Die kopierte Stadt - Layout

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Yes, mit Ihnen, heute Abend, wann h채tten Sie Zeit?

Would you like something to drink, Sir?

Coca-Cola, orange juice, tea?

Orange juice please.

Very well.

Was habe ich schon zu verlieren?

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Und damals, vor siebzehn Jahren, als ich in diesem Flugzeug sass, schon seit längerem ohne Job.

Ja, was hätte ich schon zu verlieren gehabt. Ich, Leo Lander. Architekt.

Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder, Ruth und Peter. Ruth war damals vier, Peter zwei.

Meine Frau Meret war damit auch einverstanden gewesen. So konnte sie ihre Karriere als Urologin tüchtig vorantreiben.

Ich fand es schön, mich ganz um meine Kinder kümmern zu können.

Aber als auch sie ihren Job verlor, wurde es ungemütlich. Bald hatte ich Merets ständige Vorwürfe, ich sei unfähig, für die Familie zu sorgen, satt.

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Und so brach ich gen Osten auf.

Ziel meiner Reise war Kunming, die Millionen­stadt in Südchina. Dort wohnt und arbeitet mein Freund Hans Romer.


Hans war mein väterlicher Assistent an der ETH in Zürich und hatte mich in allem und jedem unterstützt.

Damals waren wir beide überzeugt, dass wir als künftige Stararchitekten die Welt zu unserem Bauplatz machen würden. Hans ist diesem Ziel tatsächlich ziemlich nahe gekommen. Er betreibt ein sehr erfolgreiches Architekturbüro in diesem Kunming und plant ganze Städte.

Sein grösstes Projekt vor siebzehn Jahren stand kurz vor der Vollendung: Er baute in der Nähe von Kunming eine exakte Kopie der Stadt Zürich.

Meine Karriere als Architekt hingegen ist leider schon bald ins Stottern geraten. Ich nahm nach dem Studium die erstbeste Stellean und war bald Experte für Kanalisationspläne, eine Auszeichnung, die ich bis zu meiner Entlassung nie mehr so richtig loswurde.

Das war eine komplett verrückte Sache. Eine echte Stadt aus Stein, Gips, Beton. Lebensraum für 300 000 Menschen.

Nun, ich rief also meinen Freund Hansan und fragte ihn,\ob er einen lukrativen Job für mich hätte. Und tatsächlich.

Ich solle einfach zu ihmnach Kunming ƒliegen und ihn dann gleich nach der Landung anrufen. Mehr könne er mir erst dann verraten.

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So befand ich mich also im Anf¬ug auf Kunming, der Stadt des Ewigen Frühlings. Obwohl sie auf knapp 2000 Metern über Meer liegt, ist das Klima das ganze Jahr über mild: Berge legen sich wie schützende Arme um die weite Ebene der Stadt und den riesigen Dian-See.

Ich spürte ein wohliges Kribbeln. Vorfreude auf neue Entdeckungen. Abenteuer. Exotik.

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Dass Kunming mein Leben völlig verändern sollte, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.


Hör zu, es ist ganz einfach: Du nimmst dir ein Taxi und fährst ins Hotel Crowne Plaza City Center.

Hans! Hoi! Bin eben gelandet!

Leo! Willkommen in Kunming!

O.k.!

Dort wartet eine sehr hübsche Dame auf dich.

Mister! Taxi, special price, City Center only 300 Yuan.

Sir, Taxi?

Und ob ... sie wird dir alles Weitere erklären.

Und wie erkenne ich sie? Du bist immer noch ganz der Alte, Hans.

Und ruf einfach wieder an, falls du dich nicht zurechtƒindest. Sie wird dich erkennen, deine Westlervisage verrät dich hier überall.

Keine Angst, ich bin nicht zum ersten Mal in einer fremden Stadt.

O.k., sehr gut.

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Very good price, 250 Yuan. F¡rst time here?

Yes, zum ersten Mal hier.

Deutsch? I have deutsch magazine for you.

Very good, äh? Fully german.

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Deutsch, Bier, Bayern München! ha ha ha!

Incredible, eh? You don’t f¡nd magazines in ofƒicial taxis.


REFLEX

Ausgabe 4 / April 2012

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Neu-Ordos: Die chinesische Geisterstadt Eine Retortenstadt für eine Million Menschen. Doch keiner will dort wohnen. Ein Albtraum aus Beton, Stahl und Glas. (cwa.) Unzählige Wohntür­ me mit Tausenden Luxus­ appartements, achtspurige Strassen, gigantische Plätze, künstliche Seen, eine Kunst­ halle, Sportpaläste, Luxus­ hotels, Luxusboutiquen: Das alles bietet die grandiose Re­ tortenstadt Neu­Ordos.

Das muss ich Hans erzählen, das könnte auch seiner ZürichKopie drohen.

Doch ein kleines Detail fehlt: In Neu­Ordos gibt es keine Einwohner. Neu­Ordos ist eine Geisterstadt. Die 30 Quadratkilometer grosse Stadt wurde auf dem Reissbrett entworfen und für zwei Milliarden Euro in nur f¨ünf Jahren aus dem Wüstenboden gestampft.

Trotzdem: alle Wohnungen verkauft

Ist die Geisterstadt in der inneren Mon­ golei ein erstes Anzeichen für das Ende des chinesischen Wirtschaftswunders?

Erstaunlicherweise konnten die meisten Wohnungen in Neu­Ordos verkauft werden – an Investoren, die nie und nimmer selbst dort wohnen wollen. Sie vermieten die Woh­ nungen auch nicht, sie sehen sie einzig als risikolose Geld­ anlage. Zu Recht? Erst die Zukunft wird es weisen.

Riesige Bibliothek, grandiose Kunst­ halle. Aber keiner geht hin.

Im Gespräch mit den ver­ antwortlichen Stellen konnte

Die Behörden waren überzeugt, dass die kaufkräftige Mittelschicht lieber in den Villen von Neu­Ordos leben wür­ den als in der Millionenstadt Ordos, die aus allen Nähten platzt.

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Here you are.

Ähm, warten Sie auf mich?

Thank you, Sir, enjoy your stay.

Yes.

Das ... das freut mich. Wohin ...

To your room? Thanks.

谢谢!

800 Yuan o.k.?

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*Danke!


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