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Buchtipps
BUCHTIPPS ZUM THEMA
VON PETRA KIRZENBERGER UND LEA HERMANN Peter Lacy, Jakob Rutqvist, Philipp Buddemeier –Wertschöpfung statt Verschwendung. Die Zukunft gehört der Kreislaufwirtschaft.
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George Saunders – Fuchs 8
Aldous Huxley –Schöne neue Welt (Klassiker!)
Ilona Koglin, Marek Rohde – Und jetzt retten wir die Welt!
Lewis Dartnell – Das Handbuch für den Neustart der Welt
WER NORBERT LANDTHALER AUS DIESER PERSPEKTIVE SIEHT, STEHT AUF DER FALSCHEN SEITE DER TÜR ZUR PROBLEMSTOFF-ANNAHME. WIR DURFTEN NUR AUSNAHMSWEISE ZUM FOTOGRAFIEREN REIN.
TEXT: JULIA FELL // FOTOS: LARA FREIBURGER
OH
MEIN SCHROTT
Egal, ob Grünwalder Gucci-Schnalle oder Schwabinger Schaumschläger – alle Münchner müssen irgendwann mal zum Wertstoffhof. Das Schöne ist: Hier sind alle gleich. Das nicht so Schöne: Nicht jeder kommt damit klar. Bei der wahrscheinlich egalitärsten Institution der Stadt sind Anraunzen, Pöbeln und sogar Rangeleien leider keine Seltenheit. Aber wieso eigentlich? Und wie sieht das Ganze aus Sicht der Leute aus, die hier arbeiten?
Es ist ein grauer Februarmorgen, als wir auf dem Wertstoffhof in Feldmoching vorfahren. Hier sind wir mit Sindy Ring und Norbert Landthaler verabredet, die beide schon seit den 90er Jahren auf dem Wertstoffhof arbeiten. Was mich direkt zur ersten Frage bringt: Haben sich Menge und Art des abgelieferten Mülls über die Jahre hinweg merklich verändert? „Viel Karton durch die Onlinebestellungen – das ist brutal“, sagt Ring. Auch auffällig, so Landthaler: Möbel werden heute deutlich schneller ausrangiert. Früher hatten etwa Schränke oft gut 30 Jahre auf dem Buckel, heute sind es eher drei Jahre. Ihre
Beobachtungen decken sich mit den Statistiken des Abfallwirtschaftbetriebs München (Die Mengen an Altholz und Elektroschrott, die jährlich auf den Münchner Wertstoffhöfen gesammelt werden, sind zwischen 1998 und 2015 konstant gestiegen. Altkleider stagnieren zwar seit 2010, liegen aber immer noch bei unglaublichen 25.000 Tonnen pro Jahr. Fast Fashion lässt grüßen.)
Einige der Klamotten, die in Feldmoching im Altkleidercontainer landen, bemerkt Ring, sind sogar noch neu verpackt. Da ist die Verlockung groß, sie gleich wieder herauszufischen und natürlich aus Sicherheitsgründen untersagt. Man darf überhaupt nichts mitnehmen, was auf den Wertstoffhöfen landet. Aber warum ist das so? Die Antwort ist so simpel wie traurig: Weil der Mensch ein Gierschlund ist. Vor etwa 20 Jahren war das Mitnehmen von auf Wertstoffhöfen abgeladenen Dingen noch erlaubt. Dann hat die Laissez-faire-Praxis Auswüchse angenommen, die nicht mehr zu kontrollieren waren: ►
HELDEN IN ORANGE:
WERTSTOFFHOF-MITARBEITER SINDY RING UND NORBERT LANDTHALER
BUDDHA IM BAUSCHUTT – ER NIMMT‘S MIT HUMOR
In den offenen Trödelhallen haben sich die Leute bis aufs Blut um Dinge gestritten oder sie aus Frust kaputt gemacht. Es kam immer wieder vor, dass gewerbsmäßig organisierte Banden die Kunden schon vor der Einfahrt angesprochen und massiv bedrängt haben. Oder dass Leute in Container geklettert sind, weil sie irgendetwas Interessantes darin gesehen haben – und damit Gefahr liefen, Bekanntschaft mit einer Müllpresse zu machen. Deswegen hat der AWM 2002 die Halle 2 gegründet (früher in Untergiesing, heute in Pasing). Hier werden gut erhaltene Gegenstände, die auf den insgesamt zwölf Münchner Wertstoffhöfen landen, für einen schmalen Taler weiterverkauft. Die Einnahmen fließen zurück in den Müllgebührenhaushalt, außerdem werden soziale Projekte wie „Anderwerk“ mit eingebunden und so Arbeitsplätze geschaffen. Der AWM vermeidet auf diese Weise nach eigenen Angaben 1000 Tonnen Abfall im Jahr.
Und woher kommt das Klischee vom grantigen Wertstoffhof-Sheriff, das z.B. der Comedian Simon Pearce, gebürtiger Puchheimer, in „Alleine unter Bayern“ so anschaulich erklärt? Ring und Landthaler vermuten dahinter den Frust, dass manches nicht angenommen werden kann. Wenn Leute mit Dingen ankommen, die einfach nicht entsorgt werden dürfen und ihre Ladung wieder mit nach Hause nehmen müssen. Dann werden die Kunden schon mal richtig eklig. „Wir hatten vor Kurzem eine Schlägerei auf dem Hof in der Tübinger Straße, bei der ein Kollege eine Schaufel auf den Kopf bekommen hat“, erzählt Landthaler. ►
SONDERBARE DINGE LANDEN HIER IMMER WIEDER. JEMAND HAT SOGAR EINMAL EIN FIEBERTHERMOMETER PER POST GESCHICKT.
FRÜHER FUNDSTÜCK, HEUTE HOFMASKOTTCHEN UND ENTSPANNTESTER TÜRSTEHER MÜNCHENS: DER MÖNCH AM EINGANG
FEHLWÜRFE PASSIEREN NATÜRLICH – WIE DIESE LICHTERKETTE IN DER KABELTONNE. FRAU RING UND HERR LANDTHALER HOLEN DIE DEPLATZIERTEN KANDIDATEN RAUS, WENN SIE SIE SEHEN.
Solche Extremfälle sind zwar selten, aber „die Beschimpfungen passieren tagtäglich“. Sogar Drohungen („Ab morgen arbeiten Sie nicht mehr hier, ich kenne den Bürgermeister!“) oder Beleidigungen („Wo sind Sie denn zur Schule gegangen – zur Müllschule?“) sind keine Seltenheit. Auch schräg: Manche Kunden erwarten, dass die Wertstoffhofmitarbeiter ihnen das Auto ausladen, bleiben neben ihrem geöffneten Kofferraum stehen und warten. „Wir helfen ja gerne“, so Landthaler, „aber es kommt halt auch drauf an, wie man uns fragt“. Verständlich. Und was wünscht sich ein Wertstoffhofmitarbeiter von seinen Kunden? „Anstand“, meint Ring. „Grüß Gott, Bitte und Danke sagen. Das vergessen hier ganz viele“.
Das ist wahrlich nicht viel verlangt. In diesem Sinne: Seid beim nächsten Wertstoffbesuch freundlich und bringt eine doppelte Ladung Wertschätzung für die Leute mit, die den Laden am Laufen halten. ▪
DIE DREI WICHTIGSTEN WERTSTOFFHOF-SPIELREGELN
1. Erlaubte Abgabemenge pro Bürger und Tag: 2 Kubikmeter (= etwa das, was in einen Kombi passt). Größere Mengen kann man gegen eine Gebühr auf einem der beiden Wertstoffhöfe Plus abgeben. 2. Eine Teilabladung ist nicht erlaubt.
Heißt: man darf nur mit der Ladung kommen, die man auch abgeben möchte. 3. Eine Übersicht aller Wertstoffe und wo sie abgegeben werden können gibt’s online beim AMW (►awm-muenchen.de ►Abfalllexikon).
No-Gos sind z.B. Fallobst (wird in den Müllpressen zu Saft und zieht Ungeziefer an), Tierkadaver und Rasenmäher, die noch Benzin oder Öl enthalten. ENERGIESPARLAMPEN GEHÖREN NICHT IN DEN RESTMÜLL – SIE ENTHALTEN QUECKSILBER.
DES EINEN MÜLL IST DES ANDEREN SCHNÄPPCHEN: GUT ERHALTENE GEGENSTÄNDE WERDEN AUF DEN HÖFEN GESAMMELT UND IN DER HALLE 2 WEITERVERKAUFT.