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Spatzenfreunde

TEXT: LEA HERMANN ILLUS: YAEL CURI

EIN SPATZ BRAUCHT VIELE FREUNDE

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Früher waren sie überall: Sie pickten vor dem Bäcker Krümel auf, badeten in der Pfütze bei der Bushaltestelle oder zwitscherten in der Hecke. Jetzt sind sie fast aus dem Stadtbild verschwunden – oder wann hast du in letzter Zeit einen Spatz in München gesehen?

Dem 30 Gramm leichten, frechen Vogel mit dem braunen Federkleid geht es schlecht. Einst als Kulturfolger dem Menschen vor 10.000 Jahren angepasst, ist es mit den paradiesischen Zuständen in der Großstadt schon lange vorbei. Der Spatz ist zum Gentrifizierungsopfer geworden. Die vielen Sanierungen im sauberen München kosten ihn Nistplätze. „Es gibt kaum noch Ritzen und Hohlräume an Gebäuden, die die Vögel zur Brut nutzen können“, erklärt Sylvia Weber vom Landesbund für Vogelschutz das Problem. Typisch für sein Verschwinden ist auch ein Fall, wie er sich am Goetheplatz ereignet hat: Als dort vor ein paar Jahren Rollädenkästen abgedichtet und die eingewachsene Fassadenbegrünung entfernt wurde, sind die Vögel, die in Gruppen leben, schlichtweg verstummt. „Spatzen haben angestammte Plätze, wo sie sich vor Feinden geschützt versammeln, tschilpen und aus-

ruhen“, erklärt uns die Gebäudebrüter-Beauftragte. „Fallen diese Plätze weg, ist die ganze Kolonie schutzlos und wandert ab.“

Auch mit der Nahrung läuft es nicht so rund. Erwachsene Tiere snacken zwar am liebsten Körner und können gut vom Menschen durchgefüttert werden, aber nicht der Nachwuchs. „Die Küken im Nest werden überwiegend mit Kleinstinsekten, wie Blattläusen oder Insektenlarven, gefüttert“, sagt Sylvia Weber. Doch die kommen wegen Flächenversiegelungen und Insektenvernichtungsmitteln immer seltener vor. In Indien ist das Problem sogar so krass, dass dort der Weltspatzentag initiiert wurde. Seit 2010 wird am 20. März auf die brenzlige Lage des klugen Tieres aufmerksam gemacht, der bei uns auf der Vor-Warnliste für bedrohte Arten steht.

„Man kann für den Spatz aber relativ leicht einen Lebensraum schaffen, ohne dabei gleich die ganze Stadt zum Naturschutzgebiet zu erklären“, macht die Expertin Hoffnung. Um den Haussperling, wie er eigentlich heißt, zu helfen, hat der Landesbund für Vogelschutz die Fundraising-Kampagne „Spatzenfreunde“ ins Leben gerufen. Dadurch können Münchner und Münchnerinnen zum Paten für den neugierigen Vogel werden. Mit dem Geld der „Spatzenfreunde“ wird auch Sylvia Webers Aufklärungsarbeit finanziert. Circa einmal pro Woche ist sie als Ansprechpartnerin zum Thema Spatzen auf Baustellen unterwegs: „Viele Leute wissen nicht, dass man eine Vogelart wie den Spatzen nicht einfach obdachlos machen darf.“ Wenn es nach Sanierungen oder bei Neubauten keinen Platz mehr für die Vogelart gibt, berät sie Interessierte, wie artgerechte Nistkästen am Haus angebracht werden können. Auch mit der Stadtverwaltung arbeitet sie zusammen und versucht, die Behörden zu sensibilisieren, dass die kleinen Federbällchen unbedingt Schutz brauchen. Immerhin hat der Vogel für uns in München wegen einer Kult-Serie eine besondere Bedeutung: „Einer unserer häufigsten Kosenamen ist doch ‚Mein Spatz‘ oder ‚Spatzl‘ – der ,Monaco Franze‘ hat das salonfähig gemacht.“ Rund 60 Paten, also Freundinnen und Freunde, hat der Spatz dank der Kampagne bisher. Ein Newsletter informiert jährlich über die bislang erreichten Erfolge, die es durchaus gibt. Zum Beispiel am Marienhof mitten in der Innenstadt. Ausgerechnet da, wo die Bagger lautstark für die zweite Stammstrecke graben. Dort sitzen die quirligen Spatzen brav aufgereiht am Zaun des U-Bahn Aufgangs oder fliegen zwischen den vier bepflanzten Trögen hin und her. Dass diese dort stehen und die Vögel trotz Baustellen-Chaos ihren Rückzugsort nicht verloren haben, ist Sylvia Webers Verdienst. Zum Glück, sonst würden wahrscheinlich viele Passanten, die von der U6 oder U3 hochkommen, grantig dreinschauen, anstatt sich über die frechen Vögelchen an unerwarteter Stelle zu freuen. Obwohl der Baulärm nach wie vor dröhnt, ist das Tschilpen der Spatzen gut zu hören. Und genau so etwas macht eine Stadt doch erst so richtig lebenswert. ▪

►lbv-muenchen.de/spatzenfreunde

NACHHALTIG STERBEN D

TEXT: SONJA PAWLOWA // FOTOS: ANGELA ACHILLE, EVA JÜNGER Du willst nach einem Leben in Achtsamkeit der Erde keinen Haufen Müll hinterlassen? Du hast ja keine zweite Chance, wenn dein Bestattungsarrangement ein Fehlkauf war. Am besten, du stellst die Weichen schon jetzt. So wird weder die Erde noch deine Familie belastet. Denn eins ist sicher: Du stirbst. Jeder stirbt irgendwann. Die gute Nachricht: Du kannst mit deinem Tod das Klima retten. Nachhaltigkeit beim Sterben ist möglich.

SUMMEN UND BRUMMEN STÖRT DIE TOTENRUHE NICHT. GANZ IM GEGENTEIL. IM WALDFRIEDHOF GEHT DAS LEBEN IN BIENENSTÖCKEN UND INSEKTENHOTELS LEBEN WEITER. WAS GENAU KANNST DU TUN?

Gesund sterben. Darauf hast du natürlich keinen Einfluss. Aber je giftiger dein Körper, desto schädlicher dein Leichnam. Idealerweise sind deine Überreste nach 25 Jahren restlos verdaut. Auch wenn du vorbildlich lebst, verseuchst du die Erde, wenn du mit Rückständen einer Chemotherapie begraben wirst. Ersatzteile wie Herzschrittmacher und Implantate verbleiben auch nach der Verwesung im Boden und werden höchstens die Archäologen der Zukunft erfreuen.

DU WILLST NACKT GEHEN, ALLENFALLS IN TÜCHERN?

Geht nicht. Noch immer gibt es eine Sargpflicht für den Transport zum Friedhof und für die Erdbestattung. Auch wenn du dich verbrennen lassen willst, brauchst du einen Sarg. Das überrascht die meisten.

Seit Ende 2019 existiert für Muslime und Juden eine Ausnahmegenehmigung zur Bestattung in Leintüchern aus religiösen und „weltanschaulichen“ Gründen. Das gilt aber nur fürs Einbuddeln. Aufbewahrung und Transport in Leintüchern geht trotzdem nicht. ►

DU WILLST DICH VERBRENNEN LASSEN?

Auch da gilt die Sargpflicht für den Transport und die Einäscherung. Für das Kremieren lohnt es sich gar nicht, einen Baum zu töten und 1500 Euro für den Sarg auszugeben, denkst du. Genaugenommen nur für einen Tag. Den Sarg sieht womöglich keiner außer den Leichenfahrern. Verstorbene drei Tage lang zu Hause aufzubahren, ist seit langem aus der Mode gekommen. Selbst ein offener Sarg in der Leichenhalle ist kaum mehr zu finden. Normal hingegen: Im Krankenhaus sterben, vom Bestatter ins Krematorium gebracht werden, Wochen später die Urnenbeisetzung. Der Sarg wird zusammen mit dem Verstorbenen im Krematorium verbrannt. Alles läuft wie am Fließband. Zwar respektvoll, aber effizient. Nachhaltig ist es nicht.

NACHHALTIGKEIT BEIM MATERIAL

In der Friedhofssatzung der Stadt München ist die Verwendung von Särgen aus Vollholz vorgeschrieben. Sie dürfen die physikalische, chemische und biologische Beschaffenheit des Bodens und des Grundwassers nicht nachteilig verändern. Das gilt auch für Urnen. Bestelle also nicht blind im Internet. Auch Vollholz-Särge

muenchen.de/rathaus/Stadtrecht/vorschrift/800.pdf ► Friedhofssatzung von 2000

stammen oft aus Sargfabriken, wo sie wie ein IKEA-Schrank aus vorgefertigten Bauteilen in nur 10 Minuten zusammengesetzt werden. Woher das Holz kommt, ist schwer nachzuvollziehen, vor allem bei den Mahagonimodellen.

NACHHALTIGKEIT DURCH DOPPELNUTZUNG

„Ist doch schade um den schönen Sarg“, sagt Lydia Gastroph von „w e i s s ... über den tod hinaus“. Nachhaltigkeit bedeutet für sie Wiederverwendbarkeit und Doppelnutzung. Bei Särgen ist das schwer vorstellbar. Doch nicht, wenn man die Särge schon vor dem Tod verwendet. Mit ein paar Einlegeböden zaubert Lydia aus dem aufgestellten Sarg einen Schrank für Pullover, Bücher oderwas auch immer. Die Schranksärge, die sie anbietet, sind bis ins Innerste nachhaltig und extrem schön dazu. Zeitlos gewissermaßen. Neben dem Schranksarg gibt es auch Sargtruhen oder flache Särge, die als Sitzbank verwendet werden können. Eine Doppelnutzung macht besonders Sinn, wenn du dich sowieso lieber verbrennen lassen willst. Nachdem du jahrelang einen Schrank genutzt hast, wird er nach deinem Tod als Sarg mit dir als Inhalt zum Krematorium transportiert. Du wirst samt Sarg lautlos in den Ofen gefahren, wo der Schamotte rot glüht. Bei 850 Grad Hitze entflammt sich der Sarg dann von selbst. Die Asche wird anschließend von nicht abbaubaren Rückständen wie Implantaten, Titanplatten oder Sargnägeln befreit, gesiebt und gemahlen.

Das Krematorium füllt die verbleibenden etwa drei Kilo Asche in eine versiegelte Aschekapsel. Das ist ein Behälter aus Kartoffelstärke, der wie ein schwarzer Plastiktopf mit Schraubdeckel aussieht. Biologisch abbaubar – aber schön ist die Aschekapsel nicht. Deshalb gibt es Urnen. Sie umhüllen die Aschekapsel und können auch schon im Leben Verwendung finden. Bei „we i s s“ sind es Kunstobjekte, Unikate aus Keramik, Holz, Filz oder Hanfpapier. Nebenbei taugen einige als Keksdosen oder Blumenvasen. Ihnen ist eins gemeinsam: Sie sind Meisterwerke und haben ihren Preis.

Für die Schranksärge werden nur heimische Hölzer verwendet. In München baut sie ein Schreiner in Sendling. Ganz lokal und ohne lange Transportwege. Du kannst dir deinen Schranksarg in Natur oder in Farbe bestellen.

Den ersten dieser Särge hat Lene Jünger für ihren Vater entworfen. Hermann Jünger war als Goldschmiedprofessor an der Akademie der bildenden Künste und Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Ein Mann, dem Ästhetik wichtig war. Für ihn war es undenkbar, nach einem Leben für die Kunst in Fabrikware zu enden. Deshalb schreinerte ihm seine Tochter Lene einen Sarg nach seinem Geschmack. Ein Sarg, zu schön, um gleich wieder verbuddelt zu werden.

Lenes Schwester, Kati Jünger, stellte als Keramikerin zeitgleich Urnen her. Auch bei diesen blutet dem Betrachter das Herz bei dem Gedanken, dass sie nach der Beerdigung für die Welt verloren sind.

Schließlich soll er lebenslang als Möbelstück in deiner Wohnung verbleiben. Er wird mit Pigmentölen und Naturfarben behandelt, alles abbaubar und von heimischen Herstellern. Die Griffe kannst du an- und abschrauben. Sie bestehen aus handgeschmiedetem Eisen, dürfen also mit in die Erde. Das ist keine Selbstverständlichkeit! Bei Billigsärgen wird zuweilen sogar Spritzgussplastik verwendet. Nackt kommt auch niemand in die Kiste. Für die Sargausstattung gelten in München Anforderungen, die der Umweltverträglichkeit dienen. Beispielsweise Matratzen und Kissen, die mit einer Art Maischips gefüllt sind und gern von Mäusen gefressen werden. Als Bekleidung bietet sich eine Art Totentuch an, ein Design von Gabi Suchantke-Rackner, das sie Fährhüllen nennt. Auch hier wieder nachhaltig gedacht, denn sie werden von Langzeitarbeitslosen bei der gemeinnützigen GmbH Münchner Arbeit genäht.

DU WILLST LIEBER LEBEN ALS FÜR DEINEN TOD SPAREN?

Wer gar kein Geld ausgeben kann oder will, zimmert sich den Sarg eben selbst. Das ist erlaubt, wird aber kaum gemacht. Stephan Alof, der Unternehmenspartner von Lydia

Gastroph, erzählt: „Wir hatten letztes Jahr hier im Glockenbachviertel einen Sterbefall eines 9-jährigen Jungen, der verunglückt ist. Der Vater hat mit Freunden zusammen den Sarg selbst gebaut. Das ist Trauerarbeit. Das ist Psychotherapie.“

Alles in allem ist das Sterben teuer. Mit allem Pipapo können leicht 30.000 € zusammenkommen. Stephan denkt gerade über das Waldorfschulen-Prinzip (Anmerkung: Reiche finanzieren Arme) für Begräbnisse nach. So müssten mittellose Künstler sich nicht auf anonyme Bestattungen ohne Grabstein oder Grabplatte beschränken.

Grabsteine sind teuer und ein weiteres Nachhaltigkeitsthema. Recycling, Upcyling und Grabmalpatenschaften werden angeboten. Steinmetze bedauern, dass die hochwertigen Natursteine nicht weiterverwendet werden. Möglicherweise sind Grabsteine ohnehin bald überholt. Der Trend geht zum Baumbegräbnis. Überraschend ist die Geschwindigkeit, mit der etwa der Waldfriedhof diese Entwicklung aufgegriffen hat. Aber Bäume und Wald waren schon seit über hundert Jahren das Konzept des Waldfriedhofs. Als Park und grüne Lunge soll das Areal auch der Erholung dienen. Im Waldfriedhof tritt der Friedhofscharakter deutlich in den Hintergrund. Die Pfade führen durch kleinere Grabfelder zu Baumgräbern, großen Langgraswiesen mit anonymen Urnengrabstätten, Biotopbereichen, einem See und schattenspendendem Wald.

Die klassischen Gräber werden wie überall mit Blumen bepflanzt. Sie spenden Nahrung für Bienen und andere Insekten. Die werden ganz offensichtlich gehegt und gepflegt auf dem Gelände. Überall stehen Bienenstöcke und Insektenhotels. Blumen sind auch bei der Begräbnisfeier wichtig. Grabschmuck jenseits von Gebinden oder Trauerkränzen stellt die Weihenstephaner Fachschule für Blumenkunst her, wo auch Wiesenblumen oder Herbstlaub Verwendung finden.

WOZU BRAUCHE ICH ÜBERHAUPT EIN BEGRÄBNIS?

Die zentrale Frage für Stephans Trauerreden ist: „Was war das für ein Mensch?“ Diese Frage ist der Ausgangspunkt für alles. Nachhaltigkeit bedeutet für Stephan vor allem, dass ein geliebter Mensch nicht einfach lieblos verschwindet. Stephan hat lange in der Palliativmedizin gearbeitet. „Ich habe weit über tausend Menschen in den Tod begleitet. Tod in der Intensivstation bedeutet, eine Viertelstunde später bist du weg in der Kühlung. Da gibt es nicht die Möglichkeit, in Ruhe Abschied zu nehmen.“ Dabei sollen der Tote, sein Leben und das Begräbnis nachhaltig in Erinnerung bleiben. Stephan unterstützt die Hinterbliebenen, damit auch ungewöhnliche Vorstellungen eines Abschieds umgesetzt werden können.

„Es ändert sich gerade ganz viel. Meine Generation wird in den nächsten 10 bis 15 Jahren ihre Eltern bestatten. Meine Generation hat ganz andere Bedürfnisse an eine Bestattung als unsere Elterngeneration. Für mich gilt: Ich lebe im Glockenbachviertel. Ich liebe in diesem Viertel. Ich arbeite in diesem Viertel. Warum muss ich auf den Ostfriedhof? Ich denke an Guerilla-Begräbnisse, aber das ist nur ein Spaß. Warum kann ich nicht da, wo ich lebe, auch bestattet werden: hier in meinem Viertel? Lokal bleiben, Baulücken suchen, Kirchen, die irgendwann zugesperrt werden – das werden unsere neuen Begräbnisstätten.“

Das wäre Nachhaltigkeit bis zum Schluss. ▪

►gastroph-alof.de

NAHSTRESSGEBIETE

MEHR ALS 100 MILLIONEN MENSCHEN PILGERN JÄHRLICH IN DIE ALPEN. ABGASE, MÜLL UND DER STETE STROM AN MENSCHEN STRESSEN DAS FRAGILE ÖKOSYSTEM DER BERGE. ZWEI MÜNCHNER VEREINE ARBEITEN DARAN, DAS ZU VERMEIDEN.

TEXT: JULIA MAEHNER, LUKAS NICKEL // FOTO: JULIA MAEHNER

Samstagmorgen. Kurz hinter München staut es sich auf der Autobahn und die Blechlawine rollt zum Berg. Abgase, die das Ökosystem der Alpen leiden lassen. Der Bayerische Rundfunk bezeichnete unsere Berge 2018 als „Frühwarnsystem” für den Klimaschutz, laut Bund Naturschutz steigen die Temperaturen hier doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Da schmerzt jeder Wagen. Die naturverbundenen Bewohner der

Landeshauptstadt zieht es aber am Wochenende in die Berge wie eine

Wespe zur Grillparty.

„Die wenigsten Münchner informieren sich, wie man autofrei in die Berge kommen kann und stellen sich lieber mit dem Auto in den Stau”, kritisiert Julia Mrazek vom Deutschen Alpenverein (DAV). Die Betreuerin des Projekts „Bergsport mit Zukunft” sieht genug Möglichkeiten, ohne Auto auf Gipfel oder Piste zu kommen.

Max Isensee sitzt dem Verein Protect Our Winters Germany (POW) vor, der sich zum Ziel setzt, Klimaschutz in den Köpfen von Wintersportlern zu verankern. Mit seiner Organisation möchte er nicht nur Bewusstsein schaffen, sondern der Community auch Möglichkeiten an die Hand geben, das Bergerlebnis klimafreundlicher zu gestalten. Max’ Anliegen ist ganz klar: “Schütze was du liebst – von Wintersportlern für Wintersportlern”. Das ist auch bitter nötig, denn nicht nur die Abgase stressen die Natur, auch der Müll, die Kippen und Verpackungen von Snacks belasten Flora und Fauna. Eigentlich sollte man nichts als Fußstapfen hinterlassen, egal, ob auf 500 oder 5000 Metern. Könnten die Alpenländer, gar der bayerische Staat mit kostenpflichtigen Passierscheinen reagieren, ähnlich wie bei bestimmten Trails in den USA? „Der Genuss der Naturschönheit und die Erholung in der freien Natur sind nach der Bayerischen Verfassung Grundrechte”, erklärt Julia.

Oder wäre die Einführung von erhöhten Parkgebühren an den Wanderparkplätzen eine Möglichkeit, Wanderer zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs anzuregen? Schon jetzt gibt es Hunderte von Touren, die mit Bus und Bahn erreichbar sind. Zudem könnten die erhöhten Parkgebühren den Ausbau des Nahverkehrnetzes fördern. „Wenn sich die Menschen in den Bergen richtig verhalten, sind Einfluss auf Flora und Fauna eher gering”; Julia sieht den Massentourismus besonders im Winter kritisch: Bedingt durch den Klimawandel müssten für bestimmte Tourismusbranchen Alternativen gefunden werden, um die Alpen dauerhaft zu erhalten. Dennoch sei der Skisport gerade für die wirtschaftliche Entwicklung des Alpenraums wichtig.

Neben der umweltfreundlichen Anreise und dem Bewusstsein für das korrekte Verhalten in den Alpen möchte Max von POW auch Konzepte für die Wirtschaft umgesetzt sehen. „Wir streben keinen Massentourismus an, sondern Nachhaltigkeit von und für die WintersportCommunity.” In diese Richtung geht auch das Konzept der Gebiete der „Alpine Pearls”. Die kooperierenden „Perlen“ fördern die Möglichkeit, autofrei an den Urlaubsort zu gelangen. Vor Ort ist die Mobilität garantiert. Sie erlaubt ein umwelt- und klimafreundliches Freizeitangebot. „Das ist auch eine Entwicklung, die die Orte und Täler selbst betreiben und mitgestalten – somit auch mitverantwortlich sind, damit das so passiert”, sagt Max. ►

Ähnlich entwickelten sich die Bergsteigerdörfer, eine Initiative des Österreichischen Alpenvereins, in denen Einheimische im Einklang mit der Natur leben und Bergsportlern und Urlaubern Jahr um Jahr ein nachhaltiges Erlebnis auf dem Berg bieten. Diese Form des Wirtschaftens strebt der DAV an. „In seinem Grundsatzprogramm hat der DAV formuliert, dass touristische Wachstumsspiralen durchbrochen gehören und eine Ausweitung des Intensivtourismus abzulehnen ist”, sagt Julia. Dazu gehöre eben auch, Massentourismus zu reduzieren.

Beide Vereine hoffen, Bergsportlern die richtigen Wege aufzuzeigen und dadurch auch Einfluss auf die Industrie auszuüben, schließlich hat der Bergsportler an sich ein politisches Potential: „Wir beeinflussen die Politik ja auch durch unser Verhalten. 10 Millionen Wintersportler sind auch eine Masse an Wählern,” sagt Max. Und da sind diejenigen, die sich nur im Sommer in den Bergen aufhalten noch gar nicht mitgerechnet.

Verbieten oder zum Verzicht zwingen will hier allerdings niemand. Ob Skifahren oder Bergsteigen: Die Münchner sollen ihre Hausberge weiterhin genießen können, sollen sich einfach an bestimmte Spielregeln halten und für ihr eigenes Handeln Verantwortung übernehmen. „Jeder kann und sollte sein eigenes Verhalten regelmäßig hinterfragen und verbessern”, erklärt Julia. „Oft wird kommuniziert, dieser Klimaschutz bedeute Verzicht – sei es auf Fleisch, den Komfort des eigenen Autos oder die eine Woche Mallorca. Aber vielleicht sollte man es nicht Verzicht nennen, wenn man aufhört, auf Kosten der zukünftigen Generationen zu leben.” ▪

DAV – DEUTSCHER ALPENVEREIN

• gegründet im Jahr 1869, über 1,2 Millionen Mitglieder • „Der Grundgedanke war, der Deutsche Alpenverein solle alle Verehrer der erhabenen Alpenwelt in sich vereinigen.“ – Theodor Trautwein, Gründer • größte nationale Bergsteigervereinigung der Welt • organisiert und verfügt über 321 Berg- und Schutzhütten • Ziel: früher Erschließung der Alpen durch Wege und Unterkunftshäuser, heute Naturschutz und Erfahrungsaustausch

►alpenverein.de

POW – PROTECT OUR WINTERS

• gegründet im Jahr 2007 von Profi-Snowboarder Jeremy Jones • Ziel ist es, Klimaschutz in der Wintersport-Community zu verankern • über die folgenden Jahre entstanden viele nationale Ableger • im Januar 2017 gründete sich die deutsche Division • Fokus liegt im Raum München als wichtiger Standort von Industrie und Sportlern:

Hier gibt es auch einen POW-Stammtisch

►protectourwinters.de

WAS KANN ICH SELBER TUN?

• öffentliche Verkehrsmittel nutzen, wo es geht • wenn mit dem Auto, dann das Auto voll machen und Fahrgemeinschaften bilden • Ausrüstung lieber reparieren als neu kaufen • Müll wieder mit runter ins Tal nehmen • geplanten Routen von Touren (Wandern, Bergsteigen & Skifahren) folgen, um Tiere nicht aufzuschrecken und die Fauna zu schützen • Nachhaltig planen: Lieber für ein Wochenende in die Berge fahren als nur einen Tag.

►alpenverein.de/haltung-zeigen ►protectourwinters.de/handeln

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