Kulturkampf im Bundeshaus

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Wolfgang Bรถhler

Kulturkampf im Bundeshaus

Kulturfรถrderung zwischen Konkordanz, Kommerz und Kommissionen

Mit einem Vorwort von Jean-Pierre Hoby


Inhalt

Vorwort von Jean-Pierre Hoby

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Kulturförderung auf Irrwegen

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Entwurf einer zukunfts­gerichteten Bundeskulturpolitik

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Die fünf Irrtümer der Kunstförderung

37

Kurze Chronologie der Schweizer Kulturpolitik

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Die verpasste Chance der Kulturförderer

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Kein sozialer Schutz für Künstler

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Gehört die Musik in die Verfassung?

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Die UNESCO als Hüterin der Volkskultur

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SVP und Kultur: erst schlafen, dann jammern

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Grüne Kulturpolitik auf dem Holzweg

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Pro Helvetia oder: Was ist Staatskultur?

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Die Kultur und der Wahlkampf

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Die Kultur im neuen Parlament

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Weshalb die Kulturindustrie keine Lobby hat

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Wie viel Zynismus verträgt Pro Helvetia?

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Entgegnung von Pius Knüsel auf «Wie viel Zynismus verträgt Pro Helvetia?»

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Die Förderung der Kultur im Nationalrat

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Die Kultur verpasst eine historische Chance

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Der Bundesrat schlägt logische Purzelbäume

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Politiker verspotten die Idee eines Kulturrates

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Wie viel Demokratie verträgt die Kulturförderung?

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«Staatskultur» – was soll denn das sein?

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Zur Kultur Europas gehört auch die Schweiz

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Eine Kulturkonferenz zum Welt-Vegetariertag

92

Von der McDonaldisierung der Kultur

94

Scherbenhaufen in der Bundeskultur

97

Visionen für eine nationale Kulturpolitik

100

Missing Link der Kreativwirtschaft

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Rede zur 1. Nationalen Kulturkonferenz

104

Lang lebe die Kultur! (nicht die Institutionen)

112

Studers Passion für das vorletzte Jahrhundert

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Ein Masterplan für die Kreativwirtschaft

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Register

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Die verpasste Chance der Kulturförderer

Im täglichen Sprachgebrauch wird häufig zwischen den Ausdrücken «Kunst» und «Kultur» gewechselt, als ob die Bedeutungen der beiden deckungsgleich wären. Die Gleichsetzung treibt ausgerechnet dort die seltsamsten Blüten, wo eine Abgrenzung am meisten angezeigt wäre, nämlich dort, wo (viel) Geld ins Spiel kommt: in der Kulturförderung, respektive Kunstförderung respektive Kunst- und Kulturförderung oder keinem von beiden – so genau weiss das eben eigentlich niemand. In welchem Verhältnis stehen die beiden denn nun wirklich zueinander? In der postmodernen Logik ist eh alles Kultur, und damit die Kunst ein Teil davon. Das ist nicht so ganz falsch, aber auch nicht wirklich richtig, und dienlich ist es schon gar nicht. Kunst verhält sich zu Kultur etwa so wie schöpferische Mathematik zur Buchhaltung oder der Bau von Häusern zum Wohnen. In Sachen Kultur gibt es eine hochoffizielle Definition einer internationalen Organisation, nämlich der UNESCO. Diesem weltpolitischen Schwergewicht haben sich auch die Schweizer Kulturförderer gebeugt, welche die Charakterisierung zur Grundlage des künftigen Kulturförderungsgesetzes ( KFG ) gemacht haben: «Als Kultur gelten die Künste sowie die Werte, Werke und Güter aller Art, die unser Herkommen bezeugen, damit zum Verständnis der Gegenwart beitragen und mithelfen die Zukunft zu gestalten.» Man überliest es beinahe, aber «die Künste» und die restlichen Aufgaben des Kulturbetriebs werden hier verbal fein säuberlich getrennt, was fatalerweise aber keine Folgen zeitigt, weil die beiden trotzdem nicht unterschiedlich behandelt werden. Bösartig ausge44

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legt könnte man die Definition deshalb sogar als den impliziten Versuch deuten, die «Kunst» und «die Werte, Werke und Güter aller Art, die unser Herkommen bezeugen» zwecks Gleichschaltung unter einem Dach zu vereinen. In Wahrheit verfolgt Kunst aber einen ganz andern – gar konträren – Zweck als Kultur. Kunst stellt Traditionen in Frage, wo Kultur sich selber als Tradition versteht; Kunst will verunsichern, wo Kultur identitätsstiftend wirken will; Kunst bricht mit Regeln, Kultur legitimert solche; Kunst ist ein erkenntnistheoretisches Forschungsprojekt, Kultur ein soziales Phänomen. Der Konflikt äussert sich in schöner Regelmässigkeit in politischen Querelen, die sich oberflächlich an einem scheinbaren Mangel an angenehmem Wesen und «Kunstfertigkeit» eines Anstoss erregenden Kunstwerkes entzünden. Diesen Konfliktherd räumt das geplante KFG nicht beiseite. Im Gegenteil: Es vergrössert die unproduktiven Reibungsflächen zwischen dem «Mann von der Strasse» und den Künstlern, indem es sowohl Kultur als auch Kunstschaffen dieselbe Aufgabe zuweist.

März 2006

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Kein sozialer Schutz für Künstler

Der Schweizer Musikrat (SMR ) hat im letzten Oktober zum Entwurf des geplanten Kulturförderungsgesetzes (KFG ) Stellung genommen. Vieles darin findet er gut, allerdings beklagte er, dass die soziale Sicherheit der Kulturschaffenden keinen Eingang in das Gesetz finden soll. Der SMR wünschte ausdrücklich, dass dieses «dringende und für eine Grosszahl von Kulturschaffenden existenzielle Problem parallel zum KFG mit grösster Priorität einer Lösung zu­ geführt wird». Da muss die Stellungnahme des Bundesrates zu den ­Resultaten der Vernehmlassung wie eine Ohrfeige wirken: Nein, die soziale Frage ist keineswegs ein dringliches Anliegen, liest man im Communiqué zwischen den Zeilen. Und man soll dem Bundesrat doch bitte bis Dezember 2007 vorerst einmal einen Bericht «zur sozialen Sicherheit von Arbeitnehmenden in Berufen mit häufig wechselnden oder befristeten Anstellungen» vorlegen. Mit andern Worten: Das Problem wird in der Bundespolitik auf die lange Bank geschoben. Der Entscheid dürfte diejenigen Kreise freuen, die sich auf den Standpunkt stellen, dass Kulturförderung auf Bundesebene nicht mit Sozialpolitik vermischt werden sollte. Aus ordnungspolitischen Gründen ist so eine Haltung nachvollziehbar, pragmatisch gesehen ist sie aber fatal. In der Regel kümmern sich die Gewerkschaften darum, dass den sozialen Interessen der Arbeitenden in bestimmten Branchen Gehör verschafft wird. Sie tun dies, indem sie mit den Arbeitgebern Vertragswerke, idealerweise Gesamtarbeitsverträge, aushandeln. Das System funktioniert praktisch in allen Bereichen der Arbeitswelt ­sehr 46

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gut – in den künstlerischen Berufen versagt es hingegen aus verschiedenen Gründen. Zum Ersten sind Künstler – und dies ist nun nicht abschätzig gemeint, sondern einfach eine simple Feststellung – egozentrische Wesen, die praktisch nicht zur Rudelbildung gebracht werden können. Zum Zweiten ist die Kunst in weiten Teilen die Angelegenheit einer global verstreuten, im Falle der Musik ständig reisenden Gesellschaft ohne die Lebensmittelpunkte, die nötig sind, um langfristige gewerkschaftliche Arbeit zu leisten. Und zum Dritten sind die Arbeitgeber von Künstlern nicht selten einfach sie selber. Und wenn man nichts hat, kann man auch nichts herauspressen, um es ohnehin sich selber wieder zuzuschanzen. Man muss das Problem vermutlich differenziert angehen. So lässt sich etwa die Frage nach der sozialen Sicherheit von Musiklehrerinnen und -lehrern relativ gut abgrenzen und zusammen mit den zuständigen Gewerkschaften im Rahmen der Bildungspolitik abhandeln. Es geht zum Beispiel nicht an, dass Musikschulen Pädagoginnen nur gerade in einem solchen Umfang anstellen, dass sie keine Pen­ sionskassenbeiträge zu entrichten haben. Solche Missstände lassen sich gewerkschaftlich bekämpfen. Freie Künstler wiederum sind Querdenker und brauchen mög­ licherweise ebenso kreative und schräg in der Landschaft stehende Vorsorgemodelle. Ein Bericht zuhanden des Bundesrates wird hingegen vermutlich bloss wieder feststellen, dass die Situation ernst ist, dann werden wieder alle ins übliche Klagelied verfallen, dass Künstler nur die eigene Kunst im Kopf haben, und die Künstler selber werden wieder darüber schimpfen, wie schlecht die Welt doch ist. Und die einst jungen Wilden werden im gar nicht mehr überbordenden Alter immer noch ohne Rente dastehen.

Juli 2006

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Gehört die Musik in die Verfassung?

Der Schweizer Musikrat will im kommenden Jahr die Volksinitiative «jugend + musik» lancieren. Sie verlangt, dass die musikalische Bildung in der Schweiz in der Bundesverfassung verankert wird. Wir stellen aber trotzdem eine eher skeptische Prognose. Die Initiative dürfte spürbar sein, aber – wie in der helvetischen Politik üblich – anders als gedacht und einiges verändern, aber – wie in der helvetischen Politik nicht minder üblich – in weitaus längeren Zeiträumen als beabsichtigt und in anderer Form als geplant. Im besten Fall kann die Initiative nach Ablauf der vorgeschriebenen Sammelfrist Ende 2008 eingereicht werden. Vermutlich wird dazu ein Grüppchen unverzagter Musikschüler mit ihren «Musiklehrpersonen» die mit Kantonswappen verzierten Kartons mit den beglaubigten Unterschriftenbögen im Bundeshaus überreichen – musikalisch untermalt und begleitet von einem Team des Schweizer Fernsehens. In der Folge bleibt der Bundesverwaltung ein Jahr Zeit, um der Bundesversammlung eine Botschaft und den Entwurf eines Bundesbeschlusses zu präsentieren, womit auch das Jahr 2009 verstrichen sein wird. Das Parlament wiederum kann sich laut Bundesgesetz – im besten Fall! – bis Mitte 2011 Zeit nehmen, um eine Volksabstimmung vorzubereiten. Gehen wir mal optimistisch davon aus, dass die Abstimmung 2012 realisiert wird und nicht nur das Volksmehr gewinnt, sondern aufgrund glücklicher Umstände auch das Ständemehr – vielleicht weil die Schweiz beim Grand Prix der Volksmusik, der zufälligerweise einen Monat vor der Abstimmung über die Bühne geht, den 48

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Sieg davongetragen hat. Dann werden weitere zwei Jahre vergehen, bis die Teilrevision der Bundesverfassung erledigt ist, womit wir uns bereits im Jahr 2014 befinden werden – mindestens. Was ist bis dahin für die musikalische Bildung in der Schweiz faktisch erreicht worden? Noch gar nichts. Denn erst jetzt kann respektive muss die neue Bestimmung in der Bundesverfassung umgesetzt werden. Dummerweise ist die Bildung aber Sache der Kantone, womit – wiederum im besten Fall – eine heftige Diskussion um Sinn, Unsinn und Kosten des Musikunterrichts losgetreten wird. Die Kantone werden auf ihre Autonomie pochen und sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können (oder wollen). Nun kann man sich fragen, weshalb bei der Musik nicht klappen soll, was beim Sport funktioniert. Technisch gesehen geht es ja um das gleiche Anliegen, bloss mit Blick auf ein anderes Fach. Das Problem ist, dass die Musik im Gegensatz zum Sport kaum strategische Bedeutung für die Landesverteidigung besitzt. Das Militärwesen jedoch ist Sache des Bundes, weshalb die Sportförderung auf Bundesebene dezidiert durchgesetzt wird und die Musik kaum ihre Lobby finden wird, ausgenommen man präsentiere eine Bestimmung, wonach jeder Schweizer das Recht hat, das ihm vom Bund ausgehändigte Instrument bei sich zu Hause aufzubewahren – inklusive versiegelter Ordonnanzpartituren. Dennoch wird die Initiative einige Wirkung zeigen, denn in dieser ganzen Zeit wird es immer wieder Gelegenheit geben, über Sinn und Unsinn der musikalischen Bildung auf breiter Front eine poli­ tische Debatte zu führen. Und diese ist es, die weitaus nötiger ist als ein Verfassungartikel, denn bei denjenigen Schweizerinnen und Schweizern, die selber nie längere Zeit Musikunterricht in Anspruch genommen haben, müssen zum Teil erschreckend falsche Vorstellungen darüber diagnostiziert werden, was in den Musikschulen des Landes tatsächlich geleistet wird.

Dezember 2006

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Die UNESCO als Hüterin der Volkskultur

Kurz vor den Weihnachtsferien hat der Bundesrat noch zwei Vor­ lagen in die Vernehmlassung geschickt. Es handelt sich um die Ratifizierung eng zusammengehörender Konventionen der UNESCO. Die eine schafft eine völkerrechtlich verbindliche Grundlage für das «Recht aller Staaten auf eine eigenständige Kulturpolitik». Die andere verpflichtet die Vertragsstaaten, die notwendigen Massnahmen zum Schutz ihres immateriellen Kulturerbes zu treffen. Damit sind im Gegensatz zu physisch vorhandenen Werten wie Gebäuden, Landschaften oder Dokumenten traditionelle Ausdrucksformen wie «Musik, Theater, Legenden, Tanz oder Handwerk» gemeint. In­ teressierte Kreise haben bis Ende März Gelegenheit zur Stellungnahme. Im Grossen und Ganzen geht es darum, Volkskultur besser zu schützen und zu bewahren. Die von der ersten Konvention geforderten Massnahmen – unter anderem der Informationsaustausch über die entsprechenden ­nationalen Projekte – können im Rahmen der üblichen Verwaltungstätigkeit bewältigt werden. Vorgesehen sind allerdings «freiwillige» Beiträge an einen internationalen Fonds. Sollte die Schweiz ins Auge fassen, sich da zu engagieren, müssten vorgesehene Zuwendungen im Rahmen der Finanzplanung des Bundes auf den üblichen ­politischen Wegen diskutiert werden. Zur Durchsetzung der Ziele der Konvention über das immate­ rielle Kulturerbe wiederum wird von der UNESCO ein Fonds eingerichtet, in den die Schweiz im Falle einer Ratifizierung 1 Prozent des Beitrages einzahlen müsste, den sie zum ordentlichen Haushalt der UNESCO bereits leistet. Faktisch würde dies die Zahlung von rund 50

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25 000 Franken pro Jahr bedeuten. Zudem ist der Aufbau von Inventaren zum jeweiligen nationalen immateriellen Kulturgut vorgesehen. 120 Staaten haben der Konvention bei der Verabschiedung an der UNESCO -Generalkonferenz 2003 zugestimmt, keiner war dagegen. Die Schweiz hat sich zusammen mit weiteren sieben Staaten der Stimme enthalten – unter anderem, weil sie sich eine bessere Prüfung der Vor- und Nachteile von Inventaren und Listen gewünscht hätte. Da müssen wir uns Schweizer allerdings zunächst selber an der Nase nehmen. Das Pilotprojekt eines Schweizerischen Inventars des immateriellen Kulturerbes, das auf der Website www.cioff.ch unter dem Patronat des Bundesamtes für Kultur zu finden ist, kann nun wirklich nur als abschreckendes Beispiel dienen: unbedarft gestaltet, benutzerunfreundlich und inhaltlich beliebig. Wird es als Indikator für den Willen des Landes genommen, die Konventionen der UNESCO umzusetzen, dann ist nicht viel Gutes zu erwarten.

Januar 2007

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SVP und Kultur: erst schlafen, dann jammern

Die SVP legt ein Positionspapier zur Kulturpolitik des Bundes vor. Es besteht – mit Verlaub – aus nicht viel mehr als 20 Seiten Gejammer. Weshalb? Weil die SVP ein Problem mit ihrer Glaubwürdigkeit hat: Nachdem sich ihre Exponenten jahrelang nicht in die lebhafte Diskussion um die Schweizer Kulturförderung eingebracht haben, reiben sie sich nun die Augen und stellen fest, dass die Kultur zur Sache der Linken geworden ist. Was erwarten die Rechtsbürgerlichen denn anderes, wenn sie das Feld jahrelang kampflos den andern überlassen? Die SVP -Ikone Christoph Blocher wird da in seiner gewohnt kernigen Art einen Schluss ziehen müssen: Wenn ds Buebli trödlet, macht’s halt ds Meitli. Im Pressecommuniqué zum Positionspapier werden zwei Fragen polemisch vermischt. Erstens: Kommt die Kultur ohne staatliche Förderung aus? Anders gefragt: Kann man staatspolitisch auf Formen der Kultur verzichten, die nicht gewinnbringend oder zumindest selbsttragend sind, wie dies die SVP glaubt? Zweitens: Stimmt es tatsächlich, dass der «linke Politkuchen» den «linken Kulturkuchen» unterstützt und in der Schweizer Kulturförderung «Mauscheleien und korruptionsähnliche Zustände» zu beobachten sind, wie dies die SVP schreibt? Bereits die erste Frage muss mit einem entschiedenen Nein beantwortet werden: Das zeitgenössische Kunstschaffen, das unsere Wahrnehmung schärft und erweitert und ein wichtiges Experimentierfeld für gesellschaftliche und persönliche Entwicklungen darstellt, könnte unter ökonomischem Druck seine Aufgabe genauso wenig wahrnehmen wie Elementarteilchenphysiker im Kernfor52

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schungslabor oder Medizinhistoriker an der Universität Zürich. Eine Gesellschaft jeglicher Couleur braucht querdenkende, nicht mehrheitsfähige und ökonomisch (kurzfristig!) unergiebige Künstler, wenn sie nicht innerlich erstarren und von der globalen Dynamik überrollt werden will. Was also kennzeichnet eine konsequente bürgerliche Kunstpolitik? Sie wird von liberalen Unternehmern getragen, die mit Sachkompetenz und humanistischem Engagement diejenigen Künstler aus der eigenen Tasche fördern, in denen sie Träger zukunftsweisender Ideen sehen. Es gab sie mal. Man nannte sie Mäzene, ihre Förderarbeit erwies sich als überaus erfolgreich und nachhaltig und hat die Förderer in späteren Jahren nicht selten reich gemacht. Da findet sich auch die einzige wirklich konstruktive Forderung in dem Positionspapier der SVP : Das Mäzenatentum muss steuerlich entlastet und die gesetzlichen Grundlagen für die Errichtung von Stiftungen müssen erleichtert werden. Daneben setzt eine liberale Kulturpolitik auch auf eine staatliche Kunstförderung. Dabei sorgt sie dafür, dass die Entscheidungsprozesse darüber, was und wer gefördert wird, professionell gestaltet und politisch breit abgestützt sind. Um sich mit der eigenen Kon­ zeption von Kultur da Gehör verschaffen zu können, muss man sich aber immer wieder aktiv in die politische Debatte einmischen und Teil des lebendigen Dialoges werden. Aber auch die zweite Frage muss eindeutig verneint werden. Es ist nicht zu bestreiten, dass die Kulturförderung heute tendenziell eher von linken Kreisen betrieben wird. Dies ist aber, wie bereits ­festgestellt, nicht diesen anzulasten, sondern entlarvt bloss ein ­Ver­säumnis bürgerlicher, insbesondere rechtsbürgerlicher Politik. SVP -­Nationalrat Christoph Mörgeli gibt es in einem Referat zum ­Positionspapier freimütig zu: Seine Partei habe die Kultur bislang «nicht zu ihren Schwerpunktgebieten» gezählt. Erstaunlich, dass Mörgeli, der in seinen Kolumnen ja sonst nie um markige Worte verlegen ist, da plötzlich zum verbalen Weichspüler wird. Jahrelang schlafen und dann in einem polemischen Positionspapier einen unFebruar 2007

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differenzierten Kahlschlag in der Kulturförderung verlangen, ist zu billig. So lenkt man bloss vom eigenen Versäumnis ab. Die «Linken» haben im Gegensatz zu den Rechtsbürgerlichen ihre Hausaufgaben in Sachen Kultur immer wieder gemacht. Die praktische Erfahrung im täglichen Umgang mit «linken» Kulturförderern ist, dass sie eine den Umständen entsprechend faire und ausgewogene Förderpolitik betreiben. Den Umständen entsprechend heisst hier: trotz der Tatsache, dass sich die rechte Politik in den letzten Jahrzehnten zu schade dafür war, ihre Interessen und Gegenentwürfe auch in die praktische Arbeit einzubringen.

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