Musiktherapie und die Alzheimer-Krankheit Eine Diskussionsarbeit David & Gudrun Aldridge 1 emenz ist eine wichtige Ursache von chronischen Behinderungen, die sowohl zu steigenden Pflegekosten als auch zu einer progressiven Störung der Lebensqualität für Patienten und ihre Familien führt. In den USA wird der Aufwand für institutionalisierte Pflege für an Demenz leidenden Patienten auf $25 Milliarden pro Jahr geschätzt (Steg 1990). In dieser Bevölkerungsgruppe wird die Hypothese aufgestellt, daß 15% der über 65jährigen an leichter bis schwerer Demenz leiden werden, mit einer Steigerung bis zu 45% unter den über 90jährigen (Odenheimer 1989), wobei mehr als 60% dieser Fälle von Demenz aus der Alzheimer-Krankheit hervorgehen (Kalayam & Shamoian 1990).
D
Da die ältere Bevölkerung Europas vermutlich immer zahlreicher wird (Aldridge 1990), dürfte es höchste Zeit sein, Behandlungsinitiativen in der westlichen Welt zu finden, die die Auswirkungen dieses Problems entschärfen könnten. Obwohl die Musiktherapie keine Heilung für die AlzheimerKrankheit bieten kann, wäre sie in der Lage, ihre Auswirkungen zu mildern und für eine wertvolle Ergänzung in der Diagnostik zu sorgen. Krankheiten, die Demenz hervorrufen, d.h. erworbene kognitive Störungen, sind seit Jahrhunderten bekannt, aber es sind kaum Fortschritte in der spezifischen Diagnose vor der Evolution der nosologischen Einstellung zum Kranksein und den frühen klinischen Beschreibungen von Neurosyphilis und Chorea Huntington im 19. Jahrhundert gemacht worden. In solchen Beschreibungen wurde vermutet, daß das Hirn einen direkten Einfluß auf das Verhalten des Menschen hat. Die frühesten histopathologischen Charakterisierungen von kognitiven Störungen wurden erst durch die Entwicklung des optischen Mikroskops ermöglicht. Infolgedessen war es Alzheimer möglich (Alzheimer 1907; Drachman et al. 1990) neurologische Degeneration und senile Plaques im Hirn ei-
ner an progressivem Gedächtnisschwund leidenden 55jährigen Frau zu erkennen und die Krankheit als solche zu identifizieren, die heute seinen Namen trägt. Während kognitive Schäden durch Verhalten offensichtlich werden und neurologische Degeneration von der Neurohistopathie erkannt wird, neigt die Diagnose der Alzheimer-Krankheit jedoch zu Fehleinschätzungen, und Autoren sind verschiedener Meinung, was die Schwierigkeit einer präzisen Diagnose angeht (Odenheimer 1989; Steg 1990). Im Frühstadium der Erkrankung können die Symptome nur schwerlich von denen des normalen Alterns, ein Vorgang der ohnehin ungenügend verstanden wird, unterschieden werden. Zur Zeit gibt es weder normativ etablierte Meßwerte in bezug auf kognitive Schäden oder Gedächtnisschwund noch Klarheit hinsichtlich der neurochemischen und neurophysiologischen Veränderungen, von denen das normale Altern begleitet werden. Deshalb ist es außerordentlich schwierig, Kriterien für die Determinierung von abweichenden Veränderungen in der normalen Bevölkerung zu etablieren. Der Forscher/Kliniker muß sich zum Teil auf ‘within-the subject’ (individuelle) Studien-Designs verlassen, um fortschreitenden Verfall überhaupt aufzeichnen zu können. Eine zweite Fehlerquelle in der Diagnostik der Alzheimer-Krankheit ist, daß sie hinter anderen Beschwerden verborgen bleiben kann (s. Tabelle 1). Hauptursache dieser Beschwerden ist Depression, die auch kognitive und Verhaltensstörungen verursachen kann. Zusätzlich schätzt man, daß 20% bis 30% der an der Alzheimer-Krankheit leidenden Patienten auch begleitende Depression aufweisen (Kalayam & Shamoian 1990), wodurch die diagnostische Problematik nur noch erschwert wird.
Tabelle 1: Unterschiedliche Diagnosestellung zur Alzheimer-Krankheit Unterschiedliche Diagnosestellung Multi-Infarkt-Demenz und andere Formen der zerebralvaskulären Erkrankung Parkinson’sche Krankheit Progressive supranukleare Lähmung Chorea Huntington Infektion des Zentralnervensystems Subdurale Haematoma Normaldruckhydrozephalus Multiple sclerose Schlaganfall Gehirntumor Zerebrale Trauma Metabolische Störung Ernährungsmangel Psychiatrische Störung Substanzmißbrauch oder Übermedikation Klinische Beschreibungen von Demenz