Schau Schwyz Schweiz!

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Willkommen Rampass und Gumel 6 ............ Mythen Brot und Steine 16 .­­­­­­ . . . . . . . . . . . Herrenhäuser Sold und Geist 28 ............ Hauptplatz Der Mändel und die Menschen 42 ............ Korporationen Käse und Königreiche 56 ............ Verkehr Vollgas und Alpenrösli 68 ............ Industrie Sackmesser und Schokolade 80 ............ Vor Ort Schwyz und Umgebung 94 ............ Personenregister 109 ­


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Orte Im Talkessel von Schwyz. Gerüche Es riecht nach Heimaterde, Abgasen und Filz. Themen Vorurteile und Urteile.

Rampass und Gumel Schwyz liegt mitten in der Schweiz. Am Schnittpunkt zwischen Norden und ­Süden, zwischen Westen und Osten. In der Kernschweiz. Diese Lage wäre eine gute Voraussetzung dafür, dass der Ort bekannt wäre. Doch ausser den Bewohnerinnen und Bewohnern scheinen nicht viele Schwyz wirklich zu kennen: Schon in Freienbach am Zürichsee, notabene ein Ort im gleichen Kanton, scheint man sich mehr für São Paulo oder Singapur zu interessieren als für Schwyz. Wie so häufig wird dann das mangelnde Wissen überdeckt mit Klischees. Behäbig und behütet seien die Leute in Schwyz. Verstockt und verschlossen. Fremdenfeindlich und Nein sagend. Egoistisch und Trittbrett fahrend. Klischees wie diese sind verfälschende, ungerechte Vereinfachungen, die der Realität übergezogen werden wie eine Tarnkappe. Doch was ist die Realität des Schwyzer Talkessels? Fragen dazu kann man viele, denn die 14 000 Schwyzerinnen und Schwyzer haben je eine andere Meinung: Vom Mittelschüler im Punk-Look über den adeligen Herrenhausbesitzer bis hin zur türkischen Schuhverkäuferin trifft man im Talkessel Schwyz auf jegliche Schattierung von Menschen – wie andernorts auch. Deshalb ist genauer zu fragen: Was ist überhaupt der Schwyzer Talkessel? Und wie wirkt sich seine Lage identitätsmässig aus? Schon geografisch ist man sich nicht


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ganz einig: Die Geländekammer, in welcher sich der Kantonshauptort befindet, endet bei den einen beim Urmiberg, bei den anderen bei der Bernerhöhe. Sicher dazu gehört die politische Gemeinde Schwyz mit den Ortschaften Schwyz, Seewen, Ibach und Rickenbach sowie mit den Weilern Aufiberg, Ried und Schönenbuch. Egal, ob man sich von Sattel, Goldau, Muotathal oder dem Urnerland Schwyz nähert: Es öffnet sich stets ein neuer Raum, umkränzt von den Mythen, dem Gibelhorn, dem Fronalpstock und dem Urmiberg. Als Ganzes erinnert diese Szenerie an einen Kessel, der dann zum etwas überhöhten Namen «Talkessel» geworden ist. Mag auch der topografische Raum definiert sein, damit ist noch nichts gesagt über die Identität. Denn Schwyz ist nicht homogen. Jede der Gemeindefraktionen, im Schwyzer Sprachgebrauch «Filialen» genannt, führt ein Eigenleben. Der Föderalismus, oft verkannt als Diktatur des Kleinsten, wird auch hier nicht nur gepflegt, sondern gehätschelt. Ein Seewener will keinesfalls mit einem Ibächler verwechselt werden und schon gar nicht mit einem Ricken­bächler. Jeder dieser Gemeindeteile hat sein Gepräge: Seewen – oder, wie Einheimische ­sagen, «Seebä»–istmittlerweilemitAutobahn,Umfahrungsstrasse,Kieswerk,Steinbruch,Krematorium, Eishalle, Nachtclub, Gaswerk, McDonald’s und Einkaufscenter «Seewen Markt» nicht mehr der idyllische Kurort am Lauerzersee von einst. Als der Bahnhof in Seewen die Bezeichnung «Schwyz» bekam und nicht etwa «Seewen- Schwyz» oder «Schwyz-Seewen», war dies für die überzeugten Seewener, als ob man ihnen das Herz aus der Brust reissen würde. Identitätsfragen beschäftigen auch die «Filiale» Ibach. Sie versucht mit eigener Fasnacht und eigenem Fussballclub ihren eigenen Charakter zu wahren. Einst der Treffpunkt der Fecker und Scherenschleifer und Korber, ist Ibach heute zerrissen: Der alte Dorfkern südlich der Muota ist der Hort des Traditionellen, man kommt sich dort zuweilen vor wie in einer «Swiss miniature» der 1950er-Jahre. Dem entgegen steht der boomende Teil nördlich der Muota, beinahe verwachsen mit Schwyz und Seewen: Rund um das amerikanisiert wirkende Einkaufszentrum «Mythen-Center» und die über die Jahrzehnte gewucherte Messerfabrik Victorinox mit den Wohn­blöcken von «Klein-Bosnien», wiedasQuartierRubiswilaufgrunddeshohenAus­länderanteilsgenanntwird,istkeinSiedlungskern spürbar. Der Ortsteil Rickenbach dagegen sieht sich gerne auf der Sonnenseite: klein, aber fein. Einfamilienhaus reiht sich an Einfamilienhaus. Die Aussicht von den ­höheren Lagen des ansonsten schläfrigsten Ortes im Talkessel ist phänomenal: Vor sich das Dorf Schwyz, gegen Süden offen in Richtung Vierwaldstättersee, dessen ­Seearm Urnersee wie ein norwegischer Fjord in die Alpen gebettet ist. Die Aussicht nach Westen geht über den Lauerzersee zur Rigi und zum Rossberg. Was man von Rickenbach aus gut erkennt: die weit fortgeschrittene Zersiedelung des Tal­kessels. Schwyz selber hat viel Verwaltung, viele Kirchen und Kapellen, aber auch viele Quartiere. Der Partikularismus geht so weit, dass sich in Schwyz ein «Dorfbächler» die

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Gleichsetzung mit einem «Herrengässler» oder einem «Hinterdörfler» verbeten haben möchte. Als Anfänger macht man solche Verwechslungen nur einmal. Dass diese Dorffraktionen ein Eigenleben führen, erschwert die Zusammen­arbeit, sei sie politisch, wirtschaftlich, sozial oder kulturell. «Jeder ist sich selbst am nächs­ten», wird lakonischerklärt.PeriodischwerdenAnstrengungengetroffen,diesemLokalpatriotismus entgegenzuwirken. Zurzeit versucht es die breit abgestützte Arbeitsgruppe «Gemeinsam für die Gemeinde» – ein paar Jahre zuvor war es die Gruppierung «Wir beleben Schwyz», die Nachfolgerin des in Konkurs gegangenen Verkehrsvereins.

Verschlossen und verbunden  In Schwyz trifft man auf viele harte Brocken, nicht nur die aus Stein. Es ist nicht einfach, Menschen aus Schwyz zu begeistern. Die Schwyzer schweigen zunächst, warten ab, wägen ab, überlegen, was herausspringen könnte, erst dann sagen sie etwas. Die Herzen fliegen einem hier nicht zu. Die Schwyzer sind wie die Taschenmesser, die bei ihnen millionenfach produziert werden: von aussen etwas bieder und verschlossen – erst wenn man das Taschenmesser öffnet, entdeckt man die verborgenen Qualitäten. Grundsätzlich sind die Schwyzer auch nicht fremdenfeindlich. Zwar werden Einbürgerungen meistens abgelehnt, worauf den Schwyzern Fremdenfeindlichkeit vorgeworfen wird. Aber sie haben eigentlich nichts gegen Ausländer am Arbeitsplatz oder im Turnverein. Die Schwyzer sind es gewohnt, dass das Einbürgern etwas länger dauert. Bei den Korporationen kann niemand aufgenommen werden: Die Nicht-Korpora­ tionsgenossen, die Beisassen, warteten mehrere 100 Jahre auf ihre Aufnahme – vergeblich! Da sollen auch die Irciks, Salatics und Özdemirs nicht ruckzuck eingebürgert werden. Was man aber den Schwyzern nachsagen kann: Sie sind allem, was sie nicht kennen, skeptisch gegenüber. Denn einander kennen sie. Die Nähe ist der Schlüssel zur Region. Jeder kennt jeden. Fast alle sind miteinander per Du. DerDenkmalpflegerkenntdenHerrenhausbesitzervonseinenKunstreiseninsAusland. Der eine Industrielle war mit dem anderen Industriellen im Kollegium. Die Floristin kennt den Skifahrer von der Schule. Der Schreinermeister ist mit dem ­Korporationsschreiber in einem Vereinsvorstand. Der Personalchef kennt den Abteilungsleiter von der Leichtathletik, der Vorarbeiter war mit dem Chef im Turnverein, und die Frauen kennen sich vom MuKi-Turnen. Und alle treffen sich an der Fasnacht. Die Schwyzer stehen miteinander in Beziehung, sind irgendwie verbunden. Schwyz ist ein einziges, vor allem männliches Netzwerk von undurchschaubaren Verbindungen, die sich jeweils im Verlauf eines Gesprächs zeigen.


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Zwar ist Schwyz der Hauptort eines aufstrebenden Kantons, zwar hat Schwyz eine Zentrumsfunktion in der Region, mit einem Hauch von Urbanität, zum Beispiel mit dem Kongresszentrum «Mythen Forum» – gleichwohl funktioniert Schwyz wie ein Dorf. Die Schwyzerinnen und Schwyzer sprechen auch nicht davon, «in die Stadt» zu gehen, sondern «ins Dorf», oftmals zu Fuss, durch die vielen kleinen Gässlein, in ­welchen der automobile Verkehr noch nicht dominiert. HierinSchwyzfunktioniertdieSchweiznochtraditionell,werdanichtjedenkennt,hat esnichtleicht.Erschwerendkommthinzu,dassdieSchwyzersichhäufighinterkurzen,träfen Sprüchen verstecken. Vor lauter Lakonie ist es schwer, dahinterzusehen, schwer, die Menschen zu spüren. In Schwyz gibt es den typisch schwyzerischen Ausdruck «Rampass». Damit werden sich roh gebärdende, übermütige Menschen bezeichnet. Dieser eher abschätzige Ausdruck feiert Renaissance: eine Guggenmusig («Rampässä») und eine moderne Länderformation («Rampass») nennen sich danach. Diese jungen Musiker sind Rampässe und ironisieren sich gleichzeitig: Sie wollen etwas rauer und abenteuerlicher wirken, als sie sind. Sie zelebrieren eine Rückbesinnung, denn die Moderne hat auch Schwyz längst eingeholt. Schwyz steht zwischen Naturjodel und MTV, zwischen Hafechabis und Big Mäc, zwischen Bisistal undIbiza,zwischenRapid-EinachserundHarley-Davidson,zwischenGeranienkistchenund Urwald, zwischen Sonntagstracht und Bauchfrei-Top, zwischen Mythen und See, zwischen Hinterwäldertum und Weltoffenheit – und damit immer wieder zwischen den Stühlen. BeidiesenVermischungenderWeltenisteswichtig,denheimischenStallgeruchzuverbreiten, sich zum Beispiel «Rampass» zu nennen. Ein anderes Exempel bietet die Kartoffel, ein Importgut, einst fremd und von daher unbeliebt. Dann nannte man sie in Schwyz «Gumel», ein Name, den es sonst nirgends gibt. Und seither ist der «Gumel» heimisch. Kartoffelstock heisst demnach «Gumel-Schtunggis». Das ist ziemlich typisch in Schwyz: Das Neue, das Fremde muss zum Eigenen gemacht werden, dann legt sich die Skepsis. Weitere Beispiele für die Betonung des Einheimischen liefern einige Restaurants: Kaum werden sie von Einheimischen geführt, sind sie voll – mit Auswärtigen am Kochlöffel serbelten die Gaststätten. Noch ein Exempel bieten die Kapitalaufstockungen lokaler Firmen: Die neu emittierten Aktien werden regelmässig überzeichnet, wie neulich bei der «Gas- und Wasserwerk Schwyz AG » oder bei der «Sparkasse Schwyz». Schwyz steht zu Schwyz – aber etwas weniger zur Schweiz, auch wenn der Name «Schweiz» aus «Schwyz» hervorgegangen ist. Darauf haben sich die Schwyzer jahrhun­ dertelang etwas eingebildet. Heute zählt das nicht mehr, was die Schwyzer etwas kränken mag. Sie fühlen sich schnell benachteiligt. Es ist eine Abwehrhaltung gegen die drei «B» spürbar. Gegen Brunnen, den Nachbarort, mit dem man rivalisiert. Gegen Bundesbern, dem man in Abstimmungen das Nein erteilt.


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Gegen Brüssel, das als Hauptsitz der EU den Inbegriff des Zerstörers der Schwyzer Souveränität darstellt. «Miär sind au öpper!», schleudern die Schwyzer trotzig der Aussenwelt entgegen. Niemand hat das Gegenteil behauptet. Deshalb gehen wir näher ran.

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