DENKBILDER Grenzen Europas

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DENKBILDER

Das Germanistikmagazin der Universit채t Z체rich

Nr. 33 / Herbst 2013

GRENZEN EUROPAS


Ab September: Der Prozess Woyzeck Peer Gynt Amphitryon und sein Doppelgänger *Für Legi-InhaberInnen bis 30 Jahre

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Kommentar Von Aurel Sieber

Auf der Metaebene Unsere Geisteswissenschaft interessiert sich bekanntlich sehr für Räume, die zwischen zwei anderen liegen. Die einschlägigen Stichworte lesen sich wie ein Stelldichein der Terminologieprominenz: Dazwischen, Passage, Schwelle, Liminalität, Übergang, Unbestimmtheit. Germanistische jouissance! Das Nachdenken über diese Orte – d.h. natürlich Nicht-Orte (da nicht mehr aber auch noch nicht) –, drängt sich geradezu auf. Wenn sich – im kartographischem Jargon gesprochen – die Kontinente, Gebiete, Ländereien und Bistümer des Geistes allmählich austarieren und dabei Grenzen zum Vorschein bringen, dann tritt, eine grosse Lupe im Gewande bergend, der junge Geisteswissenschaftler auf. Diese Lupe setzt er nun auf die fragilen Grenzen an, dem Naturwissenschaftler an Vergrösserungswut in nichts nachstehend. Es verwundert kaum, dass er bei

immer genauerem Hinschauen auf ganz neue Welten stösst, solche, die bisher von niemandem gesehen, weniger noch beschrieben wurden. Und so macht er sich auf, die Gebiete von Neuem zu kartographieren, sie im Wechselspiel der umliegenden Mächte zu beschreiben, sich für sie stark zu machen, ihnen Bücher zu widmen etc. Eine wahre Sisyphusarbeit hat er sich damit aufgeladen – unendlich komplexer als jene Arbeit an der Materie. Doch bekanntlich müssen wir uns Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen – und so versucht man im wissenschaftlichen Alltag gerne die eine oder andere Grenze mit dem bereits angeschwärzten Radierer auszuwischen, um sie dabei in ein graues Etwas, einen schwer zu definierenden Schwellenbereich, zu verwandeln. So wie jedoch nicht ganz Gallien von den Römern besetzt war, zeigt eine kleine Ge-

meinschaft von Germanisten der Schwelle für einmal die Tür und widmet sich im vorliegenden Heft nur ihr: der definierten, der exakten, der präzisen, der eindeutigen, der klaren Grenze. Dabei handelt es sich nicht um irgendeine Grenze, sondern paradoxerweise um jene eines Gebildes, das unbestimmter kaum sein könnte. Europa?! Was ist das? Ein Kontinent. Ein Staatenverbund. Wir sind weder Geographen noch Politologen – oder beides nur im Nebenfach. Warum also, stellt man sich die Frage, soll man sich in einem Germanistenheft mit den Grenzen Europas auseinandersetzen? Und, sieht man von den Publikationsumständen einmal ab, warum soll man sich überhaupt mit den Grenzen von etwas befassen, das – aus politischem Selbsterhaltungstrieb – gerade um die Überwindung von Grenzen bemüht sein sollte?

Impressum REDAKTION: Philipp Auchter, Julia Bänninger, Daniela Bär, Isabel Krek, Ana Lupu, Benedikt Tremp, Luca Thanei REDAKTIONSLEITUNG: Luca Thanei FREIE MITARBEIT: Arkadiusz Luba, Esther Laurencik, Demian Lienhard, Giuliano Musio, Fabian Schwitter, Clemens Schittko, Aurel Sieber, Nenad Savic GESTALTUNG UND LAYOUT: Douglas Gil Cover: Daria Frick, Ana Lupu Illustrationen: Ana Lupu MARKETING: Julia Bänninger FINANZEN: Julia Stephan WEBDESIGN: Sascha Wild DRUCK: ROPRESS Druckerei, Zürich- Altstetten AUFLAGE: 500 JAHRGANG: 33. Ausgabe, 19. Jahrgang, HS2013. Erscheint zweimal jährlich im Frühjahr und Herbst ISSN: 2235-7807 ADRESSE: Deutsches Seminar, Schönberggasse 9, CH-8001 Zürich E-MAIL: denkbilder@ds.uzh.ch ONLINE-ARCHIV: www.denkbilder.uzh.ch Diese Zeitschrift ist Mitglied beim Verband Schweizer Jugendpresse


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Inhalt Essays 02 Bild. Wort. Grenze. Herta Müllers Alphabet der Angst Ana Lupu 12 Grenzen im Weltall Ein Gespräch mit Prof. Dr. Philipp Theisohn Philipp Auchter 19 Als Ausgegrenzter unter Verlassenen Ein Schweizer Jesuit und Literaturhistoriker in Island Benedikt Tremp

05 An die Grenzen des Wahnsinns Absinth in der Grenzregion Val de Travers Arkadiusz Luba

08 Politische Apathie Versuch über das Gefühl einer Generation Philipp Auchter

15 «Jetzt eben, wie ich schnell bedacht, ist klassische Walpurgisnacht» Abendländische Grenzen in Goethes wiederbelebtem Altertum Luca Thanei

17 Schweres pazifisches Erbe Aurel Sieber

22 Wir sind anders und wir sind besser Grenzen im Denken Esther Laurencik

Literarische und künstlerische Beiträge 24 Die Grenzen Europas? Fabian Schwitter

26 Der Lauf der Dinge Clemens Schittko

26 Wie wir Clemens Schittko

26 Fuck me, Berlin Nenad Savicć

27 Grenzübertritt Demian Lienhard

28 Heidi in Ungarn Julia Bänninger

29 Glitzernde Flecken Giuliano Musio

31 Kaspar Sascha Garzetti

32 Badewachen Schilderungen, Beobachtungen Sascha Wild

36 Grenzen der Sexualität? Schwulsein bei den «Simpsons» Arkadiusz Luba

37 Die Grenze bei Liessmann Ana Lupu

Rezensionen 34 Abgrenzen und verbinden durch Erinnerungsorte Was die Schweiz zur Schweiz macht Arkadiusz Luba

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2 Die Collage Alphabet der Angst von Herta M端ller.


Bild. Wort. Grenze. Herta Müllers Alphabet der Angst

Von Ana Lupu In Herta Müllers Buch Die blassen Herren mit den Mokkatassen geraten Schrift und Bild, zwei Formen des Ausdrucks, mit­ einander in eine Spannung. Das un­ eindeutig gegliederte Buch, das sich einer konventionellen Abfolge von Seitenzahlen und Überschriften entzieht, ist eine Sammlung von etwa hundert Collagen, die aus ausgeschnittenen Bildern und Wörtern zusammengesetzt sind. Als ­w ürde der Sinn einer Ergänzung, einer Illustration bedürfen, werden die Wortschnipsel mit einem visuellen Element verknüpft, die Beziehung zwischen Text und Bild ist, wie bei den meisten Collagen Herta Müllers, jedoch schwer fassbar. Ob die einzelnen Collagen getrennt zu betrachten sind oder eher wie ein Bruchteil zum Ganzen stehen, bleibt unklar. Eine Ahnung ergfreit einen bei der Betrachtung der letzten Bild-Text-Miniatur, dem Alphabet der Angst: Ist die Angst nur der

Gegenstand der vorliegenden Collage oder wäre es denkbar, dass dieses treibende Grundgefühl, die Angst, über das ganze Buch hindurch buchstabiert wird? Die Collage Alphabet der Angst steht an der Grenze der Unaussprechlichkeit und unternimmt den Versuch diese Grenze zu negieren, beziehungsweise zu überschreiten. Jedes Wort steht als Teil einer Bildkomposition für sich allein. Entstanden ist ein Spiel aus verschiedenen Schriftarten, bei dem die Schrift eine ästhetische Funktion übernimmt. Dagegen ist zu bemerken, dass das letzte Wort der Collage, das gleichzeitig auch das Buch abschliesst, «die Gegenwart», klein gedruckt ist und so zurückhaltend wirkt. Die Farbsemantik soll der scheinbar einfachen, verdichteten Sprache Körperlichkeit verleihen und auf eine permanente Umwandlung hindeuten, bei der die Grenze zwischen Sprachbildlichkeit und

Bildersprache brüchig wird. Auch ohne den Zwischenraum zwischen den einzelnen Papierschnipseln wäre die stimmige grammatische Struktur der Komposition gestört. Denn die Wortkombinationen («hundeköpfig plump»/«eidechsig zart») provozieren Mehrdeutigkeit, das Bildliche umwirbelt einen in das Gewebe des Ausgeschnittenen und Zusammengefügten. Aus der Zerrissenheit der Satzteile drängt eine neue Ordnung herauf, man wird verunsichert, der Sinn wird unterlaufen. Die Wörter konterkarieren einander. Durch das scheinbar naive Interesse für Sprache und die Beziehung zu den Worten wird hier eine Wortakrobatik praktiziert, doch ist die Gesamtgestaltung nicht Zufall, sondern wiederspiegelt eine Verunsicherung auf der sprachlichen Ebene: Das Alphabet der Angst ist eines, in dem «nichts gerät» und wohl bemerkt man den Versuch, mittels des Materials, mittels der 3


vorhandenen, ausgeschnittenen Worte, sich in der Angst zu bewegen, nicht zu verstummen und – so Solte-Gresser – ­das Unsagbare als solches aufs Papier zu ­bringen. Die Sprache wirkt hermetisch. Es scheint als suche sie nach einer Möglichkeit der Befreiung, die in der Neukombination verwendeter Wörter neue Horizonte eröffnen soll. Aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgetrennt, entsteht nach Solte-Gresser aus den zusammengetragenen Wörtern und ihrer instabilen Verortung im Geflecht der Komposition, «ein Netz von Motiven und Themen, die auf Erfahrungen in einem totalitären Regime verweisen». Es geht um ein Ins-SpielBringen von Subjektivität, die auch dem Leser die «Lust am Text» erwecken könnte. Denn das Verfahren von Herta Müllers Texten, das Ausschneiden, Ordnen, Zusammenkleben, ja das Wiederverwerten mittels Fantasie, ist ein Ausdruck der subjektiven Weltwahrnehmung im Kommunismus vor 1989. Die Texte der 2009 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichneten Lyrikerin und Erzählerin, die aus dem rumänischen Nitzkydorf, aus einer deutschsprachigen Minderheit im Banat kommt, kreisen um die erlebte Diktatur. Dabei mag die Autorin autobigraphische Elemente verarbeiten. Wenn Schreiben über die Erinnerung verläuft, dann ist bei Herta Müller das Schreiben ein persönliches Erlebnis der Konfrontation und Auseinandersetzung mit der Gewaltherrschaft. Es geht um eine Welt, in der die Sprache selbst zum totalitären Herrschaftsinstrument wurde, dicht und selbstreferenziell fixiert. Das Wortgefüge insgesamt wirkt in ihren Collagen absurd, gar surreal. Womöglich steckt jedoch hinter den wiederverwerteten Wörtern eine Botschaft; für Solte-Gresser ist das die Bestrebung «andere Wege der Artikulation» zu finden. Es ist im Alphabet der Angst die Rede von einer Unaussprechlichkeit, die mit den Mitteln einer eingesperrten Sprache, nach Ausdruck sucht, nach dem Ausdruck des Vernehmbaren, des den Worten Sichentziehenden. Es geht um einen, wie ihn Menke bezeichnen würde, dekonstruktivistischen «Schriftrest», der im Ausgesagten «nicht aufgegangen ist», das «Übrig-Gebliebene» des Ungelesenen, eine Verstellung «jedes Verstehens». Die unterschiedlichen Leseweisen von Herta Müllers Collagen, zu denen die Unentscheidbarkeiten zwischen wörtlicher und übertragener Bedeutung führen, deuten auf die Mehrdeutigkeit und Öffnung von Bedeutung hin. Im Alphabet der Angst 4

wird eine Allegorie der Unaussprechlichkeit als Subjekt der Komposition deutlich: Sie ist «die Angst». Spricht man die Angst aus, so gerät man gerade durch den Versuch in einen negativen Prozess der Verstellung, ja die Unaussprechlichkeit wird umso bedrohlicher und stärker. Die Diskrepanz zwischen der Blockade, der Unmöglichkeit traumatischer Wahrnehmung auszusprechen und dem widerspenstigen Modus ihrer Darstellung, das Spiel in der aus Wortfetzen zu einem Ganzen werdenden Kompositon, deuten auf eine verfängliche rhetorische Praxis des Textes. Bedenkt man, dass es in Herta Müllers Collagen um Wörter geht, die aus anderen Texten buchstäblich ausgeschnitten worden sind, die also die Fremdheit des Stoffes – oder wie Krefeld das bezeichnen würde – den Prozess «artifiziellen Verknüpfens» um optische Aufmerksamkeit zu erzeugen, implizieren, so wird klar, dass das «Zitieren», eine «Differenz» mit sich bringt und vom Vorgang des Wiederholens beziehungsweise der Wiederverwendung nicht mehr zu trennen ist. Es entstehen unterschiedlich «itinerierbare» Zeichenketten von Differenzen, die auch über das «Gelingen» des «Schreibaktes» zum Nachdenken anregen. War hier von einer Zusammenfügung der Wörter zu einer Struktur mit einem ­erkennbaren Rhythmus die Rede, so lässt sich die Komposition einerseits durch ihre «Rahmung» der Literatur zuschreiben. Nach Menke könnte man sagen, dass gerade durch ihre «Randlinien» die Col­ lagen auch ihre «Zugehörigkeit zum Gebiet der Literatur» überschreiten. Fehlen in den Text-Bild-Formationen Herta Müllers Verssegmentierungen, so bemerkt Krefeld, dass ein Stück weit ihre Textualität, ja ihre Gattungsgrenze übersprungen wird. Ausserdem scheint es, als würde sich jedes Zeichen in einer permanenten Trennung von und Begegnung mit jedem der anderen benachbarten sprachlichen Zeichen befinden: Der Versuch einer Grenzüberschreitung findet statt. Als übten die Wörter untereinander einen Sog aus, um sich aus dem angelegten Zwang ihrer Materialität und ihrer reaktionären Verwendung zu befreien; sie zerbrechen daran, sich aus der Bindung an eine «Spur» von Diskursen zu entreissen. Ohne Satzeichen, auf der Ebene des Papiers schwebend, flüchtet gleichzeitig ­jedes Wort vor das ihm benachbarte in einer inneren Überwachung der Gesamtkomposition. Denn der Zwischenraum zwischen den Wortfetzen, der im Vergleich zu der zur Schau gestellten Materi-

alität der Sprache, die «Augen stechend» leer bleibt, ist notwendig, um einerseits einen Sachverhalt zu identifizieren, andererseits um im Raum einen Mangel der aneinander begrenzten Wörter zu beschreiben. Die Funktion des Zwischenraumes ist es, die Wörter in einer Gesamtkomposition einzuschliessen und die Veränderlichkeit der Grenzen im Raum des Textes zu artikulieren. In Herta Müllers Collagen geht es gerade nicht um eine Bewahrung oder Wiederherstellung von Identität, sondern um den Anstoss zu ihrer Überschreitung. Dabei werden die Mechanismen ihrer ­ Collagen als eine absichtlich ins Blickfeld ­gerückte Wiederholung lesbar. Der Weltensprung – die Flucht von der rumänischen in die deutsche Welt (Herta Müller gelingt es 1987 aus Rumänien auszureisen und sich im damaligen West-Deutschland niederzulassen) kann laut Breysach als eine Hermeneutik des Fremden aufgefasst werden. Während die Texte sich in den Kontext politischen Widerstands ­einschreiben, sind es vor allem die Bildkompositionen, die ein neues Denken im europäischen Literaturraum anzuregen ­ versuchen. Es bleibt offen, ob dies überhaupt möglich ist. Literatur Müller, Herta. Die blassen Herren mit den Mokkatassen. München 2005. Breysach, Barbara. Räume der Gewalt – Poesie der kleinen Räume. Herta Müller in der frühen Prosa und neueren Essayistik. In: Spiegelungen 2 (2007) (2), S. 144-157. Krefeld, Thomas. Bild, Wort, Satz, Text. Wie Herta Müller über die Gattungsgrenze ging. In: Wahrnehmung der deutsch(sprachig)en Literatur aus Ostmittel- und Südosteuropa – ein Paradigmenwechsel? (2009), S. 235-249. Menke, Bettine. Dekonstruktion. Lesen, Schrift, Figur, Performanz. In: Miltos Pechlivanos; Stefan Rieger et al. (Hgg.): Einführung in die Literaturwissenschaft. Stuttgart 1995, S.116-136. Solte-Gresser, Christiane. Zerschnipselter Sinn. Buchstabierte Angst. Geklebte Ordnung. Die Gedichtcollagen der Nobelpreisträgerin Herta Müller. In: Germanisch-romanische Monatsschrift 59 (2009) (4), S. 565-567. Wokart, Norbert. Differenzierungen im Begriff der Grenze. In: Richard Faber und Barbara Naumann (Hgg.): Literatur der Grenze – T ­ heorie der Grenze. Würzburg 1995


An die Grenzen des Wahnsinns Absinth in der Grenzregion Val de Travers

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Von Arkadiusz Luba Sein schlechter Ruf führte dazu, dass Absinth 1910 in der Schweiz verboten ­ wurde. Angeblich war diese Spirituose eine Muse für Künstler und konnte ihre Trinker in den Wahnsinn treiben. Paul Verlaine, Hemingway, Picasso und ­Vincent van Gogh – um bloß ein paar zu nennen – tranken gerne Absinth. Und auch wenn er zeitweise als das französische Nationalgetränk galt, so hat er jedoch seine Wurzeln in der Schweiz.

Un médicament pour tout Artemisia absinthium – also Wermutkraut – ist eine der ältesten Heilpflanzen der Menschheit. Seit der Antike wird sie als Antiseptikum und gegen Würmer, Fieber sowie Menstruationsschmerzen benutzt. Hippocrates empfahl Wermut bei Gelbsucht, Rheumatismus und Anämie, Pythagoras zur Linderung der Wehen. ­ Bei Paracelsus diente der Wermut als Gegenmittel gegen Malaria. Seine Kraft sei erprobt, versicherte Wahlfried von Reichenau im 9. Jahrhundert: «Dieses Mittel löscht heissen Durst und vertreibt Fieber.» Hildegard von Bingen (12. Jh.) benutzte die Pflanze bei beinah allen möglichen Beschwerden: «Der Wermut ist sehr warm und heilkräftig. [...] hilft bei Brustschmerzen, Husten und Melancholie, vertreibt die Gicht und klärt die Augen, stärkt Herz und Lunge, wärmt den Magen, reinig die Eingeweide und schafft gute ­Verdauung. Auch ist seine Wirkung bei allen Schwächezuständen hervorragend», schrieb sie in ihrer Naturkunde». Im Volksglauben galt der Wermut als probates Mittel, böse Geister zu vertreiben. In Scheunen gelegte Wermutzweige sollten das Getreide vor Kornwürmern und Mäusen schützen. In Österreich schützte man damit krankes Vieh und heilte es von Krankheiten. In Wiegen von Kindern sollte das Kraut den Teufel davon abhalten, das Kind auszutauschen. In Russland ­vertrieben die jungen Mädchen die Flussgeister, indem Sie Wermut ins Wasser warfen. Generell galt sein starker Geruch als bestes Abwehrmittel gegen Hexen. Kirchgänger trugen immer etwas Wermut bei sich in der Tasche, damit sie nicht auf schlechte Gedanken kamen oder vom Teufel verführt wurden. Bei der Kräuterweihe verteilte die Kirche Wermutbüschel, die die Gläubigen dann mit nach Hause nahmen und als Schutz gegen ­Dämonen aufbewahrten.

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Le berceau de la Fée Verte Auf Einladung der Tourisme Neuchâtelois besuchte ich vor kurzem die Region «Jura & Trois-Lacs» in der Westschweiz, um über Absinth zu recherchieren. Meine resolute Führerin und Dolmetscherin Renate holt mich am Neuchâteler Bahnhof ab und bringt direkt nach Val de Travers. Die Gegend kann sich zurecht mit Stolz zu dem Titel «Le berceau de la fée verte» («Wiege der Grünen Fee») bekennen. Es gäbe keinen anderen Ort auf der Welt, der auf ein so langes Bestehen des Absinths zurückblicken könne, verrät mir der Absinth-Experte Nicolas Giger, den ich in der Absinth-Brennerei von Père François in Môtiers treffe. Ich tauche in den charakteristischen Geruch des destillierenden Absinths und in das Ambiente seiner Distillerie «Elixir au Pays des Fées» ein. Ich entdecke die eindrucksvolle ­Kollektion von absinthspezifischen Gebrauchs- und Werbe-Gegenständen wie Löffel, Pokale, Gläser und Wasserfontäne, sowie alte Dokumente über die Geschichte der Wermutspirituose. Aus dieser idyllischen Gegend um die Ortschaft Couvet stammt das erste Absinth-Rezept. Es wurde im Jahre 1797 von einer Dame namens Henriot zusammengestellt. Anschließend erwarben es die Besitzer der ersten Absinth-Brennerei – Henri-Louis Pernod und Daniel-Henri Dubied. Heutzutage gibt es im Val de Travers etwa 25 Absinth-Hersteller. Seit der Erfindung floss die Blaue («la bleue»), wie sie hier genannt wird, in viele durstige Kehlen. Sie bot Anlass zu un­ zähligen Gesprächen hinsichtlich ­ihrer ­angeblichen Gefahren, deren Schilderungen oft jegliche Vorstellungskraft übertrafen. Eine ergiebige und fantasiereiche Literatur ging aus ihr hervor. Die Blaue eröffnete dem Künstler ein unendlich weites Inspirationsfeld, und bot dem manchmal an Ideen mangelnden Journalisten Millionen Zeilen an Stoff für ihre Tageszeitungen und Zeitschriften. So jedenfalls die Legenden, die ich bei Monsieur François höre.

Comme la relation avec une jeune femme Großer und kleiner Wermut, Anis, Fenchel, Ysop, Zitronenmelisse und Minze sind die Hauptzutaten des Absinth-Extrakts. Dazu kommen hochprozentiger Alkohol und Wasser. Nach einem achteinhalbstündigen Destillierprozess ist die Spirituose fertig. Ich besuche Monsieur

François gerade zum Schluss dieses Prozesses. Der starke unverdünnte Absinth fliesst am Ende der Destillierapparatur in einen Behälter. Ich darf probieren. Die Komponente Absinthin macht den Wermut zur zweitbittersten bekannten Pflanze. Und so schmeckt auch das fertige Produkt. Der charakteristische Geschmack macht es so unverwechselbar – und zu einem Kult-Getränk unter den Kennern. Mit dessen Verbrauch sei es wie mit einem Jungen Mädchen umzugehen, sagt der Experte Giger. Man dürfe dabei nicht zu schnell werden: «Man muss sehr vorsichtig vorgehen und nicht gleich alles auf einmal verzehren. Das eisgekühlte Wasser sollte man langsam auf den Absinth fallen lassen. Das fertige Getränk sollte sich etwa so entwickeln wie eine Beziehung zu einer Frau». Und so holt der Destillateur Père François eine Flasche Absinth, baut eine stilvolle Wasserfontäne auf, füllt sie mit eiskaltem Wasser, die Gläser mit dem Absinth, und lässt es langsam tropfen. In dem AbsinthPokal bildet sich ein grüner Dunst. Seine Farbe verdanke er dem hohen Chlorophyll-Gehalt vom Ysop und dem kleinen Wermut, meint Monsieur François: «Und wenn man schon ein paar Runden getrunken hat, könnte man sich vorstellen, dass da eine Fee aus dem Glas steigt».

L’Heure verte: C’est le diable fait liquide Die Fee sorgte nicht nur für viel Freude, sondern auch für viel Unmut. Und sie wurde unterschiedlich genannt. Für die Autorin Doris Lanier war sie das «Kokain des 19. Jahrhunderts». Der Historiker Jad Adams bezeichnete sie als «der Teufel in einer Flasche». Der polnische Modernist Stanisław Przybyszewski beschrieb sie als «grünäugiges Monster», und der Dichter Raoul Ponchon – «die vom Teufel gemachte Flüssigkeit». Pierre-André Delachaux betitelte 1991 sein Buch ­ «L’absinthe, arôme d’apocalypse»; eine durchaus berechtigte Assoziation, wenn man bedenkt, dass bereits zweitausend Jahre früher der Hl. Johannes in seiner biblischen Offenbarung berichtete: «Der dritte Engel blies seine Posaune. Da fiel ein großer Stern vom Himmel; er loderte wie eine Fackel und fiel auf ein Drittel der Flüsse und auf die Quellen. Der Name des Sterns ist ‹Wermut›. Ein Drittel des Wassers wurde bitter, und viele Menschen starben durch das Wasser, weil es bitter geworden war» (Apk 8.10-11).


Trotz all dieser negativen Bezeichnungen war die Grüne Fee um die Jahrhundertwende unter vielen Künstlern sehr beliebt. Baudelaire, Hemingway, Picasso und viele anderen liessen sich von ihr berauschen. Mediziner beschrieben bei Absinthtrinkern ein Krankheitsbild, das «Absinthismus» genannt wurde. Als charakteristisch galten dabei u.a. epileptische Anfälle, Gewalttätigkeit und Geisteskrankheit. Van Gogh schnitt sich angeblich unter ihrem Einfluss ein Ohr ab und Verlaine schoss Rimbaud das Handgelenk an. Ein 1905 berühmt gewordener Mordfall sorgte schließlich dafür, dass Absinth in den meisten Ländern Europas und in den USA verboten wurde. Am 28. August 1905 erschoss in Lausanne der als Trinker bekannte Arbeiter Jean Lanfray seine ganze Familie. In Genf ermordete ein gewisser Sallaz seine Frau. Die Schuld wurde in beiden Fällen dem Absinth zugeschrieben. Eine Petition, die aus den beiden betroffenen Kantonen kam, veranlasste die Schweizer Bundesregierung, eine Volksabstimmung über das Absinth-Verbot durchzuführen. 1907 wurde ein Gesetz erlassen, das die Herstellung und den Vertrieb von Absinth verbot. 1908 kam es zu der Volksabstimmung und zwei Jahre später trat das Gesetz in Kraft.

Feu vert pour l’absinthe Die Grüne Fee des Val de Travers rebellierte jedoch und wollte sich dem Verbotgesetz nicht unterordnen. Genau wie die Familie von Francis Martin aus Boveresse, den ich auch besuche. Er wohnt in dem imposanten gelblichen Haus Petitpierre (wegen des an der Südfassade angebrachten Wappenschildes, auf dem sich an der linken und rechten Seite jeweils eine Katze befindet. Deshalb auch «Katzen» genannt.), erbaut im Jahre 1777, vormals Besitz von Timothée Barrelet, eines Polizeioffiziers des Ludwig XVI. Hier stellt seine Familie seit über hundert Jahren den Absinth her: «Seit 1910 gab es schon immer jemanden in meiner Familie, der den Absinth produzierte. Ich habe den Familienbetrieb von meinem Onkel vor vierzig Jahren übernommen. Nachdem es verboten wurde, haben wir den Absinth 95 Jahre geheim hergestellt, bis es 2005 wieder offiziell erlaubt war», bemerkt Martin. Über quetschende Holztreppen gehen wir zum Dachboden des Hauses hoch. Er dient jetzt wieder zum Trocknen aromatischer Kräuter, so wie auch viele andere

Dachböden im Dorf, die zu diesem Zweck auch früher genutzt wurden. Die Tür dahin ist hinter einer Portière versteckt. Der Schlüssel wird aus einer alten Kommode geholt. Auf der Terrasse zeigt mir Monsieur Martin seine Privatplantage – einen beeindruckenden französischen Garten vor dem Haus, in dem Ysop, grosser und kleiner Wermut sowie Melisse wachsen. In der Nähe gäbe es den 1893 erbauten grossen Trockenspeicher. Dort trocknete man langsam die aus der nahen Umgebung stammenden Pflanzen, die anschliessend an die Brennereien verkauft wurden und zur Zusammensetzung der verschiedenen auf dem Markt gängigen Absinthe dienten. Seit 1998 stehe dieses Gebäude unter Denkmalschutz, erklärt Martin; «In China gibt es die Grosse Mauer, in ­Paris den Eiffel-Turm und hier haben wir den grossen Trockenspeicher, der einzigartig in der Welt ist» und zeigt sich stolz. Für die Schweizer Bundesbehörden hat die Aufhebung des Absinth-Verbots mehrere Vorteile: Das Herstellungsverfahren und die Produktionsmengen werden besser kontrolliert, die Steuereinnahmequellen wachsen. Der Konsum belebt die Wirtschaft. Für den Destillateur Francis Martin gäbe es jedoch nur wenige Momente, in denen er Absinth trinke: «Nur wenn Freunde zu Besuch kommen stelle ich die Wasserfontäne auf und lasse ein paar Tropfen auf den Zucker fallen. Ich schätze das Beisammensein. Und bei ­einem Glas Absinth diskutiere ich gerne über die Welt und die Politik».

La légende est vivante Nun will ich wissen, was die «normalen» Verbraucher über Absinth denken. So fahre ich nach Couvet, zu der Destillations­ anlage Christophe Racines (wo ich auch meine eigene Wasserfontäne erwerbe). Nur noch sehr wenig erinnert hier an Henri-Louis Pernod und seine Nachkommen: die Rue Louis Pernod (der Namen seines Enkels), einige Fabrikgebäude, ein Giebel aus Kalkstein (heute im Museum von Môtiers), der über dem Eingang der Fabrik mit den Initialen EP (Edouard Pernod) und der Jahreszahl 1888 ragte, sind alles, was an dieses legendäre Unternehmen erinnert, dessen Namen zur Aperitifzeit in der ganzen Welt erklang: «Garçon, un Pernod!» – «Voilà, Monsieur». Bei der Verkostung treffe ich auf zwei Besucher aus Deutschland. Sie nehmen zum allerersten Mal Absinth zu sich. Der Mann ist an seiner angeblich halluzinoge-

nen Wirkung interessiert und sagt «Ich würde es ziemlich gerne ausprobieren, in einem kleinen Kreis, mit Freunden, mal in der Küche. Ich dachte, jetzt machst du’s; jetzt holst du dir eine Flasche Absinth und hast sie dann zu Hause. Und dann kommt es auch tatsächlich mal dazu, dass du vielleicht doch anfängst zu halluzinieren». Die Frau zeigt sich dem Getränk hingegen skeptisch gegenüber: «Ich bin ein misstrauischer Charakter. Und ich habe gelesen, dass es sogar kriminell macht und verrückt. Von dem her würde ich darauf verzichten». In vielen europäischen Städten feierte der Absinth zu Beginn des neuen Millenniums seine Rückkehr in den Szenekneipen. Man bemühte sich sehr darum, das einstige Kultgetränk unter der europäischen Boheme wieder populär zu machen. Die Legende der Grünen Fee lebt. Und spaltet weiterhin das Publikum. Literatur Jad Adams: Hideous Absinthe. A History of the Devil in a Bottle. The University of Wisconsin Press 2004. Pierre-André Delachaux: L’Absinthe – arôme d’apocalypse. Gilles Attinger. Neuchâtel 1991. Doris Lanier: Absinthe. The Cocaine of the Nineteenth Century: A History of the Hallucinogenic Drug and Its Effect on Artists and Writers in Europe and the United States. McFarland & Co. Publishers. Jefferson 1994. Jens Radulovic: Die Inszenierung des Absnths im Film. Lit Verlag. Berlin 2010. Helmut Werner: Absinth. Die grüne Wunderfee. Ullstein List Verlag. München 2002.

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Politische Apathie Versuch 端ber das Gef端hl einer Generation

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Von Philipp Auchter Demonstrationen erlangen in diesen Tagen ihre alte Schärfe zurück; ein Geruch, der in den Augen brennt, ein Gespenst, das wispert: «Wir sind das Volk» – «Wir sind die 99%». Auch wenn wir keinen Finger rühren, noch ein wenig in Selbstgefälligkeiten der 90er Jahre sitzen bleiben und unsere Bedürfnisse abzudecken wissen; auch wenn viele Menschen Politik für eine Privatsache halten und Germanisten glauben, was in den Büchern stehe, habe wenig mit unserer Welt zu tun – selbst wenn dies so ist, tritt manchen von uns in diesen Tagen eine Ahnung ins Bewusstsein, wenn wir die Zeitung aufschlagen, wenn wir surfen im Delirium des Web. Eine vage Vorstellung der Zukunft, ein Gespenst von verdrängten Völkern und Ländern dieser Erde sucht uns heim. Das Gespenst nistet sich in unseren Phantasien ein, in zügellosen Zombie- und Science-Fiction-Filmen tobt es sich aus, es flüstert in unseren Träumen: erzählt von Umbrüchen, vom schrecklichen Ende einer stolzen Festung, eines Traums, den wir Europa nennen. Gut möglich, dass das Gespenst schon im Arabischen Frühling zugegen war. Dort wurde es erst heraufbeschwört: in den Strassen Tunesiens und Ägyptens, in den Städten Libyens und Syriens. Doch nirgends fühlte sich das Gespenst so zu Hause wie auf dem Tahrir-Platz in Kairo, in den nächtlichen Revolutionen, von Sprechchören angepeitscht, im Fahnenmeer und Feuerregen. Dort zeigte das Gespenst wieder einmal seine Kraft – eine Kraft, die Massen zusammentreibt, wild mit ihnen spielt, sie aufhetzt und blind anstürmen lässt gegen bewaffnetes Militär; eine Kraft, die Menschen im Angesicht höchster Gefahr in Ekstase versetzt und Despoten in die Knie zu zwingen vermag. Wenn die Nachricht vom Sturz des Tyrannen die Runde macht, dann tobt die Menge und lobpreist das Gespenst, das sie alle in dieser Nacht auf diesem Platz vereint hat. Sie fühlen sich wie Eins, kaum sind sie sich noch bewusst, dass sie es nicht sind, dass die Freunde von heute die Feinde von morgen sind, dass das Gespenst die Flucht ergreifen wird mit dem ersten Sonnenstrahl, in dessen Licht sich eine fürchterliche Ratlosigkeit und Ernüchterung breitmacht: Ungerechtigkeit und Ohnmacht regiert den Morgen nach der Revolution. Niemand weiss, auf welchem der zahlreichen Flüchtlingsboote das Gespenst von Nordafrika zu uns gelangt ist. Jedenfalls gehen wenig später auch bei uns die Menschen auf die Strasse. In der neuen Welt

unter dem Eindruck der Subprime-Krise entfacht, dehnt sich die Occupy-Bewegung von der Wall Street rasch auf alle fünf Kontinente aus. In Europa verbündet sich der Protest mit den spanischen Indignados, den Empörten. Stéphane Hessel, Résistance-Kämpfer und Überlebender des KZ Buchenwald, verfasst im Alter von 93 Jahren mit Indignez-vous! ihre Streitschrift. Man registriert ein Wiedererwachen der politischen Jugend. Alte 68er sehen ihre Zeit wiedergekommen. Doch die Welt hat sich verändert. Im Zentrum der Proteste steht nicht mehr die politische Führung, wenn auch ihre kopflosen Rettungspakete verunsichern. Das Hinterherhinken der Politik deckt alleine die neuen Machtverhältnisse schonungslos auf. Die globale Wirtschaft hat sich schon seit geraumer Zeit von den Nationalstaaten verabschiedet. Unsere neuen Machthaber sitzen nicht mehr in Regierungsgebäuden. Auch nicht im Militärrat wie in Ägypten. Sie haben sich frei gemacht vom Einfluss der Strasse. Ihren Handel betreiben sie in einer Welt, die sich zusehends von der wirklichen abkoppelt: Flugzeuge sind ihre Sänften. Börsenkotierte Unternehmen ihre Goldminen. Internationale Kapitalflüsse umspülen ihr Königreich. War der Sonnenkönig einst der Inbegriff einer zentralisierten Macht, ist die neue Ordnung geprägt von diffusen Vernetzungen. Die Macht gibt sich den Anschein, als habe sie sich in freien Märkten aufgelöst. Diese Märkte spielen ganz schuldlos ihr Spiel, ohne ihre Spielregeln bekannt zu geben. Die Proteste von Occupy Wall Street waren ein Versuch, die Veranstalter der Krise wieder dingfest zu machen. Die Demonstranten suchten die Handlanger der Märkte an ihren Arbeitsplätzen heim und riefen sie zur Verantwortung. Sie versuchten die Schuldigen an der Wall Street oder auf dem Paradeplatz zu verorten, sie aus ihrem Schatten ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren, die Macht zurück auf die Strasse zu holen. Die Bilder von armen Bankern, die in ihren steifen Hemdchen und ihren gestreiften Krawatten über die Masse der Sitzstreikenden hinwegstiegen, machten jedoch irgendwie klar, dass die Täter anderswo gewesen sein mussten, weit weniger fassbar. Wie so oft hatte unverhältnismässige Polizei-Gewalt die Occupy-Bewegung erst berühmt gemacht. Die Empörung in der Bevölkerung über die Hintergründe der Krise war gross, die Medienpräsenz gewährleistet. Das Gespenst hatte es am Anfang noch leicht. Doch wie lässt sich das

jähe Abflauen der Proteste erklären? In den bürgerlichen Medien war oft zu lesen, der Bewegung hätte ein wirkliches Konzept gefehlt. Auch eine Publikation der Konrad-Adenauer-Stiftung sieht die Ursache «in der Programmlosigkeit von Occupy. Für was steht die Bewegung eigentlich? Die bei Occupy üblichen antikapitalistischen Versatzstücke können nicht über die inneren Widersprüche hinwegtäuschen. Selbst das neue alte Gesicht der Bewegung, die von Anonymous übernommene Guy-Fawkes-Maske, […] ist unfreiwillig Ausdruck einer konsum­ ­ orientierten Popkultur.» Der Vorwurf der Programmlosigkeit mag erstaunen, liesse er sich doch in diesen Zeiten an die gesamte politische und wirtschaftliche ­ Elite zurückweisen. Sie reagierten auf die ­K rise überrascht und ohne Rezept. Die Diagnose seitens der bürgerlichen ­Zeitungen zielt derweil am Wesen jeglichen Protests vorbei. Protestbewegungen ­haben nie ein gemeinsames Programm. Was sie vereint, ist ihr gemeinsamer Kampf gegen ein Programm. Welches Programm hatten denn die Aufständischen des Arabischen Frühlings? Waren es Demokratie und Menschenrechte, wie uns gerne weiss gemacht wird? Was die Leute auf die Strasse treibt, sind die Hoffnung auf mehr Wohlstand oder die Angst vor dessen Verlust; der Hass gegen Unter­ drückung; der Wunsch nach mehr Autonomie. Die hysterischen Versuche der Presse, den Protesten des Arabischen ­ Frühlings westliche Werte aufzuschwatzen, lässt tief blicken. Dahinter steckt eine Ideologie, die unsere Werte gerne mit unserem Wohlstand verwechselt – jene Ideologie, welche die französische Revolution als leuchtende Geburtsstunde der liberalen Gesellschaft feiert. Wer ­jedoch die französische Revolution als Inkarnation des europäischen Geistes ­versteht, denkt nicht an ihre realen Bedingungen, nicht an ihre Radikalisierung, die Enthauptungen unter der ‹Grande Terreur›, die Machtspiele einer aufstrebenden Schicht. Wer Occupy w ­ egen ihres fehlenden Programms kritisiert, sieht nicht die desolate Situation e­ iner Finanzwirtschaft, die sich jeglicher Systematik von links wie rechts entzogen hat. Die Occupy-Bewegung in der Schweiz war eigentlich ganz nett. Man darf immerhin bemerken, dass Proteste gegen Banken zuvor eine echte Seltenheit in ­diesem Land waren. Die Schweizer Bevölkerung, die sich angesichts des Unrechts in der Welt gerne moralisch besorgt zeigt, hatte die Geschäfte der eigenen Banken 9


10 Demonstrant auf dem Paradeplatz Š Dario Vittani


bis zum Ausbruch der Krise grosszügig übersehen. Zu stark war ihr Auge auf die grosszügige humanitäre Hilfe in der dritten Welt gerichtet. Zu sehr bewegten sprudelnde Brunnen für arme Kinder in Afrika das Gemüt. Die fehlende Erregungsbereitschaft hierzulande mag jedoch ein wenig erstaunen, wenn man bedenkt, dass die Geschäfte der Schweizer Banken, welche unser Bankgeheimnis zuliess, wohl der grösste Beitrag der Schweiz zum internationalen Verbrechen im letzten Jahrhundert waren. Doch erst die jüngste Finanzkrise brachte Leben in die Schweizer Seele. Nicht die unmoralische Aufbewahrung des Geldes machte ihr Sorgen. Erst seine fahrlässige Vernichtung empörte sie. Der treulose Umgang mit dem lieben Geld brachte so etwas wie Widerstand auf die Schweizer Strassen. Die Apathie gegenüber den ökonomischen Strukturen hat ihre Gründe: Angesichts einer komplexen, globalisierten Welt haben wir die Fähigkeit verloren, uns über sie aufzuregen. Unsere Protestwut richtet sich vor allem gegen Dinge, die unmittelbar um uns herum passieren: die Schliessung kultureller Einrichtungen, wie sie dem Binz-Areal in Zürich droht, überteuerte Bauprojekte wie Stuttgart 21. Wir vermögen uns leichter über einen gefällten Baum aufzuregen als über zweifelhafte Finanzprodukte, die diesen Baum zu Fall brachten. Da offener Betrug, Diktatur oder Sklaverei in unserer Gesellschaft kaum mehr möglich sind, haben sich die Mächtigen darauf verlegt, diese Geschäfte in einer komplex verhüllten Gegenwelt zu tätigen. Erfahren wir Bürger davon, werden wir zwar wütend, doch ereifern wir uns wie Kinder an einem Märchen. Wir können dank klugen Recherchen wohl die Tragweite der Verbrechen erahnen. Doch der hohe Grad ihrer Abstraktion von alledem, was wir begreifen können, lässt sie schnell in unserem Bewusstsein verblassen wie ein Traumgebilde im Morgengrauen. Eine alte Fabrik, verwandelt in ein kreatives Zentrum, das begreifen wir. Wir können es betreten. An diesem Ort lässt sich der aufgestaute Verdacht gegen ein korruptes System materialisieren. Aus dem Gelände lässt sich schnell ein Schlachtschiff bauen, das als letztes seiner Art gegen die wendigen Unterseebote des Kapitals in See sticht. Auch die Rechten kennen den politischen Trick: Auf einmal wohnt in den Minaretten die unfassbare Bedrohung der Islamisten. Gerne glaubten wir daran, dass in diesen kleinen

Türmchen jene Anschläge geplant werden, denen unsere Soldaten in Afghanistan ebenso zum Opfer fallen wie unschuldige Bürger in der U-Bahn. Hier lässt sich ein Zeichen setzten. Hier in dieser symbolischen Kampfzone werden wir politisch aktiv. Weit darüber hinaus vermag unser politisches Empfinden nicht zu reichen. Hier liegen die Grenzen des demokratischen Europas. Es ist umgeben von den Sümpfen einer bodenlosen Apathie. Es gibt für mich aber noch einen zweiten, tiefer liegenden Grund für die politische Apathie in unserer Zeit. Er hat mit Öko­ logie zu tun. Und mit unserer Abhängigkeit vom Erdöl. Diese Abhängigkeit beschränkt sich lange nicht auf unseren Durst nach Benzin. Nur wenigen mag das Haber-Bosch-Verfahren ein Begriff sein. Mit ihm wird Ammoniak aus Stickstoff und Wasserstoff gewonnen. Auf diesem Verfahren beruht die gesamte Herstellung von Sprengstoff und Kunstdünger. Da man für die Erzeugung von Wasserstoff wegen des hohen Energieaufwands Erdöl verwendet, basiert die Ernährung weiter Teile der Weltbevölkerung bis heute auf dem unersetzlichen schwarzen Gold. Es ist ein Rohstoff, der während Millionen von Jahren entsteht und in etwa 50 Jahren verbraucht sein wird. Das globale Fördermaximum haben wir – ungewissen Schätzungen zufolge – bereits ­erreicht. Man nennt das Peak Oil. Das bedeutet, dass die weltweite Erdöl-Förderung in Zukunft abnehmen wird; eine Entwicklung, welche der steigenden Nachfrage entgegenläuft. Während das Wachstum unserer Weltbevölkerung exponentiell verläuft, steigt die Produktion von Dünger konstant. Die Folgen dieser Entwicklung sind einfach vorherzusehen: Die Nahrungsmittelproduktion wird mit dem Rückgang des Erdöls ebenfalls abnehmen. Neben der rückläufigen ­ ­Produktion von Kunstdünger wird der Klimawandel zusätzlich für massive ­Ernteausfälle sorgen, wie der Bericht des Weltklimarats der UNO deutlich zeigt. Hungersnöte in noch nie dagewesenem Ausmass sind absehbar. Sie werden grosse Teile der Menschheit treffen. Die Frage ist nur welche. In Zeiten nun, in denen sich der wachsame Bürger darüber in Kenntnis gesetzt hat, dass sich die eigene Zivilisation auslöschen wird – unabwendbar, und alle mit hysterischer Begeisterung angepriesenen Gegenmassnahmen zu kurz greifen, da sie nur innerhalb des zum Scheitern verurteilten Systems gedacht sind; in dieser Kenntnis muss den Bürger unweigerlich

ein Unbehagen befallen, sich politisch zu engagieren, geschweige denn sein eigenes Interesse einzufordern. Er weiss sich stets in einer unhaltbaren, nicht zu rechtfertigenden privilegierten Stellung, in der er – was er langsam zu ahnen beginnt – unentrinnbar mit jenem energisch kritisierten System verstrickt ist und sich zur ehrlosen Hoffnung verdammt sieht, sofern ihm sein angenehmes Leben lieb ist, das System möge lange noch fortdrehen, bevor alles um ihn herum in Hunger und Krieg und Elend fällt. Ein Sozialstaat braucht Einnahmen um jeden Preis. Für dieses Interesse waren wir bisher bereit, die Natur auszubeuten, Krieg zu führen und postkoloniale Sklaverei in der dritten Welt zu finanzieren. Wir führen einen humorlosen Standortwettbewerb um die grossen Firmen und die Reichen dieser Welt und sind bereit, wesentliche Grundsätze unserer Rechtsordnung für diese ausser Acht zu lassen. Wer dagegen ankämpft, ist für eine Verarmung unseres Staates. Er wählt einen durchaus ehrenvollen Abstieg, doch ein Abstieg ist es allemal. Indem wir aber den Reichen und den grossen Firmen die Schuld für das Unheil auf dieser Welt geben, waschen wir unsere eigenen Hände in Unschuld. Wir verdrängen dabei, dass es auch unsere Pensionskassen sind, welche von den Gewinnen der verteufelten Firmen abhängig sind, unsere lukrativen Anlagen, mit deren Zins wir uns auch mal Biogemüse leisten, unsere Universitäten, welche durch die Steuereinnahmen von Banken und anderen Konzernen ­f inanziert sind. Wir stecken mit drin. Wie aufwachen aus dieser Apathie? Gut möglich, dass wir uns selbst nicht daraus befreien werden. Allmählich werden sich die Sinne jedoch wieder schärfen, wenn wir unsere Privilegien Stück um Stück verlieren. Vielleicht werden wir uns dann nach den verträumten Jahrzehnten, in denen wir leben, zurücksehnen. Literatur Stéphane Hessel: Indignez-vous!. Montpellier 2011. Florian Hartleb: Die Occupy-Bewegung. Globalisierungskritik in neuer Maskerade. Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin 2012.

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Grenzen im Weltall Ein Gespr채ch mit Prof. Dr. Philipp Theisohn

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Von Philipp Auchter kenntnis, dass wir eigentlich nur von schöpfe mit uns zu tun haben, muss man Herr Theisohn, Sie arbeiten seit diesem dort aus über uns verfügen können. dann Antworten finden – und diese fallen Semester am Deutschen Seminar an Die Identität europäischer Grossmächte über die Jahrhunderte hinweg ganz unter­ ­einem SNF-Forschungsprojekt mit dem war lange dominiert durch die schiedlich aus. Im 18. Jahrhundert gibt es Titel: Conditio Extraterrestris. Das bewohn­Entdeckung und Kolonialisierung fremden Versuch, das mögliche Leben auf an­ te Weltall als literarischer Imaginationsder Länder. Sind die Geschichten über deren Planeten in unsere Schöpfung zu und Kommunikationsraum zwischen 1600 das Weltall einfach andere Kolonialisieintegrieren. Selbst wenn die Bewohner und 2000. Schreiben Sie eine Kulturgerungsphantasien? anderer Planeten höher stehen als wir, ist schichte über Ausserirdische? Im 19. Jahrhundert sind die narrativen es der Auftrag des Alls, uns zu erziehen. Wir beschäftigen uns in diesem Projekt Strukturen meist sehr ähnlich. Es geht je­ Später dann, wenn wir etwa zu Nietzsche weniger mit den Vorstellungen von weils darum, dass eine Macht in ein frem­ gehen, ergibt diese Geschichte überhaupt Ausserirdischen, als vielmehr mit der ­ des Land geht und versucht, die Bevölke­ gar keinen Sinn mehr. Der Planet Erde Konsequenz, die daraus erwächst, dass rung unter ihre Kontrolle zu bringen. Im liegt irgendwo im Weltall; da entstehen wir Ausserirdische in unser Denken und, Unterschied zu den Kolonialgeschichten dann «kluge Tiere» und dann sterben sie da ich Literaturwissenschaftler bin, in die sind in der Ausserirdischen-Literatur wieder und das war’s schon. Die völlige literarische Produktion integrieren. Es ­jedoch nicht selten wir die Besetzten. Die Irrelevanz des Menschen ist also die äus­ geht um eine bestimmte Bewusstseins­ Perspektive wird umgedreht und wir serste Konsequenz der ausserirdischen bildung, die in dem Moment stattfindet, ­lesen von der Angst, selbst überrollt zu Perspektive. Hinzu kommt, dass dann in dem der Mensch davon ausgehen muss, werden. Im ganzen Diskurs wird immer auch die Evolutionstheorie eine gewisse dass ausserhalb der Erde noch andere wieder die Analogie zur Entdeckung Rolle zu spielen beginnt: Vom Weltall aus ­Wesen existieren. Amerikas und der Indianer hergestellt. gesehen stellt sich ein ganz anderer Blick Wann beginnt in Europa das PhantasieMan sagt sich: So kann es sein. Wir wuss­ auf das Erdalter und die planetarische ren über ausserirdisches Leben? ten auch nicht, dass dort etwas ist. Die Evolution ein. Das lässt sich ganz gut festmachen. Bei Frage ist nur: Sind wir Kolumbus oder Der Begriff der Conditio extraterrestris Lukian gibt es zwar auch schon eine sind wir die Indianer? Dabei spielt natür­ bringt man leicht in Verbindung mit der Mondreise, aber ein astronomisch ge­ lich auch der Rassismus eine wichtige Conditio humana. Hat das Phantasieren stütztes Phantasieren und Nachdenken Rolle. In der Literatur des 19. Jahrhun­ über ausserirdisches Leben gibt es Um die tiefsten Bedeutungsschichten derts sind Ausserirdische sehr anthro­ ­eigentlich seit Keplers Schrift­­ pomorph. Sie unterscheiden sich je­ Somnium sive astronomia lunaris, unserer Existenz zu verstehen, weils nur durch bestimmte Merkmale niederge­schrieben 1609. Ein entschei­ muss man unseren Roman der von uns. Ihre Darstellung wird von der dendes Detail liegt dabei darin, dass Menschheit von aussen, aus dem Unsicherheit angetrieben: Können die Kepler zu diesem Zeitpunkt noch nicht was besser, können die was schlechter, durchs Fernrohr blicken konnte, das Weltall heraus, lesen. stehen sie über oder unter uns? Es war erst ein Jahr zuvor erfunden taucht auch immer wieder die Frage auf, über die ausserirdische Conditio auch ­worden, Kepler bekam sein eigenes 1613. ob man sich mit denen vermischen darf. Auswirkungen auf das menschliche In seiner Mondastronomie aber stellt Darf man die eigene Spezies überschrei­ Selbstbild? Kepler seinen Berechnungen einen ­ ten oder nicht? Damit man sich Das würde ich auf jeden Fall sagen. Zum Traum zur Seite, in dem er sich vorstellt, ­verständigen kann, gibt es bei diesen Er­ einen stellt sich für ihn die Frage: Wenn wie das Leben auf dem Mond analog zu zählungen aber immer irgendwo einen wir schon nicht die Krone der Schöpfung unserem Leben sein müsste; wie die Leute Bastard. Als Kreuzung aus beiden Spezies sind, wie weit geht es nach uns noch wei­ dort aussehen, wie die Tageszeiten sind, hat dieses Wesen die Kompetenz, mit bei­ ter? Inwiefern ist unsere Existenz nicht wie sich ihr Kulturleben gestaltet. Diese den Lagern zu kommunizieren und das notwendig, sondern einfach kontingent? Fragen werden also schon seit Anfang des wird genutzt. Wenn bestimmte Bakterien auf einen an­ 17. Jahrhunderts gestellt. Der Ausserirdischen-Diskurs wirft des­ deren Planeten kommen, passiert viel­ Mit der Widerlegung des ptolemäischen halb nicht nur Probleme auf, er hält auch leicht etwas ganz anderes. Aber meine Weltbilds muss sich der Mensch neu oriLösungen bereit. In der Science Fiction Fragestellung geht darüber hinaus. In entieren. Welche Konsequenzen hat das? des 20. Jh. wird es im Grunde möglich, dem Moment, in dem das Planetensys­ Die erste Konsequenz ist natürlich eine Rassen zu denken, ohne in Rassismus zu tem entdeckt wird, stellt sich heraus, massive Verunsicherung. Das Zusam­ verfallen. Die eigentlichen Differenzen dass unser Planet nicht fundamental menbrechen der mittelalterlichen Deu­ verlaufen hier auf ganz anderen Ebenen ­anders ist. In diesem Moment wird die tungssysteme, das nicht plötzlich, son­ als auf der Speziesfrage. Ich kann es Conditio humana, die Antwort auf die dern nach und nach erfolgt, der Zweifel durchaus mit krokodilartigen Wesen zu Frage, was wir eigentlich sind, ins Welt­ an den heilsgeschichtlichen Koordinaten; tun haben oder mit hundeartigen Wesen, all verlagert. Um die tiefsten Bedeu­ das alles hängt mit dem neuen astronomi­ aber entscheidend werden die Unterschie­ tungsschichten unserer Existenz zu ver­ schen Weltbild zusammen. Man merkt, de hinsichtlich der Frage, wie ich Kultur stehen, muss man unseren Roman der dass der Mensch nicht im Zentrum der definiere, wie ich Kommunikation defi­ Menschheit von aussen, aus dem Weltall Schöpfung steht. Die Erde ist nur ein Pla­ niere. Es gibt aber noch einen wesentli­ heraus, lesen. Das meine ich mit ­Conditio net unter mehreren. Aus dieser Erkennt­ chen Unterschied, der im 20. Jh. hinzu­ extraterrestris. Der Versuch, sich diesen nis heraus gibt es nun plötzlich die Mög­ kommt: Eine gute Kolonialgeschichte Raum literarisch anzueignen und zu er­ lichkeit, dass auf anderen Planeten analog bietet die Möglichkeit, dass man sie dre­ schliessen, eine ausserirdische Perspek­ zu unserem ebenfalls Geschöpfe leben hen kann. Es lässt sich irgendwo eine Ge­ tive einzunehmen, verdankt sich der Er­ könnten. Und auf die Frage, was diese Ge­ 13


generzählung aus der Sicht der Einheimi­ schen finden: ein Konterdiskurs. Das Problem bei den extraterrestrischen Er­ zählungen ist nun, dass wir von dort ja eigentlich kein Zeugnis haben. Es gibt keine Geschichte von Seiten der Aliens, weil wir dieses Alien immer erst konstru­ ieren müssen. In dieser Konstruktion ­erhalten wir die Möglichkeit, Begegnun­ gen mit dem Fremden zu virtualisieren und durchzuspielen. Man kann sowohl den eigenen Rassismus durchspielen als auch ihn unterlaufen. Man kann die eige­ ne Naivität durchspielen und sie unterlau­ fen. Man kann sich überhaupt die Lévinas’sche Frage stellen, inwiefern wir den Anderen überhaupt sehen können, oder ob er völlig verstellt ist von den Kate­ gorien, die wir ihm entgegenhalten. Unsere Kultur stösst hier an ihre Grenzen. Wann beginnt der Mensch, seine Grenzen als unüberwindbares Hindernis zu begreifen? In dem Moment, in dem das Sonnensys­ tem auftaucht, ist dieser Raum im Grun­ de für die Phantasie begehbar. Die Plane­ ten lassen sich verorten: Der Mars ist hier und der Mond da. Das lässt uns Schlüsse ziehen. Wenn wir der Sonne nah sind, müssen unsere Körper eine bestimmte Beschaffenheit haben, sonst würde die Sonne uns auszehren. Wenn wir weiter weg sind, werden andere Eigenschaften relevant. So lässt sich das durchrechnen und durchspielen. Der Phantasie sind kei­ ne Grenzen gesetzt, selbst wenn wir den Raum technisch nicht erschliessen kön­ nen. Die grossen Brüche beginnen in dem Moment, in dem es über das Sonnen­ system hinausgeht. Seit Hubble wissen wir, dass es unschätzbar viele Galaxien gibt, die sich immer weiter voneinander wegbewegen. Und in dem Moment wird uns klar: Diese Grenzen sind für uns un­ überwindbar. Es ist für uns etwas, was wir gar nicht denken können. Das sind nicht nur technische Grenzen, sondern über­ haupt Bewusstseinsgrenzen, denen wir uns aussetzen. Im planetarischen System lassen sich noch Analogien ziehen. Ana­ logien sind etwas harmloses. Analogien sind nie Grenzen. In einem unendlichen Raum von Galaxien müssen wir aber von unendlichen Existenzformen ausgehen. Wenn es unser Ziel ist, mit denen in Kon­ takt zu treten – und die Frage ist, warum es das eigentlich sein soll – dann stossen wir an Grenzen. Das sind einerseits mal die Grenzen von Raum und Zeit. Viel­ leicht gab es mal intelligentes Leben, mit denen wir hätten kommunizieren kön­ nen, aber die sind schon längst nicht mehr 14

da oder sie liegen zu weit weg. Das inter­ essantere Problem liegt aber in der Kom­ munikation. Die Grenze fängt da an, wenn ich mich darüber unterhalten muss, was ist eigentlich ein Zeichen? Wie kann ich eigentlich erkennen, dass mir jemand eine Nachricht zukommen lassen will? Wie kann ich mit der maximalen Abstrak­ tion in einem Raum, in dem es so unend­ lich viele Kommunikationsmöglichkeiten wie Wesensexistenzen gibt, sicher stellen, dass etwas als Zeichen wahrgenommen wird und gleichzeitig auf mich verweist? Das sind semiotische Grenzen, Grenzen der Bedeutungsfindung. In den Kolonialgeschichten lasssen sich mit den Eingeborenen jeweils bestimmte Codes abmachen, worauf diese reagieren müssen. Im Kontakt mit den Ausserirdi­ schen stellt sich die Frage grundsätzli­ cher: Nehmen die uns wahr? Denken die? Interessieren die sich für uns? Sehen die uns? Das sind Grenzen, die im Grunde nicht überwindbar sind. Und dieses Be­ wusstsein setzt eine völlige Abkehr von jedem anthropozentrischen Denken vor­ aus. Im Anthropozentrismus funktioniert alles analog oder zumindest auf uns zu. In dem Moment, in dem man merkt, dass wir uns irgendwo an der Peripherie einer beliebigen Galaxie befinden, wird das hinfällig. Im jüngsten Roman von Laurent Gene­ fort, Points chauds, wird die Erde von den Ausserirdischen auf einmal als Transit­ bahnhof gebraucht. Es tun sich Löcher auf, dann kommen Aliens, sie gehen durch die Gegend und verschwinden ir­ gendwo. Das Problem ist, dass sie nicht mit uns kommunizieren und sich auch überhaupt nicht für uns interessieren. Auf einmal müssen wir uns die Frage gefallen lassen, was unsere Erwartungen an das Andere eigentlich mit den Anderen zu tun haben. Vielleicht ist es gar nicht not­ wendig, dass die etwas von uns wollen. Vielleicht brauchen die uns gar nicht. Lassen Sie uns ein wenig spekulieren. Vorausgesetzt, dass sich in den Ausserirdischen-Erzählungen etwas über unser Selbstbild herausfinden lässt, welche Tendenzen liessen sich dann für die Zukunft des europäischen Denkens ableiten? Wenn wir von der 1., 2. und 3. Welt spre­ chen, haben wir das Problem eigentlich schon auf dem Tisch. Es könnte sein, dass sich in diesem Jahrhundert nicht nur die Hierarchien verkehren, sondern dass un­ ser globalisiertes Denken an ein Ende kommt. Wir haben schon heute ein Global Network, aber es gibt welche, die dieses Global Network herstellen, und andere,

die daran angeschlossen sind. Die Hierar­ chie bleibt bestehen. Der letzte Roman von Reinhard Jirgl: Nichts von euch auf Erden erzählt vom Exodus der Menschen auf den Mars. Nur ein paar wenige sind auf der Erde übrig geblieben. Aus der Mars­ perspektive wird nun geschildert, was ge­ schehen ist. Man hat tatsächlich gemerkt, dass dieses One-World-Denken eigentlich nichts ist. Jeder Kontinent braucht seine Grenzen und zwar an der Küstenlinie. Es gibt fünf Territorien, die miteinander nicht kommunizieren und nichts mitein­ ander zu tun haben. Die Machtgefälle ­fallen komplett auseinander. Die Erzäh­ lung rüttelt an Universalvorstellungen, die grosse Nationen wie Amerika immer noch hochhalten. In europäischen Kolonialgeschichten liegt die Hauptüberschätzung jeweils in der Annahme, dass die anderen uns brau­ chen. Es ist eine Rechtfertigungsstrategie. Wir gehen irgendwo hin, würden aber nie sagen, dass wir die Rohstoffe brauchen, sondern wir gehen dahin, weil die ande­ ren uns brauchen. Sie haben keine Kultur, keine Technik, kein Geld, keine politische Ordnung, deswegen sind wir da. Wenn wir uns verantwortlich fühlen, stellt sich die Frage: Ist das jetzt compassio, oder ha­ ben wir das Gefühl, dass es im Grunde unser System ist. Die Alien-Erzählungen bieten die Gelgenheit, genau diesen Punkt zu reflektieren. Gibt es ein Recht auf Desinteresse? Das wäre ein Punkt, wo sich eine Einsicht des Weltalls auf die Erde übertragen könnte. Philipp Theisohn, geboren 1974, studierte Neuere Deutsche Literatur, Medävistik und Philosophie in Tübingen und Zürich. Er promovierte in Jerusalem und Tübingen und ist heute Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Zürich. Zahlreiche Publikationen zur deutschen und europäischen Literatur­ geschichte vom 13. bis zum 21. Jahrhundert, insbesondere zum literarischen Zukunfts­ wissen, zur Vorstellung des literarischen Eigentums und zur jüdischen Kulturpoetik.


«Jetzt eben, wie ich schnell bedacht, Ist klassische Walpurgisnacht»

V.6950 ff.

Abendländische Grenzen in Goethes wiederbelebtem Altertum

Von Luca Thanei Goethes Faust, der Tragödie erster (1808) und zweiter Teil (1832), gehört seit jeher zum festen Bestandteil des europäischen Literaturkanons: ein Klassiker und dem Klassiker auch gerecht werdend, eher ­gerühmt als gelesen. Der Tragödie zweiter Teil gilt als wesentlich komplexer als sein Vorgänger; der thematische Horizont und die intertextuellen Bezüge sind weiter g ­ efasst. Nach Goethe muss man «einen solchen Mann [Faust], in höheren Regionen, durch würdigere Verhältnisse durchführen». Doch bleibt der zweite Teil grösstenteils unverstanden, ein Spiel transpersonaler Weltverhältnisse und Vor­gänge, das noch im Todesjahr Goethes erschienen und dem Lese- und Theaterpublikum somit seit mehr als 150 ­Jahren bekannt ist. Jene «höhere, breitere, hellere, leidenschaftslosere [...]» (Goethe

an Johann Peter Eckermann) und damit – nach Goethe – zeitlose Welt wird heute, so Dorothea Hölscher-Lohmeyer, nur im historischen Kontext verstanden und bleibt insofern auch bloss historisch, ohne dass dieser Weltentwurf jemals auf seine aktuelle Bedeutung hin befragt worden wäre, was sie selbst bedauert. Im Mittelpunkt des zweiten Aktes, an dem Goethe wohl seit dem Frühjahr 1826, konzentriert dann ab Herbst 1827 arbeitete und den er mit dem Jahresende 1830 abgeschlossen hatte, steht der weitläufige Szenenkomplex der «Klassischen Walpurgisnacht»: ein an den Jahrestag der Schlacht bei Pharsalos (48 v. Chr.) geknüpftes, kultisch sich wiederholendes, antikes Welterlösungsfest. In ihm entfaltet er eine grenzenlos anmutende Figuren- und Geschehnisfülle eines von ihm

beabsichtigten «wiederbelebten Altertums» (Goethe an Carl Ludwig Iken). Diese Fülle ist weder durch ein textimmanentes Strukturprinzip begrenzt, noch untersteht sie den Kriterien des Notwendigen im Text, sondern bestenfalls jenen des Zumutbaren gegenüber dem Publikum. So schreibt Goethe an Eckermann, «dass die klassische Walpurgisnacht zu Stande gekommen, oder vielmehr in’s Grenzenlose ausgelaufen ist». In diesen offenen Text des zweiten Akts verschlägt es drei aus dem neuzeitlichen Abendland kommende Luftfahrer: Faust, Mephisto und den künstlichen Menschen Homunkulus, die jeweils ein «eigen Abenteuer» (V. 7065) durch das vielschichtige Szenengewebe suchen, ihm jedoch mit einiger Unsicherheit begegnen. Bereits durch die ersten Wolkenlü15


cken bietet sich den drei Ankömmlingen ein Blick auf das altertümliche Geschehen auf griechischem Boden: «Schwebe noch einmal die Runde / Über Flammund Schaudergrauen; / Ist es doch in Tal und Grunde, / Gar gespenstisch anzuschauen» (V.7040 ff.), bemerkt der Homunkulus bereits aus weiter Ferne. ­ Und Faust, unmittelbar nach der ­L andung: «Ich fühlte gleich den Boden wo ich stand; / Wie mich, den Schläfer, frisch ein Geist durchglühte. / So steh’ ich, ein Antäus an Gemüte. / Und find’ ich hier das Seltsamste beisammen, / Durchforsch’ ich ernst dies Labyrinth der Flammen» (V.7075 ff.). Ähnliche Worte zur Umgebung der pharsalischen Felder findet auch Mephisto: «Und wie ich diese Feuerchen durchschweife, / So find’ ich mich doch ganz und gar entfremdet, / Fast alles nackt, nur hie und da behemdet: / Die Sphinxe schamlos, unverschämt die Greife, / Und was nicht alles, lockig und beflügelt, / Von vorn und hinten sich im Auge spiegelt... / Zwar sind auch wir von Herzen unanständig, / Doch das Antike find’ ich zu lebendig: / Das müsste man mit neuestem Sinn bemeistern / Und mannigfaltig modisch überkleistern.» (V.7080 ff.). Die Zitate weisen auf etwas voraus, das im weiteren Verlauf des Szenenkomplexes wiederholt gezeigt wird: Die drei ­Figuren aus dem Okzident fühlen sich in Goethes Konzeption eines wiederbelebten Altertums fremd. Sie verstehen die Figuren- und Geschehnisfülle um sich herum nicht und werden von den unzähligen Greifen, Nymphen, Pygmäen, ­Daktylen, Imsen, Kranichen, Lamien, ­Sirenen, Phorkyaden, Nereiden, Tritonen, Telchinen etc. auch nicht als Gleichwertige ins Welterlösungsfest eingebunden. In diesem Bruch, der durch das Figurenensemble verläuft, wird nicht nur ein Kontrastverhältnis zur Szenengruppe der nordischen Walpurgisnacht auf dem ­ Blocksberg im ersten Teil geschaffen, die drei Luftfahrer werden darin offensichtlich auch mit den Grenzen ihrer abendländischen und neuzeitlichen Herkunft konfrontiert. Um der Begrenzungen der Ankömmlinge habhaft zu werden, bedarf es einer Klärung des Begriffes ‹klassisch›, in dem Faust, Mephisto und Homunkulus in der klassischen Walpurgisnacht wohl oder übel gelandet sind. Der Szenentitel «Klassische Walpurgisnacht», wird interessanterweise von einer der Figuren gleich selbst angekündigt: «Jetzt eben, wie ich schnell bedacht / Ist klassische Walpurgis16

nacht» (vgl. V. 6950), verkündet Homunkulus kurz nach seiner Entstehung in der vorangehenden Laboratoriumsszene. Er setzt damit von Beginn weg den Begriff ‹klassisch› in Gegensatz zu Mephistos ‹nordischer› Walpurgisnacht am Blocksberg: «Nordwestlich, Satan, ist dein Lustrevier; / Südöstlich diesmal aber segeln wir – / An grosser Fläche fliesst Peneios frei, / Umbuscht, umbaumt, in still’ und feuchten Buchten, / Die Ebne dehnt sich zu der Berge Schluchten, – / Und oben liegt Pharsalus alt und neu. » (V. 6950ff.). Die Worte des Homunkulus verorten die klassische Walpurgisnacht im antiken Griechenland, was scheinbar nicht mehr als eine rein zeitlich-geographische ­Bestimmung des fernen Schauplatzes ist. Albrecht Schöne hebt in seinem ­Kommentar hervor, dass der Begriff ­‹klassisch› nicht über eine zeitlich-geographische Abgrenzung hinausgehe, also nicht etwa auf die Vorstellung eines klassischen Altertums der olympischen Götter und homerischen Heroen verweise. Diese bleiben dem Geschehen des zweiten Akts auch tatsächlich allesamt fern, und so konstatiert der abendländische Hexentreiber Mephisto zunächst scheinbar zu Recht eine gewisse Verwandtschaft zwischen nordischer und klassischer Festgesellschaft: «Es ist ein altes Buch zu blättern: / Vom Harz [Schauplatz der nordischen Walpurgisnacht] bis Hellas immer Vettern.» (V. 7742) Doch wie lässt sich das eingangs angesprochene Unbehagen der drei Figuren in der klassischen Walpurgisnacht erklären, wenn das Kontrastverhältnis zwischen den beiden Walpurgisnachtsfesten einzig auf eine zeitlich-geographische Abgrenzung zurückgeht? Es ist eben nicht nur ein zeitlich-geographischer Schauplatzwechsel, mit dem die drei Hauptfiguren konfrontiert werden. Vielmehr wird in der scheinbar grenzenlosen Figuren- und Geschehnisfülle auf den pharsalischen Feldern das dionysische Treiben zu einer künstlerischen Macht erhoben, die der Vorstellung olympischer Götter und homerischer Heroen entgegengesetzt ist. In gewisser Weise präfiguriert Goethe damit ein Antikebild, dass in der Philosophie fortgeschrieben werden wird, nämlich bei Friedrich Nietzsche in seinem Manifest über die Polarität der dionysischen und apollinischen Kunstkräfte, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik: «Der Grieche kannte und empfand die Schrecken und Entsetzlichkeiten des Daseins: um überhaupt leben zu können, musste er vor sie hin die

glänzende Traumgeburt der Olympischen stellen.» Erst durch das «Flamm- und Schaudergrauen» dieses Dionysischen wird der Einzelne, nach Nietzsche, also zur Erzeugung einer Vision gedrängt, die ihn die Schrecken und Entsetzlichkeiten des Daseins ertragen lassen. Statt einer naturverbundenen, schöngeistig apollinischen Götterwelt der Griechen zu begegnen, werden Faust, Mephisto und der Homunkulus in Goethes wiederbelebtem Altertum an dessen wollüstigen und grausamen Wurzeln geführt. Im unüberblickbaren Übermass des dionysischen Treibens, gezielt getragen durch den Überfluss in der Darstellungsweise der Szene, enthüllt sich den Protagonisten und dem Lesepublikum eine Wahrheit, die eine auf Mässigung gebaute und künstlich gedämmte Götter- und Heroenvorstellung zu untergraben versteht. Goethe entzieht mit der klassischen Walpurgisnacht den Antikevorstellungen des vorherrschenden Bildungswissens den Boden; er öffnet das Fass masslosen Treibens und konfrontiert – den Figuren gleich – die Leserschaft mit der Unbeherrschbarkeit des Dionysischen und der damit verbundenen Frage der Grenzziehung zwischen dem Formlosen, Rauschhaften und der Konvention eines räumlich-zeitlich begrenzten, empirischen Wissens. Im Sinne Hölscher-Lohmeyers Kritik an der Historisierung des zweiten Teils lässt sich abschliessend anfügen, dass sich dessen Lektüre – in Anlehnung an Goethes Versuch die Figur Faust aus dem Dionysischen zu führen – daran zu messen hat, wie man die Unbeherrschbarkeit der klassischen Walpurgisnacht einzuschränken gedenkt; mit welchen Mitteln man der Unverständlichkeit des zweiten Aktes Grenzen setzen möchte. Einer Aktualisierung des Faust Verständnisses und der Herausführung seines Protagonisten in ein gegenwärtiges Wissen bieten sich dazu viele Ansatzpunkte. Literatur Schöne, Albrecht (Hg.): Johann Wolfgang Goethe; Faust. Texte und Kommentar, Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main, 2005 Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, Insel/Suhrkamp Verlag, Berlin, 2000 Hölscher-Lohmeyer, Dorothea: Natur und Gedächtnis. In: Keller, Werner (Hrsg.); Aufsätze zu Goethes Faust 2, Wiss.Buchges., Darmstadt, 1992


Schweres pazifisches Erbe Von Aurel Sieber Einem jener kindischen Impulse folgend, die seit jeher stark in mir zu wirken wussten und sich dezidiert auf die Anreicherung von unnützem Wissen spezialisierten, begab ich mich auf die Suche nach einer Karte, die das Gebiet der derzeitigen Europäischen Union in einheitlicher Farbe darstellt und dabei deutlich vom Umland abhebt. Ziel war es, einfach mal zu sehen, ob sich – analog zum Stiefel Italiens – am Umriss der Grenze irgendeine Form ablesen liesse. Und siehe da, die EU ist eine Krabbe! Und zwar gehört sie augenscheinlich zu einer jener Krebsarten, bei denen die eine Schere aus unerfindlichen Gründen bedeutend grösser als die andere ausfällt. Während nämlich die rechte Schere mit Schweden und Finnland sich gross und mächtig zu gebaren scheint, fällt die linke – repräsentiert durch das Vereinigte Königreich – etwas verkümmert aus. Etwaige Analogien zum Stand dieser Länder innerhalb der Union müssen wohl dem Zufall zugeschrieben werden. Einmal auf den einschlägigen Seiten angelangt, wurde ich wieder einmal daran erinnert, dass die EU Gebiete einschliesst, die weit vom politischen Zentrum Europas entfernt liegen. Einmal um den halben Globus muss man schippern, um mit Neukaledonien und Französisch-Polynesien an die Grenzen des politischen Europas zu gelangen. Da diese zu Frankreich gehören und Frankreich Mitglied der EU ist, werden diese im europäischen Parlament vertreten. Seit 2009 waltet Maurice Ponga, gebürtiger Neukaledonier, dieses Amtes. Während eines flüchtigen Blicks in das politische Schaffen von Herrn Ponga, taten sich mir scheinbar ganz von selbst eine ungeahnte Fährte und das Thema dieser kleinen Schrift auf.

Menschenwürde in Gefahr Am 10. April 2013 reichte Maurice Ponga zusammen mit seiner Kollegin vom französischen Festland Christine De Veyrac der Kommission des Europäischen Parlaments eine Frage ein mit dem tiefschürfenden Titel: «Possible atteinte aux principes de non-discrimination et de respect de la dignité humaine» (Parlamentary question E-004036/2013). Diese Überschrift lässt nichts Gutes erahnen, deutet sie doch auf eine Gefährdung der allerheiligsten Grundsätze unseres westlichen Demokratiedenkens hin.

Ein Kilogramm Gepäck kostet genau gleich viel wie ein Kilogramm Passagier. Die Frage ans Parlament beschäftigt sich mit nichts Geringerem als dem neu eingeführten Tarifsystem der verschwindend kleinen Fluggesellschaft Samoa Air. Diese vermochte in den weltweiten Medien einige Wellen zu schlagen, geht sie doch ungeahnt neue Wege: Ein Flugticket wird nicht mehr pro Sitz abgerechnet, sondern pro Kilogramm. Der Preis steht neu also in einem direkt proportionalen Verhältnis zur Gürtelweite des Reisenden. Ponga und De Veyrac sehen in diesem Tarifsystem sowohl eine Diskrimination, die in der Charta der Grundrechte der EU in jeglicher Form verboten wird (Art. 21), als auch einen Verstoss gegen die Menschenwürde im Allgemeinen (Art. 1). Da die ­samoanische Airline mit Wallis und Futuna zwei Inseln von Französisch-Polynesien anfliegt und dessen Einwohner Ponga zufolge vollumfängliche Bürger der ­ ­Europäischen Union darstellen, habe das Europäische Parlament sich zu fragen,

welche Sanktionen die europäische Legislation für einen solchen Verstoss ­ bereithalte (vgl. Parlamentary question ­ E-004036/2013).

A Kilo is a Kilo is a Kilo Wie kommt es dazu, dass eine kleine Fluggesellschaft mit nur drei Leichtflugzeugen ein gewichtbasiertes Tarifsystem einführt? Handelt es sich dabei einfach nur um eine Strategie zur Gewinnmaximierung? Oder handelt es sich, wie der eine oder andere Journalist vermutete, hierbei um eine erzieherische Massnahme, die der starken Übergewichtigkeit auf den pazifischen Inseln entgegen zu wirken versucht? Die Gründe sind wohl eher pragmatischerer Natur. Die Tragekapazität der kleinen Flugzeuge des Typs Britten-Norman BN-2, die eigentlich Platz für zehn Insassen bereithalten, stossen bei Übergewicht schnell an ihre Grenzen. Flüge mit durchwegs schwereren Passagieren werden deshalb unrentabel. Ein möglicher Ausweg wäre, die Kosten pro Sitz zu erhöhen. Doch dann zahlen Normalgewichtige und vor allem Familien mit Kindern für die Übergewichtigen. Aus diesem Grund haben sich die V ­ erantwortlichen bei der Samoa Air dafür e­ ntschieden, nur noch per Gewicht ­abzurechnen, denn – wie es auf der Internetseite der Airline in etwas unsicherem Englisch heisst: «remember that we always have seats but it’s all about weight». Das gilt übrigens auch fürs Gepäck. Ein Kilogramm Gepäck kostet genau gleich viel wie ein Kilogramm Passagier. So lautet der Leitspruch von Samoa Air: A Kilo is a Kilo is a Kilo. Ob diese Strategie tatsächlich die fairste ist – wie die Airline behauptet –, darüber liesse sich wohl strei17


ten. Fest steht, dass sie die Kosten da wieder einzuspielen versucht, wo sie entstehen. Die Flugzeuge, die zu Beginn der sechziger Jahre konzipiert wurden, sind beim heutigen Durchschnittsgewicht der Samoaner nämlich schlicht nicht imstande, die volle Anzahl an Passagieren mitzuführen. Die Situation ist drastisch: Die samoanische Bevölkerung belegt mit einem Anteil von 80% Übergewichtigen bei den über 15-Jährigen regelmässig einen Spitzenplatz in der Liste der ‹dicksten› Länder. Und damit hat Samoa im Pazifik keine Sonderstellung inne: Acht der zehn Länder mit dem höchsten Anteil an Übergewichtigen gehören zu den pazifischen Inseln. Herzkreislauferkrankungen und Diabetes sind hier an der Tagesordnung. Während das Gewicht der Passagiere für die Samoa Air also einen entscheidenden Wirtschaftlichkeitsfaktor darstellt, liegt der Fall bei den Airlines mit grossen Flugzeugen etwas anders. Bei diesen ist nicht vordergründig das Gewicht entscheidend, sondern der Platz. Wenn einzelne Fluggesellschaften schwer übergewichtige Passagiere einen zweiten Sitz kaufen lassen, dann geschieht das nicht, weil diese zu schwer wären, sondern weil sie zu viel Platz benötigen. Indessen liesse sich a­ rgumentieren, dass das Gewicht als Approximation für den Platzbedarf eines Passagiers gelesen werden kann, doch der Unterschied bleibt bestehen: Wenn das Gewicht nämlich nicht der limitierende Faktor darstellt, aber doch nach ihm abgerechnet wird, besteht die Gefahr, dass ein Geschäft mit übergewichtigen Passagieren entsteht. Vielleicht waren es solch bizarre Szenarien, die Maurice Ponga dazu bewegten, die Sache vors Europäische Parlament zu bringen. So gut die Intention dabei auch war, die eben gemachten Ausführung zeigen, dass die erhobenen Vorwürfe der Diskrimination nicht die pragmatischen Umstände berücksichtigen, unter denen das Tarifsystem entstand. Die Befürchtung, dass sich grosse Airlines in Zukunft etwas vom Geschäftsmodell der Samoa Air abschauen könnten, ist aufgrund der Tabuisierung von Übergewichtigkeit und den damit potentiell einhergehenden Imageschäden in der westlichen Welt ohnehin im höchsten Masse unwahrscheinlich.

Keine Verantwortung Die Grenzen Europas sind schwer zu ziehen. So schwer, dass sich nicht einmal Maurice Ponga, der Abgeordnete der Pa18

zifischen Inseln im Europäischen Parlament im Klaren darüber ist, welche Rechte ihm und seinem Volk zustehen. Er begründete seine Frage ans Parlament wie bereits erwähnt damit, dass die Bewohner Französisch-Polynesiens Bürger der EU seien und ihnen somit deren Rechte zustünden. Das Komitee antwortete allerdings mit der Erklärung, dass zur betreffenden Frage keine Stellung genommen werden könne, da FranzösischPolynesien nicht Mitglied der EU sei: «French Polynesia is only subject to the special arrangement for association set out in Part Four of the Treaty on the Functioning of the EU» (Parlamentary question E-004036/2013). Wie konnte Ponga übersehen, dass Französisch-Polynesien nur im Status eines POM (Pay d’outre Mers) steht und nicht in jenem eines DOM-ROM (Département d’outre-mer et région d’outre-mer), den es

Der Preis steht neu also in einem direkt proportionalen Verhältnis zur Gürtelweite des Reisenden. benötigte, um ordentliches Mitglied der EU zu sein? POM und DOM-ROM sind übrigens nicht zu verwechseln mit den drei unterschiedlichen COMs (Collectivité d’outre-mer), von denen nur das eine (Saint-Martin) zur EU gehört. Vom Spezialfall CSG (Collectivié sui generis) soll nun gar nicht erst die Rede sein. — Es wird offenkundig, die Grenzen Europas sind in der Tat schwer zu ziehen. Die nüchterne Antwort des Komitees, die absolut keine Interpretation hinsichtlich einer Bewertung des Tarifsystems als diskriminierend zulässt, verwundert einen Laien wie mich. Es ist dabei weniger die Neugierde auf die Einschätzung des Komitees als viel mehr der Umstand, dass selbst bei Grundrechten eine solch klare Trennung gemacht wird: Gehört ein Land nicht dazu, wird geschwiegen – selbst wenn dieses Land von sich aus um Aufklärung bittet und doch immerhin in einem gewissen Verhältnis zur EU steht. Und es verwundert um so mehr, wenn man den Ursachen dieses Problems auf die Spur geht. Warum wohl kämpfen pazifische Völker so ausnahmslos gegen Übergewicht? Die Kolonisation der Inseln durch westliche Mächte verdrängte deren eigentümliche Kulturen, deren Essgewohnheiten, deren Bewegungsverhalten etc. nach dem Zweiten Weltkrieg katapultierten die militärischen Grossmächte die indigenen

Völker innert kürzester Zeit ins 20. Jahrhundert und ermöglichten ihnen einen westlichen Lebensstil, der sie heillos überforderte. Sie sahen sich von wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften überrumpelt, an die sich die westliche Zivilisation über lange Zeit ­allmählich gewöhnen konnte. Die Besetzer beuteten die natürlichen Roh­ stoffe der Inseln aus, was das Land un­fruchtbar werden liess und die Bevölkerung von Nahrungsmittelimporten abhängig machte: Fleisch und Gemüse aus der Konserve, Softdrinks, Mehl, Reis. An den hohen Energiegehalt solcher Nahrung waren sich die Inselbewohner, die sich bis anhin vornehmlich von Fisch und Früchten ernährten, nicht gewohnt. Die Folgen der daraus resultierenden Fehlernährung sind gravierend und stürzten die Inselbewohner in eine neue Abhängigkeit. Denn mit den ungesunden Lebensmitteln muss das Insulin gleich mit importiert werden. Sind die Befürchtungen, dass dereinst ein Geschäft mit Übergewichtigen entstehen könnte in einem Gebiet, in dem beinahe jeder zweite Insulin braucht, nicht schon längst Realität? Woher stammen wohl die hoch technologisierten medizinischen Gerätschaften und Medikamente zur Behandlung der unzähligen Komplikationen, die starke Übergewichtigkeit mit sich bringt? Die Bemühungen, dem Übergewicht Einhalt zu gebieten, werden durch die Tatsache erschwert, dass Körperfülle bei pazifischen Völkern traditionell positiv bewertet wird. Womöglich hat das damit zu tun, dass bei ständiger Nahrungsmittelknappheit ein wohlgenährter Körper ein Zeichen von hohem gesellschaftlichem Status darstellte. Eine andere Theorie besagt jedoch, dass alte pazifische Völker geschickte Seefahrer waren, die mit Kanus mehrwöchige Reisen zwischen den Inseln unternahmen (vgl. Curtis 2004: 38). Diese Fahrten waren allerdings so beschwerlich, dass nur die Bestgenährten unter ihnen überlebten. Es liegt eine bittere Ironie darin, dass den Inseleinwohnern heutzutage jener Faktor, der ihren Vorfahren noch das Überleben sicherte, teuer zu stehen kommt. Literatur Curtis, Michael: The Obesity Epidemic in the Pacific Islands. In: Journal of Development and Social Transformation. Volume 1, November 2004.


Gang durch Dantes «Unterwelt» – Die Almannagjá Fotografie ohne Urheberrechtsangaben aus Baumgartners Publikation

Als Ausgegrenzter unter Verlassenen Ein Schweizer Jesuit und Literaturhistoriker in Island

Von Benedikt Tremp Wie «ein grausamer Spott des Schicksals» erscheint es dem Schweizer Jesuiten Alexander Baumgartner zunächst, als er sich im Juni 1883 entschliesst, einen Ordensbruder auf dessen missionarischen Reise in den hohen Norden zu begleiten: Nach Island, ausgerechnet Island, dem so weit fernab liegenden Inselstaat, wo das Leben ärmlich, die Natur ungebändigt und hart, die katholische Gemeinde unter

dem Druck der lutherischen Übermacht beinahe ganz untergegangen ist. Handkehrum reizt den Geistlichen die Aussicht, diesen «Verlassenen und Betrübten», und seien es noch so wenige, Trost spenden zu können. Auch steht ihm der Sinn danach, die Isländer, deren einfache Lebensweise in Kontinentaleuropa noch sehr gerne belächelt, wenn nicht verspottet wird, zu rehabilitieren. Dies in-

dem der Bericht, den er anlässlich seiner Reise verfasst, nicht so sehr auf die materiellen Grundlagen und damit notwendigerweise Rückständigkeit, sondern vielmehr auf das ansprechende kulturelle, auf einer reichen literarischen Tradition bauende Leben der isländischen Gesellschaft eingeht. Ein nahe liegender Entscheid für den aus St. Gallen stammenden Baumgartner, der zu den führenden 19


katholischen Literaturhistorikern seiner Zeit zählt und u.a. für biographische Werke zu Goethe, Lessing oder H.W. Longfellow verantwortlich zeichnet. Seine Reiseskizzen Island und die Färöer erscheinen erstmals 1889 und werden dank grossem Zuspruch zweimal neu aufgelegt. Heute hingegen sind Autor und Werk weitgehend vergessen.

Deutsche Island-Bilder

gegrenzter: Seit der Bundesverfassung von 1848 und einem von Bismarck anlässlich des Kulturkampfes erlassenen Sondergesetz (1872) sind Aktivitäten der Jesuiten, die vor allem aufgrund ihrer strengen Rom-Hörigkeit in einem schlechten Ruf stehen, in der Schweiz und dem deutschen Kaiserreich verboten. Die Voraussetzungen zu einer Identifikation mit diesen jungen Nationalstaaten sind also nicht gegeben. Als Botschafter seines Ordens ist es Baumgartner ein wichtiges Anliegen, der beinahe ausschliesslich lutherischen ­Bevölkerung Islands den Argwohn gegenüber dem Jesuitentum und Katholizismus zu nehmen. Obschon auf der Insel seit wenigen Jahren Religionsfreiheit herrscht, glaubt er sich häufig mit Einheimischen konfrontiert, die sich «unter katholischen Geistlichen offenbar eine ­ Art von gefährlichen Ungetümen» mit bösartigen Hexenkünsten vorgestellt hät-

bensverband mit dem übrigen Europa» weitgehend aufgelöst. Unter dem Joch des «lutherische[n] Cäsareopapismus» habe die obrigkeitliche Förderung des Geisteslebens Islands stark abgenommen: «[N] iemand hatte mehr Lust zu guten Werken, am wenigsten zu solchen, die Geld kosteten.» Gleichzeitig habe die seit dem Spätmittelalter bestehende dänische ­Hegemonie Island sowohl in politischer wie wirtschaftlicher Hinsicht geschadet: Durch Auflösung des Althings, einer der ersten (quasi-)parlamentarischen Regierungen Europas, sowie die Verhängung eines Handelsmonopols um 1602 – beides erst 1874 durch die erste isländische Verfassung rückgängig gemacht.

Die Geschichte der deutschsprachigen Island-Rezeption hebt an mit einer Betrachtung in Adams von Bremen Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum (um 1075) und einer Phase mystischer Verklärung, in welcher die Insel im Norden zum Ende der diesseitigen Welt, die Feuer Überall Poesie speiende Hekla etwa zum Tor zur Hölle stilisiert wird. Die immer gleichen Bilder Die Isländer jedoch seien stets standhaft des Schreckens vererben sich über Jahrgeblieben, hätten es immerzu verstanden, hunderte hinweg von Schreiber zu Schreidas eigene kulturelle Erbe gegen die verber, doch kaum je einer unter ihnen derblichen Einmischungen von ausBaumgartners […] Reiseepos hat die Insel mit eigenen Augen erlebt. sen zu bewahren. Kaum ein anderes Aufklärung und Humanismus führen Volk in Europa sei «so gut in seiner alist symptomatischer Ausdruck der sodann zu einer Säkularisierung des ten Geschichte, seinen Sagen und wachsenden Begeisterung am Island-Bildes: Die alten SchauergeÜberlieferung zu Hause» und habe schichten weichen einem verstärkten isländischen Geistesleben gegen Ende sich dabei derart «von Ausländerei des 19. Jahrhunderts. Interesse an primär ökologischen und fern gehalten.» ökonomischen Sachverhalten. Die RoÜberhaupt beeindruckt Baumgartner ten, ehe sie im Umgang mit ihm und seimantiker wiederum tragen entscheidend kaum etwas stärker an Island als die nen Reisegefährten vielfach eines Bessezu einer Umwertung der Natur Islands scheinbar allgegenwärtige poetische ren belehrt worden seien. An solchen bei, ähnlich derjenigen der Alpen: Was Durchdringung seiner Gesellschaft: ImStellen verweist Baumgartner energisch einst als öde und schreckhaft betrachtet mer wieder berichtet er staunend von der auf den verderblichen Einfluss, den der wurde, gilt im 19. Jahrhundert in der ReBelesenheit auch der einfachsten LandbeLutherismus auf die isländische Volksgel als schön und erhaben. Ausserdem wohner, davon, dass er selbst an den unseele besessen haben und immer noch wächst mit dem zunehmenden Interesse möglichsten Orten kleine aber feine Bóbesitzen soll. an der eigenen deutschen Nationalidentikasöfn (Bibliotheken) entdeckt, etwa auf tät auch dasjenige an der Geschichte und der winzigen Insel Flatey, in einer schäbiKultur des «germanischen Brudervolks» gen Holzbaracke «zwischen Krabben und Islands. Diese nationalistische VerbunSeeigeln, Stockfischen und Eidergänsen, Dänemark und denheit mit den Isländern kulminiert in Meer und Fels». Von den zahlreichen litedie Reformation der bedauerlichen rassenideologischen rarischen Schöpfungen der Insel zeigt Vereinnahmung durch den Nationalsozisich der Schweizer, seinem Metier entFür den Jesuiten ist die 1550 von Dänealismus, die das Land der Vulkane und sprechend, begeistert; Exkursen zur eddimark «aufgedrungene» Reformation Geysire zu einer Wiege der arischen Herschen, Saga- und Skaldendichtung widhauptverantwortlich für den kulturellen renrasse proklamiert. met er grosse Teile seines Berichts, und gesellschaftlichen Niedergang, der seither in Island Einzug gehalten und das Land zu jenem trostlosen, isolierDie Isländer […] hätten es immerzu Lutherischer Argwohn ten Stück Erde gemacht hat, als das es verstanden, das eigene kulturelle Erbe heute erscheint. Zuvor habe das seit Baumgartners umfangreiches, tagegegen die verderblichen Einmischundem Jahr 1000 christianisierte, kathobuchartig abgefasstes Reiseepos ist symplische Island noch in regem Austausch tomatischer Ausdruck der wachsenden gen von aussen zu bewahren. mit Kontinentaleuropa gestanden, seiBegeisterung am isländischen Geisteslevielfach finden sich einzelne Verserzähen Klöster und Bistümer die wesentlichen ben gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Zulungen und Teile davon assoziativ in den Träger einer kulturellen Blütezeit gewegleich ist es jedoch kein Zeugnis ­t ypischer Fluss des erzählten Erlebten eingebunden. sen und hätten entscheidend zur Fördenationalistischer Wahrnehmungsmuster, Einen wichtigen Grund für dieses eigenrung von Bildung, Volkswirtschaft und sondern durchdrungen von einer enttümliche Zusammengehen von einfaHandel beigetragen. schieden katholisch-jesuitischen Perschem Alltags- und gehobenem GeistesleDie neue Heilslehre wiederum hätte diepektive. Als Priester der Societas Jesu ist ben sieht Baumgartner in den Eigenheiten sen vom Katholizismus gestifteten «LeBaumgartner nämlich ein national Aus20


des isländischen Landschaftsbildes: Dessen stille Kargheit stimuliere die Phantasie der Menschen, animiere sie dazu, es «mit Riesen, Zwergen, Tag- und Nachtgespenstern zu bevölkern». Der Autor ertappt sich auch selbst dabei, wie er sich etwa während einer Wanderung durch die gespenstische Almannagjá (Allmänner-Schlucht), wo einst das Althing stattgefunden hat, bald in einer dantesken «Unterwelt» wähnt, bald in einem «Hexennest der alten Sage», in einer «Scenerie zu einer Walpurgisnacht» – für einen passionierten Philologen wie Baumgartner selbstverständlich Momente höchster Erhabenheit.

Ursprünglichkeit statt Moderne Naturverbundenheit und Einfachheit des isländischen Lebens stellen den modernere Verhältnisse gewohnten Geistlichen täglich vor grosse Herausforderungen: Mehrere Male muss er sich mit unwirtlichen Unterkünften abfinden, Inlandsreisen erfolgen ausschliesslich per Pferderitt, an den er sich zunächst mühselig gewöhnen muss, und nicht selten wird der Kontakt mit den Einheimischen dadurch erschwert, dass diese die nötigen «diplomatischen EtiketteDienste» nicht kennen würden, mit anderen Worten häufig sehr «schweigsam und mürrisch» seien. Der Tatsache, dass die Moderne in Island noch nicht Einzug gehalten hat, steht Baumgartner jedoch auch positiv gegenüber: Infolge des fehlenden Fortschrittes finde sich hier unter Land und Leuten nämlich noch jener Sinn für «den schlichten, kindlichen Glauben an Gott, den patriarchalischen Zusammenhang der ­Familie» oder die «Eigentümlichkeit […] in Sitte, Gewohnheit, Tracht, Bauart, Lebensweise», kurzum: jene reine ­ Ursprünglichkeit, die dem neuen ­ ­Menschentypus des europäischen Grossstädters in der «mechanischen Kultur» des späten 19. Jahrhunderts ganz abhanden zu kommen drohe. Hier spricht Baumgartner ganz im Sinne der von ihm verfochtenen jesuitischen Agenda, die antimodernistische Tendenzen gutheisst, um einer zunehmenden Säkularisierung von Gesellschaften entgegenzuwirken (und damit dem Abstieg der katholischen Kirche in die Bedeutungslosigkeit). Und scheint sich dabei insofern in leichte Widersprüche zu verstricken, als er zumindest leises Wohlwol-

len gegenüber der Isolation Islands ­suggeriert – jener Isolation, die er im Zusammenhang mit der Bevormundung durch die dänisch-lutherische Fremdherrschaft als höchst ungünstig, ja sogar äusserst schädlich darstellt…

Gunnar Einarsson Auf der Suche nach den wenigen Katholiken, die Mutmassungen zufolge in Island auf den Trost der katholischen Kirche warten, wird Baumgartner erst sehr spät und weit abseits von Reykjavík fündig: In Akureyri, einem Fischerdorf im Norden der Insel, treffen er und seine Begleiter auf Gunnar Einarsson, «den einzigen katholischen Einwohner […], den Island gegenwärtig unter seinen 70000 Eingeborenen zählt»!

Germanen-­Ideologie. In: Island – Zeitschrift der Deutsch-Isländischen Gesellschaft e.V. Köln und der Gesellschaft der Freunde Islands e.V. Hamburg. 2003: 2, S. 29-40. Kreutzer, Gert: Ein gescheiterter inter­ kultureller Dialog? Aussensicht und Innensicht Islands in der frühen Neuzeit. In: Inter- und transkulturelle Studien. Hg. v. Heinz Antor. Heidelberg 2006 (= Anglistische Forschungen 362), S. 181-204. Willhardt, Jens: Von der Schrecklichkeit zum Schauspiel: Die Wahrnehmung Islands in deutschen Reiseberichten. In: Island (s.o.). 2000: 2, S. 21-40.

Baumgartner spricht ganz im Sinne der von ihm verfochtenen jesuitischen Agenda, die anti­modernistische Tendenzen gutheisst. Freudig feiert man mit dem Mann, einem Kaufmann, die heilige Messe, versichert sich der herzlichen Brüderlichkeit, die jederzeit zwischen allen Katholiken der Welt bestehe, schmökert in der feinen Bibliothek englischer Bücher, die seinem Schwager, einem einfachen Fischer, gehört, und zieht schliesslich frohen Mutes weiter. Und es wirkt wie eine ausgeklügelte Pointe Baumgartners, dass der einzige übriggebliebene Altgläubige der Insel ausgerechnet den Namen Gunnar Einarsson trägt, dessen Teile einerseits ‹der Kämpfer› (‹Gunnar›, verwandt mit ‹Günther›), andererseits gar ‹der Alleinkämpfer› (‹Einarr›) bedeuten… Literatur Altenkirch, Birte: «Lachs comme il faut» und «verteufelt schönes Berlin». Ein Überblick über die deutsch-isländischen Beziehungen von den Anfängen bis zur Gegenwart. s.d., http://www.iceland.is/iceland-abroad/de/files/ die-deutsch-islaendischen-beziehungen.pdf. Baumgartner, Alexander: Island und die Färöer (= Nordische Fahrten, Bd. 1). Herdersche Buchhandlung, Freiburg im Breisgau 31902. Forster, Ellinor: Schwärmen für Island, den «äußersten Vorposten germanischen Volkes». Vergleich von vier Reiseberichten vor dem Hintergrund der deutschen

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Wir sind anders und wir sind besser Grenzen im Denken

Von Esther Laurencik Es gibt wohl keine tragischere Wende im Leben eines Antisemiten, als festzustellen, selber Jude zu sein. Genau dieser Schicksalsschlag traf den Politiker Csanad Szegedi, jahrelanges Aushängeschild der rechtsextremistischen Jobbik-Partei in Ungarn. Im Unwissen über seine wahre Identität hatte Szegedi mit antisemitischen und rassistischen Aussagen offenbar einen Nerv der Zeit getroffen und der von ihm mitbegründeten Partei dazu verholfen, innert zehn Jahren zur drittstärksten in Ungarn zu werden. Als einer von drei Jobbik-Mitgliedern wurde er 2009 ins Europäische Parlament gewählt. Im Alter von nur 30 Jahren schien Szegedis politischer Karriere nichts im Wege zu stehen, bis ans Tageslicht kam, dass Szegedi ein unglaubwürdiger Antisemit sei. Der Skandal um seine jüdische Abstammung führte zum Austritt aus der Jobbik-Partei. Offiziell gab diese bekannt, dies sei nicht aufgrund dieser jüdischen Überraschung geschehen, sondern weil sich Szegedi der Bestechung schuldig gemacht habe, als er ver22

suchte, seine jüdischen Wurzeln zu verheimlichen. Szegedi ist seit letztem Jahr nun parteilos, besuchte inzwischen Auschwitz und zeigt Reue, allerdings nur was seine Aussagen über Juden betrifft. Nach wie vor sei er aber ein wahrer Ungar, trotz jüdi-

Rassismus beginnt immer in der Sprache, nicht erst dann, wenn Gruppen in bestimmte Zonen aus­gesiedelt werden. scher Wurzeln. Scheinbar kann ein wahrer Ungar kein wahrer Jude sein. Schon allein durch diese Aussage scheint deutlich zu werden, dass sich Szegedi im Eigentlichen wohl kaum von seinem rechtsextremen Gedankengut distanziert hat. Er mag sich in Ungarn ins politische Abseits geschossen haben, sein Mandat als Abgeordneter im Europäischen Parlament hat er jedoch bis zu den Neuwahlen im Frühjahr 2014 nach wie vor inne. Für sich genommen handelt es sich bei

Szegedi um eine irrelevante Fussnote in der politischen Landschaft Europas. Allerdings diktieren zahlreiche dieser ähnlichen Fussnoten gegenwärtig das, was man als die gefährlichsten Grenzen Europas verstehen kann. Diese Grenzen gedeihen auf einem besonderen Fundament. Gemeint ist die beliebteste Fiktion, die das menschliche Denken hervorbringt: der Rassismus. Fiktion deshalb, weil es sich um einen Glauben handelt, dass ein Attribut, welches eine Gruppe bezeichnet, automatisch alle anderen Attribute der Gruppe mitbestimmt. So geht zum Beispiel das gängige Klischee, dass alle Schweizer gut mit Geld umgehen können, einfach nur, weil sie Schweizer sind. Jeder kennt die Fiktion Rassismus, jeder kennt einen, der an sie glaubt, aber es gibt keinen, der sich zu ihr bekennt.

Die Welt als Fiktion Um Rassismus wird gerne eine Grenze im Denken gezogen, jeder sieht sich


selbst als offenen und toleranten Menschen. Um diese Grenze wenigstens aufzuweichen, darum bemüht sich der Deutsche Abgeordnete der Grünen im Europäischen Parlament, Jan Philipp Albrecht. Dazu hat er eine Broschüre mit dem Titel «EuropaRechtsaussen» verfasst, welche zeigen soll, wie präsent und gut vernetzt Vertreter von rassistischen Ideologien im Europäischen Parlament sind. Vorgestellt werden die Länder Belgien, Bulgarien, Dänemark, Grossbritannien, Frankreich, Griechenland, Italien, Niederlande, Österreich, Slowakei, Rumänien sowie Ungarn. Zu jedem Land wird kurz über die rechtsextreme und rechtspopulistische Parteilandschaft gesprochen sowie über deren Repräsentanten im Europäischen Parlament. Die Broschüre ist eine Informationsquelle und keine theoretische Abhandlung über rechtsextreme und rechtspopulistische Lager in Europa. Gemäss Albrecht sind rassistische Diskurse seit dem Zweiten Weltkrieg in der europäischen Öffentlichkeit nie mehr so präsent gewesen wie heute. Dass rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien mit diesen vermehrt Wahlerfolge erzielen, führt er auf ein derzeit krisengebeuteltes Europa zurück. Gemeint sind Parteien wie der Front National in Frankreich, die British National Party in Grossbritannien, die Vlaams Belang in Belgien, die Freiheitliche Partei in Österreich sowie die Jobbik-Partei in Ungarn. Die Ideologien dieser Parteien sind alle als rassistisch zu bezeichnen. Sie drängen bestimmte Gruppen in ihren Ländern aufgrund von körperlichen Merkmalen, ethnischer Herkunft, religiöser Zugehörigkeit oder einem bestimmten Lebensstil an den Rand der Gesellschaft. Die Begründung für die Forderung solcher Ausgrenzungen ist immer die gleiche. Es ist die Schuld der jeweiligen Fremden, dass das wahre und gute Volk unter Arbeitslosigkeit, hoher Kriminalität, Wohnungsnot und Wertezerfall leidet. Je nach Land wird ein anderes Feindbild konstruiert, unter den Schuldigen finden sich aber meistens Roma, Muslime, Homosexuelle, Linke und Juden. Ein solches Bemühen um Ausgrenzungen ist so omnipräsent, dass es zu einer Alltäglichkeit geworden ist. Dass es sich dabei um den vermeintlichen Grenzfall «Rassismus» handelt, fällt kaum mehr auf.

Grenze als Glaubensfrage Wer rassistisch ist und wer nicht, entscheidet jeder über einen Anderen. Sich

selber vom Rassismus zu distanzieren, ist einfach. Ein Rassist würde sich kaum jemals selber als Rassist bezeichnen. Jemand der mit genetischen Dispositionen, z.B. einem Hang zur Kriminalität, argumentiert, sieht sich als Verfechter einer Wahrheit. Jemand, der den Holocaust leugnet, als kritischer Denker. Vielleicht macht es das so schwierig, dem Ganzen ein Ende zu setzen, weil man keinen bekennenden Rassisten fragen kann, wie Rassismus eigentlich genau funktioniert. Dass Rassismus aber das Konstrukt einer Fiktion über einen Anderen ist, darin sind sich vielleicht alle Nichtrassisten einig. Wenn also rassistische Aussagen eigentlich fiktiv sind, müsste es einfach sein, sie als falsch zu entlarven, denn sie werden zu einer Frage des Glaubens. Ich kann glauben, dass alle Muslime demokratiefeindlich sind. Ich kann glauben, dass alle Roma prinzipiell Parkettböden rausreissen, um mit ihnen zu heizen. Ich kann glauben, dass alle Homosexuelle prinzipiell HIV-positiv sind. Alle diese Aussagen sind fiktive Urteile über eine vom Rassisten definierte Gruppe von Menschen und sie sind alle falsch. Wie schwierig es sein kann, den Glauben an sie zu widerlegen, ist etwa so schwierig, wie einen Rassisten zu finden, der sich dazu bekennt, Rassist zu sein. Jemand, der daran glaubt, dass alle Muslime demokratiefeindlich sind, sieht nicht sämtliche Strömungen der islamischen Welt, sondern nur die in ihrer Tendenz demokratiefeindliche der Islamisten. Sichtbar ist nur, was gesehen werden will - wieso sollte man die eigene Fiktion aufgeben?

Grenze als Sprechkunst Ein gutes Beispiel dafür ist eine Aussage von Marine Le Pen, Vorsitzende des Front National in Frankreich. Auch sie ist Mitglied des Europäischen Parlaments. Le Pen äusserte sich zu Strassengebeten von Muslimen in Frankreich folgendermassen: «Es gibt zwar keine Panzer, aber eine Besatzung ist es trotzdem.» Was will sie sagen? Die Präsenz von Muslimen in Frankreich ist gleich wie jene der Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Le Pen wurde für diese Aussage gebüsst, aber sie hat das erreicht, was sie wollte: mediale Aufmerksamkeit. Erfolgreich hat Le Pen zwei Komponenten, die nichts miteinander zu tun haben, zusammengeführt. Die Muslime in Frankreich bedeuten eine Besatzung durch eine fremde Macht – einer Kultur, die nichts mit der eigenen zu tun hat. Und da es eine Besatzung ist, muss

man sich gegen sie wehren. Aussagen wie Le Pens zeigen die Tendenz des heutigen Rassismus auf. Einer solchen Aussage zuzustimmen, ist einfach, wenn in der breiten Öffentlichkeit Muslime bereits als Störfaktor identifiziert wurden. Man stelle sich die Aussage in einer Diskussionssendung im Fernsehen vor. Bis diese Aussage von einem Gegenüber analysiert, seziert und widerlegt wird, starrt ein beträchtlicher Teil des Publikums ­bereits auf ihr IPhone. Das Publikum ist nicht dumm, aber es fällt einfacher, ­bestimmte Sachen zu glauben statt sie zu hinterfragen. Dass Vielen von uns nicht bewusst ist, wie präsent rassistische Grenzen in unseren europäischen Köpfen sind, liegt gemäss Albrecht daran, dass die menschenverachtenden Forderungen es geschafft haben, sich in ein nicht menschenverachtendes Vokabular einzukleiden. Um Menschen dazu zu bringen, Grenzen zwischen sich und anderen Menschen zu ziehen, muss man ihnen diese Grenzen erst vermitteln. Bruno Gollnisch, auch ein Mitglied des Europäischen Parlaments sowie des Front National in Frankreich, bringt dies selber auf den Punkt: «Wer dem anderen sein Vokabular aufzwingt, zwingt ihm auch seine Werte auf.» Rassismus beginnt immer in der Sprache, nicht erst dann, wenn Gruppen in bestimmte Zonen ausgesiedelt werden. Damit soll auch gesagt sein, dass sich keiner von diesem Prozess der Grenzziehung abgrenzen kann, soll oder darf. Auch Studierende der Germanistik nicht. Wir können uns nicht hinter dem Argument verstecken, dass wir uns nur mit einer Sprache beschäftigen, die in der Welt der Literatur gesprochen wird. Wenn wir in der Schweiz über Slogans wie «Maria statt Scharia» stolpern, geht uns das etwas an, weil einer unserer liebsten Gegenstände - die Sprache - als Mittel zur Gewalt verwendet wird. Denn durch das Ausformulieren einer solchen Verallgemeinerung wird dem einzelnen Menschen bereits Gewalt angetan. Kein Mensch ist nur Scharia, schwarz oder schwul. Wenn eine solche Fiktion zur Realität wird, dann wird jene Grenze gezogen, die es immer zu bekämpfen gilt. Literatur Jan Albrecht: «EuropaRechtsaussen»: http://www.janalbrecht.eu/publikationen/ broschueren/europa-rechtsaussen.html

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Die Grenzen Europas? Von Fabian Schwitter Im sechzehnten Jahrhundert beginnt die schrittweise Eroberung und Besiedlung Südamerikas durch spanische, portugiesische und andere europäische Einwanderer.

noch Nordindien und siedelt von Kleinasien bis in den Punjab Griechen an.

Ab 900 beginnen Wikinger von Island aus Grönland und später Neufundland zu besiedeln.

Mit der Ausdehnung des osmanischen Reichs Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts wandern aus Zentralasien vertriebene Abkömmlinge der Turkvölker und andere Bewohner des osmanischen Reichs in Südosteuropa ein.

Im dreizehnten Jahrhundert dringen die Mongolen bis nach Deutschland vor und gründen in Osteuropa den Staat der Goldenen Horde.

2013 sind ein Viertel (ca. 10 Millionen) der Bevölkerung Spaniens direkt oder indirekt (in Spanien geborene Kinder) Immigrantinnen und Immigranten.

Die Einwanderung von Stämmen aus der zentralasiatischen Steppe Ende des vierten Jahrhunderts führt zur Errichtung des Hunnenreichs in Osteuropa.

Etwa 3000 vor Christus brechen die Magyaren aus ihrer ursprünglichen Heimat östlich des Urals auf und siedeln sich im Gebiet der heutigen Ukraine und um 1000 nach Christus im Gebiet des heutigen Ungarn an.

Anfang des achten Jahrhunderts beginnt die Eroberung und Besiedlung Spaniens durch die Mauren und dauert bis Ende des fünfzehnten Jahrhunderts. Zwischen 1940 und 1941 deportiert die Sowjetunion im 18. Jahrhundert eingewanderte Wolgadeutsche nach Kasachstan und Sibirien. 2005 werden mehrere Dutzend Menschen verletzt und etwa zwanzig sterben beim Sturm tausender afrikanischer Emigrantinnen und Emigranten auf die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla. Ab dem 16. Jahrhundert beginnen russische Händler nach Sibirien auszuwandern. Ab dem dreizehnten Jahrhundert verlassen immer wieder jüdische Menschen ihre europäischen Heimatländer. Die Gründung der nordamerikanischen Kolonialstaaten im siebzehnten Jahrhundert zieht Europäer aus allen Ländern an. Auf seinen Eroberungszügen um 300 vor Christus gelangt Alexander der Grosse bis

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Um 1100 errichten europäische Emigranten die ersten Kreuzfahrerstaaten im heutigen Gebiet von Israel, Libanon, Syrien und Türkei. Im 18. Jahrhundert wandern 400000 der 2 Millionen Portugiesen nach Brasilien aus. Mitte des fünften Jahrhunderts wandern die aus Skandinavien stammenden Vandalen, die nach langer Wanderung durch Europa nach der Eroberung Karthagos ein eigenes Reich in Nordafrika bildeten, wieder in Italien ein. Spätestens seit dem vierzehnten Jahrhundert leben ursprünglich aus Zentralindien stammende und über Kleinasien und Nordafrika zugewanderte Roma in Südosteuropa und Spanien.

Kein Meer, kein Himmel, kein Schiff. – Als der Himmel sich langsam auf hellte, schob sich eine schwarze Linie zwischen das Wasser und den Himmel. Dunkel und weit lag das Meer. Über dem Wasser stand ein weisser Streifen, der sich allmählich verfärbte – Altrot, Sommerrot,

Hummerrot. Weiter oben verliefen die warmen Farben in ein helles, dann tief dunkles Blau, bis im Westen der Himmel fast wieder mit dem kalten Wasser des Nordatlantiks verschmolz. Aus dem schmalen Lichtstreifen am östlichen Horizont stieg gewaltig die Sonne und sandte den Schatten des Schiffs auf der eintönigen Oberf läche des Meeres westwärts voraus. Ginge im Osten nicht die Sonne auf, wären alle Himmelsrichtungen gleich. Mit der steigenden Sonne hob sich das Schiff langsam vom Wasser ab. Auch die dritte Nacht der Überfahrt hatte keine Entspannung gebracht. Das beklemmende Gefühl, auf der anderen Seite dasselbe anzutreffen, beschwor nur immer wieder quälende Szenen des Abschieds herauf. Dieses Gefühl bliebe, bis sich die feine Linie, wo sich das sattere Meer und der bleiche Himmel am westlichen Horizont berührten, zu einer Küste anschwellen würde. Dann ergriffe mit dem ersten Schrei «Land!» Euphorie die an Deck gestürmten Auswanderer und die gespannte Erwartung, eine neue Welt zu finden, verscheuchte alle Wehmut für die Zeit e­ ines anbrechenden Morgens vor Ellis ­Island – bevor die Immigrationsbehörde sie erwartete. Manche setzten nie einen Fuss auf das Festland und starben in den Unterkünften der Insel an Krankheiten, die sich unter den eng zusammengepferchten Migrantinnen und Migranten in Windeseile ausbreiteten. Andere hatten Ellis Island nie erreicht. Die Sonne am Himmel schien in der f limmernden Luft zu zittern. Eine gelbe Scheibe mit schwarzem Saum. Das gleissende Licht, zurückgeworfen von den lehmfarbenen Steinen und dem Metalldraht, verschluckte den Zaun – aber der Zaun war da und rief sich mit seinem stacheldrahtbewehrten Rand allen, die ­ ihn nicht sehen wollten, schmerzhaft in Erinnerung. Die Festung war nicht zu nehmen. Joseph und Jubril harrten aus und schauten auf den Zaun und die dahinterliegen-


de Stadt. Seit Tagen sassen sie hier fest, kurz vor dem Ziel und doch erleichtert, bis nach Marokko gelangt zu sein. Viele blieben Stecken, in Agadez, in Tamanrasset, in Gao. Die beiden Männer – kaum zwanzig Jahre alt – hatten einen langen Weg durch die Wüste hinter sich. Dem Niger entlang f lussaufwärts bis nach Gao und dann in die Sahara – Reggane in ­A lgerien und später Nador in Marokko. Joseph, im Süden Nigerias aufgebrochen, hatte einen noch längeren Weg hinter sich als Jubril. Sie hatten sich unterwegs in Gao getroffen. Joseph, ein Christ aus dem Nigerdelta, war den Kämpfen um Erdöl entf lohen und Jubril vom Bürgerkrieg im Norden Nigerias vertrieben worden. Trotz der Wirren in ihrem Heimatland waren beide gleichermassen froh, im anderen jemanden gefunden zu haben, der die eigene Geschichte verstand. Nächte- und tagelang hatten sie sich von Nigeria und ihren Dörfern erzählt und ­ miteinander über ihre Heimat gesprochen – anderes war ihnen kaum zu tun geblieben, während sie gemeinsam von Autos und Flatscreens in Europa träumten. Auf dem Mont Gourougou frass die Langeweile sie auf. In der Wüste hatten sie sich wenigstens bewegt – Schritt für Schritt vorwärts in Richtung Mittelmeerküste. Aber auf dem Mont Gourougou war Endstation. Wie durstige vor einer Fatamorgana lechzten die beiden nach Wasser – immer einen Schritt von der Oase entfernt. Dieser Grenzzaun sah so unverrückbar aus – als wäre er gottgegeben. Aber die Grenze kam von innen nicht von aussen. Das wussten die beiden Nigerianer nur allzu gut. Nur in der W ­ üste gab es kaum Grenzen, weil die Wüste die Grenze selbst ist. Und nun sassen sie da und blickten, wie tausende a­ ndere, auf die stacheldraht-bewehrten Zäune der Stadt. Tausende aus Nigeria, Ghana, Côte d’Ivoire und sogar aus dem Kongo; am Vorabend einer Nacht der Entscheidung. Das gelobte Land für die einen, Rückschlag, Festnahme und sogar Tod für die andern. Kurz nach Mitternacht begann sich der Mont Gourougou zu bewegen. Und plötzlich stürmten tausende Migranten von den Hängen herunter gegen die Stadt. Mit krude aus Ästen und kleinen Stämmen zusammengebundenen Leitern rannten sie auf den Zaun zu, so als setzten sie zum finalen Sturm auf Toledo selbst an. Die Grenzwächter eilten zum Zaun. I­rgendjemand verständigte die marokkanische Polizei.

Die Staubwolke der schweren Fahrzeuge war in der Dunkelheit der Nacht nicht zu sehen und der Motorenlärm ging im Schlachtlärm an den Zäunen unter. Aber dann durchdrang der Knall eines Schusses doch allen Lärm. Wie versteinert hingen die jungen Männer für eine Sekunde auf den Leitern. Dann ergriff Panik die Migranten. Die marokkanische Polizei rückte gegen den Zaun vor. Hinter dem Zaun stiessen spanische Grenzwächter die Migranten zurück und feuerten mit Gummischrot auf die anstürmenden Massen. Mehrere junge Männer blieben im Kreuzfeuer liegen. Andere stoben auseinander und flüchteten in die Täler und Gebüsche des Mont Gourougou. Die Glücklichen fielen auf der hinteren Seite des Zauns herunter und retteten sich in die Gassen der Stadt. Jetzt – fast zehn Jahre später – ist der Zaun doppelt so hoch und sperrt in drei Parallelen Linien die Landgrenze der Stadt. Verzweifelt rücken wenige hundert Menschen gegen den Sperrriegel vor, g ­ egen gleichgültiges Metall und un­erschütterlich fliessenden elektrischen Strom, gegen Überwachungskameras und Alarmanlagen – nur einer schafft es auf die andere Seite. Joseph wartet und blickt immer wieder auf das Meer hinaus, während der in einer alten Blechdose rührt, die ihm auf einem offenen Feuer als Pfanne dient. Jubril hatte es damals geschafft und Joseph hatte nie wieder etwas von ihm gehört. Aber er war auch immer unterwegs gewesen. Niemand konnte wissen, wo er sich gerade befand. Mehrere Male ist er nun schon durch die Sahara gereist – immer wieder aufgegriffen von der Polizei und zurückgeführt hat er sich ein ums andere Mal auf den Weg gemacht, die Mittelmeerküste erneut zu erreichen. Er kennt alle Städte in der S ­ ahara. Joseph wartet und blickt auf das Meer hinaus. Jubril hatte es geschafft, als viele Migranten vor Melilla festgenommen und einige sogar gestorben waren – erschossen von den Sicherheitskräften, zerschnitten von den Stacheldrahtzäunen oder totgetrampelt von anderen. 2012 verlassen mehr als hunderttausend Portugiesinnen und Portugiesen ihr Land in Richtung ehemaliger Kolonien.

Mit dem Aufstieg des römischen Reichs ab 200 vor Christus werden an der nordafrikanischen Mittelmeerküste wie auch in der Levante römische Bürger angesiedelt. Zwischen 1950 und 1980 erreichen mehrere Millionen Einwanderer aus Europa Australien. Im 18. Jahrhundert wandern vor allem Deutsche von der Zarin Katharina II. umworben in die russischen Gebiete um die Wolga aus. Im 20. Jahrhundert verlassen hundert­ tausende Juden Europa und siedeln sich in Palästina an. 2012 leben in Griechenland bei einer Bevölkerung von rund 10 Millionen ­Griechinnen und Griechen schätzungsweise 380000 Einwanderer ohne gültige Papiere. Um 1000 vor Christus besiedeln griechische Einwanderer die Küste Kleinasiens und später die nordafrikanische Küste. Bis 1930 wandern rund 60 Millionen Europäerinnen und Europäer nach N ­ ord- und Südamerika sowie nach Australien aus. In den Jahren zwischen 2000 und 2010 erreichen pro Jahr mehr als 100000 Immigrantinnen und Immigranten aus Afrika und Asien Frankreich. Hunderttausende aus den ehemaligen Kolonien wandern nach der Erlangung der Unabhängigkeit in Grossbritannien ein. In den Jahren nach dem Algerienkrieg steigt in Frankreich die Zahl der Immigrantinnen und Immigranten aus Algerien auf 700000. 2005 erreichen 20000 Menschen von der Nordafrikanischen Küste aus die italienische Insel Lampedusa. In den Sechzigern und Siebzigern wandern vor allem Menschen aus Griechenland, Irland, Italien, Norwegen, Portugal, Spanien und Grossbritannien nach Nord- und Südamerika sowie nach Australien aus.

Während und nach dem Zweiten Weltkrieg wandern mehrere hunderttausend Europäerinnen und Europäer in die USA aus. Vor etwa 40000 Jahren wandern die ersten Menschen (homo sapiens sapiens) in Europa ein.

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Der Lauf der Dinge

wie wir

Von Clemens Schittko Tunesien Algerien Ägypten Jordanien Jemen Libyen Syrien Griechenland Spanien Frankreich Deutschland China USA

Von Clemens Schittko Wir sagen die Griechen, die Italiener, die Iren, die Portugiesen und die Spanier; und wir sagen es so, als wären die Griechen, die Italiener, die Iren, die Portugiesen und die Spanier nicht ebenso Arbeiter und Arbeitslose, Rentner und Studenten oder Kranke und Kinder, wie wir.

Fuck me, Berlin Von Nenad Savicć Fuck me, Berlin put yourself in me let us appear briefly entangled like a sweet disaster like the prostitute sweat like the swear like the untold blessing Put our bodies togetherdestroy me with your street lamps with Arab hunks, with the homeless ontology with egg shells and shell nuts… After all it is us who are dying and you live! We’ve been told lies, Berlin many times in the sun shades where we actually believe that life is forever where we felt the burden, but we all laughed 26

oh, we laughed like mad children… In your parks, people die people die and people eat there, you know? They eat apples, and they eat figs they breath easilyit is their stories that made you live and made them die they always die, depressed as they are, vividly waving over the river, from coast to coast, trust me Berlin, they don’t understand why do we pray to Gods why do we ally with the USA and what’s wrong with Russia? It’s a fat lazy whore, Russia. It’s Orwell that twists our minds, Orwell, not Dostoyevsky he’s been long forgotten. Now we think green, you know?

It’s much better, we recycle shit and we eat it after, tastes like heaven! Oh, it’s all good, Berlin it is full of love, trust me, hear the music, oh, may we sleep now, May we sleep forever, put your arms around me, slowly, like a sweet disaster like the prostitute sweat like the swear like the untold blessing Der Autor stammt aus Montenegro. Nenad ­Savic studiert Philosophie, Psychologie und P ­ sychoanalyse an der Universität Belgrad. Er plant derzeit seinen Umzug nach Berlin.


Grenzübertritt Von Demian Lienhard Regungslos stand der Zug in der Nacht. Gegen die Außenwand des Wagens gelehnt, deutlich sichtbar im Lichtkegel der geöffneten Tür, das Zugpersonal. Ihm gegenüber fünf gleißend helle Punkte, die sich im Takt der Stimmen hoben und senkten. Es waren die Zigaretten der ukrainischen Grenzbeamten, deren Uniformen sich im Halbdunkel erahnen ließen. Den Notruf des Schaffners hatten sie nur unwillig entgegengenommen. In der Hoffnung, die Angelegenheit möglichst schnell zu erledigen, waren sie zu Fuß herbeigeeilt, ohne die Rückkehr des einzigen Dienstwagens abzuwarten. Doch dann mussten sie feststellen, dass der Lokführer auf die stechenden Fragen des Hauptmannes, die einer seiner vier Begleiter säuberlich protokollierte, keine Antworten hatte. «Ich weiß nicht, woher sie gekommen ist. Wirklich nicht. Einige Minuten, nachdem wir den Bahnhof von Przemysl verlassen hatten, war sie plötzlich da. Im Scheinwerferlicht, zwischen den Schienen. Sofort habe ich eine Notbremsung eingeleitet, das Warnsignal betätigt, doch es war zu spät. Sie wurde erfasst, der Stoß gegen Kopf und Brust warf sie zu Boden, ihre Kleider verhakten sich in der Kupplung. Als der Zug endlich zum Stehen kam, hing sie noch immer vor der Lokomotive.» Mit einer Stablampe schritten sie gemeinsam dem Gleis entlang nach vorne. Zwischen den Puffern ein gekrümmter Leib. Aus dem Mundwinkel hing die Zunge. Sie durchwühlten die Taschen, oder das, was von ihnen übrig geblieben war. Nichts. Kein Personalausweis, keine Karte mit Namen, kein Mobiltelefon, das Nummern von Bekannten preisgegeben hätte. Am Zugende traten drei weitere Beamte aus der Dunkelheit. Polen, von ihren ukrainischen Kollegen gerufen und aus dem nahen Grenzposten herbeigeeilt. Auch sie gingen denselben Fragenkatalog durch. «Ob sich der Zug noch auf der polnischen oder bereits auf der ukrainischen Seite befand, als sich der Zusammenprall ereignete, kann ich nicht sagen. Ich habe mich nicht darauf geachtet. Das ist doch auch nicht weiter wichtig.»

Ein kurzes, erzwungenes Lachen des polnischen Vorgesetzten gab dem Lokführer zu verstehen, dass gerade diese Frage sehr wohl von Belang war. Alles verlangte seine Richtigkeit. Auch dieser Fall. Man kam nun überein, von beiden Ländern je einen Beamten loszuschicken, um die Strecke abzuschreiten und einen Hinweis auf den Ort des Aufpralls zu finden. Nach einer guten halben Stunde kehrten sie zurück. Überschwänglich verkündete der ukrainische Zöllner, dass die Blutspur bis ins polnische Medyka hinüberreiche. Sein Vorgesetzter, der Hauptmann, war erleichtert. Er ließ diesen Hinweis sofort in die Protokolle übernehmen. «Dann bleibt das wohl an euch hängen, liebe Kollegen.», sagte er, während er die Ascheraupe von der Zigarette tippte. Ohne etwas zu sagen, lediglich mit einem strengen Blick, prüfte der polnische Leutnant, ob dies auch wirklich stimmte. Sein Untergebener, der die Blutspur verfolgt hatte, nickte etwas beschämt, als träfe ihn eine Schuld, als hätte man von ihm erwartet, dass er den Zwischenfall ungeschehen machte oder wenigstens die Spuren, die dieser hinter der Grenzmarkierung hinterlassen hatte, beseitigte. Der Leutnant fragte den Lokführer nun, ob sie sich denn nach dem Aufprall noch bewegt, ob sie geschrien hätte. «Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht, ein wenig. Warum ist denn das nun so wichtig? Sollten wir nicht versuchen, die Angehörigen…» Der Beamte winkte ab. Wie lange denn die Schreie noch zu hören gewesen seien, wie hoch die Geschwindigkeit beim Zusammenstoß gewesen sei. «Nun, achtzig Kilometer pro Stunde. Wie üblich. Ich bin nicht zu schnell gefahren, wirklich. Ich achte stets…» Darum ginge es nicht, fiel ihm der Leutnant ins Wort. Aber wie lange sich das Opfer denn noch bewegt, wie lange es geschrien hätte. «Ich… kann es nicht sagen. Vielleicht fünfundvierzig Sekunden, vielleicht eine Minute. Aber was…» Der Pole rieb sich die Hände, ließ diese Aussagen sofort niederschreiben. Er ver-

sicherte sich, dass sie auch von den Ukrainern verstanden worden war. Das Opfer müsse demzufolge zweifellos in der Ukraine gestorben sein. Die Stelle, an der sich der Aufprall ereignet hatte, sei weniger als zweihundert Meter von der Grenzmarkierung entfernt. Dafür könne der Zug, selbst nachdem die Vollbremsung eingeleitet worden war, nicht mehr als fünfundzwanzig Sekunden benötigt haben. Folglich sei sie zwar in Medyka erfasst worden, ihr Ableben könne aber erst in Shegini stattgefunden haben. Sie sei also gewissermaßen aus Polen, aus der Europäischen Union hinausgestorben. Die Verantwortung für die Formalitäten liege somit eindeutig in den Händen der ukrainischen Kollegen. Damit war die Arbeit für ihn erledigt. Er rief seine beiden Untergegeben zu sich und griff sich zum Gruß kurz an den Hut. Die drei verschwanden in der Dunkelheit. Der ukrainische Hauptmann murrte. Über Funk ließ er einen Arzt kommen, der den Totenschein ausstellen konnte. Einen Wagen, der die Leiche zur Klärung der Identität in die gerichtsmedizinische Abteilung der Universitätsklink brachte. Und den Staatsanwalt aus Lemberg, damit sie für die Verstöße gegen die Ausweispf licht und den illegalen Grenzübertritt zur Rechenschaft gezogen würde. Zwischen den Puffern glotzten ihn noch immer die aufgerissenen blauen Augen an. Und zwischen ihren Zähnen die Zunge, die sich ihm entgegenstreckte.

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Illustration von Ana Lupu

Heidi in Ungarn Von Julia Bänninger Als Kind fuhr ich einige Male mit meiner Freundin und ihrer Familie nach Ungarn, wo wir uns auf einem abgelegenen Gestüt mitten in einem Nationalpark niederliessen. Ich liebte die abenteuerlichen Ferien auf Kiskunsàger Tanya: Dort liessen uns die jungen Stallburschen frei herumreiten und galoppierten mit uns in halsbrecherischem Tempo durch das hohe Federgrashaar der Puszta. Auf dem Gestüt gab es abgemagerte junge Kätzchen, die man mit dem eigens stibitzten Abendessen füttern konnte, und einmal fanden Renate und ich sogar fünf verwaiste Hundewelpen, nur wenige Wochen alt, die sich zwischen den hohen Strohhügeln hinter den Stallungen verkrochen hatten. Kreischend versuchten wir die glitschigen Frösche zu fangen, die abends an der kühlen Steinmauer des Haupthauses hochsprangen. Als schliesslich der Besitzer mehr und mehr im Alkohol versank, seine Angestellten immer 28

unverschämter beleidigte und die Pferde schlecht behandelte, entschieden unsere Eltern, sich etwas anderes zu suchen. In jenem Jahr – wir waren beide etwa acht Jahre alt – fuhren Renate, ihre Mutter, meine Mutter und ich nach Taltos Tanya. Der grüne Rasen, künstlich bewässert, war vom gelben Sand der Puszta umgeben. Von Menschenhand angepflanzte Eichenbäume boten Schatten, während am grossen Steintisch unter der Morgensonne gefrühstückt wurde. Es war nicht mehr dieselbe abenteuerliche Atmosphäre wie wir es auf Kiskunàger Tanya erlebt hatten. Hier, auf dem neuen Gestüt, das viel kleiner und übersichtlicher war, unter den Augen beider Mütter und ohne Renates Brüder, langweilten wir uns. Der Gestütsbesitzer liess meine Freundin nicht einmal mit auf einen Ausritt kommen, weil sie angeblich nicht genug sicher auf dem Pferd sass.

Dort in der Umgebung befanden sich auch Ruinen von alten Herrenhäusern. Ihr Reichtum und ihre Pracht waren während des Zweiten Weltkrieges zerstört worden. Übrig blieben verfallene Mauern, zerrissene Möbel und überwucherte Gärten – die Natur hatte sich alles zurückgeholt. Fasziniert kletterten wir in den Ruinen herum, überhörten die mahnenden Stimmen unserer Mütter, erfanden eigene Abenteuer und Geschichten. Doch irgendwann wurden auch die wenigen toten Mauern uninteressant. Eidechsen schienen das einzig Lebendige zu sein, was sich dort noch herumtrieb. Nicht einmal glitschige Frösche, die man fangen konnte. Nach einer Woche traf ein neuer Gast ein: Ein etwa fünfzehnjähriges Mädchen aus Deutschland, zusammen mit ihren Eltern. Ihre dunkelbraunen Haare hatte sie zu Zöpfen geflochten und schneckenförmig am Kopf festgemacht. Wir nannten


sie heimlich kichernd «Heidi». Da Renate und ich, abgesehen von jenem Jungen, die einzigen Kinder auf dem kleinen Gestüt waren, kamen wir zwangsläufig mit dem älteren Mädchen in Kontakt. Sie war gross und besass ein forsches Auftreten. Wir mochten sie nicht sonderlich. Es war ein unbestimmtes Gefühl, eine Mischung aus Irritation und Faszination, die uns zu dem Mädchen hinzog. Auf der einen Seite hielten wir sie für lächerlich, spotteten über ihre Haare und verabscheuten ihren Umgang mit den Menschen und den Tieren um sie herum: Sie rief dem kleinen blonden Sohn des Gestütbesitzers hinterher: «Jude! Juuude!» und schlug auch den süssen Hofhund, der wie ein brauner Wollknäuel aussah. Andererseits zog uns die von ihr ausgehende Verachtung an. Auf unterschwellige Weise strahlte sie Bosheit gemischt mit einer Hilflosigkeit aus. So liessen wir uns auf einige ihrer Spiele ein. Eines Tages wollte Heidi uns eine Schrift zeigen. Eine alte Schrift, die sie Runen nannte. Sie riss eines der Schatten spendenden Blätter vom Baum und malte mit dem grünen Saft verschwom-

mene Striche auf den grauen Kalkstein. Staunend versuchten wir die Runen zu lesen: «Hitler». An was erinnerte mich dieser Name? Wo hatte ich ihn schon mal gehört? Heidi brachte uns bei, unsere eigenen Namen mit Runenschrift zu zeichnen. Eifrig schrieben wir unsere Namen auf den warmen Stein. Am nächsten Morgen bekamen wir Ärger, weil wir den Platz unter dem Blätterdach verunstaltet hatten. An einem Abend hatten Renate und ich genug gespielt. Der Himmel hatte sich bereits rötlich verfärbt, sanft zirpten die ersten Grillen als Verkünder der hereinbrechenden Nacht. Wir wollten in unsere Bungalows zurück, doch Heidi bat uns, noch ein wenig zu bleiben. Wir gaben nicht nach, rannten lachen und schreiend vor ihr davon. Es dämmerte. Das ältere Mädchen packte ärgerlich meine Freundin am Arm, und ihr Nietenarmband schnitt – mit Absicht? Aus Versehen? – tief in Renates Handgelenk. Uns wurde immer unheimlicher, aus Spass war plötzlich Ernst geworden. Schliesslich rissen wir uns los und rannten zu

unseren Müttern in den Bungalow, platzten laut ins Schlafzimmer, wo die beiden schon im Bett lagen. Aufgeregt berichteten wir vom Abend und zeigten Renates blutende Wunde. Unsere Mütter waren sauer – zuerst auf uns, weil wir sie geweckt hatten, dann auf Heidi, die noch immer aufdringlich im Türrahmen stand und auf uns wartete. Ich weiss nicht, was aus dem pubertierenden Mädchen wurde. Irgendwann reisten sie und ihre Eltern, an die ich mich überhaupt nicht mehr erinnern kann, ab. Manchmal stelle ich mir vor, wie ich die Erlebnisse heute – über zehn Jahre später – wahrnehmen und empfinden würde. Wie hätte ich reagiert? Doch geblieben sind bloss einzelne Bilder, Eindrücke und Erinnerungen sowie nachträgliche Beklemmung, die erst mit wachsendem Alter und Wissen auf kommen konnte. Damals war ich zu jung, um Empörung, Schock oder Traurigkeit gegenüber diesem einsamen Mädchen zu empfinden. Die Narbe vom Nietenarmband ist noch heute an Renates Handgelenk zu sehen.

Glitzernde Flecken Von Giuliano Musio Von Glasgow nach Fort William führt ein Wanderweg über Felder, entlang einer stillgelegten Eisenbahntrasse und durch lichte Wälder. Man findet Ruhe und Zeit, seine Gedanken zu ordnen. Julius will stattdessen den Bus nehmen. Er braucht keine umständliche Wanderung, um klar denken zu können. Sonja sagt: «Ich bin mit dem dümmsten Mann des Länggassquartiers zusammen.» Es dauert einen Moment, bis er begreift, was ihn an dieser geografischen Eingrenzung stört. Hätte sie ihn als den dümmsten Mann der Welt bezeichnet, wäre klar gewesen, dass sie es nicht ernst meint.

Fort William liegt an einem Gewässer, von dem auch nach einem Blick auf die Karte unklar ist, ob es sich um einen See oder einen Meeresarm handelt. Julius könnte vom Wasser kosten, um es herauszufinden, doch er ekelt sich. Vom nächsten Bus aus sehen sie aufs offene Meer. «Schade, dass du noch nie mit mir tauchen warst», sagt Sonja. «Als ich in der Türkei das erste Mal am Meeresgrund war, fühlte ich mich wie auf einem fremden Planeten. Und plötzlich wurde ich spitz.» Sie lacht kurz. «Spitzer als normalerweise. Ich wollte nur noch, dass mich jemand anfasst, so erregt war ich. Mein

Tauchlehrer, Umut, war sehr aufmerksam und realisierte sofort, dass ich nicht mehr bei der Sache war. Er machte das vereinbarte Zeichen für Augenkontakt und schaute mich an. Das erregte mich noch mehr, da schlug er auf meine Schulter, und ich konzentrierte mich wieder.» «Das ist nicht weiter verwunderlich», erklärt Julius. «Sauerstoffmangel im Gehirn wirkt sexuell stimulierend, das weiss man. Was du beim Tauchen gespürt hast, ist auf mangelnde Luftzufuhr zurückzuführen.» Die Endstation ist eine Bucht mit weissen Häuschen, die Hügel dahinter sind 29


voller Strommasten. Zwischen den Wolken kriecht zögerlich die Abendsonne hervor und wirft verfremdende Schatten auf die Wiesen und das Wasser. Der Busfahrer ist dick und freundlich. Er packt ein Sandwich aus Alufolie aus und isst es vor dem Bus. Sonja fragt ihn, ob es hier eine Jugendherberge gebe. Der Busfahrer deutet auf einen nebelverhangenen Hügel in der Ferne. In einer halben Stunde fahre er in die Richtung und könne sie beide mitnehmen. Eine Herberge kommt für Julius nicht infrage. Der Weg ist schlammig. Hasen hoppeln herum. Ganze Rudel. Sonja behauptet, zwei Papageientaucher gesehen zu haben. Doch das redet sie sich ein, in diesen Breitengraden gibt es keine Papageientaucher. Das Meer schimmert gelblich. Auf der Wasseroberfläche taumeln schmale Boote vor sich hin. Vor einem kleinen Haus entdecken sie ein Schild mit der Aufschrift «Bed and Breakfast», befestigt an einem Gartenzaun, dessen unterschiedlich hohe Spitzen die Unebenheiten des Bodens verraten. Am Tor stehen Blumentöpfe und eine Mülltonne. Ein älterer Mann öffnet die Tür. Er betrachtet Julius und Sonja und fragt, ob sie ein Doppelbett oder Einzelbetten brauchen. Am folgenden Tag besuchen sie auf der Nachbarinsel alte Steinblöcke, die von oben betrachtet in einer Kreuzform angeordnet sind. Vielleicht würde Sonja einen von ihnen umarmen, wenn sie allein wäre. Sie nehmen die Fähre zurück aufs Festland. Julius steht mit Sonja am oberen Deck. Sie beobachtet einen jungen, bärtigen Mann, der sein Motorrad einstellt. Später steht er in ein paar Metern Entfernung zu ihnen herum, schaut rüber. Sonja lehnt sich mit dem Rücken gegen die Reling, winkelt ein Bein an und setzt die Sonnenbrille auf. Sie erreichen einen Ort mit einem unaussprechlichen Namen. Täglich fährt nur ein Bus weg, so religiös ist das Kaff. Ein Prospekt wirbt für eine Bootsfahrt, auf der man Delfine besichtigen könne. Ausserdem steht da, das Boot mache auf ­irgendwelchen Inseln halt, die bekannt ­dafür seien, dass sie ihre eigenen Briefmarken produzieren. Nirgendwo sonst gebe es die zu kaufen. Julius versteht nicht, was das soll. Delfine interessieren ihn ebenso wenig, und für Sonja sind sie sowieso nichts Besonderes. Doch sie haben sonst nichts zu tun. Pünktlich um drei Uhr stehen sie am Pier. Das Boot fahre nicht, erklärt ihnen die Kassenfrau, denn bei diesem Wetter sehe man sowieso keine Delfine. Julius hat nicht gewusst, 30

dass Delfine den Regen scheuen, und denkt: So klug sind sie wohl doch nicht. Als sie tags darauf auf den Bus warten, spricht Sonja einen Japaner an. Er hat volles, verstrubbeltes Haar, trägt eine Lederjacke und hält eine Bierdose in der Hand. Auf seiner Tasche steht «I Hate Music». Ob sie vor ein paar Tagen nicht auch schon im selben Bus gewesen seien, fragt sie ihn. Der Japaner grinst und sagt in gebrochenem Englisch: «Ich dachte, für euch Europäer sehen wir alle gleich aus.» Sonja lacht, behauptet, so sei es auch, sie habe ihn lediglich an seiner Tasche wiedererkannt. Julius weiss, dass das nicht stimmt. Der Japaner fragt Sonja, ob sie CouchSurfing kenne. Er könne das nur empfehlen. Man lerne viele interessante Leute kennen. Julius denkt: Wildfremde Gammler auf seinem Sofa übernachten lassen, das macht heute also interessante Leute aus. Als der Bus kommt, trinkt der Japaner sein Bier leer. Sein Kopf ist etwas rot geworden und er lacht ohne Grund. Julius sieht Sonja an, dass sie sich im Bus gern neben den Japaner setzen würde. Doch sie versucht, sich nichts anmerken zu lassen, und nimmt auf den hintersten Sitzen neben Julius Platz. «Ich glaube, das Bier hat ihm nicht gutgetan», sagt sie. «Asiaten vertragen keinen Alkohol. Ich habe mal gehört, sie können ihn nicht abbauen, weil ihnen ein Hormon in der Leber fehlt.» «Du meinst wohl ein Enzym.» Sie lacht. «Ein Hormon, ein Enzym, ein Gen, was weiss ich.» Am späten Abend erreichen sie Inverness, essen was an einem Imbissstand. Sie verbringen ein paar Stunden in einer Bar, die King’s Tavern oder Queen’s Tavern heisst. Es ist bereits nach drei Uhr, als sie zurückgehen. Die Luft ist feucht. Auf den Strassen wird grölend gesungen. Sie weichen mehreren Pfützen aus Erbrochenem aus. Julius’ Wunsch, sich ebenfalls zu übergeben, wächst mit jedem Mal, wenn sie wieder an einer vorbeikommen. Im Hotelzimmer legen sie sich hin, ohne zu reden. Julius träumt vom türkischen Strand. Der Sand blendet. Er sieht Sonja beim Tauchen, ihr Gesicht unter Wasser, auf gleicher Höhe mit seinem. Sie zieht die Taucherbrille aus und schaut ihn an, lächelt. Julius lächelt zurück, das Salzwasser fliesst in seinen Mund. Er wacht auf. Sonja atmet ruhig neben ihm. Er zieht sich einen Pullover über und geht hinunter auf die Strasse, wo er sich gegen eine Mauer lehnt. Die Dämme-

rung ist silbrig blau. Die Möwen schreien, kommen gruppenweise von der Küste her, segeln in niedrigem Flug durch die Gassen. Nach einigen Minuten begreift Julius, dass sie Ausschau nach den Flecken von Erbrochenem halten, die von oben vermutlich perlmutterfarben glitzern. Im Hafen werden die Möwen bald wieder Kämpfe um einen Klumpen Brot oder einen Fischkopf austragen. Doch jetzt sind sie friedlich, denn von den glänzenden Flecken hat es für alle genug. Es tut gut, den Möwen zuzusehen. Sie picken den Liebeskummer der Teenager auf, die Launen randalierender Männer, den Feierabend erschöpfter Arbeiter und die unzähligen namenlosen Gefühle all jener, die nicht wissen, warum sie trinken. Nur Julius kann sich nicht übergeben, obwohl sein Magen lärmt. Er schaut den Möwen zu, bis sie unter einem roten Himmel wieder der Seeluft entgegenfliegen und eine saubere Stadt hinterlassen.


Kaspar Von Sascha Garzetti Kaspar ging zwei, drei Schritte vor mir. Ich folgte ihm, las die Namen und die Jahrzahlen über den Haustüren. Die Fassaden standen eng, Schulter an Schulter gelehnt. Ich blieb immer leicht hinter Kaspar zurück. Ob er schon einmal in der Altstadt von Split gewesen sei, fragte ich dann, wo die Gassen mancherorts so schmal sind, dass man stehen bleiben und um die nächste Häuserecke herumschauen muss, will man mit niemandem zusammenstoßen. Bei den Einheimischen hingegen ist zu beobachten, wie sie im Gehen um die Ecken herumhorchen, so horchend weitergehen, ohne innezuhalten. Bei manch einem, so fiel mir auf, weiteten sich fast unmerklich die Nasenflügel, als nähme er Witterung auf, als trüge ihm der Wind zu, ob da einer komme. Und wenn sich doch einmal zwei vertun – auch dies konnte ich bei einer Gelegenheit beobachten – gehen sie durcheinander hindurch. Keiner trägt ein blaues Auge, blaue Flecken oder eine blutige Nase davon. Ich aber, so fuhr ich fort, blieb wieder und wieder stehen, wodurch ich mich spätestens als Fremder verriet. Ich wusste nicht, ob Kaspar mir zuhörte, als ich weitererzählte, ihm von der Promenade von Split berichtete, ohne eine Antwort abzuwarten, sagte, dass mir der Atem schwer ging, damals, als hätte ich Asthma. Auf den Inseln vor Split brannten die Wälder. Der Himmel war tagsüber mattgelb. Nachts lag der Aschegeruch, der Geruch von Schwefel in der Luft, und wenn man sich mit der Hand über die feuchten Unterarme strich, blieben dunkle Schlieren auf der Haut zurück. Also, fing ich wieder an, hast du wohl auch nie ein solches Ankommen erlebt, wie es vielleicht nur in Split möglich ist, sagte ich. Als ich im Hotel zu ersten Mal die Fensterläden aufdrückte, hatte ich zwei große, weiche Hände in den meinen. Die Finger warm und rundlich, wie vom Handwerk schwielig, ohne rau zu sein. Ein greiser Mund und ein greises Gesicht über einer breiten Brust. Ein «Willkommen», lautlos und ohne ein Öffnen der Lippen. «Jemandem die Hand reichen» kam mir in den Sinn, hat mit Geben und mit Nehmen zu tun, und mit zwei Händen oder mit vier, als sich der Mann in

sein Zimmer zurückschob, dabei mit beiden Armen die Läden zuzog und mit einem Klicken einhaken ließ. Wie ich eine Stunde später an den Häuserfassaden nach oben schaute, sah ich, dass die Fenster an Wäscheleinen so nah zusammengezogen waren, dass man sich beinahe über die Gasse hinweg die Hand hätte reichen können. Kaspar schwieg. In die Bäume an der Flusspromenade fuhr der Wind. Ich glaubte, aus dem Augenwinkel ein Kopfschütteln wahrnehmen zu können. Die Äste warfen ihre Schatten auf sein Gesicht. Neulich ging ich einen Stapel vollgeschriebener Notizhefte durch. In einem der Hefte stieß ich auf einen undatierten Eintrag, den ich vor Jahren nach einem Besuch beim Urologen verfasst hatte. Sogleich konnte ich mich wieder an den Mann – er hieß Dr. Radosevicć – erinnern. Die medizinischen Fragen waren bald geklärt. Weniger Kaffee, weniger Bier, weniger Rotwein. Stattdessen einmal eine Tasse Tee. Ein gesundes Leben. Keine sexuellen Ausschweifungen. Überhaupt hätten viele – nicht nur die urologischen – Probleme, welche die Patienten zu ihm trügen, in ihrem Kern mit verkommenen Formen der Sexualität zu tun. Wie der Mensch überhaupt darauf komme, an seinen Mitmenschen rumzulecken und rumzusaugen. Das sei ihm ein Rätsel. Ein unnatürliches Rätsel, so setzte er hinzu, das im Tierreich so nicht zu finden sei. Das stimme nicht ganz, gab ich zur Antwort. Vorlaut, wie mir sogleich schien. Aber ich fuhr fort, dass Oralsex bei Tieren zwar kein gut erschlossenes Themengebiet ist. Chinesische Forscher hatten aber herausgefunden, dass das Weibchen des indischen Kurznasenflughunds am Männchen Fellatio praktiziere. Über die Gründe ist im Wesentlichen nur zu spekulieren. Ob dies nun für den Kurznasenflughund spreche oder nicht, konnte ich nicht sagen. Dr. Radosevicć sah mich an. Zog eine Braue hoch. Ich bin kein Veterinärmediziner. Gibt es diesen Kurzschnabelflughund überhaupt? Kurznasenflughund, korrigierte ich. Ja, den wird es schon geben. Und ich stelle ihn mir glücklich vor. Radosevic schwieg. Gut, sagte er

dann. Weniger Kaffee, weniger Bier und weniger Wein. Lieber einmal einen Tee. Damit war der medizinische Teil beendet. Er selbst schaue auch, dass er gesund lebe. Schließlich wolle er die zehn Jahre, die ihm noch blieben, genießen. Er sei bald 68 Jahre alt und sei gesund bis in den Kern, könne sich an alles erinnern, was in seinem Leben geschah. Als junger Mann habe er an der medizinischen Fakultät der Universität Zagreb studiert. Ein Platz an der Universitätsklinik sei ihm aber aufgrund seiner antikommunistischen Haltung verwehrt geblieben. Später arbeitete er dann in Deutschland. Seine Schwester war an einer Krankheit gestorben, an einer Allerweltskrankheit, wie man heute sagen würde. Doch damals konnte man nichts tun. So fasste er den Entschluss, Arzt zu werden. Er erzählte weiter, sprach von den jungen Studentinnen in Zagreb und von seinen Reisen von Kroatien nach Deutschland und zurück. Er hat viel gesehen und ebenso viel erlebt. Heute ist er ruhiger, natürlich. Einmal war er mit einem Freund durch Slowenien in südlicher Richtung unterwegs, als der Auspuff ihres Wagens abbrach und unter lautem Scheppern auf den Asphalt aufschlug. Sie suchten dann, so Radosevicćweiter, im nächsten Dorf sogleich eine Autowerkstatt auf. Es war bereits Abend. Die Mechaniker machten sich eben in den Feierabend davon. Widerwillig versprachen sie aber, den Wagen zu reparieren und den Auspuff wieder anzuschweißen. Radosevic und sein Begleiter tranken derweil in der einzigen Kneipe im Dorf ein Bier. Als sie zurückkamen, stand der Wagen auf dem Hof hinter der Werkstatt. Der Auspuff war zwar wieder befestigt. Allerdings nicht unter dem Auto, sondern auf dem Wagendach. Von den Mechanikern keine Spur. Das Dorf wie ausgestorben. Radosevic und sein Freund wollten nicht zuwarten und ­fuhren, mit dem Auspuff auf dem Dach und unter ächzendem Getöne weiter nach Kroatien. Das Notizbuch gibt es nicht mehr. Ob ich Kaspar die Geschichte tatsächlich erzählte? Ich weiß es nicht, kann mich nicht mehr erinnern. Und mit Split, so fällt mir nun auf, hat sie auch nur wenig zu tun. 31


Badewachen Schilderungen, Beobachtungen

Von Sascha Wild

Freizeit Diese Stadt beherbergt ein Freibad, in dem es mein Job ist, Badegäste zu beaufsichtigen. Hier ist man meinen Blicken ausgeliefert. Die Menschen erdulden das. Ich kontrolliere sie beim Schwimmen und Sonnen. Und mein Blick bewahrt diese Leute vor dem Schlimmsten, wenn sie Halsbrecherisches im Schilde führen. Hinter dunklen Brillengläsern sehe ich Singles, Pärchen, Freizeitsportlern, Familien, Kindern von meiner Warte zu, wie sie ihre Freizeit auf grauem Waschbeton, in Chlorwasser, auf braunem Rasen zwischen Zigarettenstummel und Papierschnipsel verbringen. An heissen Tagen marschieren die Angebertruppe aus dem Fitnessraum, Mädchencliquen mit langen Nägeln, Dreissiger-Mütter mit Kindern und Fahrradanhänger heran. Hinter diesen Gläsern erschliesst sich eine Bedeutung von ‹Freizeit›, die dieses Bad beherbergt: den Körper frei machen, die Bräune vertiefen, mit Ball und Baby beschäftig aussehen. Wer das Drehkreuz unseres Bades durchschreitet, befreit sich zumindest für einige Stunden vor Lebens- und Gewissensfragen. Verschiebe ich nicht schon wieder wesentliche Probleme auf später? Habe ich in diesen Stunden der Hitze aufgehört, an mir selbst zu arbeiten? Ist meine Freizeit, diese Flucht an die Sonne, in den Sport, eine Flucht vor meinen Selbstzweifeln, vor den Grenzen zu meiner Mitwelt, meinem Gefühl, dass ich nicht genüge? Hier zu32

mindest sieht es so aus, als spielten meine Zukunft und Vergangenheit für einige Stunden Frischluft keine Rolle. Hier bin ich mit der Kühle einer Duschbrause konfrontiert, mit dem Bienenstich meiner vierjährigen Tochter, mit dem Zigarettenqualm meiner Nachbarn auf der Liegeweise, mit der Frage, ob mich der Fussball der Gewerbeschüler in drei oder zehn Minuten trifft.

Europäische Badegäste Von meinem Podest beobachte ich Halbnackte. Manche tragen hier Badekostüme, die nur schamlos die Scham bedecken. Warum zeigen sie nicht alles? Warum zeigen sie es überhaupt? Die Kinder dürfen das nicht. Man hat ihnen das ‹Blüttle› verboten. Sie steigen mit winzigen Höschen und riesigen Flügeln ins Wasser. Vom Bassin leuchten diese Plastikbeutel heraus: grelle, orange Punkte, dutzende Bemaund Becoflügel, gefüllt mit der Luft eines Vaters, einer Mutti, damit die mutigen Engel im Wasser nicht ertrinken. Grelles Orange oder Pink ziert zuweilen auch Brüste und die Schamgegend junger Mädchen und Mütter, wippt an Machohüften. Es ist unmöglich, nicht aufzufallen mit diesem Textil, diesem letzten Aufruf an die Vorübergehenden: «Sieh mich an!», «Greif zu!», «Rette mich vor dem Untergang in der Masse!» Das gereizte Auge flüchtet zum Gehweg, auf dem die hypertrophe männliche Jugend eine Parade absolviert, von der Liegewiese zum Eisstand,

vom Eisstand zurück, und dabei die harten Körper wie Trophäen den Anwesenden ins Gesicht hält. Durchtrainierte, Durchtätowierte, Enthaarte, Nikotinsüchtige gehen und liegen herum, spielen mit Bällen und mit Absichten eines heissen Julinachtmittags. Um die Mittagszeit wandle ich zwischen Nichtschwimmer- und Kinderbecken. Die meisten Aufseher ziehen es vor, bei den Schwimmern weiter oben Wache zu stehen. Hier ist es laut und unübersichtlich. Manchmal frage ich mich, was an diesem Getriebe europäisch ist. Ist es der blaue Niveaball aus Plastik, den ein Jungen auf der Wasseroberfläche vor sich herschiebt? Eine rote Badehose mit einem Schweizerkreuz? Vermutlich sind es nicht Dinge, sondern Bewegungen, Kontraste. Im Becken versammelt man sich oft in kleinen Gruppen, kommt einander näher, gerät auseinander. Man bleibt unter sich. Die Leute wissen, zu wem sie gehören und dringen in keine fremden Kreise ein. Man involviert hier nur die Eigenen in Spiele und gibt sich reserviert höflich, wenn man mit dem Ball den Nachbarn trifft. «Sorry» und «Merci» hört man hier zehnmal pro Stunde. Die Kinder überschreiten diese Grenzen. Sie ahmen einander Sprünge vom Beckenrand nach. Sie folgen einander auf allen Vieren durch das Kinderplanschbecken. Sie bleiben vor einem Kleinen stehen, der, von der Mutter gelenkt, die ersten, mühsamen Gehversuche macht. Die Kinder treffen auf andere Kinder und gleiten zusammen über silberne Aluminium-


rampen. Sie begrüssen und entschuldigen sich nicht, sie gehen, nach dem sie eine Weile gespielt haben, abrupt auseinander.

Kinderszenen Ich beobachte, wie ein Junge sich von seiner Gruppe absondert. Er schwimmt auf fremde Menschen zu, spricht sie an. Die Mutter folgt ihm, versucht ihn zurückzubringen zum Wasserpilz, wo die Familie wartet. Aus dem Schatten schaue ich ihm zu, bis sich die Augen des Jungen mit meinen treffen. Neugierig kommt er zum Beckenrand, wirft aus dem Wasser freundliche Blicke hinüber. Er spricht. Langsam watet die Mutter herbei: «Luca, lass uns ein Eis holen!» Keine Reaktion. Dieser Blickkanal von ihm zu mir ist jetzt schalldicht. «Luca, ist das ein Gespräch unter Männern?» Bevor es ihr unheimlich wird, löse ich die Blickbeziehung mit einem Lächeln zur Mutter auf. Der Junge folgt ihr. Etwas weiter vorne badet eine junge Familie. Etwas verrät mir ihre südosteuropäische Herkunft, ihr Mädchen bewegt sich auf den Treppen des Nichtschwimmerbeckens. Die attraktive, geschminkte Mutter im schicken Badekleid wartet im Wasser, hält die Kleine im Auge, ihr Körper wechselt die Lage mit den Bewegungen des Kindes, das nun auf dem obersten Absatz der Stufe zum Vater hinübertrappelt. Dieser sitzt da, schwer, gleichgültig, gelassen, sein Rücken ist dem Becken zugewandt. Er scheint nichts Besonderes ins Auge zu fassen. Als die Kleine herannaht, ihn anblickt, dreht sich sein Kopf ihr zu, bis sie wenige Meter vor ihrem Vater stillsteht. Sie ändert die Richtung und wechselt zum Spielplatz hinüber. Dort setzt sie sich auf eine Schaukel und wippt. Die Eltern, die sie sich selber überlässt, stehen, sitzen nun an zwei Punkten, von denen sich für einen Moment nicht sagen lässt, ob sie zusammen gehören oder nicht. Den ganzen Sommer über kommt eine junge Familie mit Kind. Der Sohn, kaum älter als fünf Jahre, ist blond und betritt jeweils an der Hand der ebenfalls blonden Mutter das Nichtschwimmerbecken. Der Vater, ein durchtrainierter Anfangsdreißiger mit schwarzen, kurzen Haaren und bleicher Haut, geht in grünen Badeshorts nebenher. Beim Stehen stützt er die Finger in den Saum seiner Billabong-Shorts, blickt herum und sieht sportlich aus. Er kommt selten bis ins Wasser, setzt sich meistens an den Rand und sieht von dort der spielenden Familie zu. Während er die Arme um die angewinkelten Beine schliesst, grinst er durch die Sonnenbrille

auf das Kind. Er betrachtet den Sohn von oben, ohne sich auf ihn einzulassen, blickt auf das Spiel, ohne daran teilzunehmen. Starr steckt er in einem Fitnesskörper, den er von den Anwesenden am meisten hat. In diesen Tagen kommt wiederholt eine Mutter mit ihrem vierjährigen Sohn und legt ihre Sachen neben mein Podest. Der Knabe ist dann für eine Weile im Nichtschwimmerbecken und übt Spiele. Die Mutter steigt mit ins Wasser und schaut ihm zu, wie er den Anschluss an Gleichaltrige sucht. Geht er wild mit seinen Spielgefährten um, zitiert sie ihn herbei. Er überhört das oft und die Mutter brüllt dann über das ganze Becken. Sie zerrt ihn zu sich und schimpft ihn aus. Er ist sich das gewohnt und spielt folgsam weiter. Das Mittagsbrot nehmen sie auf dem Badetuch ein. Während er nackt sein Sandwich isst, sitzt die Mutter im Bikini vor ihm und verdrückt die Mahlzeit. Die Hose, erklärt sie mir, sei zum Trocknen auf dem Holzrost. Nach dem Imbiss spielt der Junge mit derselben Hose im Planschbecken weiter. Bevor beide den Platz räumen und das Bad verlassen, zieht sie ein knielanges Kleid an und die Unterhose aus. Kinder und Eltern haben ein Anlehnungsbedürfnis. Nur die Kinder wollen sich verstecken. Sie wollen in Ruhe gelassen werden, sie wollen in der Sandburg verschwinden. Sie suchen nach einer Bestätigung beim Versuch, kopfvoran ins Wasser zu springen. Die Eltern lieben das Prädikateverteilen. «Du bist super», hört man sie rufen. Nicht wie du springst, dass du springst, macht uns glücklich. Deine nassen Haare, die sich wie Schnüre um deinen Kopf legen, deine kreisenden Arme, die in dicken Flügeln stecken, dein Strahlgesicht – das halte ich in Erinnerung, das halte ich auf meinem iPhone fest. Einen Tag im Freibad, als du klein warst. Ge-‹liked› von Facebook-Freunden.

Gefahrenzonen Meine Aufsicht dauert an. Ich konzentriere mich auf ein Gewirr von Haut und Polyester auf dem Holzrost. Nacktheit wird nicht toleriert. Das ist eine Regel, die man den Leuten bei gegebenem Anlass hersagt. Darauf erwidert eine Mutter, dass die Regel bei Männern mit Bauch auch etwas strenger sein dürfe. Wir schliessen das Nacktbadeverbot mit dem Wort ‹Hygiene› ab. «Wegen der Hygiene» reicht aus, damit die Leute verstanden haben und die Genitalien ihrer Kleinen mit Höschen bedecken. Es gibt Verbote, wie das neulich eingeführte, Shishas zu rauchen, oder auf der

Liegewiese Ball zu spielen, mit Kindern ans Schwimmerbecken zu treten. Hier braucht es Härte, Regeln durchzusetzen, Aufmerksamkeit, Gefahren zu orten. Mein Chef erklärt mir etwa, dass man auf die Schwarzen aufpassen müsse. Die können nicht immer schwimmen. «Du musst die Schwarzen im Auge behalten.» Anderntags beunruhigt ihn ihre Anwesenheit auf der Liegewiese. Sie könnten ins Wasser springen und dort unbemerkt ertrinken. Während wir am Beckenrand stehen, zeigt mein Kollege auf den Schatten eines Baumes im Wasser. Man sehe sie dort eben nicht so gut, die Schwarzen, weil sie auch dunkel seien.

Feierabend Kurz vor neun ist Feierabend. Die Schwimmenden werden aus den Becken geholt. Schweigend packen sie zusammen. Schwieriger hat es der Kollege auf dem Sandplatz. Er ruft den Sportlern zu, das Feld zu räumen, und sie spielen weiter. Er gibt ihnen mit «Nein, jetzt!» zu verstehen, dass das Spiel zu Ende ist und erteilt ihnen eine Verwarnung. So lasse er nicht mit sich reden, gibt einer zurück, nicht in diesem Ton. Es stellt sich heraus, dass der junge Mann bei der Stadtpolizei arbeitet. Als ihn der Kollege am Ausgang abfängt, werden wir Zeugen der Exekutivmacht, die sich in Flipflops, Tanktop, Gelfrisur und Sporttasche vor unseren Augen aufbaut. Der junge Mann will jetzt sofort den Namen des Bademeisters, der ihm frech gekommen sei. Er weigert sich, eine Verwarnung mit solcher Anstands- und Respektlosigkeit entgegenzunehmen. Die Männer stehen einander gegenüber, richten die Augen wie Schiesswaffen aufeinander. Der Freizeitpolizist weigert sich auch, ins Büro zu kommen, um sich den Namen dort geben zu lassen. Er versichert uns, dass er ihn sich anders beschaffe und verlässt das Bad. Wir schliessen. Die Leute legen keine Eile an den Tag, den Liegeplatz zu räumen. Dreiradkinderwagen werden durch die Tore geschoben, Taschen mit zehnmal «Barcelona» in zehn Farben hinausgeschleppt. Feuchte Tücher hängen an braunen Armen, Flipflops schlurfen über den warmen Boden, lassen die Leute fast darin versinken. Männer verlassen das Freibad oben ohne, Frauen tragen wenige Zentimeter mehr Stoff. Mit ihren Autos, in denen es nach Sonnencreme und feuchter Haut riecht, bringen sie die ­Restglut dieses Nachmittags in die ­A gglomeration zurück. 33


Georg Kreis: Schweizer Erinnerungsorte. Aus dem Speicher der Swissness. 120 farbige und schwarzweisse Abbildungen. Verlag Neue Zürcher Zeitung. Zürich 2010. 352 Seiten. CHF 29.–.

Abgrenzen und verbinden durch Erinnerungsorte Was die Schweiz zur Schweiz macht

Von Arkadiusz Luba Zwischen Geschichte, Kultur und Politik liegt ein gemeinsames Erinnerungsgut, an dem man sich orientieren kann. Es sind Mythen, historische Gemeinplätze, Referenzorte der kollektiven Kommunikation, lieux de mémoire. Ihre Bedeutung wurde Ende der 1970er Jahre von Pierre Nora für die französische Geschichtsschreibung entdeckt. Inzwischen haben viele weitere Länder Inventare ihrer eignen Erinnerungsorte zusammengestellt. Für die Schweiz wendet Georg Kreis dieses System zum ersten Mal an. 34

Geschichte dritten Grades In dem Konzept von Nora geht es um die so genannte Geschichte zweiten Grades. Es beschreibt eine neue Herangehensweise an die Erforschung der Vergangenheit. Es wird darin nicht mehr danach gefragt, wie es wirklich gewesen war, die Fakten sind weniger wichtig. Die Fragestellung richtet sich mehr nach dem «Was?» und «Wie?» man sich erinnert. Und so sucht Kreis nach relevanten Erinnerungsorten für die Schweiz, nach dem, was für das Land wichtig sei. Nicht ohne

Augenzwinkern verrät er: «Ich versuchte eine ‹Geschichte dritten Grades› zu schreiben, indem ich sagte, ich will jetzt einmal annehmen, das könnte ein Erinnerungsort sein und schreibend nach bestimmten Kriterien testen, ob es funktioniert oder nicht. Dabei mussten es mindestens ein Erinnerungsort aus der italienischen und mindestens drei ­Erinnerungsorte aus der französischen Schweiz sein». Wie entsteht ein kollektives Gedächtnis? Wie verändert es sich? Und wie wichtig sind Erinnerungen für


die Identität eines Volkes, für die Bildung eines nationalen Staates? Welche Zeichen und Symbole bestimmen eine Gesellschaft? Das sind die Fragen, denen sich der Historiker widmet.

Ein Experiment Die Erinnerung selbst wirkt in der Geschichte, ist aber nicht Geschichte an sich, sondern nur eine Interpretation von Dingen, die geschehen sind. Und diese verändert sich. Unser Gedächtnis wird pausenlos überschrieben und ausradiert. Normalerweise erinnern wir uns subjektiv und selektiv; ausserdem hat unsere Erinnerung blinde Flecken. Gerade dieses Spannungsverhältnis zwischen Wirklichem und Vorgestelltem bildet den Reiz, jene Phänomene zu erforschen. Kreis habe das Buch als «ein Experiment» geschrieben, denn an «Erinnerungsorte müsste ‹man› sich eigentlich sogleich erinnern. Das heisst: Sie müss-

ten einem schnell einfallen. Das schliesst allerdings nicht aus, dass es auch versteckte Erinnerungsorte gibt, die ihre Kraft aus dem Unscheinbaren gewinnen, sozusagen archetypische Erinnerungsorte als unbewusste Fixpunkte. Die Erinnerungsorte stellen sich aber nicht von alleine ein, sie leben in hohem Mass von der Zuschreibung». In dem Buch des Basler Historikers macht – wie könnte es anders sein – das Rütli den Anfang, das zu den grossen identitätsstiftenden Orten gehört, gefolgt von der Landsgemeinde, die mit ihrer Versammlungsdemokratie so etwas wie Fortsetzung des Rütlischwurs ist. Auch der Mythos Tell darf nicht fehlen, ebenso wenig wie Bruder Klaus oder die Solddienste in fremden Ländern. Winkelried, Pestalozzi oder Heidi, der Gotthard, der Bernhardiner und das Grand Hôtel werden ebenso beleuchtet wie das Soldatenmesser, die Swatch (die Firma «Freitag» fehlt jedoch), Kaiseraugst oder – wieder

aktuell – Bankgeheimnis, um einige der 26 im Buch beschriebenen Erinnerungsorten zu nennen. Deren Funktion bestehe darin, dass «es sie überhaupt gibt und dass Gemeinsamkeit über imaginiertes Sein erfahrbar wird», meint der Autor in der Einleitung. «Solche Gemeinplätze sind übrigens auch für die Aussenpräsentation und für die Aussenwahrnehmung wichtig.»

Fazit Mit der oben genannten Auf listung präsentiert Georg Kreis eine kleine, aber spannende Auswahl von Wegmarken der schweizerischen Erinnerungslandschaft und zeigt auf, wie vielschichtig, variabel und komplex die im Bewusstsein eingeschriebenen Bezugspunkte der kollektiven Kommunikation sind und bleiben.

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Grenzen der Sexualität? Schwulsein bei den «Simpsons»

Von Arkadiusz Luba Homosexuelle werden beinah überall auf der Erde ausgegrenzt, verfolgt und benachteiligt. Besonders im Fußball gilt Homosexualität als extremes Tabuthema. Selbst wenn die Nationalität und die Hautfarbe der Spieler keine Rolle für die Fans spielen, so werden schwule Fußballer abgelehnt. Wie verhält es sich mit Zeichentrickserien?

Alles wird flüssig... Während Frankreich die sogenannte Homo-Ehe legalisiert und Deutschland homosexuellen Paaren die soziale Gleichstellung garantiert, erscheint in dem Berliner Verlag «Archiv der Jugendkulturen» das Buch «Hinter den schwulen Lachern – Homosexualität bei den Simpsons». Der Autor Erwin In het Panhuis analysiert anhand der ersten 509 Folgen, die bisher im deutschen Fernsehen gelaufen sind, wie sich die «Simpsons» zu schwulen und lesbischen Themen positionieren. Dabei werden nicht nur viele Figuren vorgestellt, sondern auch ca. 200 popkulturelle Referenzen – meist Filmtitel – kritisch unter die Lupe genommen, Fälle von Zensur dokumentiert und ein Vergleich mit anderen Serien vorgenommen. Und so hat In het Panhuis insgesamt rund 490 Szenen im schwulen und lesbischen Kontext und ca. 70 schwule und lesbische Figuren in der Serie gefunden, die sich genauer beschreiben lassen. In Springfield «haben viele Männer eine f lexible sexuelle Orientierung, die sie manchmal als schwul und manchmal als heterosexuell erscheinen lässt» (S. 11). Der wohl wandlungsfähigste Charakter ist der Familienvater Homer Simpson. Er lebt mit seiner Frau in einer sozial und sexuell treuen Beziehung. Trotzdem knüpft er homoerotische Männerfreundschaften, «zeigt sich distanzlos und küsst mehr als fünfzig Mal andere Männer auf den Mund» (S. 24). Auf der anderen Seite hat er Angst, nicht 36

männlich genug zu wirken und zeigt sich auch oft von seiner homophoben Seite. Beispielsweise «wenn sich Homer abschätzig über Ballett äussert, ist in der Kombination von Tonlage und abgespreizten Händen die Ablehnung von weiblichen Männern und Homosexualität erkennbar» (s. 26).

...und verschleiert In den Filmen der 1960er und 1970er Jahre werden Schwule und Lesben meist totgeschwiegen oder diskriminiert. Sie sind in dieser Zeit die bemitleidenswerten Aussenseiter der Gesellschaft, die am Ende des

Durch ihren Umgang mit Sexualität hat die Serie oft provoziert. Heutzutage liegt «der Reiz der ‹Simpsons› weniger in ihrer Deutlichkeit, sondern gerade in ihrer subtilen Doppeldeutigkeit» (s. 195), es wird «nicht mit klaren Botschaften, sondern mit Anspielungen und Andeutungen gearbeitet» (S. 12). Viele Anspielungen seien so verschleiert, dass sie selbst von Schwulen und Lesben möglicherweise nicht erkannt werden und das aus einem konkreten Grund, meint In het Panhuis. Dazu zitiert er den «Simpsons»-Autor David X Cohen: «Man kann einen Witz machen, den nur ein Prozent der Zuschauer versteht, solange er das Vergnügen der breiten Masse nicht stört. Und dieses eine Prozent wird Fan auf Lebenszeit» (S. 12).

Fazit

Films oft durch Freitod oder Mord ums Leben kommen. Bei der erfolgreichsten US-Zeichentrickserie ist es anders. Sie richtet sich mit ihren satirischen Beiträgen zu politischen und gesellschaftlichen Themen seit mehr als zwanzig Jahren auch an Erwachsene. Dabei ist der Umgang mit Sexualität offen. Was selbst dem gelegentlichen Zuschauer auffällt: Immer wieder äussern sich Homer, Marge und andere auch über schwul-lesbische Themen wie Homo-Ehe oder Outing. «Homosexualität ist kein gesellschaftliches Tabuthema mehr. Sie ist weder bei Prominenten noch bei Zeichentrickfiguren etwas Besonderes und für sich alleine genommen noch nicht einmal mehr ein Zeichen von Liberalität», schreibt In het Panhuis (S. 195).

«Im Ergebnis vermitteln die ‹Simpsons› für ein Millionenpublikum ein typisch amerikanisches, aber untypisch aufgeschlossenes Bild von Schwulen und Lesben. Trotz der Rückgriffe auf Klischees ist bei der Serie fast immer ein intelligenter, fairer und unterhaltsamer Umgang mit Homosexualität zu beobachten», konstatiert der Autor auf dem Backcover. Die letzten drei Adjektive können genauso gut das Buch von In het Panhuis beschreiben. «Hinter den schwulen Lachern» ist eine intelligente, faire und unterhaltsame Studie zur Homosexualität bei den «Simpsons»; sorgfältig recherchiert, fundiert analysiert und editiert, sowie spannend geschrieben. Literatur Erwin In het Panhuis: Hinter den schwulen Lachern – Homosexualität bei den Simpsons. Ca. 350 Abbildungen. Durchgehend farbig. Archiv der Jugendkulturen Verlag. Berlin 2013. 205 Seiten. Euro 28.–.


die Grenze bei Liessmann Von Ana Lupu Grenze. Das mhd. greniz[e] wurde ursprünglich von dem Westslawischen granica (dessen Stamm von ru. ran stammt, dass eigentlich «Ecke, Kante, Rand» heisst) entlehnt und hat sich im 13. Jahrhundert von den östlichen Kolonisationsgebieten aus allmählich über das deutsche Sprachgebiet ausgebreitet. Eine Formulierung, die dieser aus dem Herkunftswörterbuch ähnlich klingt, wählt auch der Philosoph Konrad Paul Liessmann, wenn er in seiner EssaySammlung Lob der Grenze. Kritik der politischen Unterscheidungskraft über die Etymologie der Schlüsselbegriffe schreibt und die Entwicklung sowie die Verwendung von Wörtern im Sprachzusammenhang verdeutlichen möchte. Die schön geschriebenen Beiträge über Grenzen und die damit unvermeidlich verbundenen Grenzübertretungen sind weder ein hochmütiges Plädoyer für Barrieren und Divergenzen noch handelt es sich um kaum zugängliche Überlegungen. Allerdings erscheinen einige verwendete schwierige Ausdrücke, die mit einem gewissen Schwierigkeitsgrad gefüllt sind, für den mit solchen Formulierungen ungewohnten Leser schwer verdaulich. Die Betrachtung beginnt mit einem Versuch, das Wort «Krise» zu bestimmen. Die Unberechenbarkeit geschichtlicher Prozesse deutet darauf hin, dass Krisen erst im Nachhinein, im Rückblick, fixiert werden können. Liessmann nähert den Begriff der «Krise» dem der «Kritik» an, um festzustellen, dass aufgrund ihrer Herkunft beide Wörter, sagt er, «Grenzen markieren». Dabei steht der «Kritik», der die Fähigkeit von Bewertung und Differenzierung zugrunde liegt, eine Art Reflexionspotential inne. Wird «Kritik» also eher durch Transitivität charakterisiert, so lässt sich die «Krise» über die Wahrnehmung und die Art der Resonanz festlegen, die Differenzerfahrungen auslösen können. Die einzelnen Kapitel des Buches tangieren unterschiedliche Bedeutungsfelder des Wortes «Grenze». Dabei unternimmt Liessmann den Versuch, das Thema «Grenze» in sei-

ner Vollständikeit zu reflektieren. Es wird ein Spannungsbogen ausgebreitet, der gleichzeitig aktuell wie philosophisch-historisch, Verbindungen schafft. Es ist ein Spannungsbogen, der an die aufeinander verweisende, sich gegenseitig bedingende Position der Wörter «Krise» und «Kritik» zueinander, erinnert. In seinem Werk An der Grenze zwischen Sein und Nichts fängt Konrad Paul Liessmann mutig mit der Ontologie der Grenze an und beweist im Hegel’schen Sinne den «Anfang» als ein mit «Sein» und «Nichts» beladenes Konzept. So widersprüchlich die Auseinandersetzung mit dem Anfang erscheint (da der Anfang durch das Ende verstanden werden will), so unentbehrlich ist sie an einer Grenze, die an Ursprünglichkeit erinnert. Erst durch die Wahrnehmung der Grenze wird diese überhaupt begreifbar. Dabei wird auch auf eine grundsätzliche Frage in der Kunst eingegangen: Wo soll man mit der Definition beginnen? Von der Ästhetik wird man dann sanft in die Diskussion über die Grenze in Moral und Ethik in der Politik übergeführt. Bevor der Begriff der Grenze seine Aktualität in der Argumentation politischer, vor allem europäischer Ereignisse findet, wird der Leser aber auf die Veränderlichkeit von Grenzen in Bezug auf den Begriff «Mensch» und seiner Definierbarkeit hingewiesen: «Im Bild, das der Mensch von sich entwirft, kommt er selbst immer weniger vor. Er sieht sich zunehmend als Hybridwesen, entweder durch transhumane Gene verbessert oder an hochkomplexe Prozessoren und kybernetische Maschinen angeschlossen» so Liessmann. Liessmann stellt sich in seinem Essay An den Grenzen Europas die entscheidende Frage, wie Europa eher geistig und nicht politisch seine Grenzen bestimmen könnte. Redet man über die Zukunft, die man als Risiko geneigt ist aufzufassen, wird die eigentliche Aporie hervorgetrieben: der Versuch das Unberechenbare ins Berechenbare überzuführen. Wenn ausser der Kultur wenig ­existiert, das nachhaltiger gewirkt hät-

te – abgesehen von den negativen Beispielen der nachhaltigen Dekonstruktion und Selbstgefährdung, für die es Bekämpfungsmassnahmen zu entwickeln gilt – , dann verbinde man mit dem Begriff der «Kultur» auch den der «Urbanität». Andererseits sollen Städte wegen einer eigenen Dynamik in voneinander abgeschottete Welten zerfallen. Gegen den von Maschinen verursachten Lärm könne man nicht mehr vorgehen – ganz zu schweigen davon, dass in einer solchen Welt vor allem das Denken verunmöglicht werde. In einer Welt, in der Grenzen beseitigt und aufgehoben und Unterscheidungen im Denken schwer zugelassen werden, singt Konrad Paul Liessmann ein Loblied auf die Kraft der Differenzierungen. Gerade hier geht es um das Finden eines Gleichgewichts zwischen Privat und Öffentlich, zwischen Markt und Staat, zwischen Freiheit und Sicherheit. Denn wenn er in seiner Argumentation zu philosophischen Diskursen aufbricht und durch Ideenwelten schlängelt, dann geht es auch darum, Rechenschaft über sich selbst und die Zeit, in der man lebt, zu geben. Seine EssaySammlung ist eine mit kritischem und selbstkritischem Verstand kühne Beobachtung der eigenen Umgebung. Windet Liessamnn die Fäden seiner Argumentation von existentiellen, über anthropologischen zu den politischen und gesellschaftlichen Grenzen, so hält man am Schluss eine in sich geschlossene Sammlung von Gedanken in der Hand, die über die Seitenränder hinausreichen. Sie sind sowohl ein gekonnter Einblick in das schwer in eigene Worte zu formulierende Bekannte als auch ein kleiner eleganter Ansporn über das Gelesene zu reflektieren. Literatur Liessmann, Konrad Paul. Lob der Grenze. Kritik der politischen Unterscheidungskraft. Wien 2012 Das Herkunftswörterbuch; 4., neu bearbeitete Auflage, Bibliographisches Institut GmbH, Mannheim, 2007.

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Herbstsemester 2013 «Kritik oder Bashing?»

Hochschulgottesdienst mit Predigtwunsch von Michael Pfenninger, Theologie Predigt: Friederike Osthof, Musik: Studierende der ZHdK Predigerkirche, Sonntag, 29. September 2013, 11.00

Aktives Relax-Training

Für Prüfungsphasen und bei Stress, ein Kurs mit Übungen zur aktiven Entspannung. 4 mal dienstags, 22. Oktober bis 12. November 2013, 18.15 – 19.45, KOL-Q-2, UZH Zentrum

Vorgelesen – Junge Texte des Alten Testaments Poetische Zeilen, skurrile Metaphern, donnernde Prophezeiungen. Ziel ist alleine das Vorlesen, so wie es am schönsten ist: als ausgedehnte Gutenachtgeschichte. Donnerstags, 26. September bis 5. Dezember 2013, 19.00 – 20.00, Hirschengraben 7, 8001 Zürich

Mittagspause

Zeit, Essen und Ideen teilen – Alle bringen etwas fürs gemeinsame Buffet mit. Ein Gast berichtet über ungewöhnliche Wege und unterwartete Ankünfte seines beruflichen Werdegangs. 3x Mittwoch, 16. Oktober, 13. November, 11. Dezember 2013, 12.15 – 13.00, Turmzimmer KOL-Q-2, UZH, 8001 Zürich Weitere Infos/Angebote, Blog re-4me: www.hochschulforum.ch

Das aki – ein spiritueller Ort mitten im Studienalltag!

Meditation auf der Basis biblischer und anderer Texte: jeden Mittwoch, 18.30-19.15h Gottesdienst (Eucharistie, Taizé-Gebet oder Wortgottesdienst): jeden Donnerstag, 18.30h Beratung und Seelsorge Bei persönlichen Problemen, Glaubenskrisen etc. Anruf oder Mail genügt.

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Hirschengraben 86 (unterhalb der Polybahn), 8001 Zürich. Tel. 044 254 54 60; info@aki-zh.

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Alles rund ums Studium

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