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Kein Recht auf Dreck

EIN GESPRÄCH MIT KATHRIN HARTMANN

Anfang März ist das neue Buch der Münchner Autorin und Journalistin Kathrin Hartmann erschienen. In „Grüner Wird’s Nicht“ richtet sie ihren Blick und ihre Fragen, nicht wie sonst in ihren Arbeiten, an die Menschen in anderen Ecken dieser Welt. In ihrem Essay fokussiert sie sich auf Deutschland und dem Phänomen, dass die Gesellschaft zwar mit Sorge die immer düsterer klingenden Prognosen der Wissenschaftler zur Kenntnis nimmt, aber trotzdem an ihrem weitgehend ressourcenverbrauchenden Lebensstil festhält.

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TEXT: DAVID EISERT // FOTO: STEPHANIE FÜSSENICH

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„Warum wir mit der ökologischen Krise völlig falsch umgehen“, schreibst du als Untertitel zu deinem neuen Buch. Wie könnte man denn deiner Meinung nach weniger falsch mit dieser Krise umgehen? Indem man sich zuallererst mit den Ursachen beschäftigt und sich fragt, wie wir überhaupt in diese Krise gekommen sind. Stattdessen versuchen wir krampfhaft an dem bestehenden System festzuhalten und reagieren erst am Ende der langen Kette von Zerstörungen mit eher hilflosen Maßnahmen. Zum Beispiel mit einem Preissystem für CO2 oder mit der Hoffnung, dass uns irgendwelche noch unbekannte Technologien retten werden. Das trägt letztlich nur dazu bei, sich nicht von der Idee des ewigen Wachstums zu verabschieden. Der zweite große Fehler ist, dass wir meinen, die verschiedenen Krisen voneinander trennen zu können. Denn sie hängen ja miteinander zusammen. Die Krise des Klimawandels hängt mit der Krise der Biodiversität zusammen, die ökologischen Krisen mit der sozialen Krise, also mit sozialen Spaltungen und Spannungen. Und wenn wir das nicht zusammendenken, dann sehe ich die Gefahrvon Lösungsversuchen, die wiederum die Ursachen der Krisen vorantreiben. ►

Du setzt bei der Lösung des Problems nicht allein auf die Macht der Wissenschaft oder der Technik? Nein. Die Wissenschaft leistet ihren bedeutenden Beitrag zur Frage: Wo stehen wir und was kommt womöglich noch auf uns zu? Technologien haben natürlich ihre Berechtigung sofern sie kein Machtinstrument, sondern demokratisch kontrolliert sind. Wenn die Großkonzerne die Kontrolle behalten und der Politik das Messer auf die Brust setzen können – wie zum Beispiel die Energiekonzerne – halte ich das für falsch. Wenn man der Klimakrise mit der Renaissance der Atomkraft beikommen wollte, würde sich an den bestehenden Machtverhältnissen, die ja für diese und auch die anderen Krisen verantwortlich sind, nicht im Geringsten etwas ändern. So ein Machtgefälle darf nicht forciert werden.

Was mir bei dieser Debatte allerdings zu kurz kommt, sind die progressiven Ideen. Wir sollten jenseits der Bewältigungsstrategien auch eine Utopie davon entwickeln, wie es denn schöner und besser zu machen sei. Die Diskussion dreht sich gegenwärtig um Einschränkungen und Verzicht und es geht dabei viel zu wenig um Chancen und Möglichkeiten für ein gerechtes Zusammenzuleben. Stattdessen betreiben viele Besitzstandswahrung, aus Angst vor dem Verlust persönlicher Privilegien. Ja, Leute werden Privilegien verlieren, aber einen SUV zu besitzen oder zum Shopping nach New York zu fliegen ist kein Menschenrecht.

Somit tragen die Sachen, die du schreibst, einen stärkeren politischen als einen naturwissenschaftlichen oder ökologischen Charakter? Auf jeden Fall. Bei meinen Recherchereisen in die Länder des Südens, die ja vom Klimawandel heute schon betroffen sind, sieht man sofort, dass die Probleme nicht technisch und pragmatisch,

JA, LEUTE WERDEN PRIVILEGIEN VERLIEREN, ABER EINEN SUV ZU BESITZEN ODER ZUM SHOPPING NACH NEW YORK ZU FLIEGEN IST KEIN MENSCHENRECHT.

sondern politisch gelöst werden müssen. Nirgends wird deutlicher, dass Naturzerstörung und Menschenrechtsverletzung zusammengehören. Selbst im Zuge von Klimaschutzmaßnahmen, die wir diesen Ländern aufnötigen, gibt es gewalttätige Faktoren. Technische Lösungen, wie das Aufforsten der Wälder oder das Bauen von Solarparks, werden wiederum auf dem Rücken der ärmsten Bevölkerung ausgetragen. Es kommt auch dort zu Vertreibung und Landraub.

Was ist mit dem Argument, dass der Klimaschutz so viel Geld kosten würde und dass als Folge die Lebenshaltungskosten steigen. Das Ziel sollte doch sein, die Menschen mit billigen Dingen zu versorgen, denn das kann doch erstmal nicht verkehrt sein? Wann immer eine Sache für den einen sehr, sehr günstig zu bekommen ist, gibt es irgendwo einen anderen, der dafür draufzahlt. Wir wissen doch, dass zum Beispiel für sehr billige, aber auch für sehr teure Klamotten, irgendjemand weit entfernt mit seinen Menschenrechten dafür bezahlt.

Auf der einen Seite bezahlen wir alle mit unseren Steuern massenhaft Geld für Subventionen, für zum Teil extrem umweltschädliche Dinge. Jahrelang ist die Kohle subventioniert worden und das Gleiche gilt für

den Flugverkehr und die industrielle Landwirtschaft. Die direkten und indirekten Subventionen für Regionalflughäfen, die keiner nutzt, die fehlende Steuer auf Kerosin, das zahlen wir alle mit, auch für die Reparatur der Schäden, die dort entstehen. Müssten solche schmutzigen Industrien selbst dafür aufkommen – sie wären völlig unrentabel. Wenn also Lebensmittel und Energie billig sind, wenn Flugreisen billig sind, dann ist das auch politisch erwünscht. Wenn die Preise billig sind, dann gibt es keinen Grund, Löhne, Renten oder Hartz IV zu erhöhen. Der Hartz IV-Satz ist ja deshalb so niedrig kalkuliert, weil Lebensmittel in Deutschland so grotesk günstig sind.

Also ist billig nicht als günstig im Sinne von Fürsorge zu verstehen, sondern hat etwas Bevormundendes und Entwertendes? Billigkeit entwertet die Natur, entwertet Nahrung, entwertet die Arbeit, entwertet den Menschen. Billig produziert Armut, all das mit dem Ziel des Wachstums. Je weniger man für Arbeitskraft oder Soziales bezahlen muss, desto mehr bleibt für den Profit eines einzelnen über. Das belegt für mich ganz deutlich, dass das Ökologische und das Soziale nicht voneinander zu trennen sind.

Wenn man ein wenig recherchiert, dann findet man über Menschen, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, gewisse Bezeichnungen, die man verniedlichend oder auch diskreditierend finden kann. Du z.B. wirst als „engagierte Weltverbesserin“ bezeichnet und im Kontext schwingt mit, dass du selber ja auch keine Lösung parat hast. Wie gehst du mit diesen Dingen um? Ja, das ist herablassend, aber das ärgert mich nicht. Ich weiß ja, dass das Abwehrstrategien sind. Einmal hat Jan Fleischhauers in seiner Spiegel-Kolumne „Schwarzer Kanal“ regelrecht auf mich eingeteufelt, sowas ist dann wie ein Ritterschlag. Wenn mich die „richtigen“ Leute scheiße finden, dann habe ich ein paar Nerven getroffen und Dinge richtig gemacht.

Ärgerlicher finde ich die Anfeindungen darüber, dass ich zu meinen Recherchen ins Flugzeug steige. Noch ärgerlicher, wenn diese Zuschreibungen aus der Szene kommen, die an den gleichen Themen mit gleicher Absicht arbeitet. Da bin ich schon verwundert, dass hier keine Verhältnismäßigkeit gesehen wird. Hier würde der persönliche Verzicht einen falschen Hebel ansetzen, denn als Journalistin schaue ich mir ja vor Ort an, was die Folgen unserer Wirtschaft und unsers Lebensstils sind.

Aktuell firmieren sich Aktivisten zu neuen Bewegungen, die sich dem Klima- und Umweltschutz widmen. Wo findest du einen gedanklichen Anschluss? Alles was emanzipatorisch ist und von unten kommt, finde ich gut. Fridays for Future finde ich ganz toll. Weil hier die jungen Leute aufstehen, denen man lange vorgeworfen hat, sie seien unpolitisch und konsumgeil. Die Bewegung hat viele politisiert. Sie hat viel Wissen generiert und das Empowerment wirkt ansteckend. Es entstehen neue Bündnisse mit anderen Professionen, etwa mit der Anti-Kohle-Begegnung und mit Pflegerinnen und Pflegern.

Die politische Rechte hat neuerdings auch den Begriff der Klimakrise für sich entdeckt. Eine neue und auch erschreckende Entwicklung? Das ist wirklich sehr bedenklich. Zum einen haben rechte Parteien auf EU-Ebene stets Klimaschutzpolitik blockiert. Es sind fast ausschließlich Rechte, die den Klimawandel leugnen. Aber es gibt da einen neuen Schwenk: Rechte, in Deutschland die AfD, haben den Umweltschutz zum Heimatschutz umgedeutet und benutzen das als Abschottungsstrategie. Sie sagen dann zum Beispiel: ►

„Wenn ein Mensch aus Afrika nach Europa kommt, dann würde sein CO2 Ausstoß rasant ansteigen.“ Einwanderung würde also dem Klima schaden. Deshalb gelte es diese Migration als Maßnahme zum Klimaschutz zu verhindern. Ende vergangenen Jahres stellte die AfD eine kleine Anfrage an den Bundestag und wollte wissen, wieviel Schadstoffe die Seenotrettung ausstößt.

Das Gruselige dabei ist, dass sich diese Abschottungsargumente durchaus im Mainstream verfangen können. Selbst Biologen und Zoologen bedienen sich permanent Begriffen wie der Überbevölkerung oder der Bevölkerungsexplosion und das halte ich für sehr gefährlich, da dies rassistische Argumente sind. Es heißt, dass einige Menschen auf der Welt zu viel wären – natürlich nur in anderen Ländern, nämlich auf der Südhalbkugel.Dabei leidet ein weit größerer Teil der Weltbevölkerung genau dort unter den Auswirkungen, für die ein kleiner Ausschnitt der Menschheit in den reichen Ländern die Verantwortung trägt.

Zum Abschluss noch ein wenig Bullshit Bingo. Im Diskurs werden häufig Schlagworte verwendet, die mit der Zeit einen gallertartigen Charakter bekommen haben. Was fällt dir spontan zu Folgendem ein?

Nachhaltigkeit Das Wort benutzte ich nicht mehr im Positiven. Für mich hat sich das zu einem anderen Ausdruck für Systemerhalt abgenutzt. Es steckt nichts Verbindliches dahinter und soll nur beruhigend klingen.

Grünes Wachstum Das gibt es nicht. Es gibt höchstens grün angestrichenes Wachstum. Der Begriff Grünes Wachstum beschreibt kein Wachstum, welches ökologisch oder sozial gerecht wäre, sondern weiter so, wie immer. Erneuerbare Energie Ein sehr komplexes Thema. Angefangen als Graswurzelbewegung, aktuell leider etwas ins Stagnieren geraten. Aber wenn wir uns bei der Energiewende auf die großen Konzerne verlassen hätten, dann würden wir auch morgen noch auf den Anfang warten.

Verkehrswende Wäre so viel einfacher möglich als behauptet wird. Allein eine Frage des politischen Willens. Aber das Beispiel Kopenhagen zeigt, was alles für wenig Geld umsetzbar ist. Hier scheitert es in unserem Land daran, dass die Politik nicht den Mut hat, Konflikte mit Autofahrern und der Autoindustrie auszutragen.

Selbstregulierung. Selbstregulierung und Eigenverantwortung führt zu keiner wirklichen Veränderung und sie sind nicht politisch.

Generationengerechtigkeit Für meine Begriffe kann es nur die Gerechtigkeit geben. In den Ländern des Südens kämpfen Menschen schon immer über Generationen hinweg gemeinsam für Gerechtigkeit. Ich verstehe zwar, dass die jungen Leute, die hier auf die Straße gehen, ziemlich sauer sind auf diejenigen, die ihnen die Suppe eingebrockt haben. Trotzdem muss Gerechtigkeit für alle gelten. ▪

KATHRIN HARTMANN – GRÜNER WIRD'S NICHT Erschienen am 9. März 2020 im Blessing Verlag.

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