein Zeichen. Diese gab im Scanner den Passagier als Frau ein, worauf die Abweichung der Geschlechtsmerkmale logischerweise eine genauere Untersuchung erforderte. Der
wir uns auf weitere grosse Namen wie Monica Bellucci, Ralph Fiennes und Christoph Waltz als Bösewicht freuen. Der Song, den Smith zusammen mit seinem Hitproduzenten Jimmy Napes geschrieben hat, wird weltweit am 25. September veröffentlicht werden und soll den Titel «Writing's on the Wall» tragen. Smith erklärte kürzlich in den Medien, dass das eines seiner Highlights seiner Karriere sei. «Ich freue mich sehr, nun ebenfalls ein
FOTOS: ZVG (3)
USA
inzwischen fristlos entlassene Beamte befummelte die Passagiere dann im Schritt und im Genitalbereich. Durch den anonymen Hinweis eines Kollegen flog das Ganze auf. Die Behörden nahmen die beiden genauer unter die Lupe und fanden mittels der Überwachungskameras die Vorwürfe bestätigt. Mindestens zehn Mal sollen Passagiere auf diese Weise begrapscht worden sein. Zu einer Anklage ist es bisher noch nicht gekommen, da sich keines der Opfer an die Behörden gewandt hat.
15
THAILAND
Teil dieses Bond-Vermächtnisses zu sein und es ehrt mich, dass ich mich unter einige meiner grössten musikalischen Inspirationen einreihen darf.» Er sei erleichtert, dass die Geheimniskrämerei endlich ein Ende habe und er offen über seine Beteiligung beim neuen Bond-Film sprechen könne.
SÜDAFRIKA MR. GAY WORLD 2010 GESTORBEN Mit nur 33 Jahren hat Charl van den Berg seinen Kampf gegen den Krebs verloren. Wie die Veranstalter des «Mr. Gay World» auf ihrer Webseite mitteilten, habe van den Berg «seinen gnädigerweise sehr kurzen Kampf gegen Lymphdrüsenkrebs» verloren. «Wir haben ein Mitglied unserer Familie
ANZEIGE
NEUES ANTIDISKRIMINIERUNGSGESETZ verloren, einen Helden und einen Freund. Charl van der Berg wird für viele Menschen auf dieser Welt immer eine Ikone bleiben», hiess es dort. Charl van den Berg arbeitete als Unterwäschemodel und war auch Restaurantbesitzer. 2009 wurde er zum «Mr. Gay South Africa» gewählt. Knapp ein Jahr später konnte er sich in Oslo gegen 20 Konkurrenten durchsetzen und holte sich entsprechend den Titel als «Mr. Gay World». Charl van den Berg setzte sich weltweit für die Rechte der LGBT-Community ein, so auch auf den Philippinen, als dort eine von der Bevölkerung umstrittene Mr.-Gay-Wahl auf seine Unterstützung zählen konnte.
In Thailand ist ein neues Gesetz in Kraft getreten, das Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der geschlechtlichen Identität oder der sexuellen Orientierung verbietet. Der neue Passus soll nun auch in Thailand verhindern, dass Menschen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität oder sexuellen Orientierung diskriminiert werden. Wer gegen diesen neuen Passus verstösst, soll künftig mit Geldstrafen von umgerechnet 500 Schweizer Franken oder gar Gefängnis bestraft werden. Wie das neue Gesetz dann aber de facto zur Anwendung kommt und wie es in der Praxis umgesetzt wird, ist noch unklar. (HE/AE)
16 KOLUMNE WEISSBERGS WARME WEISSHEITEN
WIE DER TEFLONPFANNEN-TINNITUS-FAKTOR
MEIN LEBEN VERÄNDERTE! Kolumnistin Marianne Weissberg entdeckt, wie angenehm das Leben sein kann, wenn man falsche Fuffziger und Nervensägen treffsicher erkennt und mit der richtigen Taktik raffiniert abrutschen und verstummen lässt.
M
an sagt, die besten Einsichten kommen einem unter der Dusche. Wie wahr. Während das Wasser plätscherte und ich mich einschäumte, grübelte ich eines Morgens darüber nach, wieso ich oft den Kurzen zog. Du bist einfach kein richtiges Arschloch, dachte ich, so wie jene schreibende Schrullette, die alle wegradiert, die ihr im Weg stehen und damit überall Erfolg hat.
«DU BIST EINFACH KEIN RICHTIGES ARSCHLOCH, DACHTE ICH, SO WIE JENE SCHREIBENDE SCHRULLETTE, DIE ALLE WEGRADIERT.» «Harry, ich muss dich etwas fragen. Ich glaube, ich habe den Arschloch-Faktor entdeckt! Muss das jedoch noch anhand eines Beispiels ratifizieren», erklärte ich anderntags meinem schwulen Busenfreund Harry. Mit ihm kann ich alles diskutieren. «Schiess los», freute sich Harry. «Du kennst doch das Frölein Filetta F. Die schreibt so Bügelbrett-Literatur (Bücher, die man neben dem Bügeln lesen kann), kommt jedoch überall rein, weil sie so aussieht wie die nette Migros-Kassiererin. In Wahrheit ist die total hinterfotzig», erinnerte ich ihn an sehr damals, als ich für ein Sonntagsblatt ein Portrait schrieb, C RUI S E R O K T O B E R 2 015
und sie mich nach dessen Erscheinen anschrie, weil sie mir zwar an ihrem Küchentisch ihr ganzes Leben vorgejammert hatte, das gedruckte Resultat leider nicht ihrem lieblichen Selbstbild entsprach. «Die hat exakt den von dir entdeckten Arschloch-Faktor, will heissen, sie gibt sich offen, tritt aber umgehend alle, die ihr nicht nützen», wusste Harry. «Aha, der Arschloch-Faktor funktioniert also am besten, wenn dessen Träger scharmantschliffrig daherkommt, sozusagen wie eine menschliche Teflonpfanne, auf der du quasi ausrutscht und dir das Genick brichst?», präzisierte ich. «Stimmt», sagte Harry. Wir schwiegen und liessen all die Deppen Revue passieren, die es bis ganz oben schafften, obwohl sie intrigant, ungebildet und auch noch grottenmolchhässlich sind. Oder grad deswegen. In einem solchen Club will ja niemand Nettes mitmachen. Nun beschloss ich, mir ab sofort auch einen etwas speziellerenTeflonpfannen-Faktor zuzulegen. Sozusagen ganz auf meinen Körper zugeschnitten. Mein Argument, mit dem ich jetzt alles, was nervt, abgleiten lasse, ist: «Habe leider grad Tinnitus. Kann drum auf unbestimmte Zeit nicht, es strengt mich halt soo an zuzuhören.» Prinzipiell stimmt das sogar, das erste Mal fingen meine Ohren an zu pfeifen, als mich ein schleimiger und dazu gieriger Verleger überreden wollte, ein Buchprojekt in wenigen Wochen zu liefern. Da ich erst nicht realisierte, in welche Abrissfalle ich tappte, machten meine Trommelfelle Lärm, bis ich endlich ablehnte. Danach wur-
FRAU WEISSBERG LIESS SICH DIESMAL DURCH DIESE SCHLICHTE TEFLONPFANNE INSPIRIEREN.
de ich meine eigene Verlegerin. Hie und da klingelt es wieder in meinen Ohren. Seither weiss ich aber: Sobald ich mich entschieden habe, Leute, die mit einem 100%-igen Arschlochfaktor agieren, mich zuverlässig versetzen, mies bescheissen, mit ihrem Seelenmüll zutexten, Leute, die sich nie hinterfragen, was sie damit bei anderen anrichten, teflonmässig abgleiten zu lassen oder explizit ins Pfefferland zu senden – ja dann tritt aahhhh heilsame Stille in meinem Kopf ein, und ich kann mich dem widmen, was ich wirklich machen will. Nicht so viel und das mit Menschen, die ich wirklich mag. Was haben Sie gesagt: Sowas geht doch nicht, man muss im Leben doch Kompromisse machen!? Sorry, kann Sie leider nicht mehr hören, Sie wissen ja, mein Tinnitus…
MARIANNE WEISSBERG Ist Historikerin, Autorin & Inhaberin des Literaturlabels Edition VOLLREIF (www.vollreif.ch). Ihre Werke u. a. «Das letzte Zipfelchen der Macht» oder die Kolumnenkollektion «Tränen ins Tiramisu» sind mittlerweile schon fast Kult.
FOTOS: ZVG
VON MA RIANNE WEIS SBERG
CRUISER WERBUNG
HIER KÖNNTE
IHR INSERAT STEHEN.
ANZEIGE
Strong PartnerS
off to LaS PaLMaS… MaKe SUre yoU traveL WItH frIenDS
WWW.PInKCLoUD.CH t 044 274 15 55
18 KULTURTIPPS SCHWEIZ
DER HERBST WIRD BUNT
UND SCHRILL
OKTOBERFEST: ACTION IN DER «MÄNNERZONE» UND IM «TIPTOP» ZÜRICH
w w w.t i p - t o p - b a r. c h w w w. m a e n n e r z o n e . c h
VORMERKEN ! QUEERSICHTFILMFESTIVAL
Petra serviert im Dirndl Würste und auch in der «Männerzone» wirds ein heisser Oktober.
Auch dieses Jahr werden in Bern wieder viele spannende Kurzfilme rund ums Thema LGBT zu sehen sein.
Das Oktoberfest in München ist das grösste Volksfest der Welt und wird von über 6 Millionen Menschen besucht. Nach dem Vorbild dieses Festes, welches anlässlich der Hochzeit zwischen Prinzessin Therese und Kornprinz Ludwig 1810 zum ersten Mal stattfand, entstanden weltweit ähnliche Volksfeste. So auch in der «Männerzone» und im «TipTop» in Zürich. Passenderweise auch im Oktober und praktischerweise unter gleichgesinnten Prinzen und Prinzessinnen, mit oder ohne Lederhose ... Während vier Nächten (16. und 17., sowie 23. und 24. Oktober) gibts
Vom 5.-11. November findet in Bern das älteste lesbisch-schwule Filmfestival «Queersicht» statt. In den drei Kategorien Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme mit LGBT-Kontext, welche sich durch Originalität, Qualität und Aktualität auszeichnen, werden Filmfreunde ganz auf ihre Kosten kommen. Ausserdem wird auch dieses Jahr wieder der mit 2000 Franken dotierte Publikumspreis «Rosa Brille» für den besten Kurzfilm verliehen. Details zum Rahmenprogramm und die Namen der Gäste waren bis Redaktionsschluss noch nicht bekannt – aber in den letzten Jahren ge-
C RUI S E R O K T O B E R 2 015
lang es dem OK stets, immer wieder neu mit einer feinen Filmprogrammierung und spannenden Gästen zu faszinieren. W e i t e r e In f o r m a t i o n e n u n t e r w w w. q u e e r s i c h t . c h
«MEIN SCHWULES AUGE 12» – DAS SCHWULE JAHRBUCH DER EROTIK Zum 12. Mal erscheint das 320 Seiten umfassende Jahrbuch, welches einen bunten Einblick in die Szene gewährt und nicht nur Freunde der schwulen Erotik begeistern wird. Die Herausgeber Rinaldo Hopf und Axel Schock setzen auf eine Mischung aus Prosatexten und Lyrik (zu verschiedenen Aspekten des schwulen Lebens, Liebeslebens und Sexlebens) sowie Fotos, Zeichnungen, Malereien und Collagen zum Thema schwule Erotik. «Mein schwules Auge 12» wird nicht nur Freunde der schwulen Erotik begeistern, sondern auch
FOTOS: ZVG (2), PAUL SIXTA (1)
in der «Männerzone» massig Bier vom Fass, Weisswürste und Brezel sowie eine Live-Show mit Drag-Queen Romy. Und apropos Königin: Petra und Entourage rüsten am Oktoberfest ebenfalls auf; in ihrem «TipTop» am Seilergraben wird oktoberfestlich dekoriert, statt Cüpli gibts Mass und natürlich dazu auch Weisswurst und Brezeln und – das ist schon beinahe Tradition – am Dienstag, 20.10., wird Mme. Petra im Dirndl servieren. Dazu gibts die übliche Gastfreundlichkeit und passende Musik.
19
Kunst- und Literaturliebhaber, denn die Werke genügen sowohl in Bezug auf die Technik als auch auf die Umsetzung durchaus auch hohen ästhetischen Ansprüchen. Die aktuelle Edition steht unter dem Thema «Rausch» und umfasst Texte über Drogen, die auch in der schwulen Szene eine Rolle spielten und spielen, aber auch über die Ekstase beim Sex, über die Trunkenheit der Liebe und die Sucht nach den kleinen Gelüsten des Lebens. Und auch negative Folgen des Rauschs, wie beispielsweise die Abhängigkeit oder Drogen-Entzugserscheinungen sowie Kontrollverlust werden thematisiert.
PINKPANORAMA Vom 12.-18. November 2015 gibt’s in der Innerschweiz wieder viel zu sehen: Bereits zum 14. Mal findet im Stattkino
Luzern das lesbischwule Filmfestival statt. Vom 12.-18. November 2015 gibts in der Innerschweiz wieder viel zu sehen: Bereits zum 14. Mal findet im Stattkino Luzern das lesbischwule Filmfestival statt. Thematisch liegt der Programmschwerpunkt auf «Vorbilder»; dieses Thema wird umfassend filmografisch beleuchtet. Im Film «Je suis à toi» stellt der 50-jährige belgische Bäcker Henry einem jungen Südamerikaner nach und nimmt diesen bei sich als Lehrling im Betrieb auf. Erst später realisiert er, dass der Jüngling seinem Bild vom Lover nicht gerecht werden kann, da dieser hetero ist und als Escort davon lebt, den Leuten das Bild ihrer Sehnsucht zu vermitteln. Im Dokumentarfilm «Mirco» beschäftigt sich Regisseurin Silvia Chiogna mit Menschen, die sich über die binäre Geschlechtereinteilung hin-
wegsetzen. Die drei Protagonistinnen Océan, Theresa und L. Cavaliero bewegen sich jenseits der üblichen Einteilung zwischen Mann und Frau. Sie wollen nicht in eine von zwei Schubladen gedrückt werden und setzen sich für fliessende Gender ein. Die s nur z wei der ver s chiedenen F il m e , d i e i m N o v e m b e r g e z e i g t werden. M e h r a u f w w w. c r u i s e r m a g a z i n . c h u n d w w w. p i n k p a n o r a m a . c h .
ANZEIGE
Nº 19
DAVY
5. - 11. November 5 - 11 novembre
Vom Queersicht verweht.
queersicht.ch & facebook
QUEERSICHT LGBTI-Filmfestival Bern Festival de films LGBTI de Berne
20 KOLUMNE BÖTSCHI KLATSCHT
VON DER SCHWÄNIN UND MEINEM
KUTSCHERARSCH Vorab eine Entschuldigung: Diesmal wiederhole ich mich in meiner Kolumne mehrmals. Ich ziehe gerade um und ging deshalb nicht so viel weg. Zudem verrate ich, wie aus einem Kutscherarsch ein Kütschliärschli wurde. Und eine Schwänin kommt auch noch vor. VON BRUNO BÖT S CHI
I
ch könnte wieder eine Primeur-Geschichte über Reto Hanselmann ausplaudern. Nur: Ich kann ja nicht ständig über die gleichen netten Menschen berichten. Deshalb nur kurz: Der Zürcher It-Boy will einen Fitnessclub eröffnen, momoll. Noch ist es nicht soweit. Im vergangenen Sommer pilgerte er deshalb nochmals mehrmals nach Ibiza. Sun, fun and nothing to do – unter anderem mit seiner Lieblingsfreundin, der Fernsehmoderatorin und Schauspielerin Viola Tami. Am Strand soll der Reto der Viola meine «Cruiser»-Kolumne vorgelesen haben. Herzig. Viola meinte, Reto könne sich von schreiben, weil ich derart nett über ihn berichtet hätte. Ich könne auch anders. Meine Güte, ich wusste gar nicht, dass ich so ein Bad-Boy-Image habe. Getroffen habe ich den Reto im Restaurant Schützengasse. Die «Schütz», das Lokal von Fabio Gardoni und Bruno Exposito, ist gerade einer der «places to be» im Millionen-Zürich. Die «Schützi» feierte kürzlich ihren 4. Geburtstag. Alle kamen, die Ex-Missen sogar im Dutzend (Karina Berger, Dominique Rinderknecht, Melanie Winiger). Nicht da war Hildegard Schwaninger, the Queen of Züri-Klatsch. Das Schützi-Fest ist etwas für die jüngere Generation. Wie ich trotzdem auf die Schwänin komme? Kürzlich meinte einer, der es wissen muss, ihre Kolumne in der «Weltwoche», dem Kampfblatt der Rechten und Gerechten, sei fad geworden. Ich werde mich hüten, die Schwänin zu C RUI S E R O K T O B E R 2 015
kritisieren. Die mag das ganz und gar nicht. Sie war deswegen schon ganz, ganz böse auf mich. Dabei behauptet sie bisweilen, sie kenne mich überhaupt nicht. Ach Hildi, werden wir nicht alle betriebsblind irgendwann? Kabarettist Emil Steinberger träumte als Kind von Rolltreppen.
«VIOLA MEINTE, RETO KÖNNE SICH VON SCHREIBEN, WEIL ICH DERART NETT ÜBER IHN GESCHRIEBEN HÄTTE. ICH KÖNNE AUCH ANDERS.»
Psychoanalytiker und Satiriker Peter Schneider wollte den Nobelpreis in Chemie bekommen. Der Tausendassa Frank Baumann träumte davon, fliegen zu können. Schriftsteller Pedro Lenz hatte Lust auf Hamburger und wollte deshalb mit einer Harley Davidson durch die USA reisen. Und Starkoch Rico Zandonella hasste es, wenn seine Mutter am Freitag Zwiebelkuchen und Quiche Lorraine buk, weil man das bis in die Schule roch. – Warum ich das alles weiss? Sechs Jahre lang interviewte ich für die «Schweizer Familie» jede Woche eine bekannte Persönlichkeit und befragte sie über ihre Träume. In dieser Zeit
erfuhr ich einiges über das Innenleben der helvetischen Promis. Es reichte sogar für ein Buch: «Traumfänger» ist sein Titel. Erschienen sind meine 53 Interviews mit bekannten Persönlichkeiten im Applaus Verlag, Zürich. Eigenlob stinkt. Ich weiss. Aber natürlich hat es einen Grund, warum ich mein Buch erwähne, zum wiederholten Mal. Erstens wegen meiner Züglerei, zweitens wegen den Schaufenstern im Kiosk «Quellenstrasse» in Zürich: Besitzer Joe Bürli dekoriert die mit viel Liebe. Und im Oktober liegt eben mein Buch bei ihm im Fenster auf. Bitte gucken gehen – und am besten gleich ein Exemplar kaufen. Oder zwei. Ist schliesslich Weihnachten demnächst. Oder so. Und wenn ich mich schon wiederhole, sei diesmal auch nochmals erwähnt: Mein Lieblingsverkäufer in Zürich ist der Arthur vom «Kitchener Plus». Er warf mir einmal an den Kopf, ich hätte einen Kutscherarsch. Besser bedient wurde und werde ich trotzdem nur selten. Ehrlichkeit währt länger. Übrigens: Der Kutscher arsch ist heute nur noch Kütschliärschli. Sagt auch der Arthur. Wie ich das geschafft habe? Weniger Kohlenhydrate, mehr Badminton. Eigenlob stinkt. Ich weiss, ich wiederhole mich. Nur: Hin und wieder drehen wir uns doch alle im Kreis. Schliesslich ist wieder Ballsaison, gell Hildi. w w w. b r u n o b o e t s c h i . c h
SERIE 21 HOMOSEXUALITÄT IN GESCHCHTE UND LITERATUR
ZWEI KRIEGER
IM LUXUSZELT Sie waren im griechischen Heer vor Troja, aber lange liessen sie den Kampf bleiben. Sie wuchsen wie zwei Brüder auf und hatten sich gern. Der Freund von Patroklos war der Mann mit der verwundbaren Ferse. Aus dem grossen Krieg kehrten beide nicht nach Hause zurück.
VON AL AIN SOREL
FOTO: ZVG (1)
D
ie Rolle war massgeschneidert für ihn: Brad Pitt spielt in «Troja», dem legendären Monumentalfilm von Wolfgang Petersen, den Achill, den Superhelden der griechischen Streitkräfte bei der Belagerung der kleinasiatischen Stadt Troja an der türkischen Küste. Ja, akkurat wie Brad Pitt hätte der Achill der griechischen Sage aussehen können: blondes halblanges Haar, ein herbes Gesicht umrahmend, blitzende, wachsame Augen, sehniger Körper, perfekt umschlossen von einer glänzenden Rüstung. Unerschrocken im Kampf, kühn vorwärtsstürmend ist der Achill von Brad Pitt, genau so, wie er in der Literatur geschildert wird. Ein Schrecken seiner Feinde. Gemäss mythologischer Überlieferung hatte sich Achill an der Spitze seiner Myrmidonen dem griechischen Expeditionsheer angeschlossen, das Troja für den Raub der Spartakönigin Helena bestrafen wollte. Doch zum «Spaziergang» wurde der Feldzug nicht, auch wenn ihn der Film auf wenige Wochen verkürzte (immerhin unter Bezugnahme auf vorangegangene Kämpfe). Der Dichter Homer setzt mit seiner Versdichtung, der «Ilias», im zehnten Jahr eines zermürbenden Stellungskrieges und militärischen Patts ein, in dem die Griechen gegen Troja anstürmten und mehrmals fast aufgerieben wurden.
WIE DER WIRKLICHE ACHILL
BRAD PITTS DER COMPUTERTECHNIK Die Trojaner – eine brandgefährliche Spezies. «Wem sagt ihr das», würden neben Achill auch andere griechische Heldengestalten uns zurufen. Nun, die Trojaner von heute haben es gleichfalls in sich. Sie stecken zwar nicht in schimmernden Wehren, haben keine Lanzen und Schwerter, stellen sich nicht in den Weiten einer Landschaft auf, aber verstehen es meisterhaft, verdeckt zu operieren und dabei Datenwege zu benützen. Sie heissen nicht Hektor oder Aeneas, sondern beispielsweise «Dyre» und infizieren Rechner. Trojaner vermögen Chaos und Schaden in Elektronengehirnen anzurichten.
AUSGESEHEN HAT, WEISS MAN HEUTE NICHT MEHR SO GENAU.
Sie schmeicheln sich ein auf der Festplatte, tarnen sich als hilfreich und nützlich wie seinerzeit das Trojanische Pferd, von dem sie den Namen haben. Dieses hölzerne Ungetüm, als vermeintliche Opfergabe der Griechen an die Göttin Pallas Athene von den scheinbar mit ihrer Flotte abgezogenen Belagerern am Strand zurückgelassen und von den verblendeten Bewohnern Trojas in die Stadt hineingezogen, versteckte in seinem Bauch griechische Helden, die sich bereithielten, um in der Nacht hinauszuklettern, Schlüsselpositionen zu C RUI S E R O K T O B E R 2 015
22 SERIE HOMOSEXUALITÄT IN GESCHCHTE UND LITERATUR
besetzen, die Stadttore für die sich mit ihren Schiffen nur versteckt haltenden Kampfgenossen zu öffnen und die Stadt endlich einzunehmen. Aktuell ausgedrückt war nicht ein «Grexit» eingetreten, ein Abzug der Griechen aus der Troja-Zone, wie der Trojaner-König Priamos gemeint hatte. Nein, im Gegenteil: Es erfolgte ihr Einmarsch in Troja, wo sie unter den Einwohnern ein fürchterliches Blutbad anrichteten.
EIN UNERHÖRTER VORGANG: EIN OFFIZIERSUND SOLDATENSTREIK
In der Sage sind in logischer Konsequenz die Trojaner die Opfer, im Internet in einer Umkehrung der Tatsachen die Angreifer. Um diese Trojaner zu bekämpfen, braucht es Brad Pitts der Computertechnik. Muskeln sind dabei nicht so wichtig. Köpfchen müssen die haben, wie es – ja, wie es auch der Erfinder des Trojanischen Pferdes hatte, Odysseus. Kriegslisten gegen Trojaner – damals wie heute. Die erotische Ausstrahlungskraft der mythologischen Trojaner war ungleich stärker als die der elektronischen. Und ihre griechischen Gegner konnten da problemlos mithalten. Neben Achill ist etwa auch an Patroklos zu denken, seinen Freund und Waffengefährten.
ACHTGEBEN AUFEINANDER Während antike Autoren Achill und Patroklos nicht nur Tisch, sondern auch Bett teilen liessen, mussten Brad Pitt und Garrett Hedlund den sexuellen Aspekt der Beziehung in Petersens Film nicht durchspielen. Die Originale in der Sage aber hatten sich so lieb, dass sie wussten: Würde der eine vor Troja fallen, wäre der andere gebrochen. Dann gab es – und wir halten uns an die Zeitrechnung von Homer – im zehnten Jahr des Krieges ein schweres Zerwürfnis zwischen dem von Ehrgeiz zerfressenen Oberbefehlshaber der Armee, Agamemnon, und Achill. Mit der Folge, dass der Myrmidonenherrscher mit den Seinen C RUI S E R O K T O B E R 2 015
den Kampfhandlungen ab sofort fernblieb. Ein unerhörter Vorgang: Ein Offiziers- und Soldatenstreik. Aber Achill konnte sich das leisten: Sein Vater Peleus war ein mächtiger König, seine Mutter, die Meeresnymphe Thetis, gar eine Unsterbliche, weshalb der Sohn ein Halbgott war. Unter den Griechen wollte sich niemand mit Achill anlegen. Und weil er in der Liebesbeziehung mit Patroklos der Beschützer, der gutmütige, grosse Bruder war, verbot er auch Patroklos den weiteren Waffengang mit den Trojanern. Mit dem Hintergedanken natürlich, damit auch das Leben des Freundes schonen zu können. «Make love, not war» lautete gewissermassen Achills Devise. Sie schliefen zusammen in ihrem Luxuszelt vor Troja und kuschelten, anstatt Schwerter und Speere zu schwingen und jene zu töten, die nichts anderes wollten, als ihre Stadt zu verteidigen. Achill war, vielleicht gerade im sicheren Bewusstsein seiner Riesenkräfte, keine Kriegsgurgel. Einen Moment lang hatte er sich bei Ausbruch des Streits mit Agamemnon sogar überlegt, mit seinen Myrmidonen in sein Reich Phthia heimzukehren. Denn die Trojaner hätten ihm eigentlich nichts getan, nur aus Solidarität sei er mitgezogen. Was der Dichter in der «Ilias» durch Achill antönt, hat sich in der Realität in allen Epochen bestätigt: Die Menschheit hat sehr viele Kriege geführt, die hätten vermieden werden können. Achill und Patroklos blieben – und vor Troja sollten ihre Lebenswege zu Ende gehen, die sich in ihrer Kindheit
HOMOSEXUALITÄT IN GESCHICHTE UND LITERATUR Mehr oder weniger versteckt findet sich das Thema Männerliebe in der Weltgeschichte, der Politik, in antiken Sagen und traditionellen Märchen – in der Literatur ganz allgemein – immer wieder. Cruiser greift einzelne Beispiele heraus, würzt sie mit etwas Fantasie, stellt sie in zeitgenössische Zusammenhänge und wünscht bei der Lektüre viel Spass – und hie und da auch neue oder zumindest aufgefrischte Erkenntnisse. Diese Folge befasst sich mit einem Freundespaar, das in einem Krieg mitmischt.
erstmals gekreuzt hatten. Patroklos war in der Familie des Achill gross geworden. Die beiden Burschen wurden schnell einmal ein Herz und eine Seele – und ihre Körper fanden sich auch …
MAHNUNG NICHT BEHERZIGT Schauplatz Troja: Eines Tages drang der Kampflärm näher und näher zu den Freunden. Die Trojaner trieben die ohne Achill geschwächten Griechen vor sich her zu den Schiffen, die allein die Rückkehr in die Heimat gewährleisteten. Jetzt konnte Patroklos nicht mehr an sich halten, bestürmte Achill, endlich von seinem Zorn abzulassen – oder aber ihm zu erlauben, mit den Myrmidonen einzugreifen. Wollte nun der mächtige Freund dem Drängenden endlich wieder einmal ein Erfolgserlebnis gönnen oder verkannte er in seiner selbstgewählten Zwangspause die Gefahr? Achill gab nach – mit einem letzten grossen Akt der Fürsorglichkeit. Er erlaubte Patroklos nur, die Attacke des Gegners auf die Schiffe abzuwehren. Doch Patroklos vergass – buchstäblich in der Hitze des Gefechts – die Mahnung, setzte den nun wieder fliehenden Trojanern nach und wurde vor den Stadtmauern von Hektor, dem stärksten Verteidiger der Stadt, mit der Lanze erlegt. Mit seinem Tod erkaufte er die Rückkehr Achills ins Kampfgetümmel, denn dieser, halb wahnsinnig vor Leid um den gefallenen Freund und getrieben von Rachedurst, suchte den Zweikampf mit Hektor und tötete den trojanischen Prinzen. Doch Achill selbst traf kurze Zeit später in der Schlacht ein Pfeil aus dem Hinterhalt in die berühmte Ferse, die einzige Stelle seines Körpers, die verwundbar war – die Achillesferse eben – und brachte ihm den Tod. Jeder, und sei er noch so unangefochten sonst, hat Schwachpunkte – auch solche, die als Halbgötter gelten, haben eines Tages loszulassen. Den Fall Trojas erlebte Achill nicht mehr – nur bei Brad Pitt war das anders. Der Film wollte ihn unbedingt im Trojanischen Pferd haben, weshalb die Regie den Tod des Helden kurzerhand auf die Nacht verschob, in der Troja in Schutt und Asche gelegt wurde.
KOLUMNE 23 MICHI RÜEGG
DIE GUTEN MÄNNER VON SZECHUAN
VON MICHI RÜEG G
I
ch bin neulich in ein Flugzeug gestiegen und nach China geflogen. Nach Chengdu, im Südwesten, in der Provinz Szechuan. Das ist eine in Europa mehrheitlich unbekannte Siedlung mit lächerlichen 13 Millionen Menschen. Wenig überraschend sind fast alle davon Chinesen, wobei man auch auf Minderheiten wie Tibeter, Qiang, Muslime und Schwule trifft. Es war meine erste Reise nach China. Und ich fand auch die putzigen Altstadthäuser mit ihren typischen geschwungenen Dächern vor. Wobei, die waren mehrheitlich aus Kunststoff, nachgebaut, für die (chinesischen) Touristen. Der Rest ist moderne Stadt. Das mit dem Kapitalismus haben die mittlerweile recht gut im Griff: Die Louis-Vuitton-Filiale umfasst drei Stockwerke und der Bally-Laden ist etwa doppelt so gross wie derjenige in St. Moritz. Die Leute shoppen den ganzen Tag, wobei sie kaum je etwas kaufen. Ausser am Wühltisch im japanischen Department Store. Das Staatsfernsehen hat sogar einen englischsprachigen Sender. Dort verlesen schöne weisse Menschen, die in Europa nach ihrem Journalismusstudium keinen Job gefunden haben, den ganzen Tag Nachrichten aus aller Welt. Als ich im Lande weilte, berichtete der Sender über die Vorbereitungen zur grossen Militärparade – zum Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs. Draussen auf der Strasse sassen derweil alte Männer
auf Plastikstühlen und zogen sich Tag und Nacht Kriegsfilme über die Gräueltaten der japanischen Besatzer rein, projiziert auf Grossleinwände. Der Staatsjournalist, der am Fernsehen über den Beitrag der Luftwaffe zur anstehenden Parade berichtete, interviewte einen hohen Offizier. Dieser erklärte, die Armee im Reich der Mitte stünde mitten in einem Reformprozess. Man kaufe viele moderne Flugzeuge. Die Militärstrategie Chinas sei bislang auf Verteidigung ausgerichtet gewesen. Nun wolle man eine Armee, die auch Angriffe führen könne. Damit, so der Mann, würde die Armee der neuen Rolle gerecht, die das Land auf der Welt einnehme. Keine Frage, hier reagiert China auf den japanischen Premier, der vor einer Weile sein Verteidigungs- in Kriegsministerium umtaufte. Allerdings verspürt der ganz und gar pazifistische westliche Besucher angesichts dieser stolzen Ankündigung ein gewisses Unbehagen. Wen möchte Beijing denn genau angreifen? Russland und Indien scheiden aus, Japan wohl auch, sonst gibts ein Gemetzel. Verbleiben ein paar kleinere Länder Indochinas und Korea. Und die werden sich sagen: Ach herrje, ob wir nun von chinesischen Billigtouristen oder von ihrer Armee überrannt werden, kommt nun wirklich auf dasselbe heraus. Allerdings fragt sich der Beobachter aus dem Westen auch, wie denn China einen solchen Überfall auf einen Nachbarstaat an die Hand nehmen wollte – angesichts der Tatsache, dass der typische Chinese permanent mit einer Hand an seinem Smartphone rumspielt. «Moment, ich schiesse gleich, nur noch schnell whatsappen.» Doch die Ablenkung durch iPhone und Samsung Galaxy ist nicht das einzige Problem, mit dem die chinesische Militärführung im Falle eines solchen Angriffsplans zu kämpfen hätte.
ACH HERRJE, OB WIR NUN VON CHINESISCHEN BILLIGTOURISTEN ODER VON IHRER ARMEE ÜBERRANNT WERDEN, KOMMT NUN WIRKLICH AUF DASSELBE HERAUS. Denn während China in Asien nun den starken Mann spielt, verliert die männliche Bevölkerung drastisch an Männlichkeit. Zwar wimmelt es von Penisträgern – denn die Ein-Kind-Politik verunmöglichte es so manchem weiblichen Fötus, sich einzunisten; es wurde freudigst abgetrieben, bis ein Stammhalter in der Gebärmutter sass. An Männern herrscht also kein Mangel. Das wiederum führt dazu, dass die junge chinesische Frau aus einem ganzen Arsenal von Kerlen aussuchen kann. Und natürlich stellt sie Ansprüche an Galanterie. So sieht man selten eine junge Chinesin ihre Handtasche selber tragen – diese Aufgabe obliegt ihrem Partner. Wer also Männer mit den neusten Täschchen von Michael Kors und Co. (alles Originale, die Kopien fertigt man für weisse Mittelmeertouristen an) sehen möchte, der muss nach China. Ruppiges Verhalten kommt bei den Damen hingegen weniger gut an. Der Mann muss hilfsbereit, geschmeidig und einfühlsam sein. Sonst wird er ausgewechselt gegen einen, der das besser kann. Die Ein-Kind-Politik hat damit letztlich zwar biologisch gesehen mehr Männer produziert. Doch sie hat ebenso die Männlichkeit gekillt. Denn der neue chinesische Mann ist einer, der es punkto Qualitäten mit jeder Frau aufnehmen kann. Und der nicht mit dem Maschinengewehr übers Reisfeld rennt, sondern das Handtäschchen selbstbewusst in der einen, das Smartphone in der anderen Hand, durch die glitzernden Shoppingmalls des neuen China schlurft. C RUI S E R O K T O B E R 2 015
24 KOLUMNE PIA SPATZ
SEHEN UND
GESEHEN WERDEN Pia guckt in diverse dunkle Öffnungen hinein und würde liebend gerne auch in die Augen ihres Arztes sehen. trägt man die Syphilis gut und gerne in die Welt hinaus. Doch hier kommen meine tollen und erfahrenen Männer vom Checkpoint Zürich ins Spiel. Im Oktober bieten sie wieder Gratis-Syphilistests an und machen es uns einfach, diesen versteckten Bakterien V O N P I A S P AT Z
I
ch sehe, also bin ich – so mein Motto für den Oktober, ihr Lieben. Nicht, dass ich dabei das Denken vergesse: Cogito ergo sum versteht sich das ganze Jahr über. Allerdings verfügen wir nicht alle über Supermans Röntgenblicke, um in dunkle Abgründe oder auch in weniger tiefe Körperöffnungen zu spähen. Lasst uns deshalb über die Syphilis reden, eine ziemlich fiese Bakterie, die immer mal wieder zum Comeback ansetzt. Wir denken, wir kennen das Miststück, weil sie an primären Geschlechtsteilen einige Tage nach der Infektion unschöne
«LASST UNS DESHALB ÜBER DIE SYPHILIS REDEN, EINE ZIEMLICH FIESE BAKTERIE.»
Krater hinterlässt – die dann nicht einmal weh tun! Aber dieses Ding kann auch im schönen Kussmund oder im super durchgespülten Füdli vorkommen, halt überall dort, wo man sich angesteckt hat. Weil: «tut nicht weh» heisst: «merke nüt!» Also C RUI S E R O K T O B E R 2 015
TIPPS UND TRICKS GIBT DAHER DER CHECKPOINT-TALK, DAMIT DER NÄCHSTE BESUCH BEIM ARZT AUF GLEICHER AUGENHÖHE ABLÄUFT.
den Garaus zu machen! In Saunas und Clubs werden sie diese Tests vornehmen; ein Picks und die Sache ist geritzt. Zeigt der Test an, dann ist eine Syphilis leicht mit Antibiotika zu behandeln. Bringen wir also Licht ins Dunkel, damit es auch das nächste Mal bei Kerzenschein wieder so richtig Spass macht. Von wegen sehen und gesehen werden: Ein Besuch beim Gott in Weiss, sprich, dem Arzt des Vertrauens (oder einer Göttin), läuft ja oft sowohl verbal wie auch körperlich ab. Dabei ist der Augenkontakt enorm wichtig und schafft Vertrauen. Nicht, dass eine ärztliche Visite sexy wäre (je nach Gottheit ...), aber es lohnt sich, erwähntes Vertrauen einzuholen und – bei Bedarf – über Sex und Lifesty-
le zu reden. Sonst weiss der Gute ja nicht, wo er überhaupt suchen soll. Weswegen der nächste «Checkpoint im Gespräch» am 15. Oktober genau dieses Thema unter das Mikroskop nimmt: Reden mit dem Arzt. Keine Sorge, man soll sich nicht «Grey’s Anatomy»-mässig durch 15 Minuten Selbstbehalt quatschen – aber ist ein ideales Gespräch überhaupt möglich, wenn sich Onkel Doktor hinter Laborwerten und Display verbirgt? Viele Männer bewegen sich bei solchen Besuchen zudem in einer Art «neutralen Zone». Was einem konkret mit anderen Männern und unter welchen Umständen Spass macht, kommt dabei zu kurz – und der arme Doc zäumt das Ross sozusagen am Schwanz auf. Tipps und Tricks gibt daher der Checkpoint-Talk, damit der nächste Besuch beim Arzt auf gleicher Augenhöhe abläuft. Apropos Augen auf die Weide lassen: Am Pink Monday 2015 – das schwule Oktoberfest geht am 26. Oktober in die nächste Runde – werden 800 Familienmitglieder erwartet, um die Bierglasböden und strammen Wädli mit Argusaugen zu erkunden. Logisch, dass ich dort mit Weitsicht und meinem Chörbli aufwarte.
RATGEBER AIDS-HILFE 25 DR.GAY
Dr. Gay ER IST NICHT GEOUTET Seit etwa einem Monat habe ich einen Freund und es läuft eigentlich alles super. Nur ist er nicht ganz geoutet, vor allem wegen seines Arbeitsplatzes. Irgendwie stört es mich, dass er nicht klar zu mir und unserer Beziehung stehen kann. Björn (23)
Hallo Björn
Das Coming-out deines Freundes ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Wenn es schlussendlich sein Wunsch ist, sich nicht zu outen, solltest du das respektieren. Ich denke nicht, dass dies ein Zeichen dafür ist, dass er nicht zu eurer Beziehung steht. Wie du selber schreibst, läuft doch sonst eigentlich alles super. Wenn ihr, du
oder dein Freund, weitere Unterstützung beim Coming-out braucht, könnte das kostenlose Beratungsangebot «Du bist du» vielleicht helfen. Weitere Informationen findest du unter: www.du-bist-du.ch.
IST DAS EIN HIV-RISIKO?
Ich hatte ein Abenteuer mit einem mir nicht näher bekannten Mann. Wir hatten Oralsex ohne Sperma im Mund und haben uns gegenseitig gewichst. Er kam zuerst und hat mir auf die Brust gespritzt. Soweit also kein HIV-Risiko. Nach etwa zwei Minuten hat er seine Hand mit Gleitmittel eingerieben und mir einen runtergeholt. Ich habe es zwar nicht gesehen, aber wenn er noch Sperma an der Hand gehabt hätte, wäre das ein HIV-Risiko? Marcel (25)
Hallo Marcel
Ich kann dich beruhigen. Eine Übertragung von HIV durch Spermareste
auf der Hand, so wie du es beschreibst, ist kaum denkbar. HIV ist ein relativ schwer übertragbares Virus. Für eine Infektion braucht es unter anderem eine ausreichende Menge an infektiöser Körperflüssigkeit, was hier nicht der Fall war. Abgesehen davon verliert das HI-Virus an der Luft relativ rasch an Infektiosität. Anders sieht es allerdings aus, wenn die ganze Ladung Sperma direkt als Wichs- oder Gleitmittel verwendet wird. Davon rate ich klar ab. Wenn du trotzdem einen Test machen willst, ist dieser bereits nach 2 Wochen möglich. Er muss aber nach drei Monaten mit einem Antikörper-Test bestätigt werden. Das kannst du beispielsweise beim Checkpoint machen. www.mycheckpoint.ch
DR. GAY Dr. Gay ist eine Dienstleistung der AidsHilfe Schweiz. Die Fragen werden online auf www.drgay.ch gestellt. Die Redaktion druckt die Fragen genau so ab, wie sie online gestellt werden.
ANZEIGE
DR. GAY Dr. Gay ist eine Dienstleistung der AidsHilfe Schweiz. Die Fragen werden online auf www.drgay.ch gestellt. Die Redaktion druckt die Fragen genau so ab, wie sie online gestellt werden.
Fesche Bua‘n, Weisswurst und a Mass, machen im Tip Top an sauglatten Spass.
PE
O K TO B E R F E S T I M T I P TO P: E R Ö F F N U N G : DI E NS TAG 2 0 .10 .15 / BI S S A M S TAG 24 .10 .15 P I N K M O N D AY: 26 .10 .15 A B 21:00 H GEÖFFNET.
TR
A’S
tip top bar
D I E N S TA G S B I S S A M S TA G S A B 18.30 U H R | S E I L E R G R A B E N 1 3
8001 ZÜRICH
W W W.T I P-TO P-B A R.C H
26 SERIE PERSÖNLICHKEITEN
IKONEN VON DAMALS
SANDRA
In unserer Serie stellen wir Ikonen aus vergangenen Dekaden vor, berichten über gefallene Helden und hoffnungsvolle Skandalsternchen aus längst vergangenen (Gay-)Tagen. Dieses Mal: Sandra oder der verzweifelte Versuch eines Comebacks. V O N H AY M O E M P L
E
igentlich hatten wir Kim Wilde im Programm für diese Ausgabe; Kim ziert sich aber bezüglich eines Interviews noch etwas und daher ziehen wir Sandra vor. In den 80ern schmetterte sie «Maria Magdalena», «In The Heat Of The Night» und natürlich «Everlasting Love» (in einer grandiosen Maxi-Single-Version, dies so nebenbei).
SANDRA HEUTE: IHRE KOMMERZIELLEN MISSERFOLGE SCHLAGEN SICH AUCH OPTISCH NIEDER.
C RUI S E R O K T O B E R 2 015
Sandra – eigentlich Sandra Ann Lauer aus Saarbrücken – verkaufte 33 Millionen Tonträger. Und das vor allem in den 1980er-Jahren. Beinahe wöchentlich war sie auf dem Bravo-Cover zu sehen und obschon sie nie eine grosse Gay-Affinität hatte, mutierte Sandra schnell zu einer Gay-Ikone. Vielleicht lag es einfach auch daran, dass die von Michel Cretu komponierten Hits den «cheesy-groove» haben, den die Gays oft so lieben. Cretu komponierte, Sandra sang sich
FOTO: PD (1)
2007 WIRKTE SANDRA IN EINEM TV-INTERVIEW SICHTLICH «DOWN TO EARTH» UND ETWAS FRUSTRIERT.
27
SANDRA IN DEN 1980ER-JAHREN AUF DEM HÖHEPUNKT IHRER KARRIERE.
im audiotechnischen Hall durch die Charts und dann war plötzlich nichts mehr. Keine Hits. Nada. Bis dann plötzlich während des 1. Golfkrieges seltsam spirituelle Ethnoklänge aus dem Radio klangen. (Man hatte das damals noch.) Lange war nicht klar, wer hinter dem Hit «Sadeness» (und warum der Titel falsch geschrieben wurde seinerzeit steckte) – bis dann quasi das Outing erfolgte. Sandra mit noch mehr Hall und noch sinnfreieren Texten. Produziert von Cretu, der mittlerweile mit der Sängerin verheiratet war. Es folgten dann noch ein paar frühe 1990er-Hits mit Engima und dann begann das grosse Jammern. Denn: Sandra hätte gerne weitergemacht, Ehemann Michel Cretu produzierte aber lieber weitere Enigma-Alben und Sandra durfte dabei nur hauchen und ein bisschen sprechen.
Immerhin: Der Busenfreund von Michel Cretu – Jens Gand – erbarmte sich und nahm mit Sandra neue Solo-CDs auf. Der Erfolg blieb aus, die Hits fehlten. 2007 wirkte Sandra in einem TV-Interview sichtlich «Down To Earth» und etwas frustriert. Auch gab sie sich nicht mehr ganz so sexy. Ob die 2012er-Zusammenarbeit mit DJ Bobo kurz zuvor («Secrets Of Love») taktisch eine kluge Entscheidung war, bleibt dahin gestellt. Der mangelnde Erfolg scheint der Sängerin nicht so gut zu bekommen; ihre Stimme ist live einfach zu dünn (und mittlerweile auch sehr rauchig) und bei einem Playbackauftritt in Russland 2014 ist die Gute auch sichtlich aus dem Leim gegangen, wie unser Bild beweist.
ANZEIGE
Für Ihre Nachkommen: Erhalten Sie die Früchte Ihrer Arbeit mit einer sicheren Nachfolge-Regelung.
Besuchen Sie uns auf www.zkb.ch/nachfolge Wir unterstützen Sie bei der Regelung Ihrer persönlichen Vermögensnachfolge, damit Sie den finanziellen Herausforderungen in jeder Lebensphase gewachsen sind. Fragen Sie nach unserer Erbschaftsberatung.
28 NEUE SERIE JOURNEYLICIOUS
NEUE SERIE:
JOURNEYLICIOUS Gerade wenns draussen wieder kälter wird, packt viele das Fernweh. So auch unsere Reisefüdlis Jenny & Tanja. Die beiden fliegen in den kommenden Monaten einmal um die Welt und berichten künftig an dieser Stelle von Tops & Flops, von spannenden Begegnungen und weniger erfreulichen Konfrontationen.
V O N H AY M O E M P L
Cruiser: Was muss man arbeiten, um sich einfach mal im Stil von «Ich bin dann mal weg» für ein Jahr verabschieden zu können? Jenny: Ich bin «Kundenberaterin Zeitungsdruck» in einer Druckerei. Tanja: Ich habe als Reiseverkehrs‑ kauffrau natürlich eine hohe Affinität zum Reisen … Wohin solls denn gehen? Jenny: Bangkok – Singapur – Bali – Australien – Fidschi – Mexico – Los Angeles – Vancouver … – dort bleiben wir dann etwas länger und hoffen in Vancouver für einige Monate einen Job zu finden. Aber wer weiss? Vielleicht stellen wir die Route unterwegs auch noch spontan um. Was ist die Motivation hinter dieser Reise? Es könnte doch einfach ein längerer Urlaub sein, es muss ja nicht gerade eine Weltreise sein! Tanja: Wir sind beide chronisch reisesüchtig und wollten schon immer eine Weltreise machen. C RUI S E R O K T O B E R 2 015
In einem Urlaub hat man immer ein sehr begrenztes Zeitfenster, man muss sich stark einschränken und vorausplanen. In diesem Jahr freuen wir uns auf das Ungewisse und die Flexibilität. Wir lieben es Neues zu entdecken, neue Menschen und fremde Kulturen kennenzulernen, fremdes Essen zu kosten. Wir möchten beide noch einmal dem Alltagstrott entfliehen (wir waren bereits 2008/2009 zusammen für ein Jahr in Kanada – Work&Travel) und ein Leben ausserhalb der gesellschaftlichen Norm leben. Jenny: Das Näherrücken der 30 (ich dieses Jahr & Tanja nächstes Jahr) war zudem ein kleiner «Schubs», nochmals was «Grosses» zu machen. «Jetzt oder nie» ist die Devise. Wie macht ihr es mit dem Gepäck? Rucksack … Koffer … oder immer alles neu kaufen? Jenny: Wir sind keine klassischen Backpacker, eher sogenannte «Flashpacker»…
Das heisst, wir werden einen Kofferrucksack mitnehmen. Sehr praktisch, da er sich wie eine Reisetasche packen und wie ein Trolley auf zwei Rädern ziehen lässt. Und wenn es das Terrain verlangt, kann er einfach zu einem bequemen Backpack umfunktioniert werden. Was macht euch Bauchschmerzen bzw. Kopfzerbrechen? Gab oder gibt es noch besondere Hürden? Tanja: Die besondere Hürde für Jenny war wohl, dass sie ihren Job kündigen musste, weil ihr Arbeitgeber ihr kein Sabbatical gewähren konnte. Für mich wars und ists eher in Bezug auf die Packerei eine Herausforderung: Wie soll ein Jahr in einen Kofferrucksack passen? Was ist mit euren Wohnungen? Vermietet ihr die? Oder habt ihr sie aufgelöst? Tanja: Die Wohnungen sind bereits aufgelöst und wir wohnen – um zu sparen – bis zur Abreise bei unseren Eltern.
JENNY UND TANJA werden ab 1. Dezember in unregelmässigen Abständen auf www.cruisermagazin.ch in ihrem Reiseblog über ihre Erlebnisse berichten.
LIFEST YLE 29 FITNESS
WER, WO UND WIE RUMSTRAMPELT 700 000 Schweizer stählen mehr oder weniger regelmässig die Muskeln. Ein Weltrekord, der sich in Helvetien mit einem Gym an jeder Ecke zeigt. Doch, wer trainiert wo? Und wie sieht es mit den Flirtchancen aus?
VON MOEL MAPHY
FOTOS: FOTOLIA (2)
W
ie pflegte Fitness-Ikone Jane Fonda zu sagen: «And up. And down. And breathe. And now to the left …» – oder an die Kraftmaschine, und davon stehen überall jede Menge. Doch wer schwitzt wo? Um das herauszufinden, genügen zwei Indizien: das Outfit und die Gadgets. Beginnen wir mit den Outfits. Wenn im Gym die Sportbegeisterten in einem langärmligen «Abercrombie»-Shirt schwitzen, dann tun sie das ziemlich sicher im «David-Gym» am Letzigraben in Zürich. Denn dort wird seriös und nicht mehr ganz zeitgemäss (siehe Outfit) trainiert. Das Ziel: rapider Muskelzuwachs. Weil man den Konkurrenten an der Maschine gegenüber über seinen Bizepsumfang aber im Unklaren lassen will, trainiert man in – genau! – einem langärmligen Shirt. Wer in einer Muskelbude gelandet ist und dort zwischen Hanteln und Laufbändern weniger Muskeln als plaudernde Menschen sieht (mobiler Champagner-Cüplihalter inklusive), der hat sich in einen Migros-Fitness-Park verirrt, mit bekanntlich hohem Gay-Faktor. In Zürich wäre das derjenige im «Puls 5». Denn dort – also in jenem Club – treffen sich all die Leute wieder, die sich zuvor schon im Café Gloria im Kreis 5 getroffen haben. Und weil alle selbstständig erwerbend sind, wird beim Cüpli auch gleich übers Business geredet.
FÜR EINEN STAHLHARTEN
BEGINNEN WIR MIT DEN OUTFITS. WENN IM GYM DIE SPORTBEGEISTERTEN IN EINEM LANGÄRMLIGEN «ABERCROMBIE»-SHIRT SCHWITZEN, DANN TUN SIE DAS ZIEMLICH SICHER IM «DAVID-GYM» AM LETZIGRABEN IN ZÜRICH.
Hat man sich vom Hipster-Look bereits verabschiedet und trägt Funktionsfitnesskleidung, dann trainiert man ziemlich sicher in einem der «Holmes Places». Diese Kette gibt sich nobel, hat aber in den letzten Jahren etwas an Glamour eingebüsst. Man trifft dort gerne Ex-Szenies, Ex-Hipsters und in der Regel auch noch seinen Ex. Aktuell verlost «Holmes Place» gerade einen Trip in einen Robinson-Club in Spanien. Robinson-Club? Das sind doch diese Ressorts aus den 1980er-Jahren? Genau. Andere wiederum legen Wert auf Betreuung. Outfit: egal. Diese Spezies trainiert gerne in kleinen Fitness clubs, dort darf man sich aber natürlich nicht als Gay outen, denn das würde für Verwirrung sorgen. Dort
BODY BRAUCHT ES DAS RICHTIGE FITNESSCENTER
hört man auch ziemlich selten mittels Kopfhörer Musik, sondern diskutiert eher über die neusten Nahrungsergänzungsmittel (und anderes, das es noch so gibt, um schnell Muskeln zu bekommen). Apropos Musik: Geht man nach den Gadgets, lassen sich wiederum verschiedene Fitnesscenters und Typen ausmachen. Wer beispielsweise eine Apple-Watch als Fitnesstracker trägt, trainiert ziemlich sicher in einem «Activ Fitness»-Studio. Diese Kette ist günstig und daher kann man sich mit dem Ersparten ein solches Teil leisten. Und genau so unstylish und uncool wie die «Activ Fitness»-Centers sind, ist passenderweise auch die Apple-Uhr. Mehr Zurückhaltung zeigt, wer «Fitbit» trägt. Funktionelles Gadget, entsprechendes Fitnesscenter. Beispielsweise die Muskelbuden von «Silhouette». Dort trifft so ziemlich jeder auf alle, und das ganz unprätentiös. Auf dem Vitaparcours gehts ebenfalls schlicht zu und her. Dort braucht man aber idealerweise als Gadget einen Hund. Dies empfiehlt sich generell, wenn es darum geht, mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Denn dafür sind alle Gyms in der Regel absolut ungeeignet. C RUI S E R O K T O B E R 2 015
30 KOLUMNE THOMMEN MEINT
«WENN ICH NICHT
LIEBEN DARF... … dürfens andere auch nicht!»* Das ist eine Haltung – auch unter Männern –, die sich heute wieder mehr und mehr verbreitet. Sehr oft wird dabei der Sex «mitgemeint» oder gar gleichgestellt, angelernt in der Familie und der heterosexuellen Kultur – und ein Teil der Männerliebenden möchte da auch unbedingt dabei sein!
K
lara Obermüller schrieb in der NZZaS ** über Papst Franziskus, er habe eigentlich nirgendwo eine «Wende» eingeleitet, er sei einfach «konzilianter» geworden. «Wenn jemand schwul ist und Gott mit ganzem Herzen sucht, wer bin ich, über ihn zu urteilen?», zitiert sie ihn. Ich habe schon früh den Eindruck bekommen, dass Männerliebende gerne über sich selber und andere «urteilen». Die «queer community» beeilt sich seit einiger Zeit, darüber zu urteilen, wer von all diesen Grüppchen, die mit Buchstaben bezeichnet werden, mehr oder weniger diskriminiert sei. Ich sehe aber alle einfach jeweils anders diskriminiert. Und der Konzilblick ist eben mehr als ein Papstblick. Oder der auf einen definierten Body. Die Willkommenskultur von heute lässt den Gayblick auf die individuellen Vergangenheiten fast nicht mehr zu. Es kann uns doch nur noch besser gehen? Ich werde immer wieder genötigt, den Blick von der Vergangenheit abzuwenden und auf die Gegenwart zu richten. Wir sollten vielleicht doch alles ruhen lassen? Ich denke daran, dass viele Männerliebenden einen grossen Rucksack mit sich herumtragen, worin ihre Biografien ruhen. Und bei jedem Date und jedem Beziehungsversuch, jeder Enttäuschung und jeder Beleidigung wird er grösser. Und die Suche mit ganzem C RUI S E R O K T O B E R 2 015
«UND JETZT, NACH ETWA DREI JAHRZEHNTEN, ERGIBT DAS ENDLICH EINEN SINN FÜR MICH! ER WOLLTE DEN BALLAST IN SEINEM RUCKSACK LOSWERDEN!».
Herzen nach einem Prinzen wird immer inbrünstiger ... Ich weiss schon lange, dass Männerliebende für sich selbst das allergrösste Verständnis für ihre Situation und ihre Probleme erwarten und gar auch einfordern. Aber mit dem Verständnis für die anderen Männerliebenden sind sie dann doch überfordert. Wer sollte dieses Verständnis auch aufbringen können, wenn er damit bei sich selbst schon überfordert ist? Ich erinnere mich grad an einen sehr jungen Schwulen, der vor vielen Jahren den Kontakt zu mir gesucht hatte und zu einem Date kam. Er stellte sich erst vor und erzählte mir dann alle seine Sünden und Missetaten, die er verbrochen hatte und fragte mich zuletzt: «Und jetzt du?» Ich war völlig überrascht. – Und jetzt, nach etwa drei Jahrzehnten, ergibt das endlich einen Sinn für mich!
Er wollte den Ballast in seinem Rucksack loswerden! Es gibt für Männerliebende keinen Beichtstuhl wie bei Franziskus, der übrigens weiterhin selber beichten geht. Aber es gibt überall viel Beichtmaterial, das uns daran hindert, Freundschaften «aufzubauen». Wenn ein Date schon nicht zur Ehe führt, dann könnte es wenigstens zu Solidarität reichen. Sein «Solo» hergeben, um eine individuelle Gruppe zu gewinnen. P.S. Für Willige: Horst. E. Richter, Lernziel Solidarität, Rowohlt TB 7251, 1979, 310 S.
PETER THOMMEN Peter Thommen (65), von Jugend an ausgeprägt gleichgeschlechtlich orientiert und späterhin eine Art Dokumentarist der schwulen Szene in Basel und anderswo, hat einen rosa Blick auf Geschichte und Tagesaktualitäten. Er hat im letzten Jahrhundert auch schwule Radiosendungen produziert. Trotzdem er im Kopf immer mal den Briefkasten mit dem Papierkorb verwechselt, hat er sich fleissig durchs schwule Leben geschrieben und findet auch in alten Büchern immer wieder überraschend Aktuelles. * S o lautet der Titel eine s Buche s v o n S i e g f r i e d Ru d o l f D u n d e a u s d e m J a h r 19 8 7. * * N Z Z a S v o m 13 .9.15 , S . 2 6
ILLUSTRATIONEN: ANASTASIYA UDOVENKO
VON PETER THOMMEN
MEINE STIMME!
Partner
Foto: Stefan M./photocase.de
e i t a r k , o h m c i e D cht D u a . r y b Dand
St채nderat
Vogt Hans-Ueli
Der brillante Kopf f체r Z체rich.