cruiser
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CHF 7.50
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DAS GRÖSSTE SCHWEIZER GAY-MAGAZIN
Break The Chains 2016
Hip-Hop, Rap und Homophobie
An der Fluchgasse
Ausgehen macht glücklich
Schwulenhetze gehört zum guten Ton
Ein Nachruf aufs (schwule) Niederdorf
Plädoyer fürs Partymachen C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
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Im April Risiken vermeiden, im Mai zum HIV-Test.
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Editorial Liebe Leser Auch dieses Jahr heisst es – wie immer im Frühling: «Gemeinsam gegen HIV». Ein nach wie vor ambitioniertes und unserer Meinung nach wichtiges Projekt der Aidshilfe. Das Konzept der Kampagne «Break The Chains» erklären wir ausführlich (und hübsch bebildert) ab Seite 4. Die Initianten zur Abschaffung der «Heiratsstrafe» haben ihr Ziel nicht erreicht! Das heisst, dass gleichgeschlechtliche Paare weiterhin heiraten dürfen. Allerdings ist das Ergebnis so knapp ausgefallen, dass wir uns nicht einfach auf die faule Haut legen dürfen und Pink Cross kündigt schon die nächste Runde an: Die Ehe für alle ZIVIS. Kurz, die Ehe für alle. Wir bleiben diesbezüglich dran und berichten, sobald diese Idee etwas konkreter wird. Kämpfen lohnt sich! Wir wünschen euch viel Spass beim aktuellen Cruiser! Herzlich; Haymo - Chefredaktor
inhalt
4 Special Break The Chains
20 Serie Homosexualität in
8 News National & International 9 Kolumne Weissbergs Weissheiten 10 News National & International 11 Thema Homophobie in der Musik, Teil 1
14 Serie Schwul auf dem Land Teil 1
Geschichte & Literatur
22 Serie Journeylicious! 23 Kolumne Michi Rüegg 24 Serie Mannsbild – Berufsbild 26 Kolumne Thommen meint 27 Serie Ikonen von Damals 29 Kolumne Pia Spatz
16 Kultur Update
30 R atgeber Dr. Gay
19 Kolumne Bötschi klatscht
31 Leseraktion
impressum
Im April konsequent RISIKEN VERMEIDEN. Warum? Um die Anzahl der HIV-Neuinfektionen zu senken. Damit der Sex für uns alle sicherer wird. «Break the Chains» macht’s möglich.
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breakthechains.ch
CRUISER MAGAZIN PRINT Herausgeber & Verleger Haymo Empl, empl.media Infos an die Redaktion redaktion@cruisermagazin.ch
Auflage 12 000 Exemplare, WEMF beglaubigte Auflage: 11 539 Exemplare Druck Druckerei Konstanz GmbH Wasserloses Druckverfahren
Chefredaktor Haymo Empl Bildredaktion Haymo Empl, Nicole Senn Bilder Bilddatenbank. Alle Bilder, soweit nicht anders vermerkt, mit Genehmigung der Urheber. Art Direktion Nicole Senn Redaktion Print Vinicio Albani, Thomas Borgmann, Bruno Bötschi, Daniel Diriwächter, Andreas Empl, Martin Ender, Andreas Faessler, René Gerber, Moel Maphy, Michi Rüegg, Alain Sorel, Pia Spatz, Tanja & Jenny, Peter Thommen, Marianne Weissberg Korrektorat Julie Montblanc Anzeigen anzeigen @ cruisermagazin.ch
REDAKTION UND VERLAGSADRESSE empl.media, Haymo Empl Winterthurerstrasse 76, 8006 Zürich redaktion @ cruisermagazin.ch Telefon 044 586 00 44 CRUISER MAGAZIN ONLINE Herausgeber & Verleger Haymo Empl, empl.media Infos an die Online-Redaktion online @ cruisermagazin.ch C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
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Special BRE AK THE CHAINS
Special BRE AK THE CHAINS
VON Vinicio Albani
BREAK THE CHAINS:
Wir stoppen HIV in 30 Tagen! Bereits zum fünften Mal findet im Frühling 2016 die Kampagne BREAK THE CHAINS statt. Ziel der Kampagne ist es, die Neuinfektionen mit HIV in der schwulen Community zu senken. Unbedingt mitmachen! Wir zeigen, wie’s geht.
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ereits zum fünften Mal findet im Frühling 2016 die Kampagne BREAK THE CHAINS statt. Ziel der Kampagne ist es, die Neuinfektionen mit HIV in der schwulen Community zu senken. Unbedingt mitmachen! Wir zeigen, wies geht.
Wie funktioniert BREAK THE CHAINS?
Viele Neuinfektionen mit HIV finden statt durch Männer, die glauben, sie seien HIV-negativ, sich aber vor kurzem unwissentlich angesteckt haben. Sie befinden sich dann in der Primoinfektion (die ersten Wochen nach einer Ansteckung). Eine Übertragung des Virus auf die Partner geschieht zu diesem Zeitpunkt viel schneller. Ein ungeschützter Kontakt kann genügen. Fact ist: Die meisten Schwulen schützen sich gut bei anonymen Kontakten. In Beziehungen bestehen oft Vereinbarungen. Unter Freunden aber, mit denen man ausserhalb der Beziehung ab und zu Sex hat, vertraut man sich und verzichtet oft auf ein Kondom. Dass dabei ein Risiko eingegangen wird, ist vielen nicht bewusst. Denn Vertrauen und Gefühle erschweren manchmal die Verwendung von Kondomen. Wer sich unbemerkt mit HIV ansteckt, verbreitet das Virus, ohne es zu wissen weiter und wird so Teil einer Kettenreaktion, die es es zu durchbrechen gilt.
Warum ist es wichtig, im April bis zum Test im Mai kein Risiko einzugehen?
Um HIV-Neuansteckungen zu verhindern, gilt es, einen Monat lang, das heisst im gan-
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zen Monat April bis zum Test im Mai, konsequent Risiken zu vermeiden. So kann die Kette unterbrochen werden. Je mehr Männer mitmachen, desto erfolgreicher bekämpfen wir HIV. Denn nur so können wir den Community Viral Load senken. Also erzähl deinen Freunden von BREAK THE CHAINS und mach mit. Unabhängig davon gelten die Safer-Sex-Regeln natürlich das ganze Jahr.
Was bedeutet, konsequent Risiken vermeiden?
Blasen / Oralverkehr (ohne Sperma im Mund), Küssen oder Wichsen stellen kein HIVRisiko dar. Risiken werden konsequent vermieden, indem man über den eigenen HIV-Status Bescheid weiss a ls HIV-positiver Mann unter wirksamer HIV-Therapie steht und die Viruslast nicht mehr nachweisbar ist in einer Zweierbeziehung, wo beide aktuell HIVnegativ sind, nur Sex untereinander hat nur mit Kondom Sex hat, wenn der HIV-Status des Sexpartners nicht bekannt ist
Warum sollen alle HIV-negativen Männer im Mai zum Test?
Im folgenden Monat Mai gehen alle Männer, deren letzter HIV-Test negativ war, wenn möglich mit ihren Sexpartnern, zum Test. Während der BREAK THE CHAINSKampagne kostet dieser nur CHF 10.– Die Teststellen finden sich auf breakthechains.ch. Wenn möglichst keine HIV-Übertragung ➔
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Special BRE AK THE CHAINS
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EXPLORE THE GAY WORLD
bei uns Schwulen stattfindet, kann die Kette unterbrochen und HIV erfolgreich bekämpft werden.
Wie sicher ist der HIV-Test nach vier Wochen?
In der Schweiz gilt ein HIV-Test drei Monate nach Risiko als sicher. Nach vier Wochen lässt sich eine Infektion gut nachweisen, eine Ansteckung aber noch nicht ganz ausschliessen. Zur Sicherheit wird ein zweiter Test drei Monate nach dem letzten Risikokontakt empfohlen. Warum nicht gleich zusammen mit dem gratis Syphilis-Test im Oktober?
Was ist der Community Viral Load?
Unter Community Viral Load versteht man die gesamte Viruslast in der Gay Community. Als Viruslast wird die Anzahl der HI-Viren bezeichnet, welche im Organismus einer HIV-positiven Person vorhanden sind. Je höher diese Viruslast ist, desto grösser ist das Ansteckungsrisiko mit HIV. C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
Die Viruslast ist in den ersten Monaten nach einer Infektion mit HIV sehr hoch (Primoinfektion). Dadurch ist das Risiko, sich mit HIV anzustecken, ebenfalls um ein vielfaches höher. HIV-positive Männer unter wirksamer antiretroviraler Therapie haben eine nicht nachweisbare Viruslast. Das heisst, das Virus ist im Blut praktisch nicht mehr vorhanden und sie sind nicht mehr ansteckend. Denn wo kein Virus ist, gibt es keine Ansteckung.
Was bringt die Aktion BREAK THE CHAINS?
Durch das Vermeiden von Risiken im April kann die Übertragungskette gestoppt werden. Je mehr Männer mitmachen, desto grösser die Erfolgschancen der Aktion. So sinkt der Community Viral Load und die Ansteckungswahrscheinlichkeit wird über die Jahre kleiner. Besuche uns auf Facebook facebook.com/Breakthechains.ch
Die jährlich wiederkehrende Kampagne «Break The Chains» für Männer, die Sex mit Männern haben, will die Anzahl der Neuinfektionen mit HIV senken. Ab nächstem Monat heisst dann die Devise: Kein Risiko eingehen, Safer Sex praktizieren und im Mai gemeinsam mit dem Sexpartner zum Test.
Spartacus International Gay Guide 2016 137 countries . 75 city maps . 21,000 addresses . 1,008 pages
Spartacus Hotel Guide 2016
85 countries . 900 hotels, guest houses & resorts . 384 pages
Spartacus Sauna Guide
63 countries . 650 gay saunas . 224 pages Hast du weitere Fragen zu BREAK THE CHAINS, zu HIV oder anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI)? Frag Dr. Gay! Stelle deine Frage direkt auf drgay.ch
Spartacus App for more information visit www.spartacusworld.com
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NEWS National & International
KOLUMNE Weissbergs Weissheiten
NEWS
Wer macht mir das Weisse-B( l)usen-
Kompliment?
Ab Fab kommt ins Kino Viel verrät der eben erschiene Trailer noch nicht, aber wir stossen schon jetzt mit den beiden Ladys an: Zum kommenden ersten Kinofilm von «Absolutely Fabulous» wurde jetzt der erste Ausschnitt veröffentlicht – er zeigt Jennifer Saunders und Joanna Lumley beim Schlürfen von Cocktails und mit Männern am Strand und auf einer Yacht. Etwas anderes hätten wir auch kaum erwartet. Gemäss dem Onlinemagazin «Quer.de» soll das
Es gibt ein paar Sachen, die können nur Männer so schön machen. Jedenfalls gegenüber CruiserKolumnistin Marianne Weissberg. Aber dafür brauchts ein wenig schwulen Esprit!
ganze Ensemble der einst so populären Serie mit dabei sein. Als Gaststars sind erneut Kate Moss, Emma Bunton und Lulu, sowie erstmals Harry Styles, Kelly Hoppen und Kim Kardashian zu sehen. Auch auf Chris Colfer und Joan Collins soll man sich freuen dürfen! Drehbeginn war im letzten Herbst an der Französischen Riviera – wann der Film in die Kinos kommt, ist noch unklar; der Starttermin wurde bereits mehrmals verschoben.
Homo-Ehe spaltet Italien Erst im vergangenen Jahr verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Italien wegen Missachtung der Rechte Homosexueller. Abhilfe ist schwer, das Thema spaltet Bevölkerung und Regierung. Die katholische Kirche Italiens leistet seit jeher erbitterten Widerstand gegen die Homo-Ehe. Daran ändert auch der Versuch von Papst Franziskus nichts, die harte Haltung des Vatikan gegenüber gleichgeschlechtlichen Partnerschaften aufzuweichen. Wie tief
VON Marianne Weissberg
das Misstrauen in der Bevölkerung verankert ist, hat die Autorin Bettina Gabbe eindrücklich in der «Südwest-Presse» dargelegt. «Wenn jemand schwul ist und guten Glaubens den Herrn sucht – wer bin ich, über ihn zu urteilen», hatte Papst Franziskus im Juli 2013 bei seiner ersten fliegenden Pressekonferenz auf dem Rückflug von Rio de Janeiro gesagt. Genützt hats nicht viel: Italien wurde 2015 wegen mangelnder Anerkennung der Rechte Homosexueller durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg verurteilt. Die katholische Kirche befürchtet, das geplante Gesetz könne die Ehe zwischen heterosexuellen
Partnern schwächen. Familien würden ohnehin zu wenig gefördert, meint der ehemalige Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Camillo Ruini. Es gebe viel wichtigere Probleme, wie etwa die verbreitete Armut. Verglichen damit seien die Rechte von Homosexuellen irrelevant. Der Streit hat sich jüngst wieder entzündet, als das Thema Adoption im Parlament diskutiert wurde; um diese annehmbar zu machen, wird eine verstärkte Ablehnung von Leihmütterschaften erwogen. Als möglich gilt auch, die Entscheidung über die Adoption nach zweijähriger Probezeit den Jugendgerichten zu überlassen.
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eulich wollte ein Techtelmechtel-Ex mit mir befreundet bleiben. Ich sagte: BEFREUNDET?! Also dafür habe ich ganz andere Massstäbe als jenes bisschen Bümseln! Und ja, ich war befremdet, denn wer mit mir befreundet sein möchte, muss sich anstrengen. Und ich mich genauso. Es ist quasi Liebe ohne überflüssige Körpersäfte, dafür mit all dem Rest, was eigentlich in einer Beziehung stattfinden sollte, es aber meist nicht tut: BEIDERSEITIGE BEGEISTERUNG UND ZUNEIGUNG. Für eine Freundschaft minus gibts doch das doofe Facebook.
«Für eine Freundschaft minus gibts doch das doofe Facebook. »
Also gut, ich habe auch Exen, die jetzt meine liebsten Freunde sind. Gaaanz wenige. Mit denen war ich schon während der Liebe echt befreundet. Sie waren klug, lustig, loyal, wussten, was ich gerne ass, hüteten die Goofen, das Meersäuli, den Hund und montierten Lampen. (Das einzige, was ich nicht selber kann.) Heute koche ich für sie Hühnersuppe, wenn sie Grippe und Liebeskummer haben. Wir reden auch mal kurzzeitig nicht mehr miteinander, dann greife ich freundschaftskummrig zum Telefon und rufe wieder an. Oder sie mich. Wie gesagt, es sind WENIGE. Einer, mit dem ich C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
jahrelang zusammen war, wurde nie mein Freund danach. Weil er es währenddessen NIE war. Und einer, der sich schlimm benahm, fantasierte eine Freundschaft herbei, für danach. Weil er dann plötzlich alle menschlichen Qualitäten vorweisen würde, die er nicht mal in der Promotionsphase besass? Wie kam er bloss auf diese Anmassung? Schmock! Doch was sind eigentlich die ganz kleinen Dinge, die beweisen, dass man sich freundschaftlich heiss liebt? Die da: Ein Freund sagte gestern beim Auswärtslunch, bei dem wir uns tausend Dinge erzählten: «Du bist eine der wenigen Frauen, die eine weisse Bluse tragen können. Du siehst darin so frisch und toll aus.» Ein Mann, der darüber nachdenkt, dass ich in einer WEISSEN BLUSE perfekt aussehe, ist ein fantastischer Freund!! Raten Sie mal, ob schwul oder nicht? Logo. Ich liebe ihn. Und das sagte ich ihm auch. Und das führt mich zum Dilemma beste Freundin. Sowas hatte ich selten, denn (unlesbische) Frauen sind praktisch ungeeignet als verlässliche Freundinnen. Haben sie einen (neuen) Macker, ist ihnen egal, was die (beste) Freundin tut oder gar braucht. Und sie machen nie das Weisse-Bluse-Kompliment, loben nie ein schönes Dekolleté, weil sie das nicht sehen wollen an einer anderen Frau, sprich Konkurrentin. Verglichen mit meinen guten Männer-Freunden sind sie komplett unentspannt. Sorry Ladies, aber es ist so. Da können wir in Sachen Freundschaft eben noch viel lernen von Männern. Natürlich nicht bei allen, denn wie gesagt,
Das will Frau Weissberg: Weisse Bluse, viele Perlenketten und ihren besten, schwulen Freund!
einige sind freundschaftsunkompatibel. Vorallem, wenn sie sich als brunzblöde Heteromacker profilieren wollen. Jedenfalls bei mir, vielleicht haben ja andere Frauen kleinere Ansprüche? Und so findet halt doch noch jeder T(r)opf das passende Deckeli!
Marianne Weissberg ist Buchautorin, Kolumnistin und Scheffin ihres eigenen Literaturlabels EditionVOLLREIF www.marianneweissberg.ch www.vollreif.ch C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
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NEWS National & International
Thema Homophobie in der Musik
NEWS
Diffamierung als
Pop-Phänomen
Die unsägliche «Ehe-Initiative» der CVP wurde bachab geschickt! Knapp war es am Abstimmungswochenende. Und spannend; so sehr hat die CruiserRedaktion selten bei Abstimmungen mitgefiebert, im Minutentakt wurden SofortNachrichten mit den aktuellsten Zahlen unter der Redaktion ausgetauscht. Dann endlich: Die Lobby-Arbeit von Pink Cross, dem Verein «Pro Aequalitate» und diversen anderen Verbänden, Vereinen und Privatpersonen hat Früchte getragen: Die Initiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe wurde abgelehnt – ergo auch die in unseren Augen falsche Definition von «Ehe» der CVP. So hätten die Folgen bei einem «Ja» fatale Auswirkungen haben können: «Ehe» wäre in der Verfassung ausdrücklich als Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau definiert worden, der Gesetzgeber hätte damit keine Möglichkeit mehr gehabt, die Eheschliessung zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren zu ermöglichen. Die CVP gab sich nach der Niederlage kämpferisch und droht: «Erneut wurde kein Systementscheid für die Be-
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Homophobie hat im Hip-Hop eine lange Tradition. Dass sich die Rap-Szene des schwulenfeindlichen Jargons als Stilmittel nicht mehr unwidersprochen bedienen kann, ist ein Verdienst des zunehmenden Protests. Erste schwule Rap-Stars mischen die Hetero-Welt des Hip-Hop gründlich auf.
VON Thomas Borgmann
seitigung der Heiratsstrafe getroffen. Das Ständemehr ist ein Erfolg und ein klares Zeichen für die gemeinsame Besteuerung. Getragen wurde die Initiative von unseren Mitgliedern und Sympathisantinnen. Die CVP wird sich auch in Zukunft gegen die Heiratsstrafe einsetzen». Ui! Da haben wir
aber Angst! Wir denken eher, dass die CVP sich künftig um andere Angelegenheiten kümmern muss – beispielsweise um weiteren Wählerschwund. Und so richtig fürchten muss sich die CVP vor Pink Cross: Der Dachverband der Community fordert nämlich per sofort die Einführung der Zivi-Ehe für alle.
Ein Kuss schreibt Geschichte Als erster Seemann nach einer langen Tour von einem kanadischen Schiff zu gehen, wird unter Seeleuten als grosse Ehre betrachtet. Und «Der Erste» hat noch ein anderes Privileg: Das umjubelte Von-Bord-Gehen endet traditionell damit, dass der Seemann seine Liebste küsst. Nun war das zum ersten Mal in der kanadischen Seefahrtsgeschichte anders. Das Los, durch das entschieden wird, wer der glückliche ist, löste einen historischen Moment aus: Der erste, der nach mehr als acht Monaten auf See in der Karibik die «HMCS Winnipeg» verliess, war Master Seaman Francis Legrae. Und der hat keine Liebste, sondern einen Partner, Corey Vautour. Soweit, so gut. (Noch vor wenigen Jahren wäre es übrigens absolut unmöglich gewesen, offen schwul der Marine zu dienen). Und nun also das: Francis Legra ging von Land und … küsste unter dem Jubel der Menge seinen Geliebten. «Ich musste 255 Tage auf diesen Kuss warten. Es hat sich grossartig angefühlt», sagte er danach dem kanadischen Fernsehsender CBC. C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
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inen Sturm der Entrüstung löste im November letzten Jahres der Norddeutsche Rundfunk (NDR) mit der Nominierung Xavier Naidoos zum deutschen Vertreter beim nächsten Eurovision Song Contest aus. Die ohne Publikumsbeteiligung getroffene Entscheidung wurde in der Presse und in den sozialen Medien so massiv kritisiert, dass der NDR die ESC-Teilnahme Naidoos schon zwei Tage danach wieder zurück nahm. Dabei war der Fernsehsender eigentlich stolz darauf, dass es ihm gelungen war, einen der erfolgreichsten deutschsprachigen Pop-Musiker für die Eurovisions-Arena zu gewinnen. Schliesslich kneifen die bekannten Stars aus Angst vor der Niederlage fast immer vor dem Wettbewerb. Naidoo aber polarisierte schon lange mit seinem teils kruden christlich-fundamentalistischen Gedankengut. Vor allem der Vorwurf der Homophobie mobilisierte die überwiegend queere Fangemeinde des ESC zum massiven Protest gegen Naidoos Teilnahme. Hintergrund dieses Vorwurfs ist das Album «Gespaltene Persönlichkeit», das Naidoo zusammen mit dem Rapper Kool Savas als das Duo Xavas im September 2012 herausbrachte. Der Song «Wo sind sie jetzt», der am Ende des Albums als sogenannter «hidden track» auftaucht, brachte dem ➔
«Und dann fick ich euch in den Arsch so wie ihr’s mit den Klein’ macht.»
Bild: Naidoo Records
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Xavier Naidoo: Schmusebarde mit extrem homophoben Ansichten. C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
Thema Homophobie in der Musik
Eminem erkannte schon früh, dass sich Platten nur mit provokativen Texten verkaufen.
Thema Homophobie in der Musik
Duo eine Strafanzeige der Linksjugend «Solid» und des deutschen Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) wegen Volksverhetzung und des Aufrufs zur Gewalt ein. Zwar taucht das Thema Homosexualität im Text des Songs nicht direkt auf, allerdings liegt es nahe, dass homosexuelle Männer gemeint sind, wenn es da heisst: «Ich schneid euch jetzt mal die Arme und die Beine ab. Und dann fick ich euch in den Arsch so wie ihr‘s mit den Klein‘ macht. Ich bin nur traurig und nicht wütend, trotzdem will ich euch töten. Ihr tötet Kinder und Föten, und dir zerquetsch ich die Klöten. Ihr habt einfach keine Grösse und eure kleinen Schwänze nicht im Griff. Warum liebst du keine Möse, weil jeder Mensch doch aus einer ist?» In einem Radiointerview rechtfertigte Naidoo, der auch für obskure Verschwörungstherorien bekannt ist, in diesem Song ginge es «um furchtbare Ritualmorde an Kindern, die tatsächlich ganz viel in Europa passieren, über die aber nie jemand spricht.» Auch betonte er in einer Stellung-
Bushido steht für Sexismus und Rassismus. Seine Fans lieben seine Texte.
nahme auf seiner Website, dass er Schwule nicht beleidigen wollte: «Ich stehe, seit ich denken kann, mit der katholischen Kirche auf Kriegsfuss, weil sie Schwule, Lesben und Transsexuelle nicht respektiert und akzeptiert. Diese Haltung ist völlig inakzeptabel, und wer gegen diese Menschen Verachtung und Hass aufbringt, der hat Jesus nicht verstanden.» Warum Sexualstraftäter und Satanisten aber nun ausschliesslich die sein sollen, die «keine Mösen» lieben, homosexuelle Männer also, erklärte er nicht. Auch die Staatsanwaltschaft sah in dem Text weder einen ausreichenden Anfangsverdacht zur Volksverhetzung noch zum Aufruf zum Totschlag und leitete kein Verfahren ein – die sprachlichen Entgleisungen seien von der Kunstfreiheit gedeckt. Den Imageschaden wurde Naidoo trotzdem nicht mehr los, was sich an dem Protest zu seiner ESC-Teilnahme zeigt. Dass der Song «Wo sind sie jetzt?» so viele Wogen schlagen konnte, liegt wohl auch daran, dass man solche Töne und Gewaltfantasien von dem smarten Star des deutschen Schmusesouls nicht gewohnt war. Xavier Naidoo, Vorbild für Millionen bei «The Voice of Germany» und Musterschüler des deutschsprachigen Pop, war eher für sanfte Töne bekannt, ganz im Gegensatz zu seinem Sangesbruder. Der Berliner Rapper Kool Savas hat bereits vor fünfzehn Jahren den deutschsprachigen Strassenrap mit Liedern wie «Lutsch meinen Schwanz» sozusagen im Alleingang salonfähig gemacht und fand zahlreiche Nachahmer von Bushido bis Sido.
hido rappte «Berlin wird wieder hart / denn wir verkloppen jede Schwuchtel» oder «Männer lutschen keine Schwänze».
«Alle Männer lutschen Schwänze.»
Zwar erklärt die Rapper-Szene immer wieder, dass mit schwul keine homosexuellen Männer gemeint seien, sondern das Wort vielmehr als Synonym für alles verwendet wird, was die Männlichkeit des imaginären Gegners in Frage stellt. Der amerikanische Rapper Eminem, der immerhin auch schon mit dem bekennenden schwulen britischen Superstar Elton John zusammengearbeitet hat, erklärte in einem Interview mit dem amerikanischen Musikmagazin «Rolling Stone» im November 2013: «Ich weiss nicht, wie ich es sagen soll, ohne mich eine Million Mal zu wiederholen. Aber das Wort und ähnliche Wörter fallen mir beim Battle-Rap ein, ich setze sie aber mit niemandem gleich. (…) Es ist mehr, als würdest du jemanden Schlampe oder Drecksack oder Arschloch nennen. (…) Ich mache mich über andere Leute lustig, über mich selbst. Aber das echte Ich sitzt jetzt hier und spricht mit dir und hat keine Probleme mit Homosexuellen, Heterosexuellen, Transsexuellen – nicht ein bisschen.» Sind die verbalen Enthemmungen also nichts anderes als eine harmlose Pro-
vokation und der reale Ton der Strasse, den man in Rap-Texten ja hören will? Und wird es dadurch besser, wenn Begriffe wie «Schwuchtel» lediglich im abqualifizierenden Sinne von Schwäche und Unterlegenheit benutzt werden, wenn die harten Kerle sich batteln, wie die wortreichen Beschimpfungen der Kontrahenten am Mikrophon genannt werden?
«Je mehr ich angegriffen werde, desto mehr Alben verkaufe ich.»
Zweifellos ist der systematische Normbruch ein wesentlicher Bestandteil des Rap, der oft nur um der Provokation willen betrieben wird und mit dem nicht zwangsläufig auch ein entsprechendes Weltbild verbunden ist. Begriffe wie «Schwuchtel» und frauenfeindliche Schmähungen wie «Schlampe» und «bitch» zielen darauf ab, politisch unkorrekt zu provozieren und mit Tabubrüchen die Verkaufszahlen anzukurbeln. Eminem wusste bereits vor sechzehn Jahren: «Je mehr ich angegriffen werde, desto mehr Alben verkaufe ich.» Ungeachtet dessen, dass es durchaus kritisch zu sehen ist, wenn Begriffe für eine sexuelle Orientierung als Stilmittel zur Abqualifizierung eines anderen Menschen benutzt werden,
lassen manche Rapper aber auch einen derart offenen und aggressiven Schwulenhass erkennen, der mit keiner Erklärung als Stilmittel, Inszenierung, Provokation oder Kunst des Übertreibens verteidigt oder ignoriert werden kann. So hat 2007 selbst das für Sexismus und Rassismus bekannte Hip-Hop-Label Aggro Berlin den pubertären Rapper G-Hot gefeuert, weil er es mit einem Hass-Clip zu weit getrieben hat. Sein Hip-Hop-Track «Keine Toleranz» ruft offen zur Gewalt gegen Homosexuelle auf mit Textzeilen wie «Ich geh mit zehn MGs zum CSD und kämpfe für die Heten, die auf Mädchen stehn. (…) Was ist bloss passiert, sie werden akzeptiert, es gab Zeiten, da wurden sie mit der Axt halbiert.» Eine Berliner Rapperin stellte Strafanzeige gegen G-Hot, woraufhin sich das Label und die Musiksender MTV und VIVA deutlich von dem Titel distanzierten. G-Hot, der sich inzwischen Jihad nennt, war um wenig glaubhafte Erklärungen bemüht und beteuerte, er hätte den Song niemals veröffentlichen wollen. Der Track sei gegen seinen Willen von einem Dritten ins Netz gestellt worden und obendrein ironisch als überspitzte Darstellung und Konterkarierung gängiger Vorurteile gemeint. Woher die zum Teil massiven schwulen- und frauenfeindlichen Inhalte von Songs aus der Rap- und Reggae-Musik rühren und wie sich zunehmend eine Gegenbewegung Gehör verschafft, darüber berichten wir in der nächsten Ausgabe.
Schwulenhass als Kassenschlager
Abschätzige Äusserungen über Schwule und Lesben, wie auch Bilder von sexueller Gewalt und sexistische Inhalte gegen Frauen, gehören quasi zum «guten Ton» nicht nur des deutschsprachigen Rap. Homophobie scheint dem Hip-Hop so tief eingeschrieben, dass ein amerikanischer Rapper ohne «faggot», dem englischen Wort für «Schwuchtel» im Fluchrepertoire leicht in den Verdacht kommen könnte, selbst schwul zu sein, was im Macho-Milieu dieses Musikgenres eine der schlimmsten Ächtungen überhaupt ist. Vor allem im Strassenrap gehören schwule Zuschreibungen in allen Variationen zu den Songtexten wie das Maschinengewehrgeknatter zum Soundmix. Das zieht sich quer durch die Charts: The Game und Busta Rhymes hetzen, Ice Cube pöbelte, dass «echte Niggas nicht schwul» sind, 50 Cent will mit «Tunten» nichts zu tun haben und auch Kool Savas, der Sangesbruder von Xavier Naidoo, titelte 2001: «Alle MCs sind schwul». Der Szenestar BusC R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
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Serie Schwul auf dem Land
Schwul
auf dem land Luzern – Stadt von Welt mitten im katholisch-konservativen Kanton (K)ein Drama in zwei Teilen
Serie Schwul auf dem Land
VON Martin Ender
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ie lebt es sich als Schwuler in einer kleineren Stadt, die umringt ist von einer Landschaft mit tief katholisch-konservativem Denken? Cruiser befragte zwei junge Männer, die sich gerade deswegen offen schwul in einer bürgerlichen Partei stark engagieren. Als «kleines, schlecht gebautes, menschenleeres Städtchen» beschrieb Arthur Schopenhauer 1803 die Stadt Luzern. Allerdings sei es von der Lage her einer der schönsten Orte der Schweiz. Diese Hauptattraktion der Stadt, die Aussicht auf die majestätischen Alpen und auf den Vierwaldstättersee, nutzten in den darauffolgenden Jahrzehnten etliche Hotel-Pioniere. Auf dem aufgeschütteten Schweizerhofquai wurde 1845 das Hotel Schweizerhof Luzern eröffnet. Das Grand Hotel National Luzern folgte 1871. Die Stadt wurde zum See hin umgepolt und «Störendes» wie die alte Hofbrücke zum Verschwinden gebracht. Ältere noble Etablissements in der engen Altstadt hatten keine Chance gegen die luxuriösen Herbergen vorne am See. Für das Hotel Palace legte man rund eine Million hin allein für sumpfiges Land. Weitere vier Millionen kostete der Bau. Als das Hotel 1906 eröffnet wurde, zählte es zu den elegantesten der Welt. Luzern stieg auf zur attraktivsten Touristen-Stadt der Schweiz. Die drei Luxus-Herbergen machten der Welt vor, was echtes Gastgebertum ist. Die insgesamt 1200 Betten wurden damals vorwiegend von Gästen aus England und den USA genutzt. Heute kommen Luzerns Touristen hauptsächlich aus Asien, was auf dem Schwanenplatz mit seinen Uhren- und Bijouteriegeschäften nicht zu übersehen ist. Seit Dezember 2015 ist auch das Hotel Palace fest in asiatischer Hand. Es wurde an den chinesischen Investor Yunfeng Gao verkauft.
Der «Schüttstein der Schweiz»
Touris sind in Luzern allgegenwärtig. Schwule nicht.
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Die Stadt Luzern erhält aufgrund des Pilatus-Massivs reichlich Regen, was ihr den Spot-Namen «Schüttstein der Schweiz» bescherte, andererseits sorgt der Föhn oft für überdurchschnittliche Temperaturen im Herbst und im Frühling. Der flächenmässig eher kleine Kanton (an neunter Stelle) weist sehr unterschiedliche Klimazonen auf. Im Nordteil regnet es bedeutend weniger als im Pilatus- oder Napfgebiet. Und Am Rigi-Südhang, geschützt vor kalten Nordwinden, gedeihen Feigen, Edelkastanien, Weintrauben und Palmen. So unterschiedlich das Klima, so unterschiedlich sind auch die Dialekte und die politische Ausrichtung. Im Entlebuch lehnt sich die Sprache ans Berndeutsche. Das Gebiet der Rigigemeinden kann dem Schwyzer
Solche Exemplare findet man in Luzern eher selten. Und schon gar nicht auf dem Hausberg – dem Pilatus. Dialekt zugeordnet werden. Das hochalemannische Luzerndeutsch wird vor allem in der Grossregion Luzern-Sempach-Seetal gesprochen. Politisch gesehen grenzt sich die Stadt mit einer rot-grünen Regierung stark von der CVP-dominierten Landschaft ab. Im grossen Stadtrat mit insgesamt 48 Sitzen hat die SP mit elf Vertretern mehr Sitze inne als die CVP mit deren neun. Im fünfköpfigen Stadtrat ist Rot-Grün in der Mehrheit.
Vorschau Teil 2 Wir dürfen uns im nächsten Cruiser auf Nico Planzer und Denis Kläfiger freuen – beides gestandene Männer mit politischen Ambitionen.
Grosses politisches Gefälle
Ausserhalb der Stadtmauern sieht die politische Welt aber ganz anders aus. Im Kantonsrat verfügt der gesamte Rot-Grüne Block gerade mal über 28 Stimmen und kommt damit nicht einmal gegen die mit 38 Sitzen dominierende CVP an. Auf dem Lande haben rot-grüne und LGBT-Forderungen kaum eine Chance. Für Schwule in Luzern heisst das vereinfacht gesagt: auf dem Lande ist das Leben etwas schwieriger als in der Stadt. Und Alternativen zur nicht besonders LGBT-freundlichen CVP müssen erst aufgebaut werden. Wie einfach oder schwierig das ist, werden zwei Politiker im nächsten Cruiser im Interview beantworten.
Serie «Schwul auf dem Land» In unserer Serie «Schwul auf dem Land» portraitieren wir spannende Menschen abseits der grossen Ballungszentren. Lebst auch du eher «ländlich»? Wir freuen uns auf ein kurzes Mail an: redaktion @ cruisermagazin.ch C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
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KULTUR Update
Kultur Update
KULTUR
Sweet Memories oder … …ehm.
Eine Chronik über das SchLeZ Während gut sechs Jahren, von 1991 bis 1997, gab es in Basel ein Schwulen- und Lesbenzentrum (SchLeZ). Seine bewegte Geschichte von der Idee bis zum Scheitern kann nun in einer reich dokumentierten Chronik von Thomas Huber, der damals selber im Zentrum aktiv war, nachverfolgt werden. Das SchLeZ wurde gute fünf Jahre selbstverwaltet geführt, dann nach einer Pause noch ein halbes Jahr von den Organisationen Homosexuelle Arbeitsgruppen Basel (HABS) und Isola-Club. Entstanden war das SchLeZ als Spätfolge der Ausstellung «Männergeschichten» von 1988, deren gut besuchtes Café den Wunsch nach einer Begegnungsstätte aufkommen liess. Nach langer Lokalsuche und
Auseinandersetzungen um die nötigen Bewilligungen, konnte das Zentrum am 19. Januar 1991 im unteren Kleinbasel eröffnet werden. Thomas Huber hat mit Hilfe aller verfügbarer Dokumente eine präzise Chronik verfasst, die von der Lokalsuche über die Veranstaltungen bis zum Verhältnis von Schwulen und Lesben alle denkbaren Themen behandelt. Thomas Huber Das Schwulen- und Lesbenzentrum in Basel Arcados Verlag Basel Broschüre A4, 100 Seiten in Farbe, 38 Fotografien, 3 Fotocollagen, 40 Faksimile von Dokumenten. CHF 29.– | ISBN 978-3-85522-010-6
Männer-Retrospektive & Akt-Fotografie Zum 20-jährigen Jubiläum seines Projektes «Mann & Sein» stellt der Laupener Juerg Kilchherr unter dem Titel «Männergefühle» einen umfassenden Querschnitt aus seinem Schaffen in «Stef ’s Kultur Bistro» in Ostermundigen aus. Vom 16. März bis 17. April sind seine Anfänge in naiver Malerei – über Popart bis zum Porträt – und vielen neuen Kleinformaten zum Thema «Der Bi-Mann und seine Sehnsüchte» erstmals zu sehen. Am 20.März ist Juerg Kilchherr ab 14 Uhr zusammen mit dem Mitaussteller Serge Stauffer, der in einem zweiten Raum seine Aktfotografien zeigt, an der Bernstrasse 101 in Ostermundigen anwesend. Die Ausstellung dauert noch bis zum 17. April.
«Kultur» im eher weiteren Sinne bietet «Sweet Memories». Bei diesem Memory-Spiel hat der Berliner Künstler Paul Astor ausschliesslich das beste Stück in Szene gesetzt. Eine Sammlung von 32 Kartenpaaren zeigt gekonnt und farbenfroh illustriert: Tataaa! Vorhang auf! Nichts anderes als Penisse. Die weiss-goldene Verpackung wirkt wie eine Pralinenschachtel – die grosse Überraschung kommt beim Öffnen: 32 unterschiedliche Penisse in jeder Grösse, Form, Hautfarbe und jedem...Erregungszustand. Namen wie «Working Hard», «Casual Friday» oder «Welcome to Miami» lassen der Phantasie freien Lauf. «Sweet Memories» ist ansonsten ein klassisches Memospiel: Alle Karten werden mit der Bildseite nach unten ausgelegt. Der erste Spieler dreht zwei Karten seiner Wahl um. Wenn die Motive identisch sind, darf er das Kartenpaar nehmen und kann sein Glück direkt noch einmal versuchen. Sind es zwei unterschiedliche Bilder, ist der nächste Mitspieler an der Reihe. Gewonnen hat, wer zum Schluss die meisten Penispaare ergattert hat. Paul Astor überrascht und begeistert seine Spieler mit süssen Erinnerungen, die so elegant verpackt in jedem Wohnzimmer gut aussehen. «Sweet Memories» ist perfekt für den nächsten Spieleabend (oder bevor man sich in den Ausgang stürzt …). Preis: ca. CHF 24.– plus Versand. Zu beziehen über: www.paulastor.com oder Amazon
Petra lässts krachen! Im März wird in der TipTopBar am Seilergraben gefeiert – Petra und Entourage lassen die Korken krachen und stossen auf drei Jahre Glamour, Spass und feuchtfröhliche Abende an. Natürlich wird es im ganzen Monat März immer wieder diverse Specials geben … und klar auch, dass Petra wie gewohnt von und mit ihren Gastgeberqualitäten überzeugen. Weitere Infos unter www.tip-top-bar.ch.
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KULTUR Update
KOLUMNE Bötschi kl atscht
Ein Ort voller Geschichte und Geschichten im Zürcher Niederdorf
Ausgehen macht glücklich:
Plädoyer für das Partymachen Im März ist es wieder so weit: In Zürich wird im Club «Hive» die Blumenparty gefeiert. Feiern? Das schwule Zürcher Nachtleben ist in die Jahre gekommen. Aber Totgesagte leben länger.
VON BRUNO BÖTSCHI
An der «Fluchgasse»: Vom «unverwüstlichen Roger Pfändler» (Zitat Buch!)…über halbnackte Männer im «T&M»…bis hin zu Originalflyern von «Tamara & Marisa».
Die wichtigste Strasse im mittelalterlichen Zürich war die Marktgasse. Hier wurde gewerkt und gehandelt, gezecht und gerauft. Und hier, an ihrem oberen Ende und einander gegenüber, lagen das «Rothus» und das «Goldene Schwert». Und in beiden wurde seit dem 14. Jahrhundert gewirtet, im «Goldenen Schwert» bis vor wenigen Jahren, im «Rothus». bis zum heutigen Tag. Reich illustriert mit alten Plänen und Fotografien, erzählt das Buch die Geschichte der Marktgasse vom frühen Mittelalter bis zur heutigen Zeit. Von der Entwicklung der Zürcher Altstadt und ihren Plätzen und Häusern sowie den Menschen, die dort arbeiteten, ihren Geschäften nachgingen, sich stritten und sich liebten. Vor allem aber wird ausführlich und angereichert mit vielen historischen Details darüber berichtet, was sich im Laufe der letzten siebenhundert Jahre im «Rothus» und «Goldenen Schwert» so alles tat. Es ist die Geschichte von Wirten, die kamen und gingen, von Rechtsstreitigkeiten, von Cabarets und Varietés, von Schwulen, käuflichen Damen und Burgunderschnecken, von deutschen Emigranten, die sich über die Nazis lustig machten, bis zu Vico C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
Torriani, der hier seine Karriere startete. Wenn vom «Goldenen Schwert» die Rede ist, darf natürlich auch das T & M nicht fehlen. Das Buch widmet denn auch ein ganzes Kapitel Roger Pfändler – Komponist, Mitbegründer des T & M, Visionär und Strippenzieher der Schweizer Gay Szene. Das Buch wurde von Beat Curti in Auftrag gegeben; der Unternehmer beteiligte sich an den Liegenschaften «Rothus» und «Goldenes Schwert», die beide Hans Jecklin gehörten. Der Plan der beiden Unternehmer: das «Rothus» in ein modernes Hotel umbauen, das «Goldene Schwert» durch einen Neubau mit Wohnungen und einer grossen Ladenf läche ersetzen. Dies ist auch geschehen und – wir wissen es – das T & M ein weiteres Kapitel in der «Fluchgasse».
Buchtipp Barbara Franzen & Andreas Z’Graggen: An der Fluchgasse. 200 Seiten mit 150 Illustrationen und Fotos. ISBN 978-3-03810-134-5, 200 Seiten. Ca. CHF 38.– im Handel erhältlich
D
as Nachtleben in Zürich hatte es einst in sich. Schauspieler Rupert Everett («Sex ist der Motor meines Lebens») verlustierte sich in der «Männerzone». Klaus Wowereit, ehemaliger Bürgermeister von Berlin, besuchte das «Labyrinth». Die Kabinen in den Toiletten wurden gruppenweise besucht. Mit Esther Maurer, von 1998 bis 2010 Stadtzürcher Polizeivorsteherin, hat sich allerdings einiges verändert. Frau Maurer sah ihr gutes, altes Zürich im Chaos versinken. Als die «Weltwoche» dann über das «Spider Galaxy» schrieb, dort würden die «härtesten Partyextremisten des Landes» verkehren, hatte die SP-Politikerin keine andere Wahl mehr.
«Frau Maurer mag Clubs nicht, in denen Menschen oben ohne tanzen.» Frau Maurer mag Clubs nicht, in denen Menschen oben ohne tanzen und nicht nur wegen der Techno-Musik über die Tanzfläche schweben. Sie wollte sich auch nicht länger wundern über Menschen, die am Sonntagmorgen verstrahlt grinsend aus Clubs schlendern, statt verzückt lächelnd in die Kirche zu pilgern.
Die Stadträtin wollte es wieder hübsch haben. Das Leben ist ja zumeist nicht hübsch. Auf den Trottoirs kleben Kaugummis, Männer mit Überbeinen tragen Sandalen, dicke Frauen Leggins und die Clubs spielen Musik und verursachen Lärm. Die Polizei wurde losgeschickt: Es begann 2005 mit einer Razzia in den beiden Clubs «Spider Galaxy» und «Stoffwechsel 15». «Tele Züri» wurde zur Berichterstattung aufgeboten, um der Stadtbevölkerung abends in den Nachrichten beweisen zu können: Das ist der traurige Partyalltag. Es folgten Razzien im «Q» und in der «Dachkantine», 2006 gab es eine im «Labyrinth», 2007 weitere im «Labitzke», in der «Zukunft» und im «Hive». Ins «Kaufleuten», damals bekanntermassen der Club in der Limmatstadt mit dem höchsten Kokain-Verbrauch pro Gast, ging die Polizei nicht. Bald regte sich Widerstand. Frau Maurer sagte an einer Diskussion im Volkshaus, dass die Zunahme von Gewalt in Clubs nicht tragbar sei. Eine Aussage, die vom grösstenteils schwulen Publikum mit Unverständnis quittiert wurde, denn gerade Gewalt sei bei Schwulenclubs überhaupt kein Thema. Statt Taxis standen Polizeiautos vor den Clubs. Die repressive Politik führte zu Verunsicherung in der Szene. Rasch wurde Frau Maurer als Totengräberin des Zürcher Nachtlebens verschrien, übler noch als Rauchverbot, Gayromeo, Grindr, Scruff und Tinder.
Im Nachtleben geht es aber nicht nur um Ekstase und wenn, dann muss es ja nicht immer gleich eine derart bewusstseinserweiternde Form unter Zuführung von Pilleli und Pülverli sein. «Im Club geht es auch um Identität», schrieb Journalistin Bettina Weber. «Wo sonst kann sich jeder und jede, unabhängig von der Rolle im Alltag, ein komplett anderes Ich zulegen?» Frau Maurer ist weg und das Partyleben wieder erwacht. Zarte Pflanze Hoffnung. Nicht mehr so ekstatisch wie zu Zeiten von «Labyrinth» und «Aera». Im «Stairs» darf Mann nur während schwulen Partys oben ohne tanzen. Im neuen «King’s Club» muss das Musikkonzept nochmals überdacht werden, dafür steht der schönste Securitymann weit und breit vor der Tür. Ein Teil des Partyvolks ist zudem abgewandert in halboffizielle Clubs. Einlass kriegt dort nur, wer auf der Gästeliste ist. Einmal im Jahr gibt es etwas Besseres. Einmal im Jahr ist alles voller Blumen. Während der Blumenparty lässt Willy Bühlmann im «Hive» das legendäre «Aera» auferstehen. Das nächste Klassentreffen blüht am Samstag, 19. März. Natürlich gehe ich hin. Vor einem Jahr spuckte mich das «Hive» erst in den späten Morgenstunden wieder aus. Ausgehen macht glücklich, sich die Nächte um die Ohren schlagen beschwingt, Tanzen befreit. – Momoll, Frau Maurer. www.brunoboetschi.ch C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
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SERIE Homose xualität in Geschichte & Literatur
SERIE Homose xualität in Geschichte & Literatur
VON Alain Sorel
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rst noch war er da gewesen, an diesem Tag Ende Oktober des Jahres 130 n. Chr., während sein Mentor und Liebhaber, der römische Kaiser Hadrian, in seiner fürstlich ausgestatteten Barke auf dem Nil bei der mittelägyptischen Stadt Besa Regierungsgeschäfte erledigte. Immer wieder hatte Hadrian vom Schreiben und Lesen aufgeschaut und sich nicht satt sehen können am «jungen Windspiel», wie er den graziösen, leichtfüssigen Jüngling zärtlich nannte. Dann war sein Gefährte plötzlich verschwunden, wurde verzweifelt gesucht – und tot aus dem Nil gezogen. Der Kaiser war ein gebrochener Mann und wurde nie wieder der alte. Nicht einmal zwanzig Jahre lang hatte Antinoos gelebt, ein flüchtiger Gast auf Erden. Hadrian aber setzte ihm unzählige Denkmäler, gründete am Nil zum Gedenken an den Toten die Stadt Antinoë, liess ihn auf Bau- und Bildwerken verewigen, auf Münzen prägen und zum Gott erheben. Ein Kaiser von Rom durfte so etwas tun. Aber auch die Herrscher über ein Weltreich wie Rom waren dem Schicksal unterworfen, wie Hadrian schmerzlich erfahren musste. Auch sie konnten letztlich nicht wissen, wann ihnen die Stunde schlug – oder eben jenen, die sie liebten.
«Dann wurde sein Gefährte verzweifelt gesucht und – tot aus dem Nil gezogen. »
Ein Knabe fällt auf
Aus Leidenschaft für den Geliebten
im Nil ertrunken?
Ein Junge aus Kleinasien schaffte es ganz nach oben. Der Jüngling Antinoos durfte den römischen Kaiser Hadrian kennenlernen. Er wurde sein ständiger Begleiter, sie fanden sich seelisch, geistig und körperlich. Eine lange glückliche Zeit miteinander war ihnen aber nicht vergönnt. C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
Zum Zeitpunkt des Unglücks waren Hadrian und Antinoos weitab von Rom gewesen. Ganz klar, dass der Kaiser den Geliebten stets um sich haben wollte, und der begleitete ihn denn auch tatsächlich immer, wohin es auch ging. Römische Kaiser durften keine Reisemuffel sein – sie mussten in den entlegensten Provinzen ihres Riesenreiches Präsenz, und zwar persönliche, markieren, drohten doch stets Aufstände und Abspaltungsgelüste unterworfener Völker. Eine Erkundung der Lage durch den Herrscher hatte einst auch zur Begegnung zwischen Hadrian und Antinoos geführt. Der Kaiser hatte in der Stadt Bithynion, heute Bolu im Norden der Türkei, Halt gemacht, dem Heimatort von Antinoos. Dieser, zwischen 110 und 112 n. Chr. geboren, dürfte etwa zehnbis zwölfjährig gewesen sein, ein Knabe mit einem verträumten Blick, als ihn der Kaiser wohl erstmals zu Gesicht bekommen hatte.
Möglicherweise war er ein Waisenkind, das dann an den kaiserlichen Hof nach Rom gebracht wurde und eine Ausbildung in einer Pagenschule erhielt. Hadrian liess ihn nicht mehr aus den Augen. Das eigentliche Liebesverhältnis zwischen den beiden dauerte etwa fünf Jahre, bis zum tragischen Jahr 130 n. Chr.
Einfluss dank Bettgeflüster
Christliche Moralvorstellungen sind schlechte Ratgeber, um eine Beziehung wie jene zwischen Hadrian und Antinoos zu charakterisieren. Im klassischen Griechenland war eine solche zwischen zwei männlichen Personen in der Gesellschaft institutionalisiert, und in Rom wurde die Liebe zwischen einem älteren Mann und einem jüngeren gleichfalls praktiziert. Nicht nur erotisch funkte es aber zwischen Hadrian und Antinoos, sondern auch geistig und seelisch. Das war möglich, weil der Römer im Bithynier einen intellektuell regen Partner fand. An sich hielt der Kaiser Regierungsgeschäfte und Privatleben strikt voneinander getrennt, aber es ist anzunehmen, dass Antinoos indirekt durchaus Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen konnte. Bettgeflüster kann weit reichen und hat es in sich, Welt- oder zumindest Landesgeschichte zu bewirken … Natürlich wohnte der gesunde Geist des Antinoos in einem gesunden, attraktiven Körper. Die Schriftstellerin Marguerite Yourcenar legt in ihrem Hadrian-Roman («Ich zähmte die Wölfin») dem Staatslenker folgende Worte über Antinoos in den Mund: «Da sehe ich unter nachtschwarzem Gelock ein geneigtes Haupt, Augen, die hinter den langgeschnittenen Lidern aussehen, als stünden sie schräg, und ein junges, volles Gesicht…
«Antinoos könnte es heute mit jedem männlichen Model aufnehmen.»
Eine Woche träger Ruhe genügte, um ihn zu verweichlichen, und ein Nachmittag auf der Jagd, um seine Kraft und Geschwindigkeit wiederherzustellen …» Yourcenar hat in ihrem Werk den Kaiser porträtiert, der von 117 bis 138 n. Chr. regierte und Rom eine Periode der Stabilität bescherte. Rom-Kenner dürften sich an seine Bauten erinnern: die Hadriansvilla in Tivoli oder das Pantheon.
Perfekter Body für den Laufsteg
Das genaue Aussehen des Gefährten von Hadrian ist schwierig zu eruieren, weil die meisten Bildwerke den vergöttlichten und damit veredelten Antinoos zeigen. Aber Yourcenar dürfte den Kopf vortrefflich beschrieben haben, und nach den sonstigen Bildnissen sind breite Schultern sowie ein ausladender Brustkasten als Teil eines gleichzeitig schlanken, athletisch gebauten Körpers als Grundmuster anzunehmen. Antinoos könnte es heute mit jedem männlichen Model aufnehmen. Kein Wunder, dass der durchtrainierte Antinoos ein ausdauernder Jäger war – nicht unwichtig im Umgang mit einem Kaiser, für den die Jagd ein Macht- und Statussymbol war. War es auch da Schicksal, dass Hadrian Antinoos auf einer Jagd das Leben rettete? Sollte er ihm – das Jahr 130 n. Chr. war gekommen – einen letzten Liebesdienst erweisen dürfen? In der Ammon-Oase in der Libyschen Wüste ängstigte ein Löwe die Leute. Die beiden Jäger stellten das Tier, Antinoos durchbohrte es mit einem Speer, doch noch einmal bäumte sich die Raubkatze auf und hätte den überraschten, wehrlosen Burschen zerfleischt, wenn nicht der erfahrene Hadrian vorausschauend sich zwischen den Geliebten und die Bestie gestellt und ihr den Gnadenstoss gegeben hätte.
«War Antinoos im Suff über Bord gefallen?»
Und doch war die Uhr von Antinoos abgelaufen. Hadrians entsetzliche Erkenntnis beim Auffinden der Leiche: «Dieser sonst so gefügige Leib liess sich nicht wieder wärmen und wecken.» Was aber war geschehen? War Antinoos betrunken über Bord gefallen? Gab es eine höfische Intrige mit einem Attentat? Beging er Selbstmord, weil ihm die Nachstellungen des Kaisers zuviel wurden? Oder wollte Antinoos gar in Antwort auf seine Errettung vor dem Löwen beweisen, dass auch er aus Leidenschaft bereit war, sein Leben für den Freund einzusetzen und hinzugeben? Als möglich gilt nämlich, dass Antinoos den Tod in den Fluten bewusst suchte – im festen Glauben, seine Lebensjahre würden dadurch jenen des Kaisers zugeschlagen werden. Zurück blieb Hadrian, dem in den Nächten danach in seiner tiefen Trauer ein wie ein Edelstein funkelnder Stern auffiel, den er zu jenem des Antinoos machte. So fand er ein wenig Trost in der Hoffnung, vom Himmel her leuchte ihm sein junger Freund. C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
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Cruiser reist
KOLUMNE MICHI RÜEGG
Wir befinden uns
im Krieg
Die Weltwoche macht mobil gegen alle, die nach katholischer Lehre zur Hölle fahren. Das wären dann wir.
«Tropical»
VON Michi Rüegg
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ieber Leser. Es ist soweit. Wir bitten dich, sofort in den nächsten Laden zu stürmen und dir einen Notvorrat an Wattebällchen, Proteinpulver und Einwegklistieren anzuschaffen. Des weitern machst du dich bitte vertraut mit den Schutzraumvorschriften deines Hauses oder deines Quartiers. Nachts sind die Lichter zu löschen und wenn du aus dem Haus gehst, nimm dich in Acht vor Heckenschützen. Denn ja, während du das hier liest, bricht gerade ein Krieg aus. Hier bei uns. Und jetzt. Und zu allem Übel bist du auch noch am Ausbruch mitschuldig.
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«Die Hexen haben sich alle selber verbrannt. Und CO2 ist gut für die Umwelt. Kann man einem Hund vorwerfen, dass er sabbert?»
maennerzone.com
Ja, denn es handelt sich um «eine Art gesellschaftspolitischen Sonderbundskrieg», wie ein gewisser Florian Schwab aus der Weltwoche-Redaktion ihn bezeichnet. Anlass dafür bietet die CVP-Initiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe, über die das Schweizer Volk abgestimmt haben wird, wenn diese Zeilen hier gedruckt sind. Ob sie
angenommen oder abgelehnt worden ist, spielt keine Rolle. Wichtig ist nur: Sie hat einen Krieg ausgelöst. Zwischen den vernünftigen Kräften in unserem Land auf der einen Seite – konservativen Katholiken, Sektenmitgliedern, Rechtsnationalisten – und den zerstörerischen Kräften auf der anderen Seite. Dazu gehören neben der FDP auch wir. Denn, so Redaktor Schwab: die einst so wundervollen Liberalen würden unterstützt durch «schrille Homosexuellenorganisationen» und gemeinsam würden wir ebendiesen Krieg vom Zaun brechen. Steht so drin. Nun mag sich der durchschnittliche Bewohner von Aleppo angesichts dieser Rhetorik etwas wundern. Schliesslich hat Krieg ja noch andere Dimensionen als das Versenden von Pressemitteilungen und das Liken von Facebook-Posts. Aber wir wollen der Weltwoche nicht vorhalten, dass sie es hier mit der wahren Bedeutung einer Sache nicht ganz so genau nimmt. Schliesslich tut sie das andernorts auch nicht. Kann man einem Hund vorwerfen, dass er sabbert? Immerhin ignoriert uns das Blatt nicht. Vergangenes Jahr erinnerte die Weltwoche etwa daran, dass sich vor allem Homosexuelle mit Aids anstecken. Oder sie eilte Bischof Vitus Huonder zu Hülf, der für seine alttestamentale Geisselung der Homosexualität Prügel einstecken musste. Und sie kritisierte, dass die Diskriminierung Homosexueller strafbar sein soll. Oder sie fand, Schwule und Lesben sollten bitte nicht he-
terosexuelle Hochzeiten imitieren. Ach, einen hab ich noch: Derselbe Florian Schwab beklagte sich in einem anderen Text darüber, dass der «weisse Hetero-Mann» ungestraft diskriminiert werden dürfe, während unsereins gesetzlichen Schutz geniesse. Tatsächlich ist die jahrhundertelange systematische Diskrimierung des gesunden weissen Mannes durch die schrillen Tunten eine Ungerechtigkeit, die unsere Gesellschaft noch immer nicht verdaut hat. Und die Hexen haben sich alle selber verbrannt. Und CO2 ist gut für die Umwelt. Und Ausländer haben halt ein Kriminellen-Gen im Blut.
«Die jahrhundertelange Diskriminierung des gesunden weissen Mannes durch Tunten hat unsere Gesellschaft noch immer nicht verdaut.»
Mit dem richtigen Rezept kann man vielleicht doch noch eines Tages aus Blei Gold herstellen. Aber aus Diffamierung und Lügen wird man nie eine Zeitung machen, die diesen Namen verdient. Die Erde mag rund sein. Aber die «Welt», die auf der Titelseite des Wochenblatts steht, ist saumässig platt. C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
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Serie Mannsbild – Berufsbild
Serie Mannsbild – Berufsbild
der
«Ich zog mich ziemlich gewagt an.»
Autoverkäufer
Das Klima in einer Autowerkstatt ist alles andere als Gay-Friendly, möchte man denken. Der Ton ist direkt, die Sitten rau. Wie geht man in einem Autohaus mit einem schwulen Verkäufer um? «Ich habe relativ schnell gemerkt, dass ich meinen Arbeitskollegen den Wind aus den Segeln nehme, wenn ich dazu stehe. Ich habe nie eine grosse Show abgezogen, und wer es wissen wollte oder mich direkt darauf angesprochen hat, dem habe ich es auch gesagt. Das war eigentlich nicht so eine grosse Sache», so Schattmann. Nach seiner Lehre in einem kleinen Betrieb dann relativ schnell die Bewerbung bei «Smart». Der Konzern versuchte, die Automobilbranche zu revolutionieren – «Smart» war nicht einfach ein Auto, «Smart» war ein Lifestyle. Marcel Schattmann passte gut zum Konzept des Konzerns. «Ich war nicht einfach irgendein Autoverkäufer, ich war ‹Smart›-Verkäufer», erinnert sich Marcel. Entsprechend wurde es sogar gewünscht, dass man «anders» oder zumindest «speziell» war. «Ich zog mich damals ziemlich gewagt an – halt flippig und den damaligen Trends entsprechend, das kam bei einer Marke wie ‹Smart› gut an.»
Marcel Schattmann arbeitet in einer Branche, in der Homosexualität nicht zum Alltag gehört. Aber: Ist dem wirklich so? VON Haymo Empl
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s ist nun ja nicht gerade so, dass Gays – wenn wir dem Klischee entsprechen wollen – dafür bekannt sind, bei einer Reifenpanne oder einem qualmenden Motorblock selbst Hand anzulegen. Marcel Schattmann jedoch könnte problemlos so ziemlich alles reparieren. Der 37-Jährige wohnt im Kanton Aargau und arbeitet bei der Amag in Cham. Dort ist er Markenverantwortlicher für «Skoda». Weder die Branche noch die Automarke sind besonders bekannt für eine offene Einstellung zur Homosexualität. «Skoda» beispielsweise wirbt gerne mit glücklichen Familien und noch glücklicheren Kindergesichtern. Wie kommt man also als Gay zu diesem Beruf? Und wie kann man eine solche Hetero-Automarke als Gay erfolgreich vertreten? Marcel überlegt einen Moment, fährt sich gedankenverloren über die Krawatte und erinnert sich. «Eigentlich wollte ich ursprünglich mal was mit Mode machen», erklärt er schliesslich. «Mein Vater fand aber, es sei besser, wenn ich was anderes lernen würde.» Und da der Vater mit einem Garagisten befreundet war, musste Teenager Marcel dann in eben diesem Autohaus seine Lehre machen. Am ersten Tag kam er im weissen Hugo Boss Hemd – dieses Hemd trug er genau ein einziges Mal. «Es war klar, dass ich unter anderem auch in der Werkstatt helfen musste, also konnte ich meine Prinzessinnen-Allüren schnell vergessen.» Die Lehrzeit im Autohaus war für Marcel retroperspektiv betrachtet eine gute Entscheidung. Ihm gefällt sein Beruf; die Mischung aus Technik, Trends (auch bei «Skoda»!) und Kundenkontakt seien ideal für ihn. C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
«Keine blöden Sprüche, kein Tratsch.»
Bilder: Haymo Empl
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Marcel ist Markenverantwortlicher für «Skoda» und daher auch verantwortlich für die Umsatzziele, die er und seine Mitarbeiter erreichen müssen. Damit verbunden sind auch diverse Events der Marke. «Irgendwann sagte mein Vorgesetzter, ich solle doch künftig auch mein Partner mitbringen und von diesem Augenblick an wusste ich, dass meine Lebensweise vollends akzeptiert war.» Bestärkt wurde diese Erkenntnis auch, dass er zusammen mit den Automechs und seinem Team jeweils gemeinsam ins Fitness geht. «Auch hier: keine blöden Sprüche, kein Tratsch». Hat Sexualität denn überhaupt etwas mit dem Beruf zu tun? «Vielleicht kann ich teilweise sensibler auf die Kunden eingehen, vielleicht auch etwas verständnisvoller. Ob das nun aber mit meiner Sexualität etwas zu tun hat oder ob dies einfach meine Art ist, kann ich nicht beurteilen.»
Marcel Schattmann arbeitet in einem rauen Umfeld. Seine sexuelle Ausrichtung ist unter seinen Arbeitskollegen aber nie Thema.
«Autoverkäufer stehen ungefähr auf der gleichen Stufe wie Versicherungsvertreter.» Marcels Lebenspartner arbeitet bei einer Grossbank – auch er ist geoutet, und auch sein Arbeitgeber thematisierte seine sexuelle Ausrichtung nicht. «Letztendlich waren wir ein Paar wie jedes andere auch. Und weil wir einen natürlichen und selbstverständlichen Umgang damit hatten, gab es in unserem privaten und geschäftlichen Umfeld nie grössere Diskussionen.» Die Beziehung hielt über 10 Jahre, dann war Schluss. «Mein Partner machte ein Sabbatical und als er zurückkam, war die Beziehung zu Ende.» Auch hier: Marcels Arbeitsumfeld wusste dies und ging damit selbstverständlich um. Und wie geht sein privates Umfeld mit seinem Beruf um? «Autoverkäufer» haben nicht unbedingt den besten Ruf, oder? «Es stimmt schon», so Marcel, «Autoverkäufer stehen ungefähr auf der gleichen Stufe wie Versicherungsvertreter. So zumindest die gängige Meinung. Aber ich habe schon immer auf langfristige Kundenbindung gesetzt
und ziehe daher nie jemand über den Tisch, das zahlt sich langfristig einfach nicht aus und ich könnte das auch nicht mit mir selbst vereinbaren.» Eine Strategie, die sich offenbar auszahlt. Die Verkaufszahlen von Marcel und seinem Team sind gut. Und da stellt sich natürlich die Frage, ob man Marcel auch so tolerant begegnen würde, wenn diese weniger gut wären? Frei nach dem Motto «solange ein schwuler tolle Umsätze macht, lassen wir ihn in Ruhe …». Marcel verneint. «Das Arbeitsumfeld ist hier sehr familiär, ich kann nur nochmals wiederholen: Die sexuelle Ausrichtung spielt keine Rolle.» Beruflich und privat hat Marcel auch konkrete Pläne: Er will weiterhin in der Branche arbeiten und der Marke und dem Autohaus treu bleiben und Marcel hofft, dass er weiter die Karriereleiter hochklettern kann. In einem Umfeld, dass sich weiterhin so liberal und tolerant gibt.
Hast auch du einen spannenden Beruf? Melde dich bei uns! redaktion @ cruisermagazin.ch C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
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KOLUMNE Thommen meint
IKONEN VON DAMALS
Fastenzeit für
schwule Männer
Ich kenne einen über achtzigjährigen Mann, der regelmässig in die Ferien verreist, dort blowjobs macht und dann nach der Rückkehr einen Aids-Test. Die Aidshilfe Schweiz macht es seit einigen Jahren umgekehrt! Sie empfiehlt einen Monat konsequenten safersex und anschliessend einen Aids-Test. Danach kann mann ja wieder loslegen?
VON PETER THOMMEN
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s gibt durchaus Leute, die glauben, ein Test sei ein «Präventionsmittel». Das wäre er über sieben Ecken schon. Aber so kompliziert denken die meisten nicht. Ich erinnere daran, dass unsere Gay-Community sich früher mal weigerte «durchgetestet» zu werden! Safersex setzte sich seit den frühen 80er Jahren nicht wegen rigoroser Verbote durch, sondern weil zahlreiche schwule Männer den geschützten Verkehr als gute sexuelle Praxis und als festen Bestandteil ihres Selbstbildes als verantwortungsbewusste Homosexuelle betrachteten. (1) Doch seit nicht mehr gestorben werden muss nach einer HIV-Infektion, ist das vergessen gegangen. Heute geht es nur noch darum, wie man möglichst ohne Kondomschutz «doch noch rumsauen» kann. Möglichst genauso wie Heteros und wie in einer hetero Ehe … Damit wären wir endlich gleichgestellt!? Die Homosexuellen sind sehr heterogene Sexualwesen – überall auf der Welt. Schwer in irgendeine Gruppe zu fassen, als «Buchstabenwesen» sowieso! Viele kommen kaum mit ihrem Arbeits- und Sozialalltag zurecht. Viele können nicht differenziert denken. Viele sagen: Ja ich bin schwul, aber das ist kein wichtiger Teil meines Lebens. InC R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
sofern ist sexuelle Prävention eben auch kein wichtiger Teil ihres Lebens. Viele sagen sich: Ich bin eigentlich ein Hetero, habe aber diese merkwürdige Sexualität. Die sind meistens mit «Abwehr» beschäftigt («coming out» braucht es nicht). Um trotzdem tiefgehende psychische Sehnsüchte erfüllt zu bekommen, wird auch der safersex abgewehrt. Es gibt keine Schwulenbewegung mehr, die ihre Angehörigen «anleitet, informiert, irgendwie integriert»! Jeder ist nurmehr «für sich selbst verantwortlich» - auf einem grossen Markt der Möglichkeiten. Grösser als der Schulhof, der Dorfplatz oder die spätere Szene. Die Pharmazie bietet uns nun die «Pille danach» (PEP, Postexpositions Prophylaxe), die «Pillen während» (Anti-HIV-Therapie) und neustens auch die PrEP (Prä Epositions Prophylaxe) als «Pille davor». Es geht uns also fast wie mit der Antikonzeption bei den Frauen – aber nicht alle vertragen diese Hormonpillen. Viele Männer vertragen auch die genannten Pillen nicht so super, leiden an Depressionen oder anderen Nebenwirkungen, die fast nie in allgemeinen Gaymedien beschrieben werden.Wir sind auf der Ebene «weniger denken» und mehr «medizinalisieren». Was nicht gruppendynamisch oder therapeutisch erreicht werden kann, soll auf einfache Weise mit Pillen «erledigt» werden. Safersex-Regeln konnte noch jeder einigermassen befolgen. Doch jetzt ist unsaferer Sex zu einer Glaubenssache geworden. Wer wie und wann und wie oft, «unter der Nachweisgrenze» infiziert ist, kann in der Situation nicht überprüft werden. Aber auch Heterosexuelle glauben ihren Frauen sehr schnell, dass sie «sicher die Pille» genommen hätten. Sicherheit und Verantwortung für alle Beteiligten im Sexualakt wiegen «alle Therapien nachher» bei weitem auf! Jetzt wo
keiner mehr schnell ins «Endstadium» rutscht wie in den 80ern, hätten wir Zeit, uns darüber klar zu werden, was unsere Träume und Sehnsüchte mit uns in die sexuelle Praxis umsetzen. Öffentlich Fragen zu stellen, wieso Männer ihre Säfte austauschen müssen und was das in ihnen bewirkt. Warum vielen die grobe anale Penetration so wichtig ist, und was sie damit verbinden. Warum es Widerstände gibt, sich damit auseinanderzusetzen und Klarheit darüber zu erlangen … Vergesst es! Die Öffnung der Ehe ist viel geiler! Die «Wandlung der Liebe» unter der Hostie ist geheimnisvoller und attraktiver – und Sex ist offenbar «allein Privatsache». Eine Art religiöser Glaube hat sich breit gemacht. Er ist nach meiner Erfahrung genauso verhängnisvoll, wie derjenige der den Kirchen vorgehalten wird! Nach dem Fasten ist ja wieder Schlemmen angesagt. Wer es fassen kann, der fasse es!
1) sinngemäss nach: Heidel et al.: Jenseits der Geschlechtergrenzen, Männerschwarm 2001, S. 200
Hinweis In meiner Kolumne vom Februar nahm ich Bezug auf Poppers und Karposi-Sarkom in den 80ern. Wie man viel später erst herausgefunden hat, ist es der Herpes-Virus, der im Endstadium der Immunschwäche diesem seltenen Hautkrebs sein Auftreten ermöglicht. Das wusste ich bisher noch nicht. Besten Dank für den Hinweis aus der Leserschaft.
Was macht eigentlich Lory Bianco?
Romantische Heldin wider Willen In unserer Serie stellen wir Ikonen und Persönlichkeiten aus vergangenen Dekaden vor, berichten über gefallene Helden und hoffnungsvolle Skandalsternchen …, aber auch über mutige Vorkämpfer. Lory Bianco war nichts von alledem, ausser Prinzessin der Herzen einer ganzen Generation. Heute agiert sie ausschliesslich im Dienste des Herrn. VON Daniel Diriwächter
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er wollte in den 1980ern nicht wenigstens einmal mit Pierre Cosso knutschen? Lory Bianco hat es getan, durfte auf Tuchfühlung mit dem damaligen Mädchenschwarm gehen – wenn auch nur vor der Kamera – und wurde selbst zum Star. Als Sängerin wie Schauspielerin hing ihr Poster in unzähligen Kinderzimmern. Damals allerdings noch als Bonnie Bianco. Ein Künstlername, der ihr stets missfiel. Auf der Suche nach einer Karriere nach «Bonnie» fand sie zu Gott. Doch von Anfang an: Die spirituelle Reise der Lory Bianco begann sehr irdisch, 1963 in einem Kaff namens Greensburg im Südwesten von Pennsylvania. Noch als junger italo-amerikanischer Teenager suchte sie das Showgeschäft und trat zusammen mit ihrer Schwester Holly als «Bianca Sisters» auf. Aber Lory erreichte bald mehr Aufmerksamkeit; ein Dieter Bohlen würde heute sagen, sie hätte das «Gesamtpaket»: Lory konnte singen, schauspielern und sah umwerfend gut aus.
Ein neues Aschenputtel
Anfang der 1980er wurden die Produzenten Guido und Maurizio De Angelis auf Bianco aufmerksam. Schnell war der Plan gefasst, aus der Provinzschönheit ein internationaler Star zu machen. Die neuen Mentoren bestanden aber darauf, dass sich Lory fortan Bonnie zu nennen habe – für die Protagonistin ein Pakt mit dem Teufel, aber ein ➔ C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
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IKONEN VON DAMALS
lukrativer: Ihr erstes Album «Bonnie Bianco» erschien 1982 zunächst in Italien, ein Achtungserfolg und zeitgleich ihre Bewerbung für die weibliche Hauptrolle in der TV-Serie «Cenerentola 80». In der modernen Adaption des grimmschen Märchens, die vom Lexikon des internationalen Films als «mit allen nur verfügbaren Klischees ausstaffiertes Rockmusik-Märchen» bezeichnet wurde, gab sie das amerikanische Aschenputtel in Rom, das sich in einen italienischen Prinzen verliebt, dargestellt von Pierre Cosso. Dieser war gerade als treuherziger Freund von Sophie Marceau in «La Boum 2» im Kino zu sehen und galt als Mädchenschwarm der Stunde. «Cenerentola 80» erwies sich als äussert ergiebig. Neben einer Originalversion von 200 Minuten, existierten auch ein Kinofilm sowie diverse Kurzversionen, die sich für die Mattscheibe eigneten. Das moderne Märchen wurde nochmals 1987 im Fernsehen ausgestrahlt, nun als «Cinderella 87», und schoss nochmals direkt in die Herzen der deutschsprachigen Fans. Der dazugehörige Soundtrack, notabene auch von Bianco gesungen, sowie die Single «Stay», ein Duett mit Cosso, verkauften sich millionenfach. Es schien, als wollten alle Mädchen wie «Bonnie» sein, eine Prinzessin und Heldin wieder Willen, die mit Pierre Cosso auf immer und ewig zusammen sein wird. Privat konnten sich die beiden Teenie-Idole übrigens nicht leiden.
Neustart und Karriereknick
Nach dem Hype um «Cinderella 87» nutzte Bianco die Gunst der Stunde, wechselte die Produzenten und veröffentlichte das Album «Just me» und erreichte mit der Single «Miss you so» respektable Chart-Platzierungen. Doch der Glanz der Prinzessin musste der Ambition von Bianco, nämlich als eigenständige Sängerin durchzustarten, weichen. Ein weiteres Album folgte, bei dem der damalige BRAVO-Musikkritiker ihre Stimme sogar mit der von Jennifer Rush verglich. Trotz ausnehmender guter Qualität ging das Album im Zuge des Namensstreits unter: Bonnie wollte wieder Lory heissen. Weswegen das Album denn auch «True Love, Lory» hiess. Ein aufgebauschter und unnötiger Streit war die Folge, der vor Gericht endete. Als Lory Bianco gelang ihr 1990 ein letzter Hit, produziert von Dieter Bohlen: «A Cry in the Night», eine jämmerliche Schnulze und Titellied einer Derrick-Folge, erreicht die Spitzenposition der österreichischen Charts. Danach ging es bergab mit der Musikkarriere. Bianco veröffentlichte zwar immer wieder Songs, aber erreichte damit nur noch wenige Fans und Hörer. Als sie Ende C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
KOLUMNE PIA SPATZ
Pia will die
Ketten sprengen! Zurück aus den Bergen bezeichnet sich Pia als Quelle der Inspiration, auch wenn sie ein erklärtes Nachtschattengewächs ist.
der 1990er ihr eigenes Label «Power Records» gründete, gab sie damit auch ihre neue Richtung bekannt – die auf dem Weg zu Gottes Licht.
Als Neu-Christin wieder im Geschäft
Bianco liess das Show-Geschäft bewusst hinter sich, lebte eine Weile in Israel und lehnte jeden weiteren Vertrag ab. Ihr in Eigenregie produziertes Album «On my own, but never alone» bewarb sie dank einem loyalen Kern von Fans noch in Deutschland, kehrte aber am 10. September 2001 in die Staaten zurück. Laut Wikipedia haben ihr die Ereignisse des denkwürdigen Folgetags schliesslich komplett die Augen geöffnet, und sie verschrieb sich voll und ganz christlichen Aufgaben. Ihr bislang letztes Album nennt sich «Jesus paid it all», und auf ihrem Facebook-Profil verkündet Bianco bis heute noch Bibelverse an ihre Freunde.
Bonny Bianco und Pierre Cosso in einer Neuauflage von «Cinderella». Die italienische TV Produktion war ein Gassenhauer – ganze Familien versammelten sich 1987 vor dem Fernseher und sogar in der damaligen DDR durfte das Romantikmärchen ausgestrahlt werden. VON PIA SPATZ
I Bonny Bianco: Erfolgreich und talentiert. Wenigstens in den 1980er Jahren.
hr Lieben, ich bin wieder zurück aus Ursli- und Heidi-Land! Ein Abstecher in die Berge kann schliesslich nie schaden. Und auf dem Bärenfell vor dem Kaminfeuer entspannt es sich ungemein. Aber so hell die Glocken dabei klangen, so sehnte ich mich nach dem pulsierenden Stadtleben, nach hübschen Jungs statt schnöden Geissen, nach dem «kleinen Schwarzen», statt dem Michelin-Männchen-Outfit. Ein Schelm ist, wer nun denkt, ich würde nun die Nacht zum Tage machen. Obwohl ich ein erklärtes Nachtschattengewächs bin, gibt es einiges zu tun für mich und meine Jungs vom Checkpoint Zürich: Unsere wichtigste Zeit des Jahres bricht an, die Weichen werden gestellt, die Zeichen ge-
«Break The Chains soll die Kette der Neu-Infizierungen brechen.»
Hymns – Lory hat zu Gott gefunden.
Als Lory & Pirre Cosso: Das Traumpaar der 1980er Jahre.
setzt – «Break The Chains» ist am Start! Die HIV-Primoinfektions-Kampagne gehört mittlerweile zur schwulen Gemeinde wie das Amen zum Gebet. «Break The Chains»
soll die Kette der Neu-Infizierungen brechen; eine Revolution der Gesundheit zuliebe. Bereits in diesen Tagen strömen wir aus, sind in Bars und an Partys anzutreffen, um dich auf den Aktions-Monat April vorzubereiten. Es gilt, sich dann konsequent an die Safer-Sex-Regeln zu halten. So machen wir alle gemeinsam und landesweit dem HI-Virus den Garaus! Zur Erinnerung: Angenommen, du infizierst dich frisch mit HIV, hast aber keinen blassen Schimmer von deinem Ungemach und gibst dich sogleich ohne Schutz dem nächsten Lover hin, so ist dessen Risiko um ein Vielfaches höher als üblich, sich von dir mit HIV zu infizieren. Deine Viren vermehren sich nämlich in den ersten Wochen ungehindert wie die Maden im Speck. Das sind knallharte Fakten, meine Lieben! Also verwöhnt euch mit Gummi, die Dinger findet ihr haufenweise gratis in der Szene. Im darauffolgenden Wonnemonat Mai sind dann die günstigen HIV-Tests angesagt. Wieso und warum, sowie weitere Informationen zu «Break The Chains» findet ihr in diesem Magazin auf Seite 5. Wissenswertes über HIV bietet auch der nächste «Checkpoint im Gespräch»: Was bedeutet «# undetectable» genau? Wie läuft das jetzt mit Therapie und Bumsen ohne Gummi? Fragen, die Dr. Axel J. Schmidt im März dem interessierten Publikum beant-
wortet. Der Gott in Weiss hält Hof im Restaurant Bubbles, also nicht verpassen, gell. Selbstverständlich widme ich mich auch den schönen Dingen des Lebens und diene jederzeit als Quelle der Inspiration! Noch immer bin ich nach dem Benefiz-Lotto im Cranberry im Zahlen-Flash. Genial, was die jungen Volunteers von «du-bist-du» so alles auf die Beine stellen! Da möchte ich oft die Zeiger meiner Lebens-Uhr zurückdrehen, um als blutjunge Pia akzeptiert und unbeschwert durch die Teenie-Zeit zu flattern. Stattdessen widme ich mich dem Geschäftsalltag, so gross wie ich bin. Es gilt, ein Imperium in Schuss zu halten: Meine Minigolf-Anlage in Arth öffnet am 19. März! Bis zum Rosa-Turnier dauert es zwar noch eine ganze Weile, doch Übung macht bekanntlich den Meister. Was meint ihr, haben wir ein Date am schönen Zugersee? Ich wünsch euch was! Alles Liebe, Pia.
Gut zu wissen Die Kampagne «Break The Chains» findet ihr im Web unter www.drgay.ch Checkpoint im Gespräch, 17. März, Restaurant Bubbels: mycheckpoint.ch/checkpoint-im-gespräch Die jungen Volunteers sind online unter www.du-bist-du.ch zu finden C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
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RATGEBER Dr. Gay
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DAS GRÖSSTE SCHWEIZER GAY-MAGAZIN
Dr. Gay
HIV Übertragung durch faulen Zahn? Ich habe vor drei Wochen Zungenküsse mit einem Mann ausgetauscht, der offenbar einen kaputten Zahn hatte und blutete. Der Mann ist nun positiv auf HIV getestet worden. Jetzt habe ich Angst, mich angesteckt zu haben. Wie hoch ist das Risiko für mich und wann soll ich mich testen lassen? Neben wildem Küssen haben wir uns gegenseitig geblasen. Analverkehr hatten wir keinen. Manuel (29) Hallo Manuel
DR. GAY Dr. Gay ist eine Dienstleistung der AidsHilfe Schweiz. Die Fragen werden online auf www.drgay.ch gestellt. Die Redaktion druckt die Fragen genau so ab, wie sie online gestellt werden. C R U I S E R M Ä R Z 2 0 16
Kleine Wunden oder Entzündungen im Mund bergen kein HIV-Risiko, solange kein Sperma in den Mund kommt. Das HI-Virus wird durch den Speichel zu sehr verdünnt, als dass es bei Zungenküssen oder beim Blasen so zu einer Infektion kommen könnte. Massgebend ist aber die Grösse der Wunde und die Menge des Blutes. Eine relevante Menge an Blut (zum Beispiel bei einem frisch ausgeschlagenen Zahn) würde man bemerken und hätte dann ganz bestimmt keine Lust mehr auf Sex. Ebenfalls massgebend ist die Menge der HI-Viren im Blut, die sogenannte Viruslast. Wenn sich dein Sexpartner erst kürzlich angesteckt hat, befindet er sich in der Primoinfektionsphase. Die Viruslast ist dann sehr hoch, und er wäre um ein Vielfaches ansteckender. Also: Wenn er sich in der Primoinfektion befand und viel Blut im Spiel war, wäre ein gewisses HIV-Risiko möglich. Ansonsten ist das Risiko vernachlässigbar. Wenn du unsicher bist, mache am besten einen HIV-Test. Dieser ist bereits zwei Wochen nach der Risikosituation möglich und wird dir die gewünschte Sicherheit geben. Nach drei Monaten sollte ein Antikörpertest zur Bestätigung gemacht werden. Eine empfehlenswerte Adresse für den Test und eine persönliche Beratung ist der Checkpoint. Weitere Informationen findest du auf www.mycheckpoint.ch. Alles Gute, Dr. Gay
Infektiös trotz HIV Therapie?
Lass ihn zu dir kommen!
Ich bin HIV-positiv und gemäss EKAF-Statement durch die HIVTherapie nicht mehr ansteckend. Im EKAF-Statement wurde damals festgelegt, dass keine andere sexuell übertragbare Krankheit (STI) vorliegen darf. Nun habe ich gehört, dass das Vorhandensein einer STI nach neusten Erkenntnissen bei nicht nachweisbarer Viruslast keinen Einfluss auf das Übertragungsrisiko von HIV hat. Das heisst also, wenn ich (unwissentlich) einen Tripper oder eine Syphilis habe, bin ich trotzdem nicht infektiös. Ist das richtig? Benjamin (35) Hallo Benjamin
Das EKAF-Statement (oder Swiss Statement) von 2008 besagt, dass HIV-positive Menschen unter wirksamer antiretroviraler Therapie (ART) unter gewissen Voraussetzungen nicht mehr ansteckend sind. Man ging unter anderem davon aus, dass nur wer keine andere sexuell übertragbare Infektion (STI) hat, das HI-Virus nicht mehr weitergibt. Generell ist es so, dass STIs wie Syphilis, Tripper oder Chlamydien das Risiko einer HIV-Übertragung erheblich erhöhen können. In Bezug auf eine wirksame ART zeichnet sich in Studien aber immer mehr ab, dass STIs nur wenig Einfluss auf das Übertragungsrisiko haben. Solange die Viruslast unterdrückt ist, ist eine Ansteckung praktisch nicht möglich. Denn wo kein Virus ist, gibt es auch keine Übertragung. Bei einer Viruslast unter der Nachweisbarkeitsgrenze ist die höhere Anfälligkeit deshalb kaum von Bedeutung. Die Viruslast steigt vor allem dann, wenn Medikamente nicht regelmässig genommen werden. Fakt ist: Die Schutzwirkung vom Schutz durch Therapie ist mindestens so hoch oder sogar höher als die von Kondomen. Alles Gute, Dr. Gay
und zWar reGeLmÄssiG in deinen BrieFkasTen. abonniere jetzt den Cruiser – das grösste Gay magazin der schweiz. zehn ausgaben pro Jahr für nur ChF 65.– statt ChF 75.– Du erhältst den Cruiser in neutralem Umschlag per Post direkt zu dir nach Hause. Einfach Coupon ausfüllen und einschicken oder online unter www.cruisermagazin.ch
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