Ägypten will „Zweiten Suezkanal“ errichten 3
5 Al-Sisi blickt ostwärts
Heimweh nach Ägypten!
Buchtipp: „Mein Mann ist Ägypter“
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Kluge Ausländer am Roten Meer
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Die erst- deutsch-sprechend, allgemeine Monatszeitung im arabischen Raum
Pyramidenskandal eines HobbyÄgyptolge
8 September - 2014
Für Gratis
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Inhalt
ÄgyptenHeute August2014
Binnen eines Jahres bauen die Ägypter «Zweiten Suezkanal»
Säkulares gegen Fanatisches
Der Suezkanal verkürzt Schifffahrten von Europa nach Asien um Tage und ist daher eine wichtige Handelsroute: Nun will Ägypten den Suezkanal erweitern. Auf einer Länge von 72 Kilometer werde parallel zur bestehenden Wasserstraße ein “neuer Suezkanal” errichtet, sagte der Vorsitzende der Kanalbehörde, Mohab Mamish, auf einer Konferenz in der Hafenstadt Ismailia. Der Präsident Al-Sisi betonte nun bei der Vorstellung des neuen Bauvorhabens, die Finanzierung solle allein aus ägyptischen Mitteln erfolgen.
...„Tahrir-Revolution“ führte nicht ins demokratische Paradies sondern in ein „post-pseudorevolutionäres“ Chaos. War die Mubarak-Epoche geradezu ein Goldenes Zeitalter mit paradiesischen Zuständen. Honny soit qui mal y pense... Professor Wolfgang Freund, deutsch-französischer Sozialwissenschaftler, analysiert was gegenwärtig in Ägypten geschieht und kommt zu dem Ergebnis dass: Ägypten kämpft auf Leben und Tod um das Eintrittsbillet in die soziopolitische Landschaft des 21. Jahrhunderts. Ändern können wir (die Europaer) es nicht; aber wir sollten uns davor hüten, den „Gegenkräften“ Beifall zu spenden oder gar Unterstützuing zu gewähren.
4 Riskantes Pyramidenspiel! Die zwei deutsche Privatforscher Dominique Görlitz und Stefan Erdmann sind im April 2013 mit einer Privatgenehmigung in die CheopsPyramide gegangen und haben Proben von den schwarzen Verfärbungen an der Decke der Königskammer und von roten antiken Graffitis in der fünften Entlastungskammer genommen. Sie werden nun in Ägypten angeklagt. Erdmann hat die letzten 20 Jahre mit der Erforschung der Pyramiden zugebracht und insbesondere von 2005 bis 2007 zahllose Gesteinsproben in und um der Cheops-Pyramide und auch an anderen antiken Stätten in Ägypten genommen. Auf Erdmanns Website gibt es sogar ein Foto, auf dem ein Polizist ihm dabei hilft, die Proben einzupacken.
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Die Öllampe von Om Hachem
8 Tierschutz am Roten Meer In Ägypten leben immer noch sehr viele Hunde und Katzen auf der Straße. Sie können überleben, da es keine funktionierende Müllentsorgung gibt. Der von Menschenhand produzierte Abfall liegt für sie leicht zugänglich auf der Straße. Und dieser reicht nicht nur aus, um das Überleben der Tiere zu sichern, sondern auch, um ihre unkontrollierte Vermehrung zu gewährleisten. Dies wiederum bedingt Inzucht und die rasche Verbreitung ansteckender Krankheiten.
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Mit Schiff durch Wüste
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Hinter dem Hochdamm bei Assuan erstreckt sich eine Wasserwelt von überwältigender Schönheit. Das Nubische Meer, wie der Nassersee treffend genannt wird, ist die landschaftlich hinreißendste, vielfältigste und am wenigsten verdorbene Region Ägyptens. Der azur- bis tintenblau schimmernde See liegt in einer fast unwirklich anmutenden Wüstenlandschaft.
Erfolgreiche Auswanderer in El Gouna berichten über ihre Erlebnisse Jedes Jahr verlassen tausende von Europäern ihre Heimatländer, um als Auswanderer in der Ferne eine neue Erfahrung zu machen und mit ein wenig Erfolg gar eine neue Heimat zu finden. So entwickelt sich derzeit in dem exklusiven Ferienort El Gouna am Roten Meer eine kleine, aber erfolgreiche Gruppe von Europäern, die den beschaulichen Ort als ihre neue Heimat gewählt haben. Viele der in El Gouna lebenden Ausländer haben sich für den Ort entschieden, da er bequem in nur viereinhalb Stunden aus Europa erreichbar ist, das ganze Jahr über angenehme Temperaturen bietet und bei niedrigen Lebenskosten und hohem Lebenskomfort eine kleine internationale Gemeinschaft offeriert, in der die besten Seiten Ägyptens mit denen Europas friedlich vereint sind.
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Jahia Hakki ist warscheinlich der bewußteste Erzähler der modernen arabischen Literatur. Sein Ruhm beruht auf der Erzählung »Die Öllampe von Om Hachem«; (1944), in der er sich mit dem Leben eines ägyptischen Studenten in Europa sowie mit den nach seiner Rückkehr in die Heimat entstehenden Konflikten auseinander setzt.
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Vorwort Normalerweise schreibt der Chefredakteur das Vorwort, aber diesmal schreibt „Ägypten Heute” Berater Werner Witpeerd über das Wetter und seine Probleme damit! Was ist schöner, im ägyptischen Sommer zu schwitzen oder im kühlen und nassen deutschen Sommer zu frieren? Dieses Erlebnis hat es verdient, auf der dritten Seite platziert zu werden.
Heimweh nach Ägypten! Ich will dahin, wo das Wetter dauerhaft schön ist.
A
m 1. Juni musste ich leider das Sonnenland verlassen und flog zurück nach Deutschland. Was mich erwartete war klar, Regen, kühle Temperaturen und eine Hecke, die das Schneiden unbedingt nötig hatte. Durch die Wärme im April und den darauf folgenden Dauerregen hatte sich die vordere Begrenzung unseres Grundstückes urwaldähnlich entwickelt. Da keiner meiner Söhne sich erbarmt hatte, das gute Stück zu stutzen, blieb es mir vorbehalten, sie wieder in Form zu bringen. In Ägypten ist so etwas sehr einfach, man rollt das Stromkabel aus, schließt die Heckenschere an und los geht’s. Im Siebengebirge, da, wo ich in Deutschland wohne, war das nicht so einfach. Kaum hatte ich alles, was ich brauchte zurechtgelegt, da näherte sich der erste Schauer. Also, alles wieder einpacken und auf ein Regenloch warten. Das kam dann auch, so nach einer Stunde und der Countdown begann. Hurtig alles wieder vorbereitet und los ging es mit dem ersten von 20 Metern. Sogar die Sonne ließ sich kurz blicken und dann zog ein Gewitter auf. Dem ersten Blitz folgte ein gewaltiger Donner und dann blitzte es noch einmal ganz leicht, doch dieser Blitz kam nicht vom Himmel, sondern aus dem Kabel, welches ich vor Schreck durchtrennt hatte. Somit war nach nur etwas mehr als 8 Metern das wettermäßige und technische Aus für mein Vorhaben, unsere Hecke wieder in Form zu bringen, gekommen. Es hat dann wetterbedingt noch 3 Tage gedauert, bis ich die Arbeit endlich erledigt hatte. Das wäre mir in Ägypten bestimmt nicht passiert, dort hätte ich auch nicht die Heizung wieder anstellen müssen oder den Kamin angemacht, um gegen die Kälte und Feuchte im Haus anzuheizen. Als sich dann herausstellte, dass ich frühestens am 28. Juni erst wieder zurück in die Sonne, sprich in meine zweite Heimat nach El Gouna am Roten Meer reisen kann, da kam Heimweh auf. Zumal sich da die Tagestemperatur am Rhein oft nicht über die 20 Grad Celsius hinaus bewegte. Nun bin ich seit ein paar Tagen wieder in dem wunderschön warmen und sonnigen Ägypten. Glauben Sie mir, es ist wesentlich schöner ein wenig zu schwitzen, als im kühlen und nassen deutschen Sommer zu frieren. Jetzt ist es mittlerweile auch Winter in Ägypten geworden, nur mit dem Unterschied, dass man hier unsere Sommertemperaturen antrifft.
ÄgyptenHeute August2014
Errichtetam28Oktober2002, veröffentilchtmonatlichvonGhofranPublishingCompanyLimited. London Registration No: 4279535 Herausgeber & Chefredakteur
Ayman Scharaf
Autoren dieses Heftes: Beke Hoppe Bettina Bausch Birgit Witpeerd Cosmopolitana Elisabeth Lehmann Grigorios Petsos Liza Ulitzka Magd Mansur Monerl Nina Böhm Steven Mayor Werner Witpeerd Wolfgang Freund
Single Frau im Land am Nil Die Lebensräume ägyptischer Männer und Frauen sind die meiste Zeit über voneinander getrennt. Beide Geschlechter werden dazu erzogen, im jeweils anderen Geschlecht ausschließlich potentielle Sexualpartner zu sehen, vor deren physischer Nähe man sich unbedingt schützen muss. Sexualität wird ausschließlich durch das Eingehen der Ehe legitimiert.
Design und Bildredaktinon Amr Attwa
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D & B Assistent Elham Abdel-Karim Archive Ahmed Gomma Produktionseinheit
www.aegyptenheute.net E-mail:aegyptenheute@gmail. com Festlinie: 002 02 270 411 40 Hotlinien: 002 011 22 18 267
Eine Oase der Satire
Red Sea Kontakte und Beratung: Werner Witpeerd Mobil (002) 010 2490998 0049 2244 873989 0049 173 2956195 Email:werner@witpeerd.de
Ein ägyptischer Künstler hat aller Kritik und allen Unkenrufen zum Trotz, in der Nähe von Kairo das erste Karikaturenmuseum der arabischen Welt veröffentlicht. 200 Zeichnungen von 50 Künstlern laden zum Nachdenken und Schmunzeln ein.
Anzeigen Management: RosiAschenbrenner(Deutschland): 0049 0162 4095507 0049 05251 1740272 Email:rosi-aschenbrenner@ web.de
Werner Witpeerd
Beiträge der namentlich genanntenAutorinnenundAutorengebennichtunbedingtdie MeinungderRedaktionwieder.
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Politik
ÄgyptenHeute August2014
Ägypten will den „Zweiten Suezkanal“ errichten Von ÄH Redaktion
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er Suezkanal verkürzt Schifffahrten von Europa nach Asien um Tage und ist daher eine wichtige Handelsroute: Nun will Ägypten den Suezkanal erweitern. Auf einer Länge von 72 Kilometer werde parallel zur bestehenden Wasserstraße ein “neuer Suezkanal” errichtet, sagte der Vorsitzende der Kanalbehörde, Mohab Mamish, auf einer Konferenz in der Hafenstadt Ismailia. Die Kosten des Projekts bezifferte Mamish auf vier Milliarden Dollar (drei Milliarden Euro). Nach Angaben Mamishs sollen 35 Kilometer neu ausgehoben werden. Auf einer ebenso langen Strecke solle der Kanal erweitert und vertieft werden. Der Kanal ist mit Einnahmen von rund fünf Milliarden Dollar eine der wichtigsten DevisenEinnahmequellen des Landes, insbesondere da der Tourismus unter den politischen Unruhen seit 2011 leidet. Zur Vorstellung des Projektes war auch der ägyptische Präsident Abdel Fattah Al-Sisi anwesend. Zuvor hatten bereits die ägyptischen Medien die Reise des Staatsoberhauptes in das am Kanal gelegene Ismailia angekündigt – er hatte eine “Überraschung” versprochen – und über ein mögliches Bauprojekt spekuliert. Al-Sisi kündigte an, die Leitung der Baumaßnahmen habe aus Sicherheitsgründen das Militär. Erst im vergangenen Jahr hatte der mittlerweile gestürzte Präsident Mohammed Mursi einen Ausbau des Suezkanals vorgestellt. Das Vorhaben geriet jedoch in die Kritik, als Pläne öffentlich wurden, nach denen Katar die Finanzierung federführend übernehmen solle. Al-Sisi betonte nun bei der Vorstellung des neuen Bauvorhabens, die Finanzierung solle allein aus ägyptischen Mitteln erfolgen. “Die Ägypter sind sehr sensibel, was ausländische Beteiligungen angeht”, sagte er. Am Projekt seien 17 Firmen beteiligt, die Al-Sisi unter die Aufsicht des ägyptischen Militärs stellt.
Der Bau soll in drei Jahren realisiert werden, Al-Sisi wünschte sich jedoch eine Fertigstellung binnen eines Jahres. Die Ankündigung zum Kanalausbau wurde live im Staatsfernsehen übertragen. Al-Sisi war extra aus der Hauptstadt Kairo angereist, um an der Vorstellung des ehrgeizigen Infrastrukturprojektes in der Kanalstadt Ismailia teilzunehmen. Das Projekt gilt als Prestigevorhaben von großer innenpolitischer Strahlkraft – und soll der einseitig ausgerichteten Wirtschaft des Landes nebenbei zu neuer Stärke verhelfen. Das Projekt wird durch weitere Entwicklungsprogramme wie dem Bau von Tunneln, Infrastruktur und Tourismuszonen begleitet. Diese Vorhaben stünden auch ausländischen Investoren offen. Insgesamt erhofft sich die Suez-KanalBehörde eine Million neue Arbeitsplätze durch die Bauvorhaben am Kanal. Die Märkte hatten auf das zu erwartende Megaprojekt schon spekuliert: Der ägyptische Aktienindex EGX schloss am Montag mit 8918 Punkten – dem höchsten Wert seit sechs Jahren. “Wenn das Projekt Realität wird, wird das viele Wirtschaftssektoren wachsen lassen”, sagte Handelskammermitglied Issa Fathy der Staatszeitung “Al-Ahram”. Fathy geht zukünftig von Einnahmen in Höhe von 13 Milliarden US-Dollar durch den Kanal aus. Für Ägypten hat der Suezkanal enorme wirtschaftliche Bedeutung: Mit Einnahmen von rund fünf Milliarden Dollar pro
Al-Sisi betonte nun bei der Vorstellung des neuen Bauvorhabens, die Finanzierung solle allein aus ägyptischen Mitteln erfolgen. “Die Ägypter sind sehr sensibel, was ausländische Beteiligungen angeht”.
Jahr ist die Wasserstraße eine der wichtigsten Devisen-Einnahmequellen des Landes. Beobachter halten die angekündigten Investitionen für besonders bemerkenswert: Gut drei Jahre nach dem Sturz des langjährigen Staatspräsidenten Hosni Mubarak und einer Phase erheblicher innenpolitischer Spannungen scheint sich Kairo damit wieder stärker der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes zuzuwenden. Mit den Grossprojekten wolle man aus der Armut ausbrechen, erklärte Al-Sisi. Der Suezkanal-Ausbau ist deshalb nicht das einzige Vorhaben. Er kündigte auch an, Toshka fertigzustellen, das Prestigeprojekt zur Bewässerung der Wüste im Süden Ägyptens, das von Ex-Präsident Hosni Mubarak initiiert wurde. Es ist in den vergangenen 15 Jahren nicht einmal zu 10% fertiggestellt worden. Kernstück ist ein 240 km langer Kanal vom Nasser-Stausee nach Wadi Gedid. Rund 2 Mio. Feddan (arabisches Flächenmass; 1 Feddan entspricht 0,42 Hektaren) hätten fruchtbar gemacht werden sollen. Mehr als 20 000 Feddan werden heute nicht bewirtschaftet, und vor allem will niemand in der Tropenhitze leben, wo es mit dem Wasser dann auch noch feucht ist. Ausländische Investoren haben sich wieder zurückgezogen. Wie viele Milliarden an Geld mit Toshka bereits in den Sand gesetzt wurden, ist ein gut gehütetes Geheimnis der Regierung. Im Budget erscheinen diese Ausgaben nicht. Fast beiläufig erwähnte Al-Sisi auch die Idee einer neuen Hauptstadt, die im Ministerium für Wohnbau ausgearbeitet und in drei Etappen über 12 Jahre realisiert werden soll, wenn Ägyptens Bevölkerung um weitere 26 Mio. Personen gewachsen sein wird. Fast alle Versuche, neue Städte zu bauen, um das Niltal und den Moloch Kairo zu entlasten, sind in den vergangenen Jahrzehnten aber immer wieder gescheitert.
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Politik
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eim Treffen ging es mehr um den Handel und die Wirtschaft als um internationale Probleme. Was übrigens nach dem Moskau von Washington und Brüssel aufgezwungenen „Krieg der Sanktionen“ kaum erstaunlich ist. Russland hat als Antwort auf die westlichen Sanktionen wegen seiner Ukraine-Politik ein Einfuhrverbot für westliche Lebensmittel verhängt und sucht nach neue Importquellen, um Versorgungsengpässe zu vermeiden. In den letzten beiden Jahren hat der gegenseitige Warenaustausch um fast 70 Prozent zugenommen und erreichte im Jahr 2012 etwa 3,5 Milliarden Dollar. Ägypten und Russland haben im Prinzip schon lange die Schaffung einer Freihandelszone vereinbart. Sie wollen den Handel mit Energieträgern, darunter mit Gas und Erdöl, ausbauen und die militärtechnische Zusammenarbeit erweitern, sagte auf der abschließenden Pressekonferenz Präsident Wladimir Putin. Putin gab auch bekannt, dass Russland seine Weizenlieferungen nach Ägypten in diesem Jahr auf bis zu 5,5 Millionen Tonnen aufstocken werde. Im abgelaufenen Handelsjahr 2013/14 hatte Russland 3,6 Millionen Tonnen Weizen in Ägypten exportiert. „Unsere Länder arbeiten in der Sphäre der Landwirtschaft eng zusammen. Ägypten ist der größte Verbraucher von russischem Weizen. Unsere Partner interessierten sich für die Exportmöglichkeiten in diesem Jahr. Wir gewährleisten etwa 40 Prozent des im Lande verbrauchten Getreides. 90 Prozent unseres Imports aus Ägypten entfallen auf landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Tomaten und Kartoffeln. Ägypten steigerte bereits die Lieferung dieser Produkte an unseren Markt um 30 Prozent und ist bereit, sie in der nächsten Zeit um weitere 30 Prozent zu erhöhen.“ Russland plant, im laufenden Jahr insgesamt bis zu 25 Millionen Tonnen Getreide auszuführen. Nach Angaben des Generaldirektors des Marktforschers ProSerno, Wladimir Petritschenko, ist Ägypten seit zwei Jahren in Folge der größte Abnehmer von russischem Getreide. Vom Juli 2013 bis Ende April 2014 habe Russland 3,306 Millionen Tonnen Getreide in Ägypten ausgeführt. Vor Jahresfrist habe die Zahl bei 2,678 Millionen Tonnen gelegen, sagte Petritschenko. Nach Angaben des russischen Landwirtschaftsministers Nikolai Fjodorow kann allein Ägypten künftig etwa die Hälfte der bisher aus den USA und den EU-Staaten importierten Mengen an Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch und Orangen liefern. Der Meinungsaustausch zu internationalen Fragen habe nicht einfach die Nähe der von Kairo und Moskau vertretenen Positionen in der Herangehensweise an die Regelung regionaler und internationaler Probleme widergespiegelt, sondern das Übereinstimmen dieser Positionen, sagte Al-Sisi und erklärte, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit und der Handel zwischen Russland und Ägypten sich nun besonders intensiv entwickeln würden. „Das gesamte Volk Ägyptens verfolgt genau meinen Besuch und erwartet eine enge Kooperation zwischen unseren Staaten“, sagte Al-Sisi.
Ägypten blickt ostwärts
Die Russen verstehen das wirkliche Denken und Fühlen der Ägypter besser als die Amerikaner. Sie wissen genau, was gegenwärtig in Kairo geschieht. Das Land am Nil kämpft auf Leben und Tod um das Eintrittsbillet in die soziopolitische Landschaft des 21. Jahrhunderts und die Russen sind bereit dabei zu helfen. So bekunden Russischen Unternehmen ein Interesse an großen Investitionen in Ägypten in die Erdöl- und Erdgasförderung, in die Erschließung von Goldlagerstädten, in die Montage von Automobilen und Industrietechnik. Moskau wird offenbar recht „stark“ nach Ägypten zurückkehren und gemeinsam mit Kairo Projekte realisieren, die im Maßstab mit dem Assuan-Staudamm am Nil vergleichbar sind. Unter dem Zeichen solcher „Erinnerungen an die Zukunft“ fand am 12. August in Sotschi das Treffen des Präsidenten Wladimir Putin mit seinem ägyptischen Amtskollegen Abdul-Fattah Al-Sisi statt.
Von Ayman Scharaf
ÄgyptenHeute August2014
„Unsere Verhandlungen eröffneten große Perspektiven im Handel mit der Zollunion, der Eurasischen Union, aber ebenso bei der Schaffung einer russischen Industriezone in Ägypten. Ich habe die Hoffnung bekundet, dass diese Zone eine Komponente sein wird, die das neue Projekt des Suez-Kanals ergänzen wird.“ Putins Pressesprecher, Dmitri Peskow, teilte mit, dass Moskau bereit sei, Ägypten hohe Kredite zu gewähren. Die russischen Unternehmen bekunden ein Interesse an großen Investitionen in Ägypten in die Erdöl- und Erdgasförderung, in die Erschließung von Goldlagerstädten, in die Montage von Automobilen und Industrietechnik. Kurz nach seiner Ankunft und noch vor dem Treffen mit Putin durfte Al-Sisi eine Ausstellung mit Rüstungsgütern besichtigen, die für ihn in Sotschi zusammengestellt wurde. Der Staatschef ließ sich auf dem Flughafen neue gepanzerte Fahrzeuge und Raketensysteme vorführen. „Unsere militärtechnische Zusammenarbeit entwickelt sich aktiv. Im März dieses Jahres wurde ein entsprechendes Protokoll unterzeichnet. Russland liefert Rüstungen an Ägypten. Jetzt einigten wir uns auf eine Erweiterung dieser Kooperation“, sagte Putin. Im November reisten die russischen Außen- und Verteidigungsminister nach Kairo, um mit der neuen ägyptischen Führung über Waffenlieferungen zu sprechen. Im Februar trafen innerhalb einer Woche zwei russische Militär-Delegationen in Ägypten ein. Kurz zuvor war der starke Mann Ägyptens, der damalige Feldmarschall Al-Sisi, in Moskau vorstellig geworden, um über den Kauf russischer Waffen zu verhandeln. Moskau und Kairo planen für 2015 eine gemeinsame Anti-Terror-Übung, laut der Zeitung „Kommersant“ unter Berufung auf den Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Jewgeni Meschkow. Russland plant neben dem Manöver allerdings auch eine langfristigere Kooperation. „Moskau intensiviert die allumfassende Zusammenarbeit mit Ägypten im militärtechnischen Bereich und will das Niveau der 1950er- und 1960er-Jahre erreichen“, so Nahost-Experte Sergej Seregitschew. Außerdem hatten die Seiten während des Ägypten-Besuches des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu im Herbst 2013 beschlossen, dass ägyptische Soldaten an russischen Militärakademien ausgebildet werden. „Moskau bemüht sich um die Förderung der gegenseitigen Kontakte zwischen den Geheimdiensten. Das ist auch für Russland sehr wichtig, denn früher hatten wir die Ägypter häufig um Hilfe beim Widerstand gegen radikale Studenten aus dem Nordkaukasus gebeten, die an islamischen Universitäten in Ägypten studiert hatten“, so der Experte Seregitschew. Moskau hatte Kairo schon mehrmals darauf aufmerksam gemacht, dass an ägyptischen Religionsschulen Islamisten ausgebildet werden. Diese Hinweise wurden allerdings von den Ägyptern ignoriert. Um dies zu verändern, zeige sich Moskau bereit, Kairo im militärtechnischen Bereich zu unterstützen, ergänzte der Experte.
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Politik
Partei der Muslimbrüder verboten
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as höchste Verwaltungsgericht Ägyptens verfügte die Auflösung der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit, des politischen Arms der verbotenen Muslimbruderschaft. Sämtliches Eigentum der Partei wird konfisziert, wie das ägyptische Innenministerium am Samstag bekannt gab. Das Gericht in Kairo hat den politischen Arm der Muslimbruderschaft, die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit, aufgelöst. Die Partei habe gegen das geltende Parteienrecht verstoßen, teilte das höchste Verwaltungsgericht des Landes mit. Gegen die Entscheidung könne keine Berufung eingelegt werden. Sämtliches Eigentum der Partei wird konfisziert, gab das ägyptische Innenministerium zudem bekannt.
ÄgyptenHeute August2014
Das Gericht begründete seine Entscheidung mit der Zugehörigkeit der Partei zur Muslimbruderschaft, die seit Februar als terroristische Vereinigung eingestuft wird. Die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit war nach der ägyptischen Revolution und dem Sturz des langjährigen Staatschefs Husni Mubarak im Februar 2011 gegründet worden. Alle nachfolgenden Wahlen gewann sie; ihr Politiker Mohammed Mursi war der erste demokratisch gewählte Präsident Ägyptens. Der aus der Muslimbruderschaft hervorgegangene Politiker verfolgte einen Kurs der Islamisierung im Land, der erneut zu Massenprotesten führte. Nach den Massenprotesten am 30 Juni, 2013, hat die ägyptische Armee der politischen Führung des Landes ein Ultimatum zur Beilegung der Krise gestellt. Aber der Konflikt zwischen Mursi Gegner und Anhänger wurde nicht gelöst. Im Juli 2013 wurde Mursi vom einflussreichen ägyptischen Militär gestürzt, um die sozialen und demokratischen Forderungen der Massen zu erfüllen. Die Muslimbruderschaft selbst war bereits im September des vergangenen Jahres verboten worden. In dem damaligen Gerichtsurteil wurde der politische Flügel der Bewegung allerdings nicht erwähnt. Damit wäre der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei möglicherweise die Teilnahme an der Parlamentswahl gestattet gewesen. Dies ist mit dem neuen Urteil nun ausgeschlossen. Im Herbst sollen die ersten Parlamentswahlen nach der neuen, im Januar gegebenen Verfassung stattfinden. Die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit ist davon nun ausgeschlossen. Noch im Oktober will ein Gericht auch über eine Auflösung der salafistischen Partei Nur entscheiden.
Mursi-Sohn auf der Flucht geschnappt D er jüngste Sohn des ägyptischen ExPräsidenten Mohammed Mursi ist nach einem Fluchtversuch festgenommen worden. Der Anfang Juli wegen eines Drogendelikts zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilte Abdullah Mursi versucht hatte, Ägypten in Richtung Libyen oder Sudan zu verlassen, berichtete Sicherheitskreise. Er sei aber in einem Zug auf der Strecke von Kairo nach Assuan von einem Schaffner erkannt worden, der die Polizei alarmierte. Bei der Stadt Beni Suef wurde der Zug den Angaben nach von Sicherheitskräften gestoppt und
der Mursi-Sohn festgenommen. Im März waren der 19-Jährige und ein Freund bei einer Polizeikontrolle festgenommen worden. Die Beamten hatten nach damaligen Berichten Drogen im Wagen der jungen Männer gefunden. Der aus der Muslimbruderschaft stammende Präsident Mursi war vor einem Jahr vom Militär entmachtet worden. Gegen ihn und andere Islamisten laufen mehrere Prozesse. Zahlreiche Mitglieder wurden bereits zum Tode verurteilt, die Muslimbruderschaft ist inzwischen verboten.
D Steuern für Zigaretten und Alkohol erhöht
ie ägyptische Regierung hat die Steuern für Genussmittel erhöht: Für Zigaretten um 50 Prozent, für Bier um 200 Prozent und für andere alkoholische Getränke um 150 Prozent. Der Preis für eine Packung Zigaretten erhöht sich um bis zu 30 Cent, je 0,33 Liter Bier werden mindestens 13 Cent mehr fällig. Da der muslimischen Bevölkerung Ägyptens der Genuss von Alkohol verboten ist, betrifft die Preissteigerung am meisten Touristen – Alkohol wird vor allem in Hotels und Ferienanlagen ausgeschenkt.
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Nachrichten Juristische Regelungen zum Kirchbau Ägypten will ein Gesetz verabschieden, um den Bau von Kirchen zu regeln. Ein Ausschuss habe dazu seine Arbeit aufgenommen. Vertreter des Justizministeriums und der christlicher Kirchen werden an diesem Ausschuss teilnehmen, bestätigt der koptische Bischof von Minjy, Anba Botros Fahim Awad Hanna. Man plant, noch im August diesen Jahres konkrete Vorschläge vorzulegen. Ziel ist es, für Kirchen dieselben rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, die für den Bau privater Gebäude vorgesehen sind.
Hohe Strafen wegen Sexualverbrechen Ein Strafgericht in Kairo hat drei Männer wegen sexueller Übergriffe auf Frauen zu hohen Haftstrafen verurteilt. Zwei Angeklagte müssen lebenslänglich ins Gefängnis, einer erhielt 20 Jahre Haft Anfang August. Die Täter wurden für Übergriffe auf dem Tahrir-Platz Anfang Juni verurteilt, als dort Anhänger von Präsident Abdul Fatah Al-Sisi dessen bevorstehende Amtseinführung feierten.
Mehr Flüge nach Sharm El Sheikh Ägypten-Spezialist ETI legt wegen guter Nachfrage zusätzliche Charter-Flüge nach Sharm El Sheikh auf. Ab 2, August, 2014 startet eine Maschine von München in das Touristenziel auf dem Sinai. Ab September sollen weitere Verbindungen ab Salzburg, Graz, Linz und Zürich hinzukommen. Die drei Vollcharter von Düsseldorf und Wien aus, die ersten seit Aufhebung des Reisehinweises für den Sinai, seien vollständig ausgebucht gewesen, teilte das Unternehmen mit. Auch die Hotelauslastung in Sharm El Sheikh gebe wieder Anlass zur Zufriedenheit.
Der grösste weltweit Weizenimporteur Ägypten ist der weltweit grösste Weizenimporteur. Das Getreide wird subventioniert und dient als wichtige Nahrungsgrundlage für die rund 84 Millionen Ägypter. Für das Wirtschaftsjahr 2014/2015 rechnet das USLandwirtschaftsministerium (USDA) damit dass Ägypten rund 10,8 Mio. Tonnen Weizen importieren wird. Normalerweise mischt das Land seinen glutenarmen, selbst produzierten Weizen im Verhältnis 1:1 mit importiertem Getreide, um zur Broterzeugung geeignetes Mehl zu erhalten. Auf der Seite der grössten Weizenexporteure bahnt sich ein Wechsel an der Spitze an.
ÄgyptenHeute August2014
Langsam geht es bergauf!
FTI: Programmvorstellung in Ägypten Vom 26. bis 30. November präsentiert FTI seinen Reisebüro-Partnern die Neuheiten aus dem Sommerprogramm in Form einer interaktiven Reisemesse – und zwar in Ägypten. Das Event ist für 600 Teilnehmer konzipiert. Mit dabei sind Geschäftsführer Dietmar Gunz, die VertriebsManager Ralph Schiller und Richard Reindl sowie ÄgyptenProdukt-Chef Elia Gad. Nach der Ankunft in Assuan gehen die Reiseexperten zunächst auf eine zweitägige Nil-Kreuzfahrt. An Bord gibt es Informationen zum neuen FTI-Programm. In Luxor steht der Besuch der Sound & Light Show im KarnakTempel auf dem Programm. Zum Abschluss der Tour geht es für die Teilnehmer nach El Gouna, wo eine interaktive Rallye und ein Abend im Beduinen-Stil geplant sind.
Nach der Entschärfung des Reisehinweises für Sharm el Sheikh scheint sich das ÄgyptenGeschäft allmählich zu erholen. Alle Veranstalter machen eine positive Tendenz für das Land am Nil aus. Allen voran FTI: „Aktuell ist die Entwicklung sehr gut, die Buchungseingänge liegen weit über Vorjahr“, so FTI-Manager Elia Gad. Ein hohes zweistelliges Wachstum für den laufenden Ägypten-Sommer meldet Schauinsland-Reisen. Und „sehr positiv“ entwickle sich auch der Winter, berichtet die für das Zielgebiet verantwortliche Melanie Tölke.
Gute Kapazitäten bei JT Touristik Auf die steigende Nachfrage nach Ägypten reagiert JT Touristik mit erweiterten Flugkapazitäten und zusätzlichen Hotels. Erstmals legt der Berliner Veranstalter in der Sommersaison eigene Charterflüge mit Germania nach Hurghada auf. Für den Winter sind ebenfalls bereits eigene Flüge nach Hurghada sowie nach Marsa Alam geplant. Zu den Neuheiten im Hotelportfolio zählen beispielsweise die Vier-Sterne-Hotels Sentido Kahramana Park in Marsa Alam und das Hostmark Grand Seas Resort in Hurghada.
Großmufti gegen den Islamischen Staat „Der IS ist eine korrupte Organisation, die dem Islam schadet“. Mit diesen Worten hat der Großmufti in Ägypten, Shawqi Allam, den „Islamischen Staat“ (IS) in Syrien und im Irak verurteilt. Allam hat bei einem Treffen am Dienstag 12, August, 2014, mit dem Vorsitzenden des Ministerrates im Libanon, Fouad Siniora, gesagt, dass der Islamische Staat alle Prinzipien des Islams verletze. „Diese Gruppe ist so extremistisch, dass sie die Moslems und den Islam gefährdet, indem sie sein Bild beschmutzt, Blut vergießt und Korruption vorantreibt“, so Allam.
Mubarak bestreitet Mitschuld Ägyptens Ex-Staatschef Husni Mubarak hat jede Schuld am Tod Hunderter Demonstranten während des Arabischen Frühlings zurückgewiesen. Er habe niemals den Befehl gegeben, Protestierende zu töten, sagte Mubarak vor dem Strafgericht in Kairo. Mubarak und seine Söhne Alaa und Gamal sowie weitere Angeklagte müssen sich wegen der Tötung von mehr als 800 Demonstranten bei den Anti-Mubarak-Protesten Anfang 2011 verantworten. Ein Urteil will das Gericht am 27. September fällen. Zuletzt hatten Mubaraks Verteidiger und die Staatsanwaltschaft ihre Plädoyers gehalten. Nun hatte der Langzeitherrscher erstmals selbst die Chance erhalten, sich vor Gericht zu verteidigen. Begonnen hatte der Prozess im August 2011. Wegen des schlechten Gesundheitszustands Mubaraks waren die Verhandlungen immer wieder vertagt worden. Nun sagte Mubarak vor Gericht, er habe sein Amt im Februar 2011 aufgegeben, um ein Blutvergießen zu vermeiden und die Sicherheit des Landes zu bewahren. Er sprach sehr langsam und mit schwacher Stimme.
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Altertum
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önnen Sie Proben von der Büste der Nofretete im Berliner Museum entnehmen? Können Sie das tun, ohne vom Fleck weg verhaftet zu werden? Dass Sie nur wenig entnommen haben, ist einfach eine dumme Entschuldigung!“ Monica Hanna ist wütend. Die ägyptische Archäologin kann die, wie sie sagt, „Indiana-Jones-Mentalität“ der Ausländer, die nach Ägypten kommen, nicht ausstehen. Die 31-Jährige spricht vom Fall der beiden Privatforscher Dominique Görlitz und Stefan Erdmann, den sie in Deutschland zur Anzeige gebracht hat. Görlitz und Erdmann sind im April 2013 mit einer Privatgenehmigung in die Cheops-Pyramide gegangen und haben Proben von den schwarzen Verfärbungen an der Decke der Königskammer und von roten antiken Graffitis in der fünften Entlastungskammer genommen. Schüler von Heyerdahl Die Entlastungskammern sind fünf niedrige Räume über der Königskammer, die laut Ägyptologen zur Entlastung der gesamten Konstruktion gebaut wurden. „Wir sind niemals mit der Absicht dahin, irgendwas kaputt zu machen oder zu schänden, sondern es ging rein um seriöse, ideologiefreie Forschung, Punkt!“, sagt Dominique Görlitz. Der Naturwissenschafter arbeitet derzeit an Schilfboot-Projekten, mit denen er den Atlantik überqueren will. Damit möchte der 48-Jährige beweisen, dass schon in prähistorischer Zeit Menschen mit einfachsten Mitteln über den Atlantik gesegelt sind. Der Schüler Thor Heyerdahls ist aber kurzfristig vom Kurs abgekommen. Wegen der Probenentnahme stehen er und der Leiter und Ideengeber der Cheops-Expedition, Stefan Erdmann, seit einem halben Jahr international in heftiger Kritik. „Man kann nicht Amateuren, wie diesen zwei Männern, die die Pyramide beprobt haben, erlauben zu kommen und Experimente zu machen! Sie arbeiten nicht einmal für eine richtige Universität, die eine Ägyptologie-Abteilung hat. Man kann nicht jeden, der eine verrückte Idee hat, machen lassen, was er will. Das ist Wissenschaft und kein Abenteuerroman!“, empört sich Monica Hanna. Nur hat die ägyptische Antikenverwaltung genau das in den letzten Jahrzehnten möglich gemacht. Dominique Görlitz und Stefan Erdmann haben lediglich die Umstände genutzt. Mit einer Privatgenehmigung, wie sie die beiden Forscher hatten, darf man die Cheops-Pyramide zwei Stunden lang außerhalb der offiziellen Öffnungszeiten besuchen, überwacht von Polizei, Inspektoren der ägyptischen Antikenverwaltung und Wachpersonal. Solch eine Genehmigung bekommt man für ein paar hundert Euro bei einem Reiseveranstalter vor Ort, der sie bei der Antikenverwaltung beantragt; wenn man will, gegen einen Aufpreis auch mit der Erlaubnis zu filmen, wie das bei Görlitz und Erdmann der Fall war. Die beiden Privatforscher haben alles filmisch begleiten lassen, weil sie eine TV-Dokumentation zu den Ergebnissen erstellen wollen. Eine Drehgenehmigung müsste eigentlich über das staatliche Pressezentrum
ÄgyptenHeute August2014
Weil zwei deutsche Privatforscher Proben in der Cheops- Pyramide entnommen haben, werden sie nun in Ägypten angeklagt. - Hintergründe zu einem alten Streit zwischen Fach- und Grenzwissenschaftern.
Riskantes Pyr Dominique Görlitz und Stefan Erdmann (v.l.n.r)
Hawass.. «Indiana Jones von Ägypten»
beantragt werden, aber dort wurde in der Vergangenheit immer ein Auge zugedrückt. Und zwar vom ehemaligen Antikenminister Zahi Hawass. Der Ägyptologe Hawass trägt meistens einen braunen Hut und wird ironischerweise gern als „Indiana Jones von Ägypten“ bezeichnet. Er ist der medienwirksame Poltergeist der Ägyptologie. Bekannt für seine plötzlichen Wutausbrüche und ausgestattet mit einem Ego, das jeden Pharao vor Neid erblassen lassen würde, war er von 1974 bis 2011 in verschiedenen Funktionen uneingeschränkter Herrscher über Ägyptens Kunstschätze und das Giza-Plateau, wo die Pyramiden und die Sphinx stehen. Die Ägypter nannLiza Ulitzka, ten das Plateau deswegen auch gerne 1981 in Wien „Zahi-Land“. In einem Interview mit dem geboren, stu- „Independent“ sagte Hawass 1997: „Wenn dierte Kultur- du ein Amateur bist, kannst du nicht bei und Sozialan- den Pyramiden arbeiten. Laut unserem Gesetz sollten nur Wissenschafter bei der thropologie mit Spezialisie- Sphinx und den Pyramiden arbeiten.“ Mit Zugangsbeschränkungen oder kontrolrung auf den lierter Forschung hat es der Pyramidenarabischen herrscher in der Realität aber nie so streng Raum und ar- genommen. beitet nun als Pyramide zu vermieten freie Journalis- Hawass erlaubte in den 90er Jahren in seitin in Ägypten. ner Funktion als Generaldirektor der Pyramiden von Giza gegen eine Gebühr Privatbesuche in den Pyramiden außerhalb der Öffnungszeiten. Seitdem pilgerten täglich esoterische Pyramiden-Anbeter, die in der Königskammer meditieren und Duftkerzen anzünden, Fernsehteams aus aller Welt und vom Staat unautorisierte Forscher aus allen Disziplinen zu dem an-
tiken Weltwunder. Unter Hawass’ Ägide sind Forscher und Touristen regelmäßig bei den Entlastungskammern ein und aus gegangen und haben alle möglichen Untersuchungen in und um die Pyramiden durchgeführt. Dazu gehört auch der gelernte Heilerzieher Stefan Erdmann, der Leiter der Expedition mit Dominique Görlitz im April 2013. Erdmann hat die letzten 20 Jahre mit der Erforschung der Pyramiden zugebracht und insbesondere von 2005 bis 2007 zahllose Gesteinsproben in und um der CheopsPyramide und auch an anderen antiken Stätten in Ägypten genommen. Immer im vollsten Wissen von Zahi Hawass, den Stefan Erdmann persönlich getroffen und mit ihm über seine Analysen gesprochen hat. Auf Erdmanns Website gibt es sogar ein Foto, auf dem ein Polizist ihm dabei hilft, die Proben einzupacken. Das ist in etwa so, als würde ein Museumswärter im Louvre einem Kunstbegeisterten dabei helfen, Farbproben von der Mona Lisa abzukratzen. Privatgenehmigungen Die Entlastungskammern und andere antike Stätten wie der Osiris-Schacht zwischen Pyramiden und Sphinx sind für Besucher aus Sicherheitsgründen eigentlich gesperrt. Schon gar nicht dürfen Proben genommen werden. Eine Genehmigung zu forschen bekommen nur Wissenschafter, die von einer Universität kommen und einen Forschungsplan haben. Aber wenn man eine Privatgenehmigung hatte und Zahi Hawass seinen Segen gab, ging es auch so. „Hawass hat mir und meinem Regisseur die
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Altertum
ramidenspiel Von Liza Ulitzka
Erlaubnis gegeben, in den normalerweise unzugänglichen Osiris-Schacht zu gehen. Auch Inspektoren der Antikenverwaltung waren dabei. In dieser Zeit hat jeder die mündliche Zustimmung von Hawass akzeptiert. Niemand hätte seine Autorität hinterfragt“, erzählt Robert Bauval. Er ist ein bekannter Buchautor und Begründer der Orion-Theorie, die besagt, dass die Lage der Pyramiden exakt dem Sternbild des Orion entspricht. Die Tradition des lockeren Umgangs mit Genehmigungen hat sich auch nach der Amtszeit von Zahi Hawass fortgesetzt, wie das Beispiel der beiden deutschen Forscher zeigt. „Wenn man eine Privatgenehmigung bekommt, dann steht da nicht drauf, wo genau man hingehen darf und wo nicht. Es ist eine Erlaubnis, in die große Pyramide zu gehen - und somit kann man hingehen, wo man will. Eine Privatgenehmigung heißt, die Pyramiden gehören in der Früh oder am Nachmittag für zwei Stunden dir allein“, berichtet Reiseleiter Osama Karar, der für seine Reisegruppen immer wieder private Genehmigungen organisiert. Man kann auch eine lange Leiter beantragen, um in die Entlastungskammern zu gelangen. Die Leiter sollte dann wieder ins Lager zurückgebracht werden. Aber die Leiter blieb oft dort, wo sie war, erzählt Karar. Jeder, der vorbeikommt, könne mit ein bisschen Bakschisch die Wärter dazu bringen, die Leiter aufzustellen und damit in die rund acht Meter höher gelegenen Entlastungskammern einsteigen. Seit dem Vorfall mit den Deutschen hat Karrar die Leiter aber nicht mehr gesehen.
Karar war es auch, der den Fall von Erdmann und Görlitz an die Öffentlichkeit gebracht hat, nachdem er ein Video von den beiden auf YouTube gesehen hat, einen Trailer zu der geplanten Dokumentation. Rätsel um Kartusche Osama Karar dachte anfangs, dass die beiden Proben von der berühmten CheopsKartusche genommen hatten, was einen riesigen Skandal in Ägypten auslöste. Die Cheops-Kartusche ist für die meisten Ägyptologen ein stichhaltiger Beweis dafür, dass der Pharao Cheops der Erbauer der Pyramiden war. Sie befindet sich in der letzten der fünf Entlastungskammern über der Königskammer (= Sargkammer) in der großen Pyramide. Unter einer Kartusche versteht man ein längliches Oval, in dem der Name des Pharaos in Hieroglyphen steht. Damit wurde der jeweilige Gottkönig immer auch als Erbauer ausgewiesen. Man findet diese Königskartuschen an vielen pharaonischen Tempeln, Gräbern und Sarkophagen in Ägypten - und sie sind meist exakt und formvollendet gearbeitet. Die Cheops-Kartusche ist eine große Ausnahme. Sie wurde in roter Farbe einfach an die Wand gepinselt und gibt deshalb seit Jahrhunderten Rätsel auf. Die deutschen Forscher wurden beschuldigt, diese Kartusche durch Probenentnahmen beschädigt zu haben, was Görlitz und Erdmann vehement bestreiten. Eine Inspektoren-Gruppe, die den Schaden begutachtete, machte ein Foto von der Kartusche und entdeckte tatsächlich Meißelspuren daran. Daraufhin wurden Görlitz, Erdmann, ihr Kameramann sowie ihre ägyptischen Be-
Anfrage der „Wiener Zeitung“ bezüglich einer Stellungnahme sowohl vom derzeitigen Antikenminister Mamdouh El-Damaty als auch von Zahi Hawass blieb unbeantwortet.
ÄgyptenHeute August2014
gleiter in Ägypten angeklagt. Die Ägypter sitzen seitdem im Gefängnis, darunter die Inspektoren der Antikenverwaltung und der Reiseleiter, der die Privatgenehmigung organisiert hatte. Im September soll es zur Verhandlung kommen. In Deutschland könnte nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Chemnitz wegen Sachbeschädigung und wegen Diebstahls eine Strafzahlung in der Höhe von mehreren tausend Euro drohen. Auch Zahi Hawass mischte sich in den Skandal ein, obwohl er seit zwei Jahren kein Amt mehr in der Antikenverwaltung innehat. Er beschuldigt den Buchautor Robert Bauval, die Deutschen beauftragt zu haben, weil der beweisen wolle, dass die Pyramiden vor 15.000 Jahren von Juden erbaut wurden. Bauval konnte allerdings glaubhaft machen, dass er mit den beiden Deutschen bisher nichts zu tun hatte. Er blieb an dem Fall aber dran, indem er versuchte, nach Kontaktaufnahme mit Dominique Görlitz dessen Unschuld zu beweisen. Bauval gelang es mit Hilfe von Fotos des amerikanischen Geologen Robert Schoch zu zeigen, dass die von den Inspektoren gefunden Meißelspuren bereits 2006 vorhanden waren. Ebenso konnte Bauval anhand einer Folge der amerikanischen TV-Serie „Chasing Mummies“ im History Channel feststellen, dass auch Zahi Hawass von den Meißelspuren gewusst haben musste. Denn in dieser Folge aus dem Jahr 2010 ist klar ersichtlich, wie Hawass vor der bereits beschädigten Cheops-Kartusche sitzt. Wenn es ihm nicht aufgefallen ist, wäre das für einen ausgewiesenen Ägyptologen und PyramidenChef jedenfalls eine Schande. Und er wäre auf jeden Fall dafür zur Verantwortung zu ziehen, zumal die Beschädigung unter seiner „Regentschaft“ passiert ist. Die spezielle Folge wurde inzwischen aus dem Internet genommen. Die Rechercheergebnisse leitete Bauval an den damaligen Antikenminister Mohamed Ibrahim weiter, der 2014 eine neue Inspektion in Auftrag gab, mit der Anweisung, diese neuen Erkenntnisse zu berücksichtigen. Die Inspektion wurde jedoch aus ungeklärten Gründen gestoppt. Zahi Hawass ist kein unbeschriebenes Blatt. Viele Ägypter warfen ihm regelmäßig vor, die ägyptischen Kunstschätze zu verscherbeln. In seiner Amtszeit wurde u.a. ein Pornofilm bei den Pyramiden gedreht, und mit den Schätzen des Tutenchamun vermarktete Hawass seine eigene Modelinie. 2012 wurde Hawass wegen Diebstahls von antiken Schätzen und Amtsmissbrauchs angeklagt - aber alle Anklagen wurden wieder fallen gelassen. Eine Anfrage der „Wiener Zeitung“ bezüglich einer Stellungnahme sowohl vom derzeitigen Antikenminister Mamdouh El-Damaty als auch von Zahi Hawass blieb unbeantwortet... Seit Jahrhunderten gibt es Streit um die Echtheit der Königskartusche. Hawass beharrt wie der Großteil der Ägyptologen darauf, dass die Kartusche echt und somit auch das Alter der Pyramiden mit rund 4500 Jahren belegt ist. Forscher aus verschiedensten Disziplinen, Grenzwissenschafter und esoterische
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Altertum Gruppen halten die Cheops-Kartusche wegen ihrer einfachen Machart für eine Fälschung oder erkennen sie nicht als Beleg für Cheops als Erbauer der Pyramiden an. Sie haben ihre eigenen Theorien über Sinn und Zweck der Pyramiden. Sie meinen etwa, dass die CheopsPyramide ursprünglich nicht als ein Grabmal gedacht war, und bezweifeln sogar, dass sie von Ägyptern erbaut wurde. Das wäre mit den damals vorhandenen Mitteln nämlich nicht möglich gewesen. Einige meinen, die Bewohner des mythischen Inselreiches Atlantis hätten die Pyramiden rund 10.000 v. Chr. errichtet. Sie seien vor der großen Flut nach Ägypten geflohen und hätten damit ihre hoch entwickelten Fähigkeiten in das Land am Nil importiert. Zahi Hawass nennt die Anhänger dieser Ideen „Pyramidioten“. Grenzwissenschafter Es gibt einen alten Kampf zwischen universitären Ägyptologen und alternativen Wissenschaftern, die oft weder Ägyptologie noch Archäologie studiert haben. Der strittigste Punkt in diesem Wettlauf der Theorien ist die CheopsKartusche - und viele würde es daher reizen, sie auf ihre Echtheit zu überprüfen. Der leidenschaftliche Pyramidenforscher Stefan Erdmann ist einer dieser selbst ernannten Grenzwissenschafter. Er ist der Ansicht, dass die GroßPyramide ein Kraftwerk war, das durch Wasser angetrieben wurde. Diese These versuchte er bei zahlreichen Reisen nach Ägypten, in seinem Buch „Die Jahrtausendlüge“ und in dem Film „Die Cheops-Lüge“ zu belegen. Der Laienforscher ist Anhänger der Atlantis-Theorie und hält die Cheops-Kartusche für gefälscht. Im Gespräch mit der „Wiener Zeitung“ streiten er und Görlitz zwar vehement ab, solche Theorien zu verfolgen, sie ziehen sich aber wie ein roter Faden durch die Dokumentation ihres „Cheops-Projektes“. Der Titel eines Trailers lautet etwa: „War der Pharao Cheops wirklich der Erbauer der Pyramiden?“ „Fachlicher Fehler“ Bei der Vorstellung ihres Projektes auf einem
Kongress in Lennestadt (Deutschland) 2013 wurden Ausschnitte der Dokumentation gezeigt. Darin sagt Görlitz, dass die Kartusche „alles andere als den Eindruck einer authentischen ägyptischen Darstellung“ mache. Erdmann fragt sich, warum angesichts des langen Streits um die Echtheit der Kartusche noch nie Proben von den Wandmalereien genommen wurden. Auf Görlitz’ Website steht in einem Text unter dem Trailer: „... haben es sich Dr. Dominique Görlitz (...) und Buchautor Stefan Erdmann zur Aufgabe gemacht, die Echtheit der Kartusche auf Basis neuester Untersuchungs- und Datierungsmethoden zu bestimmen. Bei einer ersten Forschungsreise mit unserem Filmteam konnten bereits Materialproben der Kartusche entnommen werden...“ Dieser Text findet sich seit September 2013 auf vielen Webseiten im
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Ergänzung
Riskantes Pyramidenspiel Von Liza Ulitzka
Internet. Das sei ein fachlicher Fehler von dem Produzenten der Dokumentation, Frank Höfer, gewesen, heißt es von Seiten Görlitz’ dazu - und die Trailer seien nur Arbeitsfassungen. Görlitz hat in der 5. Entlastungskammer die Proben von den roten Graffiti direkt neben der Königskartusche genommen. Er und Erdmann behaupten, es sei eine Zufallsidee gewesen, weil sie noch Zeit hatten. Es stellt sich aber die Frage, warum er die Proben gerade von dem Graffiti genommen hat, das direkt neben der echten Kartusche steht, wo es doch in fast allen Entlastungskammern rote Wandbemalungen gibt. Hatte er die echte Kartusche verfehlt oder wollten sie vielleicht Referenzproben nehmen? Faktum ist, dass die Kartusche im Juli 2004 in einer weiteren Dokumentation des History Channel mit dem Titel „Digging for the Truth - Who
built Egypt’s Pyramids?“ das letzte Mal intakt zu sehen ist. Die Fotos von Robert Schoch zeigen sie im Dezember 2006 das erste Mal mit den Meißelspuren. Irgendwann in dieser Zeit muss die Probenentnahme passiert sein. In diesem Zeitraum waren viele in Ägypten, aber eben auch Stefan Erdmann. Er hat dabei Proben innerhalb und außerhalb der Pyramide genommen, die - wie auch 2013 - im Fresenius-Institut in Dresden untersucht wurden. Erdmann behauptet aber, damals nicht in den Entlastungskammern gewesen zu sein. Es gibt also noch viele Rätsel rund um die Cheops-Pyramide. Herauszufinden, von wem und wie sie gebaut wurde, scheint dabei noch die leichteste Aufgabe zu sein. (Quelle: Wiener Zeitung)
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Ägypter im Ausland Wie entwickelte sich eine Erfolgsgeschichte?
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Dr. Mohamed Ismail Khaled ist hochrangiger Beamter im ägyptischen Ministerium für Altertümer. Mit einem Forschungsstipendium der Humboldt-Stiftung ausgestattet, wird er die kommenden zwei Jahre am Institut für Altertumswissenschaften verbringen. Sein Interesse gilt einem 4500 Jahre alten Steinblock.
Ein Ägypter in der Ägyptologie E
r lebt in Kairo, arbeitet im Staatsministerium für Altertümer und genehmigt und beaufsichtigt dort sämtliche Ausgrabungen in Ägypten. Was also treibt den Ägyptologen Dr. Mohamed Ismail Khaled dazu, sich für ein Humboldt-Stipendium zu bewerben und als Stipendiat für zwei Jahre nach Würzburg zu gehen? An erster Stelle natürlich der hervorragende Ruf des Lehrstuhls für Ägyptologie und des Instituts für Altertumswissenschaften, wie er sagt. Doch schon an zweiter Stelle steht ein etwas überraschender Aspekt: „Die Stille!“ Mohamed Ismail Khaled hätte sich im Prinzip auch für München oder Berlin bewerben können. Aber weil er aus Kairo kommt, einer Stadt, die nach seinen Worten „überfüllt, chaotisch und permanent laut“ ist, habe er sich bewusst für Würzburg entschieden. Hier habe er alles, was er in den kommenden zwei Jahren braucht: das geeignete wissenschaftliche Umfeld am Lehrstuhl von Professor Martin Stadler – und eine tiefe Stille, in der er konzentriert seiner Forschung nachgehen kann. Drei mal zwei Meter groß, acht Tonnen schwer und rund 4500 Jahre alt: Das sind die technischen Daten des Objekts, mit denen sich Khaled beschäftigt. Es stammt aus einer Ausgrabungsstätte in Abusir, einer bedeutenden altägyptischen Totenstadt mit zahlreichen Tempeln und Pyramiden aus verschiedenen Epochen Altägyptens. Könige der 5. Dynastie haben sie um das Jahr 2450 v. Chr. als Grabbezirke angelegt; deutsche Wissenschaftler – eine Expedition des Berliner Ägyptischen Museums unter der Leitung des Ägyptologen Ludwig Borchardt – haben die Anlage zwischen 1898 und 1901 freigelegt. Auch in den folgenden Jahren veranlassten deutsche Forscher dort weitere Grabungen; viele ihrer Fundstücke sind heute im Neuen Museum in Berlin zu sehen. „Eigentlich hatte man angenommen, dass Borchardt diesen Bereich vollständig erforscht hat“, sagt Mohamed Ismail Khaled. Umso überraschender war es, als fast 100 Jahre später neue, bislang unbekannte Fundstücke entdeckt wurden. 1994 wollte die ägyptische Antikenverwaltung das Gelände für den Tourismus erschließen; dabei stießen Arbeiter im Bereich des Aufwegs zur sogenannten Sahure-Pyramide auf eine ganze Reihe großer
Mohamed Ismail Khaled
Kalksteinblöcke mit farbigen Reliefs und Inschriften. Bei weiteren Ausgrabungen im Jahr 2002 kamen weitere 16 dekorierte Blöcke ans Tageslicht, von denen Khaled nun einen akribisch erforscht. „Bei diesen Funden handelt es sich um die vollständigste Sammlung königlicher Reliefs des Alten Reichs, die bisher gefunden wurde“, sagt der Ägyptologe. Darauf zu sehen sind lange Reihen von Frauen, die allesamt unterschiedliche Waren in Körben auf ihrem Kopf transportieren – Gemüse, Früchte oder Brot. Außerdem führen sie verschiedene Arten von Tieren mit sich, beispielsweise Ochsen, Gazellen und Ziegen. „Es handelt sich dabei um weibliche Opferträgerinnen, die alle nach Westen zum Eingang des Totentempels des Königs blicken“, erklärt Khaled. Bei jeder von ihnen sind ihr Name und ihre Herkunft vermerkt. Was für den Laien nach einer Szene vom Markt aussieht, verrät dem Wissenschaftler viel darüber, wie das Wirtschaftssystem im alten Ägypten aufgebaut war. „Jede dieser Frauen symbolisiert eine bestimmte Region des altägyptischen Reichs“, erklärt Khaled. In einer Art Lehenssystems waren diese dazu verpflichtet, dem König einen bestimmten Teil ihrer Waren und Ernteerträge abzuliefern. Der wiederum finanzierte damit beispielsweise den Bau seiner Pyramiden und Tempel. „Es gab damals noch kein Bezahlsystem, wie wir es heute kennen“, sagt Khaled. Seine Aufträge bezahlte der Herrscher deshalb nach dem Motto „Lebensmittel gegen Arbeitsleistung“. Wie das genau ablief, davon erzählt das Relief dieses Steins. Die Inschriften lesen und übersetzen,
steht am Anfang von Khaleds Forschung. Dort, wo Passagen fehlen, sucht er in bekannten Quellen nach vergleichbaren Texten und hofft, dass er damit die Lücken füllen kann. Sollte das nicht möglich sein, versucht er auf anderen Wegen den ursprünglichen Text zu rekonstruieren und zu interpretieren. Die Chancen dazu stehen nicht schlecht: „In der Ägyptologie haben wir jeden Tag neue Entdeckungen, die neue Erkenntnisse liefern“, sagt er. Dr. Mohamed Ismail Khaled stammt aus Ägypten; an der Minia-Universität und an der Uni in Kairo hat er Ägyptologie studiert. „Ich hatte schon früh davon geträumt, Archäologe zu werden. Die Geschichte des Altertums hat mich von klein auf fasziniert“, sagt er. Das Alltagsleben der Menschen und ihre Beziehungen untereinander vor etlichen tausend Jahren interessieren ihn besonders: Wie haben sie gewohnt, womit gearbeitet? Wie haben sie ihren Glauben gelebt? Wie haben Wirtschaft und Handel funktioniert? Auf diese und viele weitere Fragen versucht Khaled Antworten zu finden. Nach seinem Studium in Ägypten wechselte Khaled an die Universität Prag, wo er fünf Jahre lang für seine Doktorarbeit forschte. Sein Fremdsprachenrepertoire umfasst deshalb neben Englisch und Französisch auch noch fließend Tschechisch – und vermutlich schon bald auch fehlerloses Deutsch. Im Januar 2009 wurde er in Prag promoviert; anschließend ging er zurück nach Kairo ans Ministerium für Altertümer. Als Director of the Foreign Missions Affairs bekommt Khaled sämtliche Anträge auf Gra-
bungen in Ägypten von Forschern weltweit auf seinen Schreibtisch; der Name „Martin Stadler“, sein jetziger Gastgeber, war ihm auch von daher schon bekannt. Noch enger war der Kontakt zu Stadlers Mitarbeiterin Dr. Eva Lange, die in Tell Basta im östlichen Nildelta nahe der Stadt Zagazig eine Grabung leitet. Als reinen Schreibtisch-Job darf man sich die Arbeit von Mohamed Ismail Khaled im Ministerium allerdings nicht vorstellen. „Ich hatte die Aufsicht über sämtliche Ausgrabungen in Ägypten und bin deshalb regelmäßig dorthin gereist, habe den Fortschritt kontrolliert und geholfen, wenn es Probleme gab“, sagt Khaled. Zusätzlich habe er selbst auch Ausgrabungen vorgenommen. Husni Mubarak, Mohammed Mursi, Abd al-Fattah al-Sisi: Drei Staatspräsidenten hat der Ägyptologe in seiner Zeit am Ministerium für Altertümer inzwischen erlebt – und eine Revolution. Die verschiedenen Machthaber habe er in seiner täglichen Arbeit nicht zu spüren bekommen.„Es macht keinen Unterschied, wer an der Macht ist. Ich mache meine Arbeit, und das System interessiert sich nicht dafür“, sagt er. Schwieriger sei die Lage während der Revolution 2011 gewesen, als der gewaltsame Sturz von Husni Mubarak nach dessen fast 30-jähriger Amtszeit von einer Phase der Instabilität abgewechselt wurde. „In dieser Zeit waren wir in der Hauptsache damit beschäftigt, dafür zu sorgen, dass die Ausgrabungen im Ägypten weiterlaufen“, sagt Khaled. Auch wenn die Nachrichten aus Ägypten aus Sicht eines Westeuropäers beunruhigend klingen: Mohamed Ismail Khaled ist davon überzeugt, dass das Land heute sicher ist und die Lage sich weiter beruhigen wird. „Egal, ob Sie als Wissenschaftler oder als Tourist nach Ägypten kommen: Sie müssen sich keine Sorgen machen“, sagt er. Ausländerfeindlichkeit sei in dem Land am Nil kein Thema, und für Besucher habe in den typischen Touristenhochburgen nicht einmal während der Revolution Anlass zur Sorge bestanden: „Dort war es immer sicher!“ Auch für ihn stehe deshalb fest: Wenn die zwei Jahre im beschaulichen, stillen Würzburg vorüber sind, wird Mohamed Ismail Khaled wieder an seinen Schreibtisch im hektischen, lauten Kairo zurückkehren und dort sein neu gewonnenes Wissen in die alltägliche Arbeit einbringen.
12 Angst um Meister Adebar – Wird er überleben?
Ausländer in Ägypten
ÄgyptenHeute August2014
Von Birgit Witpeerd
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ir in Deutschland sind ja um jedes vom Aussterben bedrohte Tier besorgt – manche Zeitgenossen mehr, manche weniger. Aber im Urlaub… Da kommt das doch nicht vor und man pendelt lieber zwischen Hotel und Strandliege. Aber manchmal geht man auch auf Schnorcheltour und beim „an Land gehen“ hatten wir – mein Mann und ich – Residents in El Gouna seit 2004 – eine Begegnung der besonderen Art. Statt der blauen Flossen meines Mannes sah ich etwas weiß/graues vor mir aus dem Wasser auftauchen. Es schaukelte ziemlich ermattet in der aufkommenden Flut und konnte kaum noch den Kopf in die Höhe halten. Es handelte sich um einen gestrandeten Jungstorch, der einsam und allein auf den Wellen des Roten Meeres schaukelte und ganz offensichtlich aus Schwäche von dem langen Flug in den Süden vom Verdursten und Er-
trinken bedroht war. Da meldete sich mein Herz für Vögel und ich wollte Jungvogel Adebar helfen. Aber wie? Mehrere Ideen gingen mir durch den Kopf. … War da nicht was mit Vogelgrippe? Kann der beißen? Schließlich hatte sein Schnabel bereits eine stattliche Größe erreicht. Würde er´s überhaupt überleben? Mit Hilfe meiner Schwimmflosse hielt ich ihm erst einmal den Kopf über Wasser und beratschlagte mich mit meinem Mann, was zu tun sei. Schließlich ließ dieser alle Vorsicht außer Acht, packte sich den Storch kurzerhand unter den Arm und trug ihn an Land. Dort erwartete uns eine Gruppe Leute, die einen Becher Süßwasser bereit hielten. Der Storch sah gar nicht gut aus. Nach einer säubernden Dusche überließen wir ihn erst einmal sich selbst. Von meiner Strandliege aus beobachtete ich die Gruppe deutscher Touristen, die sich um den Gestrandeten
Mehrere Ideen gingen mir durch den Kopf. War da nicht was mit Vogelgrippe? Kann der beißen? Schließlich hatte sein Schnabel bereits eine stattliche Größe erreicht.
scharten. In mir arbeitete es. Es musste doch eine Möglichkeit geben, die sein Überleben sicherte. Ich bat meinen Mann, Marlis Seves, die Besitzerin des Swiss Restaurants Buzzha Beach, zu fragen, ob sie einen Rat wüsste. Eine Tierauffangstation oder irgendwelche Notrufnummern, wie bei uns in Deutschland, gibt es ja in Ägypten nicht. Marlis Seves überlegte nicht lang. Sie trommelte ein paar ihrer Leute zusammen und schnell wurde ein Verschlag für den Storch auf saftig grünem Gras geschaffen. Am selben Abend wurde noch ein weiterer Jungstorch völlig erschöpft und hilflos am Strand gefunden. Auch seiner nahm sich Marlis selbstverständlich an. Nach intensiven Recherchen im Internet und Telefonkontakten nach Deutschland fand sich der „Storchspezialist“ Udo Hilfers, Internetadresse: www.storchenstation.de, der sie über die Bedürfnisse und
Vorlieben des Federviehs unterrichtete. Eine Woche Vollpension plus Schutz vor wildernden Hunden bekamen die Störche verordnet. Und es klappte. Die Pflegekinder erholten sich langsam, wobei sich herausstellte, dass es sich um ein junges Storchenpaar handelte. Bereits nach vier Tagen wurden die ersten Flugversuche unternommen. Aber die Vögel kehrten immer noch in ihren geschützten Pferch zurück, wo sie weiterhin liebevoll gefüttert und betreut wurden. Am siebten Tag nach ihrer Rettung schlossen sie sich dann einer großen vorbeiziehenden Gruppe Störche an und zogen Richtung Süden. Wenn ich mich an das Bild erinnere, wie die Störche wieder losfliegen, dann schlägt mein Gouniherz höher und ich sage mir, vielleicht wird nicht nur in der Vogelwelt bekannt, dass es wirkliche Tierliebhaber in El Gouna gibt, die nicht so schnell aufgeben.
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Ausländer in Ägypten In Ägypten leben immer noch sehr viele Hunde und Katzen auf der Straße. Sie können überleben, da es keine funktionierende Müllentsorgung gibt. Der von Menschenhand produzierte Abfall liegt für sie leicht zugänglich auf der Straße. Und dieser reicht nicht nur aus, um das Überleben der Tiere zu sichern, sondern auch, um ihre unkontrollierte Vermehrung zu gewährleisten. Dies wiederum bedingt Inzucht und die rasche Verbreitung ansteckender Krankheiten.
Deutsche Tierärztin berichtet
Tierschutz am Roten Meer
Dr. Beke Hoppe
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ine große Population wird zur Belastung für die Bevölkerung. Selbst der eingefleischteste Tierliebhaber wird leise fluchen, wenn er nachts von wild bellenden Hunderudeln oder schreienden Katzen wach gehalten wird. Selbst dem mutigsten Hundebesitzer wird es ein bisschen mulmig zumute, wenn etwa 15 wilde Hunde auf ihn zustürzen. Selbst den hartgesottensten Ökofreak wird es ein wenig schaudern, wenn er die verrotzten und verpilzten Kätzchen zu Gesicht bekommt. Von öffentlicher Seite wird versucht dem Ganzen durch Vergiftungs- und Erschießungsaktionen einen Riegel vorzuschieben. Doch der Vergiftungstod kann qualvoll sein und das Erschießen bleibt oftmals nur ein Anschießen. Von dieser Tatsache einmal abgesehen, ereilt der Tod zumeist solche Tiere, die ein Zuhause haben und dadurch, dass sie kastriert, geimpft und entwurmt sind, kaum eine Belästigung oder Gefahr für die Bevölkerung darstellen. Aber wer sagt mir, dass nicht eines Tages ein Kind einen für Tiere ausgelegten Giftköder in den Mund nimmt? Oder ein angeschossenes Tier aufgrund der Schmerzen zubeißt, wenn es nicht mehr fliehen kann und dadurch Tollwut überträgt? Es gibt eine bessere Alternative – aufwändiger und kostenintensiver, aber effektiver und tierschutzgerecht: Die Kastration ganzer Wildhunderudel und streunender Katzen und Kater. Für eine großflächige Umsetzung dieser Alternative kämpfen wir in Hurghada. Hierbei
gilt es die Straßenhunde einzufangen, zu untersuchen, gegebenenfalls zu behandeln, zu kastrieren und gegen Tollwut zu impfen. Alle Tiere bekommen anschließend die aktuelle Jahreszahl ins Ohr tätowiert, damit man sofort erkennt, wann der Hund kastriert und geimpft wurde. Da sich längst nicht alle Straßenhunde anfassen und einfangen lassen, muss man auf kleine Tricks und Betäubungsmittel zurückgreifen. Betäubte Tiere versuchen oft zu fliehen, um sich an einem ruhigen Plätzchen zu verstecken. Glücklicherweise wirkt das Medikament relativ schnell, sodass man den Hund gut im Auge behalten und in einem für das Tier nicht bedrohlichen Abstand verfolgen kann, bis es einschläft. Da das Narkosemit-
tel bei jedem Tier unterschiedlich stark wirkt, ist auch bei dem scheinbar schlafenden Tier immer Vorsicht geboten. Daher wird den Hunden für den Transport zum Tierschutzzentrum „Bluemoon animal center“ ein Maulkorb aufgesetzt. Dort angekommen, kann dem Tier die für eine Operation notwendige tiefere Narkose verabreicht werden. Im Tierschutzzentrum, das von der Schweizerin Monique Carrera Gad el Karem ins Leben gerufen wurde und nun von ihr geleitet wird, arbeiten zum Großteil ehrenamtliche Helfer zusammen mit einheimischem Hilfspersonal. Unterstützt wird die Einrichtung von der schweizerischen Organisation „Susy- Utzinger-Stiftung“, sowie durch Sachspenden. Hier werden die Kastrationsaktionen durchgeführt, bei de-
Von öffentlicher Seite wird versucht dem Ganzen durch Vergiftungs- und Erschießungsaktionen einen Riegel vorzuschieben.
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nendie operierten Tiere wieder dort ausgesetzt werden, wo sie eingefangen wurden, um das ursprüngliche Rudel mit seiner bestehenden Hierarchie zu erhalten und immer neuen Rangordnungskämpfen vorzubeugen. Allerdings werden operierte Tiere verstärkt im Auge behalten und bei auftretenden Komplikationen gegebenenfalls erneut behandelt. Katzen werden vorwiegend in Hotelanlagen zum Kastrieren eingefangen, da sich die Tiere hier durch das enorme Nahrungsangebot der „tierlieben“ Touristen zahlreich vermehren und schnell zu einer Plage werden können. Das „Bluemoon animal center” hat es sich, neben der Versorgung und Vermittlung kranker oder verletzter Tiere, ebenso zur Aufgabe gemacht, ägyptische Tierärzte weiterzubilden und sie mit europäischen Standards vertraut zu machen. Aus diesem Grund kamen die Tierärzte Markus Traechsel und Werner Haas zusammen mit der Tierarzthelferin Angelika und Stiftungsgründerin Susy Utzinger eigens aus der Schweiz angereist. Zusammen mit ihren ägyptischen Kollegen untersuchten, behandelten und operierten sie diverse Hunde und Katzen, vermittelten sowohl praktische Fähigkeiten als auch theoretisches Wissen. Und wieder einmal wurde deutlich wie viel man mit ein paar einfachen Mitteln und viel Kreativität und Flexibilität erreichen kann! Aber nicht nur Hurghadas Tiere profitierten von dem Können der Schweizer: einen Tag lang verbrachte das gesamte Team in Safaga. Hier wurde eine kleine Aula zum Operationssaal umfunktioniert, so dass fast eine Art Hochschulatmosphäre entstand, als Dr. Markus am Beispiel einer Wildhündin und eines Rüden aus demselben Rudel die Kastrationsmethoden erläuterte. Viele einheimische Tierärzte, Tiermedizinstudenten und anderweitig Interessierte verfolgten ebenso wie ein lokaler Fernsehsender die Aktionen der Schweizer Ärzte. Am Nachmittag blieb dann noch Zeit für die Erläuterung und das Ausprobieren einiger Nahttechniken. Ein gelungener Tag ging schließlich mit dem Versprechen zu Ende, in absehbarer Zeit wiederzukommen, um auch in Safaga weiterhin aktiv zu werden. Und auch, wenn es manchmal aussichtslos erscheinen mag, jeder noch so kleine Erfolg zählt!
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Ausländer in Ägypten
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Jedes Jahr verlassen tausende von Europäern ihre Heimatländer, um als Auswanderer in der Ferne eine neue Erfahrung zu machen. So entwickelt sich derzeit in dem exklusiven Ferienort El Gouna am Roten Meer eine kleine, aber erfolgreiche Gruppe von Europäern, die den beschaulichen Ort als ihre neue Heimat gewählt haben. Familie Plha
DanielBreitbach
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er Ferienort El Gouna, wurde 1989 von dem ägyptischen Investor Samih Sawiris, der an der Technischen Universität Berlin Wirtschaftsingenieurswesen studierte, ca. 23 km nördlich von Hurghada gegründet. Heutzutage erstreckt sich El Gouna, das wegen seiner zahlreichen Lagunen auch als ‚kleines Venedig am Roten Meer’ bekannt geworden ist, über ein Areal von 36 Millionen Quadratmetern und beherbergt nicht nur 14 Hotels mit so bekannten Namen wie Steigenberger, Sheraton und Mövenpick, sondern auch ca. 2300 private Apartments und Villen. Für die ca. 4000 permanenten Einwohner aus mehr als 30 Nationen bietet die kleine kosmopolitische Stadt eine Infrastruktur, die kaum Wünsche offen lässt: einen privaten Flughafen, nahezu 200 Geschäfte, zahlreiche Restaurants und Bars, eine Internationale Schule sowie das erstklassig ausgerüstete Krankenhaus. Viele der in El Gouna lebenden Ausländer haben sich für den Ort entschieden, da er bequem in nur viereinhalb Stunden aus Europa erreichbar ist, das ganze Jahr über angenehme Temperaturen bietet und bei niedrigen Lebenskosten und hohem Lebenskomfort eine kleine internationale Gemeinschaft offeriert, in der die besten Seiten Ägyptens mit denen Europas friedlich vereint sind. Für die Schweizerin Marlis Seves stand seit ihrer Ankunft in El Gouna 2005 fest, dass dies ihr neues zu Hause sein würde. Schon im Alter von 25 Jahren, als sie noch auf Teneriffa lebte, trug sie den Wunsch in sich, ein eigenes Restaurant direkt am Strand zu betreiben. „Nun, in El Gouna
Marlis Seves
Erfolgreiche Auswanderer Von ÄH Redaktion in El Gouna
hat sich dieser Traum verwirklicht“, sagt sie mit einem Lächeln. Neben der „Buzzah Beach Bar“ betreibt Seves das florierende Bekleidungsgeschäft „Bollywood“ sowie das im Jachthafen schwimmende Feinschmecker Restaurant „Pier 88“. Auch wenn sie sagt, dass all dies nur mit harter Arbeit entstanden ist und man flexibel sein muss in Ägypten, schaut sie auf ihre Zeit in El Gouna sehr zufrieden zurück. Auch der Deutsch-Ägypter Khalid Khalil, der die meiste Zeit seines Lebens in Deutschland verbrachte, beschloss nach einer erfolgreichen Karriere als Computer Ingenieur in Europa, sich 2003 gemeinsam mit seiner Frau in El Gouna niederzulassen, um sich eine Auszeit zu gönnen. El Gouna Gründer Samih Sawiris meinte jedoch schon bald zu Khalil, das es noch ein wenig zu früh sei, sich zur Ruhe zu setzen und animierte ihn somit, Partner in dem kleinen und schicken Turtle’s Inn Tauch-Hotel mitten im El Gouna Jachthafen zu werden. Das Projekt stellte sich als gute Entscheidung heraus, so dass Khalil an der Verwirklichung eines weiteren Hotels in dem neuen Jachthafen El Gounas beteiligt ist. Doch nicht alle ausländischen Einwohner El Gounas haben sich direkt im Tourismusgewerbe selbständig gemacht. Der Däne Niels Jörgen Hojfeldt, ehemaliger Besitzer einer Software Firma, entdeckte El Gouna. Nach Fertigstellung seines Hauses im Sommer 2003, erhielt Hojfeldt einen überraschenden Anruf seines Gärtners, der ihn fragte, ob er nicht Interesse habe, die angeschlagene Gartenfirma zu übernehmen. Er nahm die Herausforderung an, begab sich an die Umstrukturierung der Firma
und legte somit den Grundstein seines Geschäftes Nile Garden & Pool, das schon bald erfolgreich neue Geschäftsbereiche übernehmen sollte. Drei Jahre später vertreibt Hojfeldt auch Solarheiz- NielsJörgenHojfeldt und Wasserreinigungssysteme Neben guten und entwirft seit einiger Zeit äußerst erfolgreich hochwertige Bedingungenfür Küchen und Badezimmer. Vom Existenzgründer, Potential El Gounas ist auch der bietet El Gouna Türke Veysel Karagoz überzeugt. einidealesUmfeld Vor ca. acht Jahren begann der für Familien mit erfahrene und international ge- Kindern. reiste Kapitän seine Erfolgsgeschichte in El Gouna als Kapitän einer Luxusjacht, doch verwirklichte er schon bald darüber hinaus seinen Traum einer Jacht Management Firma sowie eines Geschäfts für Bootszubehör. Motiviert vom Erfolg dieser Erfahrung und dem Marktpotential des Ortes, entschied sich KaragKhalid Khalil oz vor drei Jahren nach sorgfältiMehrere hundert ger Planung für einen größeren ausländische Schritt: zusammen mit seinem ägyptischen Partner und dem in Familien und London ansässigen international PersonenhabenEl agierenden Unternehmen Sun- Gounabereitsals seeker London Ltd. verwirklichte ihreneueHeimat er die offizielle Repräsentanz des gewählt. renommierten Luxus Jacht Herstellers für ganz Ägypten. Mehrere hundert ausländische Familien und Personen haben El Gouna bereits als ihre neue Heimat gewählt. Daniel Breitbach, der Ex-Leiter der El Gouna Investments Abteilung, war für fünf Jahren für Orascom tätig und wußte: „Ein Umzug nach Ägypten und die Verwirklichung einer Geschäftsidee bringt viele Herausforderungen mit sich. Wir halfen Interessenten nicht nur mit allgemeinen Informationen über Leben und Geschäftspraktiken in El Gouna sowie Ägypten generell, sondern leisteten auch ganz konkrete Hilfestellung, wenn es bei-
spielsweise um Themen wie die Gründung einer Firma und ähnliche Fragen geht. Wir legten sehr viel Wert darauf, dass sich neue europäische Geschäftspartner in El Gouna nicht nur geschäftlich, sondern auch privat schnell und erfolgreich integrieren.“ Neben guten Bedingungen für Existenzgründer, bietet El Gouna ein ideales Umfeld für Familien mit Kindern. Die vierköpfige Familie Plha aus Bayern wanderte bereits ein Jahr nach einem ersten Besuch im Sommer 2005, nach El Gouna aus und hat sich inzwischen in der eigenen 400 Quadratmeter Villa gut eingelebt. Die Eltern arbeiten im Tourismus- und Immobilienbereich, die beiden Kinder im Alter von acht und zehn Jahren, besuchen die Internationale Schule in El Gouna, wachsen mehrsprachig auf und lernen andere Kulturen und Gebräuche kennen. Schnell hatten die Kinder neue Freunde gefunden und sich an das Leben in der neuen Heimat gewöhnt. Für die Plhas fiel die Entscheidung zum Weggang aus Deutschland leicht, erklärt der 31-jährige Familienvater: „Ein großer Vorteil gegenüber typischen Auswanderungsländern wie Australien und den USA sind die niedrigen Lebenshaltungskosten und wenig bürokratische Hürden.“ Hinzu kommt die räumliche Nähe zu Europa: „In vier Stunden ist man in Deutschland. Wenn man in München lebt, kann man auch nicht eben schnell nach Berlin fahren. Das macht keinen Unterschied.“ Nach einem Jahr in Ägypten haben die Plhas ihre Entscheidung, nach El Gouna auszuwandern, nicht bereut, auch wenn sie den diesjährigen Sommerurlaub nicht mehr in Ägypten, sondern in Deutschland gebucht haben..
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Buchtipp Geschichten aus erster Hand
ÄgyptenHeute August2014
Von Bettina Bausch
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ch fand den Abend klasse und sehr interessant. So lobte Gerhard Mörk, der Vorsitzende des Internationalen Kulturvereins Gechingen nach einer spannenden Lesung im voll besetzen Saal des evangelischen Gemeindehauses. Der Verein hatte die ehemalige Gechingerin Annelies Ismail und ihre Freundin Anita Wasfy zur Vorstellung eines Buches über Ägypten mit dem Titel „Das Rad schläft – Geschichten aus Ägypten“ eingeladen. Beide Frauen sind mit Ägyptern verheiratet, und das Land am Nil ist ihnen zur zweiten Heimat geworden. In dem Band, den Ismail für die Veröffentlichung überarbeitet hat, sind Erzählungen zusammengestellt, die die Rheinländerin Wasfy während ihres jahrzehntelangen Lebens im Land am Nil gesammelt hat. „Das sind wahre Geschichten, die sie über Jahre selbst erlebt oder erzählt bekommen hat“, unterstrich Ismail. Man könne sich heute kaum mehr vorstellen, wie das Leben in Ägypten vor 25 Jahren aussah. Alles habe sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. „Aber das Leben auf dem Land war schon immer von Traditionen bestimmt, die zum Teil heute noch gelebt werden“, so Wasfy. Im ersten Teil des Buches erzählt die Autorin auf spannende Weise, wie sie auf einem Ball den damals in Deutschland studierenden Mohsen Wasfy kennenlernte, ihn heiratete
und mit ihm nach Ägypten ging. Dort kaufte sich das Ehepaar 84 Hektar Wüstenfläche, baute mit Hilfe von Zuschüssen Bewässerungskanäle und verwandelte das Gebiet in eine Plantage. So entstand aus dem Nichts ein kleines Paradies, auf dem bis heute Datteln, Avocados und diverse Zitrusfrüchte wachsen. In den gelesenen Geschichten malten die beiden Frauen ein buntes Bild des Lebens am Nil, wie es ein Tourist nicht kennenlernen kann. Sie erzählten in ihren Texten vor allem vom einfachen Leben der ländlichen Bevölkerung. Es ist meist von Armut geprägt. Besonders unter die Haut ging ein Bericht, der schilderte, wie bettelarme Eltern ihre Kinder als Sklaven verkauften. „Die Menschen dort
sind trotz ihrer Armut zufrieden und nehmen ihr Leben meist als Gottes Wille hin“, berichtete Wasfy. „Mich hat die erste Geschichte am meisten berührt, in der berichtet wurde, wie eine Frau sich das Leben nahm, weil sie keine Kinder bekommen konnte“, sagte Besucher Franz Groll. Auch er kenne den gesellschaftlichen Druck auf kinderlose Frauen aus seiner Arbeit als Entwicklungshelfer in Haiti. Im evangelischen Gemeindehaus duftete es schließlich nach einem würzigen, typisch ägyptischen Gericht, mit dem die Besucher verwöhnt wurden. Es gab leckere Fleischbällchen, Dips und Gemüsestreifen, die allen wunderbar mundeten. (Quelle: Schwarzwälder-Bote)
Ältere Generation erzählt: „Mein Mann ist Ägypter“
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Ich habe dieses Buch vor 2 Jahren gelesen, und es fiel mir nun wieder ein, nachdem die Autorin sozusagen einen Nachfolgeband („Mein Ägypter ist anders - Besondere Paare von heute“) geschrieben hat, das ich gerade ausgelesen habe.
ieses erste Buch fand ich sehr spannend! Schön beschrieben, erzählen fünfzehn Frauen ihre Geschichte, wie sie ihren ägyptischen Ehemann kennengelernt haben und wie es ihnen in dieser ganzen Zeit bis heute so ergangen ist. Diese Frauen sind die heutige ältere Generation, geboren in einem Zeitraum zwischen (grob auf- und abgerundet) ca. 1920 und 1950. Zu dieser Zeit war Deutschland ganz anders und Ägypten sowieso. Wer heute durch seine Urlaube Ägypten kennengelernt hat, kann sich kaum vorstellen, in was für ein Ägypten damals manche Frauen, so mir nichts dir nichts, ausgewandert sind - das Wort „Kulturschock“ ist noch richtig untertrieben, was ich in den Geschichten so herausgelesen habe. Sie waren irgendwie echte Pionierinnen! In Deutschland herrschten ebenso andere Sitten als heute. Frauen konnten auch nicht einfach so alles machen was sie wollten. Auch in Deutschland war es üblich, wie heute in Ägypten immer noch (religiös bedingt), dass Paare relativ schnell heirateten. Eine richtige und anständige Beziehung konnte zum großen Teil nur im Rahmen einer Ehe geführt werden. Ich denke, das hat es diesen binationalen Beziehungen, im Vergleich zu heute, leichter gemacht. Deutsche / Europäische Frauen erschrecken heute eher, wenn der Ägypter nach einigen Montaten Kennen vor-
schlägt zu heiraten. Schön empfand ich in diesem Buch auch, dass so viele positive Geschichten vorgestellt wurden. Das, was die heutigen Medien aus der arabischen Welt zeigen, ist leider überwiegend negativ. Es werden eigentlich fast nur reine Sensationsmeldungen gezeigt. Deshalb stimmten mich diese vielen positiven Geschichten fröhlich. Es wurde Zeit für so ein Buch, um der ganzen negativen Presse auch ein Fünkchen positive Wahrheit entgegenzustellen. Eine besonderes schöne Idee sind am Ende auch noch die vielen tollen ägyptischen Rezepte! Es macht Spass sie nachzumachen. :-) Einen Stern habe ich abgezogen, weil ich von einem Buch, das in 2008 veröffentlicht wurde, auch Geschichten von Beziehungen aus der „heutigen Zeit“ erwartet hatte. Ich dachte, es gäbe einen Mix darin, sodass der Leser auch einen Vergleich von damals zu heute hätte. Nach dieser Lektüre hat man zwar viel vom damaligen Ägypten und der Historie erfahren aber es gibt so gar keinen Bezug zu heute. Das habe ich sehr vermisst. Damals wusste ich ja nicht, dass es einige Jahre später einen kleinen Nachfolgeband geben wird. Besser hätte mir aber dennoch gefallen, alle Geschichten in einem Band vorzufinden.
Von Monerl
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Analyse Professor Wolfgang Freund, deutsch-französischer Sozialwissenschaftler heute in Frankreich lebend, hat jahrzehntelang in Nordafrika und dem Nahen Osten in verschiedenen akademischen Kooperationsprojekten gearbeitet und ist nach unserer Auffassung einer der wenigen westlichen „Experten“, die „unsere“ Regionen wirklich von innen heraus kennen gelernt haben und deshalb verstehen können. Er schrieb das Nachfolgende vor einem Jahr, August 2013, und wir sind der Auffassung: dem ist nichts hinzuzufügen.
ÄgyptenHeute August2014
WolfgangFreund
ÄH Redaktion
Kairo: Säkulares gegen Fanatisches Von Wolfgang Freund
Die „AntiMursi“-Teile der ägyptischen Bevölkerung bilden deren dynamischstes und der Zukunft am meisten zugewandtes Segment. Es sind die jungen, relativ gut ausgebildeten Menschen, darunter nicht wenige weiblichen Geschlechts, die sich ihre Zukunft von den „Bärtigen“ nicht zukleistern lassen werden.
E
s war vorauszusehen, da längst von der Sphinx mit Hieroglyphen aus Feuer in den ägyptischen Augusthimmel gemeiselt. Das „Militärische Establishment“ und Muslembrüder mussten aufeinander losgehen. Sie hatten keine andere Wahl. Denn beide „Volkskategorien“ haben im Falle einer endgültigen Niederlage nicht nur Einiges sondern Alles zu verlieren. Auch sollte man sich, ganz besonders aber „im Westen“, von einer weltweiten Wahnvorstellung trennen: die ägyptische „Tahrir-Revolution“ führte nicht ins demokratische Paradies sondern in ein „post-pseudorevolutionäres“ Chaos. Verglichen mit dem, was sich heute zwischen Assuan, Assiut, Kairo, Alexandrien, Port Said und Suez abspielt... von der Sinai-Halbinsel erst gar nicht zu reden... war die Mubarak-Epoche geradezu ein Goldenes Zeitalter mit paradiesischen Zuständen. Honny soit qui mal y pense... Einiges ins rechte Licht zu rücken dürfte deshalb nützlich sein. Da ist zunächst einmal die „westliche“ und primär “US-amerikanische“ Reaktion auf den Rundumschlag des „Militärischen Establishment“ gegen die islamistischen „Brüder“ mit Hunderten wenn nicht Tausenden von Toten. Kein Mensch kennt die genauen Zahlen. 600 oder 2200? Was soll’s? Darauf kommt es letztlich gar nicht an. Was bleibt ist die totale Widersprüchlichkeit bei den Reaktionen „im Westen“. Es ist noch nicht lange her, da äusserten „wir“ unsere schlimmsten Bedenken vor einer Entwicklung, die in Kairo schnurstracks auf eine islamistische „Diktatur der Bärtigen“ hinzuführen schien, mit Erklärungen von US-Aussenminister John Kerry ganz vorneweg! Und jetzt, nachdem der Grossislamist und Staatspräsident in Personalunion, Mohammed Mursi, von dem „Militärischen Establishment“ führern abgesetzt, eingekastelt ist und unter Anklage wegen „Mord und Spionage“ gestellt werden soll, während seine „Brüder“ aus den öffentlichen Erscheinungsbildern gedrängt oder gar niederkartätscht werden, brüllen „wir“ auf und schreien „Feuer, Feuer“. Was wollen wir eigentlich?
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Analyse Ägypten als islamistisches Horrorgebilde, wo es in Cairo downtown keinen Tropfen Stella-Bier mehr geben wird, oder als wiederauferstandenes Fanal für einen zivilisatorischen Fortschritt, auf den die arabisch-islamische Welt des Nahen Ostens nicht minder Anspruch hat als andere Weltgegenden? Ich sage absichtlich „wiederauferstanden“; denn so etwas Ähnliches war Ägypten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bereits einmal gewesen. Dann ging es rückwärts, abwärts, bis heute. Das gerade stattgefunden habende „Muslembrüder“-Gemetzel war grausam, aber möglicherweise unvermeidlich und vielleicht sogar... salutaire, à terme. Ich bin mir sicher, dass die Vorgänge in den vertraulichen Denkfabriken (Think Tanks) unserer einschlägigen Aussenämter ganz ähnlich beurteilt werden, wie etwa in Berlin, Paris, London und natürlich Washington, zumal eine solche Sicht der Dinge für Moskau seit Jahr und Tag eine Selbstverständlichkeit ist. Und die Russen kennen seit Langem schon das
„diktatorial“ und wer „demokratisch“ vor? Die Frage ist längst nicht mehr eindeutig zu beantworten. Trauriges Faktum bleibt, dass Baschar Al-Assad, der „Schlächter von Damaskus“, und die Seinen heute in Syrien das einzige klar definierbare Gsellschaftselement bleiben, das sich den Anachronismen der„Brüder“-Gesellschaft kompromisslos entgegenstellt. Aus welchen Motiven auch immer. Das bleibt erst einmal unerheblich. Subtilere Bilanzen werden später gezogen werden. Doch es rührt ans Tragikkomische, wenn man sieht, wie „unsere“ einschlägigen Politiker in ihren öffentlichen Verlautbarungen zum Thema, ständig um Worte und Auslegungen ringen müssen. Einesteils „verdammen“ sie den schrecklichen Baschar, andernteils möchten sie den „Aufständischen“ kaum noch Küchenmesser liefern, in der Furcht, diese könnten in „falsche“, d.h. islamistische Hände geraten, dieweilen Russen und Iraner den schlimmen Baschar mit schwerem Kriegsgerät ständig nachrüsten. Da stimmt etwas nicht, und
wirkliche Denken und Fühlen der NahostVölker besser als die Amerikaner. Bei den Deutschen, Franzosen und Briten glaube ich das nicht. Umso skandalöser werte ich deren augenblickliche „Zurückhaltung“ bei der Wertung dessen, was gegenwärtig in Kairo geschieht. Ägypten kämpft auf Leben und Tod um das Eintrittsbillet in die soziopolitische Landschaft des 21. Jahrhunderts, und bei diesem „Hobelgeschäft“ fallen leider die üblichen Späne. Ändern können wir es nicht; aber wir sollten uns davor hüten, den „Gegenkräften“ Beifall zu spenden oder gar Unterstützuing zu gewähren. Das soeben Gesagte bestätigt sich auch bei der Bewertung der „Revolutionsabläufe“ in Syrien. Dort ebenfalls ringen die Kräfte des obskurantistischen Islamismus mit jenen der säkularen, auf die Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts hingewandten Kräfte des Landes. Wer geht dabei
zwar ganz erheblich. Besonders chaotisch nehmen sich die Attitüden der Saudis und Qataris aus. Diese züchten seit Jahren schon die „Muslembrüder“ aller nahöstlichen Gaue heran durch Zuwendungen in Millionen- und Milliardenhöhe, schwenken nunmehr aber plötzlich um und erstarren vor Schrecken beim Anblick dessen, was aus solchen „Brüdern“ in Ägypten und auch anderswo in der Region zu werden scheint. Da passt auch nichts mehr zusammen, und schon gar nicht „im Einvernehmen“ mit Big US Brother, das für Länder wie Qatar und Saudi-Arabien eine lebenserhaltende conditio sine qua non bildet. Im von Frankreich 1944/45 „zurückeroberten“ Elsass kalauerten damals die Spötter: Ich bin dafür, dass wir dagegen sind... Und wenn dann allesamt dagegen sind... dann, mein Freund, sind wir dafür!“ So ähnlich muss es heute auch
John Kerry
Das „tiefe Ägypten“ will keine Muslembrüder. Das ist die wirkliche Wiederentdeckung der letzten Wochen und Tage. Wir sollten das respektieren, sehr sehr ernst nehmen.
Ägypten kämpft auf Leben und Tod um das Eintrittsbillet in die soziopolitische Landschaft des 21. Jahrhunderts, und bei diesem „Hobelgeschäft“ fallen leider die üblichen Späne.
ÄgyptenHeute August2014
in den Köpfen von Qataris und Saudis zugehen. Eine klare Linie fahren hingegen die Israelis. Sie mögen weder Baschar Al-Assad noch die ägyptischen Generäle besonders leiden. Sie sind aber Realisten und wissen, dass Baschar Al-Assad niemals einen Krieg mit Israel vom Zaun brechen wird, während in einem „postrevolutionären“ Syrien nichts mehr kalkulierbar bliebe. Und mit den „ägyptischen Generälen“ verbindet sie ein regelrechtes „Bündnis“. Nur gemeinsam kann es gelingen, das bestehende Machtvakuum und Sicherheitschaos in der Sinai-Halbinsel auszutrocknen, und in ägyptischen Generalstäben gibt es nirgendwo Stimmen, die von einer Wiederaufnahme der Feindseligkeiten gegen Israel auch nur zu träumen wagten. Schliesslich sollte bei der Bewertung dessen, was in Ägypten geschieht auch ein soziologischer Sachverhalt nicht übersehen werden. Die „Anti-Mursi“-Teile der ägyptischen Bevölkerung bilden deren dynamischstes und der Zukunft am meisten zugewandtes Segment. Es sind die jungen, relativ gut ausgebildeten Menschen, darunter nicht wenige weiblichen Geschlechts, die sich ihre Zukunft von den „Bärtigen“ nicht zukleistern lassen werden. Sie sitzen auch sozioökonomisch besser im Sattel als die Anderen. Häufig aus mittelständischem bis grossbürgerlichem Hause stammend (das gibt es in Kairo!), mehrsprachig (neben Arabisch Englisch, Französisch, nicht selten Deutsch und/oder Russisch), haben sie einschlägige Auslandserfahrung sowie eine noch lebendige familiäre Erinnerung daran, was „das moderne Ägypten“ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bereits einmal gewesen war. Ägypten verfügte damals, um nur ein Beispiel zu geben, über ein Postnetz, das, dem französischen strikt nachgebildet, zu den zuverlässigsten der ganzen Welt gehört hatte... während zu der Zeit, als ich in Kairo mehrfach jahrelang gelebt habe (siebziger und achtiger Jahre), desöfteren Briefträger verhaftet wurden, die, um sich den Tag „leichter“ zu machen, ihre morgendlichen Postsäcke ganz einfach in den Nil gekippt hatten, anstatt deren Inhalte auszutragen. Schliesslich gibt es die christlichen Kopten, immerhin +/- 12 Mio. von etwas mehr als 80 Mio. Ägyptern, die mit den „Muslembrüdern“ ebenfalls nichts am Hut haben, häufig wirtschaftliche Schlüsselpositionen bekleiden und gerne in ihren Kneipen weiterhin ein Glas Wein oder einen „Zibib“ (ägyptische Version des türkischen Raki oder libanesischen Arak) trinken möchten, ohne deshalb öffentlich ausgepeitscht zu werden. Auch sie denken „westlich“ und sind bereit für eine „säkulare Republik“, wo Religion Privatsache bleibt... man muss ja deshalb nicht gleich „gottlos“ werden...! Das „tiefe Ägypten“ will keine Muslembrüder. Das ist die wirkliche Wiederentdeckung der letzten Wochen und Tage. Wir sollten das respektieren, sehr sehr ernst nehmen, und bei diesem Ringen um künftige Laizität helfen, wo immer wir können.
Wirtschaft
F
reitagabend in der Kairoer Innenstadt. Hunderte von Händlern bieten ihre Waren an. T-Shirts, Spielzeug, Musik. Die Händler sind der Regierung ein Dorn im Auge, denn sie sind illegal. Ihre Geschäfte sind nicht angemeldet, sie zahlen keine Steuern. Dabei würden die meisten von ihnen gerne ganz offiziell arbeiten, sagt Ahmed Elan. Seit über 20 Jahren steht er Tag für Tag hier auf der Straße und bietet Plastikschuhe an: „Wie soll ich denn sonst Geld verdienen? Wenn ihr mich hier vertreibt, gebt mir eine Alternative. Anstatt den und den zu bezahlen, legalisiert mich! Dann bezahle ich das Land!“ Die Händler gehören zur sogenannten Schattenwirtschaft in Ägypten, die fast 40 Prozent der Gesamtwirtschaft ausmacht. Ihre Legalisierung würde dem Staat Milliardeneinnahmen bringen, meint Scherif El Diwan vom Ägyptischen Zentrum für ökonomische Studien. Um das zu erreichen, müssten in erster Linie Gesetze geändert werden, um es einfacher zu machen, ein Geschäft anzumelden, sagt El Diwan: „Die Zugangsregulierungen sind ausufernd. Es dauert überdurchschnittlich lange. Wenn jemand zum Beispiel eine Bäckerei in der Stadt Tanta eröffnen will und sich mit nichts anderem in seinem Leben beschäftigt, als mit den benötigten Formularen und Anträgen, dauert es etwa eineinhalb Jahre und kostet ihn das Dreifache des durchschnittlichen ProKopf-Einkommens.“ Viel totes Kapital in Ägypten El Diwan und seine Kollegen haben eine Studie veröffentlicht über Ägyptens totes
Ein paar Gesetzesänderungen würden der ägyptischen Wirtschaft auf einen Schlag zwei Prozent Wachstum bescheren, meinen Ökonomen aus Kairo. Ihr Vorschlag: Die Schattenwirtschaft, die 40 Prozent der Gesamtwirtschaft ausmacht, müsse legalisiert werden.
Mithilfe der Schattenwirtschaft zu mehr Wachstum Totes Kapital macht 40% der Gesamtwirtschaft aus Von Elisabeth Lehmann
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ÄgyptenHeute August2014
Kapital. Neben den Straßenhändlern sind auch die Immobilien und Ländereien der Ägypter ein Schatz, der dem Staat im Moment nichts nützt. Das Problem auch hier: Meist bauen die Menschen illegal oder schleusen Landverkäufe am Fiskus vorbei. El Diwan führt ein Beispiel an: „Du hast eine Firma, die 50 000 Dollar Kapital hat und dann gehört dir ein Stück Land, das drei Millionen wert ist. Aber du kannst es nicht in die Bücher schreiben und davon profitieren, weil du keine Papiere für das Land besitzt. Und dann stelle dir vor, du bekommst plötzlich den Eigentumsnachweis – wie schnell deine Firma wachsen kann. Das ist die Situation mit der ägyptischen Wirtschaft.“ Integrierte man diese Menschen in einen gesetzlichen Rahmen, so die Berechnungen der Ökonomen, könnte die ägyptische Wirtschaft pro Jahr um zwei Prozent wachsen – allein durch Gesetzesänderungen. Ein Segen für das Land, das kurz vor der Pleite steht und auf Finanzhilfen aus Saudi Arabien angewiesen ist. Auch Straßenhändler Ahmed würde die neuen Regelungen begrüßen, bedeuten sie für ihn doch einen Ausweg aus der Illegalität: „Ich will doch nur meine Familie ernähren. Ich respektiere die Kunden, ich respektiere den Präsidenten.“ Und der scheint überzeugt zu sein vom Konzept der Ökonomen. Neben innerer Sicherheit steht die Wiederbelebung der ägyptischen Wirtschaft ganz oben auf der Liste von Präsident Abdul Fatah Al Sisi. Immerhin hat sich Al Sisi den Ansatz schon dreimal persönlich erläutern lassen. (Quelle: Deutschlandfunk)
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Sport
ÄgyptenHeute August2014
Zum fünften Mal.. Ägypten Junioren-Squash-Weltmeister
Die U19 Junioren-Teamweltmeisterschaften 2014 in Windhoek (Namibia) sind vorbei. Ägypten hat, wie bereits in den letzten zwei Jahren, den Titel im Finale gegen Pakistan gewonnen. Ägypten, nach 1994, 2006, 2010 und 2012 nun zum fünften Mal JuniorenTeam-Weltmeister. Gleichzeitig schafft das Team vom Nil einen Hattrick, was bisher nur England (1996, 1998, 2000) und Australien (1984, 1986, 1988).
M
an hatte es nach den Einzelergebnissen wohl vermutet, jetzt hat man die Gewissheit: Ägypten ist erneut U19 Junioren TeamWeltmeister. Mit einem Viersatz- und einem Fünfsatzerfolg fällt der Sieg aber wohl etwas knapper aus, als erwartet, zumal es bei den letzten JuniorenTeamweltmeisterschaften eine klare Angelegenheit für Ägypten gegen Pakistan war. Vize-Einzel-Weltmeister Omar El Atmas (EGY, WRL 315) besiegte den Pakistani Tayyab Aslam (WRL 95) erneut, wie bereits im Viertelfinale des Einzel-Wettbewerbs – diesmal
allerdings in vier und nicht fünf Sätzen. Anschließend stellte Youssef Abu Al-Makarim (EGY, WRL 315) mit einem 3:2-Sieg gegen den Pakistani Syed Ali Mujtaba Shah Bokhari (WRL 315) den vorentscheidenden Sieg her. Das letzte Spiel wurde nicht mehr durchgeführt, da Ägypten als Weltmeister feststand. Mit diesem Sieg, welches Ägyptens fünfter WM-Titel insgesamt ist, steht Ägypten nunmehr mit Australien gleich. Es folgen England und Pakistan mit jeweils vier Titeln. Spanien ist wohl das Überraschungs-Team des Turniers. In Windhoek waren die Spanier erstmals wieder bei einer Junioren-WM am Start, nachdem sie 2008 einen für sie enttäuschenden 20. Platz belegt hatten. An Position sechs gesetzt, haben sie im Viertelfinale die an vier gesetzten Inder überraschend bezwungen. Sie verloren zwar gegen den späteren Weltmeister Ägypten im Halbfinale, im Spiel um Platz drei besiegten sie allerdings das an Position fünf gesetzte Malaysia. Damit erreichte Spanien mit Platz drei das beste Ergebnis seit 1998. Der vierfache Junioren-Teamweltmeister England schied zum ersten Mal seit 34 Jahren im Viertelfinale aus. Wenigstens erreichten sie mit ihrem knappen 2:1 Sieg über Indien noch Platz fünf. Das deutsche Team mit Lucas Wirths, Niklas Becher und Yannik Omlor (Sean Redmen kam diesmal nicht zum Einsatz) gewann die letzte Begegnung gegen Zimbabwe klar mit 2:0. Es siegten Wirths gegen Tafadzwa Mushunje und Becher gegen Innocent Mukumba. Doch mit dem 19. Platz belegt das Team, um Bundestrainer Oliver Pettke, das schlechteste Ergebnis bei Junioren-Weltmeisterschaften seit diese 1980 das erste Mal ausgetragen wurden.
Literatur Als Scheich Ragab Abdallah, mein Großvater, im Kindesalter nach Kairo kam, um mit seiner Familie am Grabmal der Familie des Propheten dessen Segen herabzurufen, befahl ihm sein Vater, sich auf der Schwelle der Sayeda-Zeinab-Moschee niederzubeugen. So fiel er wie die Seinen auf die Marmorschwelle nieder und bedeckte sie, ungeachtet der Gefahr, von den kommenden und gehenden Gläubigen am Kopf verletzt zu werden, mit Küssen. Wohl geschah es zuweilen, daß ein Ulema, ein der Gesetze kundiger Gottesgelehrter, gerade ein erzürntes Gesicht zeigte und Gott anrief wegen solcher Abgötterei und Unwissenheit; aber die Mehrzahl der Gläubigen lächelte über diese Einfalt der Bauern, deren Kleider nach Milch und Stall und Fenchel rochen. Man verstand die Sehnsucht der kleinen Leute nach dieser Wallfahrt und ihre Ehrfurcht vor IHR, der erhabenen Sayeda Zeinab, und die Unfähigkeit, sich anders auszudrücken. Noch in jungen Jahren wanderte mein Großvater endgültig nach Kairo aus, um ein Broterwerb zu suchen, und es ist durchaus nicht verwunderlich, daß er als Wohnung das der bevorzugten Moschee nächstliegende Haus wählte.
August2014
Der ägyptische Autor Yehia Hakki (1905-1992) ist warscheinlich der bewußteste Erzähler der modernen arabischen Literatur. Vorrangig für seine Kunstübung ist Präzision in der Verwendung der Sprache. Hakkis Ruhm beruht auf seiner Erzählung »Die Öllampe von Om Hachem«; 1944.
Die Öllampe von Om Hachem Er richtete sich in einem alten Haus der Wakfs auf, gerade vor dem Bassin für die religiöse Reinigung an der Moschee, weshalb man dieses Gäßchen auch die „Rud’el Meyda“ nannte. Ich habe gesagt „nannte“; denn die Spitzhacke verirrte sich in das Gäßchen, das seinen letzten Seufzer von sich gab, um dem Midan Platz zu machen. Mein Großvater richtete sich einen kleinen Laden auf dem Midan ein, und unsere Familie lebte in der Nachbarschaft und unter dem Schutz der heiligen Dame: IHR Muezzin war unsere Turmuhr. Das Geschäft blühte, denn OM HACHEM hatte es gesegnet. Als der älteste Sohn meines Großvaters seine Studien beendet hatte, nahm ihn dieser ins Geschäft, um an ihm eine Hilfe zu haben. Der zweite Sohn zog in die Azhar, lernte dort einige Jahre, scheiterte schließlich und kehrte in unser Heimatdorf zurück, um dort Scheich der Moschee und Muezzin zu werden. Blieb noch mein Onkel Ismail, der Benjamin unter den Brüdern, den das Schicksal und der Wille seines Vaters zu Höherem, Besserem bestimmt hatten. Vielleicht hatte er anfangs eine Scheu, den Koran zu lernen und an der Azhar zu studieren; denn er sah, wie die Gassenjungen den Turbanträgern über den Platz nachliefen und brüllten: „Lüfte deinen Turban, herunter damit! Unter dem Turban ist ein Affe!“ Aber Scheich Ragab hatte Großes mit ihm vor. Er steckte ihn in die staatlichen Schulen, wo ihm seine religiöse Erziehung und seine bäuerliche Herkunft ein wertvoller Schutz waren. Bald fiel der Junge durch seine Höflichkeit, Ausgeglichenheit und respektvolle Haltung den Lehrern gegenüber angenehm auf. Wohl war seine Kleidung nicht so elegant wie die gewisser anderer Kinder, aber sie war von der peinlichsten Sauberkeit. Und er war männlicher und seine Art, sich ausdrücken, klarer, bewußter als die seiner verwöhnteren Kameraden, den Söhnen unwissender und geistloser Effendis. Sehr schnell überflügelte er sie im Studium; seine Intelligenz, die ihm aus den Augen strahlte, konnte von niemandem übersehen werden. Alle Hoffnungen seiner Familie kristallisierten sich in ihm. Bereits seit seiner Kindheit rief man ihn Ismail Effendi, Herr Ismail, und behandelte ihn wie
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ÄgyptenHeute
einen Mann: das Beste beim Mahl, die schönsten Früchte für ihn! Wenn er sich zum Studium hinsetzte, sank die Stimme des Vaters, der die Verse des Korans sprach, zu einem Murmeln herab, als wolle sie ihn streicheln; die Mutter ging nur auf Zehenspitzen, und selbst Fatima El Nabawiya, eine Waise und seine Kusine, hatte gelernt, ihr munteres Geschwätz einzustellen und sich in seiner Gegenwart still zu verhalten, schweigsam wie die Sklavin vor ihrem Herrn. Sie hatte sich angewöhnt, mit ihm wach zu bleiben, wenn er arbeitete, und während ihre Finger unaufhörlich irgend etwas strickten, beobachtete sie ihn mit kranken Augen und geröteten Lidern. Ihr Schweigen sprach zu Ismail: „Schau auf meine Hände, wie sie von einem fremden Leben bewegt werden, von einem immer wachen Tastvermögen, das die Dinge erkennt. Verstehst du nicht? Sagt es dir nicht, daß es ein Zeichen der beginnenden Blindheit ist, wenn die Hände anfangen zu sehen?“
„Geh schlafen, Fatima!“ „Es ist noch früh, ich bin nicht müde.“ Von Zeit zu Zeit verwandelte eine Träne in Fatimas Augen das Bild Ismails in ein geheimnisvolles Phantom. Dann wischte sie die Träne mit Zipfel ihres Ärmels ab und versank wieder in Nachdenken. Für sie gab sich die ewige Weisheit durch den Mund Ismails kund. O Gott, wie konnten sich in Büchern so viele Geheimnisse und Rätsel verbergen! Ismail betrachtete ihre Zöpfe, unterbrach seine Studien einen Augenblick und lächelte. Diese armen Mädchen, wenn sie wüßten, wie wenig sie in ihren Köpfen hatten! Das ganze Leben seiner Familie, ihr Tun und Treiben war allein auf seine Bequemlichkeit abgestellt. Die Familie wachte über ihn wie eine Henne, die, beunruhigt von forschenden und vorsichtigen Blicken, ihre Eier ausbrütet, unbeweglich wie eine Nonne bei der Andacht. Die Anhänglichkeit dieser Familie zu ihrem Kind glich jener Liebe, die den, der davon befallen ist, zum Gefangenen macht. Jahre vergingen. Ismail war immer der Erste. Sobald man die Prüfungsergebnisse erfahren hatte, bot man nicht nur den Nachbarn, sondern auch den Vorübergehenen die Sirupgläser an. Auch Osta Hassan, der Friseur und Bader des Viertels, erhielt davon sein gewohntes Maß. Dann zündete die Mutter, Set Adila, Räucherstäbchen an, wie sie der erhabenen Om Hachem gelobt hatte. Sie buk Brote, setzte gekeimte Bohnen ein, verstaute alles in einem Korb aus Zwergpalmblättern und ließ ihn von Fatima Om Mohamed darbringen. Als diese mit ihrem Korb auf dem Platz erschien, begannen sich die Bettler um die Brote zu streiten; die Melaya, der schwarze Schleier, mit dem die Landfrauen ihr Gesicht zu verhüllen pflegen, flog davon; sie mußte sich - nein, diese Schande!- schnellstens umdrehen, wobei sie Gefahr lief, über das lange Kleid zu fallen. Sie war zornig, lachte dann aber doch über die Gefräßigkeit des Bettelvolks vor der Sayeda-ZeinabMoschee. Dieses Abenteuer war dann für einige Tage Gegenstand der Unterhaltung. So wuchs Ismail heran, unter dem Schutz Gottes und Om Hachems. Sein Leben verlief innerhalb der Grenzen seines Viertels. Höchstens daß er einmal nach El Manyal, das ist eine der Nilinseln in Kairo, hinüberging, um dort am Wasser frische Luft zu schöpfen oder von der Brücke aus dem Treiben auf dem Fluß zuzusehen. Wenn der Tag zu Ende ging und die Sonne ihre stärkste Kraft verloren hatte, spiegelten sich die Dinge im Fluß seltsam gekrümmt und verschwanden schließlich im Dunkel der Nacht. Zu dieser Zeit erwacht dann der Midan aus Betäubung des Tages zu eigenem Leben, das Gewimmel der Fremden und der Gläubigen löst sich auf. Unter dem Kuppelgewölbe der Moschee schweben Lichtperlen, werden schwächer, zeigen sich da und dort, kreisen
Literatur um eine Ampel, die im Winde tanzt. Es ist die Lampe der Om Hachem. Sie hängt gerade über dem Grabmal, und die Mauern ringsum vermögen ihr Licht nicht festzuhalten. Nach und nach bevölkert den Midan ein Reigen fahler Gespenster: müde Gestalten mit erloschenen Augen, in Lumpen gekleidet. Die Rufe der umherziehenden Händler wiederholen sich mit schaler Monotonie: „Grüne Bohnen!“ „Da nimm und iß und bete zum Propheten!“ „Grüne Radieschen, zarte Radieschen!“ „Zahnstocher! Zahnstocher gebietet die Sunna, das Wort des Propheten“ Woher kommt der trostlose Klang dieser Rufe? Über welches heimliche Unrecht führen sie Klage? Welches Gewicht lastet auf all diesen Herzen? Und doch liegt auf diesen Gesichtern die Ruhe stiller Ergebung. Wie leicht werden sie mit dem Leben fertig! Zahllose Hände gleiten über Münzen. War das Maß nicht voll, das Gewicht falsch, so hatten sie auch keinen Segen. Sie lehnen sich an die Moschee, sitzen am Boden oder strecken sich auf dem Gehsteig hin. Ein Durcheinander von Männern, Frauen, Kindern; niemand wird je erfahren, woher sie kamen, wohin sie gingen. Abgefallene Früchte vom Baume des Lebens, die an seinen Wurzeln verlaufen. Und das ist die Bettlerlehre: Wer um Speisereste, um Brotkrumen bettelt, beugt sich tief unter der Last seiner Armut und schreit: „Einen Bissen Brot, einen einzigen Bissen, in Gottes Namen, O Wohltäter!“ Das arme Mädchen, das plötzlich in der Gasse erscheint, fast nackt, ruft laut und giftig: „O du gläubiger Muslim, der du ein armes Weib nicht bekleidest, möge Gott niemals seinen Zorn über dich und die Deinen kommen lassen!“ Ihre schneidende Stimme holt die Leute an die Fenster, die Frauen, fasziniert von dem Anblick, beugen sich hinaus und lassen Lumpen auf sie hinabregnen, damit sie ihre Blößen bedecke. Dann ist sie verschwunden. Hat sie sich verkauft, hat sie die Erde verschluckt? Der Blinde Dokka-Verkäufer bietet seine Ware nur dann an, wenn man ihn gegrüßt hat; erst dann murmelt er die Verkauf- und Kaufformel des Koran. Die Nacht schreitet fort. Eine zärtliche Brise bringt Erfrischung. Aus den Cafés tönt Gelächter. Die Straßenbahn rattert vorbei, das Ungeheuer, das jede Nacht sein Opfer fordert. Aus der Anastassi-Bar kommt der Höllenlärm der Betrunkenen. Ein zorniger Trunkenbold wankt heraus und beschimpft die Passanten: „Komm her, Hosenscheißer, trau dich her, du Feigling!“ „Sperrt den Kerl ein!“ „Laßt ihn in Ruh, den armen Hund!“ Ein eigentümliches Gefühl angeregter Freude erfaßt die traurigen Gespenster des Midan. Die Erde kümmert sich nicht um die Seufzer, die Zukunft liegt in Gottes Hand. Man ist in Freundschaft verbunden; wer Leiden trägt, vergißt seinen Schmerz und wirft seinen letzten Piaster hin, um noch eine Gozah oder Chichah rauchen zu können. Herbei, wer kann! Das Tellergeklapper läßt nach, die Kerzen in den Speisewägelchen löschen aus. Das ist der Zeitpunkt, da Ismail seinen Rundgang auf dem Midan beendet. Er kennt dort die geheimsten Schlupfwinkel, jeder Stein ist ihm vertraut. Er kennt die Rufe der Händler und weiß, woher sie kommen. Der Lärm berauscht ihn, er läßt sich hineinsinken, ein verlorener Tropfen im Ozean. Ewige Wiederkehr der Bilder, eines gleicht dem anderen, sie gehören zu seinem Alltag, er nimmt sie kaum mehr wahr. Er verspürt weder Teilnahme noch Langweile, weder Genugtuung noch Zorn. Aber niemand sagt ihm, daß der Lärm, den er unbewußt vernimmt, daß alle diese Gespenster, die er ansieht, ohne sie zu sehen, die wunderbare Macht haben, in sein Herz einzudringen, sich dort niederzulassen, zu verstecken, um in der Tiefe seines Wesens fortzuwirken. Die Zeit der Kindheit war vorüber. Unbekannte Feuer durchglühten Ismail, ein wehrloses Opfer zwischen zwei Kräften, deren eine ihn vorwärtsstieß, während die andere ihn zurückzog. Er mied die Menschen, doch seine Einsamkeit machte ihn fast verrückt. Mit
einem Male begann er Freude daran zu empfinden, sich unter die Besucherinnen der Moschee zu mischen. In dieser drängenden und sich pressenden Masse waren seine Kleider nur ein leichtes Medium, das seinen Körper von denen der Frauen trennte. Bei der leisesten Berührung, bei einem kaum merkbaren Streifen fühlte er ihre Formen. Inmitten dieser Körper empfand er das Vergnügen, das der Schwimmer in einer starken Strömung empfindet, unbekümmert, ob das Wasser nun klar ist oder nicht. Der Geruch von Schweiß und von starken Parfüms berauschte Ismail nicht; er sog ihn durch die Nase wie ein Witterung aufnehmender Hund. Der Tag, an dem man zu Om Hachem pilgerte, hatte auch einige Prostituierte herbeigeführt, denn Sidi el Atrice, der Pförtner, verweigerte niemandem den Zutritt. Sie kamen, um eine Kerze darzubieten oder ein Gelübde abzulegen: Vielleicht half ihnen Gott, ihren Beruf zu wechseln. Ismail hatte sie bis vor kurezem ganz ohne Neugierde betrachtet, jetzt aber verfolgte er sie mit seinen Blicken. Unentwegt starrte er ihre Körper an. Besonders ein Mädchen zog seine Aufmerksamkeit in hohem Maße auf sich. Naima hatte braunes, lockiges Haar, ihre Lippen waren fein gezeichnet. Sie
„Die Öllampe“ wurde aus dem Französischen übersetzt von Hermann Stuppäck und im Buch “Der Tod des Wasserträgers, Horst Erdmann Verlag, veröffentlicht) unterschied sich von den anderen Mädchen durch ihre schlanke Erscheinung und ihre Schweigsamkeit. Die anderen schlenderten mit einer gewissen schamlosen Nonchalance dahin; ihr Schreiten aber war zielbewußt, beherrscht, die Arme waren an den Oberkörper gepreßt, die Hände zum Gebet erhoben. Die anderen ließen ihre Arme kraftlos herabhängen, als wollten sie die Unwiederbringlichkeit des Verlorenen andeuten. Ismail lächelte, als er den Scheich Dardiri, den Wärter des Grabmales, mitten unter ihnen sah wie einen Hahn im Kreise seiner Hennen. Dardiri kannte jede einzelene genau, registrierte die Abwesenden, nahm dieser ihre Kerze ab und half jener, sich den Weg zum Opferstock zu bahnen. Plötzlich aber verwandelte sich seine Liebenswürdigkeit in Zorn. Er faßte sie grob an und stieß sie zum Ausgang. Männer und Frauen kamen und baten um etwas Öl aus der Lampe der Om Hachem, Öl zur Heilung ihrer Augen. Manchmal half es denen, die daran glaubten. Keine Heilung ohne Glauben. Wurde aber jemand nicht gesund, so nicht etwa deshalb, weil das Öl wertlos gewesen wäre, sondern weil Om Hachem noch nicht entschlossen war, zu helfen und schützen. Vielleicht war es die gerechte Strafe für Sünde oder Unreinheit; dann mußte man sich in Geduld fassen und unermüdlich die Wallfahrt wiederholen. Geduld in diesem Leben ist das einzige Mittel, jenes andere, spätere Leben zu gewinnen. Das Öl war eine verläßliche Einnahmequelle für Scheich Dardiri. Trotzdem schien sein Leben wenig Annehmlichkeiten zu haben: Immer trug er dieselbe schmutzige Galabieh, immer hatte er denselben staubigen Turban auf dem Kopf. Was mochte er
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mit seinem Geld anfangen? Man verdächtigte ihn, heimlich Haschisch zu rauchen, und führte seine geifernde, grobe und verschlagene Art als Beweis dafür an. Die Wahrheit aber war, daß der Scheich ein Feinschmecker der Ehe war; er schätzte es, sich immer wieder aufs neue zu vermählen, und es verging kein Jahr, ohne daß er nicht eine neue Jungfrau in sein Bett gebracht hätte. Ismail machte während seiner häufigen Besuche am Grabe Bekanntschaft mit Scheich Dardiri, und abends, nach dem Gebet, trafen sie sich oft zu vergnügtem Gespräch. Der gutmütige Alte nahm sich des Jünglings an und verwöhnte ihn mit väterlicher Zärtlichkeit. Dieser Zuneigung verdankte es Ismail, daß Dardiri ihn eines Abends mit nach Hause nahm und ihm ein Geheimnis enthüllte, das er bisher noch keiner Menschenseele anvertraut hatte. «Höre, Ismail! In der Nacht der Hadrah erscheinen Sayedna el Hussein, el Imam el Shafei, el Imam el Leice begleitet von Sayeda Fatma el Nabaweya, von Sayeda Aicha, von Sayeda Sekina nebst einer Truppe von Reitern, die eine grüne Fahne tragen und Düfte von Moschus und Rosen ausschütten. Zu beiden Seiten der Göttin nehmen sie ihre Plätze ein, sie eröffnen die Sitzung, in der sie über die Menschheit Gericht halten. Wohl könnten sie, wenn sie wollten, alles Unrecht tilgen, aber die Zeit ist noch nicht erfüllt. Es gibt keinen Unterdrückten, der nicht zum Unterdrücker wird, wenn er zur Macht kommt. Soll man ihn denn von seinem Joch befreien? In dieser Nacht wirft die Öllampe, die du über dem Grab beinahe erloschen siehst, Perlen um sich, die blenden – ich kann meine Augen nicht zu ihr erheben. In dieser Nacht hat ihr Öl die höchste Heilkraft, und deshalb gebe ich es nur den Leidenden, die es wirklich verdienen.» Aber Ismail hörte nicht mehr zu. Er dachte an das braune Mädchen, das vor Schmerz die Lippen zerbiß, während der Scheich Dardiri mit dem Finger auf die Öllampe zeigte: Das Licht flackerte nicht mehr, es entfaltete sich über dem Grab wie der Schein auf dem schönen Antlitz einer Mutter, deren Kind an ihrer nährenden Brust eingeschlafen ist. Das leichte unaufhörliche Blinzeln des Dochtes glich dem Schlag eines zärtlichen Herzens, dem Verhallen gemurmelter Gebete. Wie ein Schutzengel seine Flügel ausbreitet, lag das Licht über dem Grab, ein Mantel, Gewebe aus Ehrfurcht und Gebet. Alles Licht wird strahlender, wenn es mit dem Dunkel kämpft; aber diese Öllampe leuchtete ohne Kampf. Und dann war nichts mehr: weder Ost noch West, weder Tag noch Nacht, weder Abend noch Morgen. Ismail sprang plötzlich auf. Er wußte nicht, was sein Herz so tief berührte. Im Jahr des Abiturs war Ismails seelische Bedrängnis besonders qualvoll. Er kam vom Examen, voller Zweifel, mit bedrücktem Herzen. Als die Ergebnisse veröffentlicht wurden, fand er seinen Namen unter den letzten. Seine Sehnsucht, wie die der ganzen Familie, ging dahin, Medizin zu studieren; aber ihm wurde die Aufnahme verweigert. Das neue Schuljahr brach an, und er hatte noch immer keine Entscheidung getroffen. Es bot sich ihm nur die Möglichkeit der Normalschule, oder er mußte mit den Vorbereitungen für das Abitur noch einmal beginnen und ein Jahr verlieren. Dazu hatte er wenig Lust. Scheich Ragab war genauso bekümmert und ratlos wie sein Sohn. Tag und Nacht kreisten seine Gedanken um dieses Problem. Wer war es nur, der ihm damals geraten hatte, Ismail nach Europa zu schicken? In dieser Nacht schlief Ragab nicht. Mindestens zehn bis fünfzehn Pfund müßte er defür monatlich aufbringen, dazu kämen noch die Kleider, um Ismail vor der Kälte zu schützen, und die hohen Reisekosten. Wo sollte man jeden Monat das Geld hernehmen? Und wenn er es auftrieb, wie lange würde er der ganzen übrigen Familie Not und Entbehrungen auferlegen müssen? Sechs Jahre? Sieben Jahre? Die Zeiten waren auch so schwer genug. Und würde er selbst den Mut haben, sich von seinem Sohn zu trennen? Und die Mutter, wie würde sie den Plan aufnehmen? Ihre
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Literatur Zärtlichkeit, ihre Liebe zu Ismail würde vielleicht das schwerste Hindernis sein. Unablässig gingen seine Gedanken im Kreis. Als der morgendliche Azan, der Gebetsruf des Muezzins zum Tagesanbruch, ertönte, lag Reagab noch immer wach. In der Erstarrung, die ihn befallen hatte, war ihm, als höre er eine innere Stimme sagen: Gib es in Gottes Hand? Mit einem Mal war er ganz wach - die Entscheidung war gefallen. Die Mutter verstand, daß ihr die Trennung von Ismail verhängt war, und stimmte schweigend zu. Aber ihre Augen füllten sich mit Tränen. Wohin wird er nun gehen? I n f r e m d e L ä n d e r. Magische Worte, geheimnisvolle Boten der Angst, sie wurden laut in diesem Haus, wo die Suren des Koran noch nie unterbrochen worden waren. Wahrheit und Weisheit sind dem Menschen aufgetragen, stand dort geschrieben. Und nun: in fremde Länder? Ach, diese Worte des Vaters waren nicht wie das Almosen eines Ungläubigen, das man nicht annehmen darf. Die Mutter stand Todesängste wegen der Seereise aus, und sie fröstelte in Gedanken an die Kälte in Europa. Sie stellte sich die «fremden Länder» als das Ende einer hohen, mit Gletschern bedeckten Treppe vor, wo man heimtückischen Menschen ausgeliefert war, die über alle Kriegslisten der Djinns geboten. Fatima hatte Herzklopfen, als sie hörte, daß die europäischen Frauen fast nackt gingen und mit dem Zauber ihrer Verführungskünste unwiderstehlich wären. Wenn Ismail jetzt fortzieht - wann kommt er zurück, und wird er überhaupt jemals heimkehren? Der Vater legte alles Geld zusammen, das nur irgend aufzutreiben war, die Mutter verkaufte ihren Schmuck, man besorgte das Billett, kaufte warme Kleidung, der Abreisetag wurde festgelegt, und eines Tages war es soweit. Die Familie versammelte sich. Alle schwiegen bedrückten Herzens, alle hatten Tränen in den Augen. Der Vater sagte: «Mein sohn, ich wünsche, daß du in den fremden Ländern genauso lebst, wie du bisher hier gelebt hast - getreu deiner Religion und ihren Gesetzen. Lasse sie nie außer acht. Du weißt, wohin es führt, wenn du sie auch nur einmal verletzt. Kehre zurück mit der Krone deiner Erfolge, damit wir stolz auf dich sein können. Ich bin fast ein Greis, und in dich habe alle Meine Hoffnungen gesetzt. Widerstehe den Versuchungen der europäischen Frauen. Sie sind nicht für dich bestimmt - und du nicht für sie.» Der Vater hielt einen Augenblick inne, dann sprach er weiter: «Deine Mutter und ich haben beschlossen, daß du Fatima el Nabawiya heiraten sollst. Sie wird auf dich warten. Sie ist deine leibliche Kusine und hat niemanden als dich. Wenn du bereit bist, lesen wir nun die Fatiha (die erste Sure des Koran), damit Gottes Segen mit dir sei und deine Reise dir zum Guten gedeihe.» Ismail Konnte nur zustimmen. Er legte seine Hand in die des Vaters, und gemeinsam mit der klagenden Mutter und dem zwischen Schmerz und Freude hin und her geworfenen Mächen lasen sie die Fatiha. Ismail hatte wohl gewußt, daß diese Fatiha eines Trages kommen würde, aber daß dieser Tag nun schon da war, bestürzte ihn. Er war mit Fatima zusammen aufgewachsen wie ein Bruder, aber er hatte sie niemals so angesehen, wie er das junge braune Mädchen betrachtet hatte. Er las die Fatiha seinem Vater zuliebe, doch seine Gedanken waren weit fort. Und als ihn sein Herz mahnte: Halte dein Versprechen? Antwortete er: Warum? Warum? Alle diese Dinge waren dunkel, denn bis jetzt hatte er sich seine Reinheit bewahrt, noch nie hatte er sich einer Frau genähert. Aber trotzdem hätte er lügen müssen - und Ismail log niemals -, wenn er seinen Hunger, seine Sehnsucht nach dem braunen Mädchen hätte bestreiten wollen, sein Verlangen nach Frauen überhaupt und vor allem nach den Frauen in Europa. Ismail verließ das Haus. Als es dämmerte, erreichte er den Midan. Sein Gehör nahm die vertrauten Rufe der Kaufleute wahr, und es schien ihm, als herrsche heute eine eigenartige Unruhe und Unrast. Die Passanten liefen hastig vorbei. Warum verhalten sie nicht den Schritt einmal, warum zeigen sie kein Interesse? Ist das Leben nur ein Wettlauf? Wie wünschte er, wenigstens
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Bauernfladen bei sich gehabt, die Fatima el Nabawiya eigenhändig für ihn gebacken hatte.
In der Erstarrung, die ihn befallen hatte, war ihm, als höre er eine innere Stimme sagen: Gib es in Gottes Hand? eines dieser eiligen Wesen bliebe einen Augenblick stehen, um ein bißchen zu schwatzen. Aber Niemand beachtete ihn. Midan - ein Gewühl sich kreuzender, zusammenschießender, in alle Richtungen laufender Ameisen! Ismail lenkte seine Schritte zum Grabmal, das in feierlicher Ruhe dastand. Scheich Dardiri verharrte dort - regungslos, mit gesenktem Haupt, wie erschlagen vor Müdigkeit oder gelähmt vor Schreck. Ismail machte die Runde um das Grab, bis er an das Gitter stieß, das die Plätze der Männer von denen der Frauen trennte. Da sah er einen Schatten neben sich - das braune Mädchen. Sie lehnte ihre Schläfe gegen das Gitter und murmelte vor sich hin: «O Om Hachem? Du Beschützerin der schutzlosen Frauen, verschließe nicht dein Ohr, wende dein Gesicht nicht ab von mir! Dein Herz ist Erbarmen. Wohin sollen die Kranken, die Geschlagenen und Betrübten sich wenden, wenn nicht an dich? Erinnere du dich, wenn wir vergessen! Wann wendest du mein Schicksal, meine Bedrängnis? Wie lange läßt du es noch zu, daß mir mein Körper nicht mehr gehört, daß ich nicht einmal Schmerz empfinde, wenn ihn das Leben in seinen Klauen hat? Hier liegt meine Seele, von Schmerzen gepeinigt. Am Boden wälzt sie sich wie eine Epileptikerin, sie möchte erwachen aus ihrer Erstarrung. Wie ein Schlafwandler bin ich, seit Gottes Gnade mich verlassen. Ich gelobe, dein reines Grab mit Kerzen zu schmücken, fünfzig Kerzen will ich dir opfern an jenem Tag, da mir der Herr seine Verzeihung gewährt, o Om Hachem, Tochter des Hussein!» Das Mädchen preßte seine Lippen an das Grabgitter, um es zu küssen. Mit einem Kuß, der keine leere Geste war, sondern tief aus dem Herzen kam. Wer vermöchte zu beschwören, daß Om Hachem nicht an das Gitter trat, den Kuß zu empfangen und zu erwidern? Ismail war wie verzaubert. Er wollte dem Mädchen folgen, aber seine Beine versagten ihm den Dienst. In seiner Verwirrung ging er hinüber zu Scheich Dardiri. Das Geschwätz des Alten lief ihm wie Balsam in die Seele. Und das ist Ismails letzte Erinnerung an Kairo: der Scheich vor der schweigenden Größe des Grabmals, aufgerichtet im Schein der Lampe, seine alte Hand, die das Gitter umklammert. Ismail verließ das Grab, aber all dies wird noch lange in ihm nachklingen. Wie auf einer Strömung trägt es ihn hinab, hinaus aus der Zeit in ein ewiges Kreisen, in dem die Dinge ihr Gleichgewicht verlieren, die Stimmen ihre Wirklichkeit und ihren eigenen Klang. Wie qualvoll ist dieser Abschied von der Familie! Zu Hause unter Tränen und Seufzern, auf dem Bahnhof, im Zug und dann am Hafen. Da liegt das unbekannte Schiff, die Sirene ruft an Bord. Er geht zum Steg, jung, doch mit der Gewichtigkeit eines alten Mannes, ein ungeschlachter Bauer in der Stadt. Und das Schiff lichtete seinen Anker. Mein Onkel Ismail hat mir in diesem Zusammenhang erzählt, daß er in seinem Gepäck ein Paar Überschuhe aus Palmholz mitführte, weil sein Vater gehört hätte, es gebe in Europa keine religiöse Reinigung, die Menschen seien gewöhnt, ihre Schuhe auch zu Hause anzulassen. Lächelnd beschrieb er mir auch noch seine Unterhose, ihre Länge, Breite und den umfangreichen Gürtel des Mehalla, Außerdem habe er noch einen Korb mit
Sieben Jahre sind vergangen - und das Schiff kehrt zurück. Wer ist dieser vornehme junge Herrr mit der schlanken Taille und dem erhobenen Haupt, der so lebhaft den Laufsteg herunterkommt? Aber mein Gott, das ist ja Ismail! Der Arzt Ismail, jener Augenspezialist, den die englishen Universitäten als Koryphäe von ungewöhnlicher Geschicklichkeit gerühmt haben. Jener, zu dem sein Professor eines Tages lächelnd gesagt hatte: «Ich wette eine Pfaffenseele - in Ihnen ist ein Arzt der Pharaonen reïnkarniert. Mister Ismail, Ihr Land braucht Sie, es ist das Land der Augenkranken.» Ismail hatte sich ein Wissen angeeignet - man könnte es intuitiv nennen -, wie es wohl nur in vielen Jahrhunderten gereift sein kann, ein wunderbares Feingefühl seiner Finger als Erbe jener längst vermoderten Hände, die Statuen aus hartem Stein gemeißelt und ihnen ewiges Leben gegeben hatten. Beeil dich, Ismail, wir haben unendliche Sehnsucht, dich wiederzusehen. Sieben Jahre sind vergangen - oder waren es Jahrhunderte? Deine Briefe waren anfangs häufig, dann seltener und konnten unsere Sehnsucht nicht stillen. Komm, komm zu uns, wie Gesundheit und Freude Kommen, und nimm erneut deinen Platz in deiner Familie ein. Du wirst sie finden nach all den Jahren wie eine stehengebliebene Maschine, nein, nicht nur stehengeblieben, sondern auch eingerostet, denn man hatte ihr ja den Motor genommen. In der Nacht vor seiner Ankunft schloß Ismail kein Auge. Gleich bei Tagesanbruch ging er auf die Brücke, um nicht den Augenblick zu versäumen, in dem die Küste Alexandriens sichtbar wird. Noch zeigte sich nichts am Horizont, aber seine Nasenflügel sogen einen seit langem entbehrten Duft ein. Das erste, was er von seiner Heimat erblickte, war ein Lebewesen, das schönste Sinnbild dieses Landes - ein weißer Vogel, der um das Schiff kreiste, ein freier, stolzer, schimmernder und einsamer Vogel. - Warum lassen sich die Schiffe soviel Zeit am Ende ihrer Reise, wo sie es doch am Beginn so eilig haben? Ismail hatte den Eltern seine Ankunftszeit nicht bekanntgegeben, um seinem alten Vater die Beschwernisse einer Reise nach Alexandrien zu ersparen. Er hatte die Absicht, seine Ankunft von Kairo aus telegrafisch zu melden. Jetzt sah er den Leuchtturm mit der braunen Einfassung und dort über der Wasserfläche den gelblichen Küstenstrich. O Ägypten, du bist eine offene Hand gegen das Meer, vor dir liegt kein gefährliches Riff; kein Berg, kein Geheimnis liegt vor deinen Küsten. Du bist ein Zuhause, und alles in dir atmet Frieden... Ein erstes Boot nähert sich mit einem alten Scheich. Die Jahre haben seinen Bart gebleicht, wie ein Affe hockt er vorn auf seinem Schifflein. Er fischt. Seine Galabieh - vielleicht war sie einmal blau – ist zerschlissen und über und über geflickt. Eine ägyptische Dame neben Ismail beugt sich über die Reling und flüstert, mit Tränen in den Augen, immer nur das eine Wort vor sich hin: «Ägypten, Ägypten...» Alle sehen dem Fischer zu, aber dieser scheint das Schiff nicht einmal wahrgenommen zu haben. Nichts vermag seine umfriedete Welt zu stören, diese ewig unveränderliche Welt Ägyptens. Ismail will den Scheich anrufen, ihn grüßen, ihm mit dem Taschentuch zuwinken? Wie ändern sich alle Werte und wie machtlos ist unsere Logik, wenn die Gefühle das Herz erfüllen! Die Glocke kündigt die Agonie des Schiffes an. Bald wird es stillliegen, ein Leichnam, einer Armee menschlicher Ameisen ausgeliefert: Soldaten, Offizieren, Trägern, Wechslern, Besuchern. Je stärker das Gedränge wurde, je ungestümer man sich gegen den Ausgang stieß, um so lauter wurden die Rufe; Umarmungen und Küsse wollten nicht enden. Ismail stand inmitten des Ganges, kämpfte sich durch und lauschte den Geräuschen, die von draußen zu ihm drangen. Begierig nahm er den Lärm auf, und seine wachsamen Augen ließen sich nichts entgehen. Ein scharfer Beobachter hätte feststellen
Literatur können, daß sein Gesicht schmaler geworden und daß die Backenknochen stärker hervorgetreten waren. Zoll, dann Wagen, das Lärm der Räder auf dem Asfalt und auf dem Steinpflaster, misstönendes, rhythmisches Wechselspiel, das in ihm Erinnerungen an seine Abreise wachruft! Es schien, als steige dieser Tag, zerbrechlich wie ein Traumbild, aus dem tiefsten Abgrund einer fernen Vergangenheit auf. Wie konnte eine so belanglose Erinnerung sieben Jahre England, die doch sein ganzes Leben von Grund auf verwandelten, überleben? Keusch noch, hatte er die Leidenschaft kennengelernt, nüchtern den Rausch. Er hatte die Freude des Tanzes geliebt und die des Körpers. Und seine erste Niederlage hatte sich in Aufstieg verwandelt. Seine Liebe zu Mary, einer Studienkollegin, ließ ihn seine Heimat vergessen. Dieser junge braune Orientale war ein Gefangener seines Herzens geworden und mit tausend Fäden an Mary gebunden. Sie hatte sich ihm hingegeben und ihn aus der Unschuld seines bisherigen Daseins zu neuem Leben erweckt. Sie hatte ihn aus seiner Verträumtheit aufgerüttelt, ihn zur Tätigkeit angespornt und selbstbewußt gemacht, hatte ihm die Welt des Schönen erschlossen, wie er sie vorher nicht gekannt hatte, sowohl in der Kunst als auch in der Seele des Menschen. Eines Tages sagte er zu ihr: „Ich werde keine Ruhe finden, ehe ich mir ein Programm aufgestellt habe, nach dem sich mein Leben vollziehen soll.“ Sie lachte und antwortete: “Mein Lieber, das Leben verläuft nicht nach einem im voraus festgelegten Programm. Es ist eine unaufhörliche, ewig neu beginnende Auseinandersetzung.” Doch als er näher darauf eingehen wollte und sagte: „Komm. Setz dich zu mir“, erwiderte sie nur: „Steh auf und laß uns gehen!” Wenn er ihr von Heirat redete, lenkte sie ihn mit Liebkosungen ab; hing er der Vergangenheit nach, so zwang sie ihn, den Augenblick zu genießen. Früher hatte er seinen Halt immer außerhalb seiner selbst gesucht, eine Stütze, an die er sich klammern konnte: die Religion und seine Familie. Sie aber sagte: „Wer seinen Mantel einem Aufhänger anvertraut, hat ihn zwar in der Nähe, aber er muß danebensitzen und aufpassen, daß er nicht verlorengeht. Er ist unfrei. Dein Haken muß in dir selber sein.” Was fürchtete sie? Eine Bindung? Und er? Die Freiheit? Er ging den Menschen aus dem Weg, aber er legte Wert darauf, daß sie ihm wohlgesinnt waren. Es lag ihm viel daran, zu wissen, wie man über ihn dachte, wie man ihn einschätzte. Jede neue Bekanntschaft war seiner Auffassung nach ein Zusammenstoß, bei dem immer einer verletzt wurde, bei dem es einen Sieger und einen Besiegten gab. Mary hingegen liebte es, Menschen kennenzulernen; aber wirkliches Interesse brachte sie für niemanden auf. Neue Bekanntschaften waren ihr nur Begegnungen. Freundschaft blieb der Zukunft vorbehalten; sie teilte sie zwar gerechterweise mit jedermann, brach aber sofort ab, wenn dieser Mensch sich als schwach oder langweilig, trübselig oder falsch erwiesen sollte. Hatte sie einmal ihre Beziehungen entrümpelt, dann hielt sie nur noch an jenen fest, denen sie vertraute. Wenn sie mit Ismail gemeinsam Krankenbesuche machte, sah sie, daß er dort mit Vorliebe länger blieb als anderswo. Besonders hielt er seine Teilnahme, sein Mitleid für jene bereit, die seelisch zerrüttet waren, und deren gab es viele in Europa. Er setzte sich zu ihnen und hörte geduldig ihre Klagen an. Es lag eine große Noblesse in der Art, wie er seine gesunde Logik ihrer Kranken anpaßte. Mary bemerkte, daß der Kreis der Kranken und Verlorenen sich immer dichter um ihn schloß. Alle hängten sich an ihn, jeder wollte ihn für sich allein haben. Dann pflegte sie zu ihm zu gehen und ihm unsanft zu schütteln. „Du bist nicht der Messias! Wer den Engel spielen will, wird zum Ochsen gestempelt. Jeder ist sich selbst der nächste. Es sind Schiffbrüchige, die deine ausgestreckte Hand nur suchen, um dich mit hinab in den Abgrund zu ziehen. Ich verachte diese orientalische Sentimentalität, denn sie führt zu nichts.
Sie ist einfach Schwäche, selbst dann, wenn du deine Barmherzigkeit im geheimen übst.” Ismails Seele krümmte sich unter solchen Worten, sie waren wie Messer, die aus dem lebendigen Fleisch jene Fasern herausschnitten, die es ernähren und zusammenhalten. Eines Morgens erwachte er und fühlte, daß sein Innerstes zerstört und zerfallen war. Nichts als Ruine, Stein neben Stein. Was war ihm noch die Religion? Ein Mythos, erfunden, um die Massen zu regieren. Die Seele aber konnte Kraft und Glück nur gewinnen, indem sie sich von der Masse loslöste und ihr die Stirn bot. Sich mit ihr zu verschmelzen, war nichts als Schwäche und brachte Unheil. Doch sein Wesen war dieser hochmütigen Haltung nicht gewachsen. Er fühlte sich vereinsamt und verloren. Er wurde krank und hörte mit seinen Studien auf. Eine unerklärbare Angst peinigte ihn. Mary hat ihn damals gerettet. Sie nahm ihn auf einen Streifzug durch Schottland mit. Tagsüber waren sie mit ihren Fahrrädern durch die Gegend gekreuzt oder hatten am Ufer gefischt. Nachts aber hatte sie ihn in die Geheimnisse der Liebe und ihre subtileren Freuden eingewieht. Und sein guter Stern hatte ihm geholfen, jene Krise zu überstehen, von der so viele seiner Landsleute in Europa bedroht sind. Gekräftigt und mit neuem Vertrauen in sich ging er daraus hervor, ohne Religion zwar, doch mit einem unbeirrbaren Glauben an die Wissenschaft. Er dachte nicht mehr an die Schönheit und an die Freuden des Paradieses, sondern an die Herrlichkeit der Natur, deren Geheimnissen er auf der Spur war. Und vielleicht wurde seine Genesung am stärksten dadurch gefördert, daß er begann, sich dem Einfluß Marys zu entziehen. Seine Bewunderung für sie war von der Art gewesen, wie sie der Schüler für den Lehrer hegt. Nun verwandelte sie sich in Achtung von Kamerad zu Kamerad. Er wunderte sich nicht und litt kaum, als er merkte, daß sie sich von ihm entfernte und sich einem anderen Studienkollegen seiner Herkunft und seiner Hautfarbe zuwandte. Sie war wie der Künstler, der das Interesse an seinem Werk verliert, sobald er es vollendet hat. Ismail war gesund, und darum hatte er in ihren Augen seinen besonderen Reiz, seinen Charme verloren. Er war jetzt wie alle anderen. Warum sollte sie es nicht mit einem neuen Freund versuchen? Gleichwohl konnte Ismail England nicht verlassen, ohne sie noch ein letztes Mal zu sehen. Er lud sie ein. Sie kam. Doch er fragte sie nicht, ob der neue Freund noch in Kurs war. Seine Beziehung zu ihr war bedeutungslos geworden, ohne Gefahr. Seine Küsse, seine Berührungen waren nur ein Abschiedsgruß. Als sie auf ihr Rad stieg, rief sie ihm zu: „Ich wünsche mir, dich eines Tages in Kairo wiederzusehen. Wer weiß? Ich sage dir auf Wiedersehen und nicht adieu.” O Frauen der modernen Zeit! Wie viele sind unter ihnen, die überhaupt noch an die Möglichkeit eines beständigen Herzens glauben? Ihr Hunger ist groß. Der Lebensbaum trägt so viele verschiedene Früchte. Warum das Jammern um eine bestimmte Frucht?
Seine Mutter war einer Ohnmacht nahe. Die Stimme versagte ihr, während sie ihren Sohn umarmte und ihm schluchzend Gesicht und Hände küßte.
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Es mag befremden, daß Ismail bald nach der Auflösung seiner Beziehungen zu Mary einer neuen Liebe verfiel. Aber vielleicht kann das Herz ohne Liebe nicht sein. Oder vielleicht war durch Mary etwas in Gang gekommen, was bisher noch in ihm geschlummert hatte und nun erweckt war und sich weiter entfaltete. An Ägypten konnte er nur mit verwirrenden, zwiespältigen Empfindungen denken: Er war ein Sandkorn aus den Dünen, nicht anders als alle anderen, doch nun herausgelöst aus dem Zusammenhang, verweht und allein. Gleichwohl fühlte er sich als Glied einer endlosen Kette an seine Heimat gebunden. Doch im gleichen Maß, in dem seine Liebe zu Ägypten wuchs, verstärkte sich seine Abneigung gegen die Ägypter: uraltes Unrecht, Unwissenheit, gefährliche Mythen, Armut und Krankenheit. Diese Jahre in Europa waren für Ismail nicht umsonst gewesen. Öffentlich hatte er seine lebhafte Bewunderung für die wissenschaftlichen und geistigen Leistungen des Abendlandes bekannt. Er wußte, daß ihm jetzt ein erbitterter und langwieriger Kampf mit den Seinen bevorstand. Aber seine Jugend würde ihm helfen, Kampf und Prüfungen zu bestehen. Der Zug fuhr ab. Ismail hatte kein Telegramm geschickt. Er gab sich keine Rechenschaft darüber, welche Folgen die Überraschung für seinen alten Vater und für die alte Mutter haben könnte. Sein Herz krampfte sich zusammen, wenn er an sie dachte. Würde er ihnen jemals auch nur einen Teil seiner Schuld zurückzahlen können? Er kam heim mit jenem Rüstzeug, das er sich auf Wunsch seines Vaters angeeignet hatte und mit dem er nun an die Spitze der Gesellschaft vorstoßen würde. Im vornehmsten Viertel Kairos würde er eine Praxis eröffnen. Mit den wissenschaftlichen Erfahrungen und Kenntnissen, die er sich erworben hatte, würde er zuerst Kairo in Erstaunen versetzen - dann aber würde ihm ganz Ägypten zu Füßen liegen. Er hatte erst einmal genug Geld, dann brauchte sein alter Vater nicht mehr zu arbeiten; er würde ihm in seinem Heimatdorf ein Stück Land kaufen, um ihm ein geruhsames Leben zu ermöglichen. Ismail runzelte die Stirn; er hatte kein einziges Geschenk für seine Familie mitgebracht. Vor seinem Abteilfenster zog eine Landschaft vorbei, die von einem Sandsturm verheert zu sein schien: Ruinen, Staub. Auf dem Bahnsteig standen zerlumpte Verkäufer, keuchende, von der Hitze gepeinigte Tiere, die Gesichter in Schweiß gebadet. Als die Droschke, die er am Bahnhof bestiegen hatte, durch die schmale Rue d’El Khalig fuhr, die so eng war, daß nicht einmal die Tram durchführte, überkam ihn ein Gefühl des Ekels. Das also war die Wirklichkeit: Schmutz und Fliegen, Elend und Schutt. Vor seinem Elternhaus verließ er den Wagen. Er hob den Türklopfer und ließ ihn zurückfallen. Sein Herz schlug heftig. Eine Stimme im schleppenden Akzent der Frauen von Kairo fragte: „Wer ist da?.” „Ich bin es, Ismail. Fatima, mach auf!.” Was richtest du an, Ismail! Daß doch die Jugend so ahnungslos ist! Seine Mutter war einer Ohnmacht nahe. Die Stimme versagte ihr, während sie ihren Sohn umarmte und ihm schluchzend Gesicht und Hände küßte. Wie alt sie geworden ist in diesen Jahren, wie schwach und hinfällig. Er hatte geglaubt, die Seinen genauso wiederzufinden, wie er sie verlassen hatte. Sie ist nur eine gestaltlose Masse aus passiver Güte, dachte er. Das Gesicht des Vaters strahlte in ruhiger Freude. Wohl schien er älter geworden, aber noch ging er nicht gebückt. Nur sein Blick war müde, doch geduldig und von ruhiger Weisheit. Später sollte Ismail erfahren, wieviel sie um seinetwillen entbehrt, wie sie sich lediglich von weißen Radieschen und Bohnenklößen ernährt hatten. Der Sohn sah sich in der alten Wohnung um; er fand alles kleiner und dunkler, als er es in Erinnerung hatte. Brannte hier noch immer die Petroleumlampe? Waren die wenigen
Literatur Möbel in eine fremde Wohnung gewandert? Sie lebten ja auf dem nackten Steinboden! Wo ist der Teppich hingekommen? Om Mohamed machte sich wie gewöhnlich zwischen Schüsseln und Töpfen zu schaffen. Doch wo ist Fatima el Nabawiya? Endlich kam sie. Er sah sich einem Mädchen von blühender Jugend gegenüber. Aber ihre Zöpfe, ihre Armreifen aus billigem Glas, ihre Bewegungen - alles an ihr verriet ihre bäuerliche Herkunft aus dem fernsten Winkel des Landes. Ist das wirklich das Mädchen, das er heiraten soll? In diesem Augenblick wurde ihm klar, daß er sein Versprechen nicht einhalten, daß er seinen Schwur brechen würde. Warum hatte sie die Augen verbunden? Er hob ihr Kinn hoch, um unter die Binde sehen zu können. Ihre Augenentzündung war noch immer nicht geheilt, ja sie hatte sich während seiner Abwesenheit sogar noch verschlechtert. Das Mahl wurde bereitet, man setzte sich zu Tisch. Aber niemand aß, Die Freude verschlug ihnen den Appetit, und er selbst fühlte sich zu sehr enttäuscht. Wie wird er mit ihnen leben können, wo seine Ruhe finden in diesem Haus? Die Betten wurden vorbereitet. Ismail sollte sich von den Strapazen der Reise erholen. Seine Mutter wandte sich an Fatima: «Komm, Fatima, bevor du zu Bett gehst, will ich dir noch einige Tropfen in deine Augen geben.» Die Mutter hielt eine kleine Phiole in der Hand. Fatima streckte sich am Boden aus und stützte den Kopf auf das Knie der Mutter. Diese tropfte Fatima etwas vom Inhalt des Fläschchens in die Augen. Das Mädchen stöhnte leise. «Was ist das für ein Mittel?» fragte Ismail. «Est ist Öl aus der Lampe der Om Hachem. Jeden Abend träufle ich ihr einige Tropfen in die Augen. Dein Freund, der Scheich Dardiri, bringt es uns. Er erinnert sich genau an dich und wird sich freuen, dich zu sehen. Du hast ihn gewiß nicht vergessen.» Ismail fuhr auf wie von einer Natter gestochen. Es ist ja Wahnsinn, mit welchen Mitteln man hier noch Augenkranke behandelt! Er wandte sich zu Fatima, hob sie auf und untersuchte ihre Augen. Die Entzündung hatte bereits die Lider angefressen und den Augapfel erfaßt. Vielleicht war sie noch zu heilen, wenn er die richtige Behandlung fände. Diese Quacksalberei mit dem beizenden Öl! Er schrie seine Mutter mit einer Stimme an, die ihm fast die Gurgel zerriß: «Möge dir Gott dieses Verbrechen verzeihen! Du bist gläubig, du betest, ja! Aber wie kannst du diese absurden Scheußlichkeiten mitmachen?» Die Mutter schwieg wie betäubt. Ismail sah den Schatten seines Vaters an der Tür in einer kurzen weißen Galabieh, bedeckten Hauptes, mit traurigem Blick. «Warum dieses Schreien? Was ist geschehen?» «Der Herr segne dich, mein Sohn», sagte die Mutter endlich. «Möge er deinen Geist erhellen! Aber dieses Öl ist doch etwas anderes als Drogen und Arzneien. Es ist der Segen der erhabenen Om Hachem.» Wie ein gereizter Stier sprang Ismail auf. «Deine Om Hachem macht dieses Mädchen blind! Ihr werdet sehen, wie ich Fatima heilen werde. Ja, ich!» «Mein Sohn, viele holen sich den Segen von der, Mutter der Wunder, und heilen sich durch das Öl aus ihrer Lampe. Sie haben geglaubt, und Gott hat sie gesund werden lassen. Unser ganzes Leben lang haben wir unser Vertrauen auf Gott gesetzt und auf Om Hachem. Ihre Gnade bringt Heilung.» «Ich kenne die Mutter der Hachem ebensowenig wie die des Teufels!» Eine unheimliche Stille herrschte im Raum, in diesem Raum, in dem die Verse des Korans, in dem die Lobgesänge auf den Propheten gelesen werden und wo man dem Ruf des Muezzins lauscht... «Ist dies alles, was du in der Fremde gelernt hast? Ist das unser ganzer Gewinn?» fragte sein Vater mit leiser Stimme. Ismail verlor jede Kontrolle über sich. Seine Kehle trocknete ein, und das Herz brannte. Völlig außer sich stürzte er sich auf die Mutter, entriß ihr die Phiole und warf sie aus dem Fenster, daß sie klirrend zerschellte. Einen Augenblick lang blieb Ismail unschlüssig
stehen. Die Augen der anderen waren auf ihn gerichtet, sein eigener unruhiger Blick ging von der Mutter zu Fatima und schließlich zum Vater. Auf ihren Gesichtern lagen zwar Mitleid und Zärtlichkeit, aber weder Entschuldigung noch Verständnis. Sein Zorn stieg aufs neue hoch. Er stürzte zur Tür, riß den Stock seines Vaters an sich und floh aus dem Haus. Ismail kam auf den Midan, der wie immer von einer dichten Menschenmenge belebt war. Hier herrschten Armut und Erniedrigung. Nein, das waren keine Lebewesen, das waren die Geschöpfe einer Epoche, in der für die Gesunden kein Raum ist. Diese Menschen waren seelenlose Denkmäler, Ruinen wie die Reste zerstörter Säulen, die man nur für die Reisenden stehenläßt. Eine animalische Gärung, verdorbenes Fleisch, von Fliegen gierig umschwärmt. Er heftete seinen Blick auf die Gesichter und sah nur Spuren eines langen Schlafes wie nach dem Genuß von Opium. Kein menschliches Antlitz. Eine träge, geschwätzige, aussätzige Rasse mit entzündeten Augen, ein Haufen von Barfüßigen und Bettlern, starrend vor Urin, Blut und Würmern, Schläge und Fußtritte mit gleichmütigem Lächeln einsteckend. Und Ägypten! Ein Land von plumper Gestalt, Schlamm, der in der Wüste fault und auf dem Schwärme von Fliegen und Moskitos wimmeln; Herden von Ochsen, die bis zum Skelett abgemagert sind und bis zu den Knien im Kot stehen. Plätze, von Händlern überschwemmt, Cafés, deren Einrichtung aus einem Kohlenbecken und einer einzigen Teemaschine besteht. Überall schmutzige Herumlungerer, die seit Jahren den Gebrauch von
Ismail fuhr auf wie von einer Natter gestochen. Es ist ja Wahnsinn, mit welchen Mitteln man hier noch Augenkreanke behandelt!
Wasser verschmähen. Geht ein junges Mädchen mit feingezeichneten Brauen und getuschten Wimpern vorüber, die Melaya straff gespannt, um ihre Hüften besser zur Geltung zu bringen und den Saum ihres Rockes vorstehen zu lassen, dann benehmen sie sich wie die Hunde, die noch nie eine Hündin gesehen haben. In allem und überall diese schreckliche Unbeweglichkeit, diese Schwere, die jeglichen Fortschritt im Keim erstickt. Die Phantasmagorien der Opiumsüchtigen, die Träume der Schläfer, wenn die Sonne über den Terrassen brütet. Ismail hätte jedes dieser Wesen am Arm schütteln und abrüllen mögen: Wach auf! Wach auf aus der Betäubung! Wozu diese endlosen Reden, dieses ewige Geschwätz um lächerliche Nichtigkeiten! Sein Fuß stolperte über einen auf dem Gehsteig liegenden Faulenzer. Eine Horde von Bettlern umzingelte ihn. Sie zeigten ihm ihre Gebrechen, die ihnen zu ihrem honetten Erwerb verhalfen, als wäre ihre Bettelei ein ehrsames Handwerk, eine Berufung. Vorübergehende stießen ihn an wie tappende Blinde. O diese elende Genügsamkeit, die nichts als Unvermögen, nichts als idiotische Güte und Feigheit ist! Ismail befreite sich aus dieser verkommenen Masse und lief keuchend zur Moschee. Durch den inneren Hoff gelangte er zu dem Grab, wo das Gewölk der glosenden Räucherstäbchen den Raum erfüllte. Hier hing die verstaubte Öllampe aus mattem Glas, von einer rußgeschwärzten Kette gehalten. Erstickender Qualm von verbranntem Öl stieg auf.
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Die Lampe verbreitete mehr Rauch als Licht. Von der Decke des Grabesraumes hing schmutziges Spinngewebe. Die Menschen im Umkreis standen unbeweglich wie Holzpflöcke oder lehnten kraftlos und lahm am Gitter. Einer der Besucher bat Om Hachem laut um die Vernichtung seines Feindes, flehte, das Geschäft des Gehaßten zu zerstören und die Kinder zu Waisen zu machen. In einem Winkel reicht Scheich Dardiri einem Mann mit verbundenem Kopf mit äußerster Behutsamkeit und geheimnisvoll wie eine Schmuggelware eine kleine Phiole. Ismail Konnte sich nicht mehr zurückhalten. In seinem Kopf dröhnte es, sein Blick verwirrte sich, er reckte sich auf - und der Stock sauste schmetternd auf die Lampe nieder, deren Inhalt sich über den Boden ergoß. «Ich - ich - ich..» Aber er Konnte nicht weiterreden. Die empörte Menge stürzte sich auf ihn, schlug blindwütig auf ihn ein und trat den ohnmächtig zu Boden Gesunkenen mit Füßen. Aus einer Kopfwunde floß Blut über sein Gesicht und besudelte die von den Rasenden zerfetzten Kleider. Er wäre von der Menge zertramplelt worden, hätte Dardiri ihn nicht erkannt und gerettet. «Laßt ihn! Ich kenne ihn! Es ist Ismail Effendi, der Sohn des Scheichs Ragab aus unserem Viertel. Laßt ihn! Seht ihr denn nicht, daß er von einem Djinn besessen ist?» Er brachte Ismail nach Hause und legte ihn auf das Bett. Weinend versammelte sich seine Familie um den Verletzten und beklagte seine Verirrung: «Oh, daß Gott den Tag deiner Abreise verfluche! Und diese fremden Länder, dieses verlorene Europa!» Das Gesicht der Mutter zuckte, der Vater stöhnte vor unterdrücktem Schmerz, und Fatima el Nabawiya vergoß heimliche Tränen. Viele Tage vergingen, ohne daß Ismail aufstehen konnte. Den Kopf zur Wand gekehrt, sprach er mit niemandem und verlangte nichts. Als sich sein Zustand besserte, begann er an seine Zukunft zu denken. Würde er nach Europa zurückkehren, um unter Menschen zu sein, die den Sinn des Lebens zu erfassen vermochten? Die Universität dort hatte ihm eine Dozentur angeboten. Er war so töricht gewesen, abzulehnen. Vielleicht würden sie ihm die Stelle noch geben, wenn er jetzt anfragte. Warum hatte er sich in Europa nicht verheiratet und dort eine neue Heimat unter anderem Himmel gegründet? Warum hatte er dieses vom Schicksal gezeichnete Ägypten nicht vergessen können? Wäre er doch in England geblieben, hätte er diese reiche und wunderbare Landschaft doch nie verlassen, diese köstlichen Nächte, den langen und harten Winter, um hierher zurückzukehren, wo die Menschen vor einem Tropfen Regen davonliefen wie vor der Sintflut! Sie wissen nicht, daß man dort drüben aufrecht durch Schnee und Regen geht und den Stürmen Trotz bietet. Ismail kam sich wie ein in der Schlinge gefangener und in den Käfig gesperrter Vogel vor. Gab es einen Ausweg? Er fühlte, daß er hier festgenagelt war - an dieses Haus, in dem er es nicht aushalten konnte, an diesen Midan, den er verabscheute, und daß er diese Bindungen niemals würde abstreifen könen. Eines Morgens erwachte er mit einem Gefühl seltsamer Aktivität. Das kam ganz plötzlich und ohne äußeren Anlaß. Sehr zeitig verließ er das Haus und kehrte mit einem Koffer voller Phiolen, Verbandzeug und Schabern, wie sie zum Abkratzen der Augenlider verwandt werden, zurück. Er begann unverzüglich, Fatimas Leiden nach wissenschaftlicher Methode zu behandeln. In Europa hatte er mehrere hundert solcher Fälle geheilt. Keiner seiner Patienten hatte sich gegen die Behandlung zur Wehr gesetzt. Auch Fatima vertraute sich ihm mit vollem Herzen an, weniger, weil sie ihrer Krankheit wegen in Sorge war, als vielmehr aus dem Gefühl des Glückes heraus, seinen Händen anheimgegeben und Gegenstand seiner Fürsorge und seines Erbarmens zu sein. Sein Vater und seine Mutter vermieden jegliche Auseinandersetzung und ließen ihren Sohn gewähren, ängstlich um seine Gesundheit besorgt. Die Tage vergingen, zwei, drei, vier - eine Woche und eine zweite. Immer noch waren Fatimas Augen unverändert. Plötzlich verschlechterte sich ihr
Literatur Zustand, eine akute Entzündung trat hinzu, die Iris und die weiße Lederhaut waren kaum mehr voneinander zu unterscheiden. Ismail verdoppelte seine Anstrengungen. Er versuchte andere Heilmittel, drehte die Lider um, schabte sie ab, benützte Kollyrit, eine wasserhaltige kieselsaure Tonerde, und verschiedene Augenbalsame. Die Behandlung führte zu keinem Erfolg. Er suchte mit ihr die Kollegen der medizinischen Fakultät auf, befragte die besten Fachärzte; alle fanden seine Behandlung richting und ermutigten ihn, beharrlich zu bleiben. Ismail gab nicht nach, verlor nicht die Geduld... Als Fatima eines Morgens erwachte, sah sie nichts mehr. Der letzte Schimmer, den sie noch wahrgenommen hatte, war erloschen. Ismail floh aus dem Hause. Er konnte nicht dort bleiben, Fatima und ihr zerstörtes Augenlicht vor sich, das vernichtende Ergebnis seiner Wissenschaft. Wie konnte es nur zu dieser totalen Niederlage kommen? Er verstand überhaupt nichts mehr. Was sollte er nun anfangen? Er hatte jetzt keinen Arbeitsplatz. Sollte er sich um eine Staatsanstellung im sanitären Dienst, irgendwo in einem weitabgelegenen Dorf bewerben? Das konnte und wollte er nicht. So verkaufte er seine Bücher und die paar Instrumente, die er sich aus Europa mitgebracht hatte, und mietete ein kleines Zimmer in der Pension der Madame Ivtallia. Die dicke Griechin begann sofort, ihn gründlich auszubeuten. Sie hatte ihn in ihren Klauen und trieb es so weit, sich beinahe noch ihren Gutenmorgengruß bezahlen zu lassen. Sie stellte ihm ihre Schritte in Rechnung, wenn sie ihm die Tür aufschloß, und wenn er einmal beim Frühstück ein Stück Zukker mehr verlangte, rechnete sie es ihm auf. Wenn sie lächelte, war es, als durchwühlten unsichtbare gewandte Finger seine Taschen nach Geld. Sie schnappte gierg alles, was er ihr anbot, aber gleich darauf legte sie ihm nahe, nachts nicht so lange aufzubleiben und mit dem Licht wirtschaftlicher umzugehen. Eines war sicher: Die Europäer in Ägypten waren aus anderem Stoff als die in Europa. Er versuchte, sich in seinem Zimmer einzusperren, aber das verbot ihm die Hausfrau. So blieb ihm nichts übrig, als von früh bis Mitternacht in den Straßen umherzuirren. Jeden Abend, ohne daß er wußte, wie das zuging, fand er sich mitten auf dem Midan, vor der Sayeda Zeinab. Heimlich strich er um das Haus seiner Eltern, suchte mit den Blicken die Fenster ab in der Hoffnung, das Gesicht Fatimas zu entdecken oder ihre Stimme zu hören. Fatima, sein Opfer! Sie war nicht aufgebracht gegen ihn, hatte nie an seiner Wissenschaft gezweifelt, ihm nie den geringsten Vorwurf gemacht. Aufrecht wie ein Habicht stand er stundenlang auf dem Midan. Die alten vertrauten Rufe gellten in seinen Ohren, immer die gleichen, ohne zu wechseln. Warum konnte er sich nicht losreißen? Gewiß hatte sein Vater ihm diesen Platz auf dem Midan vererbt. Arme Leute! Wer ihnen einen Dienst leistet, tut es mit Herablassung und verlangt hundertfache Entschädigung. Niemand würde ihnen aus Liebe zu Gott helfen oder einfach aus dem Gefühl der Brüderlichkeit. Und doch folgen sie nur dem, der sie ausbeutet, und geben sich noch der Täuschung hin, dort uneigennützige Hilfe zu finden. Sie hängen sich an ihn und weigern sich, seine Nichts- würdigkeit, seinen Verrat zu erkennen. Dieses Volk ist zu sehr gealtert, und so mußte es in seine Kindheit, in seinen Urzustand zurückfallen. Wenn es jemanden fände, der es zu lenken vermöchte – schon beim ersten Schritt würde es seine Reife wiedererlangen. Der Weg ist ihm vertraut: die alte Größe und die lebendigen Erinnerungen. Gibt es denn in ganz Europa einen Platz wie den der Sayeda Zeinab? Was haben sie denn dort drüben? Gewaltige Bauten, gewiß, eine verfeinerte Kunst, einsame Menschen, einen Kampf auf Biegen und Brechen, eine aufs hö chste gesteigerte Betriebsamkeit. Aber Mitleid und Liebe finden in ihren Herzen nur Platz, wenn sie nichts anderes zu tun haben. Doch wer kann Europa seine Zivilisation, seinen Fortschritt streitig machen, und wer könnte seine Augen vor der Erniedrigung des Orients durch
Unwissenheit, Krankheit und Armut verschließen? Die Geschichte hat ihr Urteil gesprochen, und niemand kann Einspruch dagegen erheben. Ismail flüchtete in sein Zimmer. Aber am folgenden Abend stand er wieder auf dem Midan, auf seinem angestammten Platz. Der Ramadan war gekommen, der Monat des Fastens und der nächtlichen Gebete. Ismail dachte nicht daran, zu fasten, aber unwillkürlich dehnte er seine Aufenthalte auf dem Midan aus und meditierte. Etwas Unbekanntes, Neues lag jetzt in der Luft: Der Wind blies anders also sonst, die Kreaturen und die Dinge waren wie verändert. Die Ruhe eines Waffenstillstandes nach einem schrecklichen Kampf schien sich über der Natur auszubreiten. Er Ließ seine Augen auf dem Midan im Kreise umhergehen und betrachtete die Menge. Lächelnd hörte er ihre Witze und Albernheiten und erinnerte sich, daß er dies alles schon seit seiner Kindheit gehört hatte. Gab es denn noch irgendwo ein Volk wie dieses, das sich trotz aller Wandlungen der Zeiten und der Regierungsformen seine Art und seine Wesenszüge so unverändert bewahrt hat? Dieses Kind aus dem Volke, das da an ihm vorüberging, kam es nicht geradewegs aus dem Buch Djabarti? Leilet el Kadr kam heran, die Nachtwache des Ramadan. Ismail wußte es wohl. Mit seltsamer Zärtlichkeit erinnerte er sich daran. Er war erzogen worden, sie einzuhalten und an ihre Kraft zu glauben. In keiner anderen Nacht des langen Festes war er so von Demut und Gottesfurcht erfüllt wie in dieser. In seiner Erinnerung erschien sie ihm als ein Pferd mit weißer Stirn und schwarzem Fell. Wie oft hatte er seine Blicke zum Himmel erhoben, verzaubert durch den Sternenreigen, dessen Schönheit in dieser Nacht betörender war als in jeder Nacht des Jahres. Er überließ sich seinen Betrachtungen, bis ihn plötzlich ein Windhauch berührte, der über den Platz strich. Das konnte nur Sidi el Atrice sein. Die Moschee war von einem Schein erhellt, der sich in den Himmel auszubreiten schien. Ismail zitterte am ganzen Leib. Sei willkommen, Licht! Der Schleier, der mir Herz und Augen verdunkelte, ist verschwunden. Jetzt weiß ich, was mir fehlte. Es gibt keine Erkenntnis ohne Glauben – ohne Glauben an deine Güte, an deine Großmut, an deine Gnade, Om Hachem. Geneigten Hauptes betrat er die Halle. Er versenkte sich in den Anblick des Grabes, über dem das Licht von fünfzig Kerzen tanzte. Scheich Dardiri nahm eine Kerze nach der anderen aus den Händen eines jungen Mädchens mit schlanker Taille und braunem lockigem Haar. Es war Naima. Um ihren Mund war jede Müdigkeit verschwunden, und als sie ihn zum Sprechen öffnete, gab er eine Reihe schimmernder Zähne frei. Während er Naima betrachtete, schwand alle Häßlichkeit aus seinem Erinnern. Sie hatte sich ihren Glauben in Geduld bewahrt. Sie war hier, um ihr vor sieben Jahren gegebenes Versprechen einzulösen: Sie hatte nicht verzweifelt, sie hatte sich nicht aufgelehnt, nie hatte sie den Glauben an die Liebe Gottes verloren. Er aber, er hatte gesündigt durch seinen geistigen Hochmut. Er hatte aufbegehrt in wütendem Aufschrei, hatte sich aufgebäumt - und lag nun am Boden. Er wollte siegen und war besiegt worden. Ismail hob die Augen. Da hing die Lampe noch an ihren Platz, sie strahlte wie ein beglücktes Auge, das gesehen, verstanden und sich beruhigt hat. Scheich Dardiri näherte sich Ismail und erkundigte sich nach seiner Gesundheit. Ismail beugte sich zu ihm und murmelte: „Das ist eine gesegnete Nacht, Scheich Dardiri. Gib mir ein wenig Öl von der Lampe!” „Bei Gott, du hast wahrhaftig Glück. Es ist die Nacht Leilet el Kadr und außerdem noch Hadras Nacht.” Ismail verließ die Moschee und hielt eine Phiole in der Hand. Dann rief er mit hallender Stimme über den Midan: „Kommt alle zu mir! Es sind viele unter euch, die mir ein Unrecht getan, andere, die Lügen über mich verbreitet und wieder andere, die mich betrogen haben. Und dennoch ist noch Platz in meinem Herzen für euch, samt eurem Schmutz, eurer Narrheit und Niedrigkeit. Ich gehöre zu euch, wie ihr zu mir gehört. Ich bin ein Kind dieses Viertels, Kind
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des Midan. Das Schicksal war ungerecht gegen euch, aber je mehr euch Unrecht geschieht, je stärker eure Bedrängnis ist, um so tiefer wird meine Liebe zu euch sein.” Er ging in sein Vaterhaus und rief nach Fatima: „Komm, Fatima, zweifele nicht mehr an deiner Genesung! Ich bringe dir den Segen der Om Hachem. Sie wird das Leiden von dir nehmen und dich von deinen Schmerzen befreien. Sie wird dir dein Augenlicht wiedergeben, und ein neues Leben wird für dich beginnen.” Er faßte sie an den Zöpfen und fuhr fort: „Und ich werde dich essen und trinken lehren und wie du sitzen, wie du dich bewegen und dich kleiden sollst. Ich werde dich mit einer höheren Lebensart vertraut machen, Fatima!” Ismail nahm Fatimas Behandlung wieder auf. Er beharrte in Geduld. Und da: plötzlich ein Hoffnungsschimmer! Fatimas Augen besserten sich. Jeder Tag war ein Fortschritt, und endlich, als Ismail Fatimas Augen eines Tages als völlig gesund erkannte, suchte er vergeblich in seinem Herzen nach einer Spur von Verwunderung. Im Viertel von Faragallah, nahe den Hügeln, richtete Ismail sich eine Praxis ein. Jeder Besuch kostete nur einen Piaster. Seine Patienten kamen nicht aus der eleganten Welt, es waren die Armen, die Barfüßigen. Merkwürdigerweise verbreitete sich sein Ruf zwar in den Dörfern der Vororte, nicht aber in Kairo selbst. Sein Haus füllte sich mit Bauern und Bäuerinnen, die mit Körben voll Eiern, Honig und Geflügel kamen. Viele zweifelhafte Operationen gelangen ihm mit Hilfe von Instrumenten, bei deren Anblick europäischen Ärzten der Atem stehengeblieben wäre. Immer vertraute er vor allem auf die Hilfe Gottes, erst dann seinem Wissen und der Geschicklichkeit seiner Hände, und Gott segnete beides. Er heiratete Fatima, und sie schenkte ihm fünf Söhne und sechs Töchter. In seinen letzten Jahren wurde Ismail dick, gefräßig; er lachte gern, liebte es, Witze zu machen, und war immer guter Laune. Seine Kleider waren salopp, die Ärmel mit Tinte bekleckst, die Hosen ständig voller Zigarettenasche. Kaum hatte er eine Zigarette aufgeraucht, zündete er sich eine neue an. Er wurde asthmatisch. Hatte er einen Anfall, dann lief sein Gesicht rot an, und der Schweiß tropfte ihm von den Schläfen. An dem Tag, da ihm sein Lachen für immer im Halse steckenblieb, glänzten seine Augen, als wolle eine Art lachender Teufel herauspringen. Dabei waren sie aber voll Liebe und Verständnis, voll Schalkheit, Wohlwollen und Erbarmen. Noch heute erinnern sich die Leute des Viertels seiner Güte und bitten Gott, ihm zu verzeihen. Aber was sollte er ihm wohl verzeihen? Niemand wollte mich darüber aufklären, denn alle liebten ihn abgöttlich. Immerhin aus ihrem Lächeln, ihrem Augenzwinkern habe ich verstehen, daß mein Onkel zeit seines Lebens eine Schwäche für die Frauen hatte.
Als ob seine Liebe zu den Frauen etwas anderes gewesen wäre als eine Abart seiner Liebe und Hingabe für Menschheit. Gott erbarme sich seiner!
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Mit dem Schiff durch die Wüste Von Steven Mayor
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inter dem Hochdamm Nur wenige Reisende haSadd-el-Ali bei Assuan, ben in diese Wunderwelt der die Fluten des Nils bisher eindringen. über Hunderte von Kilometern bis weit in den Sudan aufstaut, erstreckt sich eine Wasserwelt von überwältigender Schönheit. Das Nubische Meer, wie der Nassersee treffend genannt wird, ist die landschaftlich hinreißendste, vielfältigste und am wenigsten verdorbene Region Ägyptens. Der azur- bis tintenblau schimmernde See liegt in einer fast unwirklich anmutenden Wüstenlandschaft mit riesigen Gebirgsketten, hoch aufragenden Felstürmen und vulkanschwarzen Bergkegeln, von denen sich mächtige Sanddünen goldgelb zum Wasser hinunter schwingen und in herrlichen Stränden enden. Streckenweise kräuseln sich die Wellen endlos weit bis zum Horizont, dann tauchen schroffe Bergwände auf, das Wasser sucht seinen Weg durch enge Schluchten, umspült kleine Inseln mit pittoresk gezimmerten Fischerhütten und fröhlich bunten Booten, um dann in verschwiegenen Buchten mit herrlich grünen Landzungen ruhig da zu liegen. Pelikane schaukeln majestätisch auf den Wellen, Reiher stelzen gravitätisch durchs flache Wasser, Störche stoßen mit fast stets zappelndem Erfolg zu, die unzertrennlichen Paare der Nubiergänse verteidigen aufgeregt schnatternd ihre Gelege, Kormorane hocken schweigend schwarz auf Baumstämmen, Milane ziehen ihr eleganten Kreise, stürzen blitzschnell hinab und schwingen sich mit einem großen Nilbarsch in den Fängen hinauf zu einem der schroffen Gipfel. So weit von der Zivilisation ent-
fernt, ist die Luft völlig klar, die Stille greifbar und das Wasser rein. Der Himmel leuchtet in den herrlichsten Blautönen, und die Sonnnuntergänge färben die Welt rotgold, rubin und violett. Im schrägen Licht der späten Sonne scheinen sich die vom Wind gezeichneten Wellen auf den Sanddünen wie Wasser zu bewegen, deutlich erkennbar sind nun auch die mannigfaltigen Spuren der kleinen und großen Wüstenbewohner: von Eidechsen, Mäusen, Fenek, dem Wüstenfuchs, Schakalen, Waranen und Gazellen. Nachts umhüllt ein millionenfach funkelnder Sternenmantel dieses stille Zauberland, und nirgends träumt es sich schöner als hier, ob nun mit offenen oder geschlossenen Augen. Nur wenige Reisende haben in diese Wunderwelt bisher eindringen und sie hautnah erleben können, da die großen Kreuzfahrtschiffe wegen ihres Tiefgangs kaum in Ufernähe gelangen. Anders als bei den klassischen Wüsten- oder Kameltouren, wird hier als Fortbewegungsmittel das Schiff gebraucht, mit dem man überall hineinfahren kann. Da das Wasser des Nils die Wadis (Seitentäler der Wüste) gefüllt hat, sind tausende von Wasserwegen entstanden, die man benutzen kann, um die Wüste zu bereisen. Man sollte nicht vergessen, dass die meisten Plätze die angefahren werden, früher mitten in der Wüste waren. Heute sind es Anlegestellen, wo die Wüstenwanderungen starten und beenden. Dieses Konzept ist dadurch einzigartig und gleichzeitig exklusiv, da nur sehr wenige Kleinschiffe mit Touristen auf diesem See fahren, und in der Wüste wandern dürfen. Man braucht Spezialbe-
willigungen der Behörden, um diese Region zu bereisen und es gibt sehr wenig Kleinschiffe, die auf diesem See fahren dürfen. Durch jahrelange Zusammenarbeit mit den Behörden haben nur ganz wenige Organisatoren diese Spezialbewilligungen erworben. Sie sind eingeladen, auf einem für diesen Zweck gebauten Wüstenschiffe in das Abenteuer Ihres Lebens hineinzufahren, alles hinter sich zu lassen, über die Wellen zu gleiten, nie gesehene Landschaften zu schauen, Spuren zu suchen und Steine zu lesen, Jahrtausende alte Felszeichnungen zu deuten, barfuß feinsandige Dünenkämme hinunter zu waten, in blauen Buchten zu schwimmen und unter einer Sternendecke zu schlafen. Genießen Sie das unbeschwerte Leben an Bord, lachen Sie mit Gleichgesinnten und genießen Sie auch die einfache, aber schmackhafte nubische Küche mit zuweilen einem frisch gefangenen Fisch. Wandern Sie über Bergkämme, werden Sie stumm vor Staunen bei den Ausblicken von dort oben, und bewundern Sie nicht zuletzt die zahlreichen Pharaonenstätten, die vor den Fluten des Stausees gerettet und am Ufer wieder originalgetreu errichtet wurden. Schreiten Sie ohne jeglichen Touristen- und Andenkenrummel durch den beeindruckenden Pylon des Tempels von Dakka und die Sphingenallee des von Ramses II. erbauten Tempels von Wadi el-Sebua hinauf; er liegt so einsam, dass man sich wie ein Entdecker fühlt. Im Tempel von Amada schließlich leuchten die Farben noch frisch, und das majestätisch gigantische Abu Simbel bildet das mächtige Finale einer unvergesslichen Reise.
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Tourismus
Wer nach Ägypten fährt, der bucht meist eine Pauschalreise und ist dann auf das Programm des Veranstalters angewiesen. Besuchen Sie das Land der Pharaonen doch einmal auf eigene Faust, so können Sie nicht nur Ihre Zeit besser einteilen, sondern lernen auch Land und Leute intensiver kennen. Suchen Sie sich Ihre Lieblingsunterkunft direkt vor Ort, erstellen Sie Ihre eigene Route und sparen Sie dabei auch noch Geld. Natürlich gibt es auch Einiges zu beachten. Wir geben Ihnen wichtige Tipps, wie Sie sicher und bequem das Land am Nil bereisen.
Von Grigorios Petsos
Ägypten auf eigene Faust S
elbstverständlich sollten Sie nicht völlig unvorbereitet aufbrechen, so wie Sie es vielleicht bei einem Spontanurlaub innerhalb Europas machen würden. Die Sicherheitslage in Ägypten ist selten völlig entspannt. Eine gewisse Terrorgefahr ist weiterhin gegeben, aber wo ist sie das nicht? Wenn Sie zudem ein paar grundsätzliche Regeln beachten, kann man diese Gefahr auf ein Minimum reduzieren. Auf der Webseite des Auswärtigen Amtes (auswaertiges-amt.de) finden Sie immer die wichtigsten aktuellen Hinweise. Wichtig ist zum Beispiel, nicht alleine mit dem Auto unterwegs zu sein, besonders nicht nachts. Aber ein eigenes Auto ist auch nicht nötig, außer man sucht dieses spezielle Abenteuer. Bei der Planung überlegen Sie sich zuerst eine Route. Was wollen Sie erleben? Möchten Sie die Städte Kairo oder Alexandria kennen lernen? Kairo bietet sich in jedem Fall an, da die günstigsten Flüge dort ankommen. Es empfiehlt sich dabei, am Anfang und am Ende der Reise ein paar Tage in der vielfältigen Hauptstadt zu verbringen, dann kann man einerseits erst einmal ankommen, andererseits das Ende der Reise gemütlich ausklingen lassen. Die Vielfalt Ägyptens lässt sehr unterschiedliche Reiserouten zu. Besuchen Sie doch einmal
Besuchen Sie doch einmal die ägyptischen Oasen in der Wüste westlich des Nils. Sie werden überrascht sein, welche Garten Eden hier mitten im Sand erblüht sind.
die ägyptischen Oasen in der Wüste westlich des Nils. Sie werden überrascht sein, welche Garten Eden hier mitten im Sand erblüht sind. Diese Oasen sind nämlich viele Quadratkilometer groß und man braucht ebenfalls ein Taxi (oder ein Fahrrad) um sich darin fortzubewegen. Die Oase Siwa zum Beispiel kann mit dem Bus oder Sammeltaxi erreicht werden und ist erst vor 20 Jahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Die dort lebenden Beduinen heißen alle Touristen herzlich willkommen. Allein der mittelalterliche Stadtkern ist eine Sehenswürdigkeit. Von hier aus kann man
mit dem Jeep oder Kamel zur nächsten Oase reisen. An dieser Stelle sei gleich ein Hinweis gegeben, den alle Ägyptenreisenden immer beachten sollten, aber ganz besonders in den Oasen. Halten Sie bitte die ortsüblichen Kleidervorschriften ein. Auch wenn Ihnen das aus westeuropäischer Sicht lächerlich vorkommen mag, die Ägypter legen sehr viel Wert darauf und zollen Ihnen letztlich auch mehr Respekt, wenn Sie die Landessitten beachten. Vermeiden Sie auch als Mann kurze Hosen, aber vor allem als Frau. Frauen sollten zudem keinen Ausschnitt zeigen und auch
Vermeiden Sie auch als Mann kurze Hosen, aber vor allem als Frau. Frauen sollten zudem keinen Ausschnitt zeigen und auch keine freien Arme, wenn irgendwie möglich.
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keine freien Arme, wenn irgendwie möglich. Versuchen Sie auch enganliegende Kleidung zu vermeiden. Das gilt natürlich nicht für die Badestrände, aber auch dort kann man mehr oder weniger freizügig sein. Versuchen Sie also, ohne String-Tangas auszukommen. Es braucht eigentlich nicht erwähnt werden, aber sicherheitshalber: Oben ohne bei Frauen und nackt baden kann schlimme Konsequenzen zur Folge haben. Leider sieht man immer wieder ganze Gruppen von Touristen, die in knappen Tops und Shorts durch die Straßen ziehen und so sogar Moscheen besichtigen wollen. Ein Großteil der Ressentiments seitens der Ägypter, so fern es überhaupt welche gibt, ist durch derartige Auftritte entstanden. Entweder Sie waren jetzt schon in den Oasen oder Sie fahren von hier aus gleich in eine andere Richtung. Die ersten Tage in Kairo sind auf jeden Fall schnell rum. Hier kann man das einzigartige Ägyptische Museum besichtigen, die Zitadelle des Saladin, den berühmten Basar Khan-El-Khalili in der Altstadt, das Leben und Treiben in einer Stadt zwischen Abendland und Morgenland. Auch die Pyramiden in Giza und Sakkhara sowie die alte Haupstadt Memphis sind von der Stadtmitte schnell zu erreichen. Aber natürlich benötigen Sie zu erst einmal eine Unterkunft in der Fünfzehn-Millionen-Metropole. Es ist nicht schwer, in Kairo ein Hotel mit einem freien Zimmer zu finden. Suchen Sie sich aber trotzdem vorher mehrere Hotels aus einem Reiseführer heraus. Buchen Sie Ihren Flug so, damit Sie morgens oder vormittags ankommen. Dann klappern Sie die einzelnen Hotels per Taxi einfach ab, bis Ihnen eins gefällt. Wundern Sie sich unterwegs nicht, wenn der Taxifahrer nach dem Weg fragen muss, letztlich wird er das Hotel aber finden. Taxifahren in Ägypten ist sehr günstig und schnell. Es gibt auch Sammeltaxis, aber dazu kommen wir später. Am Flughafen angekommen, werden Sie erst einmal von einer Schar von Taxifahrern, Gepäckträgern und freiberuflichen, oft selbst ernannten Reisebegleitern empfangen. Jetzt beginnt der Abenteuerurlaub. Nehmen Sie einfach irgendeinen Taxifahrer, zahlen Sie aber auf keinen Fall mehr als umgerechnet 10 Euro für die Fahrt in halbstündige Fahrt in die Stadt und lassen Sie sich nicht gleich bei der Ankunft zu irgendwelchen anderen Aktivitäten überreden, sondern nur direkt ins Hotel fahren!
Tourismus Wie verhält man sich am besten, wenn man sich als Frau – groß, dunkelblond, hellhäutig – allein für längere Zeit in einem muslimisch geprägten Land aufhalten will? Vor der Planung meiner Reise hatte ich eifrig nachgelesen, welche Verhaltensweisen als Frau in diesem Kulturkreis unbedingt zu vermeiden wären, um keine unerwünschte männliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen
Von Cosmopolitana
Single-Frau im muslimischen Land Sind Sie verheiratet?
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an solle sich stets bedeckt kleiden, d.h. kein bauchfreies, schulterfreies, rückenfreies oder beinfreies Stück Haut zeigen, figurbetonte Kleidung meiden ebenso wie längeren Blickkontakt zu Männern. So weit, so gut und für den Reiseerfahrenen eigentlich auch nicht weiter verwunderlich. Um auf Nummer sicher zu gehen, veränderte ich noch meine Haarfarbe von dunkelblond auf dunkelbraun, dann konnte die Reise losgehen. Schon bei meiner Ankunft in Kairo war mir klar, dass ich trotz oben angeführter Vorsichtsmassnahmen eine auffällige Erscheinung im Straßenbild sein würde. So gut wie alle Frauen tragen Kopftuch, viele Frauen zudem lange Gewänder und manche (allerdings nur ein sehr geringer Prozentsatz) eine Burka, d.h. ein schwarzes Gewand, schwarzes Kopftuch, ein Gesichtstuch mit Augenschlitzen und dazu enge schwarze Handschuhe. Als Deutsche, die einen relativ zwanglosen Umgang der Geschlechter miteinander gewohnt ist, erscheint das Errichten von Textilbarrieren zwischen Mann und Frau zugegebenermaßen gewöhnungsbedürftig. Nachdem ich nun eine gewisse Zeit in Kairo verbracht habe und etwas mehr mit den Denk- und Handlungsweisen der Ansässigen vertraut bin, kann ich mittlerweile eher die Notwendigkeit der Geschlechtertrennung verstehen. Die Lebensräume ägyptischer Männer und Frauen sind die meiste Zeit über voneinander getrennt. Beide Geschlechter werden dazu erzogen, im jeweils anderen Geschlecht ausschließlich potentielle Sexualpartner zu sehen, vor deren physischer Nähe man sich unbedingt schützen muss. Sexualität wird ausschließlich durch das Eingehen der Ehe legitimiert. Der Verlust der Jungfräulichkeit der Frau vor der Ehe würde den Verlust der Ehre der ganzen Familie bedeuten und ist daher in jedem Falle zu vermeiden. Eine Ehe kann ein Mann jedoch nur dann eingehen, wenn er ausreichende finanzielle Mittel in die Ehe einbringen kann. Dies ist für viele der Männer, die arbeitslos sind oder die für sehr geringes Geld arbeiten, teils gar nicht, teils jedoch erst in mittlerem Alter möglich. Im Klartext bedeutet dies, dass durch die er-
D „alltours“ intensiviert Zusammenarbeit mit JAZ/ Iberotel in Ägypten
er Reiseveranstalter „alltours“ baut im Winter 2014/2015 die Zusammenarbeit mit der Hotelkette JAZ/ Iberotel in Ägypten weiter aus. Insbesondere im Taucherparadies Marsa Alam südlich von Hurghada wird das „alltours“ Angebot kräftig wachsen. In der Türkei startet alltours im Winter die Zusammenarbeit mit der Crystal-Hotelkette. Mit im Programm ist das Crystal Sunrise Queen (5*). Programmneuheiten gibt es ebenfalls in Tunesien und Portugal. Auf Madeira bietet „alltours“ jetzt gemeinsam mit der Charming-Hotelgruppe auch ein “Dine Around” an. Neue Hotels in Ägypten nur für Erwachsene „alltours“ hat sein Ägyptenprogramm ausgebaut. Rund 80 Hotels bietet „alltours“ in den drei Feriengebieten des Landes an. Das sind 15% mehr als im Vorjahr. „alltours“ ist
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zwungene Sexabstinenz das erlernte Bild der Frau als Sexobjekt noch verstärkt wird. Man muss sich als unverschleierte westliche Frau also darüber im Klaren sein, bei Männern einer bestimmten Altersgruppe als Projektionsfläche für nicht auslebbare sexuelle Bedürfnisse herzuhalten. Was in den Köpfen der Männer vorgeht, die mich ansehen, wenn ich die Strasse entlanggehe und die mir teilweise hinterher grölen oder pfeifen, verdränge ich im Alltag natürlich. In der Zwischenzeit habe ich mir eine Vielzahl schützender Verhaltensweisen im Umgang mit Männern angeeignet, die mir ein „kulturell angepasstes“ Leben in Kairo ermöglichen. Meine Mimik ist mittlerweile so versteinert und ausdruckslos wie die einer ägyptischen Sphinx. Ein Lächeln könnte als Einladung zur Anmache missdeutet werden. Ich meide Augenkontakte mit Männern sowie jede Art der zufälligen physischen Berührung mit einem Mann (manchmal schwierig bei der Geldübergabe beim Einkaufen o.ä.). Im Taxi setze ich mich wie die einheimischen Frauen auf die Rückbank hinter den Beifahrersitz. Ich halte mich nie allein zusammen mit einem Mann in einem Zimmer auf. Wenn ich gefragt werde, ob ich verheiratet sei, antworte ich mit „Ja“ und zeige bei Bedarf das Foto meines Bruders vor (ja, er hat mir hierfür die Erlaubnis gegeben;-). Es gibt auch Männer, die es gut mit mir als Westfrau meinen. Das sei hier ausdrücklich erwähnt. Männer z.B., die mit westlichen Denkweisen vertraut sind und die mich vor den „bad thoughts“ anderer Männer warnen. Da ist mein Sprachlehrer, der sich immer aufs vorsichtigste bemüht mich bei Korrekturen in meinem Heft nicht zufällig zu berühren. Auch den Bleistift fasst er bei der Übergabe immer ganz hinten auf der anderen Seite an. Oder kürzlich der Herr im Zug nach Alexandria, der mit seiner Familie reiste und zufällig die Sitznummer neben mir erwischt hatte. Spontan hat er mit seiner Frau den Platz getauscht... Sehr angenehm ist der Kontakt mit älteren Familienvätern und den ganz alten Männern, die westliches Verhalten tendenziell nicht falsch interpretieren und manchmal sogar fürsorgliche Züge an den Tag legen. ...Und nein, verheiratet bin ich immer noch nicht.
einer der wenigen deutschen Reiseveranstalter, der auch im Winter Urlaub in Sharm el Sheik im Programm hat. Den größten Programmausbau gab es im Taucherparadies Marsa Alam. Die Riffe an der Küste sind bei Tauchern deshalb so beliebt, weil sie sich in einem sehr guten Zustand befinden und geschützt werden. Rund 20 Hotels hat „alltours“ im Winter dort im Programm, so viele wie noch nie zuvor. Umgesetzt wurde das durch eine intensivere Kooperation mit der bekannten JAZ/Iberotel Hotelgruppe. Erstmals bietet alltours die Hotels Iberotel Makadi Saraya Palms (5*), Iberotel Makadi Saraya Suites (4,5*) und Jaz Solaya (5*) an. Gemeinsam mit der Azur-Hotelkette sind zwei neue Hotels “nur für Erwachsene” in das Programm gekommen, das Azur Makadi Garden (4*) und das Three Corners Ocean View (4*).
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Kunst
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Rassismusschlägt die Beziehungen Amerikas zurWelt
Eine Oase der Satire
Was war das für ein Aufruhr? Eine dänische Zeitung veröffentlichte Karikaturen über den Propheten Mohammed und die islamische Welt stand Kopf. Zwei unterschiedliche Welten prallten schließlich aufeinander und viele, auf beiden Seiten, haben sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert.
W Portrait eines altenIntellektueler ScheicAbdelAzizel Beschri
Oben:DieKomikerin MariMunib,Unten DerKomikerNaguib el Rihani.
ährend der Ausschreitungen mussten 140 Menschen ihr Leben lassen, Hunderttausende gingen auf die Straßen, Botschaften wurden besetzt und in Brand gesteckt. Was hat das für ein Bild von islamischen Ländern bei uns hinterlassen? Etwa, dass diese keinen Spaß verstehen? Diesen Eindruck will nun ein ägyptischer Künstler zurechtrücken und hat, aller Kritik und allen Unkenrufen zum Trotz, in der Nähe von Kairo das erste Karikaturenmuseum der arabischen Welt veröffentlicht. Der Ort ist ebenso besonders wie sein neues Museum. Etwa eine Autostunde, also rund 100 km, von Kairo entfernt, liegt die verschlafene Oase Fayoum. An diesem wunderschönen Ort der Ruhe hat der Künstler Mohamed Abla in einem kleinen Lehmhaus einen Pol der Heiterkeit, des kritischen und offenen Denkens und auch der Völkerverständigung geschaffen. 200 Zeichnungen von 50 Künstlern laden zum Nachdenken und Schmunzeln ein. Welches andere Land ist wohl so prädestiniert für Karikaturen wie Ägypten? Wurden hier doch im Grunde vor Tausenden von Jahren Comics und satirische Zeichnungen erfunden.
Von Nina Böhm
Gerade in einem Land, in dem Meinungsfreiheit an vielen Ecken immer noch nicht alltäglich ist, in dem nur gut die Hälfte der Menschen lesen und schreiben kann und ein Buch für viele unerschwinglich ist, kann die Kraft und die Sprache der Bilder Berge versetzen. Daher bekommt Abla auch keinerlei finanzielle Unterstützung von offiziellen Seiten und erntet heftige Kritik, da er etwa auch Karikaturen ausstellt, die das staatliche System und sogar religiöse Ideen kritisieren. Aber eben alles durch die verständlichste Sprache der Welt, Humor. Nur den Präsidenten dürfe man offiziell nicht kritisieren, aber das wolle Abla auch nicht, sondern in Fayoum einen Ort der Verständigung und der Meinungsfreiheit schaffen. Und so wie es aussieht, gelingt ihm das auch. Seit der Eröffnung des Karikaturenmuseums strömen Einheimische wie auch Touristen nur so nach Fayoum, um die Oase der Satire und damit auch eine neue und vielen Westlern unbekannte Seite der arabischen Welt zu erfahren und zu entdecken. Wenn der Erfolg weiterhin so anhält, soll die Ausstellung noch erweitert werden.
Die israelische Siedlungspolitik
Wohin mit dem Land des Nils?!
Altes Ägypten Nachdem der britische Archäologe Howard Carter 1922 das Grab des vor über 3000 Jahren verstorbenen Herrschers Tutanchamun im Tal der Könige in Luxor entdeckt hatte, steckte das Tutanchamun-Fieber in den 1920er Jahren, den Roaring Twenties, alle an: Pariser Modehäuser verzierten ihre Kreationen mit handgestickten Mustern aus dem alten Ägypten, Top-Juweliere entwarfen Diamanten-Broschen mit dem Glückskäfer Skarabäus.
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Von Magd Mansur
Tutanchamun-Fieber in Oxford- Ausstellung E
ine Ausstellung im Ashmolean-Museum in Oxford dokumentiert nun die Geschichte der Entdeckung und die Auswirkungen auf die kulturellen Strömungen der damaligen Zeit. “Die Faszination dauert an, das Erbe lebt fort”, sagt Chefkurator Paul Collins. Nach seinen Worten ist die Universität Oxford besonders geeignet, die Geschichte der Entdeckung noch einmal zu erzählen. Das ihr angeschlossene Griffith-Institut beherbergt mehr als 5.300 Objekte, Fotos und Dokumente, die seinerzeit von dem Künstler und Archäologen Howard Carter und seinem Forscherteam sorgfältig gesammelt, registriert und verwahrt wurden. Der 75. Jahrestag der Gründung des Instituts sei Anlass, zahlreiche Funde erstmals der Öffentlichkeit zu präsentieren. Bisher seien nur etwa 30 Prozent der in der Grabkammer gefundenen Objekte gründlich analysiert worden, so Collins. “Wir meinen, über Tutanchamun alles zu wissen, aber wir wissen im Grunde gar nichts”, sagte Collins auf einer Pressekonferenz. Die bis 2. November geöffnete Ausstellung solle deshalb auch ein Appell an die junge Generation sein, die Forschungsarbeit fortzusetzen. Dennoch, ohne die akribische Dokumentation, Konservierung und Nummerierung
durch Carter und seinen Kollegen und Förderer George Herbert (Lord Carnarvon) wäre nur etwa ein Zehntel dessen bekannt, was die Welt heute über Tutanchamun weiß, schätzt Collins. Erstmals öffentlich zu sehen sind Skizzen, Zeichnungen und Tagebucheinträge des Teams während der zehn Jahre dauernden Ausgrabungen. Carter, der Künstler und Maler war, ehe er sich der Archäologie zuwandte, hielt alles Gesehene und Gefundene schriftlich fest und markierte sogar die Farben der Objekte auf den Schwarzweiß-Aufnahmen des berühmten Fotografen Harry Burton. Leihgaben aus den USA, britischen Museen und dem Neuen Museum in Berlin sind darunter – aber nicht aus Ägypten. Der Besucher wird daran erinnert, dass die Schätze aus ägyptischen Museen zuletzt auf ihrer weltweiten Tour 1972 außerhalb des Landes zu sehen waren, und nur sehr wenige künftig transportfähig sein werden. Schmuck und Kleidung, die in den 1920er und 1930er Jahren den alten Ägyptern nachempfunden wurden, sind ausgestellt. Die “Hände einer Königlichen Doppelstatue” aus den Staatlichen
Liebesromane über den jungen Pharao («Der Kuss des Pharaos») schossen aus dem Boden, in den USA wurde der Charleston zu der Melodie von «King Tut» getanzt.
Museen zu Berlin, die Nachbildung der Gold-verzierten Totenmaske von Tutanchamun und eine vergoldete Couch aus dem Vorzimmer der Grabkammer gehören dazu. “Grabkammer unterhalb des Grabs von Ramses VI gefunden und untersucht, Siegel intakt”, schrieb Carter am 5. November 1922 in sein Tagebuch. Rund zwei Wochen später, bei einer ersten Öffnung der Kammer, berichtete er, “wunderbare Dinge” zu sehen, und überall glitzerndes Gold. Ein Foto zeigt das Forscherteam am gedeckten Mittagstisch in der Grabkammer. Mangelnde ägyptische Einbeziehung “Sie waren nicht nur Schatzgräber, sondern auch Gelehrte,” sagte der heutige Lord Carnarvon, ein Urgroßenkel des Forschers, im Ashmolean. Er spielte damit auf die Spannungen mit den ägyptischen Behörden an, die 1924 vorübergehend zu einer Unterbrechung der Ausgrabungen führten. Dokumentiert wird der Ärger der 1922 unabhängig gewordenen ägyptischen Regierung über die mangelnde Einbeziehung der Ägypter in die Ausgrabungsarbeiten, und insbesondere gegen den Verkauf der Foto-Exklusivrechte an die Londoner “Times”, die Lord Carnarvon ausgehandelt hatte. Der Deal musste rückgängig gemacht werden.
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Altes Ägypten
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Die Ausstellung “Ägypten – Götter. Menschen. Pharaonen.” im Weltkulturerbe Völklinger Hütte ist in den ersten Tagen auf ein reges Besucherinteresse gestoßen. Nach rund einer Woche Laufzeit haben bereits mehr als 8.000 Menschen die große Ausstellung zur Kultur des Alten Ägypten besucht.
“Ägypten – Götter. Menschen. Pharaonen.” K
aum eine Kultur fasziniert die Menschen so nachhaltig wie die Hochkultur des Alten Ägypten. Die Pyramiden, die Hieroglyphen oder die altägyptische Götterwelt beschäftigten seit jeher die Phantasie zahlreicher Gelehrter und Reisender. Bis heute ist die Begeisterung für das Alte Ägypten ungebrochen. Die Ausstellung „Ägypten – Götter. Menschen. Pharaonen.“ im Weltkulturerbe Völklinger Hütte bietet einen kompletten Überblick zu 4.000 Jahren altägyptischer Hochkultur vor Christus. Sie spannt einen zeitlichen Bogen, der noch vor der eigentlichen Gründung eines altägyptischen Staates beginnt und bis zur Eroberung Ägyptens durch Rom reicht. Die 250 hochkarätigen Exponate stammen aus dem Museum Egizio Turin, dem ältesten ägyptischen Museum der Welt mit einer der international bedeutendsten Sammlungen zur altägyptischen Kultur. Nahezu alle dieser Leihgaben sind erstmals in Deutschland zu sehen. Auch in anderen mitteleuropäischen Ländern wie Frankreich, Luxemburg oder Belgien wurden diese Exponate noch nie gezeigt. Damit wird das Weltkulturerbe Völklinger Hütte für einige Monate zu einem internationalen Zentrum der altägyptischen Kultur. Ein Schwerpunkt ist der Totenkult, der in der Kultur des Alten Ägypten eine herausragende Stellung einnahm. Weitere Themen sind unter anderem die Kultur der Hieroglyphen und die Alltagskultur. Die Alten Ägypter beschäftigen sich intensiv mit dem Jenseits und dem Leben nach dem Tod. Die Ausstellung setzt einen besonderen Akzent und zeigt den Totenkult des Alten Ägypten in all seinen Facetten. Sarkophage mit Mumien, Kanopenkrüge oder Grabstelen mit Hieroglyphen geben einen faszinierenden Einblick in die Vorstellungswelt der alten Ägypter. „Die alten Ägypter träumten den Traum vom ewigen Leben.
Nicht zuletzt dadurch wurde die Kultur des Alten Ägypten zum Vorbild für viele nachfolgende Kulturen. Als Weltkulturerbestätte, die maßgeblich dazu beiträgt, das Erbe und die Kultur der Industrialisierung für weitere Generationen zu bewahren, gehört es zu unserem Programm, regelmäßig ein Portal für die großen
Kulturen der Menschheit wie die der Inkas oder der Kelten zu öffnen“, sagt Meinrad Maria Grewenig, Generaldirektor des Weltkulturerbes Völklinger Hütte. Weitere Themen der Ausstellung sind die Kultur der Hieroglyphen, die Kunst und die Alltagskultur im Alten Ägypten. „Ägypten – Götter. Men-
Diese Ausstellung ist die dritte des Weltkulturerbes Völklinger Hütte zu einer herausragenden antiken Kultur.
schen. Pharaonen.“ macht die exponierte Position eines „Schreibers“ in der altägyptischen Kultur verständlich und präsentiert die Spezialgattung der Totenliteratur wie Bestattungspapyri. Archäologische Funde und Grabbeigaben geben den Besuchern des Weltkulturerbes Völklinger Hütte einen Eindruck, wie die Menschen des Alten Ägypten vor vielen tausend Jahren gelebt haben. Komplettiert und durch einen zeitgenössischen Aspekt ergänzt wird die Ausstellung durch Fotoarbeiten des renommierten Fotografen Hemut R. Schulze, die das heutige Ägypten sowie das Erbe der Pharaonenzeit in Grabanlagen und Museen des heutigen Ägypten zeigen. Eine Besonderheit ist die Inszenierung der Exponate in der Gebläsehalle des Weltkulturerbes Völklinger Hütte. Altägyptische Schätze wie eine zwei Meter hohe Statue der löwenköpfigen Sachmet-Göttin stehen hier in unmittelbarer Nähe der weltweit einmaligen Gebläsemaschinen. Die Hochkultur des Alten Ägypten und die Industriekultur des UNESCO-Weltkulturerbes Völklinger Hütte verbinden sich in der Ausstellung „Ägypten – Götter. Menschen. Pharaonen.“ zu einem unvergesslichen Erlebnis. In den Medien fand die Ägypten-Ausstellung im Weltkulturerbe Völklinger Hütte überregionales Interesse. Sowohl die ARD-Tagesthemen als auch das ZDF heute-journal berichteten über die Völklinger Ausstellung. Auch die 12-Uhr und 19-Uhr-Nachrichtensendungen von “heute” sendeten einen Beitrag über “Ägypten – Götter. Menschen. Pharaonen.” Das renommierte Kunstmagazin “art” bespricht “Ägypten – Götter. Menschen. Pharaonen.” in ihrem aktuellen August-Heft als einen von elf internationalen Ausstellungstipps. Für Ende August hat sich das französische Morgenmagazin von “France 2″ angemeldet.
Wir alle sind gefährdet, Wir alle sind mitverantwortlich! Was ist HIV? HIV steht für „Virus der Immunschwächekrankheit“, der die Zellen des menschlichen Immunsystems infiziert. Was ist AIDS? Aids steht für „erworbenes Immundefektsyndrom“ und ist das fortgeschrittene Stadium der HIV. Es ist eine invalidisierende und tödliche Krankheit, die durch HIV-Viren verursacht. Wie Kann HIV übertragen werden? Das HI-Virus wird mit den Körperflüssigkeiten Blut, Sperma, Vaginalsekret und Muttermilch übertragen. Methoden der Übertragung * Ungeschützte penetrant (vaginalen oder analen) und Oral-Sex mit einer infizierten Person. * durch Verwendung kontaminierter Spritzen, Nadeln oder andere scharfe Instrumente (vor allem zwischen intravenöse Drogenkonsumenten). * von einer infizierten Mutter zu ihrem Kind während der Schwangerschaft, Entbindung und Stillen. Potentielle Eintrittspforten sind frische, noch blutende Wunden in Schleimhäuten (Bindehaut, Mund-, Nasen-, Vaginal- und Analschleimhaut) bzw. nicht ausreichend verhornte, leicht verletzliche Stellen der Außenhaut (Eichel, Innenseite der Vorhaut). Die häufigsten Infektionswege sind der Vaginal- oder Analverkehr ohne Verwendung von Kondomen, der aufnehmende Oralverkehr (Schleimhautkontakt mit Sperma bzw. Prävention vor HIV: Safe Sex.. Safe Einspritzung Wie man sich nicht infiziert: Das HI-Virus ist sehr empfindlich
HIV/AIDS
und außerhalb des menschlichen Körpers unter gewöhnlichen Alltagsbedingungen nicht lebensfähig. Deshalb genügen auch die üblichen Hygienemaßnahmen im Haushalt und im Krankenhaus, um es unschädlich zu machen. Man kann sich in den folgenden Situationen des Alltags nicht infizieren: - gemeinsame Benutzung von Wohnung und Toiletten, - die Pflege von Menschen, die an AIDS erkrankt sind, sofern die dabei üblichen Desinfektionsmaßnahmen und Hygieneregeln beachtet werden, - gemeinsamer Gebrauch von Geschirr, Besteck, Gläsern, Wäsche, - gemeinsamer Genuss von Früchten und anderen Lebensmitteln, - Händeschütteln, Umarmen, Streicheln, Massieren und Küssen, - beim Husten und Niesen, - durch Insektenstiche und Haustiere, - beim Anfassen von Türklinken, Telefonhörern, Lichtschaltern, - in der Schule oder im Kindergarten, auch wenn diese von HIVpositiven Kindern besucht werden, - im Schwimmbad, in der Sauna oder beim Duschen, - beim Frisör oder im Kosmetikstudio und - beim Tätowieren, Ohrlochstechen, bei der Akupunktur usw., sofern die dabei üblichen Desinfektionsmaßnahmen und Hygieneregeln beachtet werden. Wie will man erfahren, ob der Partner infiziert ist? Ob jemand HIV-positiv ist, kann man nicht am Äußeren erkennen. HIV beschränkt sich auch nicht auf die Großstadt oder bestimmte Szenen. Bluttest ist die einzige Methode zu wissen, ob jemand mit HIV infiziert ist.
Für weitere Informationen rufen Sie uns an: 08007008000