Musiktherapie in der Behandlung von Demenz David Aldridge, Witten
Musik kann soziale/emotionale Fahigkeiten von Alzheimer Patienten fordern und problematische Verhaltensweisen verringern. Sie ubt auch einen positiven Einfluss auf ihr autobiographisches Gedachtnis aus und konnte ihnen daher helfen, einen Zugang zu ihren Erinnerungen zu finden. eim Schreiben dieses Textes ging te zuruckgerufen und rnit der Realitat vermir ein alter Liedtext durch den knupft. Kopf. Wahrend ich nach einer Es gibt ein wichtiges Element, das MuUberschrift suchte, die meine Gedanken sik rnit Sprache gemein hat. Wenn ich jepragnant zusamrnenfasste, ertappte ich mandem etwas sagen will, kann ich ihn inmich plotzlich dabei, wie ich vor mich hin- formieren, indem ich ihm Inhalt rnitteile. sumrnte: ,,Es kommt nicht So werden beispielsweise Musik hilft darauf an, was man tut, Verabredungen getroffen: zu strukturieren sondern wie man's tut. Es ,,Freitag Abend um acht, kommt nicht darauf an, unter der Uhr am Buswas man sag, sondern wie man's sagt." bahnhof." Wenn ich aber etwas Wichtiges Und, wie alle verantwortungsbewussten sagen mochte, wie ,,Du fehlst rnir.", dann Verfasser wissenschaftlicher Attikel - und sind nicht nur die Worte wichtig, sondern sicher als Forschungsbeauftragter und Men- auch die Art, wie der Inhalt vermittelt wird tor, der seinen Studenten irnmerwiedere h - - etwas, das jeder Liebende sofort bestatihknmert, wie wichtig es ist, seine Quellen gen wird. Worte konnen lugen, erst der anzugeben - versuchte ich, mich zu erin- Ausdruck gibt Aufschluss daruber, wie das nern, woher ich dieses Lied kannte. Aber Gesagte zu verstehen ist. Es kommt nicht es woke mir einfach nicht einfallen. Wie frustrierend ist dieses Versagen des Gedachtnisses. Dennoch ging mir die Melodie nicht mehr aus dem Kopf. Und genau das ist auch die Botschaft dieses Artikels. Obwohl man sich an die Quelle nicht erinnern kann, geht einem die Melodie nicht aus dern Kopf. Wenn wir singen, konnen Worter, Gefuhle und Situationen zuruckgerufen werden. Vielleicht sprechen wir deshalb davon, uns etwas ins Gedachtnis zuruckzurufen. Als gabe es eine Stimme, die die Erinnerungen zuruckruft. Wenn diese Erinnerungen - zuriickkehren,werden sie neu geordnet. Wir ordnen sie, damit sie einen Sinn ergeben. Sinn wird ,,gemacht" - das ist eine Aktivitat, genau wie Musik machen. ~ n wir d werde; sehen, dass das- Instrumentales Spiel scheintzu den selbe auch fur das Erzahlen von Ge- bevorzugten Live Musik-Aktivitaten von schichten gilt. Alte Geschichtenwerden, ge- Menschen mit Alzheimer Demenz zu nau wie alte Lieder, vom Damals ins Heu- gehoren
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darauf an, was, sondern wie man's sagt (der macht die MuSikh ist der Punkt7 an dem Musik ins Spiel kommt, Musik&erapie. praktizierenden ten ebenso wie Wissenschafdern liegt vor allem daran, die nutzbringenden Moglichkeiten von Musiktherapie fur Dernenzpatienten aufzuzeigen. Wie die Musiktherapie diese Effekte erzielt, ist bislang aber nur wenig untersucht worden. Musik bietet eine alternative Form an, um Zeit zu strukturieren, wenn die unmittelbare Handlungserinnerung versagt. Kinder rnit Ent~icklun~sstorungen entwickeln ein solches Erinnerungsverrnogen, das ihre kognitiven Fahigkeiten vergrofiert. Bei Patienten rnit Demenz findet der umgekehrte Prozess statt. Wahrend einigeTeile des Gedachtnisses betroffen sein mogen, sind nicht notwendigerweise alle Aspekte des zentralen Ausfuhrungsmechanismusbeeintrachtigt. Die Fahigkeit,Tone zu erkennen bleibt intakt, wahrend rnit fortschreitender Alzheimer Demenz eine stetigeVerschlechterung der Aufnahmekapazitat fur akustische nonverbale Informationen auftritt. Bei einern Test sind ahnliche Verschlechterungen auch fur akustisch priisentierte verbale Information festgestellt worden. Diese Behnde stimmen rnit dem uberein, was wir uber Horschwachen wissen. Sie unterstutzen die Forderung nach Hortests und legen zugleich die Vermutung nahe, dass Musiktherapie eine Verbesserung des Horvermogens fordern konnte.
Zeitliche Koharenz Musiktherapie bietet den Patienten von a d e n einen Sinn fur zeidiche Kohkenz an, der ihrn innerlich nicht mehr zur Verfugung steht. Mit fortschreitender Krankheit verlieren die Aufierungen von Alzheimer Patienten ihre grammatikalischen GERIATRIE JOURNAL 4/04
Strukturen und werden zunehmend vom Wortschatz geleitet und von sinngebenden Momenten gestutzt. Der zeidiche Zusammenhang fehlt. Der beschadigte semantische Prozess ist um das Bindemittel, den JUebstofF', reduziert, der hilft, eine strukturierte Phonemsequenz im Kurzzeitgedachtnis zu bilden. Ich behaupte, dass diese zeidiche Koharenz, der metaphorische ,,KlebstoF, durch die musikalische Form ersetzt wird. Wie wir alle wissen, bleiben manche Lieder in unserem Gedachtnis ,,haften".
mantischen Gedachtnisses jedoch relativ unversehrt bleibt.
Kein Verlust der Wiedererkennungsfahigkeit
Patienten rnit dem Verdacht aufAlzheimer Demenz und hirnorganisch gesunden Kontrollpersonen wurden Testaufgaben vorgelegt, bei denen alltagliche Objekte entweder vom Letter des Experiments oder vom Teilnehmer selbst gebraucht wurden. Um eine vergleichbare Ausgangsposition fur die allgemeineWiedererkennungsfahigkeit beider Gruppen zu schaffen, wurde die Kein Verlust des zeitliche Verzogerung der Testintervalle fur semantischen Gedachtnisses verlhgert. Beide Grupdie K~ntroll~ruppe Verschiedene Forschungsergebnisse deu- pen zeigten ahnliche Ergebnisse von richten darauf hin, dass bei der Alzheimer De- tigen und falschen Antworten. Daruber menz eine fortschreitende Verschlechte- hinaus zeigten sich bei beiden Gruppen rung der hierarchischen Organisation des deudiche Generationsunterschiedeund ein semantischen Gedachtnisses stattfindet. Vorsprung bei Themen, die wiederholt wurden. Die Ergebnisse Die Anordnung und Umstellung von Worten in Musik beeinflusst dieser Untersuchung weidaS a U t o b i O ~ r a p h i ~ ~ h sen e darauf hin, dass bei Aufgaben, die die phoneeinem bestimmten Nimatische und semantische Gedachtnis positiv veau Ereignissen die Gewandtheit prufen, korGedachtnisleistung fur relierten rnit der Anzahl der korrekten Worter, die in beiden Tests den Ursprung dieser Ereignisse von alteren hirnorganisch gesunden Menschen und hervorgebracht wurden. Allerdings war bei der semantischen Aufgabe die Leistung in Menschen rnit Alzheimer Demenz vergleichbar ist. der Bildung von Wortfeldern besser. In beiden Tests bildeten Alzheimer Patienten weniger korrekte Worter als die VerKontextuelle Hinweise gleichspersonen. Der durchschnittliche In zwei Experimenten wurde untersucht, Urnfang ihrer Wortfelder war kleiner und ob Beeintrachtigungen im Wiedererkendie Moglichkeit der Bildung von Wortnungsgedachtnis im Fruhstadium der Alzgruppen geringer als bei der Kontrollgruppe. Die Schwere der Demenz korre- heimer Demenz auf Defizite in der Verschlusselungkontextueller Informationen lierte rnit der Anzahl korrekter Worter und der Gewandtheit beim Wechsel von Wort- zuruckzufuhren sind. Hirnorganisch gesunde alte Menschen und Patienten rnit feldern, aber nicht rnit der Grofie der Wortfelder. Vielleicht wird die Struktur des se- leichter Alzheimer Demenz mussten eine der beiden folgenden Aufgaben ausfuhmantischen Gedachtnisses durch die Alzheimer Demenz beeintrachtigt, aber es gibt ren. Bei der erstenAufgabe mussten dieTeilkeinerlei Hinweis darauf, dass dieser Pro- nehmer Gegensthde wiedererkennen und zess fortschreitet. Im Gegenteil scheint die angeben,warm sie sie gesehen hatten. Beim fortschreitende Verschlechterung der Re- zweiten Versuch mussten die Teilnehmer degewandtheit vielmehr mit der Ver- sich nur daran erinnern, was - und nicht schlechterung von Mechanismen zu- wann - sie etwas gesehen hatten. Beim ersten Experiment, das zeitliche Orientiesammenzuhiingen,die die Suche nach passenden Subkategorien steuern. Dieses rung verlangte, gab es in der WiedererErgebnis kann als Beispiel fur die Beein- kennungsleistung gofie Unterschiedezwitrachtigung prozessualer Funktionen inter- schen den Alzheimer Patienten und der pretiert werden, bei der die Struktur des se- Kontrollgruppe. Bei der zweiten Aufgabe,
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bei der keine Angabe des Zeitpunkts verlangt wurde, war die Wiedererkennungsrate beider Gruppen gleich hoch. Erinnerungslucken im fruhen Stadium der Alzheimer Demenz konnten also zum Teil auf eine gestorte Verarbeitung kontextueller Hinweise zuruckzufuhren sein, die entscheidende Hinweise darauf geben, wann Dinge sich ereignet haben. Wahrend der Einsatz von HintergrundMusik keine Auswirkungen auf die Erinnerung der gesunden Kontrollgruppe hat, lkst sich ein durchgehend positiver Einfluss von Musik aufdas autobiographische Gedachtnis von Patienten rnit Alzheimer Demenz nachweisen. Dabei war die Musik den Betroffenen weder bekannt, noch reduzierte sie ihre Angste. Dieser erhohte Einfluss von Musik aufkognitivgeschadigte Teilnehmer ist ein weiteres Argument fur mu~ik~estutzte Behandlungen. Aldridge [l]befurwortet ebenfalls den Einsatz von Musik bei Untersuchungen. Als Teil einer Studienreihe, die das Erinnerungsvermogen fur alltagliche Handlungsablaufeerforscht, untersuchten Rusted u.a. [2] das Potential akustischer und olfaktorischer Sinnesreize, um bei Patienten rnit dementiellerErkrankungvom Typ Alzheimer die Erinnerung an eineAktivitat (zum Beispiel ein Omelett backen) zuruckzurufen. Beide Versuchsgruppen, gesunde alte Menschen und Freiwillige rnit AIzheimer Krankheit, konnten sich an mehr einzelne Handlungsablaufeerinnern, wenn sie zuvor ein Tonband rnit Gerauschen gehort hatten, die rnit der Aktivitat verbunden waren. Zusatzliche olfaktorische Reize fugten dem positiven Einfluss der auditiven Reize nichts hinzu. Die Er;ebnisse zeigen, dass auditive Reize nicht nur die Erinnerungan den speziellen Handlungsablauf stutzen, zu dem das jeweilige Gerausch gehort, sondern dass sie die Erinnerung an die gesamte Aktivitat verstarken. Menschen rnit Alzheimer Demenz scheinen fortwahrend verschiedene Sinne einzusetzen, um Erfahrungen zu verschlusseln und diese sensorische Information anschliefiend zur Unterstutzung des Gedachtnisses einzusetzen. Diese Erkenntnisse haben fur eine Vielzahl therapeutischer Aktivitaten, die sensorische Fahigkeiten rnit Hilfe von kreativer Kunst fordern, praktische Implikationen hin-
sichdich der Aktivierung des verbleibenden Gedachtnisses. Komrnunikation ist ihrern Wesen nach rnusikalisch
Die charakteristischen Merkrnale von gestorter Kommunikation zwischen Menschen mit einer dementiellen Erkrankung vom Typ Alzheimer und ihren Betreuern sind beschrieben worden [3] . Die Autoren untersuchten das Wesen von Kommunikationsstorungen, die Mechanismen, durch die sie erkannt und ,,repariert6'werden, und das Ergebnis des Wiederherstellungsprozesses, das sich als vom Krankheitsstadium abhhgig erwiesen hat. Trotz nachlassender kognitiver, linguistischer und sozialer Fahigkeiten des einen Partners, be-
Medizinische Evaluierungselemente Kontinuierliche Beobachtung des intellektuellen und funktionellen Zustandes Prufung der sprachlichen Fahigkeiten einschliefilich Sprachgewandheit Prufung der kortikalen Fehlfunktionen, visuell-raumlicher Fahigkeiten und der Fahigkeit, komplexe motorische Aufgaben auszufuhren (inkl. Greifen und RechtsILinks-Koordination Test fur progredientes Gedachtnisversagen Motivation, Tests zu Ende zu fihren, gesetzte Ziele zu erreichen
,,lntentionalitat1' schwer zu testen (obwohl wunschenswert) Konzentration und Dauer der Aufmerksamkeit Flexibilitat bei wechselnden Aufgaben Mini-Mental-State Examination Ergebnisse werden vom Bildungsniveau beeinflusst Unempfindlichkeit gegenuber geringen Veranderungen Fahigkeit, die Umgebungzu interpretieren
wdtigen Paare kommunikativeStorungen Krankheit helfen, Kommunikation und im fruhen oder mittleren Stadium der Ausdruck zu erleichtern. Wenn Musik die Krankheit mit gofiem Erfolg. Daraus er- kommunikativen Fahigkeiten fordert geben sich wichtige Einsichten hinsichdich wenn sie die Basis von Kommunikation ist des Einflusses, den der Krankheitsverlauf - und pflegendenAngehorigen im Krankauf die Gesprachsfiihr~n~ hat und hin- heitsverlauf eine wichtige Aufgabe zukommt, dann folgt darsichtlich der Entwicklung Musikalische lnterven- sus, dss es letzlich such von Kommunikationstrainingspropammenfur tionen als Alternative die Heifer sind, die von - * pflegende Angehorige von yw medikamentijsen der Musiktherapie profiAlzheimer Patienten. Da tieren. Behandlung und Medizinische versorKommunikation ihrem Wesen nach musikalisch einweisung gung findet nicht im luftleeren Raum statt. Nur ist, wird Musiktheraoie hierbei eine wichtige Rolle spielen. De- wenige von uns leiden alleine. Unser Leimenzpatienten sind fur musikalische Rei- den hat Einfluss aufdie, die wir lieben und ze empfhglich und reagieren auf Musi- die uns lieben. Vielleicht gelingt es uns, die zieren. Daher kann der Einsatz musikali- singenden Duos wieder herzustellen und scher Elemente mit fortschreitender die Tanzpartner von einst wieder zusarnmenbringen. In einer Zeit der wirtschaftlich bestimmten Gesundheitsfursorge wird dies fur kreative Kunsttherapeuten Musikalische Evaluierungselemente eine gofie Herausforderungsein. Kontinuierliche Beobachtung des intellektuellen und funktionellen Singen als vitales, Zustandes wirkungsvolles Mittel Prufung der musikalischen Fahigkeiten: Rhythmus, Melodie, Harmonie, In vielen Kulturen wird die Bedeutungvon Lautstarke, Phrasierung, Artikulation Singen fur alte Menschen ubersehen. Es Prufung der kortikalen Fehlfunktionen, scheint, dass Singen allmahlich zum reinen visuell-raumlicher Fahigkeiten und der ,,ZeitvertreibC' degradiert worden ist - eiFahigkeit, komplexe motorische Aufne Rolle, die im Vergleich zu anderen eher gaben auszufuhren (inkl. Greifen und bedeutungslos ist. KlinischeErgebnisse der RechtsILinks-Koordination Musiktherapie widerlegen diese AuffasTest fur progredientes Gedachtnislassen Singen als vitales, wirsung und versagen kungsvolles Mittel erscheinen, um die Motivation, Improvisation zu Ende Teilnahme alter Menschen an geeigneten fuhren, musikalische Ziele zu erreichen und die musikalische Form beizubehalBehandlungen zu fordern und ihre Leten bensqualitat zu erhohen. Singen kann den Jntenionalitat" ist Eigenschaftder funktionalen Bedurfnissen alter Menschen musikalischen Improvisation uber ein breites Spektrum von FahigkeiKonzentration in der Improvisation und ten und Storungen hinweg entsprechen. Aufmerksamkeit (auch instrumentalen) Dadurch ist die Teilnahme am Singen, als Veranderungen Form aktiven Musizierens, fur die GeFlexibilitat bei musikalischen (auch sundheit und das Wohlbefinden alter Meninstrumentalen) Veranderungen schen wichtig. Auch bei Patienten, deren Fahigkeit zur Improvisation unter BeStimmurnfang und -qualitat begrenzt sind, rucksichtigung musikalischer Vorkenntkann aktives Singen durch seine positiven nisse physiologischen, p~~chologischen und soEmpfindlichkeit gegenuber geringen zialen Auswirkungen gesundheitsfordernd Veranderungen wirken. Das vielleicht gofite Hindernis Fahigkeit, musikalischen Kontext zu fur die Teilnahme am Singen ist die kulinterpretieren und die Kommunikation turelle Befangenheit, die Singen ablehnt innerhalb der therapeutischen Bezieoder sogar verbietet. Bis zu dem Tag, an hung auszuwerten dem Singen als Form aktiven Musizierens --
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fur jeden - ungeachtet seines Alters oder seines Konnens - kulturelle Billigung findet, wird die Teilnahme von jenen ermutigt und unterstutzt, die seinen Wert zu schatzen wissen. Musiktherapeuten und Mediziner miissen den Nutzen von Singen fur die Betreuung von alten und jungen Dabei ist es Menschen ber~cksichti~en. wichtig, alte Menschen gut vorzubereiten, um Verletzungen zu vermeiden und bestmogliche Ergebnisse zu erzielen. Fur alte Menschen, die an einer progressiven Krankheit leiden, kann Singen ein integraler Bestandteil des Behandlungsprogrammswerden. 1st die Krankheit so weit fortgeschritten, dass Palliativpflege notwendig wird, bietet Singen Erleichterung und menschlichen Kontakt. Dariiber hinaus tragt es zur Symptombekampfung bei. Menschen, deren hnktionale Fahigkeiten von Alter undloder Krankheit geschwacht sind, reagieren immer noch auf Gesang. Singen ermoglicht es dem Betreuten, bis zum letzen Moment dazuzugehoren und bietet dem Betreuenden zugleich einen Beruhrungspunkt. Singen kann einen wichtigen Beitrag zum Wohlbefinden und zur therapeutischen Behandlungalter Menschen leisten, ganz gleich, ob die Teilnahme aktive Partizipation oder passives Zuhoren ist. Singen schafft Verbindungen zur personlichen Geschichte und stellt Kontakt zu anderen Menschen in der Gegenwart her, wobei es stets die personliche Identitat und Wurde anerkennt. Es hat zweifellos einen starken Einfluss und ist fur alle zugiinglich, die es als Trost und Beruhigungwhschen. Folglich ist Singen ein wichtiger Faktor in der Lebensqualitat alter Menschen und eine weitere Beschaftigung rnit der Entwicklung und Evaluation musiktherapeutischer Anwendungen und Methoden ist sehr wiinschenswert. Fazit
Die Sichtung von 36 klinischen empirischen Studien [4],die zwischen 1986 und 1998 durchgefuhrt wurden, bietet ausreichende Beweise dafiir, dass wirkungsvoll strukturierteMusik soziale1emotionale Fahigkeiten fordern und problematischeVerhakensweisen verringern kann. Aufierdem kann Musik als Stimulanz/Hinweisfur die GERIATRIE JOURNAL 4/04
Merkf&igkeit und die sprachlichen Leistungen von Menschen rnit Alzheimer Demenz dienen. Zusammengefasst ergeben sich folgende Erkenntnisse: F Alte Menschen rnit wahrscheinlicher Alzheimer Demenz konnen bis in die Spatstadien der Krankheit hinein an strukturierten Musikaktivitaten teilnehmen. F Instrumentales Spiel und TanzlBewegung scheinen die bevorzugten Live Musik-Aktivitatenvon Menschen rnit Alzhei-
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Music Therapy World Musiktherapie in der Behandlungvon Demenz Hrsg.: D. Aldridge, Verlag: Books on Demand, Norderstedt. Umfang 192 Seiten, Format: 15,s X 22 cm, Preis 16,oo Euro, ISBN 3-8334-0145-1
mer Demenz zu sein - an diesen Aktivitaten konnen die Erkrankten am intensivsten und am liingsten teilnehmen, sogar noch in den Spatstadien der Krankheit. Obwohl Singen eine beliebte und in der Geriatrie vielfach eingesetzte Aktivitat ist, nimmt die Fihigkeit hierzu bei Demenzkranken im Laufe der Zeit ab. Nichtdestotrotzkonnen sie sich an einer Anzahl musikalischer Aktivitaten beteiligen, sofern diese sorgfaltig an ihr Leistungsniveau angepasst werden - sogar solcheAktivitaten, die mehr Spontaneitat m d Kreativitat erfordern, wie Komposition/Improvisation, Spiele und Schreiben von Liedern. F Das Vormachen der erwarteten Reaktion - entweder von einem Gruppenmit@ed rnit hoherem Leistungsniveau oder vom Musiktherapeuten - scheint ein wichtiges Element zu sein, um die Beteiligung zu stimulieren und fordern. F Ein~elsitzun~en und Kleingruppen (35 Teilnehmer) eignen sich am besten far die Musiktherapie rnit Alzheimer Patienten. F Sozialelemotionale Fahigkeiten, einschliefilich Interaktion und Kommunikation, konnen durch strukturierte LiveMusik-Aktivitaten unterstutzt und sogar verbessert werden. Musiktherapeutische Interventionen konnen die Interaktion zwischen Alzheimer Patienten und deren Betreuern fordern. Die Anwesenheit von kleinen Kindern in Musiktherapiesitzun-
gen wirkt sich ebenfalls positiv auf soziale und kommunikative Fahigkeiten der Patienten aus. F Musik kann kognitive Fahigkeiten, wie beispielsweise die Merkfahigkeit, erhohen. Gesungene Informationen werden besser behalten und erinnert (Tab. 1). F Musikalische Interventionen haben sich als wirkungsvolle Alternative zur medikamentosen Behandlung und Heimeinweisung von Alzheimer Patienten rnit Verhaltensstorungen erwiesen. Die Ergebnisse dieses Literaturuberblicks zeigen, dass die musikalische Vorliebe einer der Schliissel fur eine erfolgeiche musiktherapeutische Behandlung ist. Alles zusammengenommen beweisen diese Resultate, dass Menschen far Musik empfinglich sind und legen dievermutung nahe, dass Musik ein Medium sein konnte, rnit dessen Hilfe Alzheimer Patienten kommunizieren und Zugang zu den Erinnerungen finden konnen, die rnit traditionellen verbalen Mitteln nicht ruckrufbar sind. Der Grund fur diese Reaktion ist noch nicht bekannt. Liegt es an der %thetischen Natur der Musik, die noch erhaltene Gehirnstrukturenaktiviert und es diesen Menschen dadurch ermoglicht, sich fur bestimmte Zeitspannen rnit der Adenwelt zu verbinden?Oder ist die zwischenmenschliche, fursorgliche Beziehung zwischen Patient undTherapeut fur diese Reaktionen verantwortlich?Auf jeden Fall ist weitere Forschungauf diesem Gebiet wiinschenswert. Literatur l. Aldridge
D. Music and Alzheimer's disease - assessment and therapy: discussion paper. journal of the RoyalSociety of Medicine 1993; 86 (2): 93-5 2. Rusted j, Marsh R, Bledski L, Sheppard L. Alzheimer patients' use of auditory and olfactory cues to aid verbal memory. Aging & Mental Health 1997; i (4): 364-371 3. Orange JB, VanGennep KM, Miller L, lohnson AM. Resolution of communication breakdown in dementia ofthe Alzheimers type: A longitudinal study. journal of Applied Communication Research 1998; 26 (I): 120-138 4. Aldridge D. Music therapy in dementia care. London: jessica Kingsley Publishers, 2000.
Prof. Dr. David Aldridge, Universitat Witten, Fakultatf& Medizin, Lehrstuhl fur Qualitative Forschung in der Medizin, Alfred-Herrhausen-Str.50, 58448 Witten