Wolfgang BĂśhler
Warum sich die Medienwelt noch dramatischer verändern wird, als wir heute glauben Vorwort von Hannes Britschgi
Inhalt
Prolog von Hannes Britschgi
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Die Phasen der Webentwicklung – Zeit der Manifeste
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Social Web – das Geschnatter der Gänse beim Kapitol
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Vom Information-Provider zum Information-Broker
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Der Content-Markt – Journalisten, Kunstmaler, Fussballer
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Qualität und Wettbewerb – Goethes Idee der Freiheit
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Das Yin und Yang der journalistischen Medien
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Die Ökologie der Unabhängigkeit und kritischen Distanz
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Die vertikale Integration der Informationsbedürfnisse
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Die Medien-Werkstatt – das Rembrandt-Prinzip
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Die neuen Eintrittsschwellen: Die Kolumbus-Strategie
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Epilog: Die Kathedrale und der Basar neu gedacht
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Index
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Die Phasen der Webentwicklung – Zeit der Manifeste
GNU steht für «Gnu’s Not Unix» und ist der Name für ein komplettes Unix-kompatibles Softwaresystem, das ich schreibe, um es frei an alle weiterzugeben, die es nutzen können. Einige andere Freiwillige unterstützen mich. Richard Stallman, GNU-Manifest
Alles hat so schön begonnen und ist dann aus dem Ruder gelaufen. Wieso eigentlich? In den 1980er-Jahren ist die Welt entweder bernsteinfarben oder smaragdgrün. Zeitungsverlage erwirtschaften Rekordumsätze und investieren in überdimensionierte Druckereien – sie scheinen die unangefochtenen Herrscher der Medienwelt zu sein. Ihre Investitionslust ähnelt der Euphorie auf dem Immobilienmarkt in den USA der Nullerjahre des 21. Jahrhunderts. Ein Beispiel: 1984 nimmt die Zürcher Tages-Anzeiger-Gruppe das modernste Produktionszentrum Europas in Betrieb: Die Druckerei Bubenberg beherbergt in einem weiträumigen Industriebau drei grosse Offsetrotationen der Firma Koenig & Bauer samt Speditionsinfrastruktur. Drei P bestimmen die Zukunft der Medien: Papier, Papier, Papier. Das zumindest glauben die Manager der grossen Zeitungsverlage. Sie werden in den kommenden Jahrzehnten Überkapazitäten im Druckbereich auftürmen. Die Nachbeben dieser Euphorie sind bis heute spürbar. In Basel wird Anfang 2013 die hoffnungslos überdimensionierte Zeitungsdru ckerei der «Basler Zeitung» geschlossen. Sie ist noch 2001 abgesegnet und 2003 für 85 Millionen Franken hochgefahren worden. Sie sollte es vor allem möglich machen, im Auftrag die «Coopzeitung» durchgehend farbig zu drucken. Ein Besitzerwechsel und schlechte Kommunikation (die Coop-Verantwortlichen sollen laut Branchenkennern über den Besitzerwechsel bloss mit einer spröden SMS informiert worden sein) führen 13
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aber dazu, dass Coop zwei Drittel der Aufträge anderweitig vergibt. Die Schliessung der Basler Druckerei ist ein Nachzügler im Megatrend der Medienbranche, Presse und Druckereigeschäft zu entflechten. Bernsteinfarben oder smaragdgrün leuchten die Buchstaben auf schwarzem Grund in den 1980er-Jahren auf klobigen Bildschirmen. Mit ihnen wird auf die sperrigen Grossrechner der Zeit, die «Mainframes», zugegriffen. Auch die Monitore der ersten Personalcomputer halten sich an die Edelsteinästhetik. Schnell verfügbare Kopien digitaler Daten sind noch kein Thema. Noch existieren Informationstechnologie und die Industrien der immateriellen, durch Urheberrechte geschützten Güter wie Texte und Musik friedlich nebeneinander. «Big Blue», der Computerkonzern IBM, der bis zu diesem Zeitpunkt mit seinen Grossrechnern die elektronische Datenverarbeitung dominiert hat, ist in den 1980er-Jahren hinter der amerikanischen Regierung der zweitgrösste Verlag der Welt und damit selber bedeutender Hüter von Textrechten. Die Handbücher der IBM-Computer werden gedruckt, in alle Welt verschickt und ständig aktualisiert. Jede IBM-Zweigstelle beherbergt damit auch eine ansehnliche interne Bibliothek. Die Techniker von Big Blue, die bis vor kurzem noch dezente blaue Geschäftsanzüge getragen haben, schleppen kiloweise Bedienungsanleitungen mit sich herum. Buchdruck und Informationstechnologie leben in harmonischer Sym biose neben- und miteinander. Grafische Oberflächen gibt es zwar schon länger – nämlich seit den ersten Apple-Rechnern. Daten werden allerdings über Disketten ausgetauscht, auf denen im Maximum 1,44 Megabyte Informationen Platz haben – knapp genug für die Buchstabenmenge eines schmalen Buches. Ein einziges Foto in durchschnittlicher Auflösung hätte darauf heute bereits keinen Platz mehr. Einzig die Grafiker nutzen teure externe Speichermedien, die berühmten Zip-Wechselplattenlaufwerke, auf denen die für die damalige Zeit spektakuläre Menge von mehreren Hundert Megabyte Da14
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ten (und damit grosse Fotos und druckfähige Grafiken) abgelegt werden können. Die für den Durchschnittsbürger unerschwinglichen Zip-Disketten machen die Grafiker zu einer Art Sonderkaste, sie haben aber auch ihre Tücken. Legendär bleibt der «Click of Death», ein Versagen des über beanspruchten Schreibkopfes, der so manche Wochen harter Grafikarbeit in Sekundenbruchteilen zerstören kann. Man frage einmal ältere Grafiker. Jeder hat da so seine Anekdoten zu erzählen. Journalisten, Buch autoren, Musiker fürchten zu dieser Zeit noch kaum um ihre Einnahmequellen, Bücher und Tonträger verkaufen sich gut, Zeitungen bezahlen anständige Honorare für Texte und kennen teils grosszügige Spesenregelungen. Nicht wenige Redaktoren, die oft unterwegs sind, ergänzen ihr Einkommen mit mehr als reichlich bemessenen Kilometer-Entschädigungen und Verpflegungspauschalen. Musiker können auch mit der neu auf den Markt drängenden Compact Disc gutes Geld verdienen. Es gibt zwar Erzählungen aus Drittweltländern, in denen die Tonträger-Industrie von illegalen Kassetten-Raubkopien im grossen Stil destabilisiert wird – das scheinen aber ferne Räubergeschichten zu sein, ohne Bedeutung für die Märkte der Industrieländer. Der erste Internet-Tsunami überflutet die Weltwirtschaft: Es ist das Zeitalter der Infrastrukturfirmen. In den 1990er-Jahren schlägt die Stunde der Netzwerker, der ersten ganz grossen Gewinner des globalen Netzes. Bevor Daten in rauen Mengen digital hin- und hergeschickt werden können, müssen die physischen Verbindungen dazu aufgebaut werden. Die Goldbarren der Zeit tragen so geheimnisvolle, damals futuristisch klingende Namen wie «Switch», «Router», «Modem» und «Server». Den Nerv der Epoche trifft die Server-Herstellerin Sun Microsystems mit ihrem Firmenmotto «The Network Is The Computer». Mit den über den ganzen Globus wuchernden Netzen verdient sich aber in erster Linie das 1984 gegründete Unternehmen Cisco eine goldene 15
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Nase. Die Aktien der Firma, deren Geräte für die Netz-Infrastrukturen etwa die gleiche Bedeutung haben wie Microsoft für den Personalcomputer, explodieren förmlich. Für kurze Zeit ist das Unternehmen mit einem Börsenwert von rund einer halben Billion Dollar sogar das teuerste der Welt. In der Branche wird gemunkelt, dass selbst die Magaziner der Firma dank Aktienprogrammen allesamt zu Millionären geworden seien. Der Höhenflug der Netzwerkerin ist das erste Vorzeichen für gigantische Umwälzungen in der Medienlandschaft. Es herrscht Goldgräberstimmung, die sogenannte «New Economy» scheint den Traum des schnellen und ewigen Wirtschaftswachstums wahr zu machen. Internetunternehmer können mit Börsengängen über Nacht zu Millionären werden, auch wenn sie mit ihren erst gestern gegründeten Firmen noch nie Gewinne geschrieben haben (und es in manchen Fällen auch nie tun werden). Das Silicon Valley südlich von San Francisco wird zum kreativen Zentrum der digitalen Globalisierung. Paradox mutet an, dass neben dem vielen Risikokapital, in dem die IT-Branche schwimmt, eine weitere Neuerung die Entwicklung anfeuert.
Die Wurzeln der späteren Gratiskultur in Sachen Inhalte finden sich nämlich nicht in dem plötzlichen Bedürfnis von Urhebern, ihre Werke unentgeltlich weiterzugeben und sich damit selber den Boden unter den Füssen wegzuziehen. Sie keimen in den IT-Forschungslabors amerikanischer Universitäten. Die Säulen des Systems werden von Entwicklungen ins Wanken gebracht, die oberflächlich gesehen wenig zu tun haben mit den Erfahrungswelten der Urheber geistigen Eigentums an literarischen Texten, Musik und Filmen, sondern in einer exotischen Welt von Freaks, «Nerds» und Technologiefirmen an der amerikanischen Westküste entstehen. Und mit dem Manifest eines bärtigen Hackers, das Mitte der 1980er-Jahre die Frage nach der Bewertung geistigen Eigentums mit Blick auf Informationstechnologien radikal neu stellt. 16
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Der Informatiker Richard Stallman und seine Mitstreiter wollen Software nicht mehr als Besitz Einzelner (auch nicht ihrer Schöpfer) betrachten, sondern als frei verfügbares Allgemeingut. Ausgangspunkt dazu ist das « GNU-Manifest». 1985 postuliert Stallman in dem legendären Pamphlet, dass «ich ein Programm, das mir gefällt, mit anderen teile, denen es ebenfalls gefällt». Aus diesem kommunitären Gedanken entsteht schliesslich die Open-Source-Bewegung, die den sogenannten Quellcode von Software offenlegt und es damit allen Interessierten ermöglicht, Programme unentgeltlich zu beziehen, nach Belieben zu verändern und für eigene Zwecke anzupassen. Mit seinen Ideen gilt Stallman zwar als Ak tivist ausserhalb des Establishments, er ist heute dennoch im Besitz von neun Ehrendoktortiteln und zwei Ehrenprofessuren, die ihm amerika nische und europäische Universitäten verliehen haben. Die Open-Source-Bewegung macht es möglich, dass sich das globale Netz mit ungeahnter Geschwindigkeit ausdehnt und sich in seiner Entstehungsphase eine bunte, originelle und schnell wachsende kreative Szene entwickelt. Die Infrastruktur des globalen Netzes wird dank dieser Bewegung von seiner Geburt an als Allgemeingut verstanden. Die wichtigsten Software-Komponenten des Systems sind gratis verfügbar: Betriebssysteme, Webserver, Programmiersprachen, Datenbanken. Weitaus am gebräuchlichsten wird die sogenannte LAMP-Architektur aus Linux (Betriebssystem), Apache (Webserver), MySQL (Datenbank) und PHP (Programmiersprache). Die Demokratisierung des Internets, der freie Zugang dazu und die unentgeltliche Nutzung seiner Komponenten sind das geistige Erbe akademischer Freiheit. Dieser Hurrikan über der digitalen Netzwelt wird sich mit einem anderen zu einem Supersturm vereinen. Der zweite ist die Dynamik, die von der Einfachheit, digitale Inhalte zu kopieren und weltweit zu distribuieren, ausgelöst wird. Mit Raubkopien und auch bloss leichtfertigen Vervielfältigungen geschützten Materials kann die Welt dank dem Netz17
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knäuel namens Internet mit Lichtgeschwindigkeit geflutet werden. Die Lawine wird selbst von einem Heer von Anwälten – ausgeschickt von überrumpelten und verunsicherten Verlagen, Musikfirmen und Filmgesellschaften –, technischen Sperren, Appellen ans schlechte Gewissen und drakonischen Strafen als Exempel gegen sorglose Teenager nicht einzudämmen sein. Die ersten Inhalteanbieter sind davon allerdings noch unberührt. Sie können die traditionellen Schutz- und Abgeltungsmodelle für Urheberrechte zunächst problemlos ins Netz übertragen. Dafür steht vor allem ein Pionierunternehmen: der Onlinedienst Compuserve. Es handelt sich dabei nicht zufälligerweise um die Tochtergesellschaft einer Versicherungsgruppe, gehören doch Versicherungen, bei denen riesige Datenmengen anfallen, zu den wichtigsten Betreibern grosser Rechenzentren. Compuserve wird bereits 1969 ins Leben gerufen, ihr Hauptzweck: Geld verdienen. Die Versicherung Golden United Corporation will einen Teil der Kosten für ihre teuren Rechner wieder einspielen, indem sie Rechenleistung an andere Unternehmen verkauft. 1980 führt Compuserve dabei sozusagen als beiläufigen Zusatznutzen auch den ersten Live-Chat, den «CB-Simulator», ein – ohne zu ahnen, welche sozialen und kommunikativen Umwälzungen die Echtzeitunterhaltungen über den ganzen Globus verstreuter Gruppen auslösen wird. Der Chat lehnt sich mit Namen und Struktur noch an einen Vorboten der globalen Kommunikation an, den CB-Funk («Citizens’ Band Radio»), über den Freizeitfunker in Kellern und Garagen bereits in den 1970er-Jahren um den ganzen Erdball Gespräche führen. Über Compuserve können noch vor dem Siegeszug des World Wide Web gebührenpflichtig die ersten journalistischen Inhalte abonniert werden. In Deutschland sind das Magazin «Spiegel» und die Nachrichtenagenturen Reuters und dpa unter den ersten Anbietern. In der Schweiz macht die «Neue Zürcher Zeitung» ihr Archiv über Onlinedienste gegen 18
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gutesGeld verfügbar. Journalisten – vor allem natürlich diejenigen der IT-Fachpresse – beginnen internationale Quellen wie die «San Jose Mer-
cury News», das Lokalblatt des Silicon Valley, online zu nutzen. Recherchen werden dadurch dramatisch schneller und einfacher, bleiben aber weitgehend Privileg der Profis. Noch ist die Kontrolle der globalen Informationsflüsse Privileg der Journalisten-Kaste. Im Genfer Forschungszentrum CERN initiiert Tim Berners-Lee 1989 das World Wide Web (WWW). Es definiert Protokolle und eine einfache Formatierungssprache, die Inhalte im Internet ähnlich aussehen lässt wie grafische Broschüren und Buchseiten. Das aus dem akademischen Geiste des freien und unentgeltlichen Zugangs zu Information geborene Werkzeug macht Ansätze zu privat kontrollierten und mit Nutzungsgebühren finanzierten Onlinediensten obsolet. Es ist das endgültige Todesurteil für alle Bemühungen, die subskriptionsbasierten Abrechnungsmodelle für urheberrechtsgeschützte Inhalte ins globale Netz zu übertragen. Mit dem libertären Einfluss der Open-Source-Idee, dem WWW und der Tatsache, dass digitale Inhalte problemlos vervielfältigt und in Sekundenschnelle über den ganzen Globus verteilt werden können, laufen die Frachter auf den Weltmeeren der Medienkonzerne nach und nach aus dem Ruder. Die Open-Source-Bewegung ist in Form freier, basisdemokratischer und dezentralisierter Entwicklergruppen organisiert, in denen an der Software selber unentgeltlich gearbeitet wird. Open-Source-Firmen stellen ihren Kunden die Software gratis zur Verfügung, verrechnen ihnen aber Projektrealisierung und Support. Da liegt bald einmal die Frage in der Luft, wieso nicht auch Onlinezeitungen und Onlinezeitschriften nach dem gleichen Prinzip aufgebaut werden sollten. Die journalistischen Inhalte könnten doch ebenfalls gratis und basisdemokratisch zur Verfügung gestellt werden. Anstelle damit verbundener Dienstleistungen sollen Werbekunden die journalistischen 19
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Medien finanzieren. Dabei würden Möglichkeiten der individuellen Ansprache der Nutzer zum Zug kommen, die in einem gedruckten Medium nicht möglich sind. Zunächst kommt es allerdings zu einem zuvor nicht bedachten Kollateralschaden: Von den Rubrikenanzeigen (Autoverkäufe, Stelleninse rate, Immobilien etc.), den «Cash Cows», die für traditionelle Papierzeitungen einen entscheidenden Teil der Werbeeinahmen generieren, können Onlinezeitungen nicht profitieren. Die Kleinanzeigen wandern in spezifische Portale ab. So werden in der Schweiz auf der dedizierten Plattform Homegate.ch etwa Immobilien gehandelt, auf Autoscout24.ch Autos, auf Monster.com Stellen. Rubrikeninserate sind sowohl für die traditionellen Printtitel als auch für Onlinemedien als Einnahmequelle verloren, Darunter leiden sowohl die traditionelle Papiermedien-Branche (von Onlinepionierenspöttisch «Holzhausen» genannt) als auch ihre Gegenstücke im Web. Journalistische Plattformen sollen, nicht zuletzt nach dem Vorbild der Open-Source-Idee der Softwarebranche, im Netz von Freiwilligen kollektiv aufgebaut werden. Die Idee – sie erhält das Label «Grassroot-» oder «Citizen-Journalism» – prägt die ersten Versuche, rein webbasierte Nachrichtenkanäle zu kreieren. Zu den ersten und einflussreichsten solcher Unternehmen des Bürger-Journalismus gehören die koreanischen «Ohmynews», gegründet im Jahr 2000 vom Koreaner Oh Yeon-ho. Die Kernidee: In Korea sind es mehr als 40 000 Autoren, die Artikel einreichen. Sie werden von einer Profiredaktion geprüft und online gestellt oder abgelehnt. Die Anerkennungsquote liegt bei rund zwei Dritteln. Leser können die Artikel freiwillig honorieren, wenn sie ihnen gefallen, was den Autoren aber im besten Fall bloss ein kleines Taschengeld verschafft. Weitere Einnahmen erzielt «Ohmynews» mit Werbung. Einmal in der Woche werden die besten Artikel in gedruckter Form vertrieben. 20
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Diese Mischform aus Onlineauftritt und gedruckter Version wich tiger Beiträge wird heute auch von anderen Onlineprojekten getestet – in der Schweiz etwa von der Basler «TagesWoche» und den Mikrozeitungen des Berner Oberländer Verlegers Urs Gossweiler (jungfrauzeitung.ch, «Obwalden und Nidwalden Zeitung»), die aber nicht auf Bürgerjournalismus, sondern auf traditionelle Profiredaktionen zurückgreifen. Neben den gemeinschaftsbasierten Kollektivprojekten beginnen nach der Jahrtausendwende unzählige mehr oder weniger versierte Hobby- und Profi-Journalisten individuell in «Blogs» über bestimmte Themen zu schreiben. Journalistische Blogs sind eine Art Fachmagazine, die im Grunde genommen nur aus einer einzigen journalistischen Form bestehen, der Kolumne. Unter ihnen schafft die amerikanische Publizistin Arianna Huffington den ganz grossen Coup: Ihr Netz aus prominenten Bloggern erreicht seit der Gründung 2005 als «Huffington Post» monatlich rund 25 Millionen Besucher und kann dank dieser Masse an Zugriffen erkleckliche Werbeeinnahmen generieren. Die Website wird 2011 für 315 Millionen Dollar vom Onlinedienst AOL aufgekauft. Dieses spektakuläre Ausnahmebeispiel kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass durchschnittliche Blogs mit den sich etablierenden Werbeabrechnungspraktiken im Web keine tragfähigen Geschäftsmodelle aufbauen können. Die von Blogs und später auch vom «Web 2.0» angeheizte Informations-, Debatten- und Kommentar-Flut führt dazu, dass die Inhalte im Netz förmlich explodieren und der Durchschnittsnutzer von Medien in der Regel nicht vor der Frage steht, wo er die für ihn interessanten Informationen findet, sondern wie er aus der Überfülle an Informationen die für ihn interessanten herausfiltern kann. Zeitungen und Magazine sind Produkte, die nicht nur auf einem, sondern zwei Märkten positioniert werden müssen – wie Immobilienverwalter, die sowohl Hausbesitzer wie Mieter im Auge haben. Parallel zu den Plattformen, die auf dem Lesermarkt vom Prinzip der nutzergene21
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rierten Inhalte profitieren und damit die Wichtigkeit des professionell betriebenen Journalismus schleichend entwerten, werden im Web für den Inserentenmarkt spezifische Werbemodelle entwickelt. Sie sind hauptsächlich darauf angelegt, eine messbare Wirkung von Werbung mit Blick auf Verkäufe beworbener Produkte zu erhöhen. In der klassischen Werbewelt gilt das Bonmot von 1915 des Auto bauers Henry Ford: Die Hälfte der Werbemassnahmen sind zum Fenster hinausgeworfenes Geld. Leider, so Ford weiter, ist aber nicht feststellbar, welche Hälfte es ist. Die traditionelle Art der Breitbandabdeckung der Märkte mit Werbung mit hohen Streuverlusten soll im Internet unnötig werden, weil technisch kontrolliert werden kann, welche Onlinewerbemittel zu konkreten Kaufentscheiden führen. Die Währung der Internetwerbung ist die Provision, die ein Website-Betreiber an den von der Werbung auf seiner Website ausgelösten Verkäufen erhält. Mit den provisionsbasierten Abrechnungsmodellen erodiert neben den Rubrikeninseraten ein weiterer Teil der Werbeumsätze: Traditionellerweise nutzen Werbekunden Inserate in gedruckten Zeitungen und Magazinen, um konkrete Produkte zu bewerben und damit die Verkäufe in Stückzahlen zu erhöhen. Daneben nutzen sie Werbung zur Erhöhung der Bekanntheit ihrer Marken. Dieser Anteil der Werbung, die sogenannte Imagewerbung, bezahlt der Werbekunde in der traditionellen Welt der Printtitel teuer. Im Web wird sie von Beginn an als Nebeneffekt der provisionsbasierten Werbeformen praktisch verschenkt. Ein weiterer Effekt trägt dazu bei, dass der Markt für Internetwerbung von Anfang an sämtliche Margen ruiniert: Im Internet scheint die Möglichkeit, eine Website mit Werbung zu finanzieren, demokratisiert. Nicht nur professionelle Verlage, sondern auch Gelegenheitsanbieter von Webinhalten können Werbeplätze zur Verfügung stellen. Sie wuchern im Web und sind nicht mehr wie im Fall von gedruckten Zeitungen und Magazinen ein potenziell knappes Gut. 22
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Zunutze machen sich dies sogenannte Affiliates-Programme wie Zanoxoder Tradedoubler, die ebenfalls wie Pilze aus dem Boden schiessen. Affiliates vermitteln im Web Werbemöglichkeiten auf Websites, die Abrechnungsmodelle wie «Pay per Lead» oder «Pay per Sale» nutzen. Sie spülen dem Betreiber einer Website, auf der eine Werbung geschaltet wird, erst dann Geld in die Kasse, wenn diese beim Inseratekunden den Kauf eines Produktes oder eine Handlung wie etwa die Abonnierung eines Newsletters ausgelöst hat. Imagewerbung wird im Web praktisch nicht vergütet. Von Affiliates-Programmen profitieren damit in erster Line die Inseratekunden. Viele Inhalteanbieter schalten Werbung von Affiliates auf ihren Websites nach dem Motto «nützt’s nichts, schadets nichts» und tragen damit dazu bei, dass der Markt für Imagewerbung erst recht ruiniert wird. Alle diese Entwicklungen führen dazu, dass Werbekunden nicht bereit sind, für Werbung im Internet, die mindestens so effizient ist wie diejenige in gedruckten Medien, auch mindestens gleich viel zu bezahlen. Dass die Preise auf dem Internet-Werbemarkt ruiniert sind (und nicht, dass die Inhalte frei zugänglich sind), ist der entscheidende Geburtsfehler bei der kommerziellen Nutzung des neuen Mediums. Eine Korrektur ist möglich. Dazu braucht es aber drei Voraussetzungen, die nur in einem langwierigen Prozess wirken können und erst von einer neuen Generation der Internetnutzer realisiert werden dürften. Es sind dies erstens Qualität statt Masse, zweitens kontinuierliche, langfristige Entwicklungen statt Boom und Hype und drittens Vertrauen. Ein Börsencrash beendet im Jahr 2000 den ersten Höhenflug von Internetfirmen und die Goldgräberzeit der Infrastrukturfirmen. Die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon vom 11. September 2001 beenden die Euphorie des Aufbaus einer friedlichen globalen Kommunikationsgesellschaft. Es schlägt die Stunde des «Social Web». Der nächste Hype ist geboren. 23
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